Emilia Pérez (2024)

GEISTER EINES ANDEREN LEBENS

7/10


emiliaperez© 2024 Viennale


LAND / JAHR: FRANKREICH 2024

REGIE: JACQUES AUDIARD

DREHBUCH: JACQUES AUDIARD, THOMAS BIDEGAIN

CAST: KARLA SOFÍA GASCÓN, ZOE SALDAÑA, SELENA GOMEZ, ADRIANA PAZ, ÉDGAR RAMIREZ, EDUARDO ALADRO U. A.

LÄNGE: 2 STD 10 MIN


Was tut man nicht alles für seine Leidenschaft, in diesem Fall für jene für den Film: Tagwache 5 Uhr morgens. Kaffee, Zähneputzen und ab ins Kino, wo im Rahmen der Viennale um herrgottsfrühe Uhrzeit und auf weitestgehend nüchternem Magen Jacques Audiards neuer Geniestreich als Frühstücksersatz einem vollem Gartenbaukino vor den Latz geknallt wurde. Um nochmal die Analogie morgendlicher Nahrungszufuhr zu bedienen: Emilia Pérez darf sich gerne als Tische biegendes Buffet begreifen, es ist alles Mögliche dabei, von süß bis salzig, von scharf bis bitter. Dieser Film, der bei den diesjährigen Festspielen von Cannes vor allem bei den Darstellerinnenpreisen so richtig abräumen konnte, schenkt dem Kino wieder mal komprimierte Vielfalt. Noch dazu im dekorativen Gewand eines Musicals, wobei hier gesagt sei, dass ich als Muffel für diese Kunstform sehr wohl davon wusste und dennoch zum Ticket griff. Andererseits: auch wenn Gesangseinlagen den eigentlich ernstzunehmenden Erzählfluss verlassen, um den Show-Faktor zu pushen: Emilia Pérez ist aus meiner Sicht dennoch nichts, was man auslässt. Es kann gut sein, dass nächstes Jahr zu den Oscars neben Anora auch dieser Film ganz groß mitmischen wird, alleine schon wegen namensgebender Protagonistin, die sich zu Beginn des Films erstens mal ganz anders nennt und da noch längst nicht jene Person verkörpert, von welcher ein fieser Finsterling lange Zeit geträumt zu haben scheint.

Mit diesem gewalttätigen Oberhaupt eines mexikanischen Drogenkartells ist kein bisschen zu spaßen, da muss eine wie Zoe Saldaña gar nicht genau wissen, was dieser einschüchternde Zampano alles auf dem Kerbholz hat – da reicht sein Anblick, so verkommen, verwegen und finster wirkt dieses Konterfei, welches Anwältin Rita Castro aus der Reserve lockt. Juan del Monte, kurz genannt Manitas, lässt seinem Gegenüber kaum eine andere Wahl als dieses Angebot, das sowieso niemand ausschlagen kann, anzunehmen. Doch dabei geht es weniger darum, Konten zu frisieren oder die Justiz zu manipulieren, sondern um etwas ganz ganz anders, viel Höheres und pikant Persönliches: Dieser Manitas steckt im falschen Körper. Nichts sehnlicher wünscht er sich, als eine Frau zu sein. Castro soll alles dafür Notwendige in die Wege leiten. Der Coup scheint aufzugehen, die Anwältin badet im Geld, der Drogenboss wird zur dunklen Vergangenheit, während wie aus dem Nichts Emilia Pérez ganz plötzlich die Bühne betritt. Jahre später nach der Umwandlung will die Transsexuelle nur eines: Ihre Familie zurück.

Das klingt alles sehr nach einem Stoff, der aus dem Gedankengut eines Pedro Almodóvar hätte sprießen können und Assoziationen weckt zu seinem 1999 entstandenen Meisterwerk Alles über meine Mutter. Es wäre aber nicht Audiard, würde sich das queere Schauspielkino, was es im Kern sein will, nicht auch stilistische Anleihen aus dem lateinamerikanischen Melodrama mit denen des geerdeten Mafiathrillers verschränken. Die Wucht der Leidenschaft und des Herzschmerzes hält dann alle diese Komponenten zusammen, ihre expressiven Spitzen ereifert sich das Werk durch jene Gesangsnummern, die Zoe Saldaña oder Selena Gomez zum Besten geben. Hätte Emilia Pérez auch ohne den Faktor Musical funktioniert? Vielleicht wäre der Film dadurch beliebiger geworden, vielleicht gar weniger eigenständig, doch so genau lässt sich diese dramaturgische Alternative gar nicht durchdenken. Zu sehr mag man von Karla Sofía Gascón hingerissen sein, dieser einnehmenden Trans-Schauspielerin, die dank langjähriger Fernseherfahrung ihrem ersten Kinofilm diese melodramatischen Vibes verleiht, die Emilia Pérez womöglich auch ohne Gesangsnummern so eigenständig werden lässt. Dabei gehen vorallem die späteren Tracks so richtig ins Ohr, gerade der mehrstimmige musikalische Epilog bleibt noch lange Zeit haften.

Jacques Audiard ist ein temperamentvolles Gesamtkunstwerk gelungen, das Schicksal schlägt dabei gnadenlos zu, die Weisheit belehrt uns am Ende mit ernüchternden Tatsachen. Eine zweite Chance, Reue, Wiedergutmachung – ein neues Ich ohne das Alte scheint in Emilia Pérez undenkbar. Das Vergangene ist die Basis des Neuen, ein Schlussstrich kaum zu ziehen, es sei denn, es ist der Tod. Als Mensch bleibt Emilia Pérez, sowohl als Mann oder als Frau, letztlich derselbe. Der Charakter, die Seele, sie lässt sich nicht neu erfinden.

Emilia Pérez (2024)

Hotel Transsilvanien 4 – Eine Monster Verwandlung

WENN DRACULA INS SCHWITZEN KOMMT

7/10


hoteltranssilvanien4© 2021 CTMG, Inc. All Rights Reserved. 


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: DEREK DRYMON, JENNIFER KLUSKA

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): BRIAN HULL, KATHRYN HAHN, ANDY SAMBERG, SELENA GOMEZ, STEVE BUSCEMI, DAVID SPADE, FRAN DRESCHER U. A.

MIT DEN STIMMEN VON (DEUTSCH): RICK KAVANIAN, ANKE ENGELKE U. A.

LÄNGE: 1 STD 38 MIN


Wer das Hotel Transsilvanien schon mal besucht hat, weiß, dass die gemächliche Verschrobenheit einer Addams Family oder jener der Munsters in ganz anderen Welten zu finden ist. Hier, im knallbunten Monsterverse der Sony Pictures, exponieren sich Vampire, Mumien und Co wie auf einem Schaulaufen vor VIP-trächtigen Festivals. Das Umsichkreisen sämtlicher Kreaturen aus Horror, Grusel und Fantasy findet in diesen stattlichen Gemäuern seine knallbunte Erfüllung. Manch einer übertreibt dann etwas mit seiner Selbstmotivation, auf jedem Stelldichein seinen Senf dazugeben zu müssen – allen voran Hotelbesitzer Dracula, kurz Draco, der langsam darüber nachdenkt, in Rente zu gehen. Wie denn? Ein Vampir altert doch nicht. Oder doch? Hier scheint alles möglich, und in gewohnter Manier dehnt und verrenkt sich Draculas Cartoon-Körper in eckigem Stakkato zu allen möglichen Fettnäpfchen, in die er tritt. Schwiegersohn in spe, Bürschchen Johnny, ist da noch mehr auf Speed. Wer das aushält, kann darüber hinwegsehen, doch bei so vielen Energydrinks, die der Bursche da intus haben muss, hat man das Gefühl, langsam selbst einem Zuckerschock zu erliegen.

Die beiden ungleichen Helden dieses schreiend komischen Sequels führen dann auch ungeniert das knuffige Abenteuer an, welches sie quer durch den südamerikanischen Regenwald führt. Doch wie kommt’s dazu? Ganz einfach. Wie schon erwähnt – Papa Draco will den Hotelschlüssel an Töchterchen Mavis übergeben, allerdings nicht ihrem Freund, diesem Knallkopp. Um dem Dilemma zu entgehen, erfindet der Graf die Lüge, dass nur Monster Monster beerben können. Der Rotschopf ist verzweifelt und wendet sich an den Steampunk-Opa Van Helsing, den Daniel Düsentrieb des Hauses, der natürlich ein Instrument auf Lager hat, welches Monstern zu Menschen macht. Klar geht das auch umgekehrt. Jonathan ist plötzlich ein Drache, und Dracula ein Biedermann mittleren Alters mit schütterem Haar. Alles rückgängig zu machen geht auch nicht, denn das Artefakt geht kaputt, und so müssen die beiden einen Ersatz finden. Und der liegt im Dschungel.

Und genau da bündelt der launige Animationsstreifen auch all seine Stärken: Wie der temporäre Ex-Vampir unter dem Menschsein leidet, wie er sich durch die Tropen quält und dabei der Endlichkeit des Lebens auf den Zahn fühlt. Wie er in rumänischem Akzent zetert und jammert, begraben unter einem Berg von Rucksack – das ist Situationskomik vom Feinsten. Für mich zumindest zum Brüllen. Egal, wie gut, originell oder dicht der Plot auch sein mag. Egal, wie vorhersehbar – was zählt, ist in Filmen wie diesen der Humor des Moments. Komödie ist kein leicht zu meisterndes Genre. Lacher zu entlocken noch weniger einfach. Umso erstaunlicher, dass Hotel Transsilvanien 4 – Eine Monster Verwandlung seinen zwerchfellkitzelnden Charakterschmäh aus einem angenehm unverkrampften Witzepool lukriert.

Hotel Transsilvanien 4 – Eine Monster Verwandlung

A Rainy Day in New York

BIG APPLE PASSIERT EINFACH

7,5/10

 

rainydaynewyork© 2018 Polyfilm Verleih

 

LAND: USA 2018

REGIE: WOODY ALLEN

CAST: THIMOTÉE CHALAMET, ELLE FANNING, LIEV SCHREIBER, SELENA GOMEZ, JUDE LAW, KELLY ROHRBACH, REBECCA HALL, DIEGO LUNA U. A.

 

Woody Allens neuester Film hätte schon längst in die Kino kommen sollen. Keine Ahnung was den Starttermin verzögert hat – womöglich der schon seit Langem geäußerte Verdacht des sexuellen Missbrauchs, welchem sich der Regisseur seit der Verehelichung mit seiner Adoptivtochter niemals so richtig erwehren hat können. Was natürlich die in vielen journalistischen Medien und auf Social Media aktuell geführte Entscheidungsfrage ebenfalls aufgreift, ob man das Werk eines Künstlers von seiner Biografie trennen kann oder nicht. Caravaggio wird da als Extrembeispiel oftmals ins Feld geführt – der war ein Mörder, und dennoch bewundern viele, wenn nicht alle seine Bilder. Zu den Filmemachern non grata zählen natürlich auch Roman Polanski, dessen Filme ich aber sehr schätze. So wie Allens Filme. Seltsam, diese Ambivalenz. Was soll man tun? Nun, ich bin erstmal ins Kino gegangen und habe mir A Rainy Day in New York angesehen. Weil ich mich, müsste ich eine Entscheidung treffen, nur nach den Medien richten kann. Und wir wissen, wie Medien funktionieren. Den Mensch Woody Allen kenne ich jedenfalls nicht, aber was ich kenne, ist das, was er von sich erzählen möchte, und das steckt in seinen Werken. Was darin ebenfalls stets konsistent bleibt, das sind die selbstreflektierenden Alter Egos, die Moderatoren seiner Geschichten. Und manchmal ist es sogar nicht mal nur einer, der so agiert, denkt und spricht wie Woody Allen. Manchmal sind es gar mehrere. So wie in diesem Film hier. Hier steht der gerade sehr angesagte Schauspieler Thimotée Chalamet im Regen und lässt sich durch ein New York scheinbar vergangener Tage treiben. Aber nicht nur Chalamet ist Woody Allen, auch der völlig konsternierte Jude Law als unruhiger Drehbuchautor macht einen auf Allen, und dann gibt es noch einen anderen, auch einen Regisseur, der einen Studentenfilm dreht mit Null Budget, der trägt Brille und Haar wie der Meister selbst. Ein Vexierspiel ist sein neuester Film geworden, eine Suche nach Easter Eggs quer durch ein Manhattan, in dem man die resolute Diane Keaton vermuten würde, in Glockenhosen und mit Stirnfransen.

Stattdessen gerät Jung-Journalistin Elle Fanning in den Schluckauf-Modus, nachdem ihre Odyssee durch den künstlerischen Jahrmarkt der Eitelkeiten beim selbstzweifelnden Filmemacher Liev Schreiber ihren Anfang – und daraufhin scheinbar kein Ende nimmt. Woody Allen macht es richtig, er sondiert die aktuellen Casting-Trends und holt sich die angesagtesten Schauspieler an sein Set. Die lassen sich nicht zweimal bitten, denn mit und für Allen zu drehen ist mittlerweile ein Statussymbol, ein Privileg, das machen diese Künstler alle sehr gern. Wichtig sind Allen auch seine jungen Damen, die er inszeniert. Neben Elle Fanning ist es die zumindest wirklich blutjung aussehende Selena Gomez, die Thimothée Chalamet den Kopf verdrehen darf. In einem New York, das sich durch die ungestüme Liebeserklärung Woody Allens für seine Heimatstadt gar nicht wirklich bedrängt fühlt, nein, sondern dieses Heranwerfen des Anekdotenklopfers mit verklärenden Stimmungen pariert, wie beispielsweise romantischem Regen, rustikalen Gassen, feudalen Hotels und sinnend geklimperter Barmusik. Da kommen natürlich sämtliche Versatzstücke aus Allens Schaffen zusammen, und vor allem in den Szenen konfuser Beziehungs-Stati leben die Bonmots aus Zeiten des Stadtneurotikers wieder auf. Sicher, A Rainy Day in New York ist kein auf Zug inszeniertes Drama mit Knalleffekt – Filme wie Match Point lassen sich schwer wiederholen.

A Rainy Day in New York mäandert durch die geliebte Stadt mit einer gewissen Ziellosigkeit und Sinn für Plaudereien, allerdings aber mit der Bereitschaft, die Gelegenheit, die dieses urbane Paradies bietet, beim Schopf zu packen. Das unterhält prächtig, und jeder des Ensembles findet zielsicher in seine Rolle, mag sie auch noch so klein sein. Den schrägen Vogel schießt aber mit Abstand Elle Fanning ab – als so quirlige wie begeisterungsfähige und von anderen manipulierbare Studentin, die Alkohol sehr schlecht verträgt, hat sie die meisten Lacher, wenn nicht alle, mit Leichtigkeit auf ihrer Seite. Und es tut gut, den Tag in New York zu verbringen, dessen Charme sich erstaunlich greifbar auch auf Nicht-Kenner der Metropole überträgt. So, als wäre man wirklich für einen Augenblick dort gewesen, im „Paris“ der neuen Welt.

A Rainy Day in New York

The Dead Don´t Die

NUR NICHT DEN KOPF VERLIEREN

6/10

 

THE DEAD DON'T DIE© 2019 Image Eleven Productions, Inc.

 

LAND: UDA 2019

REGIE: JIM JARMUSCH

CAST: BILL MURRAY, ADAM DRIVER, CHLOË SEVIGNY, STEVE BUSCEMI, SELENA GOMEZ, DANNY GLOVER, TILDA SWINTON, TOM WAITS, IGGY POP U. A.

 

Schon mal was von Sturgill Simpson gehört? Ein Singer und Songwriter relativ späten Baujahres, vorwiegend Country. Gut, das ist ein Genre, mit dem muss man etwas anfangen können. Das muss man wollen, dieses schmerzliche Romantisieren, dieses intonierte Fernweh an Orte ohne Wiederkehr. Das ist ein bisschen wie das Wienerlied, nur amerikanisch. Sturgill Simpson, der klingt, als wäre er ein Zeitgenosse von Johnny Cash gewesen – ist er aber nicht. Der Musiker aus Kentucky, der könnte mit Jim Jarmuschs neuen Film aus eng gezogenen Kennerkreisen zu höherer Bekanntheit aufsteigen – mit seinem Song The Dead Don´t Die. Mit diesen saitenbewegenden Klängen, und mit bunter Retro-Typo vor schwarzem Hintergrund, damit betritt Amerikas kultigster Autorenfilmer abermals ein Terrain, auf dem er sich bereits 2013 erstaunlich gut zuerechtfand. Aufgrund dieser Trittsicherheit macht sich nun nochmal weihnachtliche Vorfreude breit, in Erwartung, etwas ähnlich neu Intepretiertes vorgelegt zu bekommen. Dieses Terrain, das ist jene des mythenbesetzten Grusels, bevölkert von den Kindern der Nacht, den Untoten. In Only Lovers Left Alive durften Tilda Swinton und Tom Hiddleston im Cure-Look die schlechten Zeiten für Vampire beklagen. Traumverloren und scheinbar nicht von dieser Welt, völlig deplaziert in einer Gesellschaft, die des Tages lange Stunden nutzt und mit Ewigkeit nichts anfangen kann. Eine Filmballade, die Jarmusch daraus gemacht hat, durchaus selbstironisch und durchdrungen von einem erlesen sortierten Soundtrack, der das Ensemble erst so richtig in der Schwebe hielt, der das Szenario im Zwielicht den nötigen psychedelischen Drive mit auf dem Weg in die Finsternis mitgegeben hat.

Jim Jarmuschs Filme sind ohne ihre groovigen Sampler völlig undenkbar. Man nehme nur Broken Flowers. Da sucht Bill Murray die Mutter seines Sohnes. Wenn The Greenhornes den Song There is an End über die Szene schmettert, während Murray, längst kein oberflächlicher Spaßvogel mehr, mit einem Strauß Blumen in der Hand völlig orientierungslos in der Landschaft steht, dann ist das im Ganzen lakonisches Kino vom Feinsten, für Aug und Ohr gleichermaßen. Ähnlich verläuft es mit seinem neuen Streifen, der wieder mal die Skills der Untoten zelebriert, sich diesmal aber deutlich mehr schmutzig macht, mit Friedhofserde unter den Fingernägeln. Die Zombies brechen aus, und sie tun es endlich wieder wie zu Zeiten von Michael Jackson, als das Video zum Disco-Meilenstein Thriller die Ghule aus den Gräbern geholt hat. Von dort sollen sie auch kommen, meiner Meinung nach. Das sind wiedermal Zombies, die sich ihren ursprünglichen Pflichten besinnen, nämlich als Tote wieder aufzuerstehen, und nicht durch einen fragwürdigen, x-beliebigen Virus erst zu solche gemacht zu werden. In The Dead Don´t Die überfallen sie allesamt eine Kleinstadt namens Centerville, fressen natürlich auch Menschenfleisch, zeigen aber deutlich mehr Vorliebe für die Dinge, die sie Zeit ihres Lebens verehrt haben. Kaffee zum Beispiel, Smartphones oder Süßes, vor allem bei Zombie-Kindern. Das ist ein erfrischend origineller Ansatz, der sein Potenzial aber leider nicht allzu bewusst ausspielt.

Die hirnlose Sucht nach Dingen und Gewohnheiten, nach Konsum und sozialen Mustern hat John Carpenter damals bei Sie leben viel präziser kritisiert. Dass das Zombie-Genre gerne als gesellschaftskritischer Zerrspiegel angesehen wird, kann man so annehmen, oder aber auch nicht. Dafür sind die mit der Tür ins Haus fallende Bedrohung und die Gier nach Blut vorwiegend zu plakativ und effektorientiert, um eine tiefsinnigere Metaebene deutlich auszumachen. Ausnahmen gibt es natürlich genug, allen voran sicherlich auch George A. Romeros Klassiker in Schwarzweiß – The Night of the Living Dead. Obwohl ich den Film nicht kenne, könnte es gut sein, dass Jarmusch den Horrorstreifen bewusst und von Herzen zitiert hat. Die Szenen einer Welt wie wir sie kennen, in der latent und undefinierbar Bedrohliches aufkommt, die Ruhe vor einem unausweichlichen Sturm, erinnern an Twin Peaks, haben aber einen ganz anderen Rhythmus. Einen, den Jim Jarmusch stets zelebriert – die Langsamkeit, das Entschleunigte. Unterlegt mit den bedrohlich-melodischen Klängen der Postrock-Band Mogwai, ebenfalls in genüsslich zurückgeschraubtem Tempo, entfaltet der eigenwillige Künstler durch eben diesen rätselhaften Chill einen fast schon zeitlosen, beklemmenden Ist-Zustand, wie die windstille Schwüle vor einem Gewitter. Mittendrin ein Cast, der wahrlich ungern Macheten und Katanas schwingt, um die faulenden Rüben der Untoten zu kappen, auf lakonische Komik der Rat- und Kopflosigkeit ausweicht, und der wohl gerne zugibt, mit dieser Art Endzeit nichts mehr anstellen zu können.

The Dead Don´t Die ist längst nicht so parodierend wie Shaun of the Dead zum Beispiel, auch nicht so abenteuerlich wie Zombieland oder so hitzig wie Train to Busan. Jarmuschs Antwort auf den Zombie-Hype ist kein innovativer, aber bewusst träger Zitatenschatz, in versonnenen Alltagsfloskeln verloren und voller verpeilter Sprüche, die dem Unausweichlichen höhnen. Da stellt Jarmusch die richtigen Figuren auf, lässt sie scheinbar unentwegt Sturgill Simpson hören und in aus schierer Überforderung entsprungenem Stoizismus eins und eins zusammenzählen. Das wiederum geht sehr langsam. Aber langsam ist hier gut, fast wie neu entdeckt.

The Dead Don´t Die