Das tiefste Blau (2025)

AUGENTROPFEN FÜR ALTERSWEITSICHT

5/10


© 2025 Alamode Film


ORIGINALTITEL: O ÚLTIMO AZUL

LAND / JAHR: BRASILIEN, MEXIKO, CHILE, NIEDERLANDE 2025

REGIE: GABRIEL MASCARO

DREHBUCH: TIBÉRIO AZUL, GABRIEL MASCARO

KAMERA: GUILLERMO GARZA

CAST: DENISE WEINBERG, RODRIGO SANTORO, MIRIAM SOCARRÁS, ADANILO U. A.

LÄNGE: 1 STD 26 MIN


Jair Bolsonaro sitzt in dieser nahen Zukunft Gott sei es gedankt nicht mehr am Ruder. Der rassistische Umweltsünder hätte, wäre der Film die Realität, entweder eine nahe Zukunft wie diese verantwortet oder er säße, wenn nicht im Gefängnis, dann längst in einer dieser als euphemistisch bezeichneten Kolonien der über 75jährigen, die von der jüngeren Gesellschaft einfach nicht mehr er- und mitgetragen werden sollen. Es hemmt die Wirtschaft, heisst es in diesem Brasilien, denn die muss florieren. Da hat wohl niemand etwas davon, wenn die Alten von den Jungen ausgehalten und gepflegt werden müssen und dadurch das Bruttosozialprodukt nicht gesteigert werden kann. Natürlich fällt mir dabei Geier Sturzflug ein mit ihrem Klassiker der Neuen Deutschen Welle. „Wenn Opa sich am Sontag aufs Fahrrad schwingt und heimlich in die Fabrik eindringt“ – schon damals wusste man, das die ältere Generation irgendwann um ihre Pension kämpfen muss, würde diese es nicht möglich machen, bis zum Abnippeln an der Kurbel von wasweißich auch immer zu drehen, nur um, gezwängt zwischen Zahnrädern wie einst Charlie Chaplin, den prosperierenden Staat am Laufen zu halten.

Für die Alten das Abstellgleis

Was im Ganzen so aussieht, als wäre das eine menschenverachtende, ungerechtfertigte Erniedrigung jener, die Zeit ihres Lebens ihr Soll erfüllt haben, ist im Detail noch viel erniedrigender und bitterer. In den Städten des Amazonas kurven Pickups mit Käfigen hinten drauf durch die Straßen, um abgängige Alte, die nicht ins Lager geschickt werden wollen, einzusammeln. Tereza meint, auf die Archivierung ihrer selbst noch fünf Jahre warten zu dürfen, ist sie doch erst 75. Doch die Regeln haben sich geändert – die rüstige und keinesfalls inaktive Dame wird demnächst abgeholt, eine Woche Zeit bleibt ihr noch – um ihr selbst noch einen einzigen Wunsch zu erfüllen, bevor gar nichts mehr geht, nämlich zu fliegen, womit auch immer. Dafür begibt sie sich gegen den Willen ihres töchterlichen Vormunds an den Amazonas, fliegen und Bahnfahren darf die Entmündigte schließlich nicht ohne Genehmigung. Auf ihrer kleinen Odyssee trifft sie auf einen entrückten Bootsmann, völlig verpeilten Flugpiloten, rangelnden Süßwasserfischen (wie seltsam!) und einer längst pensionsfähigen, aber autarken Bibelverkäuferin, mit der sie Freundschaft schließt – und die es irgendwie geschafft hat, ihrem aufgehalsten Schicksal zu entkommen.

Die Tropen machen müde

Eine bittere, seltsam entschleunigte Zukunft ist das hier am südamerikanischen Megastrom, der mitunter eine Schnecke zu seiner Fauna zählt, die ein blaues Sekret absondert, welches das Bewusstsein erweitert und die Zukunft erahnen lässt – daher auch der Titel des Films. Als hätte Werner Herzog in der schwülen Tropenluft Brasiliens zwischen mehreren Nickerchen im Zustand des trägen Erwachens einen Film gedreht, tuckert Das tiefste Blau in entspannter Unentspanntheit und leicht erratisch durch einen Lokalaugenschein gar nicht vorhandenen Wirtschaftsenthusiasmus. Ist es nicht das Glücksspiel, bleiben die Jüngeren letztlich untätiger als die Alten. Eine gewisse Apathie macht sich hier breit, in der die ungestüme Tereza Spielraum genug findet, um sich aus dem Kreislauf einer deterministischen Zukunft durch einen ideenreichen Abschneider in die Wagemut herauszukatapultieren.

Mag sein, dass Das tiefste Blau die Welt nach der Arbeit zu einem einzigen Altersheim werden lässt und damit warnende Signale setzen will, nicht so unachtsam mit denen umzugehen, die uns zu dem gemacht haben, was wir sind. Und dennoch engagiert sich Gabriel Mascaro in seiner Coming of Overage-Fantasterei zu wenig, sondern lässt seine auseinanderklaffenden Szenen, die viel Nichterzähltes voraussetzen, wie Wachepisoden einer viel dichteren Geschichte erscheinen. Das macht das Ganze bruchstückhaft, den Blick in eine Richtung setzend, die das Publikum nicht trifft.

Das tiefste Blau (2025)

Thelma – Rache war nie süßer (2024)

DIE GELD-ZURÜCK-GERIATRIE

4/10


thelma_rache© 2024 Universal Pictures


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE / DREHBUCH: JOSH MARGOLIN

CAST: JUNE SQUIBB, FRED HECHINGER, RICHARD ROUNDTREE, PARKER POSEY, CLARK GREGG, DAVID GIULIANI, BUNNY LEVINE, MALCOLM MCDOWELL, ANNIE O’DONNELL U. A.

LÄNGE: 1 STD 39 MIN


Wenn der eigene Enkel zum Liebsten gehört, was Oma noch hat, dann mag die Hiobsbotschaft am anderen Ende der Leitung wohl noch stärker durch Mark und Pein fahren. Denn Daniel hat Mist gebaut. Anscheinend sitzt er irgendwo im Gefängnis und wartet darauf, dass die Großmutter ihn da rausholt. Unsereins weiß natürlich: Bei diesem Anruf handelt es sich unmissverständlich um den berüchtigten Enkel-Trick, wenn wildfremde Gauner so tun, als wären sie Teil der Familie. Im Alter, so zeigen es diverse Fälle, werden manche leichtgläubig oder lassen sich so sehr von ihren Emotionen mitreißen, um um den Problemfall kritisch zu beäugen. Oma Thelma ist so jemand. Sie kratzt ihr Erspartes zusammen, um das Geld dann per Briefsendung an eine ominöse Adresse zu senden. Kurze Zeit später, als die Familie bei Thelma aufschlägt, stellt sich heraus: Das alles war nur Fake. Jetzt könnte man sich an der Nase nehmen und aus den Fehlern lernen. Doch das Geld – schließlich zehntausend Dollar – ist futsch. Wie also zurückholen? Alten trauen Nachfolgegenerationen nichts mehr zu, letztlich geht es nur darum, diese vor den Unannehmlichkeiten einer längst erprobten Welt zu schützen, als wären sie Kleinkinder. Oma Thelma kann also auf niemanden zählen, der nicht ihrer Altersklasse entspricht. Also holt sie sich Hilfe vom alten Ben, der in einer Seniorenresidenz wohnt und einen Scooter besitzt. Mit diesem tuckern die beiden nach Venice, um den Abzockern das Handwerk zu legen.

Das klingt nach einer spritzigen Seniorenkomödie unter kalifornischer Sonne, nach schräger Situationskomik und vielleicht nach ein paar derben Zoten auf Kosten sämtlicher Altersklischees. Letzteres trifft auch tatsächlich zu. Doch von spritzigem Vergnügen kann, und das ist nicht der minimalen PS des elektrischen Rollers zu verdanken, leider keine Rede sein. Die erst mit 61 Jahren ins Rampenlicht gerückte Schauspielerin, bekannt aus Nebraska, About Schmidt und The Big Bang Theory (dort gab sie in einer Episode Sheldon Coopers Oma) ist mit 95 Jahren noch erstaunlich rüstig. Mit wie viel Elan sie hier die Eigeninitiative ergreift, mag einem anfangs noch die Ohren flattern lassen. Allerdings: Trotz ihres resoluten Auftretens ist die Figur der Thelma wenig sympathisch. Irgendetwas fehlt, vielleicht ist es die etwas ruppig vorgeführte Integrität einer Superhelden-Seniorin, die eine gewisse charkterliche Imperfektion vermissen lässt. Durch diese Imperfektion entstünde eine wärmende Vertrautheit, die Thelma nicht hat. Und dann taucht dann auch noch Ben auf, und zwar Richard Roundtree, der Shaft aus den Siebzigerjahren,um mit seiner alten Jugendfreundin durch die Gegend bis nach Venice zu eiern. Auch er charakterlich ein Langeweiler.

Regisseur und Autor Josh Margolin kann für seine Komödie einige Namen gewinnen, darunter Parker Posey und Clark Gregg (Agents of S.H.I.E.L.D.). Fred Hechinger, eben erst als Diktator Caracalla in Gladiator II zu sehen, gibt den Taugenichts Daniel. Sie alle folgen den Routinen eines uninspirierten Drehbuchs, ihnen selbst mangelt es an Esprit und Tiefe. Sogar Clockwork Orange-Milchbub Malcolm McDowell gibt uns die Ehre, und auch er bleibt nur der Handlanger einer recht biederen Story, die zwar eine alte Dame zeigt, wie sie in die Gänge kommt, sich selbst aber von diesem Tatendrang nicht anstecken lässt. Der langweilige Rhythmus des Films und mangelnde Originalität, die sich der Vorhersehbarkeit hingeben wie so manches Spätsemester seinem Schicksal, bescheren einen müden Selbstjustiz-Schwank ohne viel Tiefe und auch ohne hintergedanklicher Metaebene, die mit den Stereotypen des Älterwerdens aufräumen würde. So leicht wäre es gewesen, mehr daraus zu machen.

Thelma – Rache war nie süßer (2024)

A Great Place to Call Home (2023)

DAS UNIVERSUM HAT NOCH WAS VOR

6,5/10


agreatplacetocallhome© 2023 Neue Visionen


ORIGINALTITEL: JULES

LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: MARC TURTLETAUB

DREHBUCH: GAVIN STECKLER

CAST: BEN KINGSLEY, JADE QUON, HARRIET SANSOM HARRIS, JANE CURTIN, ZOË WINTERS, TEDDY CAÑEZ, JOSHUA MOORE, ANDY DALY U. A.

LÄNGE: 1 STD 27 MIN


Beim guten alten ALF war es ähnlich. Da krachte das UFO des pelzigen Sprücheklopfers in die Scheune von Willy Tanner, der samt Familie mehrere Staffeln hindurch täglich aufs Neue versuchen wird, erstens den Fremdweltler vor neugierigen Blicken zu verbergen und zweitens den Alltag trotz und mit Gordon Shumway, wie er sich nennt, zu meistern. Ein Heidenspaß auf ganzer Länge. Nimmt man aber Steven Spielbergs E.T. zur Hand, sieht die Sache schon melancholischer aus. Der knorrige Trapezkopf war der beste Freund des kleinen Elliot, und hätte da nicht die Nationale Sicherheit von diesem außergewöhnlichen Besuch Wind bekommen, wäre der Film für jüngere Semester erstens nicht so verstörend und dann auch nicht so tieftraurig gewesen, nämlich so, als würde jemand nicht nur fortgeflogen, sondern eher noch gestorben sein. Ein Kassenschlager war das sensible Düstermärchen dennoch. Und wenn das Ganze schon mit Kindern und Aliens funktioniert – warum dann nicht auch mit jenen, die im Herbst des Lebens stehen und sich so fühlen, als wären sie irgendwo in einer Zwischenwelt, deren nächstes Türchen ins Jenseits führt. So kann man, muss man aber nicht leben, mit über Achtzig und immer noch Lust am Dasein.

Dass Marc Turtletaubs herzige Science-Fiction-Komödie das Rad damit neu erfunden hat, ist allerdings nicht ganz wahr. Kinder der Achtziger erinnern sich sicher noch an Ron Howards Jungbrunnen-Märchen Cocoon: Senioren erhalten ihre innere Jugendlichkeit zurück, nachdem sie in einem Schwimmbecken baden, indem ein extraterrestrisches Artefakt schlummert. Ein wunderschöner, ein kluger und nicht minder herzzerreißender Film, wohl ein Genre-Highlight aus einer Zeit, in der Die unheimliche Begegnung der Dritten Art noch nicht lange zurückliegt und gleißende Lichteffekte dazu beigetragen haben, die richtige Stimmung fürs Außergewöhnliche herbeizuzaubern. Nicht zu vergessen auch Das Wunder in der 8. Straße – kleine Alien-Roboter mischen ein Wohnhaus auf, darunter eben auch betagte Mieter, die tiefe Freundschaft mit dem für Menschen äußerst fremden Lebensformen schließen. A Great Place to Call Home (im Original Jules – warum man hier den Titel hat verändern müssen, bleibt mir schleierhaft) schließt als weiteres, wohltuendes und nur selten weinerliches Werk an die Mysterienspiele rund ums Altwerden und Altsein an, und diesmal ist das Alien kein Trapezkopf, kein leuchtendes Ei im Wasser und kein freches Fellknäuel, sondern ein kleines humanoides Wesen aus den Tiefen des Alls, das leider das Pech und gleichzeitig das Glück hatte, in den von allen neugierigen Blicken abgeschirmten Garten von Milton Robinson bruchzulanden. Die Azaleen, wie der Alte später mehrmals erwähnen wird, sind aufgrund dieses Crashs alle nur noch Kompost, und auch wenn der Witwer beim Gemeinderat sein ungewöhnliches Erlebnis zur Sprache bringt: Es glaubt ihm keiner. Nicht mal die eigene Tochter, die ihren Vater dringend zum Neurologen schickt und mehr genervt zu sein scheint als liebevoll. Nach dem Prinzip, dass nicht sein kann was nicht sein darf, nämlich ein Besuch vom anderen Stern (und daran wird sich meines Erachtens so lange nichts ändern bis Steven Spielbergs Lichtorgel-Szenario wirklich mal eintritt), werden die seltsamen Verhaltensweisen und Ansichten Miltons als Folgen des hohen Alters verbucht. Zwei Damen aus der Nachbarschaft sehen das anders, sehen auch das Alien, wie es auf der Couch im Wohnzimmer Miltons sitzt, durch die Gegend guckt und Apfelspalten schnabuliert, und erfreuen sich zu dritt an diesem Wunder des plötzlichen Abenteuers und der knisternden Spannung, die sich daraus ergibt.

Offen für Neues zu sein, dazu ist es nie zu spät. Da kann man gut und gerne die Gebrechen des Zellverfalls vergessen, da ist nichts mehr wichtig außer der Spaß an der Freude und das Interesse an etwas, das als exklusives Erlebnis den Kreislauf ankurbelt. Ein gemächlicher, manchmal betulicher, aber jedenfalls wohltuender Film ist A Great Place to Call Home geworden. Ben Kingsley als grauhaariger, vielleicht etwas verschrobener Normalo spielt so pointiert wie schon lange nicht, mit kleinen Gesten, der Länge des gelebten Lebens geschuldeten, einstudierten Verhaltensmustern und knautschiger Mimik. Das kleine Wesen aus dem All – und das ist die Stärke in diesem Film – bewahrt sich stets das Geheimnisvolle, Fremde. Da es kein Wort spricht und womöglich über telepathische Kommunikationsformen verfügt, bleibt seine Existenz ein Rätsel, es bewahrt sich das Mirakel des Unerklärbaren, das sich selbst genügt. Marc Turtletaub gelingt es, trotz sichtlicher Verlockungen den Fuß vom Gas zu nehmen. Mag sein, dass sich dadurch sein Film etwas unter Wert verkauft, dass manches beschaulich dahinplätschert und dort, wo Handlungsspitzen sitzen, das Mehr an dramaturgischer Unterfütterung fehlt. Den in sich ruhenden Jules selbst – und vielleicht ist genau das der Punkt worauf es ankommt: Zuhören, ruhen, schweigen, entschleunigen – hat man am Ende trotz aller inszenierter Beiläufigkeit liebgewonnen, man fragt sich am Ende selbst, ob es in Miltons Alter vielleicht tatsächlich überlegenswert wäre, das gelebte Leben hinter sich zu lassen und ins UFO zu steigen. Würde ich das tun? Doch, womöglich schon. Auf zu neuen Ufern, dafür wäre es nie zu spät.

A Great Place to Call Home (2023)

Astronaut

OPA IM ALL

6,5/10


astronaut© 2020 Jets Filmverleih & Vertrieb


LAND / JAHR: KANADA 2019

BUCH / REGIE: SHELAG MCLEOD

CAST: RICHARD DREYFUS, KRISTA BRIDGES, LYRIQ BENT, COLM FEORE, GRAHAM GREENE, RICHIE LAWRENCE U. A. 

LÄNGE: 1 STD 38 MIN


Star Trek-Fans haben diesen Tag wohl schon lange Zeit vorher im Kalender rot angestrichen: Captain James T. Kirk fliegt wieder ins All, und zwar inkognito als William Shatner, noch dazu mit stattlichen 90 Jahren. Damit wird er wohl als bislang ältester Mensch in die Geschichte der Raumfahrt eingehen. Und gleich auch beweisen, dass Raumfahrt mittlerweile wirklich jeder machen kann, es sei denn er hat das nötige Kleingeld dazu. Wohlgemerkt beschränkt sich das Vergnügen aber lediglich auf einen zehnminütigen Ausflug in den Orbit, Schwerelosigkeit inbegriffen. Dass man sich dann aber selbst von der Kugelform unserer Erde überzeugen kann, dürfte all die Millionen wert sein. Shatner hingegen hat dafür nichts bezahlt. Den Captain will man schließlich ehren.

Leute wie Richard Dreyfus, mittlerweile über 70 und im Vergleich zu Shatner fast noch blutjung, könnten sich dieses Vergnügen ebenfalls geben. Doch Dreyfus will lieber bezahlt werden als dafür zahlen – also macht er einen Film, der sich zur Einstimmung für Shatners orbitales Ereignis wohl nicht besser eignen könnte. Unter dem schlichten Arbeitstitel Astronaut ist der Star aus Der weiße Hai und Oscarpreisträger 1977 für Der Untermieter ein kauziger, kleiner Witwer, mit Wehwehchen da und dort, weshalb er auch im Haus seiner Tochter wohnt. Erinnert ein bisschen an The Father mit Anthony Hopkins – nur Dreyfus hat keine Demenz und ist so klar im Kopf wie der Sternenhimmel, den er tagtäglich und gemeinsam mit seinem Enkel beobachtet. Ein fast schon paradiesischer Lebensabend – wenn da nicht die Familie den Opa aus Kapazitätsgründen ins Seniorenheim auslagert. Von wegen auslagern: Dreyfus macht‘s wie Dieter Hallervorden in Sein letztes Rennen und wird der Welt zeigen, dass die Reise ins All immer noch auf der Bucket List steht. Und wie es der Zufall will, wird Opa, der vorgaukelt, jünger zu sein als er ist, für den ersten touristischen Flug zu den Sternen auserwählt.

Wer noch weiß, wie sich der Science-Fiction-Film Cocoon aus den Achtzigern angefühlt hat, kann Astronaut von Shelag McLeod ungefähr in dieser Richtung verorten. Nur diesmal schwimmt kein außerirdischer Kokon im Pool des Seniorenheims, sondern der Jungbrunnen hier ist einzig und allein der Wille, Wunsch und Weg für etwas undenkbar Machbares. Regisseurin McLeod ist allerdings Optimistin, und will natürlich, dass die Figur ihres Angus Stewart einer auf idealstem Wege leicht komplizierten Welt begegnet, mit bewältigbaren Hindernissen und der Fairness, die ein gutes Leben verdient hat. Wie in Cocoon ist auch hier das Bild der pflegebedürftigen Generation zumindest eines, das nichts mit sozialpornographischen Missständen beim Altwerden zu tun haben will. Die betagte Entourage, die Dreyfus umgibt, hätte gerne noch Jessica Tandy (Oscar für Miss Daisy und ihr Chauffeur) in ihrer Mitte. Am liebsten, so scheint es, hätte vielleicht sie ins All fliegen sollen, doch der eigentliche Star des Films entzückt mit nachdenklichen Blicken, erfahrenem Charme und einer nimmermüden Leidenschaft für Neues. Die routinierte, teils sehr konventionelle Inszenierung wirkt da gar nicht mal so vorgestrig, vielleicht, weil eben die Erinnerung an Cocoon, so wie die an Captain Kirk, eine nostalgische ist. Zwischen Fiktion und tatsächlicher Himmelfahrt liegt also dieser kleine, warmherzige Film, der die Brücke schlägt zwischen Weltenraum und leistbarem Lebenstraum.

Astronaut

Wir beide

GELIEBTE NACHBARIN

7,5/10


wirbeide© 2020 Paprika Films


LAND / JAHR: FRANKREICH, LUXEMBURG, BELGIEN 2019

REGIE: FILIPPO MENEGHETTI

CAST: BARBARA SUKOWA, MARTINE CHEVALLIER, LÉA DUCKER, MURIEL BÉNAZÉRAF, JÉRÔME VARANFRAIn U. A. 

LÄNGE: 1 STD 32 MIN


Auch dieser Film steht auf der Shortlist zu den Oscars für den besten fremdsprachigen Film 2021. Und das völlig zu Recht. Allerdings nicht in erster Linie, weil das Liebesdrama Wir beide gleich zwei Tabuthemen auf einmal thematisiert. Sondern weil ein Stoff wie dieser so selten ohne übertriebene Sentimentalitäten auskommt – hier aber Regiedebütant Filippo Meneghetti eine Möglichkeit gefunden hat, auf geradezu erfrischende Weise von einer Liebe zu erzählen, die an gesellschaftlichem Normdenken gerade bei der jüngeren Generation beinahe gescheitert wäre.

Dabei haben die beiden reiferen Damen – die eine gleichzeitig Oma und Witwe, die andere nonkonforme Lebenskünstlerin – alles was sie brauchen würden, nämlich sich und rosige Aussichten für die Zukunft, da der Traum, gemeinsam nach Rom zu ziehen, kurz davor steht, verwirklicht zu werden. Ein einziges Problem gibt es jedoch noch, das noch aus dem Weg zu räumen wäre: Oma Madeleine muss endlich den Mut aufbringen, ihre Sippschaft zu verklickern, dass sie in einer glücklichen Beziehung mit Nina weilt. Alleine der Umstand, auf ihre alten Tage zu ihrer sexuellen Identität zu stehen, scheint schon unmöglich zu sein, wenn Madeleine nur daran denkt. Der Sohn ist ein zynischer Grantler, und die Tochter glaubt immer noch, dass Mama und Papa damals aus Liebe geheiratet hätten. Bei all den Troubles passiert etwas, dass alles über den Haufen wirft. Madeleine erleidet einen Schlaganfall. Und niemand weiß, dass Nina im Grunde ihre Partnerin ist und eigentlich das Recht hätte, sich um ihren Lebensmenschen zu kümmern.

Das Script zu diesem auf den ersten Blick vielleicht eher konventionell scheinenden Drama überrascht und ist umso cleverer konstruiert, da man erstmal nicht ahnt, welche Schwierigkeiten entstehen können, wenn das Outing zu spät kommt. Klar, in Liebesdingen geht niemanden Dritten auch nur irgendwie an, was Sache ist. Zählen die Beteiligten allerdings nicht mehr zum jungen Eisen, könnte der Nachwuchs mehr mitzureden haben, als den Beteiligten lieb wäre. All diesen aufreibenden Hürden, die plötzlich aufpoppen, nachdem Madeleine ihre Selbstständigkeit verloren hat und plötzlich auf Hilfe von außen angewiesen ist, begegnet eine großartig aufspielende Barbara Sukowa in einer ihrer besten Rollen mit Argwohn und kämpferischer Jugendlichkeit. Martine Chevallier hingegen spielt die zu Beschützende fein nuanciert und mit einem Repertoire an sehnsüchtigen Blicken. Wie die beiden Frauen füreinander kämpfen, wie sehr sie sich brauchen und was sie überwinden, um zusammen zu sein, sind fast schon Shakespear´sche Liebeswirren für eine entsexualisierte Generation, die aber genauso queer sein kann wie jene, die bei den Regenbogenparaden auf die Straße geht.

Wir beide ist jedenfalls eine der besten Liebesfilme der letzten Zeit – authentisch, poetisch und mit augenzwinkerndem Humor.

Wir beide

Hampstead Park

HÜTTENZAUBER MIT IRISCHEM EISBÄR

4/10

 

hampsteadpark© 2017 Splendid Film

 

LAND: GROSSBRITANNIEN 2017

REGIE: JOEL HOPKINS

MIT DIANE KEATON, BRENDAN GLEESON, LESLEY MANVILLE U. A.

 

Hätte sich Bud Spencer einmal dazu durchgerungen, einen Ausflug ins Genre des romantischen Films zu wagen, hätte man ihm die Rolle des unangepassten Parkbesetzers Donald Horner an den stämmigen Leib schneidern können. Allerdings wäre der Neapolitaner wohl nicht als Ire durchgegangen, was aber mit einer kleinen Drehbuchadaption sofort kein Problem mehr gewesen wäre. Anstelle des bärtigen Riesen tritt ein anderer seiner Art – Brendan Gleeson. Dem breiteren Publikum bekannt als Mad Eye Moody aus dem Harry Potter-Universum. Cineasten wohl auch aus Calvary oder Brügge sehen… und sterben? ein Begriff. Der wuchtige Brummbär mit rotem Haar und weißem Eisbärbart macht in dem bis zur Arthritis ungelenken Liebesfilm für ausgesucht ältere Semester als einziger eine annehmend gute Figur. Gleeson ist es auch gewesen, der mich dazu bewogen hat, nach rund einer halben Stunde periodisch auftretender Selbstreflexion aus dem Film nicht auszusteigen, ließ er mich doch in jeder Szene wissen, dass Kinogeher unter 60 in Hampstead Park im Grunde nichts verloren haben. Und das ist schon etwas eigenartig. Natürlich sehe ich selbst sehr gerne Filme, die vom Leben, Lieben und Leiden der älteren Generation erzählen. Da gibt es Kinoperlen wie Nebraska, About Schmidt oder Die Brücken am Fluss. In ihrer Erzählweise sind es aber so außergewöhnlich konzipierte Geschichten, die dem jungen Publikum niemals das Gefühl geben, unerwünscht zu sein. Das liegt vielleicht am Beweggrund, warum man den einen oder anderen Film überhaupt macht. Oft sieht man Werken dieser Art an, wozu und für wen sie realisiert wurden. Will die Produktion marketingtechnisch tatsächlich nur eine Zielgruppe ansprechen anstatt ein vielfältiges Zuschauerspektrums, so lässt sich das kaum verbergen. Das passiert zum Beispiel bei Joel Hopkins´ Parkspaziergang.

Wobei dem Streifen im Grunde eine reizvolle Geschichte innewohnt: Eine hochverschuldete Witwe aus dem gehobenen Mittelstand stößt durch Zufall auf einen durchaus gesitteten Eigenbrötler und Aussteiger, der sich prompt in die Dame verguckt und des Weiteren um seine unrechtmäßige häusliche Existenz im Hampstead Park fürchten muss. Mit Diane Keaton und eingangs erwähntem Brendan Gleeson kann das reife Alltagsmärchen durchaus für kauzig-emotionale Stimmung sorgen. Sowas wie Zoff in Beverly Hills, muss aber längst nicht so grotesk und satirisch sein. Da kann auch ein Jack Nicholson-Gehabe durchaus reichen. Doch nichts davon entsprach letzten Endes den Erwartungen. Hampstead Park ist wie ein Döblinger Kaffeekränzchen mit gesellschaftskritisch fundiertem Small Talk. Und es ist gut vorstellbar, wie sehr gesellschaftskritischer Smalltalk in nachbarschaftlicher Noblesse aneckt. Nämlich gar nicht. Dass Diane Keaton sich für den zerfledderten Mittsechziger interessiert, lässt sich schwer nachvollziehen. Überhaupt gelingt der in Würde ergrauten Filmlegende nur mühsam, der Figur der noblen Witwe glaubhafte Gefühlswelten anzudichten. Sichtlich unterfordert stakst sie zwischen Rhododendronbüschen und angepflanzten Karotten durch den verwilderten Hain von Hampstead Heath, um sich erst für die Ambitionen des fischenden, autarken Freigeistes einzusetzen, um ihn dann und ganz plötzlich nach ihren Gutdünken zu manipulieren. Das geht storytechnisch gar nicht. Im letzten Drittel schmeißt der Drehbuchautor wohl die Nerven, weil er das Gesülze wohl selbst nicht mehr erträgt. Aber statt der Romanze hier wirklich mehr Kernigkeit und Körnigkeit zu verleihen, bekämpft man womöglich lieber hausbackenen Kitsch mit ebensolchem.

Leider ist Hampstead Park wirklich und offensichtlich nur Programm für zerstreuendes Seniorenkino. Aber selbst bei Oma und Opa könnte sich Langeweile einschleichen. Vom Niederbiedern potenzieller Utta Danella-Fans könnte man zumindest im Kino absehen, aber dafür ist es leider zu spät für den zweiten Frühling. Der geht ganz anders, und den hätte uns Brendan Gleeson gerne gezeigt – hätte er sich nur nicht barfuß im Park den größten Schiefer seines bisherigen Filmreportoires eingezogen. Ein mauer und stocksteifer Möchtegern-Wohlfühlfilm, der zeigen will, dass auch noch im Alter alles möglich sein kann. Wie wahr – dazu gehören auch leider solche Filme.

Hampstead Park