Wolfs (2024)

NACHTSCHICHT FÜR SCHÖNLINGE

3,5/10


Wolfs© 2024 Apple TV+


LAND / JAHR: USA, VEREINIGTES KÖNIGREICH 2024

REGIE / DREHBUCH: JON WATTS

CAST: GEORGE CLOONEY, BRAD PITT, AUSTIN ABRAMS, AMY RYAN, POORNA JAGANNATHAN, ZLATKO BURIĆ, RICHARD KIND U. A.

LÄNGE: 1 STD 48 MIN


„Was ein Mann schöner is wie ein Aff‘, is ein Luxus.“, meinte einst Tante Jolesch. Folgt man dieser Weisheit, ist der Luxus in vorliegendem Film fast schon obszön. Denn was sind die beiden nicht für schöne Männer? George Clooney und Brad Pitt sind eine Augenweide, wohl die größten Augenweiden seit Sean Connery, der ja unangefochten und bis ins hohe Alter als der Sexiest Elder Man Alive gelten konnte. Jetzt rücken diese beiden Superstars nach, und sie sehen besser aus als je zuvor. Brad Pitt mit sechzig, Clooney mit dreiundsechzig Lenzen, und beide benötigen dringend einen Espresso, am liebsten aus dem Hause eines gewissen Schweizer Lebensmittelkonzerns. Wider Erwarten aber interessiert Kaffee hier niemanden die Bohne, obwohl sich Clooney und Pitt die ganze Nacht um die Ohren schlagen, anstatt irgendwo weitab lästiger Unbequemlichkeiten ihren Charme zu pflegen. Wolfs nennt sich die lederjackige, nokturne Krimikomödie, inszeniert von Spiderman-Reboot-Profi Jon Watts und dank eines kraftlosen Skripts entsprechend kraftlos in Szene gesetzt.

Ja, das kommt jetzt ein bisschen plötzlich. Gerade noch ergötze ich mich an der maskulinen Eleganz zweier Kino- und Werbelegenden, und dennoch reicht dieses Charisma im Doppelpack nicht aus, um mit Wolfs einen den Schauspielern adäquaten Kraftakt zu absolvieren. Wir sehen: Schönheit und Bekanntheit allein reichen nicht, um frappante Mängel eines Films zu kompensieren. Da wirken beide wohl eher verloren als gefordert, eher antriebslos als vom Sog einer schicksalsträchtigen Nacht mitgerissen. Vielleicht hätte man das Problem, mit welchem dieser Film hadern muss, vorab vermuten können: Die siegessichere Prämisse, dass Stars bereits die halbe Miete sind; die gemähte Wiese; der mächtige Brocken auf der Habenseite. Was soll da schon schiefgehen?

Zu Beginn des Films schon mal einiges, aber das ist wohl inhaltlicher Natur. In einem Hotelzimmer muss die New Yorker Staatsanwältin Margaret (Amy Ryan) erschrocken feststellen, dass ihr „Mann für gewisse Stunden“ aufgrund einer Überdosis Drogen plötzlich das Zeitliche gesegnet hat. Da liegt er nun, zwischen den Scherben eines Beistelltisches. Was also tun? Die völlig verstörte Dame klingelt bei George Clooney, der als gewiefter und akkurater Problemlöser dann auch vor Ort aufschlägt und sich an die Arbeit macht. Das alles wäre ein Routinejob, würde nicht auch noch Brad Pitt mit hoteleigenem Schlüssel ins Zimmer schneien. Obwohl der eine den anderen gerne hinauskomplimentieren möchte, müssen beide letzten Endes wohl zusammenarbeiten, um auch die Tasche voller Koksziegel wieder an den Absender zu bringen, um Komplikationen zu vermeiden, die das Hotelmanagement nicht haben will. Womit beide wohl nicht rechnen: Der tote Gigolo ist vielleicht gar doch nicht so tot wie angenommen. Für den Rest des Abends gibt’s für Zusatzjobs wohl kein Zeitfenster mehr.

Gentlemen wie Clooney und Pitt können noch so tun, als würden sie sich nicht ausstehen können – ihr ewiger Hickhack, der sich anfühlt, als würden sich Spencer Tracy und Katherine Hepburn necken, obwohl sie sich lieben, fällt viel zu zahnlos aus, um daraus einen privaten Konflikt zu entwickeln, der vielleicht diesen fadenscheinigen Plot gerettet hätte. Viel tut sich nicht in dieser einen Nacht, und ob nun heiße Ware ihren Besitzer findet oder nicht, tangiert nicht im Geringsten. Als Thriller, der sich mit einer Konkurrenz von hunderterlei ähnlichen Filmen messen muss, versagt die seichte Angelegenheit völlig. Ob Kroaten, Albaner oder sonst wer, die hinter dem Stoff und vielleicht auch hinter Clooney und Pitt her sind – sie alle sind verschenkte Stereotypen.

Wer die beiden feschen Superstars, die sich kaum anstrengen und genau wissen, was ihre Ausstrahlung hergibt, mehr oder weniger an die Wand spielt, ist Austin Abrams (u. a. Scary Stories to Tell in the Dark) als von seinem Drogentrip Genesender, der erst langsam, aber doch, die Gefahr wittert, in der er sich befindet. Für so einen Film aber zwei Idole zu verschleudern, die sichtlich unterfordert nur darauf warten, am Ende der Nacht dann doch noch ihren Espresso zu genießen, ist verlorene Liebesmüh.

Wolfs (2024)

Beau Is Afraid (2023)

DIE FURCHT VOR DER ÜBER-MUTTER

4/10


beauisafraid© 2023 Leonine


LAND / JAHR: USA, KANADA 2023

REGIE / DREHBUCH: ARI ASTER

CAST: JOAQUIN PHOENIX, NATHAN LANE, AMY RYAN, PARKER POSEY, ARMEN NAHAPETIAN, RICHARD KING, PATTI LUPONE, DENIS MÉNOCHET, KYLIE ROGERS, MICHAEL GANDOLFINI, THÉODORE PELLERIN U. A.

LÄNGE: 2 STD 59 MIN


Ich fühl‘ mich gut, ich fühl mich toll, ich fühl mich wundervoll. Wer sich noch erinnern kann: Mit diesem Mantra hat sich Bill Murray allmorgendlich auf den kommenden Tag vorbereitet – so gesehen in der genialen Komödie Was ist mit Bob. Er gab dort einen von Angstzuständen zerfressenen Neurotiker, der sich letzten Endes an seinen Therapeuten hängt, obwohl sich dieser im Urlaub wähnt. Diese verzagte Schreckhaftigkeit, verbunden mit selbstironischem Humor, taugt zur komödiantischen Sternstunde, jedoch ohne fehlenden Respekt vor Leuten, die mit Angststörungen tatsächlich zu tun haben. Und nun, einige Zeit später, fürchtet sich Joaquin Phoenix wie nicht blöd. Als Beau, einem Mann mittleren Alters, hat er schon unzählige Sitzungen bei seinem Therapeuten absolviert, um sich danach wieder nach Hause zu kämpfen, denn auf offener Straße unterwegs zu sein, ist in der Welt von Beau mit einer Art Selbstmord gleichzusetzen. Komprimiert auf einen einzigen Straßenzug, finden wir uns in Hieronymus Boschs Weltgericht wieder, nur heruntergebrochen auf den grindigen Schrecken urbaner Endzeit zwischen Messerstecherei, Raubüberfällen und halbverwesenden Leichen, die mitten auf der Straße liegen. Ari Aster, Macher von unangenehmen Horrorknüllern wie Hereditary oder Midsommar, lässt diesen Beau in subjektiver Panik auf eine verzerrte Welt blicken. Alles scheint hier im Argen zu sein – und noch schlimmer. Visionen vom Worst Case werden zur Realität – daheim angekommen, muss sich das Häufchen Elend noch mit einer eigentümlichen, schlaflosen Nacht herumschlagen, bevor es am nächsten Tag per Flieger zur heißgeliebten Mama gehen soll. Wie zu erwarten, geht auch das schief – Koffer und Schlüssel werden gestohlen, und Wasser für die Tabletten ist auch keines da. Der eine Haken folgt dem anderen, und Beau verliert, dem heiligen Hiob gleich, nahezu alles, was er hat.

Das Pech jagt den von einer Vielzahl an Ängsten Gepeinigten von einer Prüfung zur nächsten. Davor davonzulaufen, scheint nichts zu bringen. Tod, Verderben und Wahnsinn begleiten ihn. Killer stechen auf ihn ein, psychisch kranke Kriegsversehrte werfen drohende Blicke. Die Mutter stirbt, erschlagen von einem Kronleuchter. Nun muss Beau so schnell wie möglich zum Begräbnis, der Druck von außen steigt. Und der Druck ganz woanders ebenso, trägt doch Beau ein Trauma mit sich herum, das mit dem Tod seines Vaters zusammenhängt, starb der doch just im Moment seiner Zeugung.

Gut, angesichts dieses Dilemmas sollte man mal ordentlich durchschnaufen. Geht aber nicht. Die Odyssee von Joaquin Phoenix, bestehend aus Albträumen, irren Zeitgenossen und Instant-Paranoia in Brauseform, setzt sich selbst unter Druck, ohne irgendwo Luft abzulassen. Ari Aster buttert alles in seine epischen drei Stunden hinein, dem er nur habhaft werden kann. Darunter die Freud’sche Psychoanalyse, Schuldgefühle und einen satten Mutterkomplex. Alles, was da so in den Niederungen des Unterbewusstseins eines Menschen kreucht und fleucht, formt sich zu dem Schreckensbildnis einer Übermutter zusammen, unter deren Stöckelschuhen sich die im Seidenpyjama herumgeisternde, stets entsetzte männliche Jungfrau winden wird. Beau Is Afraid ist ein aus dem Ruder laufendes und zutiefst unentspanntes Unikum an Film, ein in die Länge gewalzter, durch und durch unbequemer Psychohorror ohne rettende Ufer, ohne Zuversicht und ohne Humor – auch wenn Phoenix seine Rolle so anlegt, als würde er sich von einer aussichtslosen Lage nur nächsten kaspern. In Wahrheit tut er das nicht, seine Rolle hat keinen Anfang und kein Ende – weder entwickelt sich dieser Charakter des Beau in irgendeiner Weise weiter, noch schenkt ihm Aster jene Form von Erkenntnis, die jenen, die sich mit ihrer Angst auseinandersetzen, zwangsläufig widerfahren muss.

Zugegeben, diese satten drei Stunden sind nie langweilig. Das unberechenbar Bizarre macht neugierig, erschöpft aber gleichermaßen. Letztlich bleibt alles eine undefinierbare, erzählerische Pustel, konfus und ungeordnet, surreal und beliebig: Der Flickenteppich einer kruden Selbstfindung ohne Ziel, aufgrund der Menge an Ideen erschreckend dumpf und lähmend wie ein langsam steigendes Fieber. Der Kopf glüht, die Glieder schmerzen. Ein Zustand, den niemand will.

Beau Is Afraid (2023)

Strange But True – Dunkle Geheimnisse

WIE DIE JUNGFRAU ZUM KIND

4/10

 

strange-but-true© 2019 Tiberius Film

 

LAND: KANADA 2019

REGIE: ROWAN ATHALE

CAST: MARGARET QUALLEY, AMY RYAN, GREG KINNEAR, NICK ROBINSON, BRIAN COX, BLYTHE DANNER U. A. 

LÄNGE: 1 STD 35 MIN

 

Tarantinos Hippie-Girl aus Once Upon a Time… in Hollywood, Margaret Qualley, hat es auch in dieser Retail-Premiere eines Mysterydramas faustdick hinter den Ohren. Als ehemalige Freundin von Amy Ryans verstorbenem Sohn steht die Gute fünf Jahre nach dessen Tod vor der Türschwelle der trauernden Mutter, um ihr eine völlig absurde, fast schon kränkende Kuriosität unter die Nase zu reiben: das Bäuchlein, das Melissa nämlich vor sich herträgt, soll auf die Kappe des Verunglückten gehen. Wie das? Theoretisch und auch rein praktisch gar nicht möglich, oder? Naja, meint Melissa, dem Jenseits sei auch im Diesseits manchmal Tür und Tor geöffnet. Amy Ryan hört sich das natürlich nicht länger an und jagt das Mädchen aus dem Haus. Aber was in Dreiteufelsnamen ist da dran? Künstliche Befruchtung vielleicht? Mit einer postmortalen Spermaprobe? Mutter Ryan forscht nach. Und stößt, wie der Subtitel des Films schon vermuten lässt, auf dunkle Geheimnisse.

Roman Polanski, wo bist du, wenn man dich mal braucht? Dieses Script wäre doch ein Fall für den mittlerweile geächteten polnischen Filmemacher gewesen. Der hat aber schon mit Rosemaries Baby einen so gruseligen wie obskuren Film rund um eine ähnlich rätselhafte Schwangerschaft vorgelegt, da braucht es nicht noch so ein Werk. Womöglich wäre dieses Werk aber besser geglückt, denn mit Suspense kennt sich Regisseur Rowan Athale nicht ganz so gut aus. Basierend auf dem Roman von John Searles trommelt dieser immerhin einen ganz brauchbaren Cast zusammen, wobei es Richtung Nebenrollen immer austauschbarer wird. Und die Story selbst? Die fängt zwar vielversprechend an, stolpert aber in der zweiten Hälfte durch einen hemdsärmeligen, überkonstruierten Schubladenthriller, der seine anfangs sorgsam gesponnenen Charakterbilder in stereotype Verhaltensschablonen zwängt. Einzige Ausnahme bleibt Margaret Qualley, die lange geheimnisvoll bleibt, die zu Mutmaßungen anregt, die sich natürlich auch etwas an Mia Farrows naiver Figur der Rosemary aus Polanskis Film orientiert.

In Strange But True ist vieles seltsam, aber wahr. Besser wäre der Film aber mit folgendem Titel beraten: Zu seltsam, um wahr zu sein. Searles Roman weiß wahrscheinlich all die dunklen Geheimnisse besser auszuerzählen. Die Verfilmung hingegen scheint mit dem wuchtigen Unterbau der langsam ans Licht kommenden Geheimnisse öfters ziemlich überfordert zu sein.

Strange But True – Dunkle Geheimnisse

Lost Girls

IM SUMPF DER TRAUER

6,5/10

 

lostgirls© 2020 Netflix

 

LAND: USA 2020

REGIE: LIZ GARBUS

CAST: AMY RYAN, THOMASIN MCKENZIE, GABRIEL BYRNE, OONA LAWRENCE, REED BIRNEY, LOLA KIRKE U. A. 

 

Wer von euch kann sich eigentlich noch an Aktenzeichen XY erinnern? Lief immer freitags im Hauptabendprogramm, und immer dann, wenn mal nicht Derrick oder Der Alte ermitteln mussten. Aktenzeichen XY ließ sein Publikum anhand ungelöster Fälle rätseln und zittern – plus gespielter Szenen, die dem realen Schrecken noch eins draufsetzten. Ganz so wie dieses Aktenzeichen XY, wie die Chronik eines ungeklärten Verbrechens, von dem nur bekannt ist, dass die- oder derjenige Opfer krimineller Aktionen wurden – ganz so mutet Lost Girls an. Ein Film über ein Tappen im Dunkeln, über einen Fall, der sich tatsächlich so zugetragen hat. Vorlage dafür war das Sachbuch gleichen Titels von Robert Kolker. Die Spielszenen, bei XY normal nur einige Minuten lang, expandieren hier zu Spielfilmlänge – und zu einem bewölkten, trüben Drama mit schwermütigem November-Blues.

Love and Death in Long Island, könnte man sagen. Nur ohne Love, dafür doppelt so viele Tode. Gesucht wird die Tochter von Mari Gilbert, in resoluter Verbissenheit und mit Hausverstand darf nun Amy Ryan, die man sonst nur in Nebenrollen zu Gesicht bekommt, ganz vorne stehen. Der Nachwuchs – Tochter Shennan – hätte eigentlich beim Rest der Familie aufschlagen sollen, ist aber nie erschienen. Das Gewerbe, dass sie ausübt, nämlich das älteste der Welt, trägt auch nicht dazu bei, die Sicherheit im Job zu gewährleisten. Irgendwas muss passiert sein. Die Polizei wassert nach – mehr schlecht als recht – und Mari Gilbert tritt den laxen Kerlen in den Hintern. Bis noch mehr Mädchen auftauchen, tot natürlich. Und der Verdacht auf einen Serienkiller die Runde macht. Diesen hat es wirklich gegeben. Und gibt es noch. Denn aufgeklärt wurde die Causa eigentlich nie. Die Erkenntnis entfacht Unruhe, hinterlässt gar ein unbequemes Grundgefühl. Verdachtsfälle gab’s genug, einer davon sehr konkret. Aber ein Verdacht ist kein Beweis, also heißt es weiterforschen auf eigene Faust, damit zumindest die Leichen geborgen werden können und all die Mütter ohne Töchter zumindest über Leben und Tod Bescheid wissen können.

Wie lähmend muss das sein, genau diesen Umstand nicht zu wissen. Unweigerlich muss ich an den Fall von Natascha Kampusch denken. Letzten Endes eine Entführung, die das Mädchen überlebt hat. Als vermisst galt sie rund 8 Jahre lang. Ein Horror für die Eltern. Da lässt sich erahnen, wie entlastend das sein muss, zumindest darüber Gewissheit zu erlangen, ob das eigene Kind noch lebt, kein Leid ertragen hat oder beerdigt werden muss. Lost Girls ist eine freitagabendliche Kriminaltristesse, die sich in keinster Weise schönreden lässt. Die Suche nach den Toten ist ein quälendes Umherirren im Morast, quer durch die unwirtlichen Sumpfgebiete der wenig einladenden Ostküste. Das einzig Tröstende ist die Solidarisierung der Hinterbliebenen. Zu den Schwestern der Vermissten zählt auch die talentierte Newcomerin Thomasin McKenzie, die zuletzt in Taika Waititis Jojo Rabbit zu bewundern war. Sie bleibt aber eher im Hintergrund – das Feld führt Amy Ryan an, die sehr praktisch veranlagt – und das vielleicht zum eigenen Schutz – mit dem Schlimmsten rechnen muss.

Liz Garbus (Oscarnominierung für die Doku What happened, Miss Simone?) erster Spielfilm ist eine Netflix-Premiere. Schön, dass der Streamingriese auch Sundance-Beiträgen eine Plattform bietet, so wie dieses sehr ernste, semidokumentarische, nüchterne True-Crime-Szenario, das nur noch Eduard Zimmermann benötigt hätte, um den mysteriösen Fall auf eigene Initiative wieder aufzurollen.

Lost Girls

Beautiful Boy

PROBIEREN UND STUDIEREN

5/10

 

BEAUTIFUL BOY© 2019 Filmladen

 

LAND: USA 2018

REGIE: FELIX VAN GROENINGEN

CAST: STEVE CARELL, TIMOTHÉE CHALAMET, AMY RYAN, MAURA TIERNEY, CHRISTIAN CONVERY U. A.

 

Er ist schön, er ist klug, er ist nicht von schlechten Eltern: Thimotée Chalamet, Cineasten natürlich spätestens aus Call Me by Your Name bestens bekannt, muss diesmal zwar nicht seine Liebe zum gleichen Geschlecht entdecken, dafür aber zu bewusstseinserweiternden Substanzen. Dabei geht’s nicht nur um das in manchen Ländern bereits salonfähige Marihuana, sondern auch um all den anderen Stoff, aus dem die Süchtigen sind – angefangen von Koks bis zum vernichtenden Crystal Meth, von dem der gute Walter White ganz genau weiß, wie man es herstellt. Der dunkel gelockte Jüngling also will es wissen, ist neugierig, was natürlich legitim ist, denn Neugier während des Coming of Age erschließt einem die Welt in all seinen Facetten. Zu weit darf es natürlich nicht gehen, alles sollte man auch nicht wagen müssen. Vieles sagt einem bereits der Menschenverstand – oder die eigenen Eltern, aber das ist wieder weniger gut, denn die Meinung der Eltern ist in diesem Alter wohl die, die man am wenigsten hören will. Also selbst ein Bild machen – und nicht mehr davon loskommen. Papa Steve Carell, längst nicht mehr nur im Komödienfach daheim (siehe u. a. Willkommen in Marwen) verbringt auch nur mehr die Tage damit, sich Sorgen um seinen Sprössling zu machen. Der kommt nächtelang nicht heim und muss wieder irgendwo frühmorgens aufgesammelt werden, weil all die schädigenden Substanzen in dessen Körper einfach nicht Feierabend machen wollen. Irgendwann hat aber auch die Geduld der Eltern ein Ende, zumindest die des alleinerziehenden Vaters. Von dieser Opferbereitschaft seinem eigenen Fleisch und Blut gegenüber und von der Neugier am künstlich geschaffenen Glücksgefühl – davon erzählt der Belgier Felix van Groeningen in seinem US-Debüt. Und bleibt im Grunde dem Thema treu, mit dem er sich bereits 2012 in A Broken Circle ausführlich beschäftigt hat: Mit der Leidensfähigkeit von Mutter und Vater.

In Beautiful Boy tut Steve Carell alles, was in seiner Macht steht, um seinem Sohn zu helfen. Allerdings – den Entzug muss der Nachwuchs schon selbst wollen, die Bereitschaft für einen Neuanfang kann ihm auch keiner abnehmen. Allein: die Lust an der Ekstase ist immer noch größer. Chalamet spielt einen Jungen, dessen Beweggrund für Drogenmissbrauch auf keinerlei Defizite basiert. Die Scheidung der Eltern allein kann nicht der Auslöser sein, elterliche Liebe ist genug da, und alle Türen für die Zukunft stehen offen. Gründe für Drogen sind also nicht zwingend soziale Mängel, vielleicht auch nur der Luxus eines sicheren Zuhauses als Basis, um sich weiter als es der Vernunft gebührt aus dem Fenster zu lehnen. Papas Sorgen und versuchte Neustarts wechseln sich also ab – mehr passiert nicht. Anders als im thematisch sehr ähnlichen Krimidrama Ben is Back mit Julia Roberts und Lucas Hedges bringt Felix van Groeningen sein schwermütiges Vater-Sohn-Drama nicht wirklich auf einen grünen Zweig, obwohl er seinen Film mit formatfüllenden Baumriesen dekoriert, die mit ihren wuchtigen Ästen wie Lebensader und Stammbaum zugleich über den strauchelnden Gestalten aufragen. Der abwechslunsgreiche, liebevoll gesampelte Soundtrack wirkt da fast schon ausgleichend, und unterstreicht auch das emotionale Chaos zwischen Eigen- und Fremdverantwortung relativ gut. Doch Peter Hedges Film ist straffer, bewegender, viel fokussierter. Beautiful Boy verliert sich immer noch im Grundgedanken seiner Problematik, tritt dadurch aber auf der Stelle und quält sich bis zur Erkenntnis hin, dass man sich irgendwann als Kind seiner Eltern nur mehr selber helfen kann – oder eben gar nicht.

Beautiful Boy