Die Nacht der lebenden Toten (1968)

METAPHER DER ENTMENSCHLICHUNG

7/10


© 1968 George A. Romero


ORIGINALTITEL: NIGHT OF THE LIVING DEAD

LAND / JAHR: USA 1968

REGIE: GEORGE A. ROMERO

DREHBUCH: GEORGE A. ROMERO, JOHN A. RUSSO

CAST: DUANE JONES, JUDITH O’DEA, KARL HARDMAN, MARILYN EASTMAN, KEITH WAYNE, JUDITH RIDLEY, KYRA SCHON, RUSSEL STREINER U. A.

LÄNGE: 1 STD 36 MIN


Die lebenden Toten sind längst nicht nur mehr das: Sobald der Mensch aufgrund von Viren, Sporen, Strahlen oder sonstigen höheren unnatürlichen wie natürlichen Mächten seine Vernunft verliert und nur noch, von Instinkten getrieben, außer Rand und Band gerät, ist die dominierende Spezies des Planeten ihrem Untergang geweiht. Die Endzeit bricht herein, und die Szenarien, die darauf folgen, sind allesamt ähnlich. Eine Gruppe noch nicht Infizierter rottet sich zusammen, um die Essenz des Menschseins oder das, was das Menschsein eben ausmacht, um alles in der Welt zu schützen. Meist suchen sie gemeinsam einen Zufluchtsort, der in den noch verbliebenen Nachrichtenquellen durchgegeben wird. 28 Days Later, Dawn of the Dead, The Last of Us – Filme und Serien beschreiben Irrfahrten durch ein verwüstetes Land, bevölkert von tumben Kreaturen, die noch vage an unsere Vergangenheit erinnern: Zombies. Dass sie aus den Gräbern kommen, war vielleicht im Musikvideo Thriller so. In Die Nacht der lebenden Toten, dem ersten neuen Zombiefilm des New Hollywood, muss der Mensch immerhin erst sterben, um von einer Rage und einem Appetit ergriffen zu werden, der ihn letztendlich sowieso in den Untergang führen wird. Schon mal zu Ende gedacht? Gibt’s nur noch Zombies auf dieser Welt, werden ohne Frischfleisch folglich alle verhungern.

Dieser Film hier aus dem Jahre 1968 ist bekannt dafür, jene Sonderstellung zu genießen, die beinhaltet, in die Filmsammlung des Museum of Modern Art aufgenommen worden zu sein und als Beitrag zur National Film Registry als erhaltenswertes Kulturgut verstanden zu werden. Schön und gut, diese Ehre teilt Romeros Film auch mit Alien oder 2001: Odyssee im Weltraum. Das muss man nicht extra erwähnen. Oder doch? Zumindest ist George A. Romero mit seinem Film eine Pionierarbeit gelungen, die damals wohl das eine oder andere Tabu hat brechen wollen. Wie zum Beispiel jenes des Kannibalismus. In einer expliziten Szene wird deutlich, wie eine Handvoll Zombies an Knochen nagen, die womöglich menschlicher Natur sind. Ein Schock für damalige Verhältnisse. Heutzutage kostet es dem Walking Dead-geeichten Publikum nicht mal das Zucken mit der Wimper. Der Skandal mag überholt sein – die künstlerische Ausarbeitung ist es vielleicht nicht. Denn Zombie-Filme in Schwarzweiß, die bereits jene Versatzstücke zeigen, die bis heute verwendet werden, sind mir sonst keine bekannt.

Auch der Plot des Films ist bereits zigmal imitiert, neuinterpretiert und verarbeitet worden: Zu Beginn des Films begibt sich ein Geschwisterpaar auf einen Friedhof, um das Grab des Vaters zu besuchen. Und schon passiert es: Beide werden von einem wild gewordenen Mann attackiert, scheinbar geistesgestört, in Wahrheit aber ein Untoter. Davon wissen die beiden aber noch nichts (da sie womöglich noch keinen Zombiefilm gesehen haben). Sie finden Unterschlupf in einem verlassenen Farmhaus, wo sie noch auf andere Überlebende treffen, die sich den Bissen der Marodeure erwehren konnten. Die klaustrophobische, beklemmende Stimmung des Films nimmt zu, als alle hier Anwesenden, längst mit dem Rücken zur Wand stehend, das Haus verbarrikadieren, um auszuharren, bis militärische Hilfe kommt und sie alle evakuiert.

Man kann sich denken, was passiert. Man hat das auch schon oft gesehen. Zum ersten Mal aber bei Die Nacht der lebenden Toten. Mir gefällt die klassische Darstellung des trägen humanoiden Gemüses, das im Gegensatz zum späteren Dawn of the Dead (kongenial neuverfilmt von Zack Snyder) oder Danny Boyles 28 Days Later, nur langsam vor sich hin torkelt und leicht zu bewältigen wäre. Das fördert eine Diskrepanz in so mancher brenzligen Szene, doch George A. Romero kommt der für einen Spannungsfilm wenig förderlichen Verhaltensweise mit der schieren Masse entgegen. Ein nicht enden wollender Strom Untoter belagert die letzte Zuflucht, die Ausnahmesituation schafft auch innere Spannungen in der Gruppe, da jeder eine eigene Vorstellung davon hat, mit der Notlage klarzukommen.

Filmgeschichtlich betrachtet ist Die Nacht der lebenden Toten auf jeden Fall ein Must-See, um zu erfahren, womit alles angefangen hat. Was noch hinzukommt, ist Romeros Tendenz zum Nihilismus. Völlig frei im Gestalten seiner katastrophalen Endzeit, verortet das Werk seine Kernqualität in einem misanthropen Zynismus, der sozialpolitische Verhaltensabnormen als zermürbende Allegorie darstellt. So gesehen sind Genozide wie der Holocaust oder das spätere Schlachten in Ruanda Mitte der Neunziger der reale Ursprung für Apokalypsen wie diese, welche die Entmenschlichung widerspiegeln. Der Zombiefilm als politische Warnung, auch wenn die Ursache für den todbringenden Anarchismus in Romeros Film einer Strahlung zugrundeliegt – die wiederum mit medialer Gehirnwäsche gleichzusetzen wäre.

Die Nacht der lebenden Toten (1968)

In A Violent Nature (2024)

SCHWEIGEN IM WALDE

6/10


InAViolentNature© 2024 capelight pictures


LAND / JAHR: KANADA 2024

REGIE / DREHBUCH: CHRIS NASH

CAST: RY BARRETT, ANDREA PAVLOVIC, CAMERON LOVE, REECE PRESLEY, LIAM LEONE, CHARLOTTE CREAGHAN, LEA ROSE SEBASTIANIS, LAUREN-MARIE TAYLOR U. A.

LÄNGE: 1 STD 34 MIN


Anderswo, zum Beispiel in Mittelerde, würde eine armselige und durch die Sünde der Gier ins Monströse verzerrte Figur nach einem Schmuckstück suchen, das man am Finger trägt: Die Rede ist von Gollum und seinem Ring, seinem – wie er selbst nicht müde wird zu betonen – Schaaaatz, den später Frodo Beutlin um den Hals baumeln lässt. Jemanden sein liebstes Kleinod zu entwenden geht gar nicht. Und tatsächlich haben diese Kreatur des Gollum und die Kreatur eines Untoten, geistig zurückgebliebenen Riesenbabys mit historischem Feuerwehrhelm auf dem Kopf abgesehen von ihrer leidvollen Lebensgeschichte, die beide Wesen letztlich korrumpiert hat, gemeinsam: Diese seltsamen Existenzen kreisen jeweils um ein Artefakt, sie stehen und fallen mit ihm, es provoziert sie oder hält sie in Stasis. In letztere befindet sich die Ausgeburt eines untoten Psychopathen, Zeit seines Lebens jemand mit besonderen Bedürfnissen, dem in einer wenig aufgeschlossenen Kleinstadtgesellschaft übel mitgespielt wurde. Und zwar so sehr, dass diese diesen Johnny tödlich verunfallen ließ. Der Sturz vom Feuerwehrturm war der Anfang vom Ende, was danach kommt, der blanke Horror. Den so wie Gollum will Johnny nur sein Artefakt zurück, koste es was es wolle. Anders als der verkorkste Hobbit treibt ihn aber noch etwas anderes an: Vergeltung und eine daraus resultierende Blutgier.

So gräbt sich das humanoide und stets schweigsame Monstrum aus dem Waldboden und macht sich im Trott eines Spaziergängers auf die Jagd nach neureichen Bobo-Erwachsenen der Smartphone-Generation, die wenig Achtsamkeit kennen und wenn es darauf ankommt, bereitwillig das Opfer spielen. Das Ungewöhnliche an Chris Nashs Naturpark-Slasher ganz ohne Hütte im Wald ist die sorgsam eingepflegte Meta-Ebene eines gefahrvollen Ökosystems, getarnt als natürliche Idylle, in der für den urbanen Fortschrittsmenschen, der sich zunehmend von der Natur zu distanzieren scheint, unberechenbare Gefahren lauern. Die volatile, schwer verortbare Existenz eines Unheils in Gestalt des Schlächters Johnny lässt ihn vollends im entschleunigten, stillen Grün des Waldes aufgehen, wie das Alien in der mechanischen Düsternis der Eingeweide eines Raumschiffs. Diese Gefahr einer bösen Natur entspräche der Conclusio aus John Boormans Beim Sterben ist jeder der Erste. Nur statt den Rednex, die in einer greifbaren Realität das Unheil säen, schlendert in In a Violent Nature etwas Metaphysisches und nicht Reales durch den Forst, bestückt mit zentnerschweren Ketten, an deren Enden wuchtige Haken baumeln. Was Johnny damit letztlich anstellt, lässt Nash in so deftigen wie bizarren Gewaltspitzen münden. Und eines muss dabei klar sein: In a Violent Nature mag anmuten wie die Neuordnung eines längst etablierten Subgenres des Horrorfilms, sucht sich letzten Endes aber genau jene bewährten Versatzstücke zusammen, die Fans an diesen Filmen so lieben.

Anfangs sieht es auch so aus, als hätte der Film die Ambition, aus der Sicht des Antagonisten erzählt zu werden. Eine Idee, die aber nicht aufgeht. Und wenn, dann nur szenenweise, wie John Carpenter es getan hat, um Kultfigur Michael Myers in Halloween ins Spiel zu bringen. Später aber wechselt auch dort der Blickwinkel, um das Böse nicht zu entmystifizieren und auch um Identifikationsfiguren zu schaffen, die Johnny partout nicht darstellt. Aus diesem Grund muss Chris Nash umdenken, aus einem konsequent geplanten Experiment wird nichts. Letztlich bleibt In A Violent Nature ein Slasher wie alle anderen – blutrünstig und bedrohlich, dafür aber auch langsamer, in sich ruhender.

Der Kontrapunkt einer von wärmenden Sonnenstrahlen begünstigten, lieblichen Natur, akustisch begleitet durch das Gezwitscher zahlreicher Vögel, lässt den einsamen Killer als modernen Waldschrat oder wilden Mann in einer mystischen Anthologie der schweigenden, aber archaischen Schrecken noch ausgefuchster erscheinen.

In A Violent Nature (2024)

Zombi Child

DIE KINDER DER TOTEN

6,5/10


zombichild© 2020 Grandfilm


LAND / JAHR: FRANKREICH 2019

BUCH / REGIE: BERTRAND BONELLO

CAST: LOUISE LABEQUE, WISLANDA LOUIMAT, MACKENSON BIJOU, KATIANA MILFORT, ADILÉ DAVID, NINON FRANÇOIS U. A.

LÄNGE: 1 STD 43 MIN


Zombies gibt es wirklich. Zumindest sagt man das, und zwar auf Haiti. Dort, wo Voodoo mehr ist als nur eine Zaubershow. Vielmehr eine Lebenseinstellung, eine Art metaphysische Weltsicht. Als der erste belegte Fall eines Zombies gilt Anfang der 60er Jahre ein Mann namens Clairvius Narcisse. Der brach eines Tages auf der Straße tot zusammen, wurde beerdigt – und kurze Zeit später wieder zum Leben erweckt, um als untote Kreatur ohne eigenen Willen mit anderen Zombies als Sklave auf einer Zuckerrohrplantage zu arbeiten. Irgendwie hat dieser Mann es geschafft, den Willen seiner Herren zu brechen und zu seiner Familie zurückzukehren, wo er bis zu seinem zweiten Tod gelebt hat. Klingt kurios? Ist es auch. Und es ist der erste mir bekannte Zombie-Film, der um genreübliche Versatzstücke wie Kannibalismus, Blutdurst und rasender Impulssteuerung einen großen Bogen macht. Mit dieser Darstellung des Zombie-Mythos bringt Regisseur Bertrand Bonello das medial hochgeschätzte und durch The Walking Dead massentauglich gewordene Thema auf den Boden kulturgeschichtlicher Tatsachen zurück. Dabei teilt Bonello seinen Film in zwei Hälften. Die eine schildert chronologisch die Ereignisse, die damals auf der karibischen Insel angeblich stattgefunden haben. Die andere erzählt die Coming of Age-Story der französischen Schülerin Fanny, die während ihres Aufenthaltes im Internat mit der Abfuhr ihres Freundes zurechtkommen muss. Ihr zur Seite steht eine kleine Gruppe vertrauter Freundinnen, die sich regelmäßig, zur nachtschlafener Zeit, als eingeschworene Schwesternschaft im Kunstsaal der Schule treffen. Dabei wird ein neues Mitglied aufgenommen – ein haitisches Mädchen namens Mélissa, die bei einer Tante lebt, und die man gut und gerne als Voodoo-Priesterin bezeichnen könnte. Fanny ist davon fasziniert – und spielt mit dem Gedanken, ihre Dienste in Sachen Liebeskummer in Anspruch zu nehmen.

Zombi Child fügt sich wunderbar an eine Reihe ähnlich gelagerter, augenscheinlicher Jugendfilme an, wie zum Beispiel When Animals Dream von Jonas Alexander Arnby oder Raw von Cannes-Preisträgerin Julia Ducournau. In allen diesen Filmen dringt das Paranormale in den ganz normalen Alltag junger Mädchen ein, die sich damit abmühen müssen, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Bonellos Film kommt allerdings ohne Blut und Todesfälle aus, dafür ist das Überschreiten dieser Grenze hier im Film eine, die nicht weniger Wirkung hat. Statt verwesender Gesichter und bissfester Launen handelt das Voodoo-Drama von Seelenreisen und der Dominanz solcher. Vom Beschwören garstiger Dämonen und dem Bannen selbiger. Der westafrikanische Kult ist nichts, womit man einfach so aus Neugierde herumspielt, meint der Regisseur. Und auch nichts, das sich gerne als reißerisches Horror-Vehikel verbraten lassen will. Zombi Child nimmt die Möglichkeit einer unbekannten Dimension wie dieser durchaus ernst. Vielleicht ein bisschen zu ernst, und vielleicht schmeckt diese Art der Zombie-Interpretation verwöhnten Zombieland-Veteranen nicht wirklich, weil sie mit Schlitzen und Ballern nicht weit kommen. Als beruhigt beunruhigende Exkursion zu den Wurzeln eines Mysteriums allerdings ist Zombi Child Kopfkino für geschmacksorientierte Tellerrand-Balancierer, den Blick in den Abgrund inbegriffen.

Zombi Child

Maggie

REQUIEM FÜR EINEN ZOMBIE

5/10


maggie© 2015 Splendid Film


LAND / JAHR: USA, SCHWEIZ 2015

REGIE: HENRY HOBSON

CAST: ABIGAIL BRESLIN, ARNOLD SCHWARZENEGGER, JOELY RICHARDSON, DOUGLAS M. GRIFFIN, J. D. EVERMORE, BRYCE ROMERO U. A. 

LÄNGE: 1 STD 37 MIN


Auch wenn die menschenfleischgierigen Untoten nicht gut für die Gesundheit der noch nicht Gebissenen sind und daher gerne als das Böse angesehen werden – im Grunde sind Zombies erbarmungswürdige, traurige Kreaturen, die, ihrem Willen beraubt, völlig wertfrei darauf warten, dass sie irgendwer einen Kopf kürzer macht. Um diese Traurigkeit, dieses Ausgeliefertsein, diesen schmerzlichen Prozess der Veränderung auch ein bisschen mehr hervorzukehren, wird im düsteren Drama Maggie eine Lanze für jene gebrochen, die mit ihrem Zombiedasein in absehbarer Zeit werden „leben“ müssen.

Ein solches Schicksal muss Abigail Breslin (u. a. Little Miss Sunshine) ausfassen, sehr zum Leidwesen von Papa Arnold Schwarzenegger, der in Zeiten der Pandemie seine gebissene Tochter um nichts in der Welt in Quarantäne stecken will. In Maggie bedeutet dies: zusammengepfercht mit anderen Zombies zu sein, die sich schlimmstenfalls gegenseitig als Frühstück betrachten. Also bleibt das Mädchen daheim und siecht dahin, bekommt den milchigen Blick und blutet schwarzes Blut. Währenddessen heißt es warten. Warten bis zum Ende.

Und ja, mehr ist in diesem Horrordrama eigentlich nicht los. Interessant dabei ist der im Film dargestellte, Wochenenddemonstranten wohl glücklich stimmende Umgang mit einem noch viel schrecklicheren Virus als Covid19. Abstand, Maske und sonstige Vorkehrungen sind keine vorhanden, anscheinend überträgt sich diese Krankheit nur durch beißen, also braucht’s das alles nicht. Das ist natürlich reichlich naiv, aber gut – eine Zombifizierung ist ja auch etwas Irreales. Umso realer ist die Düsternis in diesem Streifen, die sich von Minute zu Minute immer mehr siechend dahinschleppt. Die Bilder sind in entsättigte, graubraune Farben getaucht, schwer liegt der Score auf sowieso schon zementsackschweren Szenen, die den Verfall zelebrieren. Mittendrin ein völlig ratloser Arnold, der in seinem Leben beruflich sowieso schon alles, was nur möglich ist, erreicht hat, und nun auch mal schauspielerisch die ernstere Schiene erproben will. Später tut er das nochmal mit dem ebenso bleischweren Trauerdrama Aftermath. Mit Maggie zeigt er, wie sehr man ratlos herumstehen und herumsitzen kann, zwischendurch auch mal mit Nickerchen. Nicht schlecht, aber auch nicht wirklich gut. Da wirkt Abigail Breslin natürlich unterstützend – ihre Figur ist ebenso ratlos und voller Furcht, allerdings überzeugender. Doch es hilft alles nichts – Lethargische Erschöpfung und krassierende Symptome schreiten fröhlich voran. Das ist Nihilismus als ausharrendes, meditatives Familiendrama, das wenig mehr weckt als ein ungutes Gefühl. Oder: ein Film wie ein verfaulender Organismus – nur drumherum Menschen, händehaltend im Kreis, die einander und sich selbst nicht verlieren wollen.

Maggie

Swiss Army Man

ZOMBIE FÜR ALLES

6,5/10

 

swissarmy

LAND: USA 2016
REGIE: DANIEL KWAN, DANIEL SCHEINERT
MIT PAUL DANO, DANIEL RADCLIFFE

 

Ein Furz geht um die Welt. Na gut, nicht um die Welt, dafür aber legt er eine ganz schöne Strecke zurück. Und dazu noch übers Meer. Welch ein Glück, dass der auf einer einsamen Insel gestrandete Schiffbrüchige namens Hank noch Zeichen und Wunder erlebt. Dieses Wunder erscheint in Gestalt einer Leiche, die über unerhört und unüberhörbar kraftvolle Flatulenzen verfügt. Wer nicht schon jetzt den Kinosaal verlassen oder den Film im Heimkino abgebrochen hat, wird vermutlich wissen wollen, was es mit diesem Phänomen auf sich hat. Eines kann ich gleich vorwegnehmen: Schlau wird keiner daraus. Dabei ist dieser bizarre Auftakt eines der wohl bizarrsten Filme der letzten Zeit erst der Anfang von noch mehr surrealen Begebenheiten, die zwischen Vorstellung und Realität, sofern es denn eine gibt, lange keine Grenze ziehen.

Für all jene, die irgendwann mal gerne ins Theater gegangen sind oder immer noch gehen, und Freunde des absurden Theaters sind, werden mit Sicherheit an Swiss Army Man Gefallen finden. Oder sich zumindest interessiert zeigen. Absurdes Theater – das ist so was wie Warten auf Godot oder Endspiel von Samuel Beckett. Zwei-Personen-Stücke, die eine seltsame Welt jenseits nachvollziehbarer Ordnung zeigen. Meist warten diese Personen – gescheiterte, gestrandete, devote Seelen – auf den Moment der Erlösung. Auf den Tod, auf das Paradies, auf jemanden, der da kommen mag. Und während sie warten, entspinnen sich Rollenspiele, wechselt Erniedrigung und Hass mit Hoffnung und Zuversicht. Schlussendlich bleibt aber der Stillstand. In der absurden Groteske von Daniel Kwan und Daniel Scheinert, die sich als Duo einfach nur Daniels nennen, sind es nicht Hamm & Clov oder Vladimir & Estragon, sondern Hank und Manny. Wobei Manny, gespielt vom äußerst talentierten Daniel Radcliffe, so was wie ein Zombie zu sein scheint. Immerhin ein Zombie, der keinen Hunger leidet und so funktioniert wie ein Schweizer Taschenmesser – daher auch der Titel des Films. Die Leiche, die der Überlebende Hank fortan mit sich durch die Wildnis schleppt, entwickelt im Laufe des Films immer mehr Extras. Waren es zu Beginn nur Darmwinde, taugt der blasse Kompagnon als Axt, Wasserspender, Kompass und Gesprächspartner. Denn ja – sprechen kann er dann auch noch.

Zuerst ergibt Swiss Army Man überhaupt keinen Sinn. Schwierig, in die Gedankenwelt der lebenden und der halbtoten Person einzudringen. Schwierig auch, sich den Eskapaden der beiden zu entziehen. Und das, obwohl verdammt viel philosophiert wird. Natürlich über Leben, natürlich über den Tod, und vor allem über die Hoffnung auf Zweisamkeit. Wie bei Beckett verbirgt sich hinter dem phantastischen Zynismus der Mensch in seiner verletzlichen Nacktheit und seiner einzigen und immerwährenden Suche nach Nähe und Erfüllung des Daseins. Nach Anerkennung und Geborgenheit. Mit Manny, dem Zombie für alles, schafft er sich zumindest inmitten von Zivilisationsmüll eine Illusion der erfüllten Sehnsüchte. Aber ist Manny nicht im Endeffekt der Glücklichere? Ist nicht der Tod das bessere Leben?

Swiss Army Man ist eine beherzte, zum Fremdschämen überzeichnete Allegorie über Sein und Nicht-Sein und ein kruder Diskurs über den Willen zu einem erfüllten Leben, am Besten ganz allein. Das klingt jetzt feingeistig, stellt sich aber in den Bildern, die uns die beiden Daniels bescheren, bei Weitem nicht so da. Da ist der Existenzialismus auf der Bühne schon eleganter definiert – im Kino, und vor allem hier, zwischen Nirgendwo und Irgendwo, erfüllt die plumpe, oft derbe Clownerie nur bedingt seine Aufgaben. Dennoch – Paul Dano und Daniel Radcliffe dürfte es egal sein, ob im Theater oder auf der Leinwand – ihre Welt ist sowohl da als auch dort eine andere.

Swiss Army Man