Madame Web (2024)

IM NETZ DER VORSEHUNG

5/10


madamwweb© 2024 CTMG, Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: S. J. CLARKSON

DREHBUCH: MATT SAZAMA, BURK SHARPLESS, CLAIRE PARKER, S. J. CLARKSON

CAST: DAKOTA JOHNSON, SYDNEY SWEENEY, CELESTE O‘ CONNOR, ISABELA MERCED, TAHAR RAHIM, ADAM SCOTT, EMMA ROBERTS, MIKE EPPS, JOSÉ MARIA YAZPIK, ZOSIA MAMET, JILL HENNESSY U. A. 

LÄNGE: 1 STD 57 MIN


Es pfeifen die Spatzen schon von den Dächern: Superheldenfilme sind in der Krise, der Hype ist abgeflaut, das Publikum hat alles schon gesehen und das wiederum mehrfach. Helden- und Heldinnengenesen lassen sich kaum mehr voneinander unterscheiden, die Antagonisten sind austauschbar. Das epochale Gewitter des Infinity-Krieges, qualitativer Höhepunkt des Genres, liegt lange zurück. Was danach kam, waren ambitionierte Spielereien in den Rauchschwaden längst abgeschossener Knüller-Raketen. Die lobenswerte und engagierte Grundidee, Marvel-Serien mit Filmen zu verbinden und so einen noch komplexeren roten Faden zu erschaffen, war ob des viel zu hohen Anspruchs leider ein Schuss in den Ofen. Ist man Fan genug, und zwar ein solcher, der sich alles antut, von Kinofilmen bis zur Streaming-Featurette, mag die Rechnung vielleicht aufgehen. Doch Leute wie diese sind nicht die breite Masse. Filme wie The Marvels, der eigentlich nur dann funktioniert, wenn man auch all den anderen Content kennt, können bei Gelegenheits-Kinobesuchern, die einen in sich geschlossenen Content konsumieren wollen, kaum punkten. Disneys Marvel steckt in einer Art Pensionsschock, denn die alte Riege hat ausgedient, die Luft ist draußen, umdenken ist angesagt.

Sony macht die Sache ganz anders. Sony hat das SSU, das Sony’s Spider-Man Universe und bringt originelle Animationsfilme ins Kino, die kein Vorwissen brauchen. Sonst muss sich das Studio eigentlich nur mit Venom herumschlagen, während sich der Junge aus der Nachbarschaft bei Marvel herumtreibt. Luft genug also, um Mauerblümchen wie Morbius oder gar Madame Web auf die Leinwand zu bringen. Madame Web? Wer ist das nun wieder? Gwen Stacy im weißen Spinnen-Overall? Irgendeine der vielen Alternativen aus dem Multiversum? Mitnichten. Diese Madame Web ist neu und gar nicht mal so auf Superheldin gebürstet wie sonst. Sie hat die Gabe, in die nahe Zukunft zu blicken. Und sonst? Das wäre alles. Doch zu wenig ist das prinzipiell mal nicht.

Cassandra Webb ist anfangs mal eine, die zwar nicht als Super-, aber als Alltagsheldin durchgeht: Sie ist Sanitäterin. Ihre Superkräfte liegen im sozial kompetenten Umgang mit Unfallopfern und Sterbenden, sie rettet Leben auf menschliche und nicht übermenschliche Weise. Cassandra wird urplötzlich von Déjà-vus heimgesucht, die, wenn sie eintreten, gar nicht als solche zu erkennen sind, sondern erst dann, wenn sich Szenen auf seltsame Weise wiederholen. Erst nach ein paar Anfangsschwierigkeiten schnallt sie die Lage: Sie kann vorab sehen, was in den nächsten Minuten passieren wird. Und noch ein bisschen später erkennt sie, dass das, was sie sieht, keinem Determinismus unterworfen, sondern veränderbar ist. Die nächstmögliche Zukunft ist das, was sie als Waffe in der Hand hat, um den finsteren und zugegeben recht eindimensional platzierten Superschurken Ezechiel Sims (Tahar Rahim) im schwarz-roten Spiderman-Kostüm in seine Schranken zu weisen. Der ist nämlich scharf auf drei Teenager, die ihn laut eines prophetischen Traums irgendwann einmal in die ewigen Jagdgründe verbannen werden. So folgt eines aufs andere und das Dreimäderlhaus, das sich hinten und vorne kaum auskennt, gerät unter die Obhut Madame Webs, die in dieser Origin-Story gar nicht mal so weit kommt, um ihre ganzen Asse auszuspielen. J. K. Clarkson inszeniert den Anfang von etwas, der womöglich nie kommen wird, weil Madame Web weit, weit hinter den finanziellen Erwartungen und einem ansehnlichen IMDB-Ranking zurückfällt.

Einen Flop par excellence hat sich Sony da eingetreten. Das tut weh. Weniger aber schmerzt der Film selbst, dem man eine gewisse konstruierte Belanglosgkeit schwer absprechen kann, der aber im Grunde das bisschen, was er zu bieten hat, nämlich weniger Superhelden-Action als vielmehr Teenager-Abenteuer mit phantastischen Tendenzen, solide verpackt. Ist Madame Web also eine Themenverfehlung? Sagen wir so: Der Film ist mehr Begleitwerk als zentrales Zugpferd für ein halbgares Franchise, das Sony einfach nicht so hinbekommen kann wie schon die längste Zeit Marvel Studios, das vieles ausprobiert hat, auch auf die Gefahr hin, zu versagen. Madame Web hat ein funktionierendes Ensemble auf der Habenseite, bestehend aus Sidney Sweeney, Isabel Merced, Celeste O’Connor (derzeit mit Ghostbusters: Frozen Empire im Kino) und natürlich Dakota Johnson, die ihre Arbeit ernst nimmt und mit dem, was ihr in die Hand gegeben wird, zufrieden scheint. Alle vier arbeiten im Teamwork, und sie stehen auch im Schulterschluss verhaltensauffälligen Szenen gegenüber, welche die Stimmungslage des Films auf irritierende Weise umstoßen.

Das kann man nachsehen. Und den Film trotz allem auf eine Weise genießen, wie man eskapistisches und anspruchsloses Effekte-Kino eben genießen kann, ohne viel zu hinterfragen. Das Superheldenkino wird es nicht weiterbringen oder gar retten. Dafür ist das Abenteuer zu kleinlaut.

Madame Web (2024)

Frau im Dunkeln

BEKENNTNISSE EINER RABENMUTTER

8/10


frauimdunkeln© 2021 Netflix


LAND / JAHR: GRIECHENLAND, USA, GROSSBRITANNIEN, ISRAEL 2020

BUCH / REGIE: MAGGIE GYLLENHAAL, NACH EINEM ROMAN VON ELENA FERRANTE

CAST: OLIVIA COLMAN, JESSIE BUCKLEY, DAKOTA JOHNSON, ED HARRIS, PETER SARSGAARD, PAUL MESCAL, ALBA ROHRWACHER, DAGMARA DOMIŃCZYK U. A.

LÄNGE: 2 STD 2 MIN


Am letzten Tag des alten Jahres hat Netflix für sein interessiertes Filmpublikum noch einen besonderen Leckerbissen aus dem Ärmel geschüttelt – das Spielfilmdebüt von Maggie Gyllenhaal, von welcher man ohnehin schon längere Zeit nichts mehr gehört hat, die sich aber mit der Verfilmung von Elena Ferrantes Roman The Lost Daughter umso wirkungsvoller zurückmeldet. Und beileibe ist der Stoff der italienischen Romanautorin keine gemähte Wiese. Nichts, was man so mir nichts dir nichts in Bilder packen und dazu noch ein ausgewogenes Skript verfassen kann. Frau im Dunkeln – so der deutsche Titel – lässt Oscarpreisträgerin Olivia Colman als Professorin während des Sommers Urlaub machen. Wie denn, das ist alles? Fast. Zumindest handlungstechnisch. Das meiste ist Selbstreflexion und Erinnerung, dazwischen die Konfrontation mit Menschen, die auf gewisse Weise begangene Fehler von Colmans Filmfigur aus der Verdrängung zurückführen. Das ist Urlaub, der nicht spur- und ereignislos vorübergeht. Das sind Ferien mit der längst überfälligen seelischen Reinigung.

Und so bezieht Leda Caruso ein großräumiges Appartement auf der griechischen Insel Spetses, und zwar ganz allein. Hausdiener Lyle (Ed Harris) sorgt manchmal für Abwechslung, auch dem Ferialjobber Will gefällt Ledas Gesellschaft. Weniger offenherzig ist allerdings die New Yorker Großfamilie rund um Jungmutter Nina (Dakota Johnson), die sich mit ihrer kleinen Tochter herumschlagen muss und die bereits unter Depressionen leidet, weil sie es dem Mädel einfach nicht recht machen kann. Da passiert es und das Kind verschwindet – Leda beteiligt sich an der Suche und findet sie. Doch damit nicht genug: dessen Lieblingspuppe verschwindet ebenfalls. Die hat sich Leda absichtlich unter den Nagel gerissen. Doch warum nur?

Warum nur? Das ist die große Frage in diesem Film. Und vor allem eine, die Leda selbst nicht beantworten kann. So sind nun mal Gefühlswelten, sie ordnen sich keinem rationalen Muster unter, sie generieren sich aus triggernden Momenten und Assoziationen, aus seltsamen Déjà-vus, die wie gerufen kommen und die Sache mit dem Zufall bemühen. In so einem Nebel aus Vergangenem und Gegenwärtigen lässt Colman als einsame Egoistin ihre Existenz als Mutter zweier Kinder Revue passieren – die Zeitebene wechselt, wir befinden uns rund zwei Jahrzehnte in der Vergangenheit, und Jessie Buckleys junge Leda könnte aufgrund ihres sprachlichen Talents und ihrer literarischen Abhandlungen alles erreichen. Einzig die Kinder nerven, später auch der eigene Ehemann, und so kehrt sie ihrer Familie den Rücken. Eine Rabenmutter, sagt sie selber von sich. Doch die Erkenntnis lässt auf sich warten, im Urlaub ist schließlich genug Zeit dafür, auch wenn sonst nichts zu tun ist.

Wer hätte gedacht, dass es Maggie Gyllenhaal dermaßen gelingt, so einem durchaus abstrakten und auch verschachtelten Stoff das richtige Tempo aufzuerlegen und ein ebensolches Team zusammenzustellen. Dazu gehört auch Kamerafrau Hélène Louvart, die aus dem dichten Stück Schauspielkino ein visuelles Erlebnis kreiert. Extreme Nahaufnahmen wechseln mit in sich ruhenden Arrangements aus Personen – diese Virtuosität erinnert nicht zufällig an den Film Glücklich wie Lazzarro. Dort bewies sich Louvart als Kreatorin einer mediterranen, impressionistischen Stimmung. Coleman und auch Dakota Johnson spiegeln diese mit Bravour. Nicht zu vergessen Jessie Buckley, die als junge Leda Caruso die Last des Mutterseins nicht mit ihrem Drang zur Selbstverwirklichung vereinbaren kann.

Frau im Dunkeln ist ein starker und hypnotisierender Film ohne Leerlauf und mit Bedacht gewählten Worten, die den Brocken an Drama nicht schwerer machen als er ist. Gyllenhaal schafft das Zusammenspiel gewissenhaft agierender Schauspielerinnen, die niemals, wie es scheint, unter den Druck einer egozentrischen Regie geraten, sondern den jeweils eigenen Subtext wirken lassen können. Was dabei rauskommt, ist packend – und auf unerwartete Weise schwerelos.

Frau im Dunkeln

The Peanut Butter Falcon

ANDERS ALS WIR DENKEN

7/10

 

PBF_0681.TIF© 2019 Tobis Film

 

LAND: USA 2019

REGIE: TYLER NILSON, MICHAEL SCHWARTZ

CAST: SHIA LABEOUF, ZACK GOTTSAGEN, DAKOTA JOHNSON, BRUCE DERN, JOHN HAWKES, THOMAS HADEN CHURCH U. A. 

 

Einer der warmherzigsten Filme des Jahres 2019 soll er gewesen sein, das Roadmovie rund um einen Heimausreißer mit Down-Syndrom und einem schuldzerfressenen Taugenichts aus den Südstaaten: The Peanut Butter Falcon. Relativ leicht ließe sich der Film aber auch anders betiteln. Wie wäre es mit: Der 22jährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand, frei nach Jonas Jonasson? Wer das Buch des Schweden kennt, weiß, welche Abenteuer der alte Mann da allesamt besteht. Womöglich sind die Abenteuer des jungen Zack weniger irrwitzig, dafür aber umso einschneidender für ein Leben, das noch gelebt und gestaltet werden will. Denn der rundliche, nur mit einer Unterhose bekleidete Zack, der will trotz seines geistigen Handicaps etwas aus sich machen. Er hat Pläne. Und ein Idol, dem er nacheifern will: Der junge Mann will zum Wrestling. Da gibt es einen, der nennt sich Saltwater Redneck, und der hat eine Wrestlingschule irgendwo in den Sümpfen Louisianas, und dort will er hin. In einem Land der unbegrenzten Möglichkeiten vielleicht tatsächlich umsetzbar. Zufällige Variable, die ihm vielleicht einen Strich durch seine Rechnung machen könnten, die rechnet er natürlich nicht mit ein. Einer dieser Variablen ist – kaum zu erkennen – Shia LaBeouf mit unkontrolliertem Bartwuchs und versiffter Kleidung, auf der Flucht vor der krabbenfischenden Konkurrenz. Und die hat ihr gutes Recht, dem lebensuntauglichen Strauchelnden die Leviten zu lesen. Wie zu erwarten: die beiden Außenseiter treffen aufeinander – und raufen sich zusammen. Denn zweimal lebensuntauglich könnte einmal Lebensmut ergeben – oder nicht? Kein Problem, wäre da nicht Betreuerin Eleanor (reizend und liebevoll: Dakota Johnson), die so gar nicht mit den Plänen ihres Schützlings Zack klarkommt. Zumindest vorerst nicht.

Eine HuckFinniade, die sich Tyler Nilson und Michael Schwartz da ausgedacht haben. Ein zutiefst menschelndes Abenteuer mit einer erstaunlichen Entdeckung: nämlich Newcomer Zack Gottsagen, der die auf seinen Leib geschriebene Rolle mit Bravour meistert, Wortwitze kontert und selber mit genug Ironie die augenzwinkernden, teils lebensphilosophischen Dialoge bereichert. Dass Menschen mit Down-Syndrom auffallend gut schauspielern können, das hat letztens schon Luisa Wöllisch bewiesen, die in der deutschen Handicap-Komödie Die Goldfische für quirlige Diva-Momente gesorgt hat. Nicht zu vergessen natürlich Jaco van Dormaels belgisch-französisches Roadmovie Am achten Tag, in welchem der Schauspieler Pasqual Duquenne (Goldene Palme 1996!) an der Seite von Daniel Auteuil über sich hinauswuchs. Plotmäßig haben beide Filme – The Peanut Butter Falcon und Am achten Tag, deutliche Parallelen. In beiden Filmen ist das Pflegeheim anfangs ein Gefängnis, und hindert sie daran, sich trotz ihres Defizits selbst zu verwirklichen. Der Ausbruch gelingt, und folglich bleiben beide nicht lange allein. Ob Auteuil oder LaBeouf – die Komponente des beschützenden Erwachsenen, der von der Weltsicht des Anderen allerdings profitiert, bringt die herzerwärmende Story erst ins Rollen.

Und ja, das ist sie: herzerwärmend. Und positiv. Und wahnsinnig zuversichtlich. Was man anfangs nicht vermutet. Das Damoklesschwert der einschränkenden Realität hängt permanent über dem Willen nach Freiheit. Anderswo wäre diese Floßfahrt wohl ernüchtenderweise gekentert, zum Beispiel bei Clint Eastwood (A Perfect World), doch Tyler und Schwartz wagen ein brüderliches Märchen, das sich so gut anfühlt wie ein Kurzurlaub mit dem besten Freund oder der besten Freundin, wo man an nichts mehr anderes denkt außer an den Moment, der gerade passiert. Wo es keine Vergangenheit und keine Zukunft gibt. Wo die Zukunft mit links machbar erscheint. Eingewoben in dieses tragikomische Szenario auf schwappendem Untergrund ist die Kulisse der feuchtheissen Swamps der Südstaaten. Die Schwüle, all die Gerüche und Klänge, all dieses Nowhere-Land, dieser Touch unbegrenzter Möglichkeiten, die lassen sich spüren, und die tun gut. Das letzten Endes The Peanut Butter Falcon einen Drall Richtung surrealer Traumphantasie bekommt, war unvermeidlich – das schließt aber auch den Kreis der sich hoffnungslos im Kreis drehenden Outlaws und Weltumdenker, die sich in unterschiedlicher Richtung irgendwann treffen müssen, um gemeinsam auszubrechen.

The Peanut Butter Falcon

Bad Times at the El Royale

FREIES SPIEL DER GÄSTE

7/10

 

elroyale© 2018 Twentieth Century Fox

 

LAND: USA 2018

REGIE: DREW GODDARD

CAST: JEFF BRIDGES, CHRIS HEMSWORTH, DAKOTA JOHNSON, JON HAMM, CYNTHIA EVIRO, LEWIS PULLMANN U. A.

 

In diesem Film werden ganz klar die Grenzen überschritten: Denn das besagte Hotel El Royale, das liegt genau auf einer roten Linie, die Kalifornien von Nevada trennt. Wie originell, muss ich zugeben. Einmal ist man im sonnigen Westen, dann wieder im Land des Glücksspiels. Da lässt sich hin und her hüpfen oder direkt auf dem Grat entlang balancieren, wenn man nichts getrunken hat. Dieses Hotel, das liegt wie The Cabin in the Woods völlig abgelegen im forstlichen Nirgendwo, umgeben von Tannen, und überhaupt ist gerade wahrlich keine Hochsaison. Die Gäste sind an einer Hand abzuzählen: Ein katholischer Priester, eine Sängerin, ein Staubsaugervertreter und ein Hippie-Girl, denn wir schreiben ja die 60er, die Quentin Tarantino auch so gerne zelebriert. Der Verdacht liegt nahe, dass alle irgendetwas gemeinsam haben. Und dass der Concierge des Hauses – übrigens die einzige Belegschaft des Etablissements – Seltsames im Schilde führt. Oder etwa nicht? Vielleicht ist jeder der Gäste nur zufällig hier. Vielleicht hat gar nichts davon irgendetwas mit der Prologsequenz des Filmes zu tun, die auf vorwitzige Art von verstecktem Diebesgut erzählt. Nichts Genaues weiß man als Zuseher also nicht. In diesem Alles-Ist-Möglich-Zustand spielt das Kammerspiel von Drew Goddard (wie schon erwähnt: The Cabin in the Woods) seine besten Karten aus.

Es ist, als würde man The Hateful Eight mit den literarischen Gewitternächten eines Agatha Christie-Krimis kombinieren. Spontan betrachtet eine feine Mischung. Auch bei näherem Hinsehen immer noch knackig genug, um dranzubleiben. Bad Times at the El Royale gliedert sich wie in Tarantinos Hateful Eight in mehrere Kapitel, welche die Geschehnisse immer wieder aus einem anderen Blickwinkel neu aufrollen. Jede der Figuren bekommt seine eigene knappe Sequenz, und trotz einer Spielfilmlänge von knapp zweieinhalb Stunden verliert sich Goddards Drehbuch nie in ausufernden Kurzbiografien. Da reichen assoziative Skizzen und ungefähre Andeutungen, die der aufmerksame Zuseher im Geiste schnell ergänzt. Das macht den Thriller zu einem Puzzlespiel mit zwar mindestens tausend Steinen, dessen Motiv erstrahlt aber in farbenfroher Abwechslung und erleichtert des Rätsels Lösung auf gefällige Weise. Wenn es dann schüttet wie aus Schaffeln, und die Leuchtröhrenlettern des El Royale-Schriftzuges ihr verruchtes Rot in den Nachthimmel werfen, kommt eines zum anderen, und die Falschen zum Handkuss. Dabei gebärdet sich „Thor“ Chris Hemsworth in brustfreiem Outfit gerade mal so, als hätte er nie Thor gespielt, und jeglicher Marvel-Manierismus ist spurlos verschwunden. Auch Jeff Bridges lässt sich in diesem „krummen Haus“ nur zu gerne auf einen Drink einladen, wobei die Abgründe wie bei David Lynch eigentlich gleich ums Eck liegen, oder hinter der nächsten Mauer.

Bad Times at the El Royale ist eine liebevoll ausgestattete Fingerübung in Sachen Suspense, in kräftige Farben und voller klassischer Kniffe. Das Hotel selbst ist mit all seinem perlenden Retrocharme atemberaubend ausgestattet, natürlich eine Bühne par excellence, und tatsächlich diente für den Dreh ein Hotel, nämlich die Cal Neva Lodge, die wiederum tatsächlich an der Grenze der beiden Bundesstaaten liegt. Erwartungshaltungen werden zwar unterwandert, allerdings nicht so  verblüffend weiträumig wie ich vielleicht vermutet hätte. Dafür entschädigt ein satter Soundtrack mit alten Hadern von Deep Purple bis zu den Righteous Brothers mit Unchained Melody, interpretiert von Cynthia Eviro, die tatsächlich einiges aus ihrem Repertoire zum Besten gibt. Dabei beweist Goddard in seiner Auswahl zeitgenössischer Klassiker und der Idee, eine der Hauptfiguren auch selbst singen zu lassen, genauso ein feines Händchen wie der viel (und – versprochen – zum letzten Mal) zitierte Tarantino, wenn nicht gar um eine Plattennadel feiner. Musik ist in Bad Times at the El Royale also ein wichtiges Tool, Musik und Ausstattung, und der Quotient aus beidem ist Stimmung, die ganz allein aus dem Verqueren, dass in der aufgeladenen Gewitterluft liegt, genussvolle Spannung produziert. Ein cooles Stück Krimi also – theatralisch, dramatisch und verhängnisvoll.

Bad Times at the El Royale