Was geschah mit Bus 670?

PAKT MIT DEM TEUFEL

7,5/10


bus670© 2020 Bodega Films


LAND / JAHR: MEXIKO, SPANIEN 2020

BUCH / REGIE: FERNANDA VALADEZ

CAST: MERCEDES HERNÁNDEZ, JUAN JESÚS VARELA, DAVID ILLESCAS, ANA LAURA RODRIGUEZ, ARMANDO GARCÍA, LAURA ELENA IBARRA, XICOTÉNCATL ULLOA U. A.

LÄNGE: 1 STD 39 MIN


Das Kino Lateinamerikas ist immer wieder bemerkenswert. Neben den verrückten Ideen und Konzepten aus Südkorea findet sich auch von Chile bis Mexiko allerhand Ungewöhnliches, wie zum Beispiel die Festivalfilme Tragic Jungle, Nobody Knows I’m Here oder der Sozialthriller 7 Gefangene (alle drei im Sortiment von Netflix). Ebenfalls nachhaltig in Erinnerung ob seiner ungewöhnlichen Erzählweise und der Konvertierung eines zutiefst tragischen Themas in eine fast schon poetisch anmutende Ballade bleibt das Kriminaldrama Was geschah mit Bus 607?. Das Filmplakat dazu mag irritieren, vielleicht gar etwas ganz anderes versprechen als es letztendlich der Fall ist: Zu sehen ist vom Rückspiegel eines Autos und so unscharf wie das Found Footage Foto einer paranormalen Beobachtung der Teufel, der sich über seine Opfer hermacht, im Hintergrund lodert das Feuer. Ist der Film von Fernanda Valadez also ein okkulter Horrorfilm? Okkult vielleicht nicht, aber Horror würde ich nicht ganz ausschließen. Denn was mag Horror eigentlich bedeuten? Kann der Horror nicht auch in der inhumanen Anarchie eines Krieges zu finden sein? Oder in der Gesetzlosigkeit mancher Weltgegenden, wo Banden das Sagen haben und jeder noch so brave Bürger, der sich so unauffällig wie nur möglich verhält, um jeden Tag seines Lebens bangen muss? So zu leben ist Horror genug, und es ist weder eine Erfindung noch braucht man hierfür ein dystopisches Szenario vom Stapel zu lassen wie in The Road oder Mad Max. Diese Gegenden gibt’s wirklich, und die liegen nah an der US-amerikanischen Grenze, im Norden Mexikos. Gesetzloses Niemandsland, regiert von schwer bewaffneten Banden und unmöglich zu verwalten. Durch diese Todeszone müssen aber all jene, die ihren Mut aufgebracht haben, um über die Grenze in die USA zu gelangen, um eben dort der Willkür finsterer Kartelle zu entgehen, die mit Drogen und Menschenhandel Geld scheffeln.

Wie der deutsche Titel bereits verrät (im Original nennt sich Valadez‘ Streifen Sin señas particulares, was so viel bedeutet wie „keine besonderen Anzeichen“), wird Bus 670 auf der Fahrt an die Grenze sehr bald vermisst. In diesem Bus saß Jesús, gemeinsam mit seinem Freund Rigo – beide gerade mal Teenager im ersten Drittel, das ganze Leben noch vor sich. Zu Beginn des Films verabschiedet sich ersterer von seiner Mutter, die Hoffnung auf ein besseres Leben stirbt zuletzt. Und da fällt sie auch schon in Agonie, die Zuversicht, doch Mutter Magdalena sucht weiter, man findet lediglich die Leiche des Freundes Rigo, von Jesús fehlt jede Spur. Auf ihrer gefährlichen Suche trifft die verzweifelte Frau auf andere Schicksale – auf einen abgeschobenen jungen Mann, der jahrelang schon in den USA gelebt hat. Und eine Mutter, die den bestätigten Tod ihres Sohnes nach Jahren ohne Lebenszeichen nicht wahrhaben will.

Was geschah mit Bus 670? ist ein metaphysisches, zwischen Wachen und Träumen, Erinnerungen und gerade Erlebtem wechselndes Stück Endzeitkino in einer längst nicht zu Ende gehenden Welt. Es ist bevölkert mit Geistern und verdammten Seelen, Klageliedern und ausweglosen Schicksalen. Mercedes Hernández als beharrlich nachforschende Mutter ist selbst wie ein Geist; wie ein verletzbares, barfüßiges Kind in einer Wildnis, bevölkert von Dämonen. Valadez findet mit ihrer Kamerafrau Claudia Becerril Bulos erstaunlich unorthodoxe Bilder – einerseits ruhend, fast statisch, sich in den Erinnerungen wiederholend. Ein bisschen wie Sergio Leone. Und dann der virtuose Kniff, die überlieferte Tragödie der Busfahrt als eine im Bokeh-Stil gefilmte, dem Übernatürlichen zugeordnete Mär zu illustrieren, die den Beelzebub wüten lässt. Unschärfen werden hier zum Schleier des Selbstschutzes, der die Gräuel nicht von dieser Welt sein lassen will.

Der am Sundance Festival 2020 erstmals gezeigte Film mag nicht die erste Wahl für unterhaltsame Stunden sein – doch sollte er auf der Watchlist ganz oben stehen, wenn es heißt, mit neuen Sichtweisen und innovativen Ideen das Kino – und vor allem das Weltkino – aus seiner Routine zu holen. Mit einem in sich stimmigen Twist sorgt Was geschah mit Bus 670? am Ende noch für ein Durcheinander an Empfindungen, wechselnd zwischen Verblüffung und untröstlicher Melancholie.

Was geschah mit Bus 670?

Windfall

ALL WE CAN DO IS SIT AND WAIT

4/10


windfall© 2022 Netflix


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: CHARLIE MCDOWELL

SCRIPT: CHARLIE MCDOWELL, JASON SEGEL, JUSTIN LADER

CAST: JASON SEGEL, LILY COLLINS, JESSE PLEMONS, OMAR LEYVA

LÄNGE: 1 STD 32 MIN


Ein Bungalow wie auf Ibiza. Fehlt nur noch die Nichte des Oligarchen. Und ein paar Blaue. Aber heute gibt’s die nicht. Heute scheint es ein heißer Tag an irgendeinem Wochenende irgendwo in Kalifornien zu sein. Ich muss zugeben: ein adrettes Setting für das, was sich hier gleich abspielen wird. Nämlich Suspense der alten Schule. Das zumindest vermittelt mir das bewusst im Stile der 50er Jahre gehaltene Intro, begleitet durch einen pompösen Score, der scheinbar einen Film Noir verspricht. Vielleicht so etwas, wie es vor kurzem Guillermo del Toro fabriziert hat. Ganz klar scheint sich Windfall (was so viel bedeutet wie Glücksfall oder Fallobst – ich denke, man darf sich das aussuchen) der Versatzstücke eines mysteriösen Kammerspiels zu bedienen, das von Leidenschaften, Intrigen und verschütteten Geheimnissen handelt. Mit dabei: ein illustrer Cast. Ex-HIMYM-Knallcharge Jason Segel als Tagedieb im wahrsten Sinne des Wortes, die zarte Lily Collins und der in welchen Rollen auch immer stets souveräne und undurchschaubare Jesse Plemons. Er und Lily Collins geben ein steinreiches Ehepaar, da Plemons sowas wie den im Geld schwimmenden CEO einer einflussreichen Firma darstellt, die sich mit dem einen oder anderen Patent womöglich gesundgestoßen hat. Aus Lust und Laune und gegen ihre Agenda beschließen beide, eingangs erwähnte Villa aufzusuchen, um mal auszuspannen von dem ganzen Dasein als Kapitalsieger. Die Rosen für die Gattin hat die Dienerschaft allerdings vergessen, was den CEO bereits sauer aufstößt. Noch unangenehmer wird’s, als Collins einen Einbrecher inflagranti erwischt. Der wollte gerade gehen, doch plötzlich haben wir eine waschechte Home-Invasion mit zwei Geiseln, die nichts lieber sehen würden, als dass der lange Lulatsch von dannen zieht, von mir aus auch mit dem Geld aus der Kaffeekassa, was immerhin mehrere tausend Dollar ausmacht. Als Jason Segels Gelegenheitsbandit bereits wieder ins Auto steigt, wird ihm klar, dass er und sein fahrbarer Untersatz die ganze Zeit überwacht wurden. Also wieder zurück durch den Orangenhain, um die reichen Herrschaften dazu zu bringen, die Aufnahmen zu löschen.

Und dann sitzen sie alle drei herum. Der Täter und die Opfer, an einem glutheißen Nachmittag auf der Veranda. Und warten. Auf noch mehr Geld, damit Segel untertauchen kann. Es vergeht der Tag, es wird Nacht, dann wird es wieder Tag. Das Ensemble sitzt, steht und liegt immer noch herum, und was sie von sich geben, hat weder immens viel zu bedeuten noch bringt es die Handlung voran. Regisseur Charlie McDowell lässt den Boliden im Leerlauf tuckern – ein gurgelnder Klang, aber nichts, womit sich demnächst von A nach B kommen lässt. Sehr bald frönt das ironische Krimidrama einem Müßiggang, der, durch das Warten und Harren auf jenen Moment, in der die angespannten Sommertage zu einem Ende kommen, alles andere als erquickend ist. Wir kennen dieses Gefühl – wenn der Flieger sich verspätet oder das Computerprogramm gerade nicht hochfährt. Währenddessen lassen sich auch andere Dinge tun, nämlich Konversation betreiben oder ein Buch lesen. Doch das ist nur zu Überbrückung, weil man ja schließlich etwas ganz anderes machen möchte und alle Ambitionen auf dieses eine Ziel gerichtet sind. Insofern steckt Windfall so lange in einer enervierenden Zwischendimension, bis am Ende die Freiheit wie ein ersehnter Tropfen Wasser auf die trockenen Lippen perlt. Aus diesem Blickwinkel lässt sich der müde Krimi als Gleichnis für eine Potenzierung für etwas sehnlichst Erwünschtes betrachten, das man am Ende doppelt oder dreifach erfüllt haben will. Aber seht selbst. Oder besser: wartet bis zum Schluss.

Windfall

Cash Truck

NUR BARES IST WAHRES

7/10


CashTruck© 2021 Studiocanal GmbH


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: GUY RITCHIE

CAST: JASON STATHAM, SCOTT EASTWOOD, HOLT MCCALLANY, JEFFREY DONOVAN, JOSH HARTNETT, LAZ ALONSO, RAÚL CASTILLO, NIAMH ALGAR, EDDIE MARSAN U. A. 

LÄNGE: 1 STD 59 MIN


Ein Mann übt Rache. Da schau her, doch so kreativ? Das kann einem im Grunde aber egal sein, denn Rache, die zieht immer. Und lässt sich auch im Bauchladen sämtlicher Billiproduzenten ganz ohne Déjà-vu-Effekt immer wieder auffüllen. Das ist der Stoff, auf dem die B-Movie-Schiene dahinfährt. Das ist auch der Stoff, der bereits im Jahre 2004 im französischen Thriller Cash Truck – der Tod fährt mit Verwendung fand. Müsste man theoretisch keinen Aufguss mehr machen. Aber Hollywood macht das immer. Weil Filme aus Übersee dortzulande einfach nicht funktionieren. Dabei kann der Stoff noch so billig sein, es kommt immer darauf an, was man daraus macht. Kleines Beispiel: Mehrere Künstler treffen sich in einem Atelier und malen eine inmitten des Raumes stehende, simple Vase, dabei dürfen sie ans Werk gehen, wie sie wollen. Bilder von Vasen, in denen Blumen stecken, gibt es viel zu viele, will doch keiner mehr sehen. Am Ende des Tages aber ist die Vase auf jedem Bild eine andere. Und Banales wird zu Besonderem. Dabei muss die narrative Basis nicht schon alle Stückchen spielen.

Dieses „Wie“ hat sich Guy Ritchie zu Herzen genommen. Filmfans kennen seinen persönlichen Stil: Erdig, kantig, lakonisch, hemdsärmelige Action und eine Vorliebe für das Actionkino der Siebzigerjahre, wo vorzugsweise im Tweed oder im grobem Textilsakko um die Ecke geschossen wird. Herumstehende Mannsbilder, mit markigen Textpassagen auf den Lippen. So funktioniert ein guter Ritchie, und trotz dieser banalen Vase als Kernstück seines Projekts hat dieser den plotmäßigen Ramsch so dermaßen gewieft aufpoliert, als hätten wir es mit einer völlig anderen und weitaus komplexeren Geschichte zu tun, als sie tatsächlich ist.

Das liegt auch an Ritchies Vergnügen, die Story nicht geradlinig ablaufen zu lassen, sondern zu zerschnipseln, irgendwo in der Mitte zu beginnen und die rätselhafte Bedeutung von Jason Stathams finsterer Figur langsam zu beleuchten. Keine Ahnung, ob das im Original auch so war. Ich jedenfalls würde vermuten, dass dieser dramaturgische Kniff neu ist. Ähnliches Muster gab es ja auch in seinem Vorgänger The Gentlemen, übrigens „der“ Geniestreich unter Ritchies Arbeiten. In Cash Truck (im Original: Wrath of Man) geht’s klarerweise und trotz des umgearbeiteten Scripts deutlich geradliniger zu. Und einsilbiger. Denn Jason Statham darf wieder mal, völlig spaßbefreit, die knallharte und bierernste Socke sein, die er immer gerne sein will. Das liegt ihm, wenn er nicht mit der Wimper zucken muss. Da weiß man schon: Bruder Mahlzeit, dieser Mann könnte im Alleingang alle Geldtransporer dieser Welt vor kriminellen Übergriffen schützen.

Das denkt sich die Firma, bei der Harry, genannt H, anheuert, bald ebenso. Schweigsam wie Chuck Norris und stoisch wie Statham eben selbst macht sich der Unbekannte in Arbeitskreisen bald einen Namen als Held und vor allem einer, der sich nichts gefallen lässt. Der mit griesgrämiger Miene ein finstere Vergangenheit mit sich herumträgt. Zeitgleich allerdings macht sich eine Bande Ex-Soldaten munter ans Werk: Ihr Plan ist es, nach mehreren Cash-Truck-Überfällen gleich das ganze Depot auszuräumen. Sie werden bald sehen, dass sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht haben. Denn H hat eine solche noch offen.

Das ist er, der ganze Plot. Doch schon allein der wummernde Score von Oscarpreisträger Christopher Benstead macht aus dem Actioner ein bisschen was Spezielleres. Die heftigen Töne, das grobkörnige Bild und ikonisch arrangierte Stills verleihen der Rachemär etwas Tragödienhaftes, ansatzweise gar ein Shakespeare’sches Drama, das den Noir-Charakter von Ben Afflecks Räuberballade The Town ebenso in sich trägt. Es wird schmutzig, blutig und pragmatisch. Sympathieträger gibt’s kaum, und wenn, dann nur für kurze Zeit. Etwas zu sagen hat in dieser Welt nur jener am Ende der kriminellen Nahrungskette. Es lässt sich erahnen, wer das ist. Und es überrascht wenig. Erstaunlich aber, wie aus wenig mehr werden kann.

Cash Truck

Der unverhoffte Charme des Geldes

ZUM TEUFEL MIT DEN KOHLEN

6,5/10

 

charmedesgeldes© 2018 Cinémaginaire Inc. – Film TDA Inc.

 

LAND: KANADA 2018

REGIE: DENYS ARCAND

CAST: ALEXANDRE LANDRY, MARIPIER MORIN, RÈMY GIRARD, MAXIM ROY, VINCENT LECLERC U. A.

 

Kanadas wohl bekanntester Filmemacher neben David Cronenberg ist womöglich Denys Arcand. Der Mann ist Oscarpreisträger, und zwar für seine eloquente Satire Die Invasion der Barbaren. Ein spitzzüngiger, sehens- und vor allem ob der Dialoge hörenswerter Film. Allerdings auch schon länger her, genau 16 Jahre. Drei Filme später legt der Autorenfilmer mit Hang zum Understatement eine ganz andere Komödie vor, oder viel mehr eine Thrillerkomödie, die den guten Mammon zum Thema hat. Und er lässt es regnen, das viele Geld, auf einen Unglücksraben, der sich selbst ganz nach Woody Allen-Manier für das Maß aller Dinge hält und mit zynischen Betrachtungsweisen seine Umgebung immer wieder vor den Kopf stößt. Nichts ist gut genug für den Paketzusteller, der es sogar noch schafft, seine Freundin mit Worten davonzuekeln. Alles soll sich ändern, als Fortuna das Füllhorn entgleitet. Und Fortuna schüttet es da aus, wo andere ins Gras beißen. So gesehen bei einem Banküberfall, der aber vereitelt wird, trotzdem es auf beiden Seiten keine Gefangenen gibt. So steht der intellektuelle Jungspund in kurzen Hosen und Lieferwagen alleine da, vor ihm mehrere Taschen voller Kohle. Was tun in so einem (un)glücklichen Moment? Natürlich das Geld schnappen und so tun als wüsste man von nichts. Und das, obwohl man eigentlich gegen den globalen Kapitalismus wettert.

Das Glück ist, wo sie sind – sagen die Casinos Austria. Am Glück klebt aber auch das Pech wie selbiges an der sinistren Schwester der Goldmarie. Gute Taten helfen da nicht weiter. Oder doch? Wäre ja alles kein Problem, gäbe es da nicht die gesamte Unterwelt Montreals, die diese vermaledeiten Sporttaschen sucht. Und zu drastischen Maßnahmen greift, wenn es darum geht, diese aufzuspüren. Die sind manchmal wirklich weit über der Schmerzgrenze. Wer sehen will, wie Foltermethoden aus dem Mittelalter so manch einem halbseidenen Ganoven die Wahrheit entlocken, der kann sich gerne auf dieses Katz- und Mausspiel einlassen. Was aber nicht heißen soll, dass Denys Arcand andauernd die Grenzen zwischen süffisanter Diebesballade und wenig gelenkschonender Gewalt auslotet. Nein, das tut er nicht. In Jesus von Montreal war es auch nur die Kreuzigung Jesu im Selbstversuch, der Rest kluges Gesellschaftsdrama. Der unverhoffte Charme des Geldes setzt seine Gewaltspitzen aber auf überrumpelnde Weise. Dazwischen: durchaus turbulente Bestrebungen rund um hohe Summen, was wiederum an Richard Pryors Eskapaden aus dem 80er-Klamauk Zum Teufel mit den Kohlen erinnert. Damals war’s eine Erbschaft, hier mehr oder weniger Blutgeld.

Die unaufgeregt bebilderte „Oceans“-Satire macht aus kapitalistischer Gier einen sozialen Krankheitsfall, so als würde jemand an Geld leiden, und andere sollen die Symptome gefälligst kurieren. Der junge Held aus Denys Arcands Film wird selbstredend in Versuchung geführt, angelt sich auch eine bildschöne wie sündteure Hostess (wahnsinnig erotisch: Maripier Morin) und tut sich noch dazu mit einer Parodie auf Helmut Elsner (ich sage nur: Bawag) zusammen, um die Knete, anstatt sie zu verbrennen, in alle vier Winde zu verstreuen. Es ist wie die wundersame Brotvermehrung, womit wir wieder bei Jesus von Montreal wären. Und das Geld verliert ein paar von seinen dunklen Seiten, weil es immer darauf ankommt, was man damit macht. Es horten, raffen oder verteilen, als wäre es nichts als ein Mittel zum Zweck. Was es ja auch ist.

Der unverhoffte Charme des Geldes

Destroyer

INS GESICHT GESCHRIEBEN

4/10

 

destroyer© 2019 Concorde Filmverleih

 

LAND: USA 2019

REGIE: KARYN KUSAMA

CAST: NICOLE KIDMAN, SEBASTIAN STAN, SCOOT MCNEARY, TATIANA MASLANY, BRADLEY WHITFORD U. A.

 

Das Leben ist ein einziges Risiko. Zu viel Sicherheit langweilt, also warum nicht mal Bungee springen, sich in die Stratosphäre schießen lassen oder in Krisenländern Urlaub machen? Natürlich ist das Risiko da sehr groß, und das wissen diese Leute auch, und wenn sie dann unglücklich landen oder aus dem Urlaub nicht mehr zurückkommen, war das leider der hohe Prozentsatz an Risiko, den man nicht als Katze im Sack mitgekauft hat. Klarer Fall von bewusster Selbstentscheidung. Der Mensch ist ja an sich intelligent, kann in die Zukunft planen und Situationen richtig oder falsch abschätzen, und auch die Risiken bei seinem Tun reflektieren. Auch wenn es darum geht, sich als Undercover-Polizistin in eine Verbrecherbande einzuschleusen. Sowas tut man freiwillig. Nicole Kidman als Polizistin Erin Bell hat das gemacht, nämlich undercover in der Clique eines Räubers mitzumischen (Toby Kebell mit unfreiwillig komischer Tommy Wiseau-Mähne). Aber das ist lange her.

Jetzt sitzt Polizistin Erin Bell entweder auf den Stufen, liegt am Boden oder sitzt bevorzugt im Auto – und starrt resignierend vor sich hin. Und sie sieht furchtbar aus. Nicole Kidmans Gesicht spricht Bände schlafloser Nächte und regelmäßiger Vollräusche. Die Haut ist trocken und fleckig, Augenringe bis zu den Mundwinkeln, und abgemagert bis auf die Knochen. Die aparte Juristenmama aus Big Little Lies ist längst vergessen. Dass es sich hierbei um dieselbe Schauspielerin handelt, ist ungefähr genauso schwer zu begreifen wie die Rolle Charlize Therons in Monster. Beide sehen zum Fürchten aus. Kidman hat noch dazu so einen glasigen Blick, der im Nirgendwo endet. Und sie starrt. Sitzt und starrt. Rafft sich manchmal auf, setzt sich aber bald wieder irgendwo nieder. Und trinkt. Warum? Aus purem Selbstmitleid. So ein Eigenjammer kann ganz schön runterziehen, da lässt man sich als armes Opfer gerne gehen bis es nicht mehr geht. Selbst die Rache für etwas, das im Laufe des Films lange im Dunkeln bleibt, boxt den larmoyanten, mieselsüchtigen Schlendrian auch nicht aus ihr raus. Das Gambling mit erhöhtem Risiko war allerdings hausgemacht, und auch das selbstgewählte Abbiegen von Geplantem war ein Wachsen auf eigenem Mist. Also warum nicht die Konsequenzen erhobenen Hauptes tragen? Erin Bell tut das nicht, kann es nicht. Und das bitteschön grenzt schon etwas prätentiös an Selbstgefälligkeit.

Eine Märtyrerin im Thrillergenre, die das Schicksal nicht ertragen kann, rückt sich selbst in all ihrem Leiden direkt ikonenhaft ins Bild, abgöttisch verehrt von Filmemacherin Karyn Kusama (u. a. Aeon Flux und Jennifers Body, ebenfalls zwei Damen am Rande des Erträglichen), die diese Selbstbeweinung großzügig duldet und während dessen aber sonst nicht mehr weiß, was sie mit ihrem Film eigentlich machen soll. Nicole Kidman ist natürlich ein Profi zweifelsohne, aber es lässt sich schwer einen Profi zwei Stunden lang beweisen lassen, wie gut er nicht auch ganz andere Rollen spielen kann. Das müsste man bei Kidman gar nicht mal wissen wollen, sie ist schon so lange im Filmbiz, dass sie Filme wie Destroyer nicht mehr nötig hat. Denn was transportiert das Thrillerdrama denn noch? Eine trostlose Chronik der Vergeltung, die keine Erkenntnisse birgt, die vielleicht ganz geschickt ihre Zeitebenen montiert, womit der Film wirklich punktet, aber sonst in unbedingt gewollter Lethargie völlig die Kraft verliert. Tragische Polizeigeschichten dieser Art können auch ganz im Stile des Film Noir in gewisser prosaischer Verklärung die Antithese zum Happy End zelebrieren, andere verlieren das Ziel einer Geschichte aus den Augen, um die zentrale Figur stolpern zu sehen. Das ist bei Destroyer der Fall, noch dazu ist die Kausalität des Verzweifelns eine in Kauf genommene. Mein Mitleid hält sich dabei in Grenzen. So bleibt nur mehr jenes von Kidmans Filmfigur, das aber keiner mit ihr teilen will.

Destroyer

The Highwaymen

MÄNNER FÜRS GROBE

5/10

 

highwaymen© 2019 Photo by Hilary B Gayle / Courtesy of Netflix

 

LAND: USA 2019

REGIE: JOHN LEE HANCOCK

CAST: KEVIN COSTNER, WOODY HARRELSON, KATHY BATES, JOHN CARROLL LYNCH, WILLIAM SADLER U. A.

 

Schön, Kevin Costner wohlauf zu sehen. Ein bisschen brummiger ist er geworden, im Hüftbereich spannt das Hemd und gesprochen wird nur mehr das Nötigste. Für einen Mittsechziger, der bald in die Rente hechten wird, nichts Ungewöhnliches, sofern er nicht der Filmbranche dient. Kevin Costner, der schnürt sich seine Hose gottseidank noch nicht bis zur Brust, und sein Fedora steht ihm gut, weil er noch dazu das auffällig selbstgefärbte Haupthaar verdeckt, das irgendwie lächerlich wirkt, ungefähr so wie bei Silvio Berlusconi. Natur wäre besser gewesen. Und die soziale Entfremdung? Womöglich seiner strafverfolgenden Laufbahn in vorliegendem Film geschuldet. Dort spielt er Frank Hamer, einen Texas Ranger außer Dienst, der aber wieder reaktiviert werden soll, weil womöglich ein ganz großer Fisch an seiner bald ausgeworfenen Angel baumeln könnte. Was heißt einer – zwei Fische: Nämlich das berüchtigtste Verbrecherpaar der Kriminalgeschichte – Bonny & Clyde.

Da denkt natürlich jeder Filmkenner an Arthur Penns bleihaltige Ballade selbes Titels, mit Warren Beatty und Faye Dunaway aus dem Jahr 1967. Die Bankräuber und mehrfachen Mörder mit einem kolportierten Sinn für Gerechtigkeit Marke Robin Hood waren ja tatsächlich Publikumslieblinge, allerdings der fragwürdigen Sorte. Soziale Gerechtigkeit sieht anders aus, jedenfalls nicht so wie Mord und Totschlag. Dieses Auflehnen gegen ein ungerechtes System heiligte anscheinend die Mittel, über die sich keiner der anfeuernden Normalbürger, die sich über ihre Veranda gelehnt und den beiden Turteltauben zugewunken hatten, den Kopf zerbrach. Oliver Stone hat dann Jahrzehnte später dem Benny & Clyde-Mythos mit Natural Born Killers die rosarote Brille vom Gesicht geschlagen. Bestien waren das, da braucht man gar nicht viel die Perspektiven wechseln. Und Bestien – die müssen gejagt werden. Also zurück zu Frank Hamer, der mit seinem Rentnerbuddie die R.E.D.-Gang um Bruce Willis aussehen lassen will wie ein Kaffeekränzchen. Nun, wenn Costner in den Waffenladen marschiert, um sich ein vom Staat gesponsertes Equipment von Faustfeuerwaffe bis Maschinengewehr zuzulegen, erinnert das ein bisschen an Michael Douglas in Falling Down, oder gar an einen Black Friday für Schwarzeneggers Cyborg-Alter Ego. Diesmal aber sind die beiden Opas aus Fleisch und Blut, und ihre mangelnde Agilität wird das Bleiarsenal schon ordentlich ausgleichen.

An Costners Seite agiert Woody Harrelson in zurücknehmender Haltung. Motivation sieht bei ihm meistens anders aus. Was das vielseitige Talent aus seiner Rolle des raubeinigen Mandy Gault herausholen kann, ist eine routinierte Hommage an Typen wie Clint Eastwood. Diese Interpretation hat aber auch schon Kevin Costner, also sind die beiden gesetzten Haudegen fast schon wie Brüder, obwohl Brüder ja meist grundverschieden sind. In The Highwaymen ergänzt Harrelson den anderen lediglich mit seinem lockereren Mundwerk, während Der mit dem Wolf tanzt in stoischer Nachdenklichkeit den schwer fassbaren, sträflich romantisierten Pistoleros in die Quere kommen will. Dabei stößt Costner relativ früh an seine schauspielerischen Grenzen, und auch John Lee Hancock, der unter anderem für das inhaltlich recht sperrige Hinter-den-Kulissen-Drama Saving Mr. Banks um Walt Disney einen recht geschmeidigen Zugang gefunden hat, verhaspelt sich dabei szenenweise vor allem in Sachen Tempo. Einerseits ist es ja schön und gut, die beiden Männer fürs Grobe näher kennenzulernen – aber ergiebig ist das nicht. Und ändert auch nichts daran, nicht unbedingt mehr von den beiden wissen zu wollen. Dadurch erzählt The Highwaymen relativ wenig und spult in ermüdendem Leerlauf die Chronik der Ereignisse ab. Spannender wäre es gewesen, Bonnie & Clydes Umstände nicht ganz auszusparen und mehr über den medialen Hype zu berichten. Verständnis für die beiden Kultkiller will der Film um nichts in der Welt aufbringen. So aber macht Hancock die „Bösen“ zu etwas unantastbar Besonderem, da das Konzept seines Thrillers es nicht vorsieht, von Costner und Harrelson abzurücken und das bürgernah Revolutionäre der Gesetzlosen zu hinterfragen. Am Ende lässt sich The Highwaymen zu einem Zugeständnis überreden, um nur für wenige Sekunden zum finalen Kugelhagel doch noch einen Seitenblick zu riskieren – auf eine personelle Staffage, die aber niemandem nützt.

Und so zieht sich die Netflix-Produktion in schnurgerader Eintönigkeit wie der Highway selbst durch karges Gelände, den Mördern beharrlich auf der Spur, was ein ganz gutes Bild der Fakten gibt, aber im Ganzen nur als der eine Teil eines komplexen Krimievents taugt, das Geschichte geschrieben hat. Sowohl im Film als auch im echten Leben.

The Highwaymen

Triple 9

HIT ME, KATE!

5,5/10

 

triple9

REGIE: JOHN HILLCOAT
MIT KATE WINSLET, CASEY AFFLECK, AARON PAUL

 

Wer am Längsten finster dreinblickt hat gewonnen! Der Sieg geht eindeutig an Kate Winslet. Als gewohnte Interpretin wohlwollender Charaktere und guter Menschen, die maximal noch in ernsthaften Schwierigkeiten stecken (mit Ausnahme von Peter Jackson´s Heavenly Creatures), will die Titanic-Ikone nun ganz andere Saiten aufziehen. Und zwar die dunkel gefärbten. Ihre Rolle als weiblicher Unterweltboss mit ausgeprägt mafiösen und richtig richtig bösen Zügen mag wohl das Einzige sein, dass von diesem Polizeithriller nachwirkt.

Gute und böse Cops, Korruption und verdeckte Ermittlung – Triple 9 erzählt Geschichten, die wir nach Sichtung von Internal Affairs, Training Day und The Town im Grunde schon zur Genüge kennen. Das Wissen, dass nicht alles schwarz und weiß ist, erschließt sich bei Genreliebhabern spätestens beim weitaus gelungeneren Black Mass, des biografischen Thrillers rund um einen abgrundtief verdorbenen Unterweltler, der Recht und Ordnung mit in den Sumpf des Verbrechens zieht. Was soll da nun also Triple 9 Neues oder gar Erfahrenes weitererzählen können? Im Grunde nur, dass der dringliche Funkcode 999Polizist unter Beschuss – gleichgesinnte Ordnungshüter zum kollektiven Halali gegen das Verbrechen zwingt. Und des Weiteren die Tatsache, dass die fiesen Drahtzieher im Zwielicht des Unkontrollierbaren auch weiblicher Natur sein können.  Dabei hat Winslet erstaunlich wenig Sendezeit. Ihr Auftritt beschränkt sich auf einige wenige, aber denkwürdige Szenen, die von ernüchternder Kompromisslosigkeit gegenüber Leib, Leben und Hörigkeit zeugen. Rund um das Zentrum der Finsternis entspinnt sich unter der Regie des australischen Regisseurs John Hillcoat ein Verwechslungsdrama in dunklen Bildern, die teils in morastigem Rotlicht ertrinken. Zwischen Heist- und Copthriller schenkt Hillcoat seinen Zusehern wie gewohnt keinerlei Sympathien. Ähnlich wie in seinem Film The Proposition zeigt der Filmemacher eine illusionslose Welt, in welcher sowohl die Guten als auch die Bösen keine Menschen sind, die man gerne zu sich nach Hause einlädt. Allesamt kaputte Figuren, die auf zweifelhafte Art schwer nachvollziehbare Ideale verfolgen, um dann entweder ins Gras zu beißen oder so gut wie alles zu verlieren. Bei Hillcoat kann ich mir gut vorstellen, dass Musiklegende Nick Cave die Kreation seiner Songvideos vertrauensvoll in dessen Hände gelegt hat.

Triple 9 bleibt ein bleischwerer Polizeifilm mit einigen bekannten Gesichtern, unnahbarer Kaltschnäuzigkeit sowie raubeinigen Schuss- und Seitenwechseln in gewohnter Life is Hard-Manier. Da gehen leider Nebenrollen wie jene von Gal Gadot sehr schnell unter. Und wo keine Identifikationsfigur, da auch keine besondere Anteilnahme am Geschehen. Hillcoat wird wohl wieder ins australische Outback wechseln müssen, wo sich seine verlorenen Seelen in ihrem Archaismus besser zurechtfinden. Kate Winslet kann er da ruhig mitnehmen.

Triple 9