After the Hunt (2025)

DIE QUADRATUR DES MEINUNGSKREISES

6,5/10


© 2025 Sony Pictures


LAND / JAHR: USA, ITALIEN 2025

REGIE: LUCA GUADAGNINO

DREHBUCH: NORA GARRETT

KAMERA: MALIK HASSAN SAYEED

CAST: JULIA ROBERTS, AYO EDEBIRI, ANDREW GARFIELD, MICHAEL STUHLBARG, CHLOË SEVIGNY, LÍO MEHIEL, DAVID LEIBER, THADDEA GRAHAM, WILL PRICE U. A.

LÄNGE: 2 STD 19 MIN


Alle sind sie sowas von klug. Studierend, studiert, auf der Höhe der Zeit und ihrer Bedürfnisse: Akademiker eben, und davon nehme man die intellektuellste und wortgewandteste Elite, und davon wieder die Liga des Ruhms. Angelangt sind wir dann bei einer wie Julia Roberts, einem wie Andrew Garfield und vielleicht auch noch einem wie Michael Stuhlbarg, der aber nicht den Philosophen, sondern den Psychologen gibt, den subversiv-süffisanten Attitüden eines weisen Klassik-Hörers ergeben, dem es nur um sich selbst geht. Die anderen sind da aber auch nicht besser, wenn nicht gar noch schlimmer, denn Stuhlbargs Figur ist immerhin die eines treuen, manchmal fürsorglichen Ehemanns, der wirklich liebt, nämlich Julia Roberts. Die scheint fast aus Gewohnheit eine jahrzehntelange Beziehung zu führen, neben ihrer eigentlichen als Universitätsprofessorin in Yale mit ihren Studentinnen und Studenten. Protegé von Roberts Figur der Alma Imhoff ist die scheinbar ehrgeizige Maggie Resnick (Ayo Edebiri), die für ihre Professorin mehr empfindet als man empfinden sollte. Störfaktor ist dabei Almas liebgewonnener Arbeitskollege Hank, gespielt von Andrew Garfield, ein eitler Geck von einem Professor, blitzgescheit, charmant, aufdringlich. Dieses Aufdringliche, Notgeile, das ihn umgibt, wird ihm zum Verhängnis, als er nach einer von Alma geschmissenen Houseparty für die Uni-Elite besagte Maggie nicht nur nachhause bringt, sondern, sturzbesoffen, gleich noch hochkommt in ihre Wohnung und dort, wie kann es anders sein, sexuell übergriffig wird.

Im Zweifel gegen den Angeklagten

Damit gerät ein Stein ins Rollen, der alles mitzureißen scheint – vor allem Almas Integrität, ihre Souveränität und Glaubwürdigkeit. Denn schließlich ergibt sich jene Pattsituation, in der, wie Schirach es in seinem Stück Er sagt. Sie sagt ausführlich umschreibt, eine wie immer auch geartete Wahrheit unmöglich ans Licht dringen kann, es sei denn, eine der beiden Wahrheiten (denn Hank betört seine Unschuld) kommt der sozialphilosophischen Bestrebung zugute, dem weißen Patriarchat ein für alle Mal den Teufel auszutreiben. Dass dabei persönliche, natürlich egoistische Interessen dabei nutznießen wie nicht blöd, mag eine willkommener Nebeneffekt sein.

Julia Roberts steht also zwischen den Fronten und weiß nicht wohin mit ihrer Meinung, geschweige denn ihrer bezogenen Stellung. Es beiden Parteien recht zu machen, geht nicht. Fragt sich nur: Auf welcher Seite lässt sich der eigene Erfolg denn am wenigsten trüben, steht doch eine der heißbegehrten Anstellungen ins Haus, die auch Hank bekommen könnte. Der jedoch ist diskreditiert bis auf alle Ewigkeit, das woke Meinungssystem zieht ungehindert seine vorverurteilenden Kreise.

Kluger Rede kurzer Sinn

Kreise, die man als Zuseher langsam aus den Augen verliert oder aber man kann ihnen nicht ganz folgen, wenn Luca Guadagnino sein Ensemble hochgradig philosophische Ansichten rezitieren lässt, die nah an der Unverständlichkeit einen Nichtstudierten wie mich ziemlich blöd dasitzen lässt. Am liebsten würde man zurückspulen und das eine oder andere Gespräch nochmal hören, es fragt sich auch, wohin die hochtrabende Wortklauberei führen soll, wenn nicht dort hin, Akademiker und solche, die es werden wollen, als Geistesriesen zu etablieren, deren Niveau einen eigenen Olymp pchtet, auf welchem gottähnliche Philosophen ihren Scharfsinn schleifen wie ein Schwert, um daraufhin die Klingen zu kreuzen. After the Hunt sonnt sich damit natürlich in gesellschaftspolitischer Brisanz und umkreist das Dilemma der woken manipulativen Zweckentfremdung, mit der siegessicher brandmarkiert wird, wer in die entsprechende Clique passt.

Ja, Männer sind Schweine, sehr viele sogar. Frauen müssen zusammenhalten, wenn es um Missbrauch geht, auch wenn der Verdacht nur im Raum steht. Oder nicht? Guadagnino hinterfragt dieses bewährte Konstrukt der unbewiesenen Ächtung – oder er hinterfragt es gleichzeitig auch nicht. Er hinterfragt Erfolg, Eitelkeit und die Aufrichtigkeit im Willen zur Veränderung der Welt, wie sie die studierende Elite besserwisserisch vorantreibt – und er hinterfragt es gleichzeitig auch nicht.

Julia Roberts hält die Zügel

After the Hunt bezieht selbst keine Stellung. Die wahren Identitäten seiner Figuren, deren Beweggründe und deren Aufrichtigkeit – sie bleiben unentdeckt, unerforscht, alle sind verdächtig, sich selbst nur im Vorteil zu sehen. Abgehoben ist das richtige Adjektiv für einen intriganten Gesellschaftsthriller, der wahnsinnig viel Diskussionsstoff aufs Tapet bringen will, ohne ihn auszuarbeiten. Bündel an Akten, Fotos und Schriften sind das, egal wo und wie man blättert, splittern fiktive biografische Fragmente ab, die nur ansatzweise irgendwo hinführen, wo man Antworten vermutet. Mit gekonnter, kinematographischer Kraft, kühler, fast schon abweisender Bildsprache und intellektueller Kaltschnäuzigkeit rührt Guadagnino in seinem Krisenspiel ordentlich um, und ja, Julia Roberts ist wiedermal ein As, eine Rolle, in der sie sich während es Spiels sichtlich erst selbst entdecken hat müssen, so sehr kämpft sie sich durchs Dickicht subjektiver Befangenheit. Messerscharfe Dialoge wechseln mit vehementer Suspense, es ist düster, die Figuren berechnend und allesamt klugschwätzend in diesem Uni-„Dallas“ aus einem Zeitalter ereifernder, moralgesteuerter Manipulation.

After the Hunt (2025)

Leave the World Behind (2023)

DA IST WAS FAUL IM BUNDESSTAAT

8/10


leavetheworldbehind© 2023 Netflix


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE / DREHBUCH: SAM ESMAIL

CAST: JULIA ROBERTS, ETHAN HAWKE, MAHERSHALA ALI, MYHA’LA HERROLD, FARRAH MACKENZIE, CHARLIE EVANS, KEVIN BACON, ERICA CHO, VANESSA ASPILLAGA U. A.

LÄNGE: 2 STD 18 MIN


Wochenend‘ und Sonnenschein und mit dem Notstand ganz allein. Irgendwas ist da faul im Staat, nur könnte die Familie rund um Julia Roberts, wenn’s hart auf hart geht, auch noch dumm sterben. In Zeiten wie diesen, wenn die Elektronik nicht mehr rund läuft, das Smartphone keine Verbindung aufbauen und Töchterchen ihre Friends-Folge nicht mehr zu Ende gucken kann, ist ein ganz anderes Ende nah. Zumindest fühlt es sich so an. Und es fühlt sich auch danach an, als würde uns M. Night Shyamalan wieder in die Irre führen. Denselben Stoff aber nochmal zu verbraten, den er schon mit Knock at the Cabin mehr recht als schlecht hingefriemelt hat, das würde er wohl nicht wagen.

Ganz genau. Von Shyamalan ist Leave the World Behind erstens mal nicht. Und zweitens auch nicht von Jordan Peele. Man könnte es anders formulieren und behaupten, auf gewisse Weise steht hinter dieser Mystery niemand geringerer als das Ehepaar Obama. Die beiden haben den Netflix-Streifen schließlich mitproduziert, doch inszeniert hat das Ganze Sam Esmail (Mr. Robot). Der hat auch gleich das Skript geliefert und ein bisschen was an Geld auch noch hineingebuttert. Gut war’s, und gelohnt hat sich’s obendrein. Das atmosphärische Kammerspiel mit Starbesetzung schlägt in der fiebernden Erwartung auf die Katastrophe, die alles auslöschen wird, sämtliche Filme des Genres in die Flucht. Leave the World Behind hat den Mut zum Innehalten, legt den Fokus auf soziale Interaktion und schürt mit seltsamen Vorkommnissen und manchmal albtraumhaften Zuständen die Furcht vor dem Kollaps, der irgendwann eintreten wird. Für welchen Bunker gebaut, Notfallboxen herangeschafft und vielerorts gebetet wird. In diesem Film treffen irrlichternde Covid-Fieberträume auf die hart erworbene Geduld quälenden Wartens, trifft das Trauma der Capitol-Stürmung auf die mutmaßliche Unterwanderung ganzer Brigaden, die von der Weltenachse des Bösen abgezogen wurden. Da sich keiner einen Reim darauf machen kann anhand dessen, was passiert; da die akute Ahnungslosigkeit folglich alle auf einen Nenner bringt, gelingt Esmails Szenario die tapfere Komprimierung auf ein Kammerspiel ohne Wände, in der die dreidimensionale Skizzierung der Charaktere fast schon mehr im Vordergrund steht als das kontinentale Dilemma.

Je länger Julia Roberts im Filmbiz mitmischt, umso besser wird sie. Schön, sie diesmal in einer ganz anderen, geradezu hemdsärmeligen Rolle zu bewundern, die an ihre Erin Brokovich erinnert, nur diesmal ist sie die Mutter zweier Kinder und verheiratet mit dem charmant-lässigen Ethan Hawke, dem das Bedürfnis nach Harmonie ins Gesicht geschrieben steht. Diese vierköpfige Familie also fährt übers Wochenende an die Küste und mietet über Airbnb das Haus des wohlhabenden Mahershala Ali, der, als die ersten Anzeichen aufpoppen, das irgendetwas nicht stimmt, gemeinsam mit seiner Tochter ebendort aufschlägt. Natürlich ist Mama Roberts angepisst, denn das ist schließlich ihre Zuflucht, zumindest für die gebuchten paar Tage. Da in den Städten nichts mehr zu funktionieren scheint und Vater und Tochter nirgendwo anders hinkönnen, müssen sich beide Familien irgendwie arrangieren. Während das geschieht, während das Misstrauen zwischen den Fremden wächst und selbst für den Zuseher alles möglich scheint, erfährt die Welt um sie herum einen Paradigmenwechsel der ganz anderen Art. Die Tierwelt scheint sich plötzlich abnormal zu verhalten, Schiffe fahren auf die Küste zu und immer mal wieder treiben schrille Geräusche das Ensemble in den Wahnsinn.

Sam Esmail weiß dabei ganz genau, worauf er in seinem unterschwelligen Katastrophenszenario achten muss. Er zeigt dabei nicht nur, was den urbanen Menschen in seiner Blase so abhängig hat werden lassen, er entzieht ihm auch die Grundlage dafür, sich sicher und geborgen zu fühlen. Das geht langsam vonstatten, dazu braucht es keine Eile, und während der Schrecken so langsam aber doch durch die Ritzen der Türen ins sichere Heim sickert, reagiert jeder Einzelne der Betroffenen ganz unterschiedlich auf diesen Ausnahmezustand. Wie Esmail die Reaktionen derer dafür verwendet, griffige Charaktere zu formen, ist das besondere Herzstück dieser Home Cinema-Überraschung. Leave the World Behind überzeichnet nichts, hält sich zurück, setzt Akzente, die zwischendurch mehr aufs Gas treten als in anderen Momenten, in denen man meinen könnte, nichts davon, was da draußen geschieht, könnte relevant sein. Ist es allerdings doch, und dann kommt noch Kevin Bacon ins Spiel, der so seine Ahnungen hat, und auch die sind nur Futter für Verschwörungstheorien, die vielleicht wahr sind oder auch nicht.

Schön ist, und das macht der Film ganz ausgezeichnet: Ein Perspektivwechsel findet nie statt. Der Story-Twist bleibt aus, schon allein deswegen ist das Ganze kein Shyamalan. Statt solcher erwartbaren Mechanismen geht Esmail dabei ordentlich in die Tiefe und rührt in der selbstverständlichen Auffassung der Wohlhabenden herum, niemals um die gesellschaftliche Ordnung bangen zu müssen. Hervor kommen Verhaltensweisen, die den Verzweifelten die Schamesröte ins Gesicht treibt. Entkommen kann man ihnen nicht, und letztlich liegt das Heil in der Zerstreuung. Wofür Esmail ein rundes, in seinem leisen Zynismus pointiertes Ende findet. Leave the World Behind ist mehr als eine Dystopie – es ist vor allem äußerst kluge Gesellschaftskritik.

Leave the World Behind (2023)

Ben is Back

MUTTER COURAGE, U.S.

7,5/10

 

_DSC9362.ARW© Tobis Film 2019

 

LAND: USA 2018

REGIE: PETER HEDGES

CAST: JULIA ROBERTS, LUCAS HEDGES, COURTNEY B. VANCE, KATHRYN NEWTON U. A.

 

Er ist das Problemkind Hollywoods. Ob als Rabiatbruder in MID90s, als Vollwaise in Manchester by the Sea oder als gequälter Homosexueller in Der verlorene Sohn – Lucas Hedges hat, was seine Filme angeht, keine entspannten Jugendjahre. Und jetzt, jetzt ist er auch noch Ex-Junkie, schwarzes Schaf der Familie und unerwarteter Rückkehrer zur Weihnachtszeit, womit die holde Restfamilie wirklich nicht gerechnet hat. Nun, Mama Julia Roberts schon. oder sagen wir: sie hat es gehofft. Lucas Helges kann von Glück reden, so eine Filmmutter zu haben. Da gibt es ganz andere, zum Beispiel Carrie hat eine, die würde ich niemanden wünschen. Unsere Ex-Pretty Woman ist eine, die ihr Kind über alles liebt, egal was es anstellt. Solche Rollen kennen wir eigentlich von Meryl Streep, aber Julia Roberts kann das auch, und zwar fabelhaft gut. In Ben is Back ist sie die Fürsorge in Person, sich selbst zurücknehmend, aufopfernd, aber durchaus auch und nötigenfalls streng.

Tatsächlich aber steht das Kind der 90er unter der Regie seines alten Herren, nämlich Peter Hedges, seines Zeichens Autor so kultverdächtiger Stoffe wie Gilbert Grape. Seinen Sohn lässt er auf die schiefe Bahn kommen, sich mit Dealern anlegen und auf Entzug gehen, und dann, als alles danach aussieht, als hätte der Junge die Kurve gekriegt, kommt der Querschläger – und ruft Mama Roberts auf den Plan. Dieses Gespann, das spielt sich die Bälle zu, als hätte es weitaus mehr gemeinsam als den Arbeitsalltag am Set. Julia Roberts kann natürlich aus dem Vollen schöpfen, sie ist selbst Mutter, und wie schon einmal erwähnt werden ihre schauspielerischen Qualitäten im Laufe ihrer schillernden Karriere immer besser. Das Format einer Meryl Streep hat sie längst, sie zeigt sich genauso authentisch und scheint zu spüren, was sie vorgibt zu fühlen. Das macht Filmsohn Lucas Hedges auch, und deswegen ist Ben is Back längst kein Familienmelodram von der tränendrückenden Sorte, wie man sie bislang zur Genüge kennt. Das winterliche Krimidrama ist, relativ unüblich für so eine Art von Film, auf Zug inszeniert, sehr straff und eigentlich knochentrocken und auf klarsichtige Weise unprätentiös. Der Genremix tut dem Film erstaunlich gut, entlockt beiden Genres durchaus nicht oft gesehene Facetten und dröselt den gordischen Knoten eines unentkommbaren Dilemmas auf direkt künstlerische Art am Ende auf. Gewohnt bin ich so etwas eher von Einzelgängern wie Jacques Audiard oder Susanne Bier. Tatsächlich wirkt Ben is Back manchmal so, als wäre er ein Teamwork der beiden, vielleicht um eine Spur weniger erdiger und schmutziger, doch das muss Peter Hedges Film gar nicht sein, denn die soziale, krankhafte Finsternis einer labilen Existenz dringt in den abgesichert scheinenden, familiären Wohlstand und nicht umgekehrt. Das Eintauchen ins hoffnungslose Milieu der Drogen spart Ben is Back weitgehend aus, maximal streift der Film die Grenzen der Gefahr, die Julia Roberts fast schon versucht ist zu überschreiten. Das ist natürlich ein enormes Exempel an Selbstlosigkeit, ein Aufopfern für das eigene Fleisch und Blut. Dafür kann man gut und gerne eine Lanze brechen für so viel Familien-Impakt.

Ben is Back ist ein unerwartet intensiver Film aus blaugrauen, kalten Wintertagen. Und obwohl Weihnachten ist, zeigt sich das Fest der Liebe schaumgebremst wie selten. Stimmung kommt hier keine auf, maximal eine ungute, eine vorsichtige – und für manche auch ablehnende, denn der Stiefvater hält nichts von Bens Erscheinen. Herbergssuche sollte inklusive Lerneffekt mittlerweile ganz anders aussehen, vor allem zur stillen Nacht. Doch allein bleibt das Problemkind nicht, hat es doch Schutzengel Mutter an seiner Seite. Wird die Erzieherin aber zur Heldin? Das würde die Überzeichnung eines Ist-Zustandes implizieren, der das Brimborium eines gefeierten Kraftakts nötig hätte. Eine Mutter hat das nicht nötig, vor allem, weil Helden oft temporär solche sind. Und wir sehen: In Ben is Back geht es weniger um die schiefe Bahn junger Menschen. Dafür gibt es andere Filme. Wären es hier keine Drogen, wäre es etwas anderes. Das ist also austauschbar. Die Liebe zum Kind allerdings, die der packende Streifen thematisiert, die bleibt unverändert. Und lässt sich durchs nichts abhalten.

Ben is Back

Wunder

MIT CHEWIE IN DIE SCHULE

5/10

 

wunder© 2017 Constantin Film

 

LAND: USA 2017

REGIE: STEPHEN CHBOSKY

MIT JACOB TREMBLAY, JULIA ROBERTS, OWEN WILSON, MANDY PATINKIN U. A.

 

Als Kind braucht man schon sehr viel Selbstbewusstsein und Mut, als einziger Neuzugang in einer bereits bestehenden Klassengemeinschaft nicht die Nerven zu verlieren und blindlings wegzulaufen. Da muss man sich schon sehr zusammenreißen. Noch dazu, wenn man keinen kennt und nicht weiß, wo es am Klügsten ist, anzuknüpfen. Zusätzlich erschwerend wird es, wenn der Neuzugang nicht den Schönheitsidealen entspricht, die wir Menschen gewohnt sind, anzunehmen.

In Wunder ist der Neuzugang ein 10jähriger Junge namens August, genannt Auggie. Ein blitzgescheiter, aufgeweckter Knabe mit ordentlich Know-How in Sachen Naturwissenschaften und einer Vorliebe für Star Wars. Nur – Auggie hat ein physikalisches Problem. Das hat ihn schon mehrere Dutzend Operationen gekostet. Dementsprechend vernarbt ist sein Gesicht. In einer an Äußerlichkeiten orientierten Gesellschaft kommt sowas erstmal gar nicht so gut an. Der kleine Junge von allen Seiten beäugt und quer durch die Bank abgelehnt – bis einer der Mitschüler die eigentliche Person hinter dem entstellten Gesicht wahrnimmt.

Auch dazu gehört Mut. Mut, sich nicht so zu verhalten wie alle anderen. Mut, den ersten Schritt zu tun in eine andere, bessere Richtung. Auch dieser Mitschüler namens Jack wird beäugt, Aber das schert ihn nicht. Und bald schert es Auggie auch nicht mehr, denn es sieht so aus, als hätte dieser einen Freund gewonnen. Zum Glück allerdings wird unser Nachwuchs meist auf eine Weise erzogen, die Toleranz und Solidarität hochhält. Auf eine Weise, die auch lehrt, den Menschen hinter all dem Äußeren wahrzunehmen, sich so wenig wie möglich Vorurteile zu bilden und zweimal hinzusehen. Es ist – vor allem für die gegenwärtige Generation an Schülern – eine Zeit der bewusst gelebten Ethik, des Verstandes und der Bildung. Doch so wie wir Erwachsenen selbst manchmal erzogen worden sind, so können wir es manchmal auch nicht besser wissen für unsere Folgegeneration. Und dann entsteht sowas wie Mobbing. Aus Unsicherheit, Minderwertigkeitskomplexen und Geltungsdrang heraus. Solche erniedrigenden Auswüchse wird es immer geben. Das bekommt auch Auggie zu spüren. Der sich mehr als jemals zuvor treu bleiben muss und nicht verzweifeln darf.

Owen Wilson und Julia Robert, die ich, je länger sie im Filmbiz arbeitet, immer mehr zu schätzen weiß und richtiggehend gerne sehe, erfüllen die Rolle als Supporting Actor auf den Buchstaben genau. Die beiden Stars räumen so gut es geht das Feld für das begnadete Kinowunderkind Jacob Tremblay (Raum, The Book of Henry), der mit seinen Jung-Co-Stars den Film fast schon im Alleingang stemmt. Und ja, Wunder ist ein Jugendfilm. Pädagogisch wertvoll, mit allerlei (be)merkenswerten Zitaten und hilfreichem Wertebewusstsein. Und irgendwann erreicht Wunder einen Moment, in dem alles vollkommen wirkt. Ind welchem Auggie zu sich selbst und den anderen gefunden hat. Ein Moment, der sich mehr mit Gesten und Blicken erklärt als mit Worten. Doch dann kommt es, wie es kommen muss – und der Film erliegt einem völlig redundanten Nachspann, der sich rund eine halbe Stunde lang dahinzieht und Begebenheiten erklärt, die im Kopf des gewieften Zusehers ohnehin schon Gestalt angenommen haben. Dinge, die sich jeder denken kann. Oder niemand so genau vorgekaut haben möchte. Das tut Stephen Chbosky allerdings leider. Er kaut uns vor, wie wir die nahe, übertrieben triumphale Zukunft von Auggie zu sehen haben. Zuletzt hatte ich bei The Green Mile derart leiden müssen. Auch in diesem Film hat Frank Darabont nicht gewusst, wann Schluss ist. Wunder weiß das leider auch nicht. Und platziert glatt gebügelten Zuckerguss, wo keiner hinsoll.

Wunder

Money Monster

DER IGNORANT UND DER WAHNSINNIGE

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moneymonster

Was hat der Titel eines Theaterstücks von Thomas Bernhard in der Rezension eines US-Thriller zu suchen? Nun, meine Beitragstitel sind ohnehin generell eher assoziativer Natur. Doch die Gemeinsamkeit ist folgende: Das kammerspielartige Thrillerdrama von Wunderkind Jodie Foster konzentriert sich auf die sezierende Konfrontation zweier Gesellschaftsformen, wovon eine zu den Verlierern, und die andere zu den Gewinnern zählt. Erstere verkörpert der Ignorant, dargestellt von Nespresso-Schönling George Clooney, wie immer ausgestattet mit souverän verschmitzter Mimik. Letztere wird dargestellt von einer wahnsinnig gewordenen Mittelschicht, interpretiert von Jack O´Connell, mehr oder weniger bekannt geworden durch Angelina Jolies Kriegsdrama Unbroken. Der durchgeknallte, nervenschmeißende und werdende Familienvater hat aufgrund einer Anlageempfehlung im Rahmen von Clooneys Wirtschaftssendung Money Monster sein ganzes geerbtes Geld verspekuliert und verloren, woraufhin die einzige Schuld an diesem Schlamassel nur der menschenverachtende, charismatisch-sarkastische Anchorman Clooney haben kann. Es ist natürlich immer einfach, andere Leute für sein eigenes Unglück verantwortlich zu machen – also war es auch keine Schwierigkeit, die Fernsehanstalt zu stürmen und mit gezogener Knarre und jede Menge Sprengstoff die Einschaltquoten rapide in die Höhe zu treiben. Ungewollt wird der junge, verwirrte Mann Fernsehgeschichte schreiben. Und trotzdem nichts gewonnen haben. 

Jodie Fosters satirisches Geiseldrama will einerseits so etwas sein wie Sidney Lumet´s Network, andererseits wie Terry Gilliam´s König der Fischer – hier nur bezugnehmend auf die eingangs entstandene Figurenkonstellation, andererseits wieder wie Costa Gavras´ Mad City. Doch sie erreicht mit ihrer Arbeit leider nicht mal ansatzweise das Niveau dieser drei gelungenen Filme. Ihr Money Monster ist ein zahnloses Ungeheuer, das niemanden wirklich erschreckt. Und niemanden fesselt, geschweige denn betroffen macht. Die inhaltlichen Klischees, die sie bedient, erzählen allesamt auch nur Dinge, die wir schon hundertmal gehört, gesehen und erfahren haben. Das Geld die Welt regiert, dass die Reichen den Ärmeren nichts zu sagen haben und das überhaupt und sowieso jede Menge Ungerechtigkeiten in unserer vor allem westlichen Gesellschaft herrschen. Ja, das mag ja alles sein. Aber die Anklagepunkte erfolgen in einer erschreckend unengagierten Willkür, verteilt über den Film, wobei Clooney und O`Connel als Opfer und Täter hin und wieder die Seiten wechseln und sich ein leidenschaftsloses Geplänkel liefern, welches von der sichtlich unterforderten Julia Roberts, die ihrer Kollegin Foster womöglich mit ihrem Auftritt einen Freundschaftsdienst erwiesen hat, mit einigen wenigen moderierenden Kommentaren begleitet wird. 

Von Jodie Foster hätte ich anderes erwartet. Money Monster ist ein schales Medien- und Gesellschaftsdrama, das nichts so recht wagt und bewährte, aber bereits vom Publikum zur Genüge gelernte Perspektiven beibehält. Der Film fokussiert sich zu stark auf die Chronik der Geiselnahme, verabsäumt es aber auch hier, genügend Spannung aufkommen zu lassen. Was bleibt, ist der aparte Anblick Clooneys, Julia Roberts Routine und die Lust, wieder mal Network mit Peter Finch anzusehen. 

 

Money Monster