Mater Superior (2022)

EIN HAUCH VON MODER

4/10


mothersuperior© 2022 Splendid Film


ORIGINALTITEL: MOTHER SUPERIOR

LAND / JAHR: ÖSTERREICH 2022

REGIE / DREHBUCH: MARIE ALICE WOLFSZAHN

CAST: ISABELLA HÄNDLER, INGE MAUX, JOCHEN NICKEL, TIM WERTHS, FLORIAN TRÖBINGER, TOMMY GFÖLLER, PATRICIA AULITZKY, DIANA REUCHLIN U. A.

LÄNGE: 1 STD 11 MIN


Marie Alice Wolfszahn. Diesen Namen muss man sich merken, es geht gar nicht anders. Im Gedächtnis bleibt dieser aber weniger aufgrund dessen, was nämliche österreichische Filmemacherin so inszeniert hat, sondern vielmehr aufgrund des phonetischen Klangs an sich. Wolfszahn hat einen gänzlich unter dem Radar heimischer Kinoauswertungen laufenden, gediegenen Herrenhaus-Grusel inszeniert, der zumindest die Ehre erfahren durfte, im Rahmen des Slash Filmfestival 2022 auf der großen Leinwand gezeigt zu werden. Schauplatz ist ein dem Zahn der Zeit ausgeliefertes, schmuckes Anwesen im Gebiet um den Semmering, das ist für Nichtkenner der österreichischen Landkarte im Süden des Bundeslandes Niederösterreich. Wir schreiben das Jahr 1975, der Weltkrieg mitsamt seines Nazi-Regimes liegt auch schon 30 Jahre in der Vergangenheit, und dennoch ist dieses alte Gemäuer namens Rosenkreuz inmitten von Grün und fernab jeglicher anderen Infrastruktur von einer reaktionären Aura umgeben, als wäre es ein Tor in eine traumatische Zeit. Abschrecken lässt sich die junge Krankenpflegerin Sigrun davon nicht, die von nun an bei Baronin Heidenreich nach dem Rechten sehen wird. Ebenfalls in den Diensten der Alten befindlich ist der verschrobene, lakonische Hauswart Otto (brummig: Jochen Nickel). Als ungleiches Trio geistern sie von nun an rund 70 Minuten durch eine seltsame Welt aus verfallenen, geradezu postapokalyptisch anmutenden Räumen, kafkaesker Archive und Okkultem, das in seiner praktischen Umsetzung unfreiwillig komisch wirkt. Baronin Heidenreich war mal Aufseherin in einem dieser faschistoiden Geburtshäuser, die man auch Lebensborn-Heime nannte. Klein Sigrun dürfte damals genau dort zur Welt gekommen sein, von ihren Eltern weiß sie so gut wie gar nichts. Ihre Anstellung ist demnach nicht sozial motiviert, sondern hat genau diesen Hintergedanken – nämlich, der alten Nazi-Dame jene Geheimnisse zu entlocken, die ihre Existenz betreffen.

Was in diesem Gothic-Mysterium dann sonst so passiert, ist vermutlich so sperrig wie all die windschiefen Türen in diesem historistischen Bau, die nicht mehr in ihren Türstock passen und von einer zugigen Halle in die andere führen. Immer wieder mal erscheint die in Brautmoden gehüllte, titelgebende Mater Superior, auf Deutsch Mutter Oberin, niemals ist ganz klar, wer damit gemeint ist und welchen Mehrwert diese personifizierte Allegorie denn eigentlich hat. Inge Maux gibt sich ganz neureich, vorgestrig österreichisch und hat jede Menge dunkle Vergangenheit zu verbergen, doch mit dieser setzt sich Wolfszahn nur flüchtig auseinander. Keine Ahnung, was Inge Maux hier treibt, welche Funktion dieser Otto eigentlich hat und was das für ein Kult ist, den beide praktizieren.

Mater Superior kolportiert bedeutungsschwere Schauerromantik, die eine Spurensuche illustriert, die dank der historischen Komponente genug Tiefgang mitbringen hätte sollen. Die Praxis macht der Theorie aber einen Strich durch die Rechnung. Alle drei Figuren, sowohl Inge Maux als auch Isabella Händler und Jochen Nickel füllen zwar ihre Rollen aus, doch diese sind zu dürftig skizziert, um einer direkten Konfrontation untereinander standzuhalten. So sind die Biographien der beiden weiblichen Filmfiguren mehr als vage und irgendwie seperat, es fehlt der Bezug oder die Relevanz oder auch nur ein driftiger Grund, um motiviert genug zu sein, die Indizien zusammenzuzählen.

Schöne Bilder allein retten Mater Superior auch nicht vor seiner heillosen Konfusion, vor seiner unzusammenhängenden Erzählweise und gar vor einer völligen Verwirrung am Ende des elegischen Lost Places-Horrors, dessen Twist auf keiner erkennbaren Vorahnung beruht. Es ist, als hätte die Geschichte vergessen, auf seine Conclusio hinzuarbeiten. Was bleibt, sind Stuck, Staub und ein Hauch von Moder.

Mater Superior (2022)

Des Teufels Bad (2024)

GEH, ABER GEH MIT GOTT

8,5/10


desteufelsbad© 2024 Ulrich Seidl Filmproduktion – Heimatfilm


LAND / JAHR: ÖSTERREICH, DEUTSCHLAND 2024

REGIE / DREHBUCH: VERONIKA FRANZ & SEVERIN FIALA

KAMERA: MARTIN GSCHLACHT

CAST: ANJA PLASCHG, DAVID SCHEID, MARIA HOFSTÄTTER, NATALIJA BARANOVA, LUKAS WALCHER, CLAUDIA MARTINI, AGNES LAMPL, CAMILLA SCHIELIN U. A.

LÄNGE: 2 STD 1 MIN


Dieses Jahr könnte das Jahr des österreichischen Films sein. Nach Adrian Goigingers Austropop-Lokalaugenschein Rickerl, der sehr zu Herzen ging und die Wiener Seele wie kaum ein anderes aktuelles Werk so gut verstanden hat, legt nun das Regieduo Veronika Franz und Severin Fiala, geübt im Understatement-Horror mit Kloß im Hals, einen Einblick in die Volksseele des 18. Jahrhunderts vor, der alle Stücke spielt. Man darf getrost und völlig bedingungslos vom besten Film sprechen, den die beiden bislang auf die Leinwand brachten.

Des Teufels Bad ist eine Zeitreise. Nicht nur ins provinzielle Oberösterreich des Jahres 1750, zu einer Zeit, als Mozart gerade mal sechs Lenze zählt und bereits das Establishment mit seinem Naturtalent begeistert. Es ist vor allem auch ein Exkurs in die Psyche eines vom religiösen Glaubenseifer eingenommenen Menschenschlags, ins verschwurbelte Gemüt am Rande der Armut stehender Subsistenzwirtschafter, die in heruntergekommenen Bauernhäusern mitten oder am Rande des Waldes ein zwar gottgegebenes, aber karges und entbehrungsreiches Leben in der Monotonie eines immer gleichen Alltags aus Erwirtschaftung, Erschöpfung und kargen Gesprächen führen, in dem brauchtümliche Vergnügungen zu Dorfhochzeiten oder Hinrichtungen die einzigen Highlights waren. Dieses penibel recherchierte und detailgenau rekonstruierte, vergangene Oberösterreich fasziniert alleine schon dadurch, in notwendiger Entschleunigung und in einer damit einhergehenden immensen Konzentration auf das Gezeigte eine Zeit nachgestellt zu haben, die vor gerade mal 274 Jahren durchdrungen war von Aberglauben, kuriosen Riten und bizarren Heilmethoden. Es ist verblüffend, was Franz & Fiala hier zutage befördern. Basierend auf authentischen Aufzeichnungen und gebettet auf einer so glaubwürdigen wie ungemein realitätsnahen Gesamtbetrachtung einer ländlichen Welt aus Gottesfurcht und erdgrauem Naturalismus rückt eine Frau namens Agnes in den Mittelpunkt. Sie wird zur Leidtragenden in einem so wuchtigen wie wichtigen Opus Magnum über Leid und Untröstlichkeit, über psychische Erkrankung und verzweifeltem Escape-World-Kreuzweg.

Agnes, historisch dokumentiert als tatsächlich gelebte Person, ist zu anfangs noch glückselig und verspürt, was junge Frauen eben verspüren, wenn sie sich vermählen und ihr neues Leben beginnen. Wenn alles gut geht, ruft die Mutterschaft; ein kleiner Mensch will großgezogen werden. Das Paradies in einem wenig paradiesischen Umfeld weckt letzte Hoffnungen, bevor die Fakten auf dem irdenen Präsentierteller womöglich Anderes verheißen. Die noch so lebensfrohe und von der Natur faszinierte Agnes sieht sich nach anfänglicher Begeisterung alsbald in einem düsteren Eigenheim wieder, wo Ehegatte und Karpfenfischer Wolf nicht daran denkt, seinen „ehelichen Pflichten“ nachzugehen. Darüber hinaus schlägt die Schwiegermutter ständig auf und belehrt Agnes ungefragt in allen Lebenslagen. Als dieser klar wird, dass nichts so ist, wie sie es sich erträumt hat, fällt sie in Des Teufels Bad – die damalige Umschreibung einer Depression. Psychisches Leiden ist damals weder greif- noch ergründbar – den Leibhaftigen zu bemühen, eine willkommene Bequemlichkeit. Alles sei entweder von Gott gewollt oder vom Teufel, ein Sigmund Freud ist undenkbar, und man darf davon ausgehen, dass seelische Resilienz angesichts so schlechter Zeiten damals noch viel weniger vorhanden war als heute.

Nun aber kommt eine paradoxe Denkweise ins Spiel, die von jenen, die so wie Agnes daran dachten, sich das Leben zu nehmen, als letzte Instanz angewandt wurde: Selbstmord führt zu ewiger Verdammnis, für Mord gibt’s immer noch die Chance zur Absolution. Was also tun? Töten, um hingerichtet zu werden, damit sich der Wille erfüllt? Klingt ganz schön verzweifelt. Franz und Fiala gelingt es dabei, ihrem Psychodrama emotionales Gewicht zu geben, ohne sich überschwer und prätentiös in einer Finsternis zu suhlen. Deren Betrachtung wahrt eine gewisse symptombeobachtende Distanz – jedoch nie so weit, um nicht doch, wie Agnes selbst, den Blick in den Abgrund zu wagen. Des Teufels Bad erinnert an Robert Eggers The Witch, bezieht aber, anders als dieser, keinerlei Position. Mit Motiven von allerlei Vergänglichem beladen und einer autoaggressiven Lust am Ekel läuft der Film auch nicht Gefahr, zu romantisieren oder gar Kompromisse einzugehen. Der Horror, wenn es denn einer ist, liegt in den herbstdunklen Fakten, die staunend machen und so faszinieren, als wäre das Werk eine semidokumentarische Rekonstruktion. Man fühlt, man schmeckt, man riecht diesen Film, man erschrickt, man ist verstört, man leidet mit. Nicht nur die phänomenale Anja Plaschg, die wieder mal zeigt, dass fehlende schauspielerische Ausbildung ohne Regelkorsett darstellendes Talent erst so richtig zur Entfaltung bringt – auch Komiker David Scheid tut instintkiv das Richtige und erdet sich als sperriger Landmensch. Und bei Maria Hofstätter ist es, als wäre sie niemals etwas anderes gewesen als Fischerin im Hinterland der Donau.

Des Teufels Bad ist ein großer, grimmiger Wurf im Schaffen des österreichischen Films. Packend und befreiend, knochenhart und in manchen Szenen kaum zu ertragen, mit der Schwere des Lebens hadernd und in der Erlösung von selbigem die wahre Glückseligkeit findend. Natürlich ist das alles schwerer Stoff. Aber einer, der in eine entrückte, karge Welt eintaucht, die sich zum Greifen nah aus dem Dunkel der Geschichte schält. Und den Namenlosen, Verzweifelten und Verlassenen von damals ein Gesicht gibt.

Des Teufels Bad (2024)

There’s Something in the Barn (2023)

ZORN DER WICHTEL

5/10


TheresSomethingInTheBarn© 2023 capelight pictures


LAND / JAHR: NORWEGEN 2023

REGIE: MAGNUS MARTENS

DREHBUCH: ALEKSANDER KIRKWOOD BROWN

CAST: MARTIN STARR, AMRITA ACHARIA, KIRAN SHAH, ZOE WINTHER-HANSEN, TOWNES BRUNNER, CALLE HELLEVANG LARSEN, HENRIETTE STEENSTRUP, PAUL MONAGHAN U. A.

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


Kurz vor Weihnachten ein neues Leben zu beginnen ist kein gut gewählter Zeitpunkt. Zu Weihnachten ist das Vertraute gerade recht, da will man’s gemütlich haben, will sich besinnen, und nicht die Zeit mit Unerwartetem verbringen, das plötzlich ins geerbte Haus schneit. Diese Unterkunft besaß einst der Onkel des nach Amerika ausgewanderten Bill (Martin Starr), der einem Brand in seiner Scheune zum Opfer fiel. Am Anfang des Films wird uns Zusehern sofort klar: Was da in dieser Bretterbude bereits den Oheim zur Weißglut trieb, soll auch der nächsten Generation zum Verhängnis werden. Irgendetwas ist da in der Scheune, so der übersetzte Titel dieser Horrorcomedy, die sich auf ganz gemütliche Weise den Mythen und Legenden Skandinaviens widmet und diese mit einem Home Invasion-Szenario in Verbindung bringt, welches wir alle aus den Gremlins-, Critters– und Zombie-Franchise kennen. Ob There’s Something in the Barn auf irgendeine Weise Althergebrachtes auf neue Wege bringt? Mitnichten.

Dieses neu erworbene Domizil samt Scheune liegt inmitten einer verschneiten Mutter Natur – etwas Schöneres kann man sich rund um Weihnachten gar nicht wünschen. So meinen es zumindest Mama und Papa – die pubertierende Teenager-Tochter sehnt sich nach dem urbanen Jet-Set und verbarrikadiert sich todunglücklich in ihrem Zimmer, der jüngere Sohn aber hat ein Händchen fürs Paranormale – und knüpft Kontakt mit einem wichtelartigen Elf, der in besagter Scheune haust. Mit etwas Geschick und Einfühlungsvermögen lassen sich Wesen wie diese leicht manipulieren und zu gutmütigen Heinzelmännchen abrichten – wenn man darauf achtet, gewisse Parameter einzuhalten. Natürlich geht das schief. Gerade zu Heiligabend, wenn Papa aufgrund eines misslungeneren Festtagsmenüs die vom Sohn vorbereitete Hafergrütze verputzt, die eigentlich für den Elf bestimmt war, setzt es statt Süßem eben Saures. Wie wütend Wichtel dabei werden können, ist bereits aus dem Märchen Schneeweißchen und Rosenrot bekannt, wenn der Bart einer ganz ähnlichen, zwergenähnlichen Gestalt im Stamm eines gefällten Baumes festhängt. So richtig rabiat wird auch dieser kleine Knilch hier, und wenn schon der Hass auf die undankbare Menschheit groß genug ist, lässt sich dieser auch mit anderen teilen. Es dauert nicht lange und mordlüstern schnaufende Zipfelmützenträger stürmen das traute Heim.

Bei den Gremlins wäre es ein leichtes gewesen, die kleine grüne Apokalypse aus schabernaktreibenden Langohren zu vermeiden. Auch in Magnus Martens alles anderen als stillen Nacht ist der Zorn der Wichtel nur der Quotient aus fehlendem Respekt und mangelnder Anpassungsfähigkeit in einem Land, in welchem manche Dinge eben anders laufen als in Übersee.

Exzentrische Fantasy, die mit dem Horror kokettiert und sich in das streng saisonale Genre des Weihnachtsfilms einschleicht, sind ein gefundenes Fressen für Leute, die der schönsten Zeit des Jahres gerne auch noch eine metaphysische Ebene abgewinnen wollen, die weniger mit Nächstenliebe und Familiensinn zu tun hat. Hier mag das nicht ganz ungerechte Finstere, das sich allerdings dazu bekennt, ohne Licht nicht zu existieren, mangelnde Tugend bestrafen, wie Knecht Ruprecht oder der gute alte Krampus. Des Menschen Gier, des Menschen Unachtsamkeit – sie sind die Beweggründe für manch Monströses aus missachteten Legenden, das die uns bekannte Realität heimsucht. Krampus zum Beispiel wird zum schneestöbernden Mindfuck, die skandinavische Weihnachtsgeschichte Rare Exports – einer meiner Lieblinge – lässt den Ur-Weihnachtsmann auf lakonische und schwarzhumorige Art und Weise von der Leine. Viel mehr gibt’s da eigentlich nicht, alles weitere gerät zu profaner Action. There’s Something in the Barn ergänzt zwar das Subgenre der sinistren Weihnachtsfantasy auf unmissverständliche Weise, bleibt aber hinter den Erwartungen zurück. Wichtel wüten zu lassen ist eine Sache – wie der Mensch darauf reagiert eine andere. So ist der Konflikt zwischen magischer und realer Welt zwar anfangs mit reichlich Suspense ausgestattet, meidet später aber die feine Klinge. In grobem Hickhack werden die Wichtel übers Feld geschickt, zähes Schauspiel und banale Drehbuchseiten lassen das gewisse Etwas vermissen. Als schales Wintergemetzel vielleicht brauchbar, die geliebten Deko-Elfen im eigenen Heim haben letztendlich aber mehr Seele als jene, die zum Hammer greifen.

There’s Something in the Barn (2023)

Family Dinner (2022)

SCHAUDERHAFTES MAGENKNURREN

5,5/10


familydinner© 2022 Panda Lichtspiele


LAND / JAHR: ÖSTERREICH 2022

BUCH / REGIE: PETER HENGL

CAST: PIA HIERZEGGER, NINA KATLEIN, MICHAEL PINK, ALEXANDER SLADEK U. A.

LÄNGE: 1 STD 37 MIN


Das Genre des Weihnachtsfilms ist bekanntlich breit gefächert. Von Zombie-Apokalypse bis zur honigsüßen Weihnachtszeit mit Winnie The Pooh ist hier wirklich alles vertreten. Von politisch unkorrekt bis haus- und keksebacken. Mit dem stiefmütterlich behandelten Genre des Osterfilms sieht es aber ganz anders aus. Warum ist das so? Vielleicht, weil die frohe Botschaft der Wiederauferstehung nicht einfach so durch das Feiern geballter Frühlingspower ersetzt werden kann? Weihnachten geht da schon längst als heidnisches Liebesfest durch. Zu Ostern fächert sich die Vielzahl der Filmgattungen von der Passion Christi, dem Blut- und Wundenwerk von Mel Gibson, auf bis zum großen Eierklau für die ganz Kleinen. Doch mehr oder weniger: Ohne Jesus und Hasen nichts gewesen. Jetzt gibt es frisches Osterfeuer aus dem morbiden Alpenland, sprich meiner Heimat Österreich. Hier hat weder Jesus groß das Sagen, noch kommen Hasen dazu, ihre Eier zu verstecken, weil sie vielleicht vorzeitig ihre Löffel abgeben. Hier hat das Genrekino des Osterfilms eine neue Nische entdeckt. Und zwar die des Horrors.

Wie so was geht, lässt sich eigentlich leicht bewerkstelligen. Man muss nur in der lokalen Volkskunde wühlen und auf folklore Riten stoßen, wie dies zum Beispiel Ari Aster zu Midsommars Zeiten getan hat. Blickt man also in die Abgründe mythologischer Wahnvorstellungen, kann einem schon anders werden und das Osterlamm würgt sich hoch. Mit so viel Hokuspokus will niemand was zu tun haben – das Teenagermädchen Simi allerdings schon. Die schlägt nämlich zeitgerecht zu Beginn der Karwoche bei ihrer Tante Claudia auf, die schließlich nicht irgendwer ist, sondern eine recht prominente Starköchin, die schon das eine oder andere Buch veröffentlicht hat, wie damals zu früheren ATV-Zeiten Sasha Walleczek, die uns überdeutlich erklärt hat, wieviel Zucker in ein Gläschen Coca-Cola passt. Simi, muss man dazusagen, ist übergewichtig, und da packt sie die kombinierte Gelegenheit von Schulferien und Verwandtschaft am Schopf und bittet die überaus freundliche Tante um fachgerechte Unterstützung beim Verlieren ihrer Kilos. Als krasser Gegenpol zu ihrer Zero Carb-Diät darf Cousin Filipp selbst in der strengsten Fastenwoche des Jahres ordentlich reinhauen. Und zugegeben: Claudias Gerichte, die ordentlich prominent in Szene gesetzt sind, lassen einem das Wasser im Mund zusammenlaufen. Von Tagliatelle mit Schafkäse bis zum Hasenbraten mit Rosmarin ist hier alles dabei. Pfannkuchen mit Apfelscheiben zum Frühstück, frisch gebackenes Brot am Morgen, medium gegartes Rind – Gourmet, was willst du mehr. Doch so verlockend diese herzhafte Schlemmerei auch sein mag: niemand sonst wird sich daran vergreifen, zumindest bis Ostersonntag nicht. Denn da soll ein Ritual stattfinden, dass Claudia sehr, sehr wichtig ist. Überdies ist es für Simi als Privileg zu verstehen, Teil dieser kernfamiliären Festivitäten zu werden.

Österreichische Filme sind tatsächlich meist trist. Auch Family Dinner. Zumindest vom Wetter her. Wolkenverhangen und deutlich zu frisch für diese Jahreszeit. Inmitten des niederösterreichischen Waldviertels steht ein Bauernhof, fern jeglicher Zivilisation. Man ahnt schon: Hier könnte Schlimmes am Werk sein. Fast scheint es, als bediene sich Hengl am guten alten Hänsel & Gretel-Mythos, wobei er diesen aber von innen entsprechend aushöhlt, um das Magenknurren als akustisches Gestaltungselement wie das unheilvolle Jaulen eines Geistes erklingen zu lassen. Pia Hierzegger weiß diese unguten Ahnungen aber stets zu zerstreuen. Wie sie das macht? Als alternative Esoterik-Intellektuelle mit hochgeschnürter Haushose, betulicher Liebenswürdigkeit und ordnungsliebender Hausfrauenstrenge wickelt sie Simi (Nina Katlein in ihrer ersten Filmrolle) um den Finger. Oder ist doch alles nur ehrlich gemeint? Hierzegger entdeckt hier eine neue Spielwiese für Suspense, Psychothrill und gediegenem Horror. Die sonst meist recht stoisch agierende Schauspielerin weiß mit links, wie sie gute Miene zum bösen Spiel macht. Und peppt den sonst eher träge dahinplätschernden Thriller ordentlich auf. Peter Hengl (u. a. Curling für Eisenstadt) lässt mit seinem ersten, selbst verfassten Kinofilm die Karwoche als entbehrungsreichen Katharsis-Parcour vonstatten gehen, in der Andeutungen und manch überzogene Gemütslage die einzigen prickelnden Highlights sind – bis endlich die wortwörtliche Erlösung von der Qual der Enthaltsamkeit auch gleich eine ganze Portion familiären Albtraum mit sich bringt. Bis es aber so weit kommt, gerät Family Dinner oft ins Stocken und entwickelt selten einen Dialogfluss, der nicht selten so danach klingt, als hätten die Beteiligten ihr Drehbuch schön brav auswendig gelernt.

Auch vergibt Hengl leider so einige Chancen, die leider sehr frühen Erahnungen zukünftiger Geschehnisse im Zickzackkurs zu zerstreuen. Es gibt da eine Stelle im Film, da ist nicht ganz klar, wer nun die Verrückten sind und wer nicht. Anhand dieser kurz aufblitzenden, erfrischenden Kehrtwende hätte Hengl noch mehr Zweifel bei seinem Publikum säen können, was Family Dinner auch noch perfider gemacht hätte. Der etwas holprige Erzählfluss wäre dadurch auch etwas weicher gegart geraten.

Die Zähne ausbeißen muss man sich bei Family Dinner aber nicht. Die Story mag zwar nicht das Gelbe vom Osterei sein und zu zaghaft aus sich herauskommen – Hierzeggers gefälliges Betüddeln allerdings schafft schon so einige feine Momente, in denen man das Spiel um Fasten und Mästen durchaus genießen kann.

Family Dinner (2022)

Birds of Passage

DAS ÜBEL MIT DER WURZEL

7,5/10

 

birdsofpassage© 2018 Ciudad Lunar, Blond Indian, Matea Contreras

 

ORIGINAL: PÁJAROS DE VERANO

LAND: KOLUMBIEN 2018

REGIE: CIRO GUERRA, CRISTINA GALLEGO

CAST: CARMINA MARTINEZ, JHON NARVAEZ, JOSÉ ACOSTA, NATALIA REYES, GREIDER MEZA, JOSE VICENTE COTES U. A.

 

Eine karge Ebene, über die der Wind weht. Dürre Bäume. Man möchte meinen, man wäre in der Sahelzone. Falsch gedacht. Dieses Ödland ist Kolumbien. Wobei ich bei Kolumbien in erster Linie an dichte Wälder denke, bis an die Küste. Die Hütten der Wayuu allerdings, die stehen dort, wo Touristen womöglich kaum hinkommen. Nämlich an der Halbinsel La Guajira im Norden des Landes, direkt an der Grenze zu Venezuela. Wer die Wayuu eigentlich sind? Ein indigenes Volk mit Prinzipien, strengen Regeln und Ritualen. Und mit einem schier grenzenlosen Glauben an eine höhere, fast schon prophetische Bedeutung der Dinge. Kommt bekannt vor? Zumindest wenn man ans Römische Reich denkt, da waren die sogenannten Auguren jene, die aus allem was sie sahen, hörten oder in die Finger bekamen, die Zukunft lesen oder zumindest erahnen konnten. Soweit ich weiß, wurde selbst Cäsar davor gewarnt, an den Iden des März im Jahre 44 v.Chr. den Senat aufzusuchen. In den Wind schlagen lässt sich sowas recht einfach. Und in den Wind, der da an der Halbinsel unablässig weht, schlagen auch die Wayuu sämtliche Omen, wenn es um Profit geht. Den entdeckt nämlich in den 60er Jahren ein in die Sippe der Wayuu eingeheirateter junger Mann namens Rapayet, der einigen Amis Marihuana verkauft. Die wollen bald mehr, und so wird das grüne Gold, wie es im Untertitel des Filmes heißt, Zankapfel sämtlicher Clans, die alle ein Stück vom Kuchen wollen und bald lästige Konkurrenz mit bewährtem Blei der Einfachheit halber auszuschalten gedenken. Irgendwie rauft man sich zusammen, auch wenn man sich nicht ausstehen kann und die Ehre der Familie ständig im Weg ist. Die wird dann auch, nachdem alle Jahrzehnte später in ihrem Reichtum förmlich ertrinken, allen zum Verhängnis – und eine bittere Tragödie nimmt ihren Lauf.

Birds of Passage – das sind die Zugvögel, die übers Land Richtung Süden ziehen. Das sind aber auch Seelenträger Verstorbener, die keine Ruhe finden. Der stelzende Graureiher ist ein Symbol, dass den ganzen Film frequentiert und Verrätern nicht von der Seite weicht. Stets stakst das Federvieh über Lehm- und Teppichboden, erinnernd an den Blutzoll, der dem Perpetuum Mobile der Gewalt erst den Anstoß gegeben hat. Der Kolumbianer Ciro Guerra, der schon mit der bemerkenswerten Dschungelodyssee Der Schamane und die Schlange den künstlerischen Aspekt des Schwarzweißfilms wieder zu neuen Sphären erhoben hat, reist nun vom Amazonas in die eigene Heimat und gräbt so tief es geht in der kolumbianischen Erde, um das grüne Übel an der Wurzel zu packen und die kriminelle Genesis des Drogengeschäfts von der Stunde Null an zu erzählen. Auch für Birds of Passage findet Ciro Guerra epische Bilder, die auf den ersten Blick so gar nichts mit irgendeiner Art des Suchtmittel-Business zu tun haben. Wenn das Wayuu-Mädchen Zaida vom Mädchen zur Frau wird, und das im Rahmen einer penibel durchexerzierten Initiation, dann erinnern die wallenden, vom Wind gebauschten roten Gewänder an die Bildsprache von Tarsem Singh, wie aus einem surrealen Märchen, das aber bei näherem Hinsehen nur scheinbar so anmutig und verzaubernd wirkt. Das rote Tuch – eine weitere Metapher, vielleicht für das vergossene Blut, das den heiligen Boden tränkt, der für das im wahrsten Sinne des Wortes fatale Joint Venture unerlässlich ist. Die Leichen aber, die hier den Weg pflastern, säumen wie Mahnmale die Landschaft. Was wir sehen ist nicht das Töten, sondern den Tod, das Resultat eines unlösbaren Konflikts, dazwischen gezogene Waffen, traditionelle Gesänge, und entrückte Visionen, die genauso zu deuten sind wie alles andere. Birds of Passage ist eine flirrende, womöglich nach eigenen filmischen Ritualen streng komponierte Oper um Gewalt, Reichtum und die Geißel ethnisch bedingter Zwänge. Und ein verlustreiches Lehrstück über die Institution Familie als Grundstruktur für das finstere Wesen der Kartelle, wie Pablo Escobar sie später mal regieren wird.

Birds of Passage