Parthenope (2024)

DIE EINSAMKEIT DER SIRENEN

8,5/10


© 2024 Polyfilm / Gianni Fiorito


LAND / JAHR: ITALIEN, FRANKREICH 2024

REGIE / DREHBUCH: PAOLO SORRENTINO

CAST: CELESTE DALLA PORTA, SILVIO ORLANDO, LUISA RANIERI, PEPPE LANZETTA, ISABELLA FERRARI, GARY OLDMAN, DANIELE RIENZO, DARIO AITA, SILVIA DEGRANDI, STEFANIA SANDRELLI U. A. 

LÄNGE: 2 STD 16 MIN


Der gute alte Odysseus – Christopher Nolan wird nächstes Jahr den antiken Helden aufs Mittelmeer hinausjagen – lässt sich an den Schiffsmast binden, um dem Gesang der Sirenen zu lauschen, natürlich ohne sich dabei ins Verderben zu stürzen. Eine davon – Parthenope – gefiel das gar nicht. Aus Verzweiflung, den Herren von Ithaka nicht angelockt zu haben, stürzt sie sich todessehnsüchtig ins Meer – um an die Küste des heutigen Neapel angespült zu werden. Dank ihres Leichnams trägt die Metropole am Vesuv nicht nur diesen mythischen Namen, die atemberaubend schöne Sängerin ist von daher auch Stadtgöttin dieses italienischen Ecks der Welt – ein Ort, dem Filmemacher Paolo Sorrentino einiges abgewinnen kann. Für ihn dürfte Neapel Fluch und Schicksal, Wiege und Inspiration sein. Neapel sehen, sich verlieben und dann sterben. Schmerz und Freude, Ekstase und Trauer. Dieses Neapel bietet laut Sorrentino alles, was man fühlen kann. Und dennoch entscheidet eine wie Parthenope, ein mythologisches Wesen, reinkarniert in eine atemberaubende, betörende, ewige Schönheit, das Leben der Anderen und gleichsam ihr Glück. Dem Künstler ist das zu wenig, er will Parthenope nicht als ein ätherisches Etwas in ungreifbarer Entrücktheit das über mehrere Dekaden reichende Treiben am westitalienischen Ufer beobachten lassen. Er will die Göttin vermenschlichen und lässt sie zu Beginn seines neuen Films aus dem Wasser steigen, fast so wie Aphrodite, aber eben nicht ganz, weil Parthenope, und das werden wir im Laufe des Films erfahren, nichts darauf gibt, mit ihrer makellosen Schönheit diesen einen, und zwar ihren ganz eigenen, Lebensweg zu bestreiten.

Und so perlt das Wasser von ihrer makellosen Haut, ihr makelloses Lächeln unter der heißen, fast schon tropisch feuchten, mediterranen Sommersonne, angehimmelt vom Sohn der Haushälterin, geliebt vom eigenen Bruder, und zwar so, wie man sich unter Geschwistern nicht lieben sollte. Parthenope aber bleibt unerreichbar, unberührbar, ein Mysterium für eine ganze Familie und dem Comandante, der als kuriose Mafioso-Parodie im weißen Dreiteiler und Sonnenbrille symbolisch für ein ganzes Syndikat agiert, das mit Neapel so verwoben ist wie die Gezeiten mit dem Mond. Jeder, der Sorrentino kennt, weiß, welcher Bildertraum das Publikum einholen wird. Antike Statuen, goldene Kutschen, das blaue Meer, der weißgraue Fels, wehende Vorhänge, dazu melancholische italienische Klänge eines verliebten Schlagers. Wenig später ein versoffener Ernest Hemingway, der die Schönheit des Lebens nicht kennt und sehnsüchtig nach ihr verlangt – Gary Oldman stattet dem Film einen bittersüßen Besuch ab. Parthenope fühlt sich von dieser Antithese eines schönen Lebens angezogen, sie will überhaupt verstehen, was das ist, dieses Menschsein, diese Lehre vom Homo sapiens, kurzum: Die Anthropologie. Sorrentino scheint es selbst nicht zu wissen, denn er nimmt die atemberaubende Celeste Dalla Porta, die erstmals in einem Spielfilm wie diesen zu sehen ist, an der Hand, um sie durch die Stadt zu geleiten, um etwas zu suchen, was die ganze Zeit schon begriffen werden will: Den Grund und den Zweck von Schönheit, deren Relativität und den Tribut, den man dafür zollen muss. Es ist aber nicht nur das, was Sorrentino mit auf die Reise nimmt. Es sind Themen, die ihn immer wieder beschäftigen, die er als philosophische Miniaturen aneinanderreiht, darunter Vergänglichkeit, Suizid, die katholische Kirche mitsamt ihrer sakralen Wunder, die dunklen Kehrseiten der Lebenslust, die Metaphysik der Lichter und des Glanzes von Preziosen, der verfallene Räume ehemals prunkvoller Palastbauten erhellt. Immer ist es diese Dualität, der Schmerz des Schönen. In diesem Fall ist es die Schöne, der Sorrentino eine ganze fiktive Biografie schenkt.

Was denkst du gerade? Das fragen all jene, die Parthenopes Leben begleiten. Was treibt sie um, diese anziehende, weibliche Person, die sich vom Sexismus befreien will? Die ihren Verstand und nicht ihre Anmut einsetzt; die prickelnde Gespräche mit dem alten, eremitischen Professor an der Universität führt, der ihr wiederum lehrt, was man tun muss, um hinzusehen. Um die Essenz dessen wahrzunehmen, was die Schönheit nicht nur einer Person, sondern des Lebens bedeutet. Und ob es diese überhaupt gibt, nach unserem Verständnis.

La Grande Belleza, The Hand of God, Ewige Jugend – all diese Werke Sorrentinos drehen sich, neue Aspekte suchend, um dieselben Themen, doch müde wird der Reigen der Bilder und der Erkenntnisse dabei nie. Parthenope ist dabei ein am besten auf den Punkt gebrachter, einziger großer Aphorismus. Kunstvoll, aber nie gekünstelt. Arrangiert, aber gleichzeitig unerwartet erfrischend. Überstilisiert, aber gleichsam natürlich und nahbar. Ein prickelnder, betörender Kunstfilm ist Parthenope geworden, in den man sich fallen lassen kann. Der langsam voranschreitet, doch keinerlei Längen hat. Sorrentino hat seine Erzählweise dabei perfektioniert, bleibt üppig, jedoch niemals überladen. Über allem strahlt Celeste Dalla Porta und diese Stadt, die man nie satt hat. Dieses Italien, prächtig und ewig suchend.

Parthenope (2024)

Der Schatten von Caravaggio (2022)

HUREN UND HEILIGE

6,5/10


caravaggio© 2023 Filmladen Filmverleih / Luisa Carcavale


LAND / JAHR: ITALIEN / FRANKREICH 2022

REGIE: MICHELE PLACIDO

DREHBUCH: SANDRO PETRAGLIA, MICHELE PLACIDO, FIDEL SIGNORILE

CAST: RICCARDO SCAMARCIO, LOUIS GARREL, ISABELLE HUPPERT, MICAELA RAMAZZOTTI, LOLITA CHAMMAH, MICHELE PLACIDO, VINICIO MARCHIONI, GIANFRANCO GALLO, MONI OVADIA U. A. 

LÄNGE: 1 STD 59 MIN


Kunstgeschichte im Kino zu genießen kann zur immersiven Erfahrung werden. Was Filmemacher dabei gerne versuchen, ist, den Stil des zu beschreibenden Virtuosen in die Optik ihres Werkes einzubringen. Meister dieser Vorgehensweise ist zweifelsohne Peter Greenaway – Szenen seines exzentrischen Kunstfilms A Zed and Two Noughts muten an, als hätte Jan Vermeer höchstpersönlich seine Sicht auf die Welt auf die Leinwand gepinselt. Indirektes Licht aus unsichtbaren Fenstern oder nicht näher definierten Lichtquellen beleuchten historisches Interieur und im niederländischen Barock zu verortende Personen, stehend auf Schwarzweiß gemusterten Schachbrettböden. Für so viel Akkuratesse braucht es einen fast schon obsessiven Willen zur manieristischen Nachahmung. Des Weiteren beeindruckt sein Rembrandt-Krimi Nightwatching mit Set-Tableaus, die so manches Werk des Avantgardisten eins zu eins nachstellen.

Ein ähnliches Gemälde-Lookalike wagt Michele Placido, vorrangig bekannt als Hauptdarsteller der 80er-Fernsehserie Allein gegen die Mafia, in seiner teils wüsten und hemdsärmeligen Genius-Biographie Der Schatten von Caravaggio. Der Entstehung des Gemäldes Tod Mariä, welches als Teil der ständigen Sammlung im Pariser Louvre zu bewundern ist, schenkt Placido enorm viel Aufmerksamkeit – im Grunde beherrscht diese Erarbeitung des Meisterwerks den ganzen Film, denn die in rotem Leinen gehüllte Tote mag zwar titelgebend die Mutter Jesu Christi sein, als Modell gestanden soll dem Meister eine längst bekannte Prostituierte sein, die irgendwann später den Weg in den Tiber wählt und deren Leichnam von Caravaggio und seiner Entourage geborgen werden wird.

Diesen Versuch, oder besser gesagt, dieses aus der Sicht der Kirche zweifelsohne ketzerische Wagnis, die Ärmsten der Armen und sozial Ausgestoßenen in den Rang von Heiligen zu erheben, ihnen also einer Apotheose auszusetzen, die jedwede Hierarchie zusammenbrechen lässt, gleicht einer gesellschaftspolitischen Revolution. Caravaggio, eigentlich Michelangelo Merisi, ist als bärbeißiger Berserker seiner Zeit weit voraus. Das lässt sich allein schon am Stil seiner Bilder erkennen, die den viel späteren Expressionismus vorwegnehmen, die, so wie Rembrandt, einem kanonischen Ideal entsagen und Gesichter von der Straße, vom Bettler über den Säufer bis zum leichten Mädchen, für die Ewigkeit auf die Leinwand brachten. So wie Merisis Leben von Gewalt, Konflikten und letztlich des eigenen unnatürlichen Todes geprägt war, so spiegeln sich diese Umtriebe in seinen Bildern wider. Dort fließt das Blut, dort stürzt Saulus vom Pferd, dort kreischt das Haupt der Medusa ihren letzten Unmut ob ihrer Niederlage in die Gesichter der Betrachtenden. Caravaggio ist düster und ungefällig – die Kirche hat sein Kreuz mit ihm zu tragen. Und nicht nur die: Des Mordes beschuldigt, muss der Maler in Neapel im Hause Colonna Asyl suchen.

In gemäldehafter Optik erkämpft sich Riccardo Scamarcio (zuletzt gesehen in Kenneth Branaghs A Haunting in Venice) seine durch die kirchliche Obrigkeit andauernd bedrängte Freiheit – eitler Gegenpol ist Louis Garrel als Inquisitor des Papstes, der dem Künstler wie ein Schatten folgt, um diesen der Kirche auszuliefern. Bestehend aus diversen Rückblenden, die Caravaggios Werdegang beschreiben und seine Motivation für seine Arbeit erklären, legt Michele Placido letztlich ein unzimperliches Puzzle zusammen, das in betörend-schwülstiger Optik vor brutalen Spitzen und angedeuteten Orgien nicht Halt macht. Mitunter ist seine Aufarbeitung der Geschehnisse durch den scheinbar recht willkürlichen Wechsel zwischen den Zeitebenen sowie all der Schauplätze eine recht zerfahrene Angelegenheit. Wie ein Skizzenblatt im Wind geistert sein biographischer Thriller umher, schwer einzufangen, aber doch wert, ihm nachzujagen. Diese impulsive Fahrigkeit sorgt im späten Mittelteil für Ermüdung. Kann sein, dass der Film so einige Längen hat, die nochmal und nochmal Caravaggios Mentalität thematisieren wollen – dazwischen so einige kunstgeschichtliche Aha-Erlebnisse, die Kenner seines Oeuvres zum erhellten Flüsterer im dunklen Kinosaal werden lassen.

Eine exorbitant gelungenes Künstlerepos ist Der Schatten von Caravaggio nicht geworden, dafür aber macht dieser Blick auf die schmutzig-düstere Seite des Frühbarock Lust, so bald wie möglich wieder ins Museum zu gehen. An seinen Bildern haftet von nun an und zumindest für eine Zeit lang ordentlich Background, bevor die gefüllten Lücken in Sachen Themenbildung wieder aufgehen.

Der Schatten von Caravaggio (2022)

The Hand of God

MARADONA, STEH‘ UNS BEI!

7,5/10


handofgod© 2021 Netflix


LAND / JAHR: ITALIEN 2021

BUCH / REGIE: PAOLO SORRENTINO

CAST: FILIPPO SCOTTI, TONI SERVILLO, TERESA SAPONANGELO, MARLON JOUBERT, LUISA RANIERI, RENATO CARPENTIERI, CIRO CAPANO, BIRTE BERG U. A. 

LÄNGE: 2 STD 10 MIN


Keine Sportart der Welt gleicht so sehr einer Art Religion wie diese. Fußball kann eine Lebenseinstellung sein, zu der man sich bekennt und wofür man sogar Gewalt anwendet, um die Ehre der innigst angefeuerten Mannschaft zu verteidigen. Manchmal entscheidet Fußball auch über Leben und Tod. Zwar nicht direkt, aber so wie bei vielen Dingen in der Welt, die Leidenschaften entfachen, ist der Einfluss auf die absehbare Zukunft enorm.

Wir haben also den Fußball, und wir haben innerhalb dieses sportphilosophischen Bekenntnisses durchaus auch Heilige, für die man gerne auf die Knie geht. Darunter den wohl besten Fußballer aller Zeiten. Und Kenner wissen: Bei The Hand of God kann es sich nur um Diego Maradona handeln, dem kleinen Argentinier mit dem Torschuss-Gen, der vor etwas mehr als einem Jahr erst verstarb und der 1986 zur WM in Mexiko City mit der Hand einen Ball ins Ziel befördert haben soll. Später erklärt Maradona dies mit der selbigen Gottes, die ihn geleitet haben mochte. Ein Claim, den der Spieler von da an nicht mehr loswird – und in dieser Familienprosa aus dem Neapel der Achtziger sein huldigendes Revival findet. Wir sind dabei, als der siebzehnjährige Fabietto via TV diesem kuriosen Moment der Fußballgeschichte beiwohnt. Wir sind dabei, als klar wird, dass Maradona kurze Zeit später ins neapolitanische Fußballteam wechselt. Die Freude ist groß. Eben so groß, wie sie bei Fußball manchmal sein kann.

Mir selbst gibt das nicht so viel. Und zugegeben: um Verbreitung von Halbwissen zu vermeiden, musste ich an die Recherche ran. Die Wissenslücke ist nun geschlossen, und dennoch bin ich froh darüber, dass Sorrentinos Film nur im weitesten Sinne mit dem Rasenspiel zu tun hat. Der berühmte Argentinier begleitet Fabietto so ganz nebenbei durch eine Zeit des Erwachsenwerdens und des Schicksals, stets vor der Kulisse des Vesuvs und dem malerischen Leuchten der Küstenstadt in der Dämmerung. Fabietto (gespielt von Langfilmdebütant Filippo Scotti, der an Timothée Chalamet erinnert) ist schüchtern, fasziniert von seiner durchgeknallten, freizügigen Tante Patricia und fasziniert von Maradona. Mädchen spielen kaum eine Rolle, und bevor sich der Junge entscheidet, was er mal werden will, folgt die Tragödie auf dem Fuß. Danach ist nichts mehr so wie vorher, und die magische Welt des Filmemachens hält Einzug, motiviert von niemand geringerem als Federico Fellini. Castet der mal nicht für einen Film und weilt lieber in Cinecitta, ist es der Filmemacher Antonio Capuano (der tatsächlich existiert), der dem Jungspund die Leviten des Lebens liest.

Nicht einfach so nimmt Sorrentino Bezug zu einem Altmeister wie Fellini. Ganz klar bekennt sich dieser zu seiner Liebe für den römischen Filmgott. Auch wenn man dabei erwarten würde, dass die sonst so stolze Bildsprache Sorrentinos ein neues Level erreicht, nimmt er sich in dieser Sache dann doch etwas mehr zurück als erwartet. Klar feiert das Auge mit, und ganz klar wäre das italienische Familiendrama nichts ohne die einen oder anderen grotesken Gestalten und blanken Oberweiten, wie sie bereits aus Fellinis Roma Eindruck hinterlassen haben. Zwischen all dieser üppigen Viva Italia hält Sorrentino seinem ziellos umhersteuernden Jüngling die Hand und tätschelt sie, will nur Gutes für dessen Zukunft. In Ewige Jugend hat der wohl prägnanteste italienische Filmemacher neben Matteo Garrone das Alter durch Licht und Schatten spazieren lassen. In seinem nicht weniger beeindruckenden Drama um jugendliche Ideale und der psychosozialen Wucht einer italienischen Familie erzeugen hohe und tiefe Töne ebenfalls ein bewegendes, erfrischend komplementäres Gesamtbild.

The Hand of God

Das Geheimnis von Neapel

NAPOLI, IL MIO DESTINO

6/10


dasgeheimnisvonneapel© 2010-2018 PROKINO Filmverleih GmbH

LAND / JAHR: ITALIEN 2017

REGIE: FERZAN OZPETEK

CAST: GIOVANNA MEZZOGIORNO, ALESSANDRO BORGHI, ANNA BONAIUTO, ISABELLA FERRARI, BIAGIO FORESTIERI U. A.

LÄNGE: 1 STD 53 MIN


Neapel sehen… und von der schönsten Seite erleben. Ganz ohne Müllberge, ganz ohne Mafia, ganz ohne schwelende Hitze oder gar vom nahegelegenen Vesuv ausgehender Vibrationen. Dafür mit viel Kunst, klassisch verklärten Gesichtern auf Marmorbüsten. Engen Gassen und Zimmern mit Aussicht aufs Meer. Da kommt fast schon Urlaubsstimmung auf. Das Mediterrane hat schließlich was. Es ist aber nicht so, dass Neapel nicht auch – wie der Titel des Films schon sagt – seine Geheimnisse birgt. Das tun Rom, Florenz, Ravenna und wie diese Städte alle heißen, genauso. Darüber weiß zum Beispiel Dan Brown ganze Romane zu schreiben. Dieses Mysterydrama hier gräbt zwar nicht nach verschwundenen Artefakten und verborgenen Geheimbünden, dafür aber nach verschütteten Traumata, die verwoben sind in einen urbanen Mikrokosmos, aus welchem es schwer wird, zu entkommen. Denn die Pathologin Adriana liebt, was sie gleichermaßen verabscheut. Ein obskures Dilemma.

Dabei scheint sich alles so zu entwickeln, wie der eine oder andere Erotikhriller aus den Neunzigern, der im Zuge des Basic Instinct-Hypes aus dem Boden geschossen war. Zwei fremde Personen – eine Frau und ein Mann – tauschen Blicke. Die sagen mehr als tausend Worte. Begehren liegt in der Luft. Der geheimnisvolle Mann verplant daraufhin gleich die ganze Nacht – die Frau nimmt dankend an. Heiße Sexszenen, zerwühlte Laken. Es geht ordentlich zur Sache. Bis der Morgen kommt, und Adriana voller Vorfreude ob des nächsten Treffens den Tag gerade mal so hinbiegen kann. Doch Andrea, der geheimnisvolle Fremde, taucht an vereinbartem Ort nicht auf. Tags darauf landet dieser als übel zugerichtete Leiche in der Pathologie. Tragisch, so ein  kurzes Glück. Adriana versinkt in Betroffenheit. Bis sie wiederum Wochen später das Gefühl hat, an Geister glauben zu müssen.

Zwischen Federico Fellini, Polanski und italienischer Soap Opera: Regisseur Ferzan Ozpetek (Hamam – das türkische Bad) lässt unter der Prämisse „Eine Stadt – ein Drama“ den Faktor des Mysteriösen sehr bald von der Leine. Vom zu erwartenden Erotikthriller heißt es sehr bald Abschied nehmen. Gondeln tragen aber auch keine Trauer, denn zum parapsychologischen Reißer lässt sich Das Geheimnis von Neapel auch nicht motivieren. Giovanna Mezzogiorno geistert als pathologische Pathologin durch ein kaum Position beziehendes, vages Melodram, dessen seltsame Wege flankiert sind vom Lifestyle einer italienischen Kunst-Schickeria. Augenhöhe sucht man mit diesen Randfiguren vergebens, allerdings hat man bald eine Ahnung, wohin die Irrungen der aus allen Wolken gefallenen Frau letztendlich führen könnten. Und wieder verlässt Ozpetek das geliehene Genre, kehrt dabei aber zurück an den Anfang. Im Großen und Ganzen scheint da ein Storytwist die geduldsprobende Ratlosigkeit etwas zu tilgen.

Viel schlauer ist man am Ende wiederum auch nicht, doch gerade diese schwelgerische Skepsis gegenüber der Wirklichkeit versetzt dem schicken Psychotrip die lang erwartete spielerische Note.

Das Geheimnis von Neapel

Sie nannten ihn Spencer

BE BUD OF IT!

9/10

 

spencer© 2017 http://www.budspencermovie.com / Thimfilm

 

LAND: ÖSTERREICH, DEUTSCHLAND 2017

REGIE: KARL-MARTIN POLD

MIT BUD SPENCER, TERENCE HILL, RICCARDO PIZZUTI, SAL BORGESE, MARIO PILAR U. A.

 

Das Jahr 2016 war ein bemerkenswertes Jahr der Trauer in der Welt der Kunst und des Entertainments. Neben Größen wie David Bowie und George Michael haben auch Ikonen wie Bud Spencer das Zeitliche gesegnet. Genauer gesagt am 27. Juni. Obwohl ich Bud Spencer natürlich nicht gekannt habe, hat mich sein Ableben doch ziemlich betrübt. Bis zuletzt hatte ich die Hoffnung, dass Sylvester Stallone auf die Idee kommen würde, dem Mann mit dem Dampfhammer einen Cameo-Auftritt in The Expendables 4 zu bescheren. Wenn die Helden der Kindheit nacheinander an die Himmelstür klopfen, weiß man, dass man wirklich älter geworden ist, so sehr man auch versucht, das innere Kind zu bewahren. Letztes Jahr hat sich sogar noch Jerry Lewis verabschieden müssen. Da bleibt nur zu hoffen, dass zumindest Bud Spencer weder Die rechte noch die linke Hand des Teufels geworden ist. Wobei ich mir das beim besten Willen nicht vorstellen kann. Denn Bud Spencer, der war zweifellos einer von den ganz guten. Das zum Scherenschnitt stilisierte Konterfei des brummigen Bartträgers ziert tatsächlich auch diverse Brustflächen meiner T-Shirt-Sammlung – und outet mich gelegentlich auch auf offener Straße als großen Fan des mit bürgerlichem Namen genannten Carlo Pedersoli. Seine einfach gestrickten Abenteuer, vor allem jene, die er gemeinsam mit seinem Busenfreund Terence Hill bestritten hat, haben das ohnehin schwierige Erwachsenwerden angenehm einfach erscheinen lassen. Alles in seinen Filmen war auf beruhigende Art Schwarz und Weiß, der große Dicke, den man auch Mücke, Hector, Aladin oder einfach nur Plattfuß nannte, hat mit knochenbrechender Akrobatik für Gerechtigkeit, Klarheit und Ordnung nicht nur in den fiktiven Welten der Fernsehlandschaft, sondern auch bis zu einem gewissen Grad in der eigenen Welt gesorgt. Wenn doch alles nur so simpel wäre! Spencer und Hill haben dafür gesorgt. Mit Ohrenschelle und schwungvollem Kick schräg unters Kinn. Die Prügelkomödie war geboren – ein Subgenre, dass es nicht mehr gibt, und das auch nur mit den beiden Italienern so richtig gut funktioniert hat. Die befreienden Rundumschläge waren auf ihre rotzfreche und herrlich blödelnde Art unglaublich wohltuend, optimistisch und enorm lustig, was letzten Endes auch der kongenialen deutschen Synchro zu verdanken ist. 

In der durch Crowdfunding glücklicherweise erfolgreich finanzierten Dokumentation Sie nannten ihn Spencer von Karl-Martin Pold werden zwei Bud Spencer-Nerds, die nicht von ungefähr eine gewisse Ähnlichkeit mit den zwei Himmelhunden aufweisen, quer durch Europa geschickt, um den einzig wahren- the one and only – Bud Spencer zu finden, um ihm mal so von Herzen Danke zu sagen. Dabei treffen der Blinde und der Blonde im rasenden Van auf Schauspielkollegen und Mitstreiter, lassen Buds Buddy Terence Hill ausgiebig zu Wort kommen und müssen auch die eine oder andere Niederlage einstecken. Dieses Dankeschön – das muss auch ich jetzt mal an dieser Stelle loswerden. Denn die Liebeserklärung an das mürrische Raubein mit weichem Kern ist bislang wohl das Beste, was Fans scheinbar aus dem Nichts heraus auf die Beine gestellt haben. Sie nannten ihn Spencer ist ein Film voller Schrullen, skurriler Leidenschaft und Emotionen, gleichermaßen für Fans wie für Nostalgiker. Mit ganz viel Liebe zum Detail und so begeisterungsfähig, dass es ansteckend ist. Dieses großartige Engagement für eine Sache erinnert mich an den 2016 fertiggestellten, österreichischen Star Wars-Fanfilm Regrets of the Past. Hier durfte ich bei der Premiere des Films dabei sein und konnte so zumindest ein bisschen nachspüren, was Fandom eigentlich wirklich ist. Und genau das spürt man hier genauso. Fandom muss nichts Manisches sein. Nichts, was man skeptisch beäugen muss. Fandom kann eine Lebenseinstellung sein, die lausbübische Freude am Leben hervorbringen kann und den pflichtbewussten Alltag stets versüßt. Der ungeheure Zeitaufwand hinter dieser Bud Spencer-Doku, welcher aus Spaß an der Freude und ungeachtet durchwachter Nächte investiert wurde, hat sich bezahlt gemacht. Sowohl Darsteller als auch die Technik im Hintergrund hat Sie nannten ihn Spencer in eine Form gebracht, die keine Sekunde langweilt, ganz viele unvergessliche Szenen aus fast allen Filmen des Neapolitaners bereithält und diese so geschickt in die eigentliche Handlung hineingeflochten hat, dass man das Gefühl hat, alle Filme von damals auf einmal nochmal sehen zu dürfen. Nebenbei läuft fast unbemerkt die Essenz einer Biografie des Carlo Pedersoli, von seinen Anfängen als Schwimmer bis zum berührenden Höhepunkt der Odyssee, den man, nachdem man geradezu mitfiebern durfte, ob das Projekt überhaupt gelingt, mit einem leichten Kloß im Hals fast selbst erlebt. 

Selten ist eine Entertainment-Doku so grandios geschnitten. Und selten lässt ein Fanfilm nicht das kleinste essentielle Detail außen vor. Hier findet der Nerd alles, was er sucht. Hier bleibt nichts dem Zufall überlassen, ohne geplant zu wirken. Hier ist so viel Natürlichkeit und Herzblut vorhanden, dass man während des Films sein bekennendes T-Shirt aus dem Schrank holen möchte. Mit den begleitenden, uns wohlbekannten Refrains der Oliver Onions, die man motiviert mitpfeift, wird klar, dass die Jugendjahre ohne Vier Fäuste für ein Halleluja oder Zwei Himmelhunde auf dem Weg zur Hölle tatsächlich ärmer gewesen wären. Mit Sie nannten ihn Spencer kann sich einer wie Bud nur glücklich schätzen, solche Fans sein Eigen zu nennen.

Sie nannten ihn Spencer