One Battle After Another (2025)

DER DUDE DES UMBRUCHS

7/10


© 2025 Warner Bros. Pictures


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: PAUL THOMAS ANDERSON

DREHBUCH: PAUL THOMAS ANDERSON, NACH DEM ROMAN VON THOMAS PYNCHON

KAMERA: MICHAEL BAUMAN

CAST: LEONARDO DICAPRIO, SEAN PENN, CHASE INFINITI, TEYANA TAYLOR, REGINA HALL, BENICIO DEL TORO, WOOD HARRIS, ALANA HAIM, D. W. MOFFETT, TONY GOLDWYN, ERIC SCHWEIG U. A.

LÄNGE: 2 STD 42 MIN


Gerade noch auf der Couch, vernebelt bis dorthinaus, im Fernsehen läuft The Battle of Algiers, untermalt von den Takten eines Ennio Morricone, da läutet auch schon das Festnetz. Wie denn, was denn? Ein verfilzter Leo DiCaprio, der sich mal ordentlich gehen lassen darf, wird eiskalt abgeduscht, als sich Stimmen melden, die vor sechzehn Jahren zum letzten mal an sein Ohr drangen. Die Revoluzzer sind wieder da, und das niemals oder nur langsam älter werdende, unrasierte Babyface mit fettiger Mähne soll sich sputen! Natürlich kommt der Mann dann doch irgendwie in die Gänge, aber nur so, als wäre er hinter sich selbst her, ohne sich einzuholen. Doch wie heisst es so schön: Move your ass, your mind will follow.

Revolution ist geil

Nach diesem Leitsatz stolpert der Star also durch ein Chaos aus Staatsgewalt und den Morast der Verzweiflung ob vergessener Passwörter. Wir kennen das – wir scheitern, wenn wir uns bei unserem Lieblingsstreamer einloggen wollen, wenn der mal ein Update hatte. Es ist zum Haareraufen und Speichelspucken, zum Zetern und Schimpfen – all das, was DiCaprio gut kann und gerne tun will. Auf diese Weise wird uns allen aber klar: Auch wir könnten, wenn die Kacke so sehr am Dampfen ist, unseren inneren Schweinehund, der da als Couchpotato Wurzeln schlägt, ins Gesicht schlagen, uns aufraffen und den Widerstand besingen – gegen die weiße Herrenrasse, gegen den Faschismus, gegen die Indoktrinierung von rechtem Gedankengut. Denn: Revolution ist geil. Saugeil sogar. Paul Thomas Anderson findet das genauso cool. Zumindest so sehr wie den Autor Thomas Pynchon, aus dessen Schaffen er nun den zweiten, seiner Meinung nach einzig verfilmbaren Roman auf die Leinwand stemmt – allerdings nicht nur aus dem Grund, um nächstes Jahr bei den Filmpreisen groß abzuräumen. Sondern, weil sich Pynchon anscheinend maßlos gut dafür eignet, seinen individuellen Filmstil zu tragen, über hügelige Straßen, an militanten Nonnen vorbei, durch muffige Fluchtwege unter der Erde bis hin zu Sean Penns völlig entgleister Visage, dessen Mimik fast schon einen Film im Film darstellt.

Linksradikale Ballerfrauen

Diese Idee von der geilen Revolution, die muss Anderson ausschlachten. Die Agenden sind wohl zweitrangig, obwohl uns klar wird: Ja, es geht um Migration, ob illegal oder nicht, um Ausweisung, um Abschiebung, um die Brandmarkung aller nicht in den USA Geborenen als Drogenhändler, Katzenfresser und Streitsüchtige, die für Unreinheit in einer Reagan/Trumpwelt sorgen – schließlich sind die Ideen des Möchtegern-Alleinherrschers über die ganze Welt alle nicht neu, sondern halbwegs aufgetaut, um sie den Leuten zwischen Arsch und Couch zu schieben, als bequemes Kissen, weil die Sitzschwielen aufgrund der vielen Bequemlichkeit nicht mehr ausgesessen werden können. Doch anstatt sich den politischen Umständen, Umwälzungen und dem Kern der Sache hinzugeben, ist es wohl besser, die Ruppigkeit der Revolution als Ikonographien der gewaltbereiten Aufsässigkeit hinzustellen, ohne jemals darin die Chance ersichtlich machen zu können, dass all diese linksradikalen Ballerfrauen, ob hochschwanger oder im Tütü, mit ihrem Modus Operandi auch nur irgendetwas am System zu ändern.

Mehr als ein Thriller?

Revolution ist so ein Wort, das klingt nach Che Guevara und vielleicht auch Krieg der Sterne, nach rotzfrechen Heldinnen und Helden, die als schnöde Kriminelle die gute Sache nur noch kolportieren. Mit dieser Prämisse hat One Battle After Another so seine Probleme – als „Film der Stunde“, wie manche sagen, gibt Anderson seinem schauspielerischen Sprengkommando eine allzu lange Lunte in die Hand. Sie brennt und brennt, und währenddessen tut sich ein überraschend geradliniger und überhaupt nicht sonderlich komplexer Thriller auf, der in seinen besten Momenten die Absurdität von Breaking Bad atmet, orientierungslos grimassierend im Niemandsland des wüstenhaften Grenzgebiets – glutheisse Kulissen, die DiCaprio niemals dazu bewegen, seinen Bademantel abzulegen, denn der hat schließlich jetzt schon so sehr Kultstatus, dass sich das Outfit dieses Spätrevoluzzers bereits schon beim Faschingsprinzen bestellen lässt. Der Thriller aber ist handwerklich so sehr ausgereift, dass es allemal für denkwürdiges Kino reicht. Etwas gar penetrant mit Klavierklimpern unterlegt, sind nach einem grob gehobelten Epilog, der keine Chance dafür lässt, mit den Figuren warm zu werden, die Rechten und Linken positioniert. Erst jetzt sprudelt Anderson mit seinem Können nur so hervor, setzt groteske Sequenzen, Arthouse-Optik und Robert Altman-Stilistik, in Kubrick‘schem Weitwinkel und lakonischer Ironie.

Wenn am Ende die irre Suspense in einer schwindelerregenden Berg- und Talfahrt einer Autoverfolgungsjagd die niemals ihrem Schicksal entkommenden Gestalten aufeinandertreffen lässt, hat man das Gefühl, etwas Erfahrenswürdiges gesehen zu haben, etwas filmgeschichtlich Kultiges, und damit meine ich nicht zwingend Sean Penn, der hier als zum Femdschämen ideologisierter Tintifax DiCaprio die Show stiehlt. Wohl eher ist es die Erkenntnis, dass das Private, Intime, in dessen Dunstkreis sich jeder selbst der Nächste ist, weit mehr Priorität hat als der weltbewegende Umbruch, zu dem es nie kommt, weil immer wieder jemand anderer im Weg steht, dem das Hemd näher ist als der Rock.

One Battle After Another (2025)

Black Tea (2024)

TRÖPFCHEN VON HEISSEM TEE

5/10


© 2025 Filmladen Filmverleih


LAND / JAHR: FRANKREICH, MAURETANIEN, LUXEMBURG, TAIWAN, ELFENBEINKÜSTE 2024

REGIE: ABDERRAHMANE SISSAKO

DREHBUCH: ABDERRAHMANE SISSAKO, KESSEN FATOUMATA TALL

KAMERA: AYMERICK PILARSKI

CAST: NINA MÉLO, CHANG HAN, WU KE-XI, MICHAEL CHANG, PEI-JEN YU, WEI HUANG, EMERY GAHURANYI, ISABELLE KABANO, MARIE ODO, FRANCK PYCARDHY U. A.

LÄNGE: 1 STD 51 MIN


Die Wurzeln der Heimat sind lang – und überbrücken dabei die Meere, um an anderen Kontinenten wieder neu auszutreiben. In der Fremde kann sich so manche Migrantin oder so mancher Migrant doch noch wie zuhause fühlen, wenn sie oder er auf Menschen selber Herkunft trifft. Es bilden sich Interessengruppen, Verbindungen, Vereine – alles mögliche. Man läuft sich über den Weg oder trifft sich gezielt an Orten, die ganz und gar der Community gehören. Auf diese Art und Weise versucht Aya (Nina Mélo), eine junge Afrikanerin von der Elfenbeinküste, die ihre eigene Hochzeit gecrasht hat, das neue Leben in der chinesischen Diaspora so tröstend wie möglich zu gestalten. Dazu gehört auch, eine Leidenschaft für die Kultur des Teetrinkens zu entwickeln – zwangsläufig, wie es scheint, denn ihre Arbeit in einem kleinen Spezialgeschäft für Teesorten erfordert auch die notwendige Liebe zu getrockneten Blättern und Blüten. Dabei fühlt sie sich zum Eigentümer dieses Geschäfts, einem Chinesen namens Cai, irgendwie hingezogen. Eine Beziehung, eine Leidenschaft, eine Liebe – das lässt sich alles nicht wirklich so benennen. Abderrahmane Sissako, der mit dem düster-tragischen Wüstendrama Timbuktu 2014 für Aufsehen in der Filmwelt gesorgt hat, lässt nicht nur seinen zentralen Charakter, eben Aya, in einer mehrdeutigen Gefühlswelt vor sich her sieden wie Teewasser kurz vor dem Aufkochen. Auch all die anderen Gestalten in dieser Einkaufsstraße in Guangzhou sind von einer Unschlüssigkeit eingenommen, die sie auf der Stelle treten lassen. Sissako hat dabei auch nicht vor, eine konkrete Handlung zu verfolgen, welche die vielen angerissenen Einzelschicksale und charakterlichen Skizzen miteinander irgendwann verknüpft. Viel tut sich nicht in Black Tea, und wenn, dann immer nur ein bisschen. So, als käme später noch mehr.

Schon ziemlich lange zieht der Tee

Der Stillstand erfolgt durch eine innere Zerrissenheit, die sich aus Fehlern in der Vergangenheit und einer Zukunft zusammensetzt, der sich manche aufgrund dieses unerledigten früheren Lebens nicht ganz hingeben wollen. Dieses neue Leben irgendwo anders oder mit irgend jemand anderem, es scheint wie eine Reinkarnation nach einem Tod, dessen vorangegangene Existenz niemals zum Abschluss kam. Black Tea ist eine stille, enorm entschleunigte Metapher auf Klärung, Loslassen und Neuanfang, nicht nur für Migranten, doch vor allem für jene, die ihr Schicksal auf mehrere Länder aufgeteilt wissen. Der Spagat zwischen diesen mag für manche schmerzlich sein.

In Filmform gerät der Exkurs zu einer kontemplativen (Über-)Belastungsprobe zum Thema Langsamkeit. Visuell weiß Sissako vor allem Nina Mélo formschön und geschmackvoll einzukleiden – manche Szenen erinnern dabei an Wong Kar Wais In the Mood for Love. Auch, wenn Chang Han als Tee-Experte Cai durch die Gasse irrt und mit der Vergangenem hadert. Interessant dabei das Spiel mit der Tiefenschärfe und kunstvoll vorgelagerten Unschärfen, vieles wirkt wie im Traum, und dann wieder auffallend nüchtern wie Alltagsszenen nun mal sind. Warum Sissako dabei seine Zeit mit zahlreichen Nebensträngen vergeudet, die für den Fortgang der Geschichte keinen Sinn ergeben, sondern nur eine Collage erschaffen, mag ein Rätsel bleiben. Auch jede Menge Andeutungen zu Rassismus, Vorurteilen und Einsamkeit ergeben zusammengenommen vieles, aber nichts Eindeutiges. Als Sammelsurium sämtlicher Eindrücke und beliebiger Beobachtungen, exquisit und geschmackvoll in Szene gesetzt wie so manche Teezeremonie, von der man glauben möchte, diese Schüttspielchen mit Wasser können nicht ganz ernstgemeint sein, hat Black Tea aber niemals den Mut, eines seiner Themen zu konkretisieren. Aya scheint da nur mittendrin zu sein in dieser Zerrissenheit, in dieser kleinteiligen Langeweile, die vieles und gleichzeitig nichts erzählt. Und von Liebe eigentlich gar nichts weiß.

Black Tea (2024)

On the Border – Europas Grenzen in der Sahara (2024)

EUROPA ALS FATA MORGANA

7/10


© 2024 Filmladen Filmverleih


LAND / JAHR: ÖSTERREICH, SCHWEIZ, DEUTSCHLAND 2024

REGIE / DREHBUCH: GERALD IGOR HAUZENBERGER, GABRIELA SCHILD

KAMERA: THOMAS EIRICH-SCHNEIDER, GERALD IGOR HAUZENBERGER, HAJO SCHOMERUS, JOERG BURGER

MITWIRKENDE: RHISSA FELTOU, TILLA AMADOU, ACHMET DIZI U. A.

LÄNGE: 1 STD 43 MIN


Die Wüste ist kein Ort, an welchem man dauerhaft verweilt. Sie ist da, um sie zu durchqueren, um von A nach B zu gelangen. Sie ist ein offenes Feld, ein Vakuum, ein wilder Raum, Sehnsuchtsort, Abenteuerspielplatz und Glutofen. Und das schon seit jeher. Die Tuaregs, die wissen das. Denn sie wandern, wenn geht mit Passagieren und Gütern im Schlepptau, die sie an ihr Ziel bringen, meist für gutes Geld, um dann selbst zu überleben. Die Wüste und ihre Gesetze sind auch nichts, worin Europa reingrätschen sollte. Zumindest nicht so wie auf diese Art. Auf eigennützige, und nicht gemeinnützige Art. Mit leeren Versprechungen, schönen Worten und aufgeräumten Spezialistinnen und Spezialisten, die in der Stadt Agadez die geopolitischen Interessen Europas umsetzen und dabei die Bevölkerung instrumentalisieren, um ein Verbot durchzubringen, das die Migration von Ausländern untersagt. Das sind nicht die Gesetze der Wüste, das sind die Gesetze eines fernen Wohlstandskontinents, das keine Flüchtlinge mehr will. Was geht das Ganze Agadez an? Oder den Niger?

Das Regieduo Gerald Igor Hauzenberger und Gabriela Schild begeben sich in den von den Tuareg-Stämmen kontrollierten Norden, um die ganze Sache mal aus der Nähe zu betrachten. Sie tun dabei das, wovon ich selbst schon immer wieder mal geträumt habe, und zwar besuchen sie Agadez, den Handelsknotenpunkt weit nordöstlich der eigentlichen Hauptstadt Niamey – ein Name, der so verlockend, magisch und nach Fernweh klingt wie Timbuktu. Aus der Luft betrachtet ein homogenes Mosaik aus Lehmwürfeln, dazwischen ein labyrinthartiges Straßennetz, irgendwo in der Mitte eine aus Lehm erbaute Moschee mit einem Minarett, das aussieht wie das Kunstwerk eines Visionärs aus archaischen Urzeiten. Überall Wüstensand, der stete Wind bringt auch in die letzten Ritzen das kleinste Körnchen erdgeschichtlichen Klimawandel – und mit dem Wind kommt der Plastikmüll, der sich in den dornigen Ästen der Akazien und wüstenharten Bäume verfängt, als würden im Geäst ganze Schwärme schwarzer Vögel sitzen, die keinen laut von sich geben. Zu hören ist nur das Schlackern der Kunststofffetzen, dazwischen die melodische Stimme des Muezzins, und dann wieder Radio Nomad mit den aktuellen Nachrichten. Am Rande der Stadt Kamelherden, Pick-ups und Busse, völlig überladen mit Menschen, die zu ihrer Arbeit pendeln – oder an die Grenzen Libyens oder Algeriens wollen, warum auch immer. Dass hier noch Leute aus Schwarzafrika dabei sind, die an die Küste des Mittelmeers wollen? Dass das nicht mehr passiert, dafür hat Europa gesorgt. Wie die Leute darauf reagieren, und was sie zu sagen haben, fangen Hauzenberger und Schild über einen Zeitraum von fünf Jahren (2018 bis 2023) in geduldigen Interviews ein, sie lassen den Bürgermeister der Stadt, Rhissa Feltou, der später eine eigene Partei gründen wird, mit klugen, besonnenen Worten genauso zu Wort kommen wie die Radiomoderatorin und Journalistin Tilla Amadou und den Kleinunternehmer und Fremdenführer Achmet Dizi, der unzählige Sprachen spricht, darunter sogar Deutsch, und der ein Potenzial mit sich bringt, das jenes mancher gutsituierter Europäer bei weitem übersteigt. So einen Guide, den hätte man gern.

Europas leere Versprechungen

Durchwoben mit unvergesslichen Bildern einer völlig fremden, anderen Welt stoßen die Filmemacher, denen wirklich viel daran liegt, nicht nur so zu tun als ob, sondern tief in die Grundproblematik einer Gesellschaft einzudringen, auf die Weisheit der Wüste, die sich in wertebewussten und erfrischend vorausschauenden Worten so mancher Nigrer offenbart. Während Europa glaubt, ein ganzes Volk mit falschen Versprechungen zu ködern, denn darauf läuft es hinaus, haben jene, die es betrifft, längst überrissen, welches Spiel hier gespielt wird. Doch Hauzenberger und Schmid bleiben Beobachter, sie sind keine Aktivisten und sie rennen auch nicht verschlossene Türen ein. Ihr Konzept eines Dokumentarfilms alleine ergibt ganz wie von selbst eine bittere Conclusio.

Was dabei aber trotz der genauen Beobachtungsgabe außen vor bleibt, ist die Annäherung an die wirklich Armen, Besitzlosen, die jeden Tag ums Dasein ringen. Vielleicht wollten sie auch nicht vorgeführt werden, vielleicht ist es auch der selbstverständliche Respekt des Regie-Duos, der sie dazu zwingt, selbst niemanden zu instrumentalisieren. Wir sehen Agadez zwar aus einem ganz bestimmten Blickwinkel, nämlich aus jenem der beleseneren, weltoffenen Elite des Landes, allerdings räumt On the Border – Europas Grenzen in der Sahara mit so manchen Vorurteilen auf, die bis heute dazu beitragen, die Wüste als einen gesetzlosen, leeren Raum voller Banditen und Abenteurer wahrzunehmen, wie damals im romantischen Zeitalter der Entdeckungen rund um Heinrich Barth. Diese Epoche ist längst vorbei, die Wüste lebt, sie schläft nicht. Und weiß genau, wie die Welt sie in die Mangel nimmt.

On the Border – Europas Grenzen in der Sahara (2024)

The Accountant 2 (2025)

NUR BRÜDER GEBEN FEUERSCHUTZ

7/10


© 2025 Amazon Content Services LLC


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: GAVIN O’CONNOR

DREHBUCH: BILL DUBUQUE

CAST: BEN AFFLECK, JON BERNTHAL, CYNTHIA ADDAI-ROBINSON, DANIELLA PINEDA, J. K. SIMMONS, ALLISON ROBERTSON, ROBERT MORGAN, GRAN HARVEY, ANDREW HOWARD U. A.

LÄNGE: 2 STD 13 MIN


Ich bleibe dabei, und ja, ich weiß, da gehen die Meinungen auseinander, aber: Ben Affleck ist für mich nach wie vor und im überstilisierten Dunstkreis eines Zac Snyder’schen DC-Universums „der“ Batman schlechthin. Muskelbepackt, stiernackig, arrogant, aber auch idealistisch. Nicht unbedingt ein Held zum Gernhaben, aber einer, dem man dann doch die Zügel in die Hand drücken würde, wenn es heisst, den Karren aus dem Dreck zu dirigieren. Die stählerne Rüstung, mit welcher er Superman bekämpft, mag ein bisschen den Charme der Lego-Filme bedienen, nichtsdestotrotz hat der Best Buddy von Matt Damon eine gute Figur gemacht. In anderen Filmwerken mag man ihm vielleicht ausgelebte Langeweile hinsichtlich seiner zu verkörpernden Rollen diagnostizieren – in ganz wenigen aber hat der selbstverliebte Geck so einiges drauf.

Wie zum Beispiel als Accountant Christian Wolff, der die mimischen Defizite des Stars damit erklären kann, unter einer nicht näher definierten Form von Autismus zu leiden, unter welcher soziale Interaktion wie wir sie kennen bisweilen zu leiden hat. Auch das Emotionale ist nicht so Ben Afflecks alias Christian Wolffs Ding – womit sich der Knabe aber bestens auskennt, das ist Mathematik und das Erkennen von Zusammenhängen inmitten eines diffusen Durcheinanders, angesichts dessen allen anderen Ermittlern die Köpfe rauchen. Mit so einem Fall wurde Afflecks Figur schon 2016 betraut – damals musste er mit Buchhalter-Kollegin Anna Kendrick einer breit angelegten Veruntreuung auf die Schliche kommen. Dabei kam ihm sein eigen Fleisch und Blut in die Quere – der zum Profikiller ausgebildete Jon Bernthal. Dass sich letztlich beide zusammenraufen, um gemeinsam gegen das Unrecht vorzugehen, und zwar recht akkurat, hemdsärmelig und ohne Gewissensbisse – diese Tatsache bildet den Grundstein für eben erst im Kino erschienenen zweiten Teil – neun Jahre also nach dem nicht nur von Kritikern positiv abgenickten Original.

Diesmal mischt auch wieder J. K. Simmons als pensionierter Finanzpolizist mit, der in seiner Freizeit immer noch gerne ungelösten Fällen nachhängt. Sich dabei aber mit dem Verschwinden von Menschen zu befassen, kostet ihm letztlich das Leben, jedoch nicht ohne vorher eine Nachricht zu hinterlassen, die besagt, dass Nachfolgerin Marydith Medina (die wir auch aus dem Original kennen) unbedingt jenen Zahlenjongleur ausfindig machen soll, der damals John Lithgows großes Geheimnis gelüftet hat. Medina wird ihn finden, zum Glück zeigt sich dieser auch bereit, auf seine weltfremde und nüchterne Art der Sache nachzugehen. Als die Sache aber richtig brenzlig wird, kommt Jon Bernthal ins Spiel. Und mit ihm das Motiv der launigen Actionkomödie, welche die energetischen Dynamiken des Buddy-Films für sich und das ganze unterhaltende Publikum neu entdeckt.

Dabei ist The Accountant 2 kein Schenkelklopfer, der sich selbst parodiert. Über den Ernst der Lage in diesem Film macht sich keiner lustig. Stereotypen, sofern es welche gäbe, werden ebenfalls nicht durch den Kakao gezogen. Die Situationskomik entsteht dabei nicht dadurch, indem sie die Erzählform ins Lächerliche verzerrt, sondern den richtigen Moment erwischt. Das liegt vorallem auch an Jon Bernthals schnoddrige Scheiß Drauf-Attitüde, die der Mann so treffsicher im Schlaf beherrscht, dass Ben Affleck gar nicht mehr viel tun muss, um als autistischer Rationalist, der über den Schatten sozialer Unzulänglichkeiten springt, als idealer Konterpart zu funktionieren. Wie in einer verspäteten Screwball-Comedy werfen sich beide die Wortbälle zu, dass es eine Freude ist, wobei man selbst dann nicht darauf vergisst, warum es eigentlich geht und wohin die investigativen Recherchen letztlich führen sollen. Irgendwann gibt es dann auch Action, wie man sie schon oft gesehen hat – in diesem Kontext aber ist sie nur erfüllendes Beiwerk, während die kernige Tragikomödie zweier ungleicher Brüder die eigentliche Identität des Films darstellt. Gavin O’Connor gelingt ein überraschend sehenswerter kleiner Knüller, der Bewährtes vergnüglich auffrischt und im Vergleich zum Vorgänger mehr die Alltagstauglichkeit von zwei Actionhelden erprobt als die kriminalistische Analyse eines Sonderlings zu liefern.

Das weckt eine ungeahnte Dynamik, auch im Hinblick auf die im Hintergrund agierenden juvenilen Superhirne, die den waffen- und lichtschwertschwingenden Spezialisten ähnlich supporten wie jene, die Tom Cruise alias Ethan Hunt stets den Rücken freihalten. Da dieser bald sein Finale feiert, könnten Affleck und Bernthal gerne mit einer dritten Mission liebäugeln. Beide Charaktere sind etabliert, abgesteckt und in ihren USPs erfasst – Zeit für neue Abenteuer!

The Accountant 2 (2025)

La Cocina – Der Geschmack des Lebens (2024)

JEDER KOCHT FÜR SICH ALLEIN

5/10


© 2024 SquareOne Entertainment

LAND / JAHR: MEXIKO, USA 2024

REGIE: ALONSO RUIZPALACIOS

DREHBUCH: ALONSO RUIZPALACIOS, NACH DEM THEATERSTÜCK VON ARNOLD WESKER

CAST: RAÚL BRIONES CARMONA, ROONEY MARA, ANNA DIAZ, MOTELL FOSTER, OLED FEHR, LAURA GÓMEZ, JAMES WATERSTON, LEE SELLARS, EDUARDO OLMOS, SPENSER GRANESE, JOHN PYPER-FERGUSON U. A.

LÄNGE: 2 STD 19 MIN


Abgesehen davon, dass ich, wäre ich in New York, am Time Square wohl nicht meinen Lunch Break einnehmen würde, sind diese Läden doch im Zentrum der Stadt mit Sicherheit heillos überteuert: Ich würde wohl kaum einen – wie sagt man in unseren Kreisen so schön – Fresstempel wie diesen entern, um mir kulinarische Massenware einzuverleiben. Die Touristenfalle The Grill ist schließlich eine jener Örtlichkeiten, in denen Leute aus aller Welt ihren Zwischenstopp einlegen, um von Pommes über Schnitzel bis Hummer alles zu konsumieren, was die Küche hergibt. Und die scheint wie eine Vorhölle, die, wie man zu Beginn gleich wahrnimmt, nur wenigen Standards folgt, um eine gewisse Qualität zu gewährleisten. Nein, in The Grill würde ich nicht essen gehen wollen. Vielleicht liegt das auch daran, dass in La Cocina – Der Geschmack des Lebens alle Speisen, die man zu Gesicht bekommt, in desaturiertem Schwarzweiß erscheinen. Das regt so gar nicht den Gusto an. Und wenn dann noch während der Rush Hour, zu welcher im Sekundentakt die Bestellungen reinflattern, allerorts die überschäumenden Bierdosen geöffnet werden, sind die Hygienevorschriften dahin. So wie hier mag es vermutlich an vielen Orten öffentlicher Verpflegung zugehen, infolgedessen wünscht man sich, lieber unwissend zu bleiben als den Köchinnen und Köchen über die Schulter zu sehen.

In The Grill ist nicht nur Chaos Küche angesagt: Auch die Belegschaft ist eine, die Donald Trump wohl längst aus seinen Staaten komplimentiert hätte: Marokko, Dominika, Mexiko – die Küche ist ein Schmelztiegel der illegalen Immigration, aus aller Herren Länder suchen sie hier Arbeit, die sie mit ein klein wenig Küchen-Know-How meistern wollen. Einer dieser Illegalen ist Pedro, zentrale Figur des Films und kein Kind von Traurigkeit. Vorallem nicht, wenn es darum geht, anderen Kollegen auf die Nerven zu gehen. Pedros exaltierte, verrückte Art stiftet Chaos, noch dazu erwartet Kellnerin Julia (Rooney Mara) von dem Kerl ein Kind – was sie aber um nichts in der Welt bekommen will. Und als ob das noch nicht alles wäre: Obendrein wird Pedro verdächtigt, 800 Dollar aus den täglichen Einnahmen entwendet zu haben, um Julia die Abtreibung zu finanzieren. Man sieht: an diesem kalten Wintertag in einem gar nicht so intellektuell-elitären Manhattan, wie Woody Allen es sich vorstellt, kommt alles zusammen, potenzieren sich der Frust, die Hoffnung und die Enttäuschungen zu einer emotionalen Eruption, die alle Parameter einer funktionierenden Gesellschaft aushebeln.

The Kitchen heisst die theatralische Vorlage von Arnold Wesker, einem britischen Schriftsteller und Dramatiker. Spielfilm-Debütant Alonso Ruizpalacios packt in diese Verfilmung so gut wie alles, was Donald Trump sauer aufstößt. La Cocina – Der Geschmack des Lebens ist ein Anti-Küchen- und Anti-Gesellschaftsfilm für einen Autokraten wie ihn, es scheint fast, als würde sich dabei nicht nur der Frust des Antihelden entladen, sondern auch jener von Ruizpalacios. Dabei verliert dieser im Wulst seiner dramatischen Begebenheiten sowohl Richtung als auch Fokus, und sowieso schon gleich anfangs die Sympathie für eine Person, die nur danach bettelt, hochkant nicht nur aus der Küche, sondern auch aus den Staaten und überhaupt aus dem Film zu fliegen. Einen Gefallen tut Ruizpalacios den Migrantinnen und Migranten angesichts dieser enervierenden Färbung seiner Figuren beileibe nicht. Auch wenn sie von ihren Träumen erzählen, die entgegen aller Klischees ernüchternd genügsam ausfallen – Zeit, um den inneren Empfindungen des zahlreichen Ensembles nahezukommen, gibt es trotz der überlangen Laufzeit, die mitunter so durchhängt wie das geschundene Küchenpersonal, keine. La Cocina ist ein toxisch-sozialer Kriegsschauplatz, ein Winden und Drängen und Funktionieren. Trotz der warmen Herdplatten fehlt jedoch die menschliche Wärme, als wäre die Küche kalt und Ehrgeiz sowieso nichts wert. Wenn das Leben so schmeckt, will man es eigentlich nicht probieren.

La Cocina – Der Geschmack des Lebens (2024)

Ich Capitano (2023)

MOSES DER MIGRANTEN

6,5/10


ichcapitano© 2023 Greta De Lazzaris / X Verleih AG


ORIGINALTITEL: IO CAPITANO

LAND / JAHR: ITALIEN, BELGIEN 2023

REGIE: MATTEO GARRONE

DREHBUCH: MATTEO GARRONE, MASSIMO GAUDIOSO, MASSIMO CECCHERINI, ANDREA TAGILAFERRI

CAST: SEYDOU SARR, MOUSTAPHA FALL, ISSAKA SAWAGODO, HICHEM YACOUBI, DOODOU SAGNA, KHADY SY, VENUS GUEYE, CHEICK OUMAR DIAW, BAMAR KANE U. A.

LÄNGE: 2 STD 1 MIN


Willkommen im Flüchtlingszeitalter. Dabei gab es dieses Phänomen der Migration schon, seit es Menschen gibt, betrachte man nur die Umwälzungen während der Völkerwanderung. Heutzutage sind es wieder mal Kriege im Nahen und europäischen Osten, die dazu geführt haben, dass von Syrien bis in den Iran Menschen ihr Leben aufs Spiel setzen, um nach Europa zu gelangen. Die Rede ist von Flüchtlingen, die gar nicht anders können, als ihre eigene Haut retten zu müssen. Und dann gibt es jene, die weder verfolgt noch diskriminiert noch anderweitig bedroht werden, aber dennoch nicht hinnehmen wollen, in einem Land zu leben, das keinerlei Entwicklungsmöglichkeiten bietet. In Anbetracht dieser ernüchternden Umstände erscheint das nicht allzu ferne Europa als ein Land, in dem Milch und Honig fließen, als gelobter Boden, auf dem alles machbar scheint. Ganz egal, wer oder was Entwicklungsländern dieses Bild vermittelt – das Ideal eines paradiesischen Europas kann so nicht stimmen. Aufklärungsarbeit hinsichtlich dessen zu leisten, was Europa im Idealfall versprechen könnte und wieviel gleichzeitig auch nicht, könnte manchen Young Adult wie in Matteo Garrones Film vielleicht nochmal darüber reflektieren lassen, was im eigenen Land nicht vielleicht doch alles möglich wäre – und ob es die Reise ins Ungewisse wirklich lohnt, um dann, irgendwo weit weg von Heimat, Familie und allem Vertrauten, in einem Asylheim auszuharren, während der Traum von Reichtum und Ruhm zusehends verblasst.

Diese naive Vorstellung vom Leben in Saus und Braus als Star der Musikbranche treibt den 16jährigen Seydou dazu an, gemeinsam mit seinem Cousin Moussa die Hauptstadt des Senegal und somit auch die Familie zu verlassen, um ein besseres Leben zu beginnen. Dabei ist jenes in Afrika nun mal nicht das Schlechteste. Zugegeben, das Zuhause könnte ein Upgrade vertragen, beim Lebensstandard gäbe es Luft nach oben. Doch mit Ehrgeiz, Willenskraft und all dem Ersparten, dass Seydou und Moussa ohnehin zur Seite gelegt haben, könnte man es auch im Senegal zu etwas bringen, Beziehungen gäbe es genug. Den beiden ist das zu wenig. Europa ist das Ziel, und dafür würden alle Gefahren dieser Welt sie nicht aufhalten. So beginnt eine abenteuerliche Reise quer über die Nordhälfte des afrikanischen Kontinents – über Mali, den Niger bis nach Libyen und von dort sollte es per Flüchtlingsboot nach Italien gehen. Eine Entbehrung folgt der nächsten, der Marsch durch die Wüste wird zu einem Gewaltakt und eine Probe auf Leben und Tod. Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, werden Seydou und Moussa von libyschen Banditen überfallen, der eine kommt ins Gefängnis, der andere wird in die Sklaverei verkauft. Eine Prüfung folgt der nächsten, am Ende mag Seydou die Verantwortung tragen für ein Schiff voller Menschen. Ich Capitano wird der Teenager über die Köpfe seiner Schützlinge brüllen – er wird sich fühlen wie Moses, der eine Gefolgschaft ins gelobte Land führt.

Matteo Garrones entbehrungsreiches, üppig bebildertes Roadmovie war dieses Jahr für den Oscar als bester fremdsprachiger Film nominiert. Eine Auszeichnung, die gerechtfertigt ist? Es kommt darauf an, zu welchen Gedankengängen das Werk inspiriert.

Garrone ist einer, der in seinen Werken stets in sattem Naturalismus schwelgt, der nicht selten in rauer Gewalttätigkeit mündet. Seine Macht-Parabel Dogman ist schwere Kost, alternativ dazu gelingt ihn mit seinen düster-vernebelten Interpretationen barocker italienischer Märchen (Das Märchen der Märchen) und Collodis Volksklassiker Pinocchio eine Abkehr von schmeichelnder Lieblichkeit hin zu einem blutig-bizarren Maskenball. Ich Capitano zögert an manchen Stellen auch nicht, deftig auszuteilen, was insbesondere die Darstellung der libyschen Gefangenschaft betrifft. Darüber hinaus aber könnte man Garrones Direktheit fast schon vermissen. Die Reise seines alttestamentarischen Auserwählten überwindet zwar allerhand Hürden, doch die helfende Hand von etwas übergeordnet Schamanistischem scheint den jungen Seydou voranzuschubsen. Knallharter Kinorealismus sucht man vergeblich, auch wenn sich alles und zumindest visuell so anfühlt, als wäre es das. Ich Capitano ist immer noch entrückt magisch, wie eine leicht verschobene, beinharte Realität, und es ist nie klar zu sagen, ob die metaphysischen Elemente des Films Garrones Universum tatsächlich durchdringen oder nur Träumereien sind.

Letztlich ist es kaum zu glauben, dass diese Odyssee wirklich gelingt. Als zu simpel stellt der Film manches dar, der Hang zur Romantisierung ist unverkennbar. Was aber nicht heisst, dass Ich Capitano nicht weiß, wie er sein Publikum packt. Die Fahrt übers Meer gestaltet sich als kakophonisches Chaos aus darbenden Menschen, denen Seydou den Segen bringt. So etwas in Szene zu setzen bedarf Können, und Garrone sind dahinsichtlich meisterhafte Momente wohlwollenden Pathos gelungen, der sich dadurch in Zaum hält, das Schicksal einer Eroberung Europas nicht auszuerzählen.

Ich Capitano (2023)

Die andere Seite der Hoffnung

DER LIEBE AUGUSTIN DES MIGRATIONSZEITALTERS

7/10

 

andereseitehoffnung© 2017 Pandora Film GmbH & Co. Verleih KG

 

LAND: FINNLAND 2017

REGIE: AKI KAURISMÄKI

MIT KATI OUTINEN, VILLE VIRTANEN, TOMMI KORPELA, MATTI ONNISMAA, SHERWAN HAJI U. A.

 

Und wieder einmal ist da einer so ziemlich abgebrannt in Helsinki. Aber nicht, weil dieser Jemand aus Finnland raus will, um mit einem Schiff namens Ariel nach Mexiko auszuwandern. Diesmal will dieser Jemand hinein nach Finnland und in Helsinki neu anfangen. Abgebrannt sind sie beide. Und der eine ist noch dazu anfangs ziemlich schwarz um die Nase. Klarer Fall von Menschenschmuggel. Genauer gesagt hat sich der Syrer Khaled in einem Kohlefrachter selbst nach Finnland manövriert. Eigentlich wollte er das gar nicht. Und seine Schwester, mit der ihm die Flucht aus Syrien gelungen war, ist auch vom Radar verschwunden. Also ein ziemlich düsterer Status Quo. Allerdings längst nicht so düster als würde man in Aleppo bleiben und sich die Bomben auf den Kopf fallen lassen.

Wie sich ein finnischer Filmemacher der Sache mit den Flüchtlingen stellt, zeigt Kultregisseur Aki Kaurismäki mit Die andere Seite der Hoffnung nun schon ein zweites Mal. Mit Le Havre hatte der Meister des lakonischen Humors ein künstlerisch hochwertiges Glanzstück hingelegt, ein berührendes Märchen rund um Integration und die Idee eines besseren Lebens. Ganz so versöhnlich geht es in der thematisch verwandten Ergänzung dieses hochkomplexen Themas längst nicht mehr zu. Die Welt, in der sich nicht nur Khaled, sondern auch der Hemdenverkäufer Waldemar orientieren muss, ist eine zugegeben ziemlich triste. So trist, als befänden wir uns in einem dieser alptraumhaften Tableaus eines Roy Andersson. Dieser Ausnahmeschwede ist vermutlich nur hartgesottenen Filmkunstgenießer ein Begriff. Seine Werke sind bühnenhafte Arrangements, die bis ins kleinste Detail komponiert und einer beklemmenden, höchst artifiziellen Isolation unterworfen sind. Themen wie Fremdenhass, Katholizismus, Macht und Existenz sind nur einige der vielen Fragen, die Andersson dem Zuschauer stellt. Aki Kaurismäki gesellt sich in seinem Anti-Hoffnungsschimmer auf ähnliche Weise dazu. Sein an Ort und Stelle verharrendes Panoptikum verlorener, aber niemals mutloser Gestalten, die erstmal keinerlei Ausweg aus ihrer kleinen Existenz finden können, begegnen dem Schicksal mit sturer Phlegmatik. Es ist das Recht auf Wohlstand, dass sowohl der Einwanderer als auch der alteingesessene Lokalheld einfordern. Beide stehen in ihrer registrierten Identität wieder am Anfang, begegnen sich zu Beginn des Filmes rein zufällig, um sich für sagen wir mal zwei Drittel der Geschichte wieder aus den Augen zu verlieren. Lange fragt man sich, was beide Episoden wohl miteinander zu tun haben sollen. Doch wie es bei Kaurismäki meist der Fall ist, fügt das finnische, dem Schicksal trotzende Schicksal Welten zusammen, die sich auf den ersten Blick nichts zu sagen haben – auf den zweiten Blick aber viel voneinander profitieren können. Wäre da nicht das latent bedrohliche Gespenst des Nationalismus in Europa, das gerne die Hoffnung auf ein genügsames Leben ersticken will.

Natürlich lässt sich die Flüchtlingskrise, das Migrationschaos und die Angst vor Terror und des Fremden nicht so einfach und mit solch boulevardesker Naivität über den Kamm scheren. Dazu neigt Kaurismäki – seine Geschichten sind simpel, aber nicht verhöhnend simpel. Seine Figuren scheinen in ihrem neorealistischen Dasein nicht viel zu sagen zu haben. Aber vielleicht ist das endlich mal der Ausweg aus einem Dilemma des Zerdachten, dem der Finne sich längste Zeit zugeneigt fühlt. Vielleicht ist das pragmatische Herankommenlassen unvermeidlicher Ereignisse, die Vorort-Lösung kleinerer Probleme, die letzten Endes imstande sind, das große Ganze zu ändern, wirklich die allerbeste Methode, dem europäischen Schlamassel zu entkommen. Diese heruntergekommene, völlig uneinladende Gaststätte im Film ist wie das Europa der Gegenwart. Die liebevoll ausgestattete Grunge-Bühne des versifften Pseudo-Gorumetlokals ist Schauplatz zufällig scheinender Konsequenzen, ein Labor des Probierens einer Zukunft, die niemals festgeschrieben steht. Und die auch neue Gesetze des Zusammenlebens in völliger Autarkie zusammendichten kann. Es ist so eine befreiend zurückgenommene Einfachheit, die Die andere Seite der Hoffnung motivierend belächelt. Wie in den gemalten Bildern eines kaum erstrebenswerten Glücks sitzen Kaurismäkis bewährte Protagonisten einem Maler Modell, der filmt statt zu pinseln. Seltsam arrangiert wirkt das Ganze, hölzern, wächsern und künstlich beleuchtet. Der  Stil des Finnen ist unverkennbar, Und treibt auch hier wieder ausufernde Blüten. Und dann, wenn alles schief zu gehen scheint, werden die Pechvögel für ihre Aufmüpfigkeit belohnt – so sehr sie auch bluten müssen. Einen Kaurismäki sieht man immer wieder gerne. Zwar nicht dauernd, aber in gesunden Abständen tut das richtig gut. Vor allem, weil Kaurismäki so befremdend anders seine Geschichten erzählt. Und dort nichts vortäuscht, wo anderswo dick aufgetragen wird. Ein Kino der Gestrandeten und Improvisateure – ermutigend, ironisch und von zäher Natur.

Die andere Seite der Hoffnung