Honey Bunch (2025)

GASLIGHT STATT CANDLELIGHT

7,5/10


© XYZ Films


LAND / JAHR: KANADA 2025

REGIE / DREHBUCH: MADELEINE SIMS-FEWER, DUSTY MANCINELLI

KAMERA: ADAM CROSBY

CAST: GRACE GLOWICKI, BEN PETRIE, KATE DICKIE, JIMI SHLAG, JASON ISAACS, INDIA BROWN U. A.

LÄNGE: 1 STD 53 MIN


Der Autounfall muss so schwer gewesen sein, dass Diana jede Erinnerung daran verloren hat. Und nicht nur das: Auch all die Erinnerungen an eine Zeit der romantischen Zweisamkeit mit Ehegatten Homer, der aus tiefster Verzweiflung seine ziemlich lädierte bessere Hälfte in eine Spezialklinik verfrachtet, deren Ärzte Koryphäen auf dem Gebiet sind, Unfall-Amnesien wie diese wieder zu kurieren. Dass die Physis nebenbei bemerkt dabei auch noch ihre Rehabilitation vollständig erlangt, eine gern gegebene Garantie. Was Kennern der Geschichten von Edgar Allan Poe, Lovecraft oder Dennis Lehane wohl sofort in den Sinn kommen würde bei Erstbetrachtung der Einrichtung: Hier geht ganz sicher nichts mit rechten Dingen zu. Kann gar nicht sein, darf gar nicht sein. Die süßelnde Oberschwester (Kate Dickie) oder was immer die Dame auch verkörpern soll, die Diana und Homer freundlich empfängt, wiegt die beiden In Sicherheit und Zuversicht, auch wenn die Methoden zur Heilung so aussehen, als wären sie noch in der Testphase. Erklärend müsste ich vielleicht noch erwähnen, dass diese ganzen Geschehnisse zu einer Zeit spielen, in der man von smarter Elektronik noch nicht mal geträumt hat.

Alles in Ordnung, Honey

Es sind die Siebziger, und jedes Bild und jede Szene fängt den Stil von damals ein, inklusive des visualisierten Muffs, den Retro-Nostalgie nun mal von sich gibt. Roman Polanski hätte dieses Drehbuch mit Freude wohl verfilmen mögen, doch der gab sich damals wohl lieber, erfahrbar in Der Mieter oder Ekel, den Psychosen hin. Das Regieduo Madeleine Sims-Fewer und Dusty Mancinelli – für mich eine gänzlich neue Bekanntschaft  – drückt das Gemüt aber längst nicht so weit in den destruktiven Schlamm wie der polnische Starregisseur. Das alleine sagt schon der Titel Honey Bunch, denn das liebliche Honigtöpfchen muss, wie es scheint, für den scheinbar fürsorglichen Homer das Zentrum seiner Welt sein. Natürlich fragt man sich: Ist dem wirklich so? Zweifel kommen auf, als Diana albtraumhafte Visionen hat, die sie an etwas erinnern, was scheinbar nie stattgefunden hat. Und warum, so fragt sie sich, geistert immer wieder die längst verstorbene Gründerin der Klinik durch den Garten, als wäre das Paranormale in diesen alten Gemäuern längst nicht nur die Folge von Dianas geistigem Zustand.

Albtraum mit Situationskomik

Vieles ist in Honey Bunch nicht so, wie es scheint. Dieser gespenstische Umstand erinnert an Scorseses Shutter Island, nur längst nicht in dieser verwinkelten, regennassen Ernsthaftigkeit. Romantik bleibt in diesem Spiel aus Rätseln, Vermutungen und Heimsuchungen stets großgeschrieben, Grace Glowicki und Ben Petrie haben einen Zustand zueinander, der ist schon mal die halbe Miete für eine Geschichte, die mit viel Herz, Verstand und vorallem naiver Neugier umgesetzt wurde. Gerade dieses Naive, dieses verschmitzte Lust am resolut eingeforderten Abenteuer, die Diana bald überwältigt, führt schließlich zu einem ersten großen Twist, den man ohnehin schon einige Zeit vorher erahnen kannt. Als es dann soweit ist, und die Karten neu gemischt werden, die Wahrnehmung am Kopf steht, und zwar so, ohne dass einem dabei schwindelig wird, weicht der Suspense einem turbulenten, durchaus auch freakigen Thriller, der wissenschaftliche Dystopien in eine durchwegs schrullige Komödie packt, die, anstatt Kraft und Energie zu verspielen, in der narrativen Zielgeraden so viel Spaß am Tun entwickelt, dass er wohl sich selbst genügen würde, ganz ohne  Publikum. Ein Faktor ist das, der Filme so richtig selbstbewusst macht. Und das gelingt auch Sims-Fewer und Mancinelli.

Schön aber, dass man trotzdem dabei sein kann. Und schön, zu sehen, wie beide das höchste Gut einer harmonischen Zweisamkeit mit süffisanter Ironie unterspicken und daraus eine Vision zaubern, die sich herrlich verpeilt und verschroben gibt, wie eine Independent-Perle eben sein muss, deren Glanz bis zur letzten Szene eine ganze Palette von Gefühlen widerspiegelt, mit zwischendurch Chancen auf ein Happy End. In der Liebe ist schließlich alles möglich. Vorallem im Film.

Honey Bunch (2025)

Universal Language (2024)

BABEL LIEGT IN KANADA

8,5/10


universallanguage© 2024 Viennale


LAND / JAHR: KANADA 2024

REGIE: MATTHEW RANKIN

DREHBUCH: ILA FIROUZABADI, PIROUZ NEMATI, MATTHEW RANKIN

CAST: MATTHEW RANKIN, PIROUZ NEMATI, ROJINA ESMAEILI, SABA VAHEDYOUSEFI, SOBHAN JAVADI, MANI SOLEYMANLOU, DANIELLE FICHAUD U. A.

LÄNGE: 1 STD 29 MIN


Eines hatten mehrere Filme in der Auswahl der Viennale gemeinsam: In ihnen war es saukalt. In Anora herrschten Minusgrade, in The Damned froren sich sämtliche Soldaten der Nordstaaten während des Bürgerkrieges den Allerwertesten ab, und in Universal Language wird Winnipeg, die Hauptstadt Manitobas in Kanada, zur urbanen Frostbeule, in der es so kalt ist, dass die Wäsche am Balkon, die andere zum Trocknen aufhängen, bretthart gefriert. Allerdings, so ließ sich Darsteller Pirouz Nemati während eines Q&A nach dem Film entlocken, ist die Darstellung der Kälte in diesem Film keinesfalls übertrieben. Den Klimawandel würde man dort wohl kaum vermuten, wohl schon eher den Wandel der Sprachen. Denn so seltsam es auch klingen mag und, sofern man sich nicht selbst davon überzeugen könnte, es niemals glauben möchte: In Winnipeg spricht man Farsi.

Man nehme die Welt mit all ihren Bewohnern und schüttelt sie wie in einer Schneekugel (das passt sogar) einmal gründlich durch. Sprachen und Orte verschieben sich. Ein neues Babel entsteht, mit dem Mikroskop hält Matthew Rankin aber weiterhin gezielt auf die merkwürdigen, gesellschaftlichen Strukturen der Bewohner einer Stadt, die Insider wohl szenenweise wiedererkennen würden, andere jedoch keinesfalls. In dieser Stadt, in diesem Stadtkreis, ist das einzige große Rätsel nur der gemeinsame Nenner vieler kleiner Obskuritäten. Ein Panoptikum surrealer Miniaturen wird hinter einer sinnbildlich bröckelnden Fassade schmuck- und fensterloser Häuserfronten sichtbar, auch im Eis stecken so manche Schätze, die geborgen werden wollen. Doch gerade ein Wunsch wie dieser tritt eine Kette an kausalzusammenhängenden Ereignissen los, die immer tiefer und immer lustvoller durch einen Kosmos mäandern, der nur in Träumen existieren kann. Es ist dies wohl der ungewöhnlichste und verblüffendste Film der diesjährigen Filmfestspiele in Wien. Eine Schmuckschatulle, prall gefüllt mit Ideen, die eine karussellartige Geschichte erzählen. Von Truthähnen, Kleenex-Tüchern und einer Neudefinition für den Tourismus attraktiver Sehenswürdigkeiten, für die man mal gut und gerne nicht nur eine Schweigeminute einlegt.

Der kanadische Filmemacher und Visionär Matthew Rankin, bislang stets mit Kurzfilmen vertreten und 2019 mit der bizarren Fake-Biografie The Twentieth Century im Langfilm debütiert, könnte mit Universal Language den Grundstein dafür legen, auch zukünftig ein ausgesuchtes Publikum mit Hang zum Absurden begeistern zu können. Die Herren Wes Anderson – jeder kennt ihn mittlerweile als Ensemblefilmer, dem die Stars die Türen einrennen – und der Schwede Roy Andersson (Über die Unendlichkeit) haben es bereits vorgemacht. Ihre Filme wären in einem Pulk von tausenden anderen so leicht zu erkennen, da ihren Stil und ihre Handschrift niemand sonst imitieren kann. Das Setzkastenkino von Wes Anderson mag wahrlich kurios sein – der Wille zur Dekoration seiner Sets mag aber manchesmal den Tiefgang außen vorlassen. Bei Roy Andersson ist das anders. Seine Momentaufnahmen grimmig-existenzialistischer Alptraumszenen rütteln am Gemüt und vermitteln gespenstisches Bilderbuchkino. Matthew Rankin braucht keine Stars. Seine Kunst erinnert unweigerlich an beide, findet dabei jedoch eine andere Mitte, einen anderen Schwerpunkt. Universal Language hinterfragt gesellschaftliche Strukturen, Wertigkeiten und Identitäten. Er verzerrt auf burleske Weise die Marktwirtschaft, den Familiensinn und menschliche Fehler in der Kommunikation. So skurril-witzig seine Anekdoten auch sind, so lakonisch-melancholisch balancieren sie am Rande einer tieftraurigen, tränenreichen Schwermut. Rankins Tableaus sind nicht von dieser Welt, sie erzählen von einem alternativen Universum voller liebenswerter, aber gewöhnungsbedürftiger Figuren. Dieser frische Wind im Kino des Surrealen ist schneidend kalt. Die Beziehungen unter den Menschen der einzige Weg, sich zu wärmen.

Universal Language (2024)

Kinds of Kindness (2024)

DIE DROGE MENSCH

8/10


kindsofkindness© 2024 Searchlight Pictures


LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH, USA 2024

REGIE: YORGOS LANTHIMOS

DREHBUCH: YORGOS LANTHIMOS, EFTHYMIS FILIPPOU

CAST: EMMA STONE, JESSE PLEMONS, WILLEM DAFOE, MARGARET QUALLEY, HONG CHAU, JOE ALWYN, MAMOUDOU ATHIE, HUNTER SCHAFER, YORGOS STEFANAKOS U. A.

LÄNGE: 2 STD 45 MIN


Jetzt hat er mich – jetzt hat mich Yorgos Lanthimos endlich mal so richtig überzeugt. Zugegeben: The Favourite war gut, top besetzt. Poor Things sowieso ein Hingucker und Emma Stone, nunmehrige Haus- und Hofschauspielerin des griechischen Meisters, am Zenit ihres Schaffens. Doch irgendetwas war dabei zu viel. Vielleicht zu viel Pomp, zu viele Schnörkel. Vielleicht sogar zu harmlos und mit schrägem Weitwinkel visuell in die obszöne Groteske getrieben. Dabei liegt Lanthimos Stärke scheinbar in sachlichen, surreal-philosophischen Miniaturen – in makabren Anekdoten über die Unzulänglichkeiten des menschlichen Daseins. Mit Kinds of Kindness – zu deutsch: Arten der Freundlichkeit bzw. Arten der Güte – schraubt der Autorenfilmer seinen Firlefanz zurück auf null, denkt wieder vermehrt um die Ecke und lässt sich von absurden Überlegungen leiten, die das eine ins andere führen. Doch einfach laufen lassen, wie David Lynch das gerne tut, ohne auch nur den geringsten Anspruch dabei zu hegen, eine Idee schlüssig auszuformulieren – das tut Lanthimos ganz bestimmt nicht. Seine Fragen wollen eine Antwort, oder zumindest als Frage im Raum stehen, auf welche diverse Antwortszenarien abprallen können, ohne dass die Frage selbst Schaden dabei nimmt.

Roy Andersson, der schwedische Exzentriker mit seinen endzeitlichen Episodentableaus, die so wirken, als hätte Wes Anderson seine ganze Leichtigkeit verloren, macht sich in seinen Werken ähnliche Gedanken wie Lanthimos. Über das Leben, über die Erbärmlichkeit des Menschseins. Über die Unendlichkeit. Oder den Tod. So denken also Lanthimos und sein Co-Autor Efthymis Fillipou, der für A Killing of a Sacred Deer in Cannes den Drehbuchpreis gewonnen hat, ebenfalls über das Leben nach. Und weniger über das Sterben. Dafür aber vermehrt über die schier unbegrenzten Ausdrucksformen menschlicher Abhängigkeiten. Sie überlegen, wie eine Person sich wohl verhalten muss, wenn es auf Dauer die einen gibt, die über jedes kleine Detail im Leben der anderen bestimmen. Dabei sind Freiheit, Souveränität und Widerstand natürliche Verhaltensmuster, um einem Fremddiktat zu entgehen. Jesse Plemons ist so ein Kerl, er spielt Robert, der von seinem Boss Raymond aka Willem Dafoe unentwegt bevormundet wird. Robert fügt sich ganz gut in die Rolle des devoten Universalbediensteten wie ein pawlowscher Hund. Bis das, was der Chef verlangt, plötzlich zu weit geht. In der zweiten Episode schlüpft das Ensemble aus Plemons, Dafoe, Emma Stone, Margaret Qualley und Hong Chau in neue Rollen, diesmal geht’s um Vertrauen und Paranoia und ein bisschen was von den Body Snatchers geistert durch ein beklemmendes Szenario voller blutiger Einfälle. Im dritten Gleichnis mögen Stone und Plemons auf der Suche nach einem Medium sein, welches Tote zum Leben erweckt. Ausgesandt werden sie von Omi, dem Guru einer obskuren Sekte, der sich die Freiheit herausnimmt, mit jedem seiner Mitglieder sexuell zu verkehren. Sex spielt auch diesmal wieder eine große Rolle, in all seinen Spielarten, vom flotten Vierer bis zum Missbrauch. Sex ist sowieso ein Spiel der Abhängigkeiten, ein Spiel der Macht und ein Mittel zur Zerstörung.

Kinds of Kindness schafft es in all seinen drei wirklich auf den Punkt formulierten Episoden, die so surrealen wie distanziert betrachteten Geschehnisse auf eine Weise abzurunden, das man am jeweiligen Ende die bittersüße oder bitterböse Pointe so genussvoll in sich aufnimmt, als würde ein glockenheller Gong auf das Grande Finale eines Zaubertricks hinweisen. In eleganter Coolness und ohne jemals den entspannten Lauf seiner Geschichte überholend, lotet Lanthimos immer mal wieder die Grenzen zum Horror, zum perfiden Psychothriller aus, um dann wieder die Dramödie des Menschseins zu feiern. Der Grieche folgt beharrlich den Konsequenzen seiner Geschichten. Er weiß, was er tut, wann er es tut und vor allem: warum er es tut. Kinds of Kindness ist präzise und bravourös, gespenstische Klavierkompositionen verzerren die bizarre Versuchsanordnung noch mehr. Vieles bleibt kryptisch, nicht alles macht Sinn. Auf der spiegelglatten Metaebene rutschen Stone, Plemons und Co durch Träume und Albträume, ohne Halt zu finden. Diese drei Escape-Szenarien funktionieren jedoch, wie sie sollen. Auswege gibt’s nur bedingt oder auch gar nicht.

Trotz der erheblichen Länge von fast drei Stunden hat Kinds of Kindness alles aufgeboten, was es braucht, um eine Filmerfahrung zu gewährleisten, die verblüfft, irritiert und packt. Lanthimos‘ messerscharfer Stil passt hier perfekt, und den Mensch als seine eigene Droge vorzuführen, für die es keinen Entzug gibt, liegt ihm am meisten.

Kinds of Kindness (2024)

Die Wache

BEFRAGT GEJAGT

6/10


diewache© 2018 Diaphana Distribution


LAND / JAHR: FRANKREICH 2018

BUCH / REGIE: QUENTIN DUPIEUX

CAST: BENOÎT POELVOORDE, GRÉGOIRE LUDIG, MARC FRAIZE, ANAÏS DEMOUSTIER, ORELSAN, PHILIPPE DUQUESNE U. A. 

LÄNGE: 1 STD 11 MIN


Es gibt Situationen, da kommt es vor, dass ein Kommissar einen Affen befragt. So gesehen in David Lynchs Kurzfilm What did Jack do. In anderen Situationen wiederum genügt es, wenn der Zeuge eines Todesfalls zur Befragung auf die Wache zitiert wird. Das muss ja prinzipiell mal nichts Außergewöhnliches sein. Meist spitzt sich das, wenn man vor allem französische Thriller zu Rate zieht, zu einem verbal-spannenden Schlagabtausch zu, und die Lösung des Falls offenbart sich dann vor der dramatischen Kulisse eines Donnerwetters. Die Dinge laufen aber radikal anders, wenn einer wie Quentin Dupieux auf dem Regiestuhl sitzt, der noch dazu seinen eigenen Entwurf verfilmt. Und wir wissen: Dupieux hätte in Luis Buñuel oder in Eugène Ionesco seine wahren Freunde gefunden. Was der eine fürs Kino war, konnte der andere für sich verbuchen: Meister des Absurden, des Surrealen, der grotesken Komik und der obskuren Wendungen. Dupieux, der mit einem Bein auch als Musiker fest im Kunstbusiness steht, vertritt ein Genre, das wohl die wenigsten wagen würden: Absurdes Kino, das sich selbst genügt, und gar nicht als mehr verstanden werden will – außer, dass es das Reale durchbricht.

In der zeitlich genauso wie Monsieur Killerstyle knapp bemessenen Groteske sieht man anfangs einen nur in Unterhosen bekleideten Mann auf freiem Feld, der ein Orchester dirigiert. Kurze Zeit später wird dieser von der Polizei gejagt. Zur späteren Handlung trägt das nichts bei, doch damit ist zu rechnen, wenn man Dupieux‘ Filme kennt, in denen Autoreifen oder Lederjacken zu Killern mutieren. Wenig später hat Benoît Poelvoorde als Kommissar Buron einen Zeugen geladen, der vor seinem Wohnhaus einen Toten in einer Blutlache entdeckt hat. Neben der Leiche ein Bügeleisen. Wir erfahren in heillos abgleitender Verzettelung, warum der Befragte zu diesem Zeitpunkt siebenmal seine Wohnung verlassen hat. Schlauer wird das Publikum dabei nicht. Der Kommissar ebenso wenig. Und der Zeuge auch nicht. Der Abend ist lang, und je später es wird, umso zerfahrener wird die ganze Situation. Und es passieren Dinge auf dieser Wache, die den ausgehungerten Zeugen immer tiefer in eine Situation hineinreiten, deren Fassade durch eine radikale Wendung irgendwann zusammenbrechen muss.

Die Wache setzt sehr auf Dialoge, deren Gesprächspartner gerne und viel aneinander vorbeireden und sich permanent missverstehen. Auf den Punkt bringt hier niemand was, und dieses Aus-dem-Ruder-Laufen hat schon etwas richtig klassisch Bühnentaugliches. Auf diese Weise wirkt der Streifen trotz seines rücksichtslosen Irrsinns fast schon ein bisschen altbacken, wie eine Komödie aus den Sechzigern, in denen Filmnormen ja gut und gerne verdreht wurden. Statt Poelvoorde wäre die Rolle des Kommissars auch gut und gerne mit einem wie Louis de Funes besetzt gewesen, der sich im Klassiker Hasch mich, ich bin der Mörder mit Bertrand Blier als Kommissar in ähnlichen situationskomischen Momenten wiederfand. Auf diese Art des schrägen Humors nimmt Dupieux offensichtlich Bezug, verbeugt sich sogar. Und es wäre wohl eine Frage der Zeit, bis sich der Allrounder, der für diesen Film auch Kamera und Schnitt übernommen hat, auch mal auf der Theaterbühne sein Glück probiert. Die Wache würde im Grunde dort hingehören.

Die Wache