80 Plus (2024)

DAS SCHICKSAL ÜBERHOLEN

7/10


80 Plus© 2024 Orbrock Film/ Tivoli Film/ Jovan Stevanovic


LAND / JAHR: ÖSTERREICH, DEUTSCHLAND 2024

REGIE / DREHBUCH: SABINE HIEBLER, GERHARD ERTL

CAST: CHRISTINE OSTERMAYER, MARGARETHE TIESEL, MANUEL RUBEY, LAURA HERMANN, JULIA KOSCHITZ, THOMAS MRAZ, PETRA MORZÉ, JULIA JELINEK, STEFANIE SARGNAGEL, REINHARD NOWAK, DAVID SCHEID, GÜNTER TOLAR U. A.

LÄNGE: 1 STD 35 MIN


Die Jungen werden es nie verstehen. Oder doch? Wenn man alt wird, erweckt man seltsamerweise stets den Eindruck, immer knapp vor der Entmündigung zu stehen. Warum man als Greisin oder Greis nicht mehr das tun darf, was man will, liegt an unreflektierten Glaubenssätzen, die stets Demenz, Verwirrtheit und Arthritis in ihrem Wortschatz wissen. Die Jungen wollen dann für die Alten nur das Beste, in Wahrheit aber für sich selbst – aufgrund von Schuldgefühlen, falschem Gewissen oder einfach nur aus Eigennutz. Warum im Alter Selbstbestimmung so schwer zu erkämpfen ist und wie sich diese aber einfordern lässt, davon erzählt ein launiges und beherztes Roadmovie quer durch Österreich. Das klingt nun recht simpel, vielleicht auch vorhersehbar. Doch da ist noch eine andere Ebene, eine viel wichtigere Botschaft, die auch als Gebrauchsanweisung verstanden werden kann.

Denn nicht nur ums hohe Alter geht es hier, sondern natürlich auch um den Tod, der sich am Ende aller Lebensstraßen letztlich abzeichnen wird und den Helene bereits ausmachen kann. Der ehemalige Kinostar mit Stil und Noblesse hat sich dank des Erlernens sämtlicher Bühnen- und Filmrollen eine so gepflogene Aussprache angeeignet, dass man sich selbst dabei vorkommt wie ein röhrender Urmensch. Helene hat Krebs und hat die Krankheit schon einmal in ihre Schranken verwiesen, doch jetzt ist sie wieder da. Noch einmal diese schwere Therapie über sich ergehen zu lassen, ist keine Option. Von daher winkt das Nachbarland Schweiz, in welchem Sterbehilfe straffrei in Anspruch genommen werden kann, sind die Parameter dafür erfüllt. Das Problem: Helene sitzt in einer Seniorenresidenz und ist in ihrer Mobilität eingeschränkt, überdies quält sie ihr Neffe (ambivalent: Manuel Rubey) mit scheinbar fürsorglichen Sanktionen. Womit er nicht gerechnet hat: Zimmernachbarin Margarete Tiesel als Toni. Sie ist das genaue Gegenteil zu Diva Helene, ist bodenständig, urwienerisch und raucht wie ein Schlot. Es sieht niemals danach aus, als würden die beiden einen gemeinsamen Nenner finden, doch in Paul Harathers Indien gaben Alfred Dorfer und Josef Hader ebenfalls zwei wie Tag und Nacht. Ein Film wie dieser lebt davon, das sich Gegensätze anziehen und schließlich ergänzen. Und so suchen beide mit dem Oldtimer Helenes das Weite Richtung Westen, während Neffe Rubey und später auch die Polizei den beiden im Nacken sitzen. Klingt nach Thema & Louise? Vielleicht ein bisschen. Das Alter sollte dabei keine Unterschiede machen.

Nicht alles in 80 Plus ist, wie vermutet, vorhersehbar. Und auch wenn es das wäre: Christine Ostermayer und Margarete Tiesel sind das neue Dreamteam am österreichischen Filmhimmel. Beide spielen ihre Rollen mit Hingabe, erfrischender charakterlicher Kontinuität und einer Sympathie füreinander, die über den Dreh hinausgehen muss. Die 88jährige Ostermayer strahlt vor Schönheit und Anmut – die Dame hat Stil bis in die Fingerspitzen, sie weiß auch den Frust und den Drang ihrer Figur in der richtigen Balance zu halten und entsprechend auf Tiesels eher rabiatere Lebenseinstellung einzugehen. Tiesel wiederum, bekannt aus Ulrich Seidls Paradies: Liebe, gibt sich als scheinbar lebensfrohes, bodenständiges Original, das sich als Genussmensch mit Hang zur Autoaggression dem Hier und Jetzt verschrieben hat. Damit stehen zwei Philosophien anfangs gegeneinander, um später einander zu bereichern: Das Innehalten in der Gegenwart und das Versöhnen mit einer nicht mehr fernen Zukunft. Beides könnte einen Lebensabend voll innerer Zufriedenheit garantieren, trotz so mancher Dunkelheit, die sich anbahnt oder längst da ist. Worauf es dabei ankommt, um auch damit fertigzuwerden, bringen Sabine Hiebler und Gerhard Ertl (Sargnagel – Der Film, Anfang 80) auf traditionelle, wenn nicht gar deutlich konventionelle, aber entwaffnend liebenswürdige Weise ihrem Publikum in klar verständlicher Chronologie näher. Es ist nichts, was wir nicht ohnehin schon gewusst hätten, zumindest in der Theorie. Hätte Manuel Rubeys Filmfigur Josef diesen Film gesehen, würde er mir zustimmen. Doch die Praxis ist immer anders, spätestens dann weiß man es nicht mehr besser, sondern ist mittendrin. Vielleicht wirken Filme wie diese deswegen so selbstverständlich in ihrer Conclusio.

Dass 80 Plus auch Tränen mit sich bringt und sich zu Sentimentalitäten hinreissen lässt, die in trivialeren Fernsehformaten meist besser funktionieren, mag man skeptisch betrachten. Gefühle richtig darzustellen, ohne sie zu verseifen, ist schwierig. Hiebler und Ertl retten sich aber schnell wieder da raus, somit sei gesagt: Keine Scheu vor Alter und Tod, schon gar nicht in diesem Film, in welchem es dann doch viel mehr um das Leben geht.

80 Plus (2024)

Der Engländer, der in den Bus stieg und bis ans Ende der Welt fuhr

DAS ABENTEUER DES UMSTEIGENS

5/10


thelastbus© 2022 capelight pictures


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN 2020

REGIE: GILLIES MACKINNON

CAST: TIMOTHY SPALL, PHYLLIS LOGAN, GRACE CALDER, CELYN JONES, IAIN ROBERTSON, BEN EWING, COLIN MCCREDIE U. A.

LÄNGE: 1 STD 28 MIN


Die wohl am tiefsten hängenden Mundwinkel der Filmgeschichte: Timothy Spall kann diesen Titel getrost an seine Fahnen heften. So muss Mann einmal dreinblicken wie der Brite in seiner Solo-Performance Der Engländer, der in den Bus stieg und bis ans Ende der Welt fuhr. Im Übrigen: ein ziemlich langer Titel für einen relativ kurzen Film, dafür aber ist die Reise, der wir hier beiwohnen dürfen, lang genug, also relativiert sich das wieder. Im englischen Original heißt das Werk ohnehin nur The Last Bus, wobei dieses eine letzte öffentliche Verkehrsmittel aus ganz vielen besteht, die jeweils bis zu ihrer Endstation zuckeln und den uralten Greis aus- und umsteigen lassen. Was hat er vor, dieser Mann, der doch lieber seinen Lebensabend auf der Veranda vor seinem Haus in gemütlicher Lethargie verbringen sollte wie Brian Dennehy in Driveways?

Timothy Spall spielt einen Witwer, dessen Liebe seines Lebens an Krebs verstorben ist, bevor beide noch jene Reise antreten wollten, die sie immer schon geplant hatten: Nämlich wieder dorthin zurück, von wo sie nach dem plötzlichen Kindstod ihrer Tochter aufgebrochen waren, um all die schlechten Erinnerungen und dunklen Wolken hinter sich zu lassen. Um mit dem Leben und seinem Ballast aber wirklich reinen Tisch zu machen, gehört auch der Mut dazu, sich der Tragik des Lebens zu stellen. Da muss Tom nun alleine ran. Ausgerüstet mit einem kleinen Koffer und wackeligen Schrittes tourt er von Haltestelle zu Haltestelle und fällt bald zahlreichen Fahrgästen auf, die mit ihren mobilen Endgeräten das seltsame und manchmal aber auch bravouröse Verhalten des gebrechlichen Kauzes dokumentieren und veröffentlichen. Will der das denn? Zumindest fragt ihn keiner. Doch wo kein Kläger da kein Richter, und der alte Tom hat von Handys und all dem Social Media-Kram sowieso keine Ahnung. Das sind Dinge, die für ein Leben wie das seine wenig relevant sind.

Für den Film selbst hat der versteckte Ruhm des zunehmend immer gebrechlicher werdenden Tom genauso wenig Bedeutung. Ob Follower oder Fans, ob Roadmovie-Jünger oder die Willkommensgruppe am Ende des Weges – vielleicht will Regisseur Gillies MacKinnon (u. a. Marrakesch mit Kate Winslet) nur ganz klar Stellung beziehen, wenn es darum geht, im Ranking der wirklich wichtigen Dinge im Leben Social media ganz nach hinten zu reihen. Wen schert es schon, ob andere beim Aussteigen aus dem Bus Beifall klatschen, ohne zu wissen, worum es eigentlich geht. Da ist ganz viel Trauer, die Timothy Spall mit sich herumträgt, als würde ein zenterschwerer Fels auf seinen Schultern lasten. Je weiter der Weg, desto schwerer wird die Last. Spall ächzt und stolpert und wackelt seinen Weg entlang, und wenn er nicht, vorgebeugt und verbittert, vor sich hin trottet, bleibt in der Geborgenheit öffentlicher Busse Zeit für ein Schläfchen. Bei Spall ist nicht klar, wie sehr der Zahn der Zeit an dem Mann bereits tatsächlich genagt hat und was gespielt ist: Zu glauben ist ihm alles – der arthritische Gang, das Husten und Spucken, der unendlich traurige Blick. Spall spielt nicht, er steckt bis über beide Ohren in dieser fiktiven Figur und lässt ganz vergessen, dass die meisten ihn eigentlich aus dem Harry Potter-Universum kennen, als er „Wurmschwanz“ Pete Pettigrew gegeben hat. Das ist auch schon eine Ewigkeit her, und Spall ist zumindest in diesem Film ewig älter geworden.

Der Engländer, der in einen Bus stieg und bis ans Ende der Welt fuhr will dank seines deutschen Titels all jene ins Kino locken, die schon mit dem Hundertjährigen, der aus dem Fenster stieg und verschwand ihre Freude hatten. Sie werden enttäuscht sein. MacKinnons Film birgt wenig Humor, keine sozialpolitischen Seitenhiebe und Leichtigkeit ist aufgrund bereits erwähnter steinerner Schulterlast etwas für Rad-, nicht aber für Busfahrer. Joe Ainsworths Drehbuch ist ein geradliniges Rührstück, das nichts sonst notwendig hat außer Timothy Spall, der genauso gut mit einem Marsch durch eine menschenleere Postapokalypse dasselbe Ziel erreicht hätte. All die peripher auftretenden Begegnungen sind für Spalls Figur so bereichernd wie Social Media. Von dieser Flüchtigkeit lässt sich auch MacKinnon anstecken. Und legt keinerlei Wert darauf, aus den alltäglichen Miniaturen, die die Straße säumen, irgendeinen Mehrwert zu ziehen.

Der Engländer, der in den Bus stieg und bis ans Ende der Welt fuhr

French Exit

MADAME EMPFIEHLT SICH

6,5/10


french-exit© 2021 Sony Picture Classics


LAND / JAHR: KANADA, GROSSBRITANNIEN 2020

REGIE: AZAZEL JACOBS

DREHBUCH: PATRICK DEWITT, NACH SEINEM ROMAN

CAST: MICHELLE PFEIFFER, LUCAS HEDGES, VALERIE MAHAFFEY, DANIELLE MACDONALD, IMOGEN POOTS, ISAACH DE BANKOLÈ, TRACY LETTS, SUSAN COYNE U. A. 

LÄNGE: 1 STD 53 MIN


Was Filmlegende Catherine Deneuve in ihrem späten Filmschaffen stets so schillernd vor die Kamera bringt – das können andere auch. Nicht viele zwar, doch die wenigen, die fallen auf. Eine davon ist Michelle Pfeiffer. Eigentlich wenig überraschend, denn diese damenhafte Grandezza, die kennen langjährige Filmliebhaber bereits seit Die fabelhaften Baker Boys. Da war die Schöne mit der markant-sinnlichen Lippenpartie für die Bridges-Brüder mehr als nur ein unruhiger Männertraum. Michelle Pfeiffer, die hatte stets Klasse. Jetzt, im reiferen Alter, gibt’s davon noch mehr. Sogar so viel, dass es für eine Diva reicht. Da müsste Catherine Deneuve anerkennend nicken. Und auch, was die Radikalität schicksalsträchtiger Entscheidungen betrifft. Da lässt auch Michelle Pfeiffer keine Gelegenheit außer Acht, das Ende eines eleganten Ritts auf dem goldenen Kalb zu zelebrieren. Im Damensattel selbstverständlich.

Denn Frances Price, die steht in French Exit nach dem Ableben ihres Gatten vor dem Bankrott. Das Erbe war stolz, doch noch stolzer schien es, mit dem Vermögen hausieren zu gehen, nichts zu arbeiten und lieber die schönen Scheinchen unter urbanen Dienstnehmern zu verteilen. Jetzt allerdings scheint alles aus. Also nimmt sie das Angebot einer guten Freundin an, in deren Wohnung nach Paris zu ziehen, um ihr Leben neu zu sortieren. Die Alternative wäre, selbiges schlichtweg auszuleben, mit dem letzten Rest an Kapital, dass für das feudale Etablissement in New York noch rausspringen mag. An ihrer Seite: Sohnemann Malcolm, kein Müttersöhnchen im klassischen Sinn, sondern ein Phlegmatiker ohne eigenen Willen, der möchte, aber nicht kann. In Paris angekommen, scharen sich alsbald die unterschiedlichsten Leute um die beiden, die alle genau eine Sache verbindet: den Drang, aus einer stagnierenden Einsamkeit zu entkommen. Mittendrin ein schwarzer Kater, der mehr zu sein scheint als ein domestiziertes kleines Raubtier.

Was macht so jemand, der Zeit seines Lebens nichts geschaffen oder gearbeitet hat – und plötzlich mit leeren Taschen dasteht? Es wäre fast so, als würde man Marie Antoinette ihren Reichtum von Arbeit abhängig machen. Das kann nichts werden. Wohin mit der etablierten Fassade des ewigen Wohlstands? Jemand wie Michelle Pfeiffers Figur der stets schicken Herrin behält die Grazie bis zum frei interpretierbaren Ende. Das Metaphysische spendet Trost in einer geselligen Phase des Abschieds. Azazel Jacobs gelingt nach dem Roman von Patrick DeWitt ein Psychogramm, dass erfolgreich so tut, als wäre es ein Stück französisches Kino. Verlorene Gestalten, die den Neuanfang abwägen, geistern um Michelle Pfeiffer herum – sie selbst bleibt dabei unnahbar und auf sich allein konzentriert. Entwertet den Mammon und lässt sich fallen, einfach so fallen. Das ist durchaus tragikomisch, ein bisschen märchenhaft, und tröstet sich niemals mit Selbstmitleid. Andere würden sagen: ein Abgang mit Stil.

French Exit

Wir beide

GELIEBTE NACHBARIN

7,5/10


wirbeide© 2020 Paprika Films


LAND / JAHR: FRANKREICH, LUXEMBURG, BELGIEN 2019

REGIE: FILIPPO MENEGHETTI

CAST: BARBARA SUKOWA, MARTINE CHEVALLIER, LÉA DUCKER, MURIEL BÉNAZÉRAF, JÉRÔME VARANFRAIn U. A. 

LÄNGE: 1 STD 32 MIN


Auch dieser Film steht auf der Shortlist zu den Oscars für den besten fremdsprachigen Film 2021. Und das völlig zu Recht. Allerdings nicht in erster Linie, weil das Liebesdrama Wir beide gleich zwei Tabuthemen auf einmal thematisiert. Sondern weil ein Stoff wie dieser so selten ohne übertriebene Sentimentalitäten auskommt – hier aber Regiedebütant Filippo Meneghetti eine Möglichkeit gefunden hat, auf geradezu erfrischende Weise von einer Liebe zu erzählen, die an gesellschaftlichem Normdenken gerade bei der jüngeren Generation beinahe gescheitert wäre.

Dabei haben die beiden reiferen Damen – die eine gleichzeitig Oma und Witwe, die andere nonkonforme Lebenskünstlerin – alles was sie brauchen würden, nämlich sich und rosige Aussichten für die Zukunft, da der Traum, gemeinsam nach Rom zu ziehen, kurz davor steht, verwirklicht zu werden. Ein einziges Problem gibt es jedoch noch, das noch aus dem Weg zu räumen wäre: Oma Madeleine muss endlich den Mut aufbringen, ihre Sippschaft zu verklickern, dass sie in einer glücklichen Beziehung mit Nina weilt. Alleine der Umstand, auf ihre alten Tage zu ihrer sexuellen Identität zu stehen, scheint schon unmöglich zu sein, wenn Madeleine nur daran denkt. Der Sohn ist ein zynischer Grantler, und die Tochter glaubt immer noch, dass Mama und Papa damals aus Liebe geheiratet hätten. Bei all den Troubles passiert etwas, dass alles über den Haufen wirft. Madeleine erleidet einen Schlaganfall. Und niemand weiß, dass Nina im Grunde ihre Partnerin ist und eigentlich das Recht hätte, sich um ihren Lebensmenschen zu kümmern.

Das Script zu diesem auf den ersten Blick vielleicht eher konventionell scheinenden Drama überrascht und ist umso cleverer konstruiert, da man erstmal nicht ahnt, welche Schwierigkeiten entstehen können, wenn das Outing zu spät kommt. Klar, in Liebesdingen geht niemanden Dritten auch nur irgendwie an, was Sache ist. Zählen die Beteiligten allerdings nicht mehr zum jungen Eisen, könnte der Nachwuchs mehr mitzureden haben, als den Beteiligten lieb wäre. All diesen aufreibenden Hürden, die plötzlich aufpoppen, nachdem Madeleine ihre Selbstständigkeit verloren hat und plötzlich auf Hilfe von außen angewiesen ist, begegnet eine großartig aufspielende Barbara Sukowa in einer ihrer besten Rollen mit Argwohn und kämpferischer Jugendlichkeit. Martine Chevallier hingegen spielt die zu Beschützende fein nuanciert und mit einem Repertoire an sehnsüchtigen Blicken. Wie die beiden Frauen füreinander kämpfen, wie sehr sie sich brauchen und was sie überwinden, um zusammen zu sein, sind fast schon Shakespear´sche Liebeswirren für eine entsexualisierte Generation, die aber genauso queer sein kann wie jene, die bei den Regenbogenparaden auf die Straße geht.

Wir beide ist jedenfalls eine der besten Liebesfilme der letzten Zeit – authentisch, poetisch und mit augenzwinkerndem Humor.

Wir beide

Das etruskische Lächeln

MIT OPA AUF AUGENHÖHE

5,5/10

 

etruskischeslaecheln© 2018 Constantin Film

 

LAND: USA 2017

REGIE: MIHAL BREZIS, ODED BINNUN

CAST: BRIAN COX, ROSANNA ARQUETTE, JJ FEILD, THORA BIRCH U. A.

 

Das österreichische Gesangstrio STS hat ihn bereits besungen, und Heidi wüsste nicht, wo sie ohne ihren knorrigen Almöhi abgeblieben wäre: Es ist die Rede vom Großvater, gemeinsam mit Oma eine familiäre Institution, und die Bindung zwischen Enkel und selbigem kann manchmal sogar noch jene mit dem eigenen Erzeuger in den Schatten stellen. Zu Großvätern geht man, wenn die Paradigmen der Erziehung andere sein sollen, wenn sich die Betrachtung der Welt mal auch aus anderem Blickwinkel aufdrängen will. Gelobt sei da der frische Wind, der festgefahrenen Alltagsmanierismen die Scheuklappen abnimmt. Ungefähr so wie in dem Generationendrama Das etruskische Lächeln, einem Roman des Spaniers Jose Luis Sampedro. Verfilmt wurde die Geschichte von den beiden israelischen Filmemachern Oded Binnun und Mihal Brezis, deren Kurzfilm Aya 2012 für den Oscar nominiert war. In der Hauptrolle: Charakterdarsteller Brian Cox mit blanker Sohle und Dreitagebart, und wenn das Bad im kühlen Atlantik genommen werden soll dann sogar komplett textilfrei. Dieser knurrige alte Eremit, der da an der Küste auf einer Insel der Äußeren Hebriden seinen Lebensabend verbringt, kommt bald unfreiwillig in den Genuss der eigenen Familie, von der er sich doch eigentlich losgesagt zu haben scheint. Gesundheitliche Probleme allerdings zwingen ihn dazu, wieder Kontakt zum Sohnemann aufzunehmen, der noch dazu als frischgebackener Papa des kratzbürstigen Neo-Opas sensible Seiten wachkitzelt. Und nicht nur das – das urbane New York birgt sogar noch einen späten Frühling fürs Herz.

Erstaunlich an diesem Film ist, dass er sich geografisch sehr schwer einordnen lässt. Durch den wuchtigen und erzschottischen Brian Cox mit gälischem Wortschatz bin ich zweifelsfrei der Meinung, hier einen ebensolchen Film vor mir zu haben. In Wahrheit aber ist Das etruskische Lächeln ein amerikanischer Film, inszeniert von israelischen Künstlern, basierend auf einer spanischen Vorlage. Das Lächeln selbst, von welchem hier die Rede ist, finden wir auf den Sarkophagen der alten Etrusker – wer die menschlichen Darstellungen der frühen Italiener vom vielleicht letzten Museumsbesuch noch in Erinnerung hat, weiß, dass diese schlicht modellierten Gesichter zufrieden lächeln, als wären sie von einer inneren Ausgeglichenheit, die jeder Herausforderung spielerisch trotzt. Selbst im Tod ist dieses Lächeln präsent – als wäre das Ableben der Anfang von etwas ganz Großem. Vor so einem dieser Skulpturen steht also dieser Rory MacNail, in einem New Yorker Kunstmuseum, und lernt noch dazu die attraktive Claudia kennen (lange nicht auf der Leinwand: Rosanna Arquette). Vieles scheint sich im fortgeschrittenen Leben des Schotten doch noch zum Guten zu wenden, bevor die Diagnose Krebs ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen bald schon unmöglich macht. Oder doch nicht?

Das etruskische Lächeln kommt über den Reiz eines konventionellen Melodrams, das stellenweise so glatt wirkt wie ein Fernsehfilm, nicht hinaus. Da ändert auch der Schauplatzwechsel und die durchwegs solide Besetzung nichts. Obwohl Vater und Sohn genug Reibungsfläche aufbieten, fehlt hier die Reibung. Es fehlt der richtige Konflikt, oder das ganz große Drama, stattdessen mangelt es, wie bei TV-Produktionen meist das Problem, an dramaturgischer Griffigkeit. Die Momente zwischen Großvater und dem kleinen Enkel sind zwar liebevoll in Szene gesetzt, berühren aber nur bedingt – vielleicht, weil Urgestein Cox nicht nur die Familienbande neu knüpfen muss, sondern auch die der Liebe, für die es natürlich nie zu spät sein kann. Und Heimweh an die wilde Küste kommt auch dazu – zuviel für den alten Mann, und zu viel Unruhe, um einen ruhenden Erzählfokus zu erzeugen. Das lässt das Ganze oberflächlich wirken, was es aber eigentlich nicht ist. Jedenfalls ist das Miteinander der Generationen von Enkel, Sohn und Vater das Herzstück dieser Verfilmung, und der Sprung ins kalte Wasser direkt spürbar – wie sinnbildlich man das auch verstehen mag.

Das etruskische Lächeln