The Damned (2024)

IN DER NOT VERFLUCHT DER MENSCH DIE SEE

7/10


© 2024 Vertical


LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH, ISLAND, IRLAND, BELGIEN 2024

REGIE: ÞÓRÐUR PÁLSSON

DREHBUCH: JAMIE HANNIGAN

CAST: ODESSA YOUNG, JOE COLE, LEWIS GRIBBEN, SIOBHAN FINNERAN, FRANCIS MAGEE, RORY MCCANN, TURLOUGH CONVERY, MICHEÁL ÓG LANE U. A.

LÄNGE: 1 STD 29 MIN


Kleine Sünden straft Gott sofort, heisst es doch so schon im Volksmund. Für große Sünden schickt dieser oder gar der Teufel die Toten wieder zurück zu den Lebenden als Wiedergänger, um sie in den Wahnsinn zu treiben. Obwohl von Sünden nur eingefleischte Gläubige hinter vorgehaltener Hand zu murmeln wissen, nimmt dieses einem erbarmungslosen Weltgericht unterworfene Gleichnis von üblen Taten und schlechtem Gewissen jene Begrifflichkeit als Kompassnadel für die Chronik eines Wahnsinns, der sich in gespenstischer Isolation irgendwo an der Küste Islands Bahn brechen wird. Schuld sind dabei Menschen, die während eines kargen, entbehrungsreichen Winters um Nahrung ringen müssen – und die sich mehr erhoffen, als nur zu überleben.

Die langen Nächte tauchen die windumtoste Küste in scheinbar ewige Finsternis, im spärlichen Licht des Tages funkelt das Eis und spendet die Illusion eines Reichtums. Als Kaff lässt sich diese karge Ansammlung an Hütten gar nicht mal bezeichnen, und dennoch überwintert hier eine junge Witwe als Bootsbesitzerin, die dieses an eine Handvoll wettergegerbte Fischer verleiht, die wiederum dafür sorgen, dass genug auf den Teller kommt. Eines Tages sieht die kleine Gemeinschaft am Ende ihrer Bucht, wo gefährliche Untiefen herrschen, einen Dreimaster kentern. Wo ein Schiff, da gibt’s meistens auch Besatzung. Die gerettet werden muss, alles andere wäre unterlassen Hilfeleistung und somit nicht nur eine Straftat, sondern moralisch höchst verwerflich. Wo ein Schiff, da gibt es allerdings auch Proviant. Was die Strömung nicht an Land spült, holen sich die Fischer bei Nacht und Nebel. Die Schiffbrüchigen kommen dabei zum Handkuss. Denn schließlich; wer soll all die Mäuler denn stopfen, wenn es nicht mal für jene reicht, die den Winter überstehen wollen? Tage später werden die ersten Leichen angespült. Und mit ihnen kommt das Grauen.

Die Romantik des Mysteriösen

Das alles hört sich so an, als wäre die Vorlage eine des Films von H. P. Lovecraft. Gekonnt verknüpft Autor Jamie Hannigan ein düsteres, nihilistisches Abenteuerdrama mit mythologischem Gothic-Horror, der im Seemannsgarn herumspinnt. Regisseur Þórður Pálsson liefert dazu die atmosphärischen Bilder einer unwirtlichen Landschaft, wie Malereien eines Romantikers – der Wind, die Nacht, der Schnee, der Nebel – all diese natürlichen Parameter aus Meteorologie und Jahreszeit setzen die Bühne für einen Schrecken, der gar nicht mal visualisiert werden muss, da er sich in den Köpfen nicht nur der verfluchten Seelen manifestiert. Das Weglassen plumper Schockeffekte holt sich die Paranoia wie eine ansteckende Krankheit in den Kreis der Verängstigten, die in ausufernd klassischer Dramatik Opfer ihres eigenen Aberglaubens werden.

Stellenweise erinnert The Damned an Robert Eggers schwarzweißen Nautik-Terror Der Leuchtturm. Fans des von der Franklin-Expedition inspirierten Desaster-Abenteuers The Terror werden ihre helle Freude haben. Licht, Stimmung und der Verlust zivilisierter Menschlichkeit sind die Essenz für schaurige Fernwehstiller, die das entlegene Anderswo so ausweglos erscheinen lassen wie der entfernteste Winkel im Universum. Wenn dann noch das Paranormale hereinbricht, von dem keiner weiß, was es ist und sich erst ganz am Ende durch einen erstaunlichen Twist offenbart, wird man gut daran getan haben, diesen Film zu finstersten Stunde des Tages gesehen zu haben, wenn die Kälte durch die Ritzen der Türen und Fenster dringt und der Sommer lange vorbei ist.

The Damned (2024)

Die Nacht der lebenden Toten (1968)

METAPHER DER ENTMENSCHLICHUNG

7/10


© 1968 George A. Romero


ORIGINALTITEL: NIGHT OF THE LIVING DEAD

LAND / JAHR: USA 1968

REGIE: GEORGE A. ROMERO

DREHBUCH: GEORGE A. ROMERO, JOHN A. RUSSO

CAST: DUANE JONES, JUDITH O’DEA, KARL HARDMAN, MARILYN EASTMAN, KEITH WAYNE, JUDITH RIDLEY, KYRA SCHON, RUSSEL STREINER U. A.

LÄNGE: 1 STD 36 MIN


Die lebenden Toten sind längst nicht nur mehr das: Sobald der Mensch aufgrund von Viren, Sporen, Strahlen oder sonstigen höheren unnatürlichen wie natürlichen Mächten seine Vernunft verliert und nur noch, von Instinkten getrieben, außer Rand und Band gerät, ist die dominierende Spezies des Planeten ihrem Untergang geweiht. Die Endzeit bricht herein, und die Szenarien, die darauf folgen, sind allesamt ähnlich. Eine Gruppe noch nicht Infizierter rottet sich zusammen, um die Essenz des Menschseins oder das, was das Menschsein eben ausmacht, um alles in der Welt zu schützen. Meist suchen sie gemeinsam einen Zufluchtsort, der in den noch verbliebenen Nachrichtenquellen durchgegeben wird. 28 Days Later, Dawn of the Dead, The Last of Us – Filme und Serien beschreiben Irrfahrten durch ein verwüstetes Land, bevölkert von tumben Kreaturen, die noch vage an unsere Vergangenheit erinnern: Zombies. Dass sie aus den Gräbern kommen, war vielleicht im Musikvideo Thriller so. In Die Nacht der lebenden Toten, dem ersten neuen Zombiefilm des New Hollywood, muss der Mensch immerhin erst sterben, um von einer Rage und einem Appetit ergriffen zu werden, der ihn letztendlich sowieso in den Untergang führen wird. Schon mal zu Ende gedacht? Gibt’s nur noch Zombies auf dieser Welt, werden ohne Frischfleisch folglich alle verhungern.

Dieser Film hier aus dem Jahre 1968 ist bekannt dafür, jene Sonderstellung zu genießen, die beinhaltet, in die Filmsammlung des Museum of Modern Art aufgenommen worden zu sein und als Beitrag zur National Film Registry als erhaltenswertes Kulturgut verstanden zu werden. Schön und gut, diese Ehre teilt Romeros Film auch mit Alien oder 2001: Odyssee im Weltraum. Das muss man nicht extra erwähnen. Oder doch? Zumindest ist George A. Romero mit seinem Film eine Pionierarbeit gelungen, die damals wohl das eine oder andere Tabu hat brechen wollen. Wie zum Beispiel jenes des Kannibalismus. In einer expliziten Szene wird deutlich, wie eine Handvoll Zombies an Knochen nagen, die womöglich menschlicher Natur sind. Ein Schock für damalige Verhältnisse. Heutzutage kostet es dem Walking Dead-geeichten Publikum nicht mal das Zucken mit der Wimper. Der Skandal mag überholt sein – die künstlerische Ausarbeitung ist es vielleicht nicht. Denn Zombie-Filme in Schwarzweiß, die bereits jene Versatzstücke zeigen, die bis heute verwendet werden, sind mir sonst keine bekannt.

Auch der Plot des Films ist bereits zigmal imitiert, neuinterpretiert und verarbeitet worden: Zu Beginn des Films begibt sich ein Geschwisterpaar auf einen Friedhof, um das Grab des Vaters zu besuchen. Und schon passiert es: Beide werden von einem wild gewordenen Mann attackiert, scheinbar geistesgestört, in Wahrheit aber ein Untoter. Davon wissen die beiden aber noch nichts (da sie womöglich noch keinen Zombiefilm gesehen haben). Sie finden Unterschlupf in einem verlassenen Farmhaus, wo sie noch auf andere Überlebende treffen, die sich den Bissen der Marodeure erwehren konnten. Die klaustrophobische, beklemmende Stimmung des Films nimmt zu, als alle hier Anwesenden, längst mit dem Rücken zur Wand stehend, das Haus verbarrikadieren, um auszuharren, bis militärische Hilfe kommt und sie alle evakuiert.

Man kann sich denken, was passiert. Man hat das auch schon oft gesehen. Zum ersten Mal aber bei Die Nacht der lebenden Toten. Mir gefällt die klassische Darstellung des trägen humanoiden Gemüses, das im Gegensatz zum späteren Dawn of the Dead (kongenial neuverfilmt von Zack Snyder) oder Danny Boyles 28 Days Later, nur langsam vor sich hin torkelt und leicht zu bewältigen wäre. Das fördert eine Diskrepanz in so mancher brenzligen Szene, doch George A. Romero kommt der für einen Spannungsfilm wenig förderlichen Verhaltensweise mit der schieren Masse entgegen. Ein nicht enden wollender Strom Untoter belagert die letzte Zuflucht, die Ausnahmesituation schafft auch innere Spannungen in der Gruppe, da jeder eine eigene Vorstellung davon hat, mit der Notlage klarzukommen.

Filmgeschichtlich betrachtet ist Die Nacht der lebenden Toten auf jeden Fall ein Must-See, um zu erfahren, womit alles angefangen hat. Was noch hinzukommt, ist Romeros Tendenz zum Nihilismus. Völlig frei im Gestalten seiner katastrophalen Endzeit, verortet das Werk seine Kernqualität in einem misanthropen Zynismus, der sozialpolitische Verhaltensabnormen als zermürbende Allegorie darstellt. So gesehen sind Genozide wie der Holocaust oder das spätere Schlachten in Ruanda Mitte der Neunziger der reale Ursprung für Apokalypsen wie diese, welche die Entmenschlichung widerspiegeln. Der Zombiefilm als politische Warnung, auch wenn die Ursache für den todbringenden Anarchismus in Romeros Film einer Strahlung zugrundeliegt – die wiederum mit medialer Gehirnwäsche gleichzusetzen wäre.

Die Nacht der lebenden Toten (1968)

White Zombie (1932)

ZOMBIEMÜHLEN MAHLEN LANGSAM

5,5/10


white-zombie© 1932 Edward Halperin Productions


LAND / JAHR: USA 1932

REGIE: VICTOR HALPERIN

DREHBUCH: GARNETT WESTON

CAST: BELA LUGOSI, MADGE BELLAMY, ROBERT FRAZER, JOSEPH CAWTHORN, BRANDON HURST, CLARENCE MUSE U. A.

LÄNGE: 1 STD 9 MIN


Zombies gibt es wirklich. Ein wissenschaftlich genauer untersuchter Fall aus Haiti soll ausreichend belegen, dass Clairvius Narcisse Anfang der Sechzigerjahre von den Toten wiederauferstand, um als willenloser Sklave über Jahre hinweg Zuckerrohr zu schneiden. Die Möglichkeit, dass hier das Gift des Kugelfisches in entsprechenden Dosen wohl verantwortlich dafür war, dass Narcisse der Tod attestiert wurde, obwohl dieser nur paralysiert war, hat dem Mythos bis heute keinen Abbruch getan. Ganz im Gegenteil: The Walking Dead ist aus der Popkultur nicht mehr wegzudenken, George A. Romeros Schwarzweiß-Klassiker Night of the Living Dead zählt seit 1999 zum erhaltenswerten Kulturgut. Dabei hat White Zombie von Victor Halperin den obskuren karibischen Falls vom auferstandenen Toten bereits in den Dreißigern vorweggenommen. Anscheinend sind der regionalen Legende nach Umtriebe wie diese immer schon gang und gäbe gewesen. Wer also Zombies liebt, sollte dorthin reisen, vielleicht trifft man den einen oder die andere, die schleppenden Schrittes und kaum ansprechbar ihrer Wege ziehen. Doch die klassischen Parameter von den aus den Gräbern kriechenden Toten zur Geisterstunde hat sich längst verwässert. Oft ist es mittlerweile ein Virus, sind es Pilzsporen oder eben reine Chemie, die in diesem nicht unbedingt gut gealterten Klassiker, nach welchem gar eine Hardrock-Band benannt wurde, zum Einsatz kommt. Liest man in der Besetzungsliste Bela Lugosi, lässt sich bereits denken, wer hier Sinistres im Schilde führt. Lugosi hatte schließlich ein Jahr zuvor das Privileg, die Gestalt des perfiden transsilvanischen Blutfürsten Dracula für einige Jahrzehnte zu prägen – bis Christopher Lee kam.

Es ist nicht so, als würden einem die Augen des Schauspielers noch bis nach Ende des Films verfolgen – obwohl sie das eine oder andere Mal formatfüllend ins Bild gerückt werden, nämlich so, als wollten diese ihr Publikum bannen. Das mag zur damaligen Zeit im dunklen Lichtspielhaus vermutlich recht beklemmend gewesen sein, mittlerweile hat der Zahn der Zeit am Furchtfaktor genagt. Unbequem bleibt dieser suggestive Blick, als Überblendung der eigentlichen Szene, aber dennoch. Vielleicht liegt das auch an den unheimlichen, knarzenden, jammernden und klickenden Klängen, die für Unwohlsein sorgen. Mit diesem Score macht White Zombie akustisch gesehen alles richtig. Diese Klangkulisse hat bis heute nichts von ihrer Wirkung verloren. Wenn dann noch im Restlicht des endenden Tages torkelnde Silhouetten den Studiohügel erklimmen, füttert White Zombie das unbestimmte Gefühl eines nahenden Unheils, dessen letztendliches Wirken unberechenbar bleibt.

Haiti ist auch hier Schauplatz, und Lugosi ein mit sämtlichen Talenten ausgestatteter Landwirt, der mit Zuckerrohr sein Geld macht. Warum er bare aussteigt, liegt vermutlich an all seinen willenlosen Sklaven, die unter Einwirkung eines Gifts zur posthumen Arbeit gerufen werden. Selbst die Protagonistin des Films, Madge Bellamy als Madeleine Short, die auf dem karibischen Anwesen eines Bekannten ihre Hochzeit feiern möchte, wird Opfer dieser Schandtaten, die der Nebenbuhler ihres Zukünftigen in Auftrag gibt. Der Verlobte versucht nun, im Laufe von knappen 70 Minuten, mithilfe eines alternden Professors dem Treiben Lugosis ein Ende zu bereiten und seine Geliebte wieder zurückzugewinnen (was bei herkömmlichen Wiedergängern eigentlich nicht möglich wäre). Vorbei müssen sie an schlecht geschminkten Zombies, die allesamt keine innere Kraft mehr haben, um wirklich in die Offensive, geschweige denn in die Defensive zu gehen. Dass das ganze Brimborium ernstzunehmen wäre, kann ich nicht wirklich behaupten. White Zombie mag zwar kulturgeschichtlich seinen Platz gefunden haben – handwerklich perfekt ist das Werk mitnichten. Dabei sind weniger die technischen Komponenten als vielmehr das enorm zurechtgestutzte Skript und das überzogene Schauspiel eigentlich aller Beteiligten ausschlaggebend. Gut, Bela Lugosi kann man aus seinem heillos überzeichneten, diabolischen Finsterblick keinen Strick drehen – der war schließlich sein Markenzeichen.

White Zombie (1932)

Zombi Child

DIE KINDER DER TOTEN

6,5/10


zombichild© 2020 Grandfilm


LAND / JAHR: FRANKREICH 2019

BUCH / REGIE: BERTRAND BONELLO

CAST: LOUISE LABEQUE, WISLANDA LOUIMAT, MACKENSON BIJOU, KATIANA MILFORT, ADILÉ DAVID, NINON FRANÇOIS U. A.

LÄNGE: 1 STD 43 MIN


Zombies gibt es wirklich. Zumindest sagt man das, und zwar auf Haiti. Dort, wo Voodoo mehr ist als nur eine Zaubershow. Vielmehr eine Lebenseinstellung, eine Art metaphysische Weltsicht. Als der erste belegte Fall eines Zombies gilt Anfang der 60er Jahre ein Mann namens Clairvius Narcisse. Der brach eines Tages auf der Straße tot zusammen, wurde beerdigt – und kurze Zeit später wieder zum Leben erweckt, um als untote Kreatur ohne eigenen Willen mit anderen Zombies als Sklave auf einer Zuckerrohrplantage zu arbeiten. Irgendwie hat dieser Mann es geschafft, den Willen seiner Herren zu brechen und zu seiner Familie zurückzukehren, wo er bis zu seinem zweiten Tod gelebt hat. Klingt kurios? Ist es auch. Und es ist der erste mir bekannte Zombie-Film, der um genreübliche Versatzstücke wie Kannibalismus, Blutdurst und rasender Impulssteuerung einen großen Bogen macht. Mit dieser Darstellung des Zombie-Mythos bringt Regisseur Bertrand Bonello das medial hochgeschätzte und durch The Walking Dead massentauglich gewordene Thema auf den Boden kulturgeschichtlicher Tatsachen zurück. Dabei teilt Bonello seinen Film in zwei Hälften. Die eine schildert chronologisch die Ereignisse, die damals auf der karibischen Insel angeblich stattgefunden haben. Die andere erzählt die Coming of Age-Story der französischen Schülerin Fanny, die während ihres Aufenthaltes im Internat mit der Abfuhr ihres Freundes zurechtkommen muss. Ihr zur Seite steht eine kleine Gruppe vertrauter Freundinnen, die sich regelmäßig, zur nachtschlafener Zeit, als eingeschworene Schwesternschaft im Kunstsaal der Schule treffen. Dabei wird ein neues Mitglied aufgenommen – ein haitisches Mädchen namens Mélissa, die bei einer Tante lebt, und die man gut und gerne als Voodoo-Priesterin bezeichnen könnte. Fanny ist davon fasziniert – und spielt mit dem Gedanken, ihre Dienste in Sachen Liebeskummer in Anspruch zu nehmen.

Zombi Child fügt sich wunderbar an eine Reihe ähnlich gelagerter, augenscheinlicher Jugendfilme an, wie zum Beispiel When Animals Dream von Jonas Alexander Arnby oder Raw von Cannes-Preisträgerin Julia Ducournau. In allen diesen Filmen dringt das Paranormale in den ganz normalen Alltag junger Mädchen ein, die sich damit abmühen müssen, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Bonellos Film kommt allerdings ohne Blut und Todesfälle aus, dafür ist das Überschreiten dieser Grenze hier im Film eine, die nicht weniger Wirkung hat. Statt verwesender Gesichter und bissfester Launen handelt das Voodoo-Drama von Seelenreisen und der Dominanz solcher. Vom Beschwören garstiger Dämonen und dem Bannen selbiger. Der westafrikanische Kult ist nichts, womit man einfach so aus Neugierde herumspielt, meint der Regisseur. Und auch nichts, das sich gerne als reißerisches Horror-Vehikel verbraten lassen will. Zombi Child nimmt die Möglichkeit einer unbekannten Dimension wie dieser durchaus ernst. Vielleicht ein bisschen zu ernst, und vielleicht schmeckt diese Art der Zombie-Interpretation verwöhnten Zombieland-Veteranen nicht wirklich, weil sie mit Schlitzen und Ballern nicht weit kommen. Als beruhigt beunruhigende Exkursion zu den Wurzeln eines Mysteriums allerdings ist Zombi Child Kopfkino für geschmacksorientierte Tellerrand-Balancierer, den Blick in den Abgrund inbegriffen.

Zombi Child

The Last Man on Earth

ÜBERLEBEN HAT SEINEN PRICE

6,5/10

 

lastmanonearth© 1964

 

LAND: USA, ITALIEN 1964

REGIE: SIDNEY SALKCOW, UBALDO RAGONA

CAST: VINCENT PRICE, FRANCA BETTOIA, EMMA DANIELI, GIACOMO ROSSI-STEWART, UMBERTO RAHO U. A. 

 

„Das Virus ist neu, dessen Verhalten gänzlich unbekannt, aber eines ganz gewiss: extrem ansteckend.“ – „Die Labore der Welt arbeiten fieberhaft an einem Gegenmittel“ – „Jeder Verdachtsfall muss gemeldet werden“. Phrasen, die uns irgendwie bekannt vorkommen? So oder sehr ähnlich lassen sich diese Zeilen aus vorliegendem Filmwerk extrahieren, das da heißt: The Last Man on Earth. Der knallharte Höhepunkt des frühlingshaften Lockdowns rief zwangsläufig pessimistische Worst Case-Visionen auf den Plan, mochten sie auch noch so abstrus sein. Natürlich verliert man sich da manchmal gar im Reich der Fantasie, und kurzerhand weckt so manches in diesem Film vage Erinnerungen daran.  Wie zum Beispiel dieses Virus hier, das es nicht dabei belässt, den Exitus herbeizuführen, nein – es verwandelt die Toten in Vampire. Sind es denn Vampire? Nein, eher Zombies. Oder irgendwas dazwischen. Relativ antriebslose Kreaturen von blaugrauer Hautfarbe und satten Ringen unter den Augen, die in untoter Phlegmatik an die Tür von Horrorikone Vincent Price klopfen. Ja genau, dieser Mann hat als einziger die Apokalypse überlebt. Und sich zugegebenermaßen recht kommod arrangiert. Das Haus ist vampirsicher, und die Pflicht des Tages: Vampire töten. Damit macht er unserer geliebten Buffy wirklich ernsthafte Konkurrenz. Jahrzehnte vor Joss Whedons Kultserie hat schon jemand ganz anderer zum Holzpflock gegriffen, um seinem Tagwerk nachzugehen, und damit meine ich nicht Van Helsing. Räumungsdienst Price ackert im Planquadrat die Straßen ab, und all die schlafenden Ungeheuer, die er zu fassen bekommt, werden gepfählt und entsorgt. So weit so trostlos, hat der ältere Herr doch seine ganze Familie zu Grabe getragen, darüber hinaus seine Frau zweimal beerdigt, weil sie zum Wiedergänger wurde.

Zugegeben, all die Momentaufnahmen aus der postapokalyptischen Urbanität mit all den kreuz und quer herumliegenden Toten hat etwas leicht Verstörendes. Und obwohl The Last Man on Earth als typisches B-Movie daherkommt, hat dieses einen gar nicht mal so trivialen Plot. Filmkenner wissen längst: der italienisch-amerikanische Science-Fiction-Grusel basiert auf dem Roman Ich bin Legende von Richard Matheson und – ganz genau – selbiger war auch Vorlage sowohl für den Omega-Mann mit Charlton Heston als auch für den Will Smith-Streifen I Am Legend. Tatsächlich aber trifft der Titel der Buchvorlage viel eher den Charakter des Vincent Price-Erstlings. Und siehe da, nicht nur was die plausible Legendenbildung des einsamen Ordnungshüters betrifft, liegt The Last Man on Earth in seiner Erklärung weiter vorne, sondern auch in der Prämisse des Filmes überhaupt, den ein ganz anderer Zombiefilm sozusagen weiterspinnt: The Girl with all the Gifts.

Ich bin fast versucht, The Last Man on Earth mit all seiner Technicolor-Optik und dem naiven Raumschiff-Enterprise-60er-Kolorit als Trash-Perle zu bezeichnen, die sowohl all die ratlose Panik vor dem Virus vorwegnimmt als auch in seinen Endzeit-Gedanken überraschend konsequent bleibt.

The Last Man on Earth

Cronos

DIE MADE IM SPECK DER EWIGKEIT

6,5/10

 

cronos© 1993 CNCAIMC

 

LAND: MEXIKO 1993

REGIE: GUILLERMO DEL TORO

CAST: FEDERICO LUPPI, RON PERLMAN, CLAUDIO BROOK, TAMARA SHANATH U. A.

 

Die Idee zu seinem Langfilmdebüt dürfte Guillermo del Toro wohl am Flohmarkt gekommen sein, oder bei einem Antiquitätenhändler. Davon gibt es sicher viele in Mexiko Stadt. Was man da allerlei Kurioses in die Finger bekommt, von dem man nicht mal weiß, wozu diese Artefakte überhaupt gut sein sollen. Da wird das Stöbern in alten Sachen tatsächlich zum Abenteuer. Kann also sein, dass der junge Guillermo irgendwann mal ein seltsames goldenes Ei im Sammelsurium sämtlicher Verlassenschaften zu Gesicht bekommen hat. Fabergé wird’s wohl nicht gewesen sein, vielleicht aber tatsächlich etwas Geheimnisvolles, etwas, dass sich durch einen versteckten Mechanismus hätte öffnen lassen. Ein schöner Ansatz für eine mysteriöse Geschichte, für eine Art Märchen zwischen Leben und Tod, zwischen Okkultem und den Schwächen der menschlichen Seele. Sein Hang zum Phantastischen, der wurde 2018 fürstlich mit dem Oscar belohnt – The Shape of Water war eine Liebensgeschichte zwischen dem Fremden und dem Vertrauten, zwischen dem Schwachen und dem Furchteinflößenden, weil Unbekannten. Die dunkle Seite der Fantasie, die kaum erschlossene Sphäre des Versteckten, Gejagten, die beschäftigt del Toro seit jeher. Sein Oscar-Film ist da sogar noch die versöhnlichste Version seiner (Alp)träume, meist sind es aber auch Geister, Vampire und Untote, die auf der Suche nach Erlösung sind.

In Cronos sind es die Sterblichen, oder sagen wir: ein Sterblicher, ein sogar schon etwas in die Jahre gekommener Antiquitätenhändler, der im Fundus seiner Altwaren eben jenes güldene mechanische Ei zu Tage befördert, dass ein seltsames Lebewesen in sich birgt – eine Larve, ein üppiges Insekt, dass die Fähigkeit besitzt, ewiges Leben zu schenken. Natürlich nur unter der Voraussetzung, gewisse Dinge und strenge Regeln zu beachten. Diese stehen in einem Buch, das wieder ganz wer anderer besitzt, der allerdings wieder das Ei sucht, und bei der Suche nach diesem Cronos-Apparat vor nichts zurückschreckt. Und da alle irgendwie ewig leben wollen, ist es in Folge schwierig, jeder Partei, die hier im Spiel ist, gerecht zu werden. Am ehesten noch Ron „Hellboy“ Perlman, der eigentlich nur seine Visage verschönern und gar nicht mal unsterblich werden will.

In diesem Vampir-Kleinod aus den frühen 90er Jahren steckt schon so Einiges, was Guillermo del Toro später in seinen weiteren Filmen gekonnt variiert. Das Paranormale fremdartiger Geschöpfe, der Mythos rund um die Unsterblichkeit, das stimm- wie wehrlose Mädchen mit einer Mission (z.B. Pans Labyrinth) oder der Stachel im Fleisch des Opfers (The Strain). Aber ist das schon Horror? Wenn jemand anderer mit diesen Versatzstücken hantiert hätte, dann ja. Bei del Toro genießt diese Finsternis eher eine seltsam wärmende Vertrautheit, etwas intensiv Poetisches, Folkloristisches, Opernhaftes. Auch Cronos schlägt in seiner Ausstattung, in seiner malerischen Farbgebung und bühnenhaften Opulenz bereits den stilistischen Weg für die nächsten Jahrzehnte filmischen Schaffens ein, und es soll del Toros Schaden nicht sein, seine Schauergeschichten auf diese melodiöse Art zu erzählen. Und ja, diese Art des Filmemachens ist eine Rückbesinnung auf ein Kino des Damals, was nicht heißen soll, dass die Erzählweise dieser Werke einem konservativen, vielleicht gar altbackenen Kanon folgt. Viel mehr zitiert Cronos neben all seinen morbiden Gleichnissen die Schnoddrigkeit früher Gangsterfilme aus der Epoche des frühen Film Noir. Dieser Mix ist es, der dem ganzen Setting seine unverwechselbare Note verleiht, dass sich seltsam, aber profitabel zu- und ineinander fügt. Für Fans des mexikanische Phantasten ist Cronos fast schon ein Muss, für Liebhaber des gediegenen Blutdurst-Grusels, die zum Beispiel auch Tony Scotts Begierde mit David Bowie mochten, ein im wahrsten Sinne des Wortes aufgewecktes Stück geschmackvolles Genrekino, wenn auch im Abgang etwas metallisch…

Cronos