Rimini (2022)

ENTERTAINMENT FÜR DIE AUSRANGIERTEN

6,5/10


rimini© 2022 Stadtkino Filmverleih


LAND / JAHR: ÖSTERREICH, DEUTSCHLAND, FRANKREICH 2022

REGIE: ULRICH SEIDL

BUCH: ULRICH SEIDL, VERONIKA FRANZ

CAST: MICHAEL THOMAS, TESSA GÖTTLICHER, HANS-MICHAEL REHBERG, CLAUDIA MARTINI, INGE MAUX, GEORG FRIEDRICH U. A.

LÄNGE: 1 STD 56 MIN


Ungefähr so könnten die Karrieren von Roy Black oder Gildo Rex zu Ende gegangen sein, bevor sie sich selbst ein Ende setzten. Mit Auftritten bei Möbelhauseröffnungen, Kaffeefahrten oder Tombolas irgendwo in der Mehrzweckhalle eines Pensionistenheims (nichts für ungut). Dass jeder Mensch, der sich dafür begeistern kann, es wert ist, vor ihm zu singen, sollte Performance-Künstlern wie Musikern und Sängern eigentlich klar sein, doch ist die Diskrepanz zwischen verschwenderischen Ruhmeszeiten und dem Zustand, wo sich kaum jemand noch nach dem Star von einst umdreht, viel zu groß, um resilient genug dafür zu sein. Der wohl polarisierendste Filmemacher Österreichs, Ulrich Seidl, hat sich mit Rimini dieser verhaltenen Götterdämmerung eines ehemaligen Bauchbinden-Toreros angenommen, um einen Blick auf die ausleiernden Mechanismen von Erfolg und einem damit einhergehenden Lebensglück zu werfen.

Glücklich sind seine Figuren meistens nicht. Ganz im Gegenteil. Doch es kann leicht sein, dass diese sich selbst zu einer Zwangsbeglückung verhelfen, die aus unbefriedigendem Sex, viel Alkohol und einem Seehundfellmantel bestehen, den zumindest Richie Bravo stehts über seinem Feinripp trägt, um in der Kälte von Italiens Badeort Rimini nicht zu erfrieren. Da fragt man sich natürlich: Wie jetzt? Bella Italia und Frost? Natürlich existieren diese beliebten Destinationen für Frau und Herr Österreicher auch außerhalb der Saison. Da die Hotels alle leer stehen, bieten zumindest manche Reiseveranstalter für die Zielgruppe 60+ spottbillige Ausflüge an, deren Highlights sich zur Vorabendzeit auf die Bühne des Speisesaals wuchten. Diese personifizierte Sternstunde der Schlagermusik ist Michael Thomas, stimmgewaltig und aufgesetzt charmant. Als nicht von allen vergessener Reserve-Udo Jürgens lässt er die Herzen reiferer Damen hoher schlagen und sich für manchen weiblichen Groupie auch bezahlen, der ihn gerne textilfrei sehen möchte. Ja, es gibt sie noch, die wirklichen Fans, unter anderem Inge Maux als promiskuitive Wuchtbrumme, die sich für Richie Bravo sogar zu einem Blow Job hinreissen lässt.

Womit wir wieder bei Seidls Vorliebe für ungeschönten Amateur-Sex wären, die sich in seinen Werken mal mehr, mal weniger bizarr präsentiert. Diesmal haben seine Intimitäten gar etwas Verletzliches, weniger Brutales, obwohl gefällige Schönheitsideale bewusst konterkariert werden, um dem Reality-Charakter zu entsprechen, der zumindest Rimini den Anschein verleiht, wir hätten es mit einer Wahrheit ohne Knautschzone zu tun. Das aber könnte ein Trugschluss sein. Die Geschichte spinnt sich zwar weiter, indem Richie Bravos verschollene Tochter auftaucht und Wiedergutmachung verlangt für alle die Jahre, in denen der Schnulzenkönig kein Geld hat springen lassen – dennoch verharrt Seidl in einer subjektiv empfundenen Zeitlosigkeit und beobachtet seinen immer wieder auf- und abgeisternden Vagabunden im Pelz, der unter einem Glassturz eine Welt auf dem Abstellgleis erkundet und an Orte gelangt, die er zwar kennt, die ihm aber Vertrautes aus früheren Zeiten zurückgeben.

Rimini ist längst impressionistisches Erwachsenenkino mit symbolischem Installationscharakter. Wenn Michael Thomas eiligen Schrittes in akkuraten Tableaus, die eine Art Endzeit imitieren, an Wind und Wetter ausgesetzten, afrikanischen Flüchtlingen vorbeiläuft, ohne sie eines Blickes zu würdigen, ist es so, als wären diese Menschen zu Stein erstarrt, als wären sie Skulpturen des Erinnerns, wie sehr hier Bedürfnisse ihren Wert verlieren. Das hat eine ganze eigene Atmosphäre, da gelingt Seidl tatsächlich so etwas wie eine ironische, selten sarkastische Sicht auf einen irreparablen Status Quo, der ganz am Ende auf tragikomische Weise wieder (und vielleicht gar eine neue) Ordnung schafft, nicht ohne ernüchternde Resignation.

Rimini (2022)

Das schaurige Haus

WENN’S DIE JUNGEN GRUSELN SOLL

5/10


schaurigehaus© 2020 Filmladen Filmverleih


LAND / JAHR: ÖSTERREICH, DEUTSCHLAND 2020

REGIE: DANIEL PROHASKA

CAST: LEÓN ORLANDIANYI, BENNO ROSSKOPF, JULIA KOSCHITZ, MARII WEICHSLER, LARS BITTERLICH, INGE MAUX U. A.

LÄNGE: 1 STD 39 MIN


In Horror- und Gruselfilmen werden Kinder stets als die Neugierigen voraus ins Feld geschickt – und kommen folglich schön brav zum Handkuss. Sie werden dabei zum Medium oder ganz einfach hinter die Mattscheibe eines Röhrenfernsehers gezogen, wie es anno dazumal der gute alte Poltergeist getan hat. Meist sitzen die Kids dann in rotierenden Betten oder sind die ersten, die aufgrund ihrer kindlichen Unbedarftheit und Unreife am leichtesten Zugang haben in die Welt des Paranormalen. Kinder sind dabei aber nie die Zielgruppe, die ihren Altersgenossen dabei zusehen dürfen, wie sehr sie mit dem Spuk auf Tuchfühlung gehen. Das ist fast schon unfair. Und das meine nicht nur ich, sondern auch Buchautorin Martina Wildner, die mit ihrem Provinzgrusler Das schaurige Haus den Leseplan an den gymnasialen Unterstufen beeinflusst. Anders als bei den 3 Fragezeichen sind diese Satzzeichen immerhin zu viert und noch dazu tatsächlich mit etwas Übernatürlichem konfrontiert, was bei Justus, Peter und Bob letzten Endes leider niemals der Fall war. Nobel, den Nachwuchs dazu zu bringen, sich auf die Wirklichkeit zu verlassen – doch ein bisschen Faktor X schadet nie. So auch hier nicht. Und es hat auch nicht lange gedauert, bis Das schaurige Haus auf die Leinwand kam. Dank Corona war eine Kino-Auswertung fast nicht möglich – folglich hat sich Netflix (wer sonst?) die Vertriebsrechte geholt, mit dem Wermutstropfen, dass diese für Minderjährige adäquate Dosis des Schaurigen im dunklen Kino wohl weitaus besser zur Geltung gekommen wäre als daheim in vertrauter Umgebung des Wohnzimmers. Doch vielleicht ist das besser so. Dann muss die Elternschaft des Nächtens nicht mit dem Nachwuchs aufs Klo.

Dabei fühlt sich anfangs wirklich alles an wie ein klassisches Jugendabenteuer zwischen Enid Blyton und den Goonies. Schauplatz ist – anders als im Roman – das österreichische Bundesland Kärnten, und im beschaulichen Dorf Bad Eisenkappel bezieht der Halbwaise Hendrik mit Mutter und Bruder ein wenig einladendes Gemäuer – als Zwischenlösung wohlgemerkt. In diesem Gemäuer ist, wie der Titel schon sagt, gar nichts auch nur irgendwie koscher – und folglich legt der kleine Bruder schon bald seltsame Anwandlungen an den Tag. Es dauert nicht lange, da sind die neugierigen Nasen einem düsteren Geheimnis auf der Spur, der die verblichenen Vermieter des Hauses einfach nicht ruhen lässt.

Regisseur Daniel Prohaska, bislang vorwiegend im TV vertreten, und da wiederum vorrangig als Filmeditor, hat für diesen durchaus zum Gruselthriller ausbaubaren Stoff einen entsprechenden Kompromiss geschlossen. Auch hier heisst es: gebt den Horror mit Kindern den Kindern selbst. Klarerweise sind da nicht die Jüngsten gemeint, sondern angehende Teenies, die nicht unbedingt die große Herausforderung suchen, die vielleicht Stephen Kings Es bieten würde. Prohaska streut bewusst nur wenige zarte Schocks (eigentlich gar keine) und setzt vermehrt auf Schauermomente, die anstatt Jumspscares einfach eine stimmige Atmosphäre erzeugen. Das gelingt durchwegs – weniger prickelnd und viel mehr in sperriger Phlegmatik versunken sind die Jungdarsteller. Selbst Julia Koschitz bleibt enttäuschend blass, so, als wären Geister das Alltäglichste auf der Welt. Skurriles Sahnehäubchen des Films ist Lars Bitterlich mit Brille und Howard Wolowitz-Gedächtnisfrisur, der stellvertretend für alle den Spirit einer motivierten Clique atmet, die das Abenteuer ihres Lebens besteht. Vielleicht hat sich Prohaska zu sehr darauf konzentriert, eben diese gefundene Balance tunlichst zu halten, damit der Grusel nicht zu sehr in Richtung Horror kippt. Nebelschwaden, schwarze Augen und obskures Gekrakel an den Wänden sind da die Hauptattraktionen des paranormalen Jugendkrimis, das Übrige gerät zum Üblichen aus dem serienstilistischen Fernsehfundus für das routinierte Nachmittagsprogramm.

Das schaurige Haus