A Killer Romance (2023)

SO SEXY IST DER AUFTRAGSMORD

6/10


akillerromance© 2024 Leonine


ORIGINALTITEL: HIT MAN

LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: RICHARD LINKLATER

DREHBUCH: RICHARD LINKLATER, GLEN POWELL

CAST: GLEN POWELL, ADRIA ARJONA, AUSTIN AMELIO, RETTA, SANJAY RAO, MOLLY BERNARD, MIKE MARKOFF, RITCHIE MONTGOMERY U. A.

LÄNGE: 1 STD 56 MIN


Es gibt ihn, den neuen Everybody’s Darling, den potenziellen „Sexiest man alive“ – aus der Nische der Nebenrollen bequemt sich Glen Powell gemächlichen Schrittes oder so, wie einer geht, nachdem er gerade die hauseigene Rinderherde über eine gefährliche Furt getrieben hat, ins zentrale Rampenlicht nicht unintelligenter Hollywoodfilme. Powell ist niemand fürs schnelle Geld und auch nicht für oberflächliches Kawumm gedacht. Ryan Gosling könnte sein größter Konkurrent werden, und Brad Pitt ist längst schon eine andere Generation. Nachdem er im Fliegerass-Revival Top Gun: Maverick allen zeigen konnte, wie sich Draufgängertum mit Ritterlichkeit vereinbaren lässt, darf Powell heuer gleich in zwei Filmen die Welt davon überzeugen, dass die wahre Attraktivität nebst reflektiertem Stolz in der Bereitschaft liegt, für innere Geistesreisen bereit zu sein. In Twisters durchlebt die Figur des selbstverliebten YouTube-Gecks Tyler Owens eine Wandlung hin zum gewissenhaften Soziophilen mir Handschlagqualität. Richard Linklater, mit welchem Powell schon seit deren Zusammenarbeit in Fast Food Nation eine gewisse Freundschaft verbindet, schenkt dem smarten Amerikaner nun eine seiner größten Rollen bisher, ohne diese auch nur ernsthaft von irgendwelchen Co-Akteuren –  und nicht mal von Adria Arjona – in der Wucht seiner Show-Performance einschränken zu lassen.

Basierend auf einem kuriosen kriminalistischen Zeitungsartikel von Skip Hollandsworth aus dem Texas Monthly, entwickelt Linklater gemeinsam mit Powell die adaptierte Krimikomödienversion einer trickbetrügerischen Laufbahn, die allerdings auf der Seite des Gesetzes ihre mit Erfolg gekrönten Kilometer zurücklegt. Die Rede ist von Gary Johnson, einem Philosophieprofessor und wirklich klugen Kopf, der nebenberuflich die strafverfolgende Exekutive zumindest aus technischer Hinsicht unterstützt, wenn diese ihre Falle stellen, um Mördern, die nicht selbst Hand anlegen wollen, das Handwerk zu legen. Denn wie es das Kino gerne schon jahrzehntelang kolportiert, gibt es Auftragskiller im tatsächlichen Leben gar nicht wirklich – was viele, die andere dafür bezahlen wollen, um jemanden sterben zu sehen, gar nicht wissen. So kommt dank glücklicher Umstände besagter Feschak ins Spiel. Und der mausert sich zur Rampensau, wenn es darum geht, anderen vorzuspielen, er wäre ein eiskalter Engel. Lange läuft das Spiel wie am Schnürchen – bis Madison, gespielt von Adria Arjona (u. a. Morbius, Andor) in sein Leben tritt. Die attraktive Dame will schließlich ihren Ehemann beseitigen, doch Johnson schafft es, ihr dieses Unterfangen auszureden – zu ihrem eigenen Schutz. Das hat zur Folge, dass dieser sich sehr schnell zwischen zwei Fronten befindet, und die im Titel versprochene Killer Romance (im Original heisst das ganze schlichtweg Hit Man) bricht sich ebenfalls Bahn, mit Turteln, Knutschen und heißen Nächten.

Wie bei Krimikomödien so üblich, ist der MacGuffin der ganzen Unterhaltung natürlich das wie ein Damoklesschwert über dem Liebesglück kreisende Geheimnis, nicht der zu sein, wofür Glen Powell sich ausgibt. Diese Lust, andere Leben zu leben, sich in andere Charaktere einzufühlen und vielleicht auf diese Weise eingeschlagene Wege zurückzugehen, um neu anzufangen, wird für Linklater zur zentralen Frage, zum lebensphilosophischen Kernproblem. Dem ambitionierten Zugang zu dieser Kriminalkomödie, welche die Leichtfüßigkeit von Linklaters Inszenierungsstil trägt, sei natürlich gedankt. Ein mit Wortwitz ausgearbeitetes Drehbuch garantiert sommerliche US-Unterhaltung mit sympathischen Figuren, gänzlich frei von Zynismus und desillusionierendem Tadel, welcher die amerikanische Gesellschaft in Finsternis taucht. Linklater ist so jemand natürlich nicht. A Killer Romance ist vergnüglich genug, um vorsätzliche Morde als charmante Notwendigkeiten zu verkaufen.

Bei Linklater ist vieles Dialog und Reflektion, dazwischen eine souverän konstruierte, verblüffende True Story um Gauner, Gelehrte und smarte Konventionen. Denn so sehr der beschwingte Spaß auch alles richtig macht, so sehr hebt er ab wie ein heliumgefüllter Ballon, der in die feuchtwarme Luft des amerikanischen Südens steigt. A Killer Romance hat keine Ecken, keine Kanten, will nicht wirklich ambivalent sein und redet sich aus allem raus. Vielleicht ist das der Grund, warum dieser Film als diplomatische Komödie nicht wirklich von Belang scheint. Man mag sich unterhalten, doch man mag auch emotional wenig gefordert sein. Linklater lässt es plätschern, das Publikum relaxt derweil am Ufer des glatt dahinströmenden Erzählflusses.

A Killer Romance (2023)

LaRoy, Texas (2023)

DIE AGENDEN DER SELBSTZWEIFLER

8,5/10


laroy© 2023 Laroy Productions LLC


LAND / JAHR: USA, FRANKREICH, ÖSTERREICH 2023

REGIE / DREHBUCH: SHANE ATKINSON

CAST: JOHN MAGARO, STEVE ZAHN, DYLAN BAKER, MEGAN STEVENSON, MATTHEW DEL NEGRO, BRAD LELAND, GALADRIEL STINEMAN, BOB CLENDENIN, ALEX KNIGHT U. A.

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Einst waren Blood Simple, Fargo oder No Country for Old Men brillante filmische Beispiele dafür, wie der lakonische Genre-Hybrid zwischen Film Noir, Thriller und Western, durchsetzt mit bitterbösem Humor, das postmoderne Kino umgedacht hat. Verantwortlich dafür waren eine ganze zeit lang die Brüder Joel und Ethan Coen. Seit Sichtung von LaRoy, Texas, einer Provinzdramödie, die von gescheiterten Existenzen und ihren Beziehungen zueinander erzählt, könnte man sich unter Umständen darauf verlassen, dass, sollten es die Coens nicht mehr hinbekommen, zumindest Shane Atkinson auf souveräne Art einspringen könnte. Sein Film ist allerdings weder ein Abklatsch noch eine schöngeredete Hommage an diese spezielle Art des amerikanischen Heimatsfilms, sondern ein zutiefst eigenständiges Konstrukt, mit anderem Timing, mit neuem Rhythmus und selten gesehenen Gesichtern, die dem ganzen Schicksalsreigen doch eine gewisse Eigenständigkeit verleihen; eine Originalität, die es nicht notwendig hat, mit Kassengold-Stars zu punkten. Es ist eine Story, die sich selbst genügt und auf nachvollziehbare Weise das eine auf das andere folgen lässt, wobei die Verknüpfungen in diesem Thriller nicht chronologisch erfolgen, sondern in einem zeitlosen Vakuum an Begebenheiten. Diese sind rein zufällig, denn Koinzidenzen machen in Atkinsons Welt das Leben aus.

Der erste Stein, der den Domino-Effekt zum Kippen bringt, ist das des Nächtens liegengebliebene Auto eines Mannes, der kurze Zeit später von einem scheinbar zufällig vorbeikommenden Killer in die ewigen Jagdgründe geschickt wird. Dann: Szenenwechsel. Wir treffen auf den Baumarktbediensteten Ray Jepsen (John Magaro als die neorealistische Version eines mieselsüchtigen Buster Keaton), der von Möchtegern-Detektiv Skip (Steve Zahn) in einem Diner darüber unterrichtet wird, dass seine Frau anscheinend fremdgeht. Daraufhin sieht Ray keinen Sinn mehr im Leben und will sich eine Kugel in den Kopf jagen. Dieser Suizid wird allerdings vereitelt, als er mit jenem Killer verwechselt wird, der die Ouvertüre des Films zu verantworten hat. Und schon verdichten und verhaspeln und stolpern die Ereignisse übereinander, als würden alle zur Stoßzeit aus der vollgepackten U-Bahn wollen. Jede dieser Figuren, die allesamt ein ähnliches Problem mit sich herumschleppen, nämlich jenes, dass keiner an sie glaubt, ereifert sich in diesem Spiel um Erwartungen und Erwartungshaltungen so sehr, dass kein Auge trocken bleibt, keine Chance unversucht und niemand im Streben nach Anerkennung den großen Jackpot knackt.

LaRoy, Texas ist eine staubtrockene Verliererballade im kessen Folklore-Cowboygewand eines lakonischen Thrillers, angereichert mit schwarzhumorigen Spitzen, die aus eloquent verfassten Dialogpassagen herausbrechen. Die paar Stereotypen, die sich in diesem Dilemma um Selbstachtung ebenfalls einfinden – wie zum Beispiel der unscheinbare Auftragsmörder – sind satirisch zitierte Versatzstücke in einem bereits bravourös interpretierten Kinobiotop. Hier lässt sie Atkinson nochmal Revue passieren, und stellt ihnen verhaltensoriginelle Kerle wie Steve Zahn entgegen, der scheinbar allen hier die Show stiehlt und als idealistischer Streber in Sachen Ermittlungen von der lokalen Polizei unentwegt verlacht wird. Was passiert mit Menschen, deren Kompetenzen unterwandert werden? LaRoy, Texas gibt die Antwort. In diesem Thriller strebt niemand nach der Gunst des materiellen Wohls, jedoch nach der Gunst des Respekts. Das hebt Atkinsons Film von anderen dieser Machart ab, die sich um Schatzjagden und dem Anraffen von Mammon bemühen. Dieser hier hat die Metaebene des psychologischen Konflikts ganz für sich allein gepachtet und bringt eine Eigendynamik mit ins Spiel, die in einer cineastisch brillanten melancholischen Verlorenheit ihre Erschöpfung findet. Desillusioniert zwar, aber wahrhaftig. Kurzum: Ein mit feiner Klinge geführtes, komplexes wie verstecktes Filmjuwel.

LaRoy, Texas (2023)

Der Killer (2023)

TAGESGESCHÄFT EINES ZYNIKERS

5,5/10


derkiller© 2023 Netflix


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: DAVID FINCHER

DREHBUCH: ANDREW KEVIN WALKER, NACH DER GLEICHNAMIGEN COMICSERIE VON MATZ

CAST: MICHAEL FASSBENDER, TILDA SWINTON, SOPHIE CHARLOTTE, CHARLES PARNELL, KERRY O’MALLEY, SALA BAKER, ARLISS HOWARD U. A. 

LÄNGE: 1 STD 59 MIN


Gewerkschaften gibt’s für diese Branche keine. Auch die Hotline für den Kundendienst sucht man vergebens. Denn Auftragsmörder müssen alles selber machen. Naja, fast alles. Zumindest erhalten sie ihre Aufträge über getarnte Mittelsmänner und -frauen, die im Falle eines Deals ordentlich mitschneiden. Doch mehr ist da nicht. Und ist der Kunde mal unzufrieden, kann er sich seine Beschwerde sonst wohin stecken. Das wäre im regulären und auch legalen Dienstleistungsgewerbe eine vielleicht zwar ärgerliche, aber nicht so große Sache. Doch wenn es darum geht, eine Zielperson zu liquidieren, die dem Kunden sauer aufstößt, und diese Liquidation dann so richtig versemmelt wird, würde man als unzufriedener Auftraggeber dann doch gerne sein Herz ausschütten wollen.

Da der Killer aber den Beschwerden kein Ohr schenken kann, weil er ausschließlich damit beschäftigt ist, unterzutauchen, bleibt nur noch die Möglichkeit, den Auftrag zu annullieren. Was dabei im Notfallplan ganz oben steht, ist das Einschläfern des Killers selbst, denn nicht erbrachte Leistung kann für jene, die sich die Finger nicht schmutzig machen wollen, unschöne Folgen haben. Bei so einer Zero Tolerance-Arbeitsphilosophie hätte ich als asketischer Perfektionist, wie Michael Fassbender ihn darstellt, längst auf ein anders Pferd gesetzt. Anscheinend aber ist der Mammon wieder mal alles, und der Rest, wie er selbst sagt, scheißegal. Dieser Killer also, der so viele Namen trägt, wie der Film Minuten hat, „gschaftlhubert“ sich, wie man in Österreich sagen würde, durch einen durchgestalteten Notfallplan, der zum Tragen kommt, wenn der Schuss danebengeht. Stets ist uns der Mann mit dem Hut in seinen Gedanken einen Schritt voraus – ehe das Publikum begreift, was er vorhat, sitzt Fassbender wieder irgendwo im Flieger, völlig unverdächtig mit Sonnenbrille und scheelem Blick, denn es könnte der Verbraucherschutz hinter ihm her sein.

Basierend auf der Comicserie von Matz, hat David Fincher einen Finsterling erschaffen, der weder Moral- noch Wertvorstellungen besitzt. Will man so einer Person zwei Stunden lang durch einen Film folgen? Warum nicht, schließlich kann es ja sein, dass diese im Laufe ihrer Tätigkeit an Grenzen stößt, die das Spektrum erweitern oder die Sicht auf die Dinge vielleicht verändern. Doch mit irgendwelchen moralischen Zeigefingern fuchtelt Fincher nicht herum – im Gegenteil. Für diesen Killer, dessen Motivation keinerlei Erwähnung findet, auch wenn er langmächtig herumphilosophiert, gibt es kein Zurück. Auf irreversible Weise hat er sich selbst definiert, und unter dieser Überzeugung übt er auch Vergeltung. Womit wir wieder bei Schema F jener Sorte von Thriller wären, die Auftragskiller gerne gegen ihre Kundschaft losschickt, aus Rache oder persönlicher Kränkung; weil sie endlich frei sein wollen (siehe John Wick oder Kate) oder weil sie doch noch sowas wie ein Herz haben (siehe Leon, der Profi).

Etwas allerdings ist dann doch anders als sonst. Fernab jeglicher hieb-, stich- und schussfester Akrobatik probt Fincher die pragmatische Reduktion im Zwielicht, als Schattenriss unter Straßenlaternen oder im verwaschenen Halo indirekter Lichtverschmutzung. Fassbender rezitiert sein abgedroschenes Mantra, das unter anderem beinhaltet, niemanden zu trauen und sich nicht ablenken zu lassen. Binsenweisheiten eines Überheblichen, bei dem man sich wünscht, dass er damit nicht durchkommt. Im Grunde sehen wir einem Verbrecher bei seiner Arbeit zu, der, vom Tagesgeschäft überrumpelt, wie einst Alain Delon Schadensbegrenzung übt, indem er, unter anderem im Zuge knochenharten Hickhacks mit Kollegen, Schaden verursacht. Eiskalt und ohne Mitgefühl, dadurch aber unsagbar zynisch und arrogant, gewinnt der Killer niemanden für sich. Finchers Charakterstudie hat somit keinerlei Mehrwert. Und anders als in Formaten wie Breaking Bad, wo die moralisch Verkommenen immerhin noch ein bisschen was an ihrer schwarzen Weste weiß halten, weil sie gewissen Werten folgen, bleibt diesem hier nicht mal das. Wie ernüchternd.

Der Killer (2023)

House of Gucci

MADE IN ITALY

5,5/10


houseofgucci© 2021 Universal Pictures


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: RIDLEY SCOTT

CAST: LADY GAGA, ADAM DRIVER, JARED LETO, AL PACINO, JEREMY IRONS, SALMA HAYEK, CAMILLE COTTIN, JACK HUSTON, REEVE CARNEY U. A.

LÄNGE: 2 STD 38 MIN


Ridley Scott, der momentan damit hadern muss, dass alle Welt seinen letzten Film (nämlich The Last Duel) nicht versteht, macht gelegentlich auch mal was anderes als nur Science-Fiction oder Weltgeschichte. Womit er ebenfalls liebäugelt, das sind gesellschaftsrelevante Skandale, die in ihrer akuten Phase so viel PR angelockt haben, um später noch kinotauglich zu sein. Wir erinnern uns: Christopher Plummer als Inkarnation von Dagobert Duck hatte in Alles Geld der Welt für die entführte Verwandtschaft keinen einzigen Cent übrig. Dieses Jahr zirkuliert die Lire im Norden Italiens, genauer gesagt in Mailand rund um feines Leder und noble Kleidung. Es geht um Gucci – eine jede und ein jeder kennt die Marke, auf schicken Flaniermeilen lässt sich das eine oder andere Monatsgehalt für Taschen in bekanntem Muster erstehen, auch sonstiges ledernes Accessoire und natürlich auch Schuhe mit – wenn’s hochkommt – Blattgoldeinsatz für den dekadenten Geschäftsmann. Hier ist Reichtum keine Schande, die Gier danach aber auf jeden Fall. Dabei hat alles so begonnen wie in einer klassischen Seifenoper: Ein Mädel aus dem Hemdsärmel-Business trifft in einer Bar den schicken Sprössling nämlichen Modehandels – und wittert natürlich ihre große Chance. Sie verliebt sich (oder auch nicht, das weiß man nicht so genau), lässt nicht locker, bezirzt den phlegmatischen Lulatsch, bis der klein beigibt und beide heiraten. Patricia, so heißt sie, ist nun eine Gucci, sehr zum Leidwesen des Schwiegervaters, jedoch zur Freude des charismatischen Onkels, der das Geschäft mehr oder weniger im Alleingang führt, und stets darauf achtet, dass sein eigener exzentrischer Sohn mit seinen kreativen Allüren den Geldhahn nicht verstopft. Dabei entgeht ihm, wie Patricia drauf und dran ist, sich das Familienunternehmen gänzlich unter den eigenen Nagel zu reißen

Für diesen etwas anderen, aber wuchtigen Familienfilm hat Ridley Scott sogleich Fashion-, Stil- und Popikone Lady Gaga nach Mailand einfliegen lassen, hat die doch sowieso italienische Wurzeln und hört nicht selten auf den Namen Stefani Germanotta. Als längst gefragte und tatsächlich höchst talentierte Schauspielerin schlüpft sie in die schillernde Rolle der Gucci-Mörderin Patricia Reggiani mit allen nur erdenklichen Jetset-Attitüden einer Möchtegern-Neureichen, die mit gehörig Feuer im Hintern die alten Geschäftshasen auf die Ersatzbank verweisen will. Der üppigen Matrone, die ihre Kurven ins Gefecht führt und auf High Heels dahergestelzt kommt wie keine andere, verleiht Lady Gaga ein Temperament, wie es seinerzeit Angela Channing in Falcon Crest hatte. Nur statt Wein ist es diesmal Leder, und einer wie Al Pacino ist da gleich ganz abgelenkt, wobei der Alt-Pate keinesfalls darauf vergisst, seinen ebensolchen europäischen Ursprung, verbunden mit seinen gewohnten, gern gesehenen Manierismen zu verbinden. Die Rechnung geht auf: seine Rolle als Onkel Aldo Gucci ist ein durchgetaktetes Vergnügen und die Darstellung eines weltgewandten, aber stark traditionsverbundenen Lebemanns, der noch lange vor trendigen NLP-Strömungen mit Wortgewandtheit den Laden schmeißt. Jared Leto versucht das auch, gerät aber zur Witzfigur. Auch das kann authentisch sein, Witzfiguren gibt es in der Geschichte genug, nur bleibt immer noch seltsam, wieso sich durchs Tragen eines gänzlich anderen Gesichts die Qualität eines Schauspiels definieren soll.

Ernüchternd blass bleibt hingegen Adam Driver, der momentan überall heiß gehandelt wird. Vielleicht, weil er Teamgeist hat, was für den Dreh durchaus von Wert sein kann. In seiner Performance greift er auf Routine zurück und geht sogar so weit, seiner schwer verwechselbaren Erscheinung zu genügen. Herumstehen reicht trotzdem nicht, und Lady Gaga spielt ihren Partner an die Wand. Was also in Erinnerung bleibt, ist das energisch vibrierende Dekolletee einer wandelbaren Künstlerin, die leider allzu oft eine True Story tragen muss, die sich bei einer Spieldauer von zweieinhalb Stunden reichlich ausdünnt. Deutlich zu lang ist Scotts Neuzeitwerk. Der Schwanengesang für ein Unternehmen, dass sich selbst ins Aus schießt, wäre in knappen neunzig Minuten ausreichend durchgesungen.

House of Gucci

Anna

BESSONS NEXT TOP MODEL

7/10

 

ANNA© 2019 Studiocanal GmbH

 

LAND: FRANKREICH 2019

REGIE: LUC BESSON

CAST: SASHA LUSS, HELEN MIRREN, LUKE EVANS, CILLIAN MURPHY U. A.

 

Kultregisseur Luc Besson (wir schätzen Ihn, so denke ich, alle für Im Rausch der Tiefe, Leon der Profi, Nikita und Das fünfte Element) hat eindeutig ein Faible für Frauen eines ganz speziellen Schlages. Diese Damen können kämpfen, sind tough, überaus intelligent, draufgängerisch, bildschön und verführerisch. Haben gelitten, und lassen jene zahlen, die sie misshandelt haben. Die Liste von Bessons Top-Models ist lang – Anne Parillaud, Milla Jovovich, Rie Rasmussen, Scarlett Johansson, Cara Delevingne – und aktuell: Sasha Luss. Bis auf Parillaud und Johansson kamen alle vom Catwalk zum Set, die Brücke vom Model zur Schauspielerin ist in vielen Fällen keine schwer zu überwindende, denn als Model braucht man schon ein gewisses Gespür für Selbstinszenierung. Das hat Besson bemerkt, und sein Stil ist nun mal, atemberaubende Weiblichkeit waffenbewehrt in Szene zu setzen, wenn möglich mit Strumpfband und knappen Kostümen. Das hat schon wieder etwas von Manga, und, was wir auch wissen: Besson ist ein leidenschaftlicher Comic-Fan – so gesehen zum Beispiel in Valerian – Die Stadt der tausend Planeten. Seine ikonischen Ladies sind zu Überwesen stilisiert, zu einsamen Assassininnen oder mythischen Geschöpfen, feuern gerne mit zwei Pistolen in unterschiedliche Richtungen, während sie Gänge entlangspazieren als wären sie am Laufsteg. Sie sind längst nicht mehr das schwache Geschlecht und mindestens so brutal wie das siegesverwöhnte Patriarchat. Die Männer, die sind in diesen kontrastierenden Frauen-Filmen meist schwaches Beiwerk, das den Reizen der göttlichen, schier unverwundbaren Anmut der Weiblichkeit erliegt. Und gar nicht anders kann als ihr hörig zu sein.

Anna ist genauso eine Gestalt – anfangs ein Junkie aus der Gosse, fast schon gebrochen, und dann so tödlich wie das schärfste Sushi-Messer. Warum diese Wandlung? Ganz einfach: Anna ist eine Russin, und natürlich wird sie vom KGB rekrutiert, denn viele Alternativen bieten sich ihr nicht. Einmal KGB, immer KGB, das soll sich dann später als determinierte Zukunft erweisen, obwohl Anna schon fest damit gerechnet hat, nach 5 Jahren „frei“ zu sein. Frei ist die gertenschlanke Blondine nämlich noch nie gewesen – und umso mehr ist der Drang nach Selbstbestimmung a la longue ein kaum zu unterdrückender. Und nachdem sie auftragskillend und durchaus blutig durch Paris zieht, sind die späteren Leichen, die ihren Weg pflastern, unwillkommene Hindernisse, die ihren Ambitionen im Weg stehen. Und außerdem gibt es da noch Liebhaber sowohl beim amerikanischen als auch russischen Geheimdienst.

Was Luc Besson schon des Öfteren erzählt hat, wärmt er neu auf: die eingangs erwähnte Mär der Femme fatale gegen die tumbe, sinistere Männerwelt. Was Luc Besson aber neu erzählt, ist der Connex zum fast schon autobiographischen Ursprung seiner Hauptfigur – die Welt des Model-Biz. Schon wähnt man sich in einer Ausgabe von Germanys Next Top-Model und rechnet damit, dass Heidi Klum jeden Moment um die Ecke stakst. Die Fotografen sind allesamt die größten Arschlöcher unter dem Blitzlicht, und die Mädels leben alle zusammengepfercht in einer heruntergekommenen WG als wären sie Opfer ruchloser Menschenhändler. Natürlich trägt Luc Besson dick auf, hat nicht die geringste Lust zu differenzieren und kleistert seinen Film mit ordentlich deckenden Fingerfarben zu. Nichtsdestotrotz: Anna ist dennoch gelungen. Ein Thriller auf Zug, der keine Gefangenen macht und mich mehr besticht als David Leitchs Killerthriller Atomic Blonde mit Charlize Theron. Musikalische Ohrwürmer sind bestens platziert und Sasha Luss kann man schauspieltechnisch überhaupt nichts vorwerfen – ganz im Gegenteil. Keine Frage, vieles war bereits in unzähligen anderen Filmen Thema, doch wie gesagt: Der Aspekt des metzelnden Models und die alles andere als chronologische, zersplitterte Erzählweise, die zwischen den Zeiten hin und her pendelt wie die wechselnden Fronten in diesem Projektil-Märchen und dabei einfach nicht erlaubt, dass sich der Plot erraten lässt, lassen Bessons aktuelle Lustwandelei rund um Kreml und Eiffelturm zielgenau punkten.

Anna