The Souffleur (2025)

AUFLAUF IM HOTEL

2/10


© 2025 Magnify


ORIGINALTITEL: TRISTES TRÓPICOS

LAND / JAHR: ÖSTERREICH, ARGENTINIEN 2025

REGIE: GASTÓN SOLNICKI

DREHBUCH: JULIA NIEMANN, GASTÓN SOLNICKI

KAMERA: RUI POÇAS

CAST: WILLEM DAFOE, STEPHANIE ARGERICH, LILLY SENN, CLAUS PHILIP, GASTÓN SOLNICKI U. A.

LÄNGE: 1 STD 20 MIN


Hätte die österreichische Modemarke HUMANIC damals in den Achtzigern doch Willem Dafoe dafür gewinnen können, in einem ihrer der Zeit voraus befindlichen Werbespots aufzutauchen. Horst Gerhard Haberl, Begründer einer Werbeinnovation, die bis heute nachhallt, wäre begeistert gewesen. Er wäre auch froh gewesen, hätte er einem Filmemacher wie Gastón Solnicki das Regie-Zepter in die Hand drücken können. Der Argentinier hätte verstanden, worauf es in diesem Werbekonzept angekommen wäre. Viele Jahrzehnte später blickt das Publikum der Viennale auf ein ähnlich konzipiertes, 80 Minuten andauerndes Essay-Konstrukt mit dem Titel The Souffleur. Doch der kommt nicht, nicht mal als Sinnbild. Solnicki hätte seinen  Film von mir aus auch The Giraffe nennen können, denn die stakst irgendwann auch durchs Bild, und zwar mit etwas mehr metaphorischem Selbstbewusstsein: den Überblick bewahrend und dennoch unterworfen. Was ich mit dem Souffleur vielleicht noch assoziieren könnte, wäre das Soufflé, wie es im Ofen aufbäckt, um dann servierfertig von Willem Dafoe mit Vorbehalt verkostet zu werden. So ganz schmeckt ihm dieses aber nicht.

Das Hotel, ein sinkendes Schiff

Selbst könnte man in den Genuss dieser Speise sehr wohl gelangen, dafür müsste man eben nach Wien reisen und dann im Hotel Intercontinental einchecken. Das Soufflé stünde dabei sicher auf dem Speiseplan, und zwar so lange, bis die jahrzehntelange Institution im Herzen von Wien an ein argentinisches Bauunternehmen verkauft werden soll, zwecks Modernisierung und wegen all dem ganzen progressiven, globalen Zeitgeist, in dem Konstante nur dazu da sind, um Veränderung zu verweigern. Und sowas ist wirtschaftlich betrachtet mit Stillstand zu vergleichen.

Diesem Stillstand kann Manager Lucius (die Rolle von Dafoe), der Herz und Hirn des Unternehmens verkörpert, nur Gutes abgewinnen. Veränderung geht gar nicht, Ausverkauf auch nicht, also versucht er, sich dagegen zu wehren. An seiner Seite die Tochter, die Belegschaft des Hotels, die sich in statischen Inserts der Reihe nach vorstellt. Alles schön und gut, und ich hätte gehofft, Willem Dafoe auch nach der Samstagabendpremiere im Wiener Gartenbaukino zwei Tage später im Wiener Metrokino anzutreffen, doch seine geerdete Aktion als Partycrasher und angreifbarer Kultstar auf Augenhöhe wollte er dann doch nicht wiederholen. Schade, denn dann wäre die Filmvorführung nicht ganz so vergeudete Zeit gewesen.

Der Alleskönner im luftleeren Raum

Es gibt wohl niemanden, der Willem Dafoe nicht schon in irgendeiner Weise und in irgendeinem Genre zu Gesicht bekommen hat – für nichts ist er sich zu schade, alles wird ausprobiert und umgesetzt – souverän, bei der Sache, mit Handschlagqualität. Dabei stellt sich mir die Frage, wie sehr Dafoe dann selbst, nach getaner Arbeit, in sich geht und jene Filme reflektiert, in denen er mitgewirkt hat. Ob er alles wirklich gut findet? Wohl kaum. Ob er selbst mit The Souffleur etwas anfangen kann? Womöglich behält er das für sich, vom persönlichen Erscheinen anlässlich dieser Premiere zu schließen dürfte Solnickis Film ihm aber ein Anliegen gewesen sein. Und weil The Souffleur auch mit ihm steht und fällt, letztlich aber leider nur fällt und fällt, auch wenn Dafoe zum wiederholten Male den Indoor-Bereich des Eislaufplatzes aufspritzt oder durch die verlassen wirkenden Gänge des Hotels spaziert, als wäre die Postapokalypse über ihn gekommen.

Avantgardistische Repetitionen, die fragmentarische Anordnung von Szenen, als würde ein unter Quarantäne stehender Hotelgast, um die Zeit totzuschlagen, durch den gigantischen Quaderbau vor dem Stadtpark schlendern, mal dort, mal dahinblicken, tatsächlich auch aufs Dach gelangen, um zwischen den dort prangenden riesengroßen Lettern hindurch auf ein winterliches Wien zu blicken, bis hinüber nach Schönbrunn, in den Zoo, wo eingangs erwähnte Giraffe wandelt. Ansätze zu einem Essay über die Wienerstadt lässt Sonlicki dann auch wieder fallen. Assoziativ erscheint das alles, erratisch und bruchstückhaft angeordnet, der Plot nur ein blassroter, ausgefranster Faden, der durch den Film schlingert und sich ziemlich nutzlos vorkommt.

The Souffleur kann man als experimentelle Versuchsanordnung durchaus verstanden haben, nur ist das, was man zu sehen bekommt, nicht die Rede wert. Ein Schokokuchen ins Gesicht, dazu das gespenstische Lachen Dafoes: Die gebrochene Lanze für das Wiener Hotel Intercontinental wird maximal zum abgenötigten Hofknicks mit hinter dem Rücken überkreuzten Fingern. Dazwischen bröckelt die Behauptung einer avantgardistischen Filmkunst, die HUMANIC noch als stilistische Revolte heißblütig gelebt hat.

The Souffleur (2025)

The Damned (2024)

AUF VERLORENEM POSTEN

5/10


thedamned© 2024 Viennale


LAND / JAHR: ITALIEN, BELGIEN, USA 2024

REGIE / DREHBUCH: ROBERTO MINERVINI

CAST: JEREMIAH KNUPP, RENÉ W. SOLOMON, CUYLER BALLENGER, CHRIS HOFFERT, TIMOTHY CARLSON, NOAH CARLSON U. A.

LÄNGE: 1 STD 28 MIN


Wieder ein Film, bei welchem man gerne in Decken eingewickelt zusehen möchte. Denn dort, wo die Verdammten des Krieges hin marschieren, existiert nicht viel mehr außer Wildnis und vor allem eins: Kälte. Es ist Winter im Jahre 1862, in den nicht mehr so vereinigten Staaten herrscht Bürgerkrieg, Nord gegen Süd, das wissen wir alles zwar nicht aus dem schuleigenen Geschichtsunterricht, aber spätestens seit Kevin Costners Der mit dem Wolf tanzt oder frühestens seit The Good, The Bad and the Ugly – wenn Clint Eastwood und Eli Wallach die Nordstaaten als die Südstaaten fehlinterpretieren, tragen sie doch die Uniformen der letztgenannten. In Roberto Minervinis The Damned schiebt sich eine Kolonne der Nordstaaten über schneidend kalte, leicht hügelige Ebenen. Eine Kohorte Soldaten hat den Befehl erhalten, in den Wilden Westen vorzudringen, um an den äußersten Grenzen des besetzten Gebietes zu patrouillieren. Anstrengend und mühsam scheint das Unterfangen, außer dem Zehren an den Kräften vor allem junger Rekruten scheint der Krieg hier nicht mehr zu entbehren als das. Mag sein, dass manche denken, sie hätten mit dieser Mission das Glück auf ihrer Seite. Doch so entlegen und gottverlassen die Gegend auch sein mag – der Krieg, der Tod, er wuchert überall. Er wird hereinbrechen wie ein Unwetter, wie ein Schneesturm. Auf verlorenem Posten sind sie allesamt, und neben dem Exerzieren und anderen Übungen zur Gewährleistung routinierter Angriffe bleibt sogar noch Zeit, über Gott, die Welt und den Beweggründen zu philosophieren, warum man eigentlich hier ist  ­– mitunter sogar freiwillig.

Roberto Minervini ist ein gern gesehener, regelmäßiger Gast bei den Filmfestspielen der Viennale –Eva Sangiorgi hat da schon bereits ihre Favoriten, die immer wieder das Privileg genießen, ihre Werke zeigen zu dürfen. Minervini war bislang eher als Dokumentarfilmer unterwegs – mit The Damned verlässt er dieses Genre zwar nicht ganz, fügt seinem inhaltsarmen Essay aber Elemente hinzu, die einen fiktionalen Spielfilm ausmachen. Allerdings geschieht das aber sehr defensiv. Von enormer Bedeutung sind dabei die Bilder, die das übrige Geschehen bestenfalls billigen und sich in der Entfaltung ihrer episch anmutenden Wirksamkeit nichts dreinreden lassen. Mitunter tun das aber all die alten und jungen, die desillusionierten Fast-Schon-Veteranen und gerade mal erwachsen gewordenen Idealisten, die sehr bald feststellen werden, dass sie vielleicht doch falsch entschieden haben, indem sie einem schnöden Patriotismus folgen.

Die Bilder von Kameramann und Regisseur Carlos Alfonso Corral (Dirty Feathers, lief 2021 auf der Berlinale) sind brillant und erinnern an die Optik Alejandro Gonzáles Iñárritus, insbesondere an sein Abenteuerdrama The Revenant. Weitwinkel, Close Up auf Gesichter im Vordergrund. Die Idee dabei, den Feind in jedweder Gestalt lediglich diffus und unscharf im Hintergrund zu belassen, gibt der Erzählung ihre Metaebene, schafft eine erzählerische Tiefe, eine Kluft zwischen den Parteien, und einen ganz klaren, sehr prägnanten Blickwinkel. Man fragt sich, ob nicht doch die Natur der eigentliche Feind ist, ob es nicht vielleicht doch die eigenen idealisierten Weltvorstellungen sind, die Menschen wie diese hier, mit ihren ausdrucksstarken Gesichtern, antreiben.

The Damned ist fast wie eine Art Meditation oder Gebet, ein In-sich-kehren im Schnee, irgendwo in der Wildnis, völlig verloren – als wäre Kubricks Astronaut aus 2001 – Odyssee im Weltraum unterwegs in die Selbsterkenntnis jenseits des Jupiters. Und dennoch erwartet man sich ein Kriegsdrama, das letztlich profane Erwartungen erfüllt. Das einen Höhepunkt, eine Wende, eine Conclusio besitzt. The Damned verzichtet auf all das. Als die Momentaufnahme eines prädestinierten Untergangs bleibt Minervinis Film wie Szenen aus einem größeren Ganzen, wie das Fragment eines viel stärkeren Films, der auch mehr Biographisches erzählt und sich nicht damit begnügt, die Fotozeile aus einem National Geographic-Magazins zu sein. Das ist beeindruckend anzusehen, ist aber letztlich zu lethargisch, die Dialoge den Protagonisten zu sehr in den Mund gelegt, als dass sie tatsächlich Statements einer vorangegangenen inneren Reise wären. Den die lässt sich selten spüren.

The Damned (2024)

Monólogo Colectivo (2024)

ERST DER MENSCH, DANN DAS TIER

2/10


monologocolectivo© 2024 Viennale


LAND / JAHR: ARGENTINIEN, VEREINIGTES KÖNIGREICH 2024

REGIE / DREHBUCH / KAMERA: JESSICA SARAH RINLAND

MITWIRKENDE: MACARENA SANTA MARÍA LLOYDI, MAJO MICALE, ALICIA DELGADO, JUANITA U. A.

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Heureka, ich habe ihn gefunden: Den womöglich missglücktesten Film dieses Jahres, der Zac Snyders Rebel Moon aus dem Vorjahr ablösen wird. Monólogo Colectivo, der sehr wahrscheinlich nur auf der Viennale hierzulande das Licht der Leinwand erblickt und wohl kaum ins reguläre Kinoprogramm aufgenommen werden wird, gibt vor, ein dokumentarischer Film zu sein, welcher die Kommunikation zwischen Mensch und Tier anhand von letzteren in temporärer Gefangenschaft beleuchten will. Will heißen: Lebewesen, die in Rehabilitationszentren und Auswilderungsstätten nur darauf warten, wieder Teil eines Ökosystems zu werden, welches nicht durch Menschenhand erschaffen wurde. Wie mit diesen zerbrechlichen, vulnerablen Tieren umgehen? Filmemacherin Jessica Sarah Rinland will darauf eine umfassende Antwort geben, die abendfüllend ausfallen soll. Erhellende Erkenntnisse, berührende Momente, Information. Nach den ersten Minuten jedoch drängt sich bereits beharrlich der Verdacht auf, im falschen Film zu sitzen.

Was ist hier los? Wir sehen Menschen, die aus altem Pappkarton, alten Zeitungen und Kleister eine Kuppel, einen Globus oder was auch immer errichten – um dieses Konstrukt im Dunkeln der hereingebrochenen Nacht abzufackeln. Schön und gut. Der Zweck und der Sinn bleiben einem, sofern man sich nicht mit argentinischer Folklore auskennt, verborgen. Noch mehr verborgen bleibt der Zusammenhang mit dem eigentlichen Thema. Der Verwirrung folgt aber bald ein Aufatmen, als eine junge Frau, eine Tierpflegerin möchte ich meinen, des Nächtens durch das Gehege von augenscheinlichen Klammeraffen streift. Streicheleinheiten durch die Gitterstäbe des Verhaus gehören da auch dazu. Und wir wissen: Ja, das könnte der Film um und mit Tieren sein. Mal sehen, wie sich das ganze weiterentwickelt.

Zu meiner großen Enttäuschung leider gar nicht. Monólogo Colectivo, dessen Titel sich mir genauso wenig erschließt wie das krude Konzept hinter diesem Machwerk, sättigt sich mit überflüssigem Filmmaterial und verbreitet dadurch eine lähmende Langeweile, die bald schon zu Frustration führt. Eine vage Struktur lässt sich erkennen, ein Schauplatzwechsel, Rinland führt diesen ungefähr zwei bis dreimal durch, für längere Zeit aber verweilt sie in kulturhistorischem Kontext zu einer Zoo-Anlage in einer argentinischen Großstadt, deren Skyline ich nicht erkenne, da Aufklärung ein Fremdwort bleibt. Weder erfahren wir, an welchen Orten wir uns befinden, noch wozu die Pflege der Tiere, mit Ausnahme jener des Zoos, führen soll. Wir erfahren nur sehr rudimentär, wer hier welche Agenden verfolgt, zwischen all der Informationsverweigerung lauschen wir logistischem Funkverkehr, während die Kamera sich weigert, das Wesen der Tiere einzufangen und lieber Belangloses filmt. Es kommt aber noch schöner. Unklar bleibt, welche Prioritäten Rinland hier setzt.

Wichtig sind wohl weniger die Tiere als der Mensch und seine Handwerkerqualitäten, wenn in Mitleidenschaft gezogener Stuck auf alten Zoogebäuden restauriert, Draht geflochten oder über die Seiten antiquarischer Zooaufzeichnungen gepinselt wird. All diese Szenen, die noch dazu quälend lange andauern, haben keinerlei Relevanz für ein Thema, von welchem ich erwartet hätte, dass sich Rinland diesem annimmt. Monólogo Colectivo versagt in erster Linie vorallem in der Auswahl seiner inhaltsleeren Bilder und uninteressanten Informationen.

Erst vor kurzem konnte ich die österreichische Dokumentation Tiergarten über den Zoo Schönbrunn genießen. Genau so macht man Filme über Arterhaltung, Tierliebe und der Sinnhaftigkeit solcher Institutionen für die Erhaltung von Ökosystemen. Hier stellen sich Personen vor, sagen was sie tun, zeigen dieses auch, sprechen zum Publikum. Hier gibt es Stoff und Entertainment, Wissen, das man sich mitnehmen kann. Monólogo Colectivo bietet das alles nicht. Es werden Tiere gefüttert, und zwar auf eine Weise, die diese abhängig vom Menschen macht, statt sie auf die Wildnis vorzubereiten. Es werden Brüllaffen gestreichelt, als wären sie das persönliche Haustier. Diese Sichtweise ist eine zutiefst anthropozentrische, Dialog auf Augenhöhe mit den Arten findet auch nicht mehr statt als anderswo – das macht wütend. Und wieder erfährt man nichts, außer die Tatsache, wie selbstverliebt ein Pseudo-Essay sein kann. Man erfährt auch, dass nicht jeder, der sich Filmemacher nennt, dieses Handwerk auch beherrscht.

Monólogo Colectivo (2024)

Das Salz der Erde

WELTGEWISSEN IN SCHWARZWEISS

6/10

 

salzdererde© 2014 NFP marketing & distribution GmbH

 

LAND: BRASILIEN, FRANKREICH 2014

REGIE: WIM WENDERS, JULIANO RIBEIRO SALGADO

MIT SEBASTIÃO SALGADO, WIM WENDERS, JULIANO RIBEIRO SALGADO, LÉLIA WANICK SALGADO U. A.

 

Das Herz der Finsternis liegt nicht nur in den Dschungeltiefen Zentralafrikas, auch nicht nur in den Oberläufen der Flüsse Vietnams. Es ist dort zu finden, wo Menschen einander unterdrücken. Einer, der Licht in diese Finsternis bringt, ist Sebastião Salgado. Kenner der Fotoszene wissen: Salgado ist ein brasilianischer Fotograf, und seine preisgekrönten Schwarzweiß-Fotografien weltberühmt. Fotografieren kann natürlich jeder, und dabei kommt es, wie man weiß, nicht in erster Linie auf das technische Equipment an. Salgado fotografiert mit einer stinknormalen Kamera und ohne Stativ, das höchste der Gefühle ist ein Teleobjektiv. Worauf es also ankommt, ist das Auge dahinter. Und auf den Mut, dort zu sein, wo keiner hinwill. Zur falschen Zeit also, aber am richtigen Ort, um Bilder aus den Eiterherden dieser Welt zu schießen mit dem Risiko, dabei verlustig zu gehen. Sebastiao Salgado ist nicht das nicht passiert, zumindest nicht physisch. Seine Seele allerdings hat gelitten, so hat er es in einem Gespräch mit Wim Wenders auch tacheles zu Protokoll gegeben. Was er gesehen hat, kann nicht spurlos an einem vorüberziehen. Vor allem die Gräuel in Afrika haben ihm zugesetzt, insbesondere Ruanda und der Kongo. Von Ruanda weiß ich, dass man gar nicht mal wirklich der Katastrophe als solche gewahr werden muss – da reicht es, in einem Land unterwegs zu sein, dessen Bevölkerung Unvorstellbares erlebt hat. Die Gedenkstätten als solche habe ich mir, als ich dort war, dann auch verkniffen, aus eigener psychohygienischer Verantwortung heraus. Gut ist es, so denke ich mir, dass es jene gibt, die da genau hinsehen können, die das Objektiv drauf halten auf oft verborgenen, menschlichen Notstand. Bis gar nichts mehr geht, selbst bei denen, die das Weltgewissen erhobenen Blickes herausfordern.

Wim Wenders ist fasziniert von berufenen Weltbürgern wie Salgado einer ist. Ein Mann, der die Erde wohl so kennt wie kein zweiter, der in seinem Tun eine Pflicht sieht und gar nicht anders kann. Der überall gewesen sein mag, der jeden Winkel dieses Planeten kennt, der die Nomaden der Sahelzone besucht oder Walrösser in der Arktis aufspürt, um deren Stoßzähne im Licht der Mitternachtssonne zu fotografieren. Wenders und Juliano Ribeiro Salgado, der Filius des Fotografen, haben eine Dokumentation entworfen, die – unüblich für einen Film – vor allem aus unbewegten Bildern besteht. Aus Salgados Bildern. Ein Meisterwerk nach dem anderen wird auf den Screen geschoben, vom Künstler selbst erklärt. Es ist wie eine Diashow mit Audiokommentar. Manchmal sieht man das Foto selbst soweit verblassen, damit Salgados sprechendes Konterfei dahinter zum Vorschein kommt. Und diese Art des Interviews, diese für den Zuseher bequeme Führung durch eine Best Of-Galerie, für die dieser keinen Schritt zu machen braucht, die überall auf der Welt und auf jedem Bildschirm gleichzeitig sein kann, ist sowieso und in jedem Fall erhellend – als Film ist Das Salz der Erde aber sehr wohl ein mutiges Experiment, welches das Medium Kino mit den Features eines Lichtbild-Vortrags verbindet. Was, wie man sieht, durchaus machbar ist.

Der große deutsche Autorenfilmer geleitet also mit bedächtiger, äußerst phlegmatischer Stimme durch zwei Stunden Interview und Dokumentationsmaterial, begleitet Salgado in den Norden, zu den Lanis nach West Papua und zurück in seine Heimat nach Brasilien. Wenders filmt manche Szenen selbst in Schwarzweiß, um Salgados Fotostil nachzuahmen, in manchen Szenen – vor allem in jenen, die von Instituto Terra, einem Verein zur Wiederaufforstung des Regenwaldes, erzählen – auch in Farbe. Stilistisch ist das Ganze relatives Patchwork, auf Spielfilmlänge zusammengeschnitten, und wenn man mal die eindrucksvollen Bilder des Fotokünstlers ausklammert, bleibt vom Film selbst nichts als Routine, natürlich die eines Profis. Aber haben das Dokus nicht so an sich? Dass es mehr um den Inhalt geht, um das, was bei all der Investigation herauskommt, und weniger um filmtechnische Besonderheiten? Wohl eher, würde ich meinen. Daher sind Dokus nicht zwingend etwas fürs Kino. Bei Das Salz der Erde aber habe ich so meine Zweifel, sorgt das Element der Diashow doch für die nötige Wucht, auch wenn Salgados Werke wie bei der Besprechung eines Kunstwerkes aus der Serie 1000 Meisterwerke (lief früher mal im Fernsehen) in statischer Ruhe wie Schwarzbuch-Dokumente eines finsteren Zeitalters irgendwann von berauschenden Momentaufnahmen unserer Natur abgelöst werden. Das ist typisch Wim Wenders, der selten hudelt, sich stets Zeit nimmt für sein Gegenüber, und sich auch hier in dessen Erinnerungen verliert und aus einem Künstlerportrait ein biographisches Essay über das Schwarze und Weiße unserer Welt erdenkt. Das ist bereichernd, faszinierend, aber auch seltsam versucht, nicht nur Salgados, sondern auch Wenders innerer Einkehr zu folgen.

Das Salz der Erde

Homo Sapiens

WAS WIND, WASSER UND LICHT ERZÄHLEN

5/10

 

Homo Sapiens© 2016 Geyrhalter Film

 

LAND: ÖSTERREICH 2016

REGIE: NIKOLAUS GEYRHALTER

DREHBUCH: NIKOLAUS GEYRHALTER

KAMERA: NIKOLAUS GEYRHALTER

 

Im Buch Die Welt ohne uns beschreibt Autor Alan Weisman sachlich und mit sehr viel Vorstellungskraft, was wohl wäre, wenn Homo sapiens von einem Moment auf den anderen verschwinden würde. Wie lange würden die Relikte unserer Zivilisation noch sichtbar bleiben? Was wird nur sehr langsam verschwinden, was gar nicht? Diese Lektüre hat etwas Befreiendes, tröstendes, zumindest für unsere geknechtete Mutter Erde, wenn sie lesen könnte. Ist aber auch beklemmend genug, wenn es darum geht, was mit all den Atommüll-Endlagern letzten Endes passiert. Oder wer als letzter das Licht in den AKWS abschaltet. Dabei kommt die Geißel des Plastikmülls als langanhaltender Atem tatsächlich zu guter Letzt. Die Erde, die muss sich angesichts dessen beeilen, wenn sie nicht mehr an den Menschen erinnert werden will. Ob sich das noch ausgeht, bis die Sonne zum roten Riesen mutiert, bleibt dahingestellt. Der Mensch ist eben ein so nachhaltiges wie nachlässiges Wesen. Was morgen ist, kommt nach der Sintflut – oder so ähnlich.

Dieses Morgen hat sich Dokumentarfilmer Nikolaus Geyrhalter mal so richtig zur Brust genommen – und Orte aufgesucht, die der Mensch bereits hinter sich gelassen hat. Die Welt ohne uns nach Alan Weisman existiert in entropischen Enklaven bereits jetzt schon. Das themenverwandte Werk Homo sapiens ist darüber hinaus ein Film, der die Grenzen des gewählten Mediums auslotet – und dennoch ein Film bleiben muss. Geyrhalter´s Meditation auf den Verfall ist wohl einer von ganz wenigen Werken, die gänzlich ohne Sprache auskommen. Filme ohne Menschen, das ist keine Seltenheit. Ohne Verbalisieren irgendeines Zustandes oder eines Bedürfnisses – das ist schon gewagt, von einem fehlenden Score mal ganz zu schweigen. Das würde ja schließlich den Menschen wieder ins Spiel bringen. Und um den Menschen einmal ganz wegzudenken, braucht es  – gar nichts. Nur einen einzigen Blick auf das Ganze, auf den Untergang, auf die Rückeroberung der Elemente. Was zu hören ist, und zwar in fabelhaftem Sound, ist der Wind und das Wasser, die mit Staubpartikel reflektierendem Licht Fragmente des Erfassten bewegen, stören, sukzessive verändern. So radikal wie Homo sapiens ist selten ein Film, das ist eine Konsequenz, die Vergleiche nicht zu scheuen braucht. Das ist eine Ablehnung des Fortschritts in seiner Reinkultur. Das Ende ist hier wie ein neuer Anfang, eine neue Ordnung der Natur, der Welt und seinen Gesetzen, die es auch ohne den Menschen geben muss. Geyrhalter´s Film klammert den egozentrischen Zweibeiner aber nicht ganz aus – er bleibt Betrachter. Denn ohne Betrachtung existiert nicht mal dieser Film – oder doch?

Genug des Philosophierens, das übernimmt Homo sapiens ohnehin und entlässt seinen Betrachter in sachte Bewegtbilder des Vergänglichen. Irgendwo hüpft eine Kröte durchs Bild, und Tauben flattern ein und aus, zwischen all dem entsorgungsreifen Vermächtnis ohne Nutzen. Zu gerne hätte ich gewusst, wo Nikolaus Geyrhalter unterwegs war. Die einzelnen Orte sind unterteilt durch Blackouts, ohne zu verraten, wohin die nächste Reise geht. Ehrlich gestanden ist mir trotz aller Achtbarkeit für Geyrhalter´s Konzept die Enthaltung jeglicher Information zu wenig. In Michael Glawogger´s grandiosem Filmvermächtnis Untitled gibt es ähnliche Szenen, die allerdings mit Worten aus dem Off erst so richtig Sinn machen und eigene Gedanken zum Laufen bringen. Gerne hätte ich gewusst, wo die Welt ohne uns bereits existiert, wo kein Mensch mehr irgendetwas verloren zu haben scheint, wo sich das Leben neu erfinden muss. Geschichten hinter dem Ende, und wären es nur Textzeilen gewesen – schade um das sekundenlange Dunkel dazwischen.

Panorama-Tableaus aneinanderzureihen, wie Homo sapiens es macht, das langt für eine Multimedia-Installation für Kunstkammern der Moderne, dem 21er Haus oder für das Mumok in Wien. An die Wand projiziert und im Endlos-Loop. Großartig fotografiert und trotz seiner gerümpelhaften Statik unerwartet intensiv, ist das Doku-Essay fürs Kino nach meinen Begriffen viel zu enthaltsam und geizt mit Informationen, die dem interessiert selbstreflektierenden Betrachter allerdings zugestanden wären.

Homo Sapiens

Atlantic

DES MEERES UND DER LIEBE WELLEN

7/10

 

Atlantic© 2014 Thimfilm

 

LAND: NIEDERLANDE / BELGIEN / DEUTSCHLAND / MAROKKO 2014

REGIE: JAN-WILLEM VAN EWIJK

MIT FETTAH LAMARA, THEKLA REUTEN, MOHAMED MAJD, BOUJMAA GUILLOUL U. A.

 

Stürmisch ist er. Saukalt. Strömungs- und nährstoffreich – der atlantische Ozean. Nicht gerade das Meer zum Chillen, aber das Meer, um den starken Sportler zu markieren und zu surfen, was das Zeug hält. Die Küsten Marokkos und jene der kanarischen Inseln sind das Paradies für Wellen-Junkies schlechthin. Wer ein Surfbrett hat, hat den Sinn seines Lebens gefunden. Und gehört fortan zu einer Gruppe von Menschen, die mit Dreadlocks, kurzen Schlabberhosen und einer gehörigen Portion Lässigkeit das Leben auf die leichte Schulter nehmen. Um meterhohen Wasserbergen zu trotzen gehört schon eine Portion rotzfrecher Todesmut. Und nach jeder unversehrten Rückkehr an den Strand ist die Existenz um einige Fuhren Küstensand leichter. Womit wir beim Subgenre des Surfer-Films wären. Tatsächlich gibt es Festivals wie jene des Bergfilms, die sich ausschließlich den gefilmten Loops mit Brett und Segel widmen. Womöglich nur was für Surfer-Nerds, obwohl auch Nicht-Dudes so mancher cineastischen Spezialität neben all den atemberaubenden Stunts auch andere Aspekte abgewinnen können. So gesehen bei Atlantic, einer entrückend poetischen Filmerzählung, die den Wassermassen zwischen alter und neuer Welt in den schönsten Lichtreflexionen huldigt und einen Fischersohn namens Fettah auf eine Reise schickt, von welcher er womöglich nicht mehr zurückkehren wird.

Der niederländische Filmemacher Jan-Willem van Ewijk hat ein elegisches Essay über die Sehnsucht nach einem besseren Leben inszeniert, ohne sich dabei aber explizit auf die Charakterisierung des Flüchtlings an sich zu beschränken. Sein Film fordert mehr Fragen und Skepsis zutage als es anfangs den Anschein hat. Denn der Laiendarsteller und Surfer Fettah, der von van Ewijk für eine Rolle selbes Namens gecastet wurde, gibt sich seinen Träumen hin. Den Träumen von einem Leben in einem Elysium des Westens, in einem gelobten Land, wo Milch und Honig fließen, wo es allen besser geht, wo das einzig erstrebenswerte Ziel des materiellen Wohlstands so nah ist wie nirgendwo sonst. Es ist weniger die Schwärmerei für eine junge Frau, die den jungen Fischer und Surfer beeindruckt, sondern der Ort, von wo dieses Wesen aus dem Westen herzukommen scheint. Längst an einen Freund Fettah´s vergeben, entspinnt sich zwischen beiden dennoch eine fast schon intime Vertrautheit – die aber nicht mehr sein kann als ein sommerlicher Flirt, dessen Buschfeuer relativ schnell verraucht. Der Mann aus Afrika will aber mehr. Was genau, darüber lässt uns van Ewijk eigentlich im Unklaren. Sein Abenteurer will das, was durch den Besuch sämtlicher Touristen plötzlich so greifbar nah erscheint. Will das, was er eigentlich gar nicht kennt, und über die Maßen idealisiert. Es ist die eigene Unzufriedenheit, die das Auswandern in ein besseres Leben rechtfertigen soll. Das eigene kleine Glück, die Wertschätzung vertrauter Menschen, greifbare Werte, die bleiben, wenn nichts mehr bleibt – selbst die einfordernden Rufe nach Rückkehr bleiben angesichts des Wagemuts, die Grundrechte auf das Menschenmögliche einzufordern, ungehört.

So fängt der junge Mann und das Meer keinen Marlin, der an der Angel hängt und wie bei Hemingway während der Fahrt zurück ans Ufer aufgefressen wird – vielmehr orientiert sich der Glückssucher an den Gestirnen, und verliert dennoch die Orientierung. Mag sein, dass ich Atlantic völlig falsch eingeschätzt habe. Doch das, was mir van Ewijk´s Film vermittelt, ist kein Manifest, dass Mut macht oder den Mutigen bemitleidet. Nichts, was den Flüchtenden besser verstehen lässt. Im Gegenteil. Die Sehnsucht nach dem Mehr im Leben taucht im Meer des Lebens auf poetische, zurücknehmend kritische Weise als Fragment in der kalten Strömung unter.

Atlantic