Honey Bunch (2025)

GASLIGHT STATT CANDLELIGHT

7,5/10


© XYZ Films


LAND / JAHR: KANADA 2025

REGIE / DREHBUCH: MADELEINE SIMS-FEWER, DUSTY MANCINELLI

KAMERA: ADAM CROSBY

CAST: GRACE GLOWICKI, BEN PETRIE, KATE DICKIE, JIMI SHLAG, JASON ISAACS, INDIA BROWN U. A.

LÄNGE: 1 STD 53 MIN


Der Autounfall muss so schwer gewesen sein, dass Diana jede Erinnerung daran verloren hat. Und nicht nur das: Auch all die Erinnerungen an eine Zeit der romantischen Zweisamkeit mit Ehegatten Homer, der aus tiefster Verzweiflung seine ziemlich lädierte bessere Hälfte in eine Spezialklinik verfrachtet, deren Ärzte Koryphäen auf dem Gebiet sind, Unfall-Amnesien wie diese wieder zu kurieren. Dass die Physis nebenbei bemerkt dabei auch noch ihre Rehabilitation vollständig erlangt, eine gern gegebene Garantie. Was Kennern der Geschichten von Edgar Allan Poe, Lovecraft oder Dennis Lehane wohl sofort in den Sinn kommen würde bei Erstbetrachtung der Einrichtung: Hier geht ganz sicher nichts mit rechten Dingen zu. Kann gar nicht sein, darf gar nicht sein. Die süßelnde Oberschwester (Kate Dickie) oder was immer die Dame auch verkörpern soll, die Diana und Homer freundlich empfängt, wiegt die beiden In Sicherheit und Zuversicht, auch wenn die Methoden zur Heilung so aussehen, als wären sie noch in der Testphase. Erklärend müsste ich vielleicht noch erwähnen, dass diese ganzen Geschehnisse zu einer Zeit spielen, in der man von smarter Elektronik noch nicht mal geträumt hat.

Alles in Ordnung, Honey

Es sind die Siebziger, und jedes Bild und jede Szene fängt den Stil von damals ein, inklusive des visualisierten Muffs, den Retro-Nostalgie nun mal von sich gibt. Roman Polanski hätte dieses Drehbuch mit Freude wohl verfilmen mögen, doch der gab sich damals wohl lieber, erfahrbar in Der Mieter oder Ekel, den Psychosen hin. Das Regieduo Madeleine Sims-Fewer und Dusty Mancinelli – für mich eine gänzlich neue Bekanntschaft  – drückt das Gemüt aber längst nicht so weit in den destruktiven Schlamm wie der polnische Starregisseur. Das alleine sagt schon der Titel Honey Bunch, denn das liebliche Honigtöpfchen muss, wie es scheint, für den scheinbar fürsorglichen Homer das Zentrum seiner Welt sein. Natürlich fragt man sich: Ist dem wirklich so? Zweifel kommen auf, als Diana albtraumhafte Visionen hat, die sie an etwas erinnern, was scheinbar nie stattgefunden hat. Und warum, so fragt sie sich, geistert immer wieder die längst verstorbene Gründerin der Klinik durch den Garten, als wäre das Paranormale in diesen alten Gemäuern längst nicht nur die Folge von Dianas geistigem Zustand.

Albtraum mit Situationskomik

Vieles ist in Honey Bunch nicht so, wie es scheint. Dieser gespenstische Umstand erinnert an Scorseses Shutter Island, nur längst nicht in dieser verwinkelten, regennassen Ernsthaftigkeit. Romantik bleibt in diesem Spiel aus Rätseln, Vermutungen und Heimsuchungen stets großgeschrieben, Grace Glowicki und Ben Petrie haben einen Zustand zueinander, der ist schon mal die halbe Miete für eine Geschichte, die mit viel Herz, Verstand und vorallem naiver Neugier umgesetzt wurde. Gerade dieses Naive, dieses verschmitzte Lust am resolut eingeforderten Abenteuer, die Diana bald überwältigt, führt schließlich zu einem ersten großen Twist, den man ohnehin schon einige Zeit vorher erahnen kannt. Als es dann soweit ist, und die Karten neu gemischt werden, die Wahrnehmung am Kopf steht, und zwar so, ohne dass einem dabei schwindelig wird, weicht der Suspense einem turbulenten, durchaus auch freakigen Thriller, der wissenschaftliche Dystopien in eine durchwegs schrullige Komödie packt, die, anstatt Kraft und Energie zu verspielen, in der narrativen Zielgeraden so viel Spaß am Tun entwickelt, dass er wohl sich selbst genügen würde, ganz ohne  Publikum. Ein Faktor ist das, der Filme so richtig selbstbewusst macht. Und das gelingt auch Sims-Fewer und Mancinelli.

Schön aber, dass man trotzdem dabei sein kann. Und schön, zu sehen, wie beide das höchste Gut einer harmonischen Zweisamkeit mit süffisanter Ironie unterspicken und daraus eine Vision zaubern, die sich herrlich verpeilt und verschroben gibt, wie eine Independent-Perle eben sein muss, deren Glanz bis zur letzten Szene eine ganze Palette von Gefühlen widerspiegelt, mit zwischendurch Chancen auf ein Happy End. In der Liebe ist schließlich alles möglich. Vorallem im Film.

Honey Bunch (2025)

Der Salzpfad (2024)

MY HOME IS WHERE MY HEART IS

7/10


© 2025 Panda Lichtspiele Filmverleih

ORIGINALTITEL: THE SALT PATH

LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH 2024

REGIE: MARIANNE ELLIOTT

DREHBUCH: REBECCA LENKIEWICZ

KAMERA: HÉLÈNE LOUVART

CAST: GILLIAN ANDERSON, JASON ISAACS, JAMES LANCE, HERMIONE NORRIS, REBECCA INESON, MARIANNE ELLIOTT, MEGAN PLACITO U. A.

LÄNGE: 1 STD 55 MIN


Der reinste Horror muss das sein, plötzlich nichts mehr zu haben. Zu scheitern, wo es nur geht, und das mit den eigenen Händen und unter Schweiss, Blut und Tränen aufgebaute Eigenheim verpfändet zu sehen. Alles ist hin, alles verloren. Robert Redford, der in All is Lost mit seiner Weltumseglung dem Herrgott näher kommt als ihm lieb ist, scheint am Ende in die Ursuppe zurückkehren zu müssen – dorthin, wo wir alle im Laufe der Evolution hergekommen sind. Die Natur mag gnadenlos sein, das System uns alles verwehren, der dumme Zufall Chancen verpuffen lassen, die in schmalen Zeitfenstern zur Verfügung stehen und die man im entscheidenden Moment nicht greifen kann. Scheitern mag manchmal gleichkommen mit dem Verlust des Lebens. Doch schließlich atmet man noch, man steht aufrecht und hat den Horizont vor sich. So wie Raynor und Moth Winn. Dabei ist der Familienname Zynismus pur in diesem Moment.

The winner takes it all, the loser’s standing small

So viel Würde bleibt noch, damit die beiden das Bisschen, was sie noch haben, in einen Rucksack packen und losziehen, immer die Küste entlang, dem sogenannten Salzpfad folgend – einem rund tausend Kilometer langen Fernweg durch ein malerisches Südwestengland, am Geburtsort von King Arthur vorbei, über Klippen und über vom Wind geformte Ebenen bis hin nach Land’s End, dem äußersten südwestlichsten Punkt der britischen Insel. Und schließlich stellt sich jene Weisheit heraus, die wir ohnehin schon kennen:  Nach vorne schauen und losgehen ist die beste Methode, nicht nur um Tragödien hinter sich zu lassen, sondern um eine neue Sicht auf die Dinge zu bekommen, die sich schon weit Ewigkeiten nur aus einem Betrachtungswinkel präsentieren. Diese Perspektive muss erarbeitet werden, und das passiert beim Gehen. Auch wenn Moth Winn überdies noch mit einer unheilbaren Nervenkrankheit klarkommen muss, die ihm völlige körperliche Dysfunktionalität prophezeit. Dieser Mann aber, Raynors Fels in der Brandung und Lebensmensch, hält nichts vom Stillstand, auch wenn das eine Bein nicht mehr so will und das Schlucken manchmal schwerfällt. Im individuellen Tempo also wandern sie durch eine Welt, die gar nicht will, dass sie so aussieht, als wäre sie in einem Reiseführer zu finden. Wir wissen nie genau, wo sich die beiden aufhalten, schließlich ist es nicht relevant. Die Natur, die ihnen begegnet, ist universell, ist gnadenlos und barmherzig gleichzeitig. Das Meer als steter Horizont in eine Weite, als würde man in die Zukunft blicken, mag ein Lehrmeister sein, während die Gehenden auf sich selbst zurückgeworfen werden. Letztlich muss die Erkenntnis, worauf es wirklich ankommt, die vom Schicksal gebeutelten flexibel genug halten, um die Parameter neu zu setzen.

Es ist bewegend und inspirierend zugleich, Gillian Anderson und Jason Isaacs, die beide im Genre des Phantastischen berühmt geworden sind, dabei zuzusehen, wie sie sich verlieren, erden und wiederfinden. Der Salzpfad, inszeniert von Marianne Elliott, mag dabei niemals die Ambition besitzen, zumindest filmisch von vielbewanderten Pfaden abzuweichen. Als klassisches, fast schon konservatives Walk-Movie, ähnlich den Wanderfilmen, die Richtung Santiago de Compostela führen, bietet die wenig innovative Form des Erzählens aber kleine schauspielerische Sternstunden und zeichnet neben Gras, Fels, Wind und Regen eine authentische Gefühlslandschaft, die als Metaebene noch fühl- und erfahrbarer wird als das Physische. Der Salzpfad entwickelt sich zu einem wohltuenden Erlebnis speziell für Paare, die gemeinsam schon eine ganz gute Strecke Koexistenz hinter sich gebracht haben. Was man aus dem Kinosaal mitnehmen kann, sind neben Erkenntnissen, die man vergessen hat, und Emotionen, die man wieder fühlen sollte, vor allem die Tatsache, dass es für nichts zu spät ist. Ein schöner Gedanke, vielleicht zu naiv?

Familie Winn kämpft gegenwärtig wohl kaum mehr mit Existenzproblemen, es ist kaum zu glauben, wie sehr das Leben neu gewürfelt werden kann. Laut Raynor Winn ist das Ganze eine wahre Geschichte. Zumindest den Weg haben beide zurückgelegt. Griffig wird der Stoff aber erst durch das Warum. Wie wahr das ist, mag Gegenstand für Kritik gewesen sein – und beeinflusst nicht unwesentlich den Glauben daran, das Leben auf Reset drücken zu können.

Der Salzpfad (2024)

Mrs. Harris und ein Kleid von Dior

KLEINE LEUTE KOMMEN IN MODE

7/10


MrsHarrisundDior© 2021 Ada Films Ltd – Harris Squared Kft


LAND / JAHR: FRANKREICH, GROSSBRITANNIEN, UNGARN 2022

REGIE: ANTHONY FABIAN

CAST: LESLEY MANVILLE, ISABELLE HUPPERT, LAMBERT WILSON, ALBA BAPTISTA, LUCAS BRAVO, ROSE WILLIAMS, JASON ISAACS, ELLEN THOMAS U. A. 

LÄNGE: 1 STD 56 MIN


Das Kino tischt uns Märchen auf. Und ja, das soll es. Der Pflicht, uns über alle möglichen offenen Wunden zu informieren, die wir bereits hinterlassen haben oder gerade hinterlassen, kommt das Medium Film ohnehin mehr nach als uns lieb ist. Um Probleme zu wälzen braucht man kein Kino, Unglück gibt’s so nämlich auch genug. Warum nicht wieder das Glück suchen wie damals, während des Krieges oder in der Nachkriegszeit, noch vor dem Wirtschaftswunder, wo noch niemand satt wurde und die alliierten Mächte Europa derweil noch besetzt hielten? Da war das Kino noch ein wunderbarer Ort des Eskapismus. Dank Inflation, Klimawandel, Menschenrechte und Krieg ist es wieder an der Zeit, die heile Welt auf den Plan zu rufen – die aber, wenn man genauer hinsieht, gar nicht so heil daherkommt. Es ist nur eine, die hinbekommt, woran wir verzweifeln. Wo alles gut wird, während wir in manchen Dingen noch kein Licht am Horizont ausmachen können.

Die Hoffnung stirbt womöglich zuletzt im dunklen Kinosaal. Oder auch nie. Vielleicht muss man nur seinen Wünschen nachhängen, seinen Idealen und noch so absurden Träumen. Ja, ich weiß, es klingt kitschig, aber die kleine, aufgeweckte und stets höfliche Mrs. Harris, die hält solche Binsenweisheiten für einen löblichen Versuch, einen Schritt dorthin zu tun, wo noch nie ein Normalsterblicher mit dem Gehalt einer Putzfrau hingekommen ist: In die Welt des Establishments. Genauer gesagt: In die Welt von Christian Dior.

Mrs. Harris goes to Paris – der charmante Reim geht in der deutschen Übersetzung leider verloren – beruht auf dem Roman des Schriftstellers Paul Gallico und wurde bereits zweimal verfilmt. Allerdings in Dekaden des 20. Jahrhunderts, in welchen ich diesen Stoff wohl nicht eingeordnet hätte, atmet der doch, wie eingangs erwähnt, die Luft der Zuversichtlichkeit neu gewonnener Freiheiten der 50er Jahre. Doch zumindest tritt in einer der beiden vorangegangenen Werke Angela Lansbury auf, in der anderen Inge Meysel. Diese Version hier, mit Leslie Manville als wirklich bezaubernde ältere Dame mit ganz viel Power im Herzen, beglückt womöglich auch ein zynisches und weltkritisches Publikum, zumindest wird diesem vielleicht etwas wohliger in seinen gepolsterten Kinositzen, und der Verzicht auf die zwei, drei Ballkleider, den unsere niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner zwecks Inflationsoffensive empfehlen würde, ließe sich vielleicht nochmal überdenken. Ein solches Kleid könnte Frau ja besitzen, einfach, um sich dabei besser zu fühlen. Und die soziale Untersicht, der man zwar dankbar ist, die man jedoch nicht wirklich wertschätzt, könnte ein bisschen am Luxus schnuppern.

So fliegt Mrs. Harris das Glück in Form von wundersamen Finanzspritzen regelrecht in die Geldbörse. Eine satte Fußballwette und die Witwenrente des im Krieg verstorbenen Mannes machen es möglich, dass die resolute Dame plötzlich bei einer Fashion Show in den heiligen Hallen der Pariser Dior-Nähstätte reinschneit. So jemand ohne Klasse wird von oben herab beäugt, und selbst Isabelle Huppert als Diors rechte Hand weiß nichts mit der selbstbewussten Putzfrau anzufangen. Doch der Himmel ist ihr auch hier gewogen – und das Kleid ihrer Träume rückt näher, während draußen auf den Straßen die Müllabfuhr streikt und die Wirtschaft den Bach runtergeht.

Diesen dezent kritischen Seitenhieb auf den gegenwärtigen Zustand von Haben und Nichthaben leistet sich dieses auf noble Art konservative Märchen trotz all den Sternen, die man Lesley Manville vom Himmel holt. Selbst in einem Film wie diesen ist nicht alles eitel Wonne, und oft passiert es und das eigene Glück ist in Wahrheit das eines anderen. Wie Manville also von der unterschätzten Haushaltskraft zum funkelnden Stern aufblüht, ist fast ein bisschen My Fair Lady, fast ein bisschen Aschenputtel. Prinzen gibt es aber nur für andere, wie zum Beispiel für die sagenhaft schöne Alba Baptista (Warrior Nun), denn alles kann Mrs. Harris auch nicht haben. Die Genügsamkeit im Träumen selbst ist schon mal ein guter Anfang, um von der Welt nicht allzu sehr enttäuscht zu werden, wenn manches nicht klappt. Dass Mrs. Harris und ein Kleid von Dior lediglich den Klassenkampf zu einem guten Ende bringen will, ist Grund genug, der so entrückten wie naiven Schicksalskomödie als neuen Trend im Kino eine Chance zu geben. Ein guter Mensch soll ja auch was davon haben, gut zu sein, oder nicht?

Mrs. Harris und ein Kleid von Dior

Die Täuschung

HITLER HINTER’S LICHT GEFÜHRT

5/10


duetaeuschung© 2022 APPLE. All rights reserved.


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN, USA 2021

REGIE: JOHN MADDEN

CAST: COLIN FIRTH, KELLY MACDONALD, MATTHEW MACFADYEN, JOHNNY FLYNN, PENELOPE WILTON, JASON ISAACS, HATTIE MORAHAN U. A. 

LÄNGE: 2 STD 8 MIN


Mincemeat ist ein kulinarischer und zugleich wilder Mix aus allen möglichen Zutaten – darunter Trockenfrüchte, Weinbrand und Gewürze, natürlich auch Rindfleisch und Fett aus Innereien. Klingt ein bisschen wie Fleischlaibchen (Frikadellen), ist es aber nicht. Was Mincemeat sonst noch ist? Ein Codewort. Und zwar für ein Täuschungsmanöver der Alliierten, die während des Zweiten Weltkriegs, genauer gesagt im Jahre 1943, den Nazi-Aggressoren weismachen wollten, die britische Invasion stünde kurz davor, an der Küste Spaniens loszubrechen. Natürlich war dem nicht so, die Briten planten natürlich, über Sizilien anzurücken, doch Hitler und seine Schergen sollten davon nichts wissen. Neben dem eigentlichen Krieg mit Waffen, Panzer und Millionen Gefallenen gab es da noch den Krieg der Geheimdienste, bei welchem an beiden Fronten niemand geschlafen hat – ganz im Gegenteil. Operation Mincemeat war im Rahmen dieses Konflikts ein waghalsiges Unterfangen mit hoher Risikobereitschaft, die sehr schnell sehr leicht hätte enttarnt werden können. Manchmal, so wie in diesem Fall, drängt sich die Vermutung auf, höhere Mächte wären schlussendlich am Niedergang des Deutschen Reiches beteiligt gewesen. Insbesondere, wenn derartige Manöver wie im Geschichtsdrama von John Madden (Shakespeare in Love) wider Erwarten gelingen.

Um den deutschen Geheimdienst auf die falsche Fährte zu locken, bedarf es natürlich eines Köders. Und zwar eines Toten, der nochmal sterben sollte. Und zwar als Major William Martin, der, mit Fallschirm ausgestattet – so, als vermute man einen Flugzeugabsturz über dem Atlantik – an die Küste Frankreichs gespült wird. Mit wertvollen Informationen in der Tasche, die von der Anlandung der Briten in Spanien berichten. Streng vertraulich natürlich. Und die Nazis schlucken es.

Die Fälschung – oder, im Original, ganz einfach Operation Mincemeat ­­– verspricht dem Plot nach zu schließen ein spannender und authentischer Spionagethriller zu werden, der zumindest für Nicht-Briten eine Episode aus dem Krieg erzählt, die nicht ganz so geläufig ist. Auf die Idee zu kommen, mit einem recht simplen Bluff wie diesen ein ganzes Imperium täuschen zu können, zeugt einerseits von Verzweiflung, andererseits von geradezu todesmutigem Verhalten. Wenn kaum mehr etwas zu verlieren ist, greift man zum Banalsten, um vielleicht damit die Erwartungshaltung des Feindes zu unterwandern. Oder: Niemand sieht den Wald vor lauter Bäumen. Im Rahmen der Chronologie der Ereignisse, basierend auf dem Buch von Ben McIntyre, nimmt die Vorbereitung und Durchführung der Operation nur ungefähr ein Drittel des Filmes ein. Der Rest mag zwar den historischen Aufzeichnungen folgen, scheint aber so, als würde er viel zu weit ausholen, um noch für den Kern der Geschichte relevant zu sein. Wir sehen jede Menge Anzugträger und Offiziere, alle in Gespräche vertieft, welche den in wenigen Minuten erzählten Clou vorwegnehmen sollen. Kein Detail wird außer Acht gelassen, die Akquirierung des Toten unter der Einwilligung der Hinterbliebenen wieder eine Anekdote am Rande, die das kuriose Unterfangen besser illustrieren soll. Doch der Funke springt nicht über. Colin Firth ist so routiniert, da fehlt es an Esprit. Auch alle anderen Charaktere sind aufgrund ihrer Vielzahl nur Fußnoten in einem großen Ganzen, das die Aufmerksamkeit über Gebühr strapaziert.

Geschichte funktioniert, wenn man sie aus einem Blickwinkel betrachtet. Die Ambition, aus allen gleichzeitig das Abenteuer Spionage zu erfassen, sorgt für zwei knochentrockene Geschichtsstunden, die sich so anfühlen, als würde man die Schulbank drücken und dabei gerne auf die Pause dazwischen verzichtet, damit man vielleicht früher Schluss machen kann.

Die Täuschung

The Death of Stalin

DIE VOLLEN HOSEN DES DIKTATORS

6/10

 

deathofstalin© 2017 Concorde Filmverleih GmbH

 

LAND: GROSSBRITANNIEN, FRANKREICH 2017

REGIE: ARMANDO IANNUCI

MIT STEVE BUSCEMI, JEFFREY TAMBOR, OLGA KURYLENKO, MICHAEL PALIN, JASON ISAACS U. A.

 

Da geht er hin, der letzte König des europäischen Abendlandes. Der letzte gottgleiche Pharao jenseits der Wolga. Der Menschenschinder und Verschwindenlasser. Und das unantastbare, unkaputtbare Monstrum namens Josef Stalin hat sich sogar noch selbst ans Bein gepinkelt. So zumindest finden ihn seine pseudopolitikmachenden Kettenhunde in geheuchelter Verzweiflung, in taktisch kalkulierter leidender Mine vor dem Unausweichlichen – und längst Herbeigesehnten. Es sind alle da – der devote und völlig zerstreute Generalsekretär Georgi Malenkow, der menschenverachtende und tötungsbeauftragte Geheimdienstchef Lawrenti Beria, der aussieht wie das Alter Ego des Pinguins auf Lebertranentzug. Der Außenminister Molotow, der uns dank effektiver Benzinbomben ewig in Erinnerung bleiben wird (Michael Palin geht in dieser Rolle sang- und klanglos unter – Monty Python ist sichtlich zu lange her). Und natürlich nicht zu vergessen – Nikita Chruschtschow im Pyjama, mit der deutschen Synchronstimme eines Spongebob, nervös zappelnd, unterschätzt und getarnt mit einer gespielten Berechenbarkeit, die Abhängigkeit von all den anderen vermittelt. Wie sie da in Stalin´s Datscha stehen, jeder für sich in seinem Denkapparat verhaftet, im Versuch, den bestmöglichen Benefit in diesem neu entstandenen Machtvakuum herauszuholen, ist feinstes Ensemblekino im Genre der politischen Satire. Die Suicide Squad des Nachkriegsrusslands, der dreckige Haufen zwar nicht von Navarone, aber von Moskau. Bemerkenswert ist dabei der lange verschollene Independent-Schauspieler Steve Buscemi. Als unterschätzter, händeringender Hampelmann Chruschtschow mit Latex-Kartoffelnase muss man erstens zweimal hinsehen, um den ehemaligen Tarantino-Sidekick zu erkennen. Und zweitens ist alleine sein Auftreten, auch wenn er nur so am Set herumsteht, schon alleine eine Parodie für sich. Da hat er tatsächlich so etwas saukomisch Physiognomisches wie der österreichische Komiker Ernst Waldbrunn, der einfach nur durch sein Schauen die Lacher auf seiner Seite hatte. Jeffrey Tambour in seiner Weltverdruss-Mimik ist auch so ein Gesicht, dass die Karikatur aus dem Dornröschenschlaf holt. Karikatur – das ist wohl der richtige Begriff für Iannuci´s Personenkult-Abgesang The Death of Stalin.

Fast sind wir bei den süffisanten Eskapaden eines Charlie Chaplin angelangt, der wie kein anderer den Oberdiktator mitsamt seiner erschütternden Weltpolitik auf treffende Art und Weise der Lächerlichkeit preisgegeben hat. In diese Tradition rückt die Ironisierung einer Politik, die dem Grauen eines Nazi-Deutschland um nichts oder um nur sehr wenig nachgestanden hat. Humor mag man hier als falsche Medizin ahnden. Und dennoch ist die politische Karikatur ein notwendiges Übel oder eine üble Notwendigkeit, den Mächtigen die sprichwörtliche Cremetorte ins Gesicht zu klatschen wie einst Hilmar Kabas, um die Irrungen und Wirrungen gesellschaftlicher Paradigmen aus einer immer bedeutungsloseren, heilsamen Entfernung zu betrachten, die den erschütternden Ernst des Lebens verzerrt. Das gelingt Iannuci vor allem zu Beginn des Filmes, und überhaupt so ziemlich die erste dreiviertel Stunde. Bestes Regierungstheater mit gnadenlos bitterem Nachgeschmack, wenn Geheimdienstchef Beria in den Folterkellern seine Abschusslisten verteilt. Clownesk das Gebärden der Minister, wenn sie versuchen, Haltung zu bewahren. Dann aber verliert The Death of Stalin seinen boulevardesken Drive. Irgendwann haben wir nur noch Politkino der chronologischen Art, ohne Extras und wenig Wortwitz. Die Figuren hat man sattgesehen, die Satire schwindet dahin wie das Brennen im Brustbereich nach einem Glas Wodka. Auf anfänglichem Niveau zu bleiben ist bei solchen Filmen zugegebenermaßen schwierig. Wäre schön gewesen, wenn es Iannuci aber gelungen wäre. Dann hätten wir vielleicht einen neuen Großen Diktator gehabt. Oder zumindest Teil zwei davon – The Great Dictator-Aftermath. Mit nicht weniger Angriffsfläche auf jene, welche die Fäden in der Hand haben. Und deren Gutdünken wir alle letzten Endes ausgeliefert sind.

The Death of Stalin