Thunderbolts* (2025)

HELDEN-RECYCLING FÜR KENNER

6/10


© 2025 MARVEL. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: JAKE SCHREIER

DREHBUCH: ERIC PEARSON, JOANNA CALO

CAST: FLORENCE PUGH, LEWIS PULLMAN, DAVID HARBOUR, SEBASTIAN STAN, WYATT RUSSELL, HANNAH JOHN-KAMEN, JULIA LOUIS-DREYFUS, GERALDINE VISWANATHAN, OLGA KURYLENKO, WENDELL PIERCE, CHRIS BAUER, VIOLET MCGRAW U. A.

LÄNGE: 2 STD 7 MIN


Der unscheinbare Typ im Pyjama, gespielt von Lewis Pullman (Salem’s Lot) wird auch bis zum Ende des neuen MCU-Blockbusters Thunderbolts* die skurrilste und ambivalenteste Figur bleiben, von welcher man einfach nicht weiß, was man von ihr zu halten hat. Zu Beginn, wenn all die Austauschbaren im Super-Sicherheits-Bunker der CIA aufeinander losgehen, und Pullman plötzlich danebensteht, als wäre er im falschen Film, eröffnet Jake Schreier (u. a. Robot & Frank) das Spielfeld für einen aus der bisherigen MCU-Timeline zusammengeklaubten Haufen mehr oder weniger ausrangierter Nebenhelden, die nie das große Los ziehen konnten wie seinerzeit die federführenden Avengers und beim Publikum einiges an Vorwissen fordern. Es sind dies Black Widows Schwester Yelena (Florence Pugh), die seit nämlichem Stand-Alone mit Scarlett Johannsson aka Natasha Romanov  bekannt ist und später auch – für Serienkenner – in Hawkeye hat mitmischen dürfen. Es ist dies der Captain America aus der zweiten Reihe, John Walker (Wyatt Russell), in der Serie The Falcon and the Winter Soldier so ziemlich in Ungnade gefallen und seitdem als Billigversion eines Supersoldaten im Auftrag der CIA unterwegs, wie ohnehin überhaupt alle hier. Auch die aus Ant-Man and the Wasp bekannte Ghost und der Taskmaster (ebenfalls Black Widow), gespielt von Olga Kurylenko. Nicht im Bunker sind Bucky Barnes (Sebastian Stan), der ehemalige Winter Soldier, über welchen man irgendwann sicher gestolpert sein muss, auch wenn man nicht alle Filme und Serien von Marvel gesehen hat. Und die von David Harbour genussvoll und mit Inbrunst verkörperte russische Superheldenparodie Red Guardian, Ziehpapa der Widows und stets mit der Tür ins Haus fallend. Die meisten Lacher in diesem Film gehen auf sein Konto, und ja – würde das Suicide Squad jemanden abwerben wollen, der zu ihrem durchgeknallten Haufen passt, dann wäre es er. Die andern müssen sich in schaumgebremstem Sarkasmus aufeinander einlassen, wenn sie für die durchtriebene CIA-Chefin Valentina (auch bekannt aus der Marvel Serie rund um Sam Wilson, dem neuen Captain) nicht doch noch über die Klinge springen sollen. Dabei vergessen alle wohl auf diesen seltsamen Robert Reynolds, der eigentlich hätte entsorgt werden müssen, so wie all die anderen Thunderbolts, die höchst illegal vom Geheimdienst an die Front geschickt wurden. Reynolds aber ist mehr als die Summe seiner Teile. Ein Psychopath zwar, aber eine potenzielle Chance für die geschäftstüchtige, dauergrinsende Valentina. Wenn schon nicht entsorgt, dann zumindest recycelt – als jemand, der an den guten alten Homelander erinnert, der den Boys das Leben schon mehrere Staffeln lang schwermacht.

Es tut sich einiges bei den Thunderbolts*, das Wiedersehen mit alten Bekannten ist für eingefleischte Marvel-Fans natürlich ein Who is Who sondergleichen. Sie alle haben ihre Rollen längst gelernt, da muss nicht viel Neues erprobt werden. Vielleicht ist das auch der Grund, warum die Gruppendynamik nicht so recht zünden will, warum man den Eindruck gewinnt, dass von vornherein, seit der ersten Sekunde, das Team bereits steht, insofern ist der verbale Schlagabtausch zwischen den Protagonisten mehr ein So-tun-als-ob anstatt wirklich empfunden. Ein bisschen fehlt da die Schärfe bei all den Beteiligten, vor allem Bucky Barnes scheint nie so recht zu wissen, ob er das, was er da macht, auch wirklich aus voller Überzeugung tut.

Der metaphysische Plot, der sich um die Plan-B-Truppe schlängelt, führt diese ohne Umschweife in ihr Abenteuer hinein, ohne eine gewisse Dramatik zu entfachen, die sich in manchen Filmen der Infinity-Phase so sehr an die Persönlichkeiten der Helden herangemacht hat. Hier taucht Schreier zwar auch in so manche Psyche ein – dass diese die eigentlich ambivalenten Charaktere wirklich berührt, bleibt eine Behauptung.

So richtig interessant wird es ganz am Ende – dieses und die darauffolgende Post-Credit-Szene (die zweite, wohlgemerkt – also sitzenbleiben!) bringen den nicht mehr als soliden Superheldenfilm dann doch noch eine Spur mehr auf Vordermann. Thunderbolts* legt den Grundstein für noch viel mehr, für eine vielleicht bessere MCU-Phase als die letzte, die sich mit ihrem Multiversum deutlich verhoben hat. Obwohl der Film nun nicht den Wow-Effekt erzielt, auf den ich gewartet hätte: Der kommende Output, der hier aufbaut, könnte nach längerer Zeit wieder mal so richtig spannend werden.

Thunderbolts* (2025)

Kraven the Hunter (2024)

OH, THOSE RUSSIANS!

6/10


Aaron Taylor Johnson (Finalized)© 2024 CTMG, Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: J. C. CHANDOR

DREHBUCH: RICHARD WENK, ART MARCUM, MATT HOLLOWAY

CAST: AARON TAYLOR-JOHNSON, FRED HECHINGER, RUSSEL CROWE, ARIANA DEBOSE, ALESSANDRO NIVOLA, CHRISTOPHER ABBOTT, LEVI MILLER U. A.

LÄNGE: 2 STD 7 MIN


Das US-amerikanische Publikum macht sich mittlerweile eine Hetz daraus, das Sony’s Spider-Man Universe oder kurz SSU insofern zu verhöhnen, da es ihm keine Aufmerksamkeit schenkt. Warum genau ist das so? Liegt das wirklich an den schlechten Drehbüchern dieser Filme? Liegt es daran, dass Spider-Man zu hundert Prozent dem Mauskonzern gehört und Sony zum Resteverwerter degradiert wurde, der mit mehr oder weniger unbekannten Nebenfiguren Vorlieb nehmen muss, die im Grunde allesamt Antagonisten des einzig wahren Helden sind, des freundlichen Burschen aus der Nachbarschaft? Was soll Sony nur tun, wenn genau jene übrigbleiben, die man auch nicht unbedingt beim Turnunterricht als erstes in die Mannschaft wählt?

Sony versucht, das Beste daraus zu machen, schließlich sind diese Lizenzen kostenintensiv und man will Potenzial nicht verschleudern, wenn es nicht unbedingt sein muss. Das Zugpferd beim Restlessen ist natürlich Venom – den Burschen kennt man, neben dem Green Goblin womöglich der markanteste Bösewicht in Marvels Parallelwelt, die sich längst schon damit geoutet hat, nicht zur Zeitlinie des MCU zu gehören. Portale gehen auf und zu, Spider-Man ist niemals in Sicht und wird auch (fast) nie erwähnt. In dieser Welt gibt es ihn nicht, da gibt es nur die Schurken, die aber keine Schurken mehr sind, denn wer will schließlich Filme sehen, die sich an den Werten der Gesellschaft abarbeiten? Aus Venom wird also ein Guter, aus Morbius irgendwas dazwischen, Madame Web – nun, die ist da eine Ausnahme, mit ihrer Clique aus Jugendlichen Damen, und letzten Endes und um up to date zu bleiben rückt Kraven the Hunter nach. Auch ein Erzschurke, eine Nemesis für Spider-Man, nur der Lizenz-Deal verbietet es. Kraven mausert sich ebenfalls zu einem nicht ganz so finsteren Finsterling, der noch finstere Gesellen auf der Liste hat, um diese abzuarbeiten und alle, die grundlos Böses tun, über den Jordan zu schicken.

Dass Kraven The Hunter niemanden hinter dem Ofen hervorlockt oder von der hauseigenen Wohnzimmercouch schmeißt, um das laxe Fernsehpublikum, das sowieso damit rechnet, den Film alsbald streamen zu können, ins Kino zu zitieren, war fast zu erwarten. Die Säle bleiben leer, niemanden interessiert ein vom wilden Löwen gebissener Russe und Spross eines neureichen Drogen-Oligarchen, der seinen chamäloiden Bruder vor anderen bösen Russen beschützt. Man könnte vermuten: Vielleicht liegt es an den Russen? An Hauptdarsteller Aaron Taylor-Johnson womöglich nicht, der wird schließlich in ferner Zukunft zum neuen James Bond. Man könnte sich also schon mal an dieses Gesicht gewöhnen. An Fred Hechinger liegt es wohl auch nicht, der Charakterdarsteller hat Charisma und eine ganz eigene Ausstrahlung, das haben wir zuletzt in Ridley Scotts Gladiator II gesehen, da gab er Diktator Caraccala auf verschmitzt diabolische Weise. Und Russel Crowe? Wenn er mal nicht Exorzismus betreibt, schiebt er sich als Nebenfigur in so manchen Möchtegern-Blockbuster.

Also woran liegt es noch? Wohl kaum am Handlungsaufbau. Kraven the Hunter erzählt eine klassische und von daher auch wenig überraschende Origin-Story eines Antihelden mit kleinen logischen Fehlern, die sich dank der Drehbuchautoren von The Equalizer auch ungefähr so anfühlt – stets darauf ausgerichtet, kurzen Prozess mit denen zu machen, die die Schwachen drangsalieren. Es kommt noch afrikanisches Freiwild hinzu, und mit Hochgenuss lyncht Taylor-Johnson niederträchtige Trophäenjäger auf eine Art, die Genugtuung verschafft. Regisseur C. J. Chandor lässt sich viel Zeit für Zwischenmenschliches, fühlt sich kaum gestresst oder gedrängt dabei, seine Figuren auf eine Art ins Geschehen einzuführen, als hätte er alle Zeit der Welt – als hätte ihm das Studio einen weiteren Teil bereits zugesichert. Nur leider hat es das nicht, und leider darf trotz des relativ offenen Endes wohl kaum mit einer Fortsetzung gerechnet werden. Kravens Spuren verlaufen also im Sand – bis dahin aber verdient Kraven the Hunter deutlich mehr Respekt als unisono ausgebuht zu werden.

Das liegt schon allein an mehr als nur solide durchchoreographierten Actionsequenzen, die an Mission Impossible oder in Bond-Manier durchaus unterhält. Dafür beweist Chandor ein wahres Händchen. Und auch wenn Kreaturen wie The Rhino (den ersten eher lumpen Auftritt hatte Paul Giamatti in Spider-Man: Rise of Electro) oder Psychoschurken wie The Foreigner nur als Wegzehrung für einen dauerhungrigen Jäger herhalten müssen: Die Gründe für den Megaflop muss man woanders suchen. Bei unglücklicher Medienberichterstattung oder Vorschussmisstrauen; Mütterchen Russland oder gar beim frappanten Unbekanntheitsgrad einer Randfigur, die längst nicht so viel Teamgeist besitzt wie die Guardians of the Galaxy. Die waren damals wohl auch eher unbekannt. Dafür aber deutlich bunter.

Kraven the Hunter (2024)

Venom: The Last Dance (2024)

NOCH EINMAL ZÄHNE ZEIGEN

6/10


venomlastdance© 2024 CTMG, Inc. All Rights Reserved


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: KELLY MARCEL

DREHBUCH: KELLY MARCEL, TOM HARDY

CAST: TOM HARDY, CHIWETEL EJIOFOR, JUNO TEMPLE, STEPHEN GRAHAM, RHYS IFANS, ALANNA UBACH, ANDY SERKIS, PEGGY LU, CLARK BACKO U. A.

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Zumindest in dieser von vermutlich Tausenden von Welten ist die extraterrestrische Grinsekatze mit Vorliebe für Menschenhirn ein Flüchtiger. Denn ein superfieser und uralter Sonderling namens Knull will seiner Schöpfung im gesamten Universum und vermutlich darüber hinaus den Garaus machen. Dank des Multiversum-Gedankens darf in dieser Welt, gesteuert von Sony, dieser Knull alle anderen Superbösewichte aus dem Marvel-Kosmos verdrängen – als gäbe es sie gar nicht. Und so, als gäbe es auch all die anderen Superhelden nicht, die wir bereits kennen. Venom war da immer schon ein Außenseiter, mit Ausnahme des dritten Sam Raimi-Ablegers um den freundlichen Jungen aus der Nachbarschaft. Der durfte in Spider-Man 3 schon seiner Nemesis gewahr werden, doch das ist eine andere Dimension. Marvel mit all seinen unzähligen Figuren funktioniert eben nur unter dem Multiversum-Prinzip. Sonst gäb‘s ein Gedränge mit Hang zur Massenpanik.

Dieser Symbiont, der ohne einen Wirt zwar vor sich hin wabern, aber nicht wirklich sinnvoll existieren kann, steckt schon seit geraumer Zeit im Körper des Journalisten Eddie Brock, der seinen Intimfreund lieben und schätzen gelernt hat. Die beiden sind sogar schon mal gemeinsam gestorben, um wieder aufzuerstehen, was wiederum einen als Codex bezeichneten Schlüssel entstehen hat lassen, mit welchem sich Knull seiner Fesseln entledigen könnte, harrt der doch in einer gewissen Stasis vor sich hin, was einem Gefängnisaufenthalt gleichkommt. Um den Codex zu entwenden, schickt der uralte Häftling äußerst zähe Kreaturen auf die Erde, um Jagd zu machen. Und das sind nicht die einzigen, die Venom das Leben schwer machen. Auch eine als Jury bezeichnete Spezialeinheit will das Duo dingfest machen.

Man sollte sich noch gut an Venom: Let There Be Carnage erinnern können, um zu wissen, womit es sich mit einigen Randfiguren in diesem Abenteuer auf sich hat, allen voran mit Stephen Graham als Polizist Mulligan, der nach seinem Tod aus dem letzten Film sich selbst wieder zu den lebenden zählt, dank eines anderen Symbionten in anderer Farbe. Knull hingegen ist neu, die Jury ebenso, und allesamt haben ihren Ursprung in den Comicvorlagen, die ich selbst nicht kenne. Damit das mit Fachwissen nicht ganz so vertraute Publikum in diesem Chaos aus Namen, Charakteren und Querverweisen den Überblick behält, hat Drehbuchautorin Kelly Marcel, die schon am ersten Venom-Film mitgeschrieben hat und nun auch die Regie übernimmt, den Content häppchenweise angerichtet. Kleinteilig ist Venom: The Last Dance geworden, und trotz seiner Kleinteiligkeit auffallend simpel.

Wer hier wen jagt und warum, mag man so hinnehmen, ohne nach Sichtung des Films eigenmächtig in medias res gehen zu wollen, um mehr über all das zu erfahren. Venom: The Last Dance bietet vorrangig Monster-Action satt, während angesichts der monströsen und ungemein zähen Xenophagen – wie sich Knulls Giga-Monster nennen – Erinnerungen an Starship Troopers wach werden. Schön sind sie anzusehen, reizvoll wie intelligente Knete auch die dick aufgetragene CGI all der Venom-Symbionten aus einem durch Sonne und Mond geschossenen Farbkasten. Rosa, Rot, Blau und Grün – es macht Spaß, sich den formschönsten Symbionten unter ihnen auszusuchen, wenn man nicht sowieso schon einen Narren an den wichtigsten von allen gefressen hat. Es lässt sich auch vermuten, dass durch den omnipräsenten außerirdischen Organismus Eddie Brocks Verstand ein bisschen gelitten zu haben scheint – denn Tom Hardy legt seinen Helden noch fahriger an als in den Teilen davor. Stiernackig und mit eher schlichtem Gemüt stolpert er durch ein radauhaftes Science-Fiction-Spektakel ohne Feintuning, dafür aber mit Unterhaltungswert für Leute, die schon lange keine Monster-Action mehr gesehen haben. Sympathisches Herzstück des Finale Grande ist aber Rhys Ifans als Späthippie und UFO-Nerd, der eine herzhafte Hommage an den Area 51-Mythos orchestriert.

Venom: The Last Dance (2024)

Deadpool & Wolverine (2024)

MEIN PARTNER MIT DER FRECHEN SCHNAUZE

7/10


DEADPOOL & WOLVERINE© 2024 20th Century Studios / © and ™ 2024 MARVEL.


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: SHAWN LEVY

DREHBUCH: RHETT REESE, PAUL WERNICK, ZEB WELLS, RYAN REYNOLDS, SHAWN LEVY

CAST: RYAN REYNOLDS, HUGH JACKMAN, MATTHEW MACFAYDEN, EMMA CORRIN, AARON STANFORD, MORENA BACCARIN, ROB DELANEY, LESLIE UGGAMS, DAFNE KEEN, JENNIFER GARNER, WESLEY SNIPES, CHANNING TATUM, JON FAVREAU, CHRIS EVANS U. A.

LÄNGE: 2 STD 8 MIN


Wade Wilson, der unkaputtbare Ex-Söldner und Superkiller, hat längst das Nirvana des gesamten filmischen Comic-Kosmos erreicht. Deadpool hat den Überblick, ganz so wie der am Zenit der Erkenntnis angekomme Siddharta, der später als Buddha in die Religionsgeschichte eingegangen sein wird. Denn alles, so weiß Deadpool, ist nur Kino. Alles nur ein Film, er selbst eine erfundene Figur in einem erfundenen Universum. Schließlich ist er der einzige, der begriffen hat, der zu sein, der er ist: Ein von Ryan Reynolds bislang unter Twentieth Century Fox auf die Leinwand gebrachter Charakter, der nun darauf hoffen darf, auf den kunterbunt-süßen Schoß von Disney zu krabbeln. Wenn Deadpool die vierte Wand durchbricht und über sein Dasein in einer völlig zerfahrenen Multiversum-Timeline schwadroniert – wenn er zurückgreift auf andere Filme, in dessen Sets er herumfuhrwerkt (in diesem Fall James Mangold‘s Wolverine-Abgesang Logan), hat uns der rotgekleidete Berserker längst in sein Allerheiligstes eingeladen, um als Teil seines überschaubaren Freundeskreises dem Eskapismus zu frönen, fern jedweder Betroffenheit, jeder noch so unschönen Realität oder ernsten Angelegenheit. Diese Extra-Lizenz, keiner von Marvel sonst wie aufgestellten Benimmregel folgen zu müssen, verleiht dem jovialen Vielredner und Possenreißer den Status eines Hofnarren, der selbst den König einen Dolm nennen darf. Diese lausbübische Freiheit verlangt es, dass Deadpool gar das Problemkind des von Kevin Feige etwas zerfahrenen MCU beim Namen nennt – und die Kurve deswegen kriegt, weil er weniger das Multiversum-Dilemma nochmal aufkochen, sondern viel lieber mit einer stiefkindlich betrachteten Nebenschiene des Marvel-Kosmos kokettieren will: Den X-Men.

Ufert das Ganze dann nicht noch mehr aus, wenn die Avengers und die X-Men synergieren sollen? Jedenfalls ist diese Fusion wohl besser, als sich in multiplen Realitäten noch mehr zu verlieren. So sehr diese Prämisse anfangs auch vielversprechend schien – so wenig ist sie zu gebrauchen. Weil sie sich totläuft. Einmal allerdings noch, lässt sich auch Deadpool den Ritt auf dem Zeitstrahl nicht nehmen, und wer die souveräne Serie Loki gesehen hat, weiß längst Bescheid, was es mit der TVA – der Time Variance Authority – auf sich hat. Auch Wade gerät in die Mühlen dieser Bürokratie, weiß aber, dass er sein eigenes Universum nur dann vor der behördlichen Vernichtung retten kann, wenn er den in seiner Welt verstorbenen Wolverine von woanders klaut. Nach einigen Versuchen findet er ihn: einen in Selbstmitleid, Alkohol und Gram ertrunkenen Superhelden, der alles vermasselt hat. Man kann sich denken, wie sich die beiden wohl vertragen werden. Ob sie gemeinsame Sache machen oder nicht: letztlich landen Sie an einem Ort, den wir ebenfalls aus Loki kennen und an welchem Kooperation besser ist als gegenseitiges Aufschlitzen.

Ja, sie sind das Dreamteam des MCU. Besser noch als der Falcon und der Winter-Soldier. Besser noch als Hulk und Thor. Oder Wanda und Vision. Die beiden sind wie Jack Lemmon und Walter Matthau, wie Bud Spencer und Terence Hill. Wie Shawn Levy (Stranger Things, Free Guy) diese Bromance auf Spur bringt, ist weder konfus noch ausufernd noch an den Haaren herbeigezogen, sondern lebt von dieser auch privaten innigen Freundschaft zwischen Ryan Reynolds und Hugh Jackman. Diese Spielfreude und die Bereitschaft, sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen, ist das Fundament für ein heillos überzeichnetes, aber niemals zuviel wollendes Abenteuer, dass zwar nie die groteske Häme der Boys erreicht, dafür aber die blutrünstige, in ihrer Gewaltdarstellung hyperrealistisch karikierte Optik übernimmt. Literweise Kunstblut fließen schon in den ersten Minuten des Films, in welchen Deadpool unter den Klängen der Backstreet Boys die Exekutive der TVA zerschnetzelt. Wenn Wolverine dann auch noch seine Klingen ausfährt, wird es richtig schön deftig. Und fast schon sinnlich.

Angereichert mit Seitenhieben auf Franchises, Medien und längst eingestampften Ex-Superhelden, die ihre Gastauftritte genießen, liefert Deadpool & Wolverine vergnügliche zwei Stunden reinsten Schabernacks. Die mit Ernst angehauchte Realitätskrise Wolverines steht ganz im Gegensatz zu Reynolds permanentem Sarkasmus, zusammen stemmen sie eine gottseidank heruntersimplifizierte Story, deren Antagonistin in ihrer Grimmigkeit zwar fehl am Platz wirkt, von den beiden Kapazundern, die wirklich jeden Quadratzentimeter des Films leidenschaftlich einnehmen, aber mitgerissen wird.

War schon der letzte Deadpool ein Schenkelklopfer schlechthin, entgeht der dritte Teil dank Wolverines brachialer und comicgetreuer Rückkehr einer vielleicht nervtötenden Redundanz. Seine Bühnenpräsenz zu teilen, tut Deadpool äußerst gut. Und auch umgekehrt. Beide gemeinsam haben eine Zukunft, wobei Jackman wohl nicht mehr seinen Adamantium-Arsch vor die Kamera schieben wird. Doch warten wir mal ab. Reynolds ist schließlich beharrlich.

Deadpool & Wolverine (2024)

Madame Web (2024)

IM NETZ DER VORSEHUNG

5/10


madamwweb© 2024 CTMG, Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: S. J. CLARKSON

DREHBUCH: MATT SAZAMA, BURK SHARPLESS, CLAIRE PARKER, S. J. CLARKSON

CAST: DAKOTA JOHNSON, SYDNEY SWEENEY, CELESTE O‘ CONNOR, ISABELA MERCED, TAHAR RAHIM, ADAM SCOTT, EMMA ROBERTS, MIKE EPPS, JOSÉ MARIA YAZPIK, ZOSIA MAMET, JILL HENNESSY U. A. 

LÄNGE: 1 STD 57 MIN


Es pfeifen die Spatzen schon von den Dächern: Superheldenfilme sind in der Krise, der Hype ist abgeflaut, das Publikum hat alles schon gesehen und das wiederum mehrfach. Helden- und Heldinnengenesen lassen sich kaum mehr voneinander unterscheiden, die Antagonisten sind austauschbar. Das epochale Gewitter des Infinity-Krieges, qualitativer Höhepunkt des Genres, liegt lange zurück. Was danach kam, waren ambitionierte Spielereien in den Rauchschwaden längst abgeschossener Knüller-Raketen. Die lobenswerte und engagierte Grundidee, Marvel-Serien mit Filmen zu verbinden und so einen noch komplexeren roten Faden zu erschaffen, war ob des viel zu hohen Anspruchs leider ein Schuss in den Ofen. Ist man Fan genug, und zwar ein solcher, der sich alles antut, von Kinofilmen bis zur Streaming-Featurette, mag die Rechnung vielleicht aufgehen. Doch Leute wie diese sind nicht die breite Masse. Filme wie The Marvels, der eigentlich nur dann funktioniert, wenn man auch all den anderen Content kennt, können bei Gelegenheits-Kinobesuchern, die einen in sich geschlossenen Content konsumieren wollen, kaum punkten. Disneys Marvel steckt in einer Art Pensionsschock, denn die alte Riege hat ausgedient, die Luft ist draußen, umdenken ist angesagt.

Sony macht die Sache ganz anders. Sony hat das SSU, das Sony’s Spider-Man Universe und bringt originelle Animationsfilme ins Kino, die kein Vorwissen brauchen. Sonst muss sich das Studio eigentlich nur mit Venom herumschlagen, während sich der Junge aus der Nachbarschaft bei Marvel herumtreibt. Luft genug also, um Mauerblümchen wie Morbius oder gar Madame Web auf die Leinwand zu bringen. Madame Web? Wer ist das nun wieder? Gwen Stacy im weißen Spinnen-Overall? Irgendeine der vielen Alternativen aus dem Multiversum? Mitnichten. Diese Madame Web ist neu und gar nicht mal so auf Superheldin gebürstet wie sonst. Sie hat die Gabe, in die nahe Zukunft zu blicken. Und sonst? Das wäre alles. Doch zu wenig ist das prinzipiell mal nicht.

Cassandra Webb ist anfangs mal eine, die zwar nicht als Super-, aber als Alltagsheldin durchgeht: Sie ist Sanitäterin. Ihre Superkräfte liegen im sozial kompetenten Umgang mit Unfallopfern und Sterbenden, sie rettet Leben auf menschliche und nicht übermenschliche Weise. Cassandra wird urplötzlich von Déjà-vus heimgesucht, die, wenn sie eintreten, gar nicht als solche zu erkennen sind, sondern erst dann, wenn sich Szenen auf seltsame Weise wiederholen. Erst nach ein paar Anfangsschwierigkeiten schnallt sie die Lage: Sie kann vorab sehen, was in den nächsten Minuten passieren wird. Und noch ein bisschen später erkennt sie, dass das, was sie sieht, keinem Determinismus unterworfen, sondern veränderbar ist. Die nächstmögliche Zukunft ist das, was sie als Waffe in der Hand hat, um den finsteren und zugegeben recht eindimensional platzierten Superschurken Ezechiel Sims (Tahar Rahim) im schwarz-roten Spiderman-Kostüm in seine Schranken zu weisen. Der ist nämlich scharf auf drei Teenager, die ihn laut eines prophetischen Traums irgendwann einmal in die ewigen Jagdgründe verbannen werden. So folgt eines aufs andere und das Dreimäderlhaus, das sich hinten und vorne kaum auskennt, gerät unter die Obhut Madame Webs, die in dieser Origin-Story gar nicht mal so weit kommt, um ihre ganzen Asse auszuspielen. J. K. Clarkson inszeniert den Anfang von etwas, der womöglich nie kommen wird, weil Madame Web weit, weit hinter den finanziellen Erwartungen und einem ansehnlichen IMDB-Ranking zurückfällt.

Einen Flop par excellence hat sich Sony da eingetreten. Das tut weh. Weniger aber schmerzt der Film selbst, dem man eine gewisse konstruierte Belanglosgkeit schwer absprechen kann, der aber im Grunde das bisschen, was er zu bieten hat, nämlich weniger Superhelden-Action als vielmehr Teenager-Abenteuer mit phantastischen Tendenzen, solide verpackt. Ist Madame Web also eine Themenverfehlung? Sagen wir so: Der Film ist mehr Begleitwerk als zentrales Zugpferd für ein halbgares Franchise, das Sony einfach nicht so hinbekommen kann wie schon die längste Zeit Marvel Studios, das vieles ausprobiert hat, auch auf die Gefahr hin, zu versagen. Madame Web hat ein funktionierendes Ensemble auf der Habenseite, bestehend aus Sidney Sweeney, Isabel Merced, Celeste O’Connor (derzeit mit Ghostbusters: Frozen Empire im Kino) und natürlich Dakota Johnson, die ihre Arbeit ernst nimmt und mit dem, was ihr in die Hand gegeben wird, zufrieden scheint. Alle vier arbeiten im Teamwork, und sie stehen auch im Schulterschluss verhaltensauffälligen Szenen gegenüber, welche die Stimmungslage des Films auf irritierende Weise umstoßen.

Das kann man nachsehen. Und den Film trotz allem auf eine Weise genießen, wie man eskapistisches und anspruchsloses Effekte-Kino eben genießen kann, ohne viel zu hinterfragen. Das Superheldenkino wird es nicht weiterbringen oder gar retten. Dafür ist das Abenteuer zu kleinlaut.

Madame Web (2024)

The Marvels (2023)

DREI ENGEL FÜR MARVEL

7/10


THE MARVELS© 2023 Marvel


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: NIA DACOSTA

DREHBUCH: NIA DACOSTA, MEGAN MCDONNELL, ELISSA KARASIK

CAST: BRIE LARSON, IMAN VELLANI, TEYONAH PARRIS, SAMUEL L. JACKSON, ZAWE ASHTON, PARK SEO-JOON, GARY LEWIS, ZENOBIA SHROFF, MOHAN KAPUR, SAAGAR SHAIKH, TESSA THOMPSON, LASHANA LYNCH U. A.

LÄNGE: 1 STD 45 MIN


Die Filme des MCU sind mittlerweile alle gleich. Doch warum sind sie das? Ganz klar: Weil sie eine zusammenhängende Geschichte erzählen. Oder zumindest versuchen, dem roten Faden zu folgen, der bis zur Phase 3 so wohlgesponnen war, das wohl keinem so recht auffiel, dass sich all die Filme schon damals nicht sonderlich voneinander unterschieden haben. Seit Wandavision ist der rote Faden ausgefranst, und keine Grundthematik passt da eher ins Bild als jene Problematik des unter anderem durch Loki und Doctor Strange hervorgerufenen Multiversums. Wer kann da noch den Überblick behalten? Vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass jede Serie einen anderen Superhelden und damit auch ein anderes Narrativ enthielt. So scheint es, als hätten all diese Streaming-Shows und sündteuren Eventfilme jeweils etwas anderes zu erzählen – in Wahrheit aber sind sie alle nur die Nachwirkungen des Krieges gegen Thanos und dem in Avenger: Infinity War ausgeführten Blip des lilafarbenen Riesen mit dem Furchenkinn.

Der gemeinsame Nenner wäre geschaffen, tritt aber zu sehr in den Hintergrund. Die Shows um den neuen Captain America haben eine ganz andere Färbung, während Loki mit der Zeit spielt, She-Hulk einfach nur albern ist und Hawkeye sowie Secret Invasion in sich abgeschlossene Zwischenepisoden erzählen. Im Kino ist das Multiversum seltsamerweise nicht immer das Problem, manche Filme kümmern sich gar nicht darum. Währenddessen gibt’s intern unter Kevin Feige, der sich mit Comics wohl am besten auskennt, zwar nicht ganz so große Umwälzungen wie bei DC, aber dennoch Unruhe – beobachtet man die Box Office-Zahlen der letzten Projekte, die alle viel zu viel gekostet haben. The Marvels macht da keine Ausnahme. Laut cinema wurden 275 Millionen in den Film gebuttert, mit dem lange keiner zufrieden war und der gefühlt hunderte Male umgeschnitten und szenenweise nachgedreht werden musste, um die Kurve zu kriegen. Das Ergebnis ist einer der kürzesten Filme des Franchise – und das ist gut so. In ihr liegt schließlich die Würze, und The Marvels hat dabei die Chance, eben nicht zu ermüden, sondern auf knackige Weise wesentliche offene Enden aus Film und Serie zu bündeln und sie lustvoll über‘s Knie zu brechen. Wer hätte das gedacht, das The Marvels nach diesem holprigen Start noch Kurs hält?

Ich will nicht sagen, dass die Storyline wirklich durchdacht ist. Das ist sie nicht. Betrachtet man die Synopsis dieses Films, könnte man sich an den Kopf greifen, wie sehr verniedlicht die physikalischen Gesetze des Universums werden, obendrein noch jene der Quantenphysik und die immense Kraft der Sonne. Ja, das ist hanebüchen, völlig unrealistisch und vielleicht auch zu flapsig durcherzählt. Immerhin aber befinden wir uns in alternativen Comicwelten, wo sich so gut wie gar nichts der uns bekannten Physik unterwirft. Die in diesen Welten inhärente Logik sollte aber immerhin schlüssig sein. The Marvels steht kurz davor, diese Regel in den Wind zu schreiben. Und lenkt geschickt von seinem größten (und einzigen) Schwachpunkt mit einem Trio ab, das sich lange gesucht und endlich gefunden hat. Da könnten die 3 Engel für Charlie neidisch werden, bei so viel quantenverschränktem Teamwork. Zuerst ist es eine Not, doch auch dieser machen sie eine Tugend: Captain Marvel, Ms. Marvel und Monica Rambeau.

Wir wissen, Carol Denvers aka Captain Marvel, die wohl mächtigste, aber wohl auch überheblichste Superheldin des ganzen Franchise, ist quer durch die Galaxis unterwegs, um planetare Brennpunkte zu löschen. Wir wissen: Monica Rambeau hat durch ihren Einsatz in Wandavision Superkräfte erlangt. Und Ms. Marvel, eigentlich Kamala Khan, kann Licht in Materie umwandeln, dank eines Armreifs, dessen Pendant nicht auffindbar ist. Bis zu diesem Film. Denn eine Kree namens Dar Benn (Zawe Ashton) nennt dieses ihr Eigentum, mitunter auch den Hammer von Ronan (des Schurken aus The Guardians of the Galaxy). Das Unheil, das sie heraufbeschwört, bringt alle drei Damen zusammen. Und da hier einiges mit Zeit und Raum nicht ganz koscher verläuft, wechseln auch diese immer dann, wenn mindestens zwei gleichzeitig ihre Kräfte nutzen, ihre Plätze. Das sorgt für Turbulenzen, situationskomische Momente und macht daraus ein keckes Team-Incentive. Mit dieser Idee erlangt The Marvels auch seine launige Kurzweil. Der schauspielerische Enthusiasmus von Iman Vellani, die fast schon das Zeug hat zur Stand Up-Comedian, holt Captain Marvel endlich von ihrem hohen Ross und durchdringt mit ihrer kindlichen Neugier und ihrem kauzigen Nerd-Verhalten ein Nullachtfünfzehn-Szenario, wie es vielleicht beim Publikum hätte ankommen können. Keine Frage, Vellani veredelt den Film mehr noch als ihre eigene Serie. Teyonah Parris ist da vielleicht etwas blass, aber immer noch engagiert genug, um Brie Larsons Figur endlich wieder so weit zu bringen, sich ihrer Herkunft als Erdling zu besinnen. Das ist menschelnd genug, und mit dieser Natürlichkeit bleibt auch der Fokus auf das Miteinander vor einer lange schwelenden Krise konstant – eines Konflikts, der wiederum Hintergrundwissen erfordert. Ich sage nur: Kree und Skrulls.

Schließlich lässt The Marvels ganz viele James Gunn-Vibes erklingen. Der Gag mit den Flerken, die bizarre Reminiszenz an Cats und der Mut zu infantilen Albernheiten haben sichtbares Humor-Potenzial und nutzen dieses auch. Doch nicht nur. Wer glaubt, die bierernste Captain Marvel passt da nicht hinein: Sie tut es doch. Ungeachtet der gehetzt erzählten Story bleibt immer noch genug Entertainment, allerdings vorbehaltlich für Kenner der ganzen Materie. Und Materie ist in diesem Abenteuer relativ.

The Marvels (2023)

Spider-Man: Across the Spider-Verse (2023)

HIERARCHIEN IM SPINNENNEST

6,5/10


spider-man_acrossthespiderverse© 2023 CTMG, Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: JOAQUIM DOS SANTOS, KEMP POWERS, JUSTIN K. THOMPSON

DREHBUCH: PHIL LORD, CHRISTOPHER MILLER, DAVID CALLAHAM

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL):  SHAMEIK MOORE, HAILEE STEINFELD, JAKE JOHNSON, OSCAR ISAAC, ISSA RAE, DANIEL KALUUYA, KARAN SONI, GRETA LEE, JASON SCHWARTZMAN, BRIAN TYREE HENRY, SHEA WIGHAM U. A.

LÄNGE: 2 STD 21 MIN


Ob Marvel oder DC – die weltgrößten Comic-Franchises mussten sich einfach irgendwann mit dem Clou der Multiversum-Theorie auseinandersetzen, um genügend frischen Wind in die Denk- und Zeichenstudios wehen zu lassen; um genügend Stoff zu lukrieren, damit die guten alten Helden niemals sterben müssen. Das Multiversum bietet vieles – ungeahnte Möglichkeiten, zahlreiche Welten, viele viele Alternativen. Und ein Ende ist nicht absehbar. Ja, sie haben es sich gerichtet – Marvel und DC.

Von einem Multiversum ins nächste zu hirschen besagt aber nicht, auch mit der Zeit herumzuspielen. Zumindest nicht zwingend. Der gute Loki, nordischer Gott des Schabernacks, hielt sich in gleichnamiger Serie nicht nur in diversen Nachbardimensionen auf, er beehrte auch längst vergangene Zeiten, um sich hinter lokalen Apokalypsen wie dem Unglück von Pompeij vor der TVA zu verstecken. Spider-Man Miles Morales tut das nicht, auch nicht Peter Parker in den Live Act Filmen, obwohl er vorgehabt hat, mithilfe von Dr. Strange genau das zu tun: Die Welt vergessen zu lassen, welche Identität hinter der freundlichen Spinne aus der Nachbarschaft steht (siehe Spider-Man: No Way Home). In beiden Fällen überlappen sich allerdings die Dimensionen, und wir, gemeinsam mit den Spider-Mens, kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus, wie viele Alternativen es von der eigenen Realität nur geben kann.

Das Konzept dahinter ist ja schön und gut. Und bietet eine gigantische Bühne für skurrile bis groteske Erscheinungsformen, absurden Konstellationen und unbegrenzten Möglichkeiten. Wie lange aber lässt sich diese reizvolle Idee noch interpretieren, damit das Publikum immer noch staunen kann? Wie lange lässt sich damit noch herumspielen, ohne dass sich so mancher Twist wiederholt oder die gesetzten Pointen auf der Stelle treten? DC fängt mit seinem Multiversum rund um Flash, basierend auf dem Comic Flashpoint, gerade erst an. Marvel hat da schon einige Kilometer hinter sich. Und hängt mit dem Sequel zu Spider Man: A New Universe noch ganz viel Spider-Versen hintendran. Es eröffnen sich in diesem mit über zwei Stunden Spielzeit auffallend und deutlich zu langen Animationsabenteuer Welten über Welten, in denen Spinnenmänner, -frauen und sonstige Kreaturen die Rollen von Morales oder Parker einnehmen. Ist schließlich vielfältig und kurios und auch sehr unterhaltsam, das alles zu sehen. Dabei ist es gut, im Kinosaal entsprechend weit hinten zu sitzen, um die Farb- und Stilkaskaden eines ausufernden Comic-Tornados auch wirklich in seinem Variantenreichtum aufnehmen zu können. Das Auge ermüdet dabei schnell, kalmierende Sequenzen rund um innerfamiliäre Probleme der Superheldinnen und -helden sorgen für die Eindämmung gnadenloser Reizüberflutung und bringen den Ausgleich. Obwohl weder das eine noch das andere niemals etwas ist, was neue Impulse bringt.

Überraschend wenig lassen sich Phil Lord, Christopher Miller und David Callahan zum Thema Multiversum einfallen. Außer dass es viele Versionen vom gleichen gibt. Die Stärken von Spider-Man: Across the Spider-Verse liegen also keinesfalls im diesmaligen Plot, der den quantentechnisch ziemlich zerlegten Wissenschaftler Jonathan Ohnn als Antagonisten ins Zentrum stellt, der als Spot zum im wahrsten Sinne des Wortes unfassbaren Verbrecher mutiert, der Löcher schafft, wo keine sind. Die Stärke liegt zweifelsohne in der Charakterisierung von Miles Morales, der im Laufe seiner unglaublichen Reise zu einem ernstzunehmenden jungen Erwachsenen heranreift, der den Weltenwahnsinn zu verstehen versucht.

Schon wieder Coming of Age? Im Grunde haben wir das alles schon durch: Eltern, die keinen Schimmer davon haben, was ihre Kids anstellen, und diese wiederum aufgrund ihrer Geheimnistuerei den Draht zu ihnen verlieren, Wen wundert’s – und wen überrascht auch noch das innerfamiliäre Pathos, das die USA so sehr so oft und immer wieder ähnlich aufs Neue aufwärmt. Im Marvel-Kosmos ist hinsichtlich dessen schon alles gesagt, und dennoch verstehen es die Macher nur zu gut, das Ganze nochmal so aufzubereiten, dass man gerne hinhört und mit Spannung darauf wartet, ob Morales nun die Karten auf den Tisch legt oder nicht.

Mit weniger Spannung verwöhnt uns der schnell und schwungvoll geschnittene Streifen mit Sprung-, Flug- und akrobatischer Sequenzen, die je nach Dimension in einen anderen Animationsstil eintauchen. Der Mix daraus ist unvermeidlich, die Übersicht dabei zu behalten eine Challenge. Mir als Grafiker gefällt natürlich, was ich da sehe – all die lebendig gewordenen Panels, hinterlegt mit den Dots charakteristischer Siebdruckraster. Versetzte Farbkanäle im Hintergrund erzeugen Unschärfe und folglich Tiefe; nichts bleibt hier flach. Und je mehr all die multiuniversalen Spinnen hin und her huschen und sich selbst überholen, je eher nähert sich das Ende eines halben Abenteuers. Der Cliffhanger ist enorm, doch keine Sorge: Im März nächsten Jahres startet Spider-Man: Beyond the Spider-Verse. Bis dahin werde ich vermutlich alle Details wieder vergessen haben. Manches wird in Erinnerung bleiben. Wie im ersten Teil das Schwein. Hier im zweiten Teil ist es vielleicht der Dino.

Spider-Man: Across the Spider-Verse (2023)

Guardians of the Galaxy Vol. 3

DER WASCHBÄR HAT FAMILIE

7/10


GUARDIANS OF THE GALAXY VOL. 3© 2023 Marvel


LAND / JAHR: USA 2023

BUCH / REGIE: JAMES GUNN

CAST: CHRIS PRATT, ZOE SALDANA, DAVE BAUTISTA, BRADLEY COOPER, VIN DIESEL, KAREN GILLAN, POM KLEMENTIEFF, SEAN GUNN, WILL POULTER, CHUKWUDI IWUJI, ELIZABETH DEBICKI, SYLVESTER STALLONE, NATHAN FILLION U. A. 

LÄNGE: 2 STD 30 MIN


Ooga-Chaka Ooga ooga Ooga-Chaka. Mit Blue Swedes unverkennbarem One-Hit-Wonder Hooked on a Feeling wurden wir Marvel-affine Kinogeher erstmals mit den Guardians of the Galaxy bekanntgemacht. Im Teaser-Trailer zum Kick-Off der illustren Bande kombinierte James Gunn zeitlose Musikgeschichte mit dem multikulturellen Charme von Star Wars und allen anderen Trittbrettfahrer-Produktionen der Achtziger: Eine neue Gang war geboren, die Underdogs des Weltenraums, ein bisschen Lone Star mit seinem Waldi, aber nicht so infantil. Dafür mit zeitgemäßem Leck mich-Humor ausgestattet, den eben nur einer wie James Gunn seinen Antihelden genussvoll in den Mund legen konnte.

Der Form- und Farbenreichtum eines Marvel Cinematic Universe weit jenseits der seriösen Agentenfilm-Analogien rund um Captain America geht nun in die dritte und letzte Runde. Schön wars, könnte man sagen – ein Vergnügen oder gar ein Volksfest. Wenn Groot alle lieb hat, Waschbär Rocket (der kein Waschbär sein will) auf dessen Schultern in die Runde ballert oder die schwarzäugige Mantis ihrem Busenfreund Drax wieder mal die Welt erklären muss, da dieser alles wörtlich nimmt – wenn dieser Haufen von Zufallsbekanntschaften, die nicht mehr auseinandergehen, alles retten wollen, was es zu retten gibt, dann fühlt man sich sauwohl. Diese schrägen Vögel, die manches gut können und anderes wiederum nicht – die dazu stehen, wie sie sind: die haben unser Verständnis. Diese Sympathie mit improvisationstüchtigen Außenseitern gestand James Gunn schon bei Super – Shut up Crime! – einer blutig-witzigen Underground-Komödie über Superhelden aus der dritten Reihe. Anders als in seinem Suicide Squad-Hammer rund um Idris Elba als Bloodsport sind die Guardians aber wirklich einander wichtig. Und sie halten zusammen.

So angenehm synergetisch fühlt sich eben auch Guardians of the Galaxy Vol. 3 an. Obwohl wieder mal der ganze Haken an der Sache ein Narrativ darstellt, dass seine erstarkten Antagonisten nur grob skizziert. In diesem Fall ist es ein gewisser High Evolutionary, ein wirklich nervtötender Besserwisser, der die ideale Gesellschaft kreieren will. Dazu gehört, im Rahmen seiner Agenda, die rasche Evolution von Tieren zu humanoiden Individuen. Das war vor einiger Zeit, als ein kleiner Waschbär im Labor des eifrigen Fieslings für allerhand Experimente missbraucht worden war. Was aus diesem kleinen Räuber geworden ist, wissen wir: Rocket. Jetzt aber will dieser High Evolutionary sein „Eigentum“ zurück – keine Ahnung, was ihn da nach so langer Zeit auf die Idee gebracht hat, jetzt plötzlich aktiv zu werden. Aber es ist nun mal so. Und Adam Warlock, ein güldener Sovereign (siehe Guardians of the Galaxy Vol. 2), gelingt es fast, des kleinen Sonderlings habhaft zu werden. Mit bitteren Folgen. Rocket liegt im Sterben, und die Guardians müssen nun tun, was getan werden muss, um den felligen Freund zu retten.

Wie in allen anderen Episoden auch geht’s diesmal ganz viel um Familie, Vergangenheit und dem Aufräumen nachhängender Traumata. Das ist die inhaltliche Stärke dieser Filmreihe – die Zeichnung der Charaktere, ihr Hadern und Reflektieren von dem, was sie tun. Ihr musketierisches Aufopfern für den anderen. Ja, sogar Nebula (herrlich schnoddrig: Karen Gillan) wird plötzlich nächstenliebend. Hinzu kommt ein Set-Design, dass wirklich den Atem raubt. Wenn unsere Helden in pastellbunten Raumanzügen über eine biotechnische Raumstation hopsen, ist das herrliches Retro-Kino im Stile von Mondbasis Alpha Eins. Dann wieder rührt Rockets Schicksal wie eine düstere Erwachsenenepisode aus Winnie Poohs Welt fast schon zu Tränen. Vermischt mit einem Artenreichtum, den nur Star Wars kennt, und ausgefeilter Situationskomik entsteht so ein kaum gehetztes Abenteuer, dass die bisherige Guardians-Storyline stilistisch souverän fortsetzt, mittlerweile aber eine gewisse Routine erkennen lässt. Dazu gehört auch, Peter Quills Awesome Mix nochmal neu aufzulegen. Und ja – es fetzt.

Der große Wurf ist diese finale Episode aber nicht, das große, packende Aha-Erlebnis noch weniger. Es ist, als wäre Gunn mit diesen Helden so ziemlich fertig. Als hätte er noch auserzählt, was er an Notizen dazu noch hatte. Geschmeidig ist das allemal, und ja, diese paar grundverschiedenen Typen sind zumindest mir ein bisschen ans Herz gewachsen. Guardians of the Galaxy Vol. 3 ist also wieder so ein Fall, bei dem man gerne gehabt hätte, dass sich die Dinge nicht ändern. Das alles so bleibt wie es ist. Und Yondu, mein absoluter Favourite, aus irgendeinem Grund doch noch zurückkehrt.

Guardians of the Galaxy Vol. 3

The Guardians of the Galaxy Holiday Special

SCHENKEN IST WAS SCHÖNES

6,5/10


guardiansholiday© 2022 Marvel Studios / Disney+


LAND / JAHR: USA 2022

BUCH / REGIE: JAMES GUNN

CAST: DAVE BAUTISTA, POM KLEMENTIEFF, CHRIS PRATT, KEVIN BACON, SEAN GUNN, KAREN GILLAN, BRADLEY COOPER, VIN DIESEL, MICHAEL ROOKER U. A.

LÄNGE: 45 MIN


Sie sind zwar kein Must-See, aber das Guilty Pleasure für jedes Franchise: Holiday Specials. Dem Star Wars-Ableger aus den Siebzigern habe ich mir bis heute verkniffen, doch als leidenschaftlicher Fan sollte ich mich vor Fremdscham nicht fürchten. Kevin Feige hat da schon alle Peinlichkeiten umschifft, denn mit James Gunn auf dem Regiestuhl sind Albernheiten so salonfähig wie nie zuvor. Jener Künstler, der das DC-Universum mit The Suicide Squad aus der pathetischen Schwermut eines Zack Snyder erretten konnte und dort nun auch als kreatives Mastermind die neue Richtung vorgibt, will seine Guardians, die er von der ersten Stunde an mit der nötigen Umsichtigkeit durchs Universum gesteuert hat, natürlich nicht aus der Hand geben. Das Ende kommt früh genug, und es soll nächstes Jahr passieren, mit dem Abschluss einer Trilogie, die so formschön, bunt und praktisch daherkommt wie Weltraum-Fantasy eben auszusehen hat. Bevor wir aber alle eine Träne verdrücken ob des Nimmerwiedersehens mit dem schrägen Haufen an Menschen und Aliens, gibt es noch ein kleines Stelldichein exklusiv für Abonnenten der Disney+-Schiene. Wer Marvel-Fan sein will, darf an diesem Streamingdienst nicht vorbeisparen – es geht nicht anders. Viele zu viele Extras warten dort auf den Nerd, und will man Weihnachten mit Marvel verbinden, muss auch das Holiday Special der Guardians her.

Dort, in der Schädel-Zuflucht Nowhere irgendwo in den Weiten des Alls, sinnieren der drollige Drax und die süße Mantis darüber nach, wie sie Star Lord eine Freude bereiten können, trauert der doch seit Endgame seiner Geliebten Gamora nach. Da kommt ihnen das irdische Weihnachten in den Sinn, das anscheinend gerade vor der Tür steht. Dieses Fest dürfte in den Weiten des Alls ein Exklusivrecht haben oder gar schon zu den physikalischen Grundgesetzen zählen. Vielleicht sind es die Werte aus Liebe, Freundschaft und Zusammenhalt, die universell erscheinen. Das erkennt sogar die zynische Nebula, einst Antagonistin unter dem Zepter des finsteren Thanos. Mantis und Drax planen also, dem guten Peter Quill ein Geschenk zu machen. Aber eines, das lange nachhält, das nicht ausgepackt und weggelegt wird. Wie wärs mit einer Ikone aus dessen Jugend? Wie hieß das Musical noch mal, von welchem der kleine Peter so ein Fan war? Footloose. Und sein Star? Kevin Bacon. Also nichts wie rüber nach Terra, den gut gealterten Schauspieler mitnehmen und bestenfalls gleich einpacken lassen. Klar, dass dieser so einiges dagegen hat und den beiden Gutmensch-Aliens sogar die Polizei auf den Hals hetzt.

Die ulkige Naivität des pink tätowierten Hünen, gespielt von Dave Bautista, sorgt immer noch für Schmunzeln – hinzu kommt das nicht weniger einfach gestrickte Gemüt der Halb-Celestial Mantis: Und schon haben wir sowas wie Dick und Doof des MCU, die in ihrem von Nächstenliebe motivierten Eifer für Slapstick, Chaos und skurrile Momente sorgen. James Gunn weiß, wo er ansetzen und wo er aufhören muss, damit das Ganze nicht lächerlich oder bemüht wirkt. Mit dem Faktor Kevin Bacon bewegt er sich dennoch manchmal aufs Glatteis und wirkt in seinen Bemühungen etwas einfältig, doch wir Zuseher sind die Charaktere schließlich alle schon gewohnt, und sowieso war es längst an der Zeit, bei Groot, Rocket und Co nochmal vorbeizuschauen, bevor das Jahr zu Ende geht. Dass Gunns liebevoll errichteter Punsch-Stand an kauzigen Details und musikaffinen Aliens ungefähr so viel Mehrwert hat wie ein Besuch am Adventmarkt, dürfte bei einem Holiday Special klar sein. Der Dreiviertelstünder fühlt sich an wie der kostspielige Pop-Up-Weihnachtsgruß vom Dienstleister, in schmucker CI und mit allerlei Branding. Damit man sich daran erinnert, dass das MCU noch vieles hat, was gerne gut verkauft werden will.

Vergnüglich bleibt das Special aufgrund rockig-smoother Weihnachtssongs, von denen sogar Bacon höchstselbst eines zum Besten gibt. Und aufgrund der kuriosen Details am Rande. Knuffig, wenn sich Drax einen aufblasbaren Elf wünscht. Oder die Guardians ihre Bescherung erleben. Das ist witzig, versöhnlich und irgendwie auch wehmütig, wenn man an den guten alten Yondu denkt.

The Guardians of the Galaxy Holiday Special

Black Panther: Wakanda Forever

MIT ANDEREN WASSERN GEWASCHEN

8/10


BLACK PANTHER: WAKANDA FOREVER© 2022 MARVEL


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: RYAN COOGLER

BUCH / REGIE: RYAN COOGLER, JOE ROBERT COLE

CAST: LETITIA WRIGHT, DANAI GURIRA, TENOCH HUERTA, LUPITA NYONG’O, DOMINIQUE THORNE, ANGELA BASSETT, WINSTON DUKE, MARTIN FREEMAN, JULIA LOUIS-DREYFUS U. A.

LÄNGE: 2 STD 32 MIN


Der rote Faden ist heillos zerfasert: Das MCU unter der Leitung von Kevin Feige, der ja, wie wir aus She-Hulk wissen, vielleicht nicht das ist, was er zu sein scheint, bringt das zerfranste Ende besagter Kurzware nicht mehr durchs Nadelöhr. Zu viele Geschichten, zu viele Antagonisten, zu viele Schauplätze. Jeder Film und jeder Serie kickt neue Storylines aus dem Kreativbüro, in welchem jeder für sich und gleichzeitig gegen alle für seine Ideen Gehör finden will. Das ist für jeden Film und jede Serie Stoff genug für jeweils eigene Phasen. Aus dem stringenten Hop-on der Helden Richtung Zukunft ist ein stetiges Verpassen des Zuges geworden, auf welchem man hätte aufspringen können. Die Lösung? Vom Chaos abwenden und sich selbst treu bleiben; an einer Geschichte weiterfeilen, die es bereits gibt und gerne eine Zukunft hätte, die über das Aufstreben oder Fallen eines Königreiches berichtet, das so autark und versteckt dahin existiert wie Bhutan, dabei aber die technologisch wohl fortgeschrittenste und daher auch mächtigste Nation ist auf einer alternativen Erde, die sich längst mit Extraterrestrischem herumschlagen musste, ganze fünf Jahre durch einen schnippenden Thanos verloren hat und an allen Ecken der Welt irgendwas am Brodeln weiß. Eine Welt, welcher der Klimawandel als ein geringeres Übel erscheint und die viel lieber um heiß begehrte Rohstoffe kämpft, die zum Beispiel als Vibranium allerlei Begehrlichkeiten weckt. Auf diesem Edelmetall fußt der Erfolg Wakandas, eines abgeriegelten Zwergstaates irgendwo in Afrika. Testimonial und Aushängeschild war dort der Black Panther oder eben König T’Challa, Mitglied der Avengers und einer nicht näher definierten Krankheit erlegen. Das musste so sein, diese Wendung ging nicht anders, denn Chadwick Boseman verstarb vor zwei Jahren tatsächlich. Wakanda und Black Panther also auch begraben? Nein. Potenzial für Geschichten hat diese kleine starke Welt noch genug, um das Interesse des Publikum zu erhalten. Und so macht Ryan Coogler aus der Fortsetzung seines oscarnominierten Königsdramas nun ein Königinnendrama epischen Ausmaßes, dass sich ohne viel Geschwafel mit einer traditionellen Politik auseinandersetzt, die Fortschritt und Geschichte in der Waage zu halten versucht.

Was Individuen in ihrem sozialen Gefüge mitunter schwerfällt, nämlich sich selbst treu zu bleiben, will Wakanda als unabhängige Großmacht dennoch meistern. Das gelingt nicht immer. Schon gar nicht, wenn der Rohstoff Vibranium plötzlich andernorts zu finden ist, außerhalb des Königreichs, irgendwo im Atlantik. Dort wiederum weckt die internationale Gier den Schönheitsschlaf einer im wahrsten Sinne des Wortes versunkenen Kultur, die in den Comics zwar als Atlantis verstanden werden will, hier aber als Geschichte seiner Existenz eine gefühlvoll erzählte, plausible Legende im Rücken weiß, die einer Hochkultur Tribut zollt, die wir vielleicht nur mit sehr viel Blut und Gewalt und ganz viel Dschungel in Verbindung bringen, die 2012 den Untergang prophezeit und folkloristisches Artwork hinterlassen hat, das mit nichts zu vergleichen ist. Seinen Einstand bekommt dabei einer der ältesten Marvel-Unruhestifter überhaupt: Namor, der Sub-Mariner.

Es treffen also zwei Pole aufeinander, die unterschiedlicher nicht sein könnten, sich dennoch aber abstoßen, vielleicht, weil sie doch mehr gemeinsam haben als sie dachten: nämlich das Streben, ihren Reichtum mit niemandem teilen zu müssen. Geht das in einer Welt wie dieser? Coogler macht die Probe aufs Exempel – das Know-How einer jungen Amerikanerin wird zum Spielball der Interessen, aus dem sich sehr schnell ein Welt- oder Völkerkrieg entwickeln kann. Wie das Spiel mit dem Feuer, zerfahrene Diplomatie und schlechtes Politikverständnis mit Luft nach oben plötzlich zum Unausweichlichen führen kann, stellt Wakanda Forever als fokussiertes und ausgewogenes Erzählkino dar, das mit der nötigen Gelassenheit aufgrund einer durchdachten Story Platz für alle Facetten eines Mainstream-Abenteuers lässt, das sowohl aufgrund seiner Schauwerte erstaunt, dabei aber auch nicht auf seine Dramaturgie vergisst. Die stille Trauer genauso geduldig abwartet wie Choreographien innerhalb schneidiger Actionszenen, welche Wert auf die Physis der Protagonisten legen.

Es stimmt schon, aus der Betroffenheitswolke rund um den Black Panther kann sich der Film manchmal allzu schwer lösen, dafür aber schaltet er dann von null auf hundert zu einem gänzlich anderen Schauplatz, der aber nicht aufgesetzt wirkt, sondern aufgrund der neu erschaffenen Paradigmen entsteht: Wakanda Forever taucht diesmal tief ins Wasser und zeigt eine Welt, die um so vieles besser und authentischer auftritt als es seinerzeit im DC-Blockbuster Aquaman zu sehen war. Wo wallendes Haar und schlechtes CGI für unfreiwillige Komik gesorgt hatten, nimmt sich Coogler den Willen und die Zeit, sich wie James Cameron ernsthaft mit einer fiktiven Kultur auseinanderzusetzen, die menschenfeindliche Ökosysteme beherrscht. Dabei verknüpft er dies mit dem Traum über eine vergangene Hochkultur in Bildern, die aus einem Film von Chloé Zhao stammen könnten; mit zurückgenommenen digitalen Effekten, Natürlichkeit und Respekt vor der Kraft des Wassers. Nicht zu vergessen: Wakanda Forever öffnet einen Kleiderschrank voller atemberaubender Outfits und tragbarer Accessoires. Diesen Oscar, so prognostiziere ich, scheint der Film schon in der Tasche zu haben.

Wer hätte das gedacht: Am Ende einer missglückten MCU-Phase gelingt den Marvel Studios tatsächlich noch ein stringenter Meilenstein, ein Balanceakt zwischen den Sehbedürfnissen seines Publikums und einer bekennenden Treue zu einer sich selbst genügenden Welt, die eigentlich auch ohne den ganzen universalen Überbau der Phasen und Storylines ganz gut zurechtkommen würde.

Black Panther: Wakanda Forever