Der Brutalist (2024)

DAS LEBEN IST EINE BAUSTELLE

5/10


© 2024 Universal Pictures


LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH, USA, UNGARN 2024

REGIE: BRADY CORBET

DREHBUCH: BRADY CORBET, MONA FASTVOLD

CAST: ADRIEN BRODY, GUY PEARCE, FELICITY JONES, JOE ALWYN, ISAACH DE BANKOLÉ, ALESSANDRO NIVOLA, RAFFEY CASSIDY, STACY MARTIN, EMMA LAIRD, MICHAEL EPP, JONATHAN HYDE U. A.

LÄNGE: 3 STD 35 MIN


Da stehe – oder besser gesagt sitze ich – im dunklen Kinosaal, und zwar so lange, dass mir der Allerwerteste schon schmerzt, vor einem Problem, das ich als Grundproblem bei der Betrachtung von Filmen erachte, die durch internationale Kritikerlorbeeren niemals auch nur anders betrachtet werden wollen als vollendet. Für zehn Oscars nominiert, begleiten Der Brutalist Pressestimmen, die wie folgt klingen: „Ein monumentales Meisterwerk von nahezu unendlicher Schönheit“, schreibt Christoph Petersen von filmstarts. „Der zehnfach nominierte Oscarfavorit ist jene Art von Film, wie es ihn nur alle paar Jahre im Kino gibt“, schreibt Jakob Bierbaumer im österreichischen Medienmagazin TV Media. „Ein Film voller Leidenschaft, der in seiner Kühnheit vertraute Sehgewohnheiten sprengt“, schreibt Ralf Blau in der aktuellen Ausgabe von cinema. Blau umschreibt den Film aber bereits schon etwas differenzierter und räumt ein, ihn sowohl minimalistisch als auch monumental zu erachten.

Bei solchen Lorbeeren wappnet man sich natürlich im Vorfeld, demnächst einem Kinoereignis beizuwohnen, das einem die Sprache verschlagen wird. Doch andererseits: Erreichen diese gezielt marketingtauglichen Lobhudeleien manchmal nicht genau das Gegenteil? Kann man denn glauben, was man liest? Macht dieser Review-Aktivismus Kinogeherinnen und Kinogeher, die diese Kunstform regelmäßig genießen und schon viel gesehen haben, nicht eigentlich skeptischer? Letzten Endes wäre Skepsis bei Sichtung eines minimalistischen Monumentalfilms wie Der Brutalist durchaus angebracht gewesen. Vielleicht, um nicht enttäuscht zu werden, wenn man im Vorhinein erwartet, künstlerisch und qualitativ, und das im positiven Sinn, geplättet zu werden. Filme wie Der Brutalist manipulieren und dekonstruieren die Erwartungshaltungen – die gibt es gerade hier in unterschiedlichsten Formen und Varianten. Letzten Endes ist Brady Corbets über einen langen Zeitraum erdachte und entwickelte Pseudo-Biographie genauso wie einer dieser brutalistischen Gebäude-Klötze, die der fiktive Flüchtling László Tóth bereits errichtet hat und errichtet haben wird: reduktionistisch, avantgardistisch, kühl und unnahbar. Tóth wird in Der Brutalist, der sich sonst allerdings vor historisch korrektem Hintergrund bewegt, in einer alternativen Realität zu einem weltweit angesehenen Zampano in Sachen Architektur. Das war er schon vor dem Krieg, und wird es wieder nach dem Krieg sein. Nur wo und wie, wird Corbet in diesem Film auf einer Länge von über dreieinhalb Stunden beantworten wollen. Ist diese Länge für diese Erzählung denn gerechtfertigt? Nein.

Während das letzte Dreistunden-Epos, nämlich Der Graf von Monte Christo, trotz seiner Laufzeit fast schon nicht mehr wusste, wohin mit seiner Handlung, erhält Brady Corbet, der bereits Natalie Portman in Vox Lux als schwer fassbare Operrolle inszenierte, für sein Werk genug Raum, um sich auszudehnen und seine psychosoziale Nachkriegsstudie aufzublasen. Das tut er auch, er kleckert dabei nicht, sondern klotzt im wahrsten Sinne des Wortes. Der Baugrund ist enorm, man blickt in alle Richtungen bis zum Horizont und noch weiter. Im Zentrum dieser Fläche soll das Einzelschicksal eines jüdischen Architektur-Genies errichtet werden, dass fast schon verloren wirkt und die Traumata des Konzentrationslagers, des Weltkriegs und der Flucht in sich trägt. Es werden diesem László Tóth ganz andere Betonblöcke in den Weg gelegt werden, nämlich jene des Neuanfangs, der Integration und der Selbstbehauptung. Was man dabei nicht vergessen darf: Es gibt auch noch Ehefrau Erzsébet und die rätselhafte, weil anfangs mutistische Nichte Zsófia, die Schwierigkeiten haben, auszureisen. Auf die beiden muss László jahrelang warten, währenddessen aber belohnt ihn das Schicksal in Gestalt eines wohlhabenden Unternehmers namens Harrison Lee van Buren, der seine Zeit braucht, um zu begreifen, welchen Nutzen der Jude für ihn haben kann – und diesen als Haus- und Hofarchitekt für ein Mega-Projekt nahe Philadelphia engagiert.

Der Brutalismus selbst mag ein Architekturstil sein, der ab 1950 mit mehreren Ausrufezeichen hintendran darum bemüht war, im Stechschritt Richtung Moderne alles Gestrige hinter sich zu lassen. Dieses Gestrige war schließlich hässlich genug, also auf zu neuen Ufern. Ob es ein Stil war, der breitenwirksam Gefallen gefunden hat? Wohl eher weniger. Dafür aber hat diese Andersartigkeit mit Sicherheit fasziniert, kann man bei solchen Konstrukten – ähnlich wie bei Unfällen – einfach nicht mehr wegsehen. Dieses Gestrige hat die von Adrien Brody meisterhaft gespielte Figur schon in Europa versucht, hinter sich zu lassen, jetzt schleppt er die Innovation im Doppelpack mit einem zerrütteten Altleben in die neue Welt – in eine Gesellschaft, die längst nicht mehr das Land unbegrenzter Möglichkeiten verkörpert und jüdische Immigranten wie diesen da maximal duldet, sofern sie von Nutzen sind. Dieses toxische Kräftemessen zwischen Neuanfang und etabliertem Establishment rückt Corbet in den Mittelpunkt, braucht dafür Platz und den künstlerischen Willen, sowohl das epische Erzählkino eines Sergio Leone (Es war einmal in Amerika) oder Bernardo Bertolucci (1900 – Gewalt, Macht, Leidenschaft) stilistisch aufzugreifen als auch mit den Methoden weitestgehend unabhängiger Autorenfilmer bewährte Erzählstrukturen aufzubrechen.

Beide Ansätze stehen sich im Weg. Monumental an Der Brutalist bleibt lediglich die Laufzeit, der Konflikt zwischen Brody und Guy Pearce, der meines Erachtens nach seiner diabolischen Rolle des übersättigten Machtmenschen nur schwer das nötige Charisma entlockt, ist so bruchstückhaft wie alle anderen szenischen Teile des Films. Anfangs gelingt Corbet noch ein dramaturgischer Aufbau, er bringt die Situation ins Rollen, die Thematik rund um Cousin Attila (Alessandro Nivola) gestaltet sich vielversprechend und deutlich interessanter, doch Nivola verschwindet von der Bildfläche viel zu früh, während Felicity Jones viel zu spät auf der Bildfläche erscheint – auch sie stets bemüht, ihrer Rolle Würde, Verletzlichkeit und Inbrunst zu verleihen. Das Timing des Erscheinens und Abtretens so manchen Charakters lässt immer wieder eine Leere zurück, die Brody auffüllen muss, daher wirken viele Szenen wie Bauelemente auf einem Grundstück, die schon mal da sind, aber noch nicht verarbeitet werden können. Dazwischen wortlastige Dialoge ohne driftigem Mehrwert, sie treiben den Film in die satte Überlänge, ohne Notwendigkeit.

Selbst epische Filme so wie wir sie kennen haben eine gewisse dramaturgische Topographie, doch Der Brutalist lässt diese tiefen Täler und reizvollen Höhepunkte vermissen. Auch will er alles Mögliche in sein Werk hineinpacken, darunter nicht unwesentlich Lászlós Drogensucht. So gesehen wird Der Brutalist immer mehr zum Drogendrama und schwächelt dabei als Künstlerdrama mit Migrationshintergrund. Schon klar, das eine kann nicht ohne dem anderen, doch unterm Strich möchte Der Brutalist sein Publikum nicht abholen, sondern will erarbeitet werden. Der Oscar-Favorit ist somit ein sperriges, klobiges Baustellenkino, unfertig und lückenhaft, ein hartes Stück Arbeit, kein einfaches Werk – und nein, das soll es auch gar nicht sein. Doch die Wahrscheinlichkeit, letztlich irgendwann nicht mehr an dieser „Oper im Dschungel“ mitkonstruieren zu wollen wie seinerzeit Fitzcarraldo, ist dementsprechend hoch. Dabei von „nahezu unendlicher Schönheit“ zu schwärmen – dafür fehlt mir die Sichtweise und auch die Vorstellungskraft. Der Brutalist ist manchesmal, und vorallem in der Wahl seines Scores, gewaltig und großformatig, lässt Adrien Brody vor Kraft nur so strotzen, gilt aber wahrlich nicht als schön, genauso wenig wie der Baustil selbst.

Der Brutalist (2024)

Die wundersame Welt des Louis Wain

KATZEN FÜRS VOLK

7/10


louiswain© 2022 Studiocanal GmbH / Jaap Buitendijk


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN 2021

BUCH / REGIE: WILL SHARPE

CAST: BENEDICT CUMBERBATCH, CLAIRE FOY, ANDREA RISEBOROUGH, TOBY JONES, SHARON ROONEY, AIMEE LOU WOOD, HAYLEY SQUIRES, STACY MARTIN, PHOEBE NICHOLLS, TAIKA WAITITI, NICK CAVE U. A. 

LÄNGE: 1 STD 51 MIN


Die Katzen tanzen ließ nicht erst Andrew Lloyd Webber mit seinem erfolgreichen Musical Cats. Da hat schon einer viele Dekaden früher seine Hausaufgaben gemacht, um den Stubentigern jenes Publikum zu gönnen, dass sie anscheinend verdient haben. Denn vor der Schaffenszeit von Louis Wain, einem britischen Zeichner des neunzehnten Jahrhunderts, waren die Samtpfoten allemal dazu da, die hauseigenen Gehöfte vor mäuseartigen Umtrieben zu bewahren.

Damals hieß es: Katzen! Wieso soll man Katzen als Haustiere halten? Hunde: ja. Hunde gingen und gehen immer. Aber Katzen? Die zeigen ja nicht mal im Geringsten Anflüge von devoter Treue. Sie tun das, was sie wollen und gucken halt süß, mit ihren großen runden Augen und den kleinen rosa Näschen, und je jünger sie sind, desto niedlicher scheinen sie. Heutzutage sind Katzenfotos und -videos die ungeschriebene Essenz des Social Media – ihr Tortenboden, wenn man so will. Katzen entstressen, befrieden und bringen soziale Differenzen auf den gleichen Nenner. Einfach, weil man sie zuhause hat und ihnen dabei zusieht, wie sie sich selbst genügen und auf erbarmungswürdige Art ihre Futtergeber um den Finger wickeln. Wie gesagt: Louis Wain hat das überhaupt erst initiiert. Durch ihn wird die Katze zur schrägen, vermenschlichten Figur, als Karikatur oder Comicstrip. Ob gestiefelt oder das Wollknäuel herumstoßend. Plötzlich wollten alle Katzen haben, Katzen sehen und Katzen – moiiii! – einfach niedlich finden.

Wer dieser Louis Wain eigentlich war, und warum er sich dazu hinreißen ließ, die kulleräugige Mimik der kleinen, miauenden Vierbeiner salonfähig zu machen, das zeigt nun im Kino eine Biographie, die viel probiert, Dinge auf unterschiedliche Weise sehen will und einen Benedict Cumberbatch in den Mittelpunkt stellt, der in seiner Eigentümlichkeit und Verschrobenheit Typen wie Newt Scamander aus dem Harry Potter-Universum als biedere Gesellen erscheinen lässt. Doch manchmal ist bei Cumberbatch Vorsicht geboten – er tendiert dazu, das Verhalten seiner Figuren vor allem dann zu überzeichnen, wenn dies längst nicht mehr notwendig scheint. Abgesehen davon weiß er jedoch ganz gut, ohne Marvel-Franchise zurechtzukommen. Charaktere gibt’s für ihn genug, das kann alles sein. Eben auch eine so traurige, verschrobene Gestalt wie Louis Wain, dem aufgrund all der Katzen und den dadurch erzeugten Glückshormonen eigentlich die Sonne aus dem Allerwertesten scheinen sollte. Tut es aber nicht. Schon allein deswegen, weil dieser – so wie fast jede Künstlerin oder Künstler in ihren oder seinen Biografien – mit der Liebe so sein Unglück hat. Bei Wain wars das Ableben seiner großen Liebe, die ihn aus dem Konzept geworfen und jene Veranlagung offenbaren wird, die in der Familie liegt: Schizophrenie.

So ein Leben zu bebildern, scheint ein Fass ohne Boden an Stilmitteln, Farbkästen und experimentierfreudigen Huldigungen an eine mannigfaltige Kunststil-Ära zwischen Bürgerlichem Realismus, Impressionismus und der frechen Form eines britischen Biedermeiers des viktorianischen Zeitalters. Regisseur Will Sharpe wechselt in seiner Bildsprache zwischen kitschigen Gemälden, Kaleidoskop und Guckloch. Überraschenderweise erinnern seine Settings an die enorme Detailverliebtheit eines Wes Anderson, was auch noch durch das 4:3 Bildformat unterstrichen wird. Sharpe gelingt ähnliches, nur bei Anderson sind diese Tableaus statisch, während Louis Wain sich darin weniger formelhaft zu bewegen weiß. In Die wundersame Welt des Louis Wain irrt ein zutiefst trauriger Don Quichote durch einen pittoresken Katzen- und Bilderwahn, durch Alptraumvisionen und enge, dunkel vertäfelte Zimmer, die den Zeichner von jenem Horizont abhalten, den dieser vielleicht gerne gesehen hätte. In diesem filmischen Kokon bleibt der Künstler, dessen Tierportraits später immer abstrakter werden, unentwirrbar hängen. Ihm zuzusehen, wie er die Chance verspielt, mit seinem künstlerischen Erfolg ein existenzielles Fundament zu setzen, entlockt Mitgefühl. Aber auch jede Menge Verständnis für flirrende Geister wie diesem, der in einer akkuraten Weltordnung nur Chaos erkennt.

Die wundersame Welt des Louis Wain

Vox Lux

DAS TRAUMA EINES POPSTARS

5,5/10


voxlux© 2019 Kinostar


LAND / JAHR: USA 2018

BUCH / REGIE: BRADY CORBET

CAST: NATALIE PORTMAN, JUDE LAW, RAFFEY CASSIDY, STACY MARTIN, JENNIFER EHLE, MARIA DIZZIA U. A. 

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Warum genau wollen das manche – ein Star werden? Ist es wirklich nur Ruhm und Reichtum? Diese Stars – sie können sich alles kaufen, alles leisten und haben Einfluss. Einfach sie selbst sein können sie nicht. Ausruhen können sie nicht. Unerkannt bleiben können sie nicht. Auf allen Kirtagen müssen sie sein, um die Erfolgssuppe am Köcheln zu halten, sonst ist der Stern ganz schnell ein sinkender. Aber vielleicht ist dieser Prozess letzten Endes das Beste, was passieren kann. Bleibt nur, es zuzulassen.

Zu solchen Gedanken gelangt man – muss man ganz einfach gelangen, wenn am Screen Natalie Portman als unausstehlicher, weil seelisch zerrütteter Popstar Celeste so gut wie alles Offensichtliche im Leben erreicht zu haben scheint – nur nicht das, worauf es ankommt.

Dabei nimmt das Leben dieser fiktiven Persönlichkeit, die um die Jahrtausendwende den Pophimmel erobern wird wie im tatsächlichen Leben Lady Gaga oder ihresgleichen, in ihren Teenagerjahren eine erschreckende Wendung. Celeste wird Opfer eines schulischen Amoklaufs, kommt mit dem Leben davon. Zwei Narben verunstalten Hals- und Bauchbereich, seitdem erschweren Kreuzschmerzen den Alltag. Bei einer Gedenkfeier für die Opfer des Anschlags fängt Celeste zu singen an – und wird über Nacht zur Ikone. Ihre Stimme findet bald den richtigen Agenten (Jude Law), der das Mädchen vom Aufnahmestudio bis zur Bühne überallhin begleitet. Und ja: dieses scheinbar von allen psychischen Schmerzen unberührte Individuum schafft es, ganz groß rauszukommen. Nur: sagenhafte Popularität hat ihren Preis. Das ist fast so wie ein Pakt mit dem Leibhaftigen, der die materielle Welt zu Füßen legt, während die wahren Werte ihm ganz alleine gehören.

Kurz mal nachgedacht: es gibt kaum einen Film über Stars ohne Schattenseiten. In den meisten Fällen dominieren sie die Biographie. Auch in A Star is Born hat zwar Lady Gaga das große Los gezogen, Bradley Cooper allerdings gibt sich nach zahlreichen Besäufnissen den Strick. Es scheint, als wäre das Star-Dasein ein Fluch aus Versuchung und dem Rausch des Mittelpunkts. Kann sein, dass Brady Corbet sein Glamour-Drama als kritische Antithese auf den in allen Farben schillernden Traum vom Showbusiness sieht. Hier ist gar nichts schillernd und schmuck, nicht mal die ausladende Stage-Sequenz von Celeste im Glitter-Look, in welcher sekündlich merkbar scheint, wie mühsam diese Performance sein muss. Wie sehr sich dieser ohnehin schon durch alle Öffentlichkeit hindurchverwurstete Mensch sich wegdenkt, während der Automatismus das eingelernte Programm abspult. In Vox Lux ist der Erfolg ungefähr so elektrisierend wie ein Suchtgiftentzug. Vox Lux ist schwerfällig und larmoyant, ein bisschen überkünstelt und von ermüdender Exaltiertheit, die schon beim Zusehen das Verlangen nach einer eigenen Auszeit weckt. Dieses öffentliche Leben fühlt sich verklebt und verdreckt an – unterm Strich falsch. Da setzt Natalie Portman in ihrer heillos überzogenen Darstellung des kurz vor dem Nervenzusammenbruch stehenden Superstars dem vermurksten Leben noch die Krone auf, in dem sie im klappernden Stelzschritt und aufgebrezelt bis zum Barock-Theater ihre Authentizität verscherbelt.

Befriedigung kommt bei diesem Drama, welches wie eine Oper in mehrere Akte unterteilt ist und hörspielmärchengleich von einem Erzähler aus dem Off begleitet wird, keine auf. Der fahle Nachgeschmack eines nie aufgearbeiteten (amerikanischen) Terror-Traumas und einer latenten Unversöhnlichkeit dem Leben gegenüber sediert jede Szene. So ist das, wenn der Teufel einen Deal macht.

Vox Lux

Archive

ICH BAU‘ MIR MEINE FRAU ZURÜCK

4/10


archive© 2020 capelight pictures


LAND: GROSSBRITANNIEN, UNGARN, USA 2020

REGIE: GAVIN ROTHERY

CAST: THEO JAMES, STACY MARTIN, RHONA MITRA, TOBY JONES, PETER FERDINANDO U. A. 

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Okay, der Titel zu diesem Artikel klingt ja fast so, als hätten wir es hier mit einer Variation des Mythos von Doktor Frankenstein zu tun. Jein, dem ist nicht ganz so. Hier werden keine Leichen exhumiert und Körperteile aus der Anatomie entwendet. Hier baut sich ein Wissenschaftler tatsächlich seine Frau zurück. Wie das geht?

Wir schreiben das Jahr 2038. Der Tod ist für den Menschen nicht mehr das Ende aller Dinge. Es ist nun also möglich, sein Gedächtnis für eine geraume Zeit archivieren zu lassen – daher auch der Titel des Films. Irgendwann aber schließt sich auch dieses Zeitfenster und das Jenseits ruft. Bis dahin aber kann man als Verstorbener noch Dinge regeln, für die zu Lebzeiten keine Zeit mehr war. Abschiede fallen vielleicht leichter, der Übergang ins Ungewisse ist wie das Verklingen eines Orchesters. Robotiker George Almore (Theo James) hat allerdings das gewisse Know-How – zumindest denkt er das – um das noch vorhandene Bewusstsein seiner verstorbenen Frau in einen Androiden zu speisen. Und für die Ewigkeit zu konservieren.

Die Story vom High-Tech-Pygmalion erinnert ein bisschen an den Science-Fictioner Transcendence mit Johnny Depp, der, ebenfalls bereits Anfang des Films verblichen, seinen Geist in eine Maschine speist. Die Idee ist ganz originell variiert. Auch das Set-Design des Films von Gavin Rothery besticht durch klassische, bunkerähnliche Gangschluchten wie jene filmbekannter Raumschiffe und eine formschöne Setzkasten-Roboterfrau. Das Makeup kann sich sehen lassen. Die anderen Blechkameraden, die hier durch die Anlage watscheln, sind in Sachen Mimik etwas eingeschränkter, aber auch sie haben Gefühle. In diese tragische Liebesgeschichte zwischen Kabeln und Transformator fingern allerdings relativ zusammenhanglose halbgare Storylines aus dem dystopischen Umfeld mit hinein, die hochtrabend sein wollen, aber die mit onhaltlicher Relevanz eher geizen als den Plot voranzutreiben. Und dann – ja, dann weiß Rotherys Script nicht weiter. Was macht er? Er lässt sich von Filmemachern inspirieren, die das Geheimniss rund um punktgenau gesetzte Storytwists wirklich beherrschen – und knallt auch hier, bei seiner melancholischen Robotermär, die das Zeug hätte zum philosophischen Diskurs über Persönlichkeit und Künstlichkeit, eine zu sehr gewollte Kehrtwende ans Ende, die den ganzen vorangegangenen, betulich errichteten Storykomplex zum Einsturz bringt. Ein Film also nicht zur Gänze für den Elektroschrott, denn auch hier ließen sich noch einige Elemente recyceln. Es ließe sich vielleicht auch nochmal darüber nachdenken, wie die ganze Geschichte denn noch hätte enden können. Denn so wenig plausibel, wie sich Archive schließlich präsentiert, muss Science-Fiction mit Köpfchen wirklich nicht sein.

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