Barbarian (2022)

DAS KLEINGEDRUCKTE BEI AIRBNB
7/10


© 2022 Vertigo Entertainment / Disney+


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE / DREHBUCH: ZACH CREGGER

KAMERA: ZACH KUPERSTEIN

CAST: GEORGINA CAMPBELL, BILL SKARSGÅRD, JUSTIN LONG, MATTHEW PATRICK DAVIS, RICHARD BRAKE, JAYMES BUTLER, KATE BOSWORTH, SARA PAXTON, KATE NICHOLS U. A.

LÄNGE: 1 STD 42 MIN


Mitunter oberste Regel, die man wissen muss, wenn das Seepferdchen-Abzeichen auf dem Schwimmsuit eben erlernte H2O-Skills bestätigen soll: Spring niemals in unbekannte Gewässer! Mitunter oberste Regel, wenn das AirBnB-Schmuckkästchen temporär gemietet wird: Gehe niemals in den Keller, vorallem nicht, wenn Gänge hinter Geheimtüren im Dunkel liegen und von dort, aus dem Nichts, seltsame Geräusche zu hören sind. In der Realität wäre das Anwesen, verortet in einem berüchtigten Viertel von Detroit, wo nicht mal mehr der Fuchs dem Hasen Gute Nacht sagt, ohne ihn vorher auszuweiden, längst von seinem Fluch befreit worden, denn in der Realität würde Georgina Campbell nicht ohne begleitender Exekutive tiefer in das unheimliche Gewölbe vorgedrungen sein.

Das Genre des Horrorfilms interessiert sich aber nicht für vernünftige Vorgehensweisen. Dort sind die Protagonisten gemäß des Spruches „Neugier killt die Katze“ immer jene, die auch zu Weihnachten Santa Claus auf die Finger schauen oder das Christkind inflagranti ertappen wollen. Es sind jene, die gerne in die Dunkelheit vordringen, ohne sich vorher überlegt zu haben, was sie denn dem Unbekannten entgegenzusetzen hätten, sollte es ungemütlich werden. In Barbarian wird es schließlich sehr, sehr ungemütlich. Und eigentlich will man gar nicht wissen, was so manche Leute in ihren Kellern treiben oder gar getrieben haben. Da muss man nur an die jüngere österreichische Kriminalgeschichte denken, um sich mit Schauder und Ekel abzuwenden. Das Undenkbare ist vor allem in beschaulichen Siedlungen durchaus möglich, wenngleich das, was in Barbarian passiert, als üppige Geisterbahn-Version manches davon potenziert.

Das Grausame ist bei Zach Cregger das unter den Teppich Gekehrte, das hinter der Fassade Dahinmodernde. Viel plakativer als bei David Lynch, in dessen Vorgärten man gelegentlich ein Ohr finden kann. Viel weniger subversiv und entlarvend als bei Ulrich Seidl zum Beispiel, dem österreichischen Enfant Terrible, der mit seiner Episoden-Doku Im Keller gar manchen Abgeordneten in die Bredouille brachte und genau das zeigen musste, was man eigentlich gar nicht sehen will, dann doch aber wieder muss, weil schließlich nicht nur die Katze daran glauben soll, sondern auch wir, die wir nicht ohne finaler Erkenntnis der Dinge abnippeln wollen.

Der Keller im Keller

Das Haus in Barbarian offenbart ganz geschmeidig und fast schon subversiv seine wahre Identität, es scheint fast so, als wäre man amfangs in einer leicht mysteriösen Romanze gelandet, wenn Bill Skarsgård und Georgina Campbell miteinander einen netten Abend verbringen, nachdem letztere enttäuschend hat feststellen müssen, dass ihr gemietetes Airbnb-Etablissement gleich doppelt gebucht wurde. Skarsgård, dem diesmal seine Pennywise-Diabolik überhaupt nicht in den Sinn kommt, gibt sich jovial und hilfsbereit und holt die im Regen stehen Gelassene ins Haus. Mangelndes Klopapier und eine offene Kellertür führen tags darauf dazu, dass Georgina Campbells Charakter namens Tess an Orte gelangt, die niemand wirklich sehen will. Als Bill Skarsgård – im Film der nette Keith – die durchaus verstörte und aufgeregte Tess beruhigen und sich die Sache selbst ansehen will, verschwindet er. So, als wäre er von einem noch tieferen Keller verschluckt worden. Und ja, den gibt es.

Stimmungskiller als Stilmittel

Je tiefer, desto dunkler. Desto perverser und verstörender. Wer den Höhlenhorror The Descent gut durchgestanden hat, ohne um jeden Gully einen Bogen zu machen, kann auch mit Georgina Campbells Handytaschenlampe eine Gegend erkunden, die keinen erquickenden Mehrwert bietet. Der Horror kommt bald ans Licht, schön subversiv, erschreckend, pointiert, während Cregger sich ganz plötzlich etwas einfallen lässt, was herkömmlichen Filmen dieser Art nie in den Sinn kommen würde, da es die mühsam etablierte Stimmung killt. Denn plötzlich scheint es, als wäre man im falschen Film. Auftritt Justin Long, im roten Cabrio unterwegs, die Sonne scheint, die Hintergrundmusik dudelt, alles ist eitel Wonne. Das Kontrastieren des Erzählstils, das Einbinden völlig neuer Tonalitäten, darf man durchaus als Geniestreich bezeichnen. Cregger, mit frischen Ideen im Handgepäck, sampelt seinen scheinbar vorhersehbaren Suspense-Horror mit völlig anderer Melodik. Das ranzige Dunkel weicht dem Licht, schale, schmutzige Farben weichen buntem Pseudo-Perfektionismus, der einhergeht mit veränderter Optik. Der Bruch erfrischt den Horror ungemein, macht ihn augenzwinkernd und lässt ihn frech werden. Doch ganz klar: Wenn sich am Ende das Innere nach außen kehrt, fährt Cregger nur mehr Vollgas eine Spur. Nichts anderes hätte man sich letztlich wünschen wollen. Selbst die Katze will dann nur noch weg.

Barbarian (2022)

Nosferatu – Der Untote (2024)

BEIM SCHNAUZER DES STRIGOI

4/10


nosferatu-untote2© 2024 Focus Features LLC


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: ROBERT EGGERS

DREHBUCH: ROBERT EGGERS, NACH DEM SKRIPT VON HENRIK GALEEN UND DEM ROMAN VON BRAM STOKER

CAST: BILL SKARSGÅRD, LILY-ROSE DEPP, NICHOLAS HOULT, AARON TAYLOR-JOHNSON, EMMA CORRIN, WILLEM DAFOE, RALPH INESON, SIMON MCBURNEY U. A.

LÄNGE: 2 STD 12 MIN


Da Friedrich Wilhelm Murnau in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts beim Erlangen der Rechte für Bram Stokers Roman durch die Finger schauen musste, erdachte sich Henrik Galeen eine filmtaugliche Geschichte, die lose an die wohl kultigste Gothic Novel aller Zeiten erinnert: Nosferatu. Verfilmt hat dieses Skript Murnau mit einem Schauspieler, der selbst schon ein Mysterium für sich gewesen sein mag: Max Schreck, sein Name war Programm, das augenzwinkernde Gerücht um ihn herum, dass dieser wohl tatsächlich ein Vampir gewesen sein mag, ergab im Jahr 2000 den Film Shadow of the Vampire mit John Malkovich als Murnau und Willem Dafoe als Schreck oder auch Graf Orlok selbst, keiner wusste das so genau. Letzterer, nämlich Dafoe, findet sich auch in Robert Eggers ambitionierter Neuverfilmung des Stummfilmklassikers wieder, der bis heute zu den Sternstunden des expressionistischen und des Horrorkinos schlechthin gilt. Kein Vampir war jemals gruseliger und albtraumhafter. Kein Vampir ein solches bleiches Schreckgespenst wie nicht von dieser Welt, starrend und schmachtend und bizarr wie selten eine Kreatur aus dem Reich der Untoten.

Werner Herzog hat einige Jahrzehnte später die erste Neuverfilmung gewagt – er hat dafür natürlich Klaus Kinski besetzt, denn der war von einem Kaliber wie der damalige Max Schreck: Exzentrisch, gespenstisch, unberechenbar: Ein Enfant Terrible des deutschen Films, der von sich selbst behauptet hat, diese Rolle des Nosferatu spielen zu müssen, da dieser sowieso schon längste Zeit in ihm selbst gelebt haben musste. Herzogs Nosferatu – Phantom der Nacht ist ein somnambuler, ätherischer Filmtraum geworden. Langsam, träge, abgehoben und wie im Wachschlaf herumgeisternd. Kinski asthmatisch und ewig jammernd, furchtbar verloren und furchtbar perfide gleichermaßen. Und welch ein Glück: Isabelle Adjani, die im Film als Lucy Harker jene Rolle einnimmt, die jetzt Lily-Rose Depp verkörpert, nur mit andrem Namen, ist nicht minder gespenstisch als der bleiche Kahlkopf. Ihre schreckgeweiteten Augen und das dem Wahnsinn verfallene, ebenfalls totenbleiche Antlitz der Französin begegnet der Ikone des Vampirfilms auf Augenhöhe. Ein Kunststück, das in Robert Eggers Versuch einer Neuinterpretation keinem auch nur ansatzweise gelingen will.

In Nosferatu – Der Untote sind die Namen der Figuren wieder jene, die bis auf eine Ausnahme (nämlich Dafoe als Dr. von Franz) Murnau schon verwendet hat. Das Setting eines düsteren Deutschlands aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts schreit richtiggehend danach, dass man es in einem Stummfilm verwenden möge. Liebevoll errichtete, knorrige Gebäude, die enge Straßen säumen, darin das Volk, bestehend aus unterschiedlichen Klassen, von der Magd bis zum Aristokraten mit Zylinder, alles sorgsam kostümiert und noch nicht ahnend, was alsbald auf sie zukommen möge. Denn er wird kommen, das weiß schon Lily-Rose Depp als Medium Ellen, die mit dem Grafen Orlok mental bereits im Bunde steht. Thomas Hutter (Nicholas Hoult, bereits in Renfield Teil des Stokerverse), der Ehemann, der für einen Häusermakler arbeitet, verspricht sich gutes Geld, wenn er den Auftrag annimmt, in die Karpaten zu reisen, um einem geheimnisvollen Grafen den Vertrag für einen Hauskauf in Wisborg zu unterbreiten.

Soweit ist in diesem gediegenen Historienhorror noch alles auf dem richtigen Weg. Bilder, die eine Hommage an Murnaus Werk sind, wechseln von blassen Erdfarben zu kontrastreichem, grobkörnigem Schwarzweiß. Überhaupt steckt jedes zweite Bild im welchem Dunst auch immer, ist es nun Regen, Nebel, Kerzenrauch in der Taverne oder das fahle Licht, das gerade mal vage das Antlitz des Blaublütigen beleuchtet, der mit Befehlsstimme den armen Jungen Mann zum Dableiben nötigt. Schon weicht im Kinositz die Lümmelposition einer aufrechten Haltung, da irgendetwas nicht stimmt. Ganz klar ist dieses Individuum, dieser Schlossbesitzer, keinesfalls verwandt mit Schreck oder Kinski, geschweige denn mit Orlok. Dieser Dämon trägt Fellmütze und einen dichten Schnauzer unter einer krummen Hakennase. Er sieht wohl eher aus wie die fahle Fotografie eines Kosaken, der mit Borat verwandt sein mag. Die grimmigen Augen sind nicht jene eines Vampirs, sondern die eines Zauberers wie Saruman. Untot mag der Geselle zwar sein, aber er ist alles andere als das, was zu erwarten ich mir erhofft hatte.

Weder wohnt dem bis zur Unkenntlichkeit überschminkten Bill Skarsgård das unterschätzbar  Mysteriöse inne, noch ein sehnsüchtiger, gieriger Schrecken. Der Charakter des Unnahbaren – diese unheimliche, bleiche, androgyne Entität, die sich gerne in Alpträume nistet, ist verschwunden. Das personifizierte Verhängnis zeigt sich als derber, bodenständiger Waldschrat mit Rotzbremse, der keine Emotionen auslöst. Der Reiz des Unheimlichen ist dahin, der Grusel sowieso, spätestens beim verbalen Schlagabtausch mit Opferbraut Ellen ist die Stimmung endgültig verflogen, denn mit Graf Orlok streitet man nicht. Apropos Ellen: Lily-Rose Depp sieht man an, wie sehr sie sich abmüht – gewachsen ist sie ihrer Rolle nicht, da hat Isabella Adjani mit traumtänzerischer Leichtigkeit die depressive Schwere eines Besessenen wie keine Zweite in den Film gewoben. Depp ist lediglich hysterisch, windet sich wie Linda Blair in Der Exorzist in ihrem Bett, hat aber harte Arbeit dabei. Der Wahnsinn enerviert, und Willem Dafoe hat alle Hände voll zu tun, die Verfilmung am Laufen zu halten, die sich ohnehin dabei schwertut, eine Entscheidung zu treffen: Will ich nun Hommage sein oder Neuinterpretation? Lieber Schwarzweiß oder Farbe? Lieber diffuses Schattentheater oder stocksteifer Kostümschinken? Steif sind nicht nur die Dialoge, von denen es jede Menge zu viel gibt.

Dadurch, dass Robert Eggers mit einer vampirgleichen Sehnsucht diesen Stoff auf die Leinwand bringen wollte, so sehr stolpert er auch über seine eigenen Ambitionen und seinen Vorsatz, um Gottes Willen nicht nur zu kopieren, sondern auch Eigenständiges zum Thema beizutragen. Leider tut er das an der falschen Stelle. An Orlok selbst Hand anzulegen und ihn als ungeschlachten, muskelbepackten Zombie-Magier auftreten zu lassen, der wie all die Vampire aus Twilight nicht mal die spitzen Beisserchen besitzt, grenzt fast schon an ein Sakrileg. Orlok ist eine Ikone des Schreckens, eine expressionistische Gestalt zwischen Edvard Munch und Alfred Kubin. Figuren wie diese sind schwer veränderbar. Und niemand sonst außer Eggers würde auf die Idee kommen, das Filetstück einer vollkommenen Vampirgestalt außer Acht zu lassen. Was er daraus gemacht hat, tut weh.

Nosferatu – Der Untote (2024)

The Crow (2024)

RÄCHER IM REGEN

5/10


thecrow© 2024 LEONINE


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: RUPERT SANDERS

DREHBUCH: ZACH BAYLIN, WILL SCHNEIDER, NACH DER GRAPHIC NOVEL VON JAMES O’BARR

CAST: BILL SKARSGÅRD, FKA TWIGS, DANNY HUSTON, ISABELLA WEI, JOSETTE SIMON, SAMI BOUAJILA, LAURA BIRN, JORDAN BOLGER, KAREL DOBRY U. A.

LÄNGE: 1 STD 52 MIN


Eric Draven würde das Wetter, wie es sich gerade über Mitteleuropa hartnäckig hält, wohl liebgewinnen. Es regnet wie aus Kübeln, so richtig hell wird es auch nicht mehr. Es ist trist, stürmisch, gerne hört man dazu Nick Cave, Leonard Cohen und The Cure. Oder überzeugt sich davon, wie die Comicfigur der Krähe in einem Remake abermals die schwarzen Schwingen ausbreitet, um seine blutige Rache über all jene zu bringen, die ihm seine Liebste genommen haben. Es war das Jahr 1994, als sich Hauptdarsteller Brandon Lee beim Dreh des Films eine Kugel einfing – und daran starb. Eines der tragischsten Momente der Filmgeschichte ließ Alex Proyas‘ Verfilmung der Graphic Novel von James O’Barr zum Kultwerk der todessehnsüchtigen Gothic-Szene avancieren. Satte dreißig Jahre später, so meint Hollywood, sei es an der Zeit, die Alleinstellung der Neunziger-Fantasy aufzuheben und die ganze Geschichte mit den technischen Mitteln, die heutzutage zur Verfügung stehen, als State of the Art-Interpretation neu zu erzählen. Das kann man natürlich machen, wenn Hollywood sich das traut. Am besten mit Bill Skarsgård, der ja schon bewiesen hat, dass er als der womöglich bessere Pennywise Tim Curry die Show stehlen könnte. Warum also nicht auch Brandon Lee? Sein Vermächtnis bleibt ohnehin unangetastet, denn sieht man sich Skarsgårds Draven an, hat der wohl nichts mehr gemein mit dem zirkushaften Robert-Smith-Lookalike an der Grenze zum traurigen Clown in Schwarz und Weiß. Diese Krähe hier ist bunter. Diese Buntheit aber macht Rupert Saunders Blutoper aber willenlos generisch. Als würde dieser Film nicht genau wissen, wohin mit seinem Stil, falls er welchen hätte.

Der neue Plot ist etwas anders als der aus den Neunzigern, dafür aber stehen Eric Draven und Shelly nach wie vor als unglückliches Liebespaar ohne Zukunft im Mittelpunkt – beide Ex-Junkies, die aus einer Entzugsklinik ausbüchsen, nachdem finstere Schlipsträger der jungen Frau nachjagen, um sie vermutlich das Zeitliche segnen zu lassen. Was alsbald auch passiert. Shelly wandert in die Hölle, was ein bisschen an die altgriechische Sage um Orpheus und Eurydike erinnert. Ihr Platz dort im Hades ermöglicht dem ewig lebenden Bösewicht Vincent Roeg (Danny Huston) aber ewiges Leben – eine Methode, die dieser schon seit Jahrhunderten pflegt, nämlich junges Blut vorschnell über die Klinge springen zu lassen, um den eigenen Jungbrunnen zu bewässern. Auch Eric wird sterben, landet aber aufgrund dieser tragischen Umstände in einer Zwischenwelt voller Krähen. Von dort muss er wieder zurück in die Welt der Lebenden, wenn er Shelly retten will. Das Ziel: Alle um die Ecke bringen, die mit ihrem Tod zu tun haben.

Liebe, Trauer, Herzschmerz und brachiale Gewalt. Damit The Crow auch wirklich überzeugen kann, müsste eine Liebesgeschichte her, dessen Paar auch fühlt, was es vorgibt, zu empfinden. Bill Skarsgård mag als Pennywise alle Stückchen spielen – für eine vom Schicksal und der Dunkelheit gebeutelte unruhige Seele aus der Zwischenwelt, auf welche nur noch die ewige Verdammnis wartet, fehlt es an Welt- und Herzschmerz. Die Sehnsucht nach Shelly bleibt ein Lippenbekenntnis, der Hass allerdings ebenso. Skarsgård tut, was die Rolle ihm aufträgt, bleibt aber überraschend empfindungsarm. Dafür kann er seine physischen Wunden ganz gut fühlen, vor allem sein Erstaunen darüber, blitzschnell wieder zu genesen. Ein bisschen dürftig ist das schon. Ein bisschen dürftig agiert auch Sängerin FKA Twigs in ihrem Spielfilmdebüt – auch sie schmachtet und leidet nach Drehbuch. Es ist, als würden beide sich verschworen haben, Brandon Lees Status nicht streitig machen zu wollen. Als würden sie bewusst Abstand halten vor der Möglichkeit, durch ihr Spiel den Kult zu schmälern.

Nichts davon wird passieren – Rupert Saunders‘ unschlüssige Interpretation findet keine eigene Note, die Szenen des Films bleiben professionelle Routine, der explizite Showdown in der Oper bietet schwarzroten Blutzoll en masse und lässt Fans des John Wick-Franchise in Sachen Gewaltdarstellung neidvoll erblassen. Die Blutleere, die man beim Killer-Gemetzel mit Keanu Reeves wohl beanstanden würde, erfüllt sich zumindest hier. Das Ganze bietet wohl die aufreibendste Szene des Films, bleibt aber austauschbar und es ist mehr oder weniger egal, ob die Krähe nun Rache übt oder John Wick.

The Crow (2024)

John Wick: Kapitel 4 (2023)

GOODBYE TO YOU MY TRUSTED FRIEND

7/10


john-wick-chapter-4© 2023 Leonine Studios


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: CHAD STAHELSKI

BUCH: MICHAEL FINCH, SHAY HATTEN

CAST: KEANU REEVES, DONNIE YEN, BILL SKARSGÅRD, IAN MCSHANE, LAURENCE FISHBURNE, SHAMIER ANDERSON, CLANCY BROWN, HIROYUKI SANADA, MARKO ZAROR, RINA SAWAYAMA, SCOTT ADKINS, LANCE REDDICK U. A.

LÄNGE: 2 STD 49 MIN


Alles beginnt eigentlich damit, dass sein Hundewelpen Daisy unter brutaler Einwirkung von außen das Zeitliche segnen musste. Und damit, dass sich jene Übeltäter, die das Haustier auf dem Gewissen haben, auch noch seinen Ford Mustang klauen. Einer wie John Wick könnte diese Unbill, unter Berücksichtigung dessen, was er alles schon erlebt hat, auf die leichte Schulter nehmen. Er muss es aber nicht. Wäre seine Frau nicht vor Kurzem erst an einer Krankheit verstorben, wären die weiteren Entbehrungen vielleicht zwar tragisch, aber zu bewältigen gewesen. So kommt alles zusammen – und der Killer im Ruhestand muss leider wieder seinen Instinkt aktivieren, um all jene zur Rechenschaft zu ziehen, die ihm Übles wollten.

Unter der Regie von David Leitch und Chad Stahelski erblickte 2014 eine dunkel umwölkte Figur des Actionkinos das Licht der Leinwand, die mittlerweile zur Ikone wurde. Schwarzer Anzug, schwarzes Hemd, strähnige Haare bis zur Schulter, die ein bärtiges Gesicht umrahmen, aus dessen Mund nur selten viele Wörter kommen. Der lakonische Rächer der Neuzeit war geboren. Eine Mischung aus Clint Eastwood, The Crow und dem Mann aus Stahl, der physische Belastung neu definiert, Schmerzen erduldet und Gegnern gerne aus nächster Nähe ins Gesicht schießt. Wick verfolgt weder ein hehres Ziel noch tritt er für andere ein wie John McLane. Sein Krieg ist reiner Selbstzweck, die Opferbereitschaft gleich null. Erlösung nur für sich selbst ist das Credo eines Egomanen. Und Keanu Reeves, schwerfällig und wortkarg, scheint diesen Finsterling zu lieben. Nach Weltenbefreier Neo aus Matrix ist dies die nächste Instanz – in einer Welt, die genauso projiziert scheint wie das grünstichige Elysium, in welchem die Menschheit in ferner Zukunft dahindämmert. In dieser Welt, unserer recht ähnlich, herrscht die Hohe Kammer – eine Killer-Gilde, die bis in die höchsten Kreise der Welt- und Konzernregierung ihre Bonzen sitzen hat. Niemand kann der Hohen Kammer das Handwerk legen, sie ist so unangreifbar wie Hydra oder Spectre. Bricht einer, der dem Verein angehört, auch nur irgendwie die Regeln, bläst das Syndikat zum Halali. Und die weltbesten Killermaschinen können sich, wenn sie geschickt sind, satte Prämien einstreichen, wenn sie dem Falschspieler das Licht ausblasen.

Niemand hat mit ihm gerechnet, mit John Wick, der immer noch die Wut ob seines getöteten Hundes im Bauch hat und sich durch Kapitel 2 und Kapitel 3 hindurch gegen den Rest der Welt erwehren hat müssen. In Kapitel 4 scheint nun alles auf eine Götterdämmerung hinzudeuten. Der schmierige und diabolische Franzose Marquis de Gramont (Bill „Pennywise“ Skarsgård), einer der Oberen der Hohen Kammer, hat grünes Licht dafür bekommen, mit Wick zu verfahren, wie er gerne will. Dafür engagiert er den in Killer-Rente gegangenen Chinesen Caine (Donnie Yen, genauso blind und im Stockkampf so versiert wie sein Alter Ego Chirrut Imwe aus Rogue One – A Star Wars Story ). Der will natürlich nicht gegen einen guten alten Freund antreten, muss aber, wenn ihm das Leben seiner Tochter lieb ist. Die erste Begegnung der beiden erfolgt dann im Continental Hotel in Japan, Zuflucht für Jäger und Gejagte. Von da an rast der Body Count wie der Blutdruck eines Cholerikers nach oben, es wird gekämpft, geschossen, gefallen und wieder aufgestanden. Glas splittert, Blut spritzt – aber nur dezent. Wem diese Art der Konfrontation liegt, der wird auch die nächsten zwei Stunden sein Vergnügen finden. Da alles auf ein Finale hinausläuft und die Geschichte am Ende des Films auserzählt sein wird, glänzt das dritte Sequel auch wirklich mit einem viel straffer gezogenen Narrativ, das genug Dramatik besitzt, um auch immer mal wieder Weisheiten vom Stapel zu lassen, die für das Heroic Bloodshed-Kino Asiens so unentbehrlich sind.

Einen guten Tod gibt es nur für ein gutes Leben. Sagt Hiroyuki Sanada als Hotelchef Koji in den wenigen Dialogsequenzen, die mit John Wick geführt werden. Oder: Wer sich an den Tod klammert, wird leben. Wer sich ans Leben klammert, wird sterben. Und schon ist sie da: die Apotheose der Action-Virtuosen, die jede Kampfkunst beherrschen und für die Frakturen nur antiquierte Schriftzeichen sind. Die vom dritten Stock auf den Asphalt fallen oder überfahren werden. Das passiert, wenn das Actionkino Amerikas so sein will wie die irren Poeten fernöstlicher Bleigewitter eines John Woo, Gareth Evans oder Ringo Lam: Gewalt wird zur Bühnenshow, zur üppig ausgestatteten Oper zwischen Kirschblüten und Eiffelturm. Chad Stahelski hat viel von seinen Vorbildern gelernt, entsprechend zielsicher hat er all sein Können auch in den letzten und womöglich besten Teil der Reihe hineingebuttert: John Wick: Kapitel 4 ist ein Fass ohne Boden, wenn es um stylishe Locations, entfesselte wie fancy Farbenspiele und wummernde Rhythmen geht. Die Kamera liefert ein Comic-Panel nach dem anderen, mixt diese mit Sequenzen wie aus einem Videospiel, wenn minutenlang nur die Sicht von oben John Wicks Eskapaden zeigt. Es ist, als hätte der lakonische Killer mit der Lust am Töten, die man ihm aber seltsamerweise nicht übelnehmen kann, seine ersten Handlungen als Graphic Novel-Antiheld absolviert. So mutet der Streifen als verfilmter Comicstrip an, der gar keiner ist.

Da sich Stahelski auch von der obszönen Brutalität so mancher asiatischen Alleskönner fernhält, bleibt auch die Gewalt entrückt und irreal. Mitunter kommt es vor, dass Opfer auf wundersame Weise verschwinden, wenn sie eliminiert wurden. Realität spielt also keine Rolle mehr, was zählt ist das schillernde Pathos eines Krieges „Einer gegen Alle“. Zynisch, melancholisch und mitunter auch witzig – Action als theatralische Kunstform.

John Wick: Kapitel 4 (2023)

Naked Singularity

SELIG SIND DIE SCHULDIGEN

4,5/10


naked-singularity© 2021 Ascot Filmverleih


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: CHASE PALMER

BUCH: CHASE PALMER, NACH EINEM ROMAN VON SERGIO DE LA PAVA

CAST: JOHN BOYEGA, OLIVIA COOKE, BILL SKARSGÅRD, ED SKREIN, TIM BLAKE NELSON, LINDA LAVIN U. A.

LÄNGE: 1 STD 33 MIN


Queen Elizabeth II. – Gott hab sie selig – war nicht nur das Gesicht einer ganzen Generation, sondern eben auch in der Popkultur und insbesondere im Film eine gern zweckentfremdete Instanz für Etikette und Ordnung. Und gerade deshalb wurde die Queen als Markenzeichen gerne (parodistisch) verzerrt – auch in der vorliegenden Krimikomödie Naked Singularity, in der Ed Skrein anhand eines Schwurbelartikels im Internet tatsächlich behauptet, Elizabeth II. sei Teil einer Verschwörung reptiloider Invasoren. Ein Detail, das zwar neugierig macht auf einen sich entspinnenden roten Faden, der einen routinierten kleinen Film in eine andere Richtung lenkt, das aber letzten Endes überhaupt nichts zur weiteren Entwicklung von dessen Plot beiträgt. Schade darum.

Schade auch, dass die von Tim Blake Nelson (Old Henry) dargestellte Figur als jemand, der mehr weiß als alle anderen über diese Welt, mit seinen Vermutungen über einen baldigen Paradigmenwechsel letzten Endes ziemlich danebenliegen wird. Und nein, es ist kein Spoiler, denn über den eigentlichen Ausgang der Geschichte lasst sich allein durch Erwähnung dieser Details nichts erahnen.

Nach seinem mehr oder weniger wütenden (und relativ undankbaren) Abschied aus dem Star Wars- Universum ist es um John Boyega ruhig geworden. Kathryn Bigelows Detroit war zwischendurch ein kleines schauspielerisches Highlight, doch danach? Kamen Filme wie zum Beispiel Naked Singularity, in denen er ein bisschen so wirkt wie Denzel Washington, nur etwas devoter, mit weniger Charisma, aber nonkonform. Dieses Sturköpfige steht ihm gut, das war auch schon bei Star Wars so. Boyega ist da wie dort ein liebenswerter, aber selbstgerechter Rebell, der sich nicht anpassen will. In Naked Singularity schlüpft er in die Rolle eines Pflichtverteidigers, der mit undankbaren Fällen klar Verschuldeter vor Gericht ziehen muss – und das ganze amerikanische Rechtssystem mittlerweile ziemlich satthat. Dieser Frust, den er auch offen zur Schau trägt, kommt vor den Juroren selten gut an. Vielleicht aber könnte es ihm aber gelingen, mit dem Fall einer altbekannten straffälligen jungen Dame namens Lea (Olivia Cooke) seine Defensivposition doch für etwas gut sein zu lassen. Wie der Name schon sagt: Als Pflichtverteidiger scheint es Boyegas Pflicht, auch die zu retten, die schuldig sind. Und by the way: Lea hat da noch etwas ganz anderes in petto: eine Fuhre Drogen, die in einem abgeschleppten Auto versteckt sind, das zur Versteigerung steht. Diese zu stehlen und dafür abzukassieren – damit wäre allen geholfen. All jenen, die der Ohnmacht angesichts eines ungerechten Systems nahe sind.

Irgendwo und irgendwann in diesem Film soll es dann diese geheimnisvolle Wendung geben. Anscheinend dürfte dem zugrundeliegenden Roman von Sergio De La Pava die Sache mit dem Rechtsstaat und der unausweichlichen Sogwirkung, einer Singularität gleich, viel ernster sein als Regisseur Chase Palmer. Der setzt gerne auf eine kokette Olivia Cooke, die – a la Mavie Hörbiger auf den diesjährigen Salzburger Festspielen – drauf und dran ist, ein neues Nippelgate zu provozieren. Doch wo Olivia Cooke nun mit einem Patzen Geld in Zusammenhang gebracht werden kann – wie zum Beispiel auch in der irischen und ähnlich nichtssagenden Gaunerkomödie Pixie – da ist der Wink des Schicksals ein erwartbarer. All die kritischen Metaebenen an Gesellschaft und Staat, all diese theoretische Physik eines Stephen Hawking, sind nichts als Fußnoten in einem leicht komödiantischen Thriller, der so einige Namen für sein Ensemble gewinnen konnte, der aber viele Versprechungen macht, die unmöglich alle erfüllt werden können.

Naked Singularity

The Devil All the Time

IN EINER KLEINEN STADT

7/10


the-devil-all-the-time© 2020 Netflix


LAND: USA 2020

REGIE: ANTÓNIO CAMPOS

CAST: TOM HOLLAND, BILL SKARSGÅRD, HALEY BENNETT, ROBERT PATTINSON, SEBASTIAN STAN, JASON CLARKE, RILEY KEOUGH, HARRY MELLING, MIA WASIKOWSKA, ELIZA SCANLEN U. A.

LÄNGE: 2 STD 18 MIN


Der größte und gemeinste Trick des Teufels ist doch der, all die armen sterblichen Sünder glauben zu lassen, es gäbe ihn überhaupt nicht. Wenn diese Rechnung aufgeht, dann wäre der Antichrist wohl schon sehr zufrieden mit sich und der Welt. Doch es geht noch perfider: was, wenn der arme sterbliche Sünder versucht, zu Gott zu finden, und dabei die Fährte des Teufels gerät? Und gar nicht mitbekommt, dass er sich in seiner Gier nach dem göttlichen Fingerzeig weiter vor der Herrlichkeit wegbewegt als ihm lieb wäre. In Knockemstiff, einem Kaff in Ohio, bewegt sich so ziemlich alles von Gott weg, während es offenkundig auf Knien zu ihm hin rutscht. Und das aus unterschiedlichen Gründen. Einerseits ist es Frömmelei, andererseits Macht, andererseits das Hoffen auf Wunder durch Dauerbeten. Knockemstiff, der Geburtsort von Autor Donald Ray Pollock, muss diesem nicht sonderlich gut in Erinnerung geblieben sein. Heute ist dieses Kaff eine Geisterstadt, damals womöglich war diese von Albträumen geplagt. Fast wie eine Art Twin Peaks, sogar ein bisschen von Stephen Kings Derry geistert da mit. Ein Fass ohne Boden also für Geschichten, die den Fluch aufs Leben beschreibt.

In The Devil All the Time – nach Pollocks Roman Das Handwerk des Teufels – ist die zentrale Figur ein Junge namens Arvin (Tom Holland, gänzlich jenseits von Spiderman), der dem religiösen Extremismus seines Vaters Willard (Bill „Pennywise“Skarsgård) beiwohnen muss, beide Eltern verliert und später bei seiner Großmutter aufwächst, gemeinsam mit einer anderen Vollwaise namens Lenora, die bald zu einer guten Schwester wird, die er um alles in der Welt beschützen will. Doch der Teufel, der ist immer da, die ganze Zeit, und der verzerrende Fanatismus für einen Glauben ist, so könnte man sagen, die Quelle seiner Kraft. Es wird bald klar, dass alles, was hier in diesem Film passiert, den Bach runtergeht.

Viele namhafte Schauspielgrößen, die hier allesamt ihr Können unter Beweis stellen, treiben im wahrsten Sinne des Wortes ihr Unwesen. Und sie alle haben ihren ausgesuchten Platz in diesem kreisenden Perpetuum Mobile abwärts. Pollocks Vorlage für einen Film zu adaptieren, das war sicherlich eine Challenge. Regisseur António Campos war bei dieser Sache aber ganz der Profi und hat weder überhastet noch prätentiös all diese vielen kleinen Szenen in ein Arrangement gepackt, geradezu entknäuelt und so angeordnet, dass man beim Zusehen ein Gefühl dafür bekommt, wie sehr und wo all diese Schicksale miteinander vernetzt sind. Fast scheint es, als wäre The Devil all the Time ein ineinander verkeilter Episodenfilm, vielleicht ist er das ja auch, doch im Endeffekt ist es ein großes Ganzes, ein Bündel an menschlichen Schwächen und gestörten Empfindungen. Wäre The Devil all the Time ein Song, dann hätte diese Ballade womöglich Nick Cave geschrieben. So dunkel, entschleunigt und schwer sickern diese Schicksale durch die Straßen dieser Kleinstadt. Doch statt Nick Caves Songs unterlegt Campos seinen Film mit beschwingten Country-Klassikern und konterkariert den American Way of Life in seiner zynischsten Form.

Zynisch, das ist das richtige Adverb für dieses epische Thrillerdrama, das ein großes Gespür sowohl für seine finsteren als auch für seine verblendeten Charaktere hat, die aber alle unter einem Glassturz stehen, als wären sie Teil eines isolierten Experiments. Man ahnt, wie die Dinge sich entwickeln könnten, meistens tun sie es dann auch genau in diese Richtung, durch diese Vorsehung erhält man als Zuseher eine wissende Distanz. Und der Löffel mit der bitteren Medizin geht zum Glück an einem selbst vorbei.

The Devil All the Time