Die nackte Kanone (2025)

HARDBOILED-UNSINN TO GO

6/10


© 2025 Paramount Pictures


ORIGINALTITEL: THE NAKED GUN

LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: AKIVA SCHAFFER

DREHBUCH: DAN GREGOR, DOUG MAND, AKIVA SCHAFFER

KAMERA: BRANDON TROST

CAST: LIAM NEESON, PAMELA ANDERSON, PAUL WALTER HAUSER, KEVIN DURAND, DANNY HUSTON, CCH POUNDER, LIZA KOSHY, CODY RHODES U. A.

LÄNGE: 1 STD 25 MIN 


Nicht wegen seiner filmischen Brillanz hat Frank Drebins Ersteinsatz in einem abendfüllenden Spielfilm für mich den Stellenwert eines Meilensteins. Sondern weil dieser die erste VHS-Kassette war, die ich besessen habe. Geschenkt bekommen im Rahmen einer meiner selten geschmissenen Geburtstagsfeiern als gerade mal vor dem Teenageralter stehender Bursche, war mir die Art und Weise des Brachialhumors dank eines Filmes namens Top Secret nicht ganz fremd, andererseits aber entlockte mir die Nonsens-Revue mehr Verwunderung als gellende Lacher, vom Schenkelklopfer ganz zu schweigen. Was die Zucker-Brüder und Jim Abrahams da geschaffen hatten, war eine ganze Reihe an verbalen Missverständnissen, Zweideutigkeiten und surrealen Fehltritten, die nicht selten ganze Kettenreaktionen katastrophalen Slapsticks nach sich zogen. Wen kümmerte das gar nicht? Frank Drebin, Spezialeinheit. Mit Leslie Nielsen, der ja zuvor schon diesen Rechtsvertreter in der zumindest in den USA wenig erfolgreichen Serie Police Squad verkörpert hat, mauserte sich Die Nackte Kanone zum Guilty Pleasure unter jenen, denen nichts zu blöd sein konnte und die in der Gruppe so sehr dem Schwachsinn huldigten, dass sich noch Jahrzehnte später so mancher Gag als Dauerzitat im Alltag etabliert hat. Kein Auge trocken blieb auch bei den beiden Fortsetzungen, die in Sachen Humor die Klinge zwar nicht verfeinerten, aber noch viel wilder herumschwingen ließen.

Siebenunddreißig Jahre später, bis auf Priscilla Presley hat der Main-Cast bereits seinen Platz im jenseitigen Olymp des Unterhaltungsfilms eingenommen, schieben die Verantwortlichen nun einen wie Liam Neeson ins Sperrfeuer schlüpfriger und trivialer Gags, die manchmal aber, um mit der Zeit zu gehen, ein bisschen mehr Understatement besitzen als früher. Ich wiederhole: Nur manchmal. Und auch wenn der Trailer mich wohl kaum ohne der Intervention meines Sohnes dazu bewogen hätte, mir mit diesem Unsinn meine Zeit zu verschwenden: Das Gesamtergebnis unterm Strich fällt deutlich weniger fragwürdig aus als gedacht. Natürlich liegt das nicht unwesentlich an einem wie Neeson, der wohl weniger als Humorgranate bekannt ist und mit Filmen wie Excalibur (dort gab er den Tafelritter Gawain) und erst recht mit einem der größten Filme aller Zeiten, nämlich Schindlers Liste, Ruhm erlangte. Der Weg von einem wie Oskar Schindler, der mehr als tausend Juden vor der Vernichtung bewahrte, bis hin zu Frank Drebin, die Neuauflage, ist ein weiter. Und ja, es ist genug Wasser die Donau hinuntergeflossen, um so manche Charakterrolle hinter sich lassen zu können. Neeson hat zuletzt wiederholt in Schema F-Kriminaldramen den alternden Moralisten und manchmal auch den alternden Killer mit weichem Kern gegeben, der im Alleingang die wirklich Bösen aufzumischen hatte. Manchmal etwas zu antriebslos, manchmal völlig lustlos, manchmal motiviert durch manchen Co-Star. Jetzt macht er sich über sich selbst lustig, und über all diese Hardboiled-Krimis und Cop-Thriller und den ganzen Klischees und stereotypischen Formeln, die dieses Genre in seiner Innovation hemmen.

Dabei kommt der Humor aus der Konserve. Saturday Night Live-Macher Akiva Schaffer dürfte Leslie Nielsens Vermächtnis eingehend studiert haben – entsprechend zielsicher schmückt sich Drebin Jr. mit dem Erbe seines chaotischen Vaters. Neu erfunden wird hierbei nichts, lediglich variiert. Diese Variation alleine trifft mitunter die Pointe, und ja, auch bei dieser Menge an Sex-Witzen muss man sich, wenn man das eigene Niveau zumindest temporär runterschraubt, gar nicht so sehr fremdschämen. Was der Kalauer-Cop letztlich mit Buffy, der Vampirjägerin zu tun hat oder warum er sich um alles in der Welt der Rache eines Schneemanns aussetzen muss – dafür gibt es nicht die geringste Erklärung.

Vielleicht aber ist gerade dieses völlig Absurde die wahre Stärke dieses straffen 80-Minüters, der die Kuh nicht melkt, bis sie sauer wird. Obendrein tritt nicht nur Liam Neeson, sondern auch Pamela Anderson souverän in die Fußstapfen von Priscilla Presley, die hier einen klitzekleinen Cameo hat. Letztlich sollen sich beide ja ineinander verknallt haben. Doch das wundert mich nicht. Die Harmonie stimmt. Und wenn jazzige Saxophonklänge das schwülstige Raunen des schrägen Detectives aus dem Off begleiten, sind die meisten Schäfchen im Trockenen.

Die nackte Kanone (2025)

The Fantastic Four: First Steps (2025)

SCIENCE-FICTION VON GESTERN

6/10


© 2025 20th Century Studios / MARVEL


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: MATT SHAKMAN

DREHBUCH: JOSH FRIEDMAN, ERIC PEARSON, JEFF KAPLAN, IAN SPRINGER, KAT WOOD

KAMERA: JESS HALL

CAST: PEDRO PASCAL, VANESSA KIRBY, EBON MOSS-BACHRACH, JOSEPH QUINN, JULIA GARNER, RALPH INESON, PAUL WALTER HAUSER, MARK GATISS, SARAH NILES, NATASHA LYONNE, MATTHEW WOOD U. A.

LÄNGE: 1 STD 54 MIN


Im Rahmen der so gut wie alle Aspekte abdeckenden Ausstellung auf der niederösterreichischen Schallaburg zum Thema Träume gibt es ein bibliophiles Exponat, ein sogenanntes Sticker-Album, wie es Kinder gerne haben, stammend aus den Sechzigern, in welchem Visionen der Zukunft dargestellt werden. Genau so stellte sich damals die zivilisierte Welt die nächsten Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte vor. Wie niedlich. Wie naiv. Und wie formschön!

Diese Art und Weise des Vorausdenkens nennt man Retro-Futurismus. Perry Rhodan-Leser der ersten Stunde schätzen die Cover-Artworks der Romanhefte, die nach wie vor das Auge erfreuen und jeden Roman-Shop schmücken: Stromlinienförmige Vehikel in der Luft; Roboter, deren Mechanik infantil erscheint. Urbane Stadtbilder mit tropfen- und zapfenartigen Türmen, Brücken und schwebende Boliden, alles aus einem Guss. Jetzt ist dieser liebreizende Stil auch im Marvel-Universum angekommen. Mitgeliefert im narrativen Rahmen des Multiversums, das seinerzeit Dr. Strange, aber auch Loki, der schabernacktreibende nordische Halbbruder Thors, erst möglich gemacht haben. Was wir in The Fantastic Four: First Steps zu sehen bekommen, ist die Erde 828, also nicht jene Erde, auf welchem sich der eigentliche Erzählfaden des MCU abspielt (die wäre 616). Hier ist alles ganz anders, gibt es keine Avengers und keine sonstigen Superhelden. Auch kein Wakanda, auch keine Secret Invasion, kein Daredevil und kein Punisher: Hier haben sich drei Astronauten und eine Astronautin zu einer dritten Macht vereint, die nach einem Weltraumausflug und einigen Turbulenzen nun sagenhafte Kräfte besitzt, die den vier Elementen entsprechen. Eine schöne Idee, die Stan Lee und Jack Kirby hier hatten. Diese vier leben in einer Welt, die man in einem Reisekatalog für Science-Fiction-Fans der früheren Generationen erfolgreich anpreisen könnte. Und zugegeben: Der Look des Films schlägt die Story, er schlägt so gut wie alles, was in Matt Shakmans neuem Anlauf zu den Fantastic Four zu erleben sein wird.

Shakman hat seine Liebe zu konsequenten Stilwelten nicht erst mit diesem Film hier entdeckt, schließlich war er verantwortlich für eine der originellsten Beiträge zum MCU, die es bisher gibt: WandaVision. In dieser neunteiligen Mini-Serie entdecken Hexe Wanda Maximoff und ihr Geliebter Vision, die längst eine Sitcom-Familie gegründet haben, dass nichts so ist, wie es scheint. Dabei unternimmt Shakman eine Zeitreise durch Jahrzehnte des Fernsehens, von antifeministischer Küchen-und Familienordnung der Fünfziger in Schwarzweiß bis zur farbintensiven Serienschwemme der Neunziger in grellen Outfits. Er weiß also, wie stilsicher man seine Settings errichten kann. So hat auch dieses Abenteuer tief in die Designer-Kiste gegriffen und eine akkurate Welt komponiert, die man so und in diesem Ausmaß noch nicht gesehen hat. Hinzu kommen Weltraumszenen in der Dynamik vergangener Science-Fiction aus dem Röhren-TV, die abermals an die gute alte Vorstellung grenzenloser Weiten erinnern. Schön ist das. Und gleichzeitig völlig überhastet.

Denn es ist nicht so, dass die Fantastic Four hier ihre First Steps auf dem Filmparkett klackern lassen: Die Helden haben, und das erfahren wir im Rahmen einer Fernsehshow, moderiert von Mark Gatiss, schon einiges erlebt, was wir nicht wissen. Dazu gehört die Auseinandersetzung mit einem gewissen Mole Man, der unter der Erde das Volk der Subterraner anführt. Was haben wir verpasst? Naja, so einiges. Dafür hätte es in manchen Lichtspielhäusern großer Kinoketten ein Prequel-Comic gegeben, das mir aber niemand in die Hand gedrückt hat. Doch wie auch immer: Jetzt ist Sue Storm aka Richards (weil verheiratet mit Reed Richards, dem Gummi-Mann) schwanger und fliegt unter diesen Umständen ins Unbekannte, um eine Bedrohung abzuwenden, die sich Galaktus nennt. Auch dieser Hüne wurde von Lee und Kirby erschaffen und gilt als Weltenverschlinger. Der Silver Surfer (diesmal eine Frau), stets in dessen Diensten, hat diesmal die Erde als Appetithappen ausfindig gemacht. Und ja: Der von Ralph Ineson verkörperte Gigant lässt Thanos geradezu mickrig aussehen – Godzilla hingegen nicht. Der Riese, ehemals ein normales humanoides Wesen vom Planeten Taa, plagt ein astronomischer Hunger, und nicht ganz freiwillig muss Terra seinen Magen füllen. Da Shakman eigentlich nur zwei Stunden Zeit hat, um erstens die Vier neu vorzustellen und zweitens diese stattliche Bedrohung so abzuwenden, dass der Film auch sein Ende findet, hechelt das Abenteuer ruhelos durch eine sprunghafte Abfolge schnell durchdachter Initiativen, die in völlig unrealistischen Zeiträumen in die 828-Realität umgesetzt werden. Hier hapert es gewaltig mit inhärenter Plausibilität und Timing, hapert es mit dem Fehlen einer Vorgeschichte und einer Storyline, die einer grob zusammengezimmerten Inhaltsangabe gleichkommt, die man vielleicht auf Wikipedia liest.

Visuell ist The Fantastic Four: First Steps erste Sahne, nebenher jedoch will der Film zu viel erzählen und erreicht damit genau das Gegenteil. Im Endeffekt ist man zwar informiert, aber emotional kaum beteiligt.

The Fantastic Four: First Steps (2025)

The Instigators (2024)

GEMEINSAM WACHSEN DURCH DIE KRISE

5/10


theinstigators© 2024 Apple TV+


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: DOUG LIMAN

DREHBUCH: CASEY AFFLECK, CHUCK MCLEAN

CAST: MATT DAMON, CASEY AFFLECK, HONG CHAU, MICHAEL STUHLBARG, VING RHAMES, PAUL WALTER HAUSER, RON PERLMAN, ALFRED MOLINA, TOBY JONES, RICHIE MORIARTY U. A.

LÄNGE: 1 STD 41 MIN


Nimmt man Matt Damon seine psychischen Probleme ab? Ganz zu Beginn des Films quält sich der souveräne Akteur durch eine Therapiesitzung mit Hong Chau, die eine Engelsgeduld aufbringen muss, weil sie ihrem Patienten alles aus der Nase zieht. Vieles ist im Argen bei Damons Figur, von welcher man nicht viel mehr erfährt außer dass Alimente gezahlt werden müssen, sonst rückt das Besuchsrecht für den Filius in weite Ferne. Die Bereitschaft, sich mit Suizid aus der Affäre zu ziehen, macht klar, dass wir es mit einer Person zu tun haben, die bereit ist, alles aufs Spiel zu setzen, um an das nötige Geld zu kommen. Auf der anderen Seite rückt Casey Affleck ins Bild – beide standen bereits für Gus van Sants surreal-experimentellem Survivaldrama Gerry vor der Kamera. Der stets auf eine coole Art lethargische Schauspieler mit der Scheiß-drauf-Attitüde und der raunenden Stimme wird genauso wie sein Buddy Damon für einen Heist-Coup engagiert: Es geht um die Millionen des korrupten Bürgermeisters Miccelli (unerwartet blass: Ron Perlman), die während einer Wahlfeier – denn alle Welt geht davon aus, dass es sich der windschiefe Politiker wieder mal gerichtet haben wird – den Besitzer wechseln sollen. Natürlich geht das Vorhaben schief und alle Welt hängt an den Fersen der beiden ungleichen Leidensgenossen, die notgedrungen ins Teamwork übergehen müssen, um heil aus der Sache herauszukommen – und um vielleicht doch ganz nebenbei ein bisschen was abzustauben. Zu viel Konkurrenz verdirbt dann doch recht schnell den Brei, und am liebsten wäre man wieder auf der Couch von Hong Chau, was die beiden dann auf eine Idee bringt.

Wenn ein Coup auf groteske Weise schiefgeht, vermutet man dahinter gerne Joel und Ethan Coen, die eine diebische Freude daran haben, ihre ambivalenten Protagonisten dem selbst verschuldeten Untergang zu weihen. Pechvögel lukrieren schließlich die meisten schadenfrohen Lacher, zumindest ein Wertebewusstsein, das nicht dem Mammon frönt, wünscht man ihnen an den Hals. Bei Damon und Affleck ist das genauso. Beide haben Besseres verdient, die Butterseite eines soliden Lebens zumindest. Ihre Sympathiewerte und nachvollziehbaren schlechten Entscheidungen, die man wohl auch selbst so getroffen hätte, erschweren es dem Zuschauer nicht gerade, mit The Instigators (auf deutsch: Die Anstifter) warm zu werden. Was sie also anstiften, ist eine ganze Kettenreaktion an Schwierigkeiten, Actionszenen und situationskomischen Einfällen, die alles in allem aber angesichts der Tatsache, hier einen Actionprofi am Schaltpult zu wissen, viel zu hastig durchgekaut werden, um nachhaltig in Erinnerung zu bleiben.

Selbst ein paar Tage nach Sichtung dieses auf Apple TV+ veröffentlichten, bis in die Nebenrollen erstaunlich namhaft besetzten Star-Vehikels tue ich mir schon etwas schwer, mich an all das zu erinnern, was in The Instigators so passiert ist – und das liegt nicht an meiner altersbedingten zunehmenden Vergesslichkeit (hoffe ich). Das liegt wohl eher an einem relativ generischen Drehbuch, dass den Spaßfaktor gescheiterter krimineller Handlungen strapaziert, ohne dabei mit frischen Ideen frischen Wind durchs Genre zu jagen. Als etwas abgestanden mag der Film bezeichnet werden: abgestanden und – was Auftragsarbeiten, denen wenig Herzblut anhaftet, so eigen ist – auf lieblose Weise inszeniert, dabei aber so hyperaktiv erzählt, nur um die Austauschbarkeit des Projekts mit übertriebenem Elan zu übertünchen.

In Erinnerung bleibt nicht mal Matt Damon, dafür aber Casey Affleck, der als dauerlamentierender Ex-Knacki auf staubtrockene Weise den Dialog sucht. Sein Sarkasmus mag man auf der Habenseite verbuchen. Sonst aber überzeugt diese filmische Routine nur bedingt.

The Instigators (2024)

Alles steht Kopf 2 (2024)

DAS HÄLT MAN JA IM KOPF NICHT AUS

8/10


INSIDE OUT 2© 2023 Disney/Pixar. All Rights Reserved.


ORIGINALTITEL: INSIDE OUT 2

LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: KELSEY MANN

DREHBUCH: MEG LAFAUVE, DAVE HOLSTEIN

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): AMY POEHLER, PHYLLIS SMITH, TONY HALE, LEWIS BLACK, LIZA LAPIRA, MAYA HAWKE, AYO EDEBIRI, ADÈLE EXARCHOPOULOS, PAUL WALTER HAUSER, KENSINGTON TALLMAN, DIANE LANE, KYLE MCLACHLAN U. A.

MIT DEN STIMMEN VON (DEUTSCHE SYNCHRO): NANA SPIER, PHILINE PETERS-ARNOLDS, OLAF SCHUBERT, HNS-JOACHIM HEIST, TANYA KAHANA, DERYA FLECHTNER, OLIVIA BÜSCHKEN, JESSICA WALTHER-GABORY, BASTIAN PASTEWKA U. A.

LÄNGE: 1 STD 36 MIN


Wie bringt man so etwas Abstraktes wie die Vielfalt der eigenen Emotionen in die Gussform einer Coming of Age-Story, die hauptsächlich nur zeigt, was in einem Menschen vorgeht, insbesondere eines jungen Menschen, der mit all diesen Gefühlen erstmal auf Kennenlernkurs gehen und sich dann selbst als Person und Charakter definieren muss? Hinzu kommen Werte, Überzeugungen und Glaubenssätze, dunkle Geheimnisse, verdrängte Erinnerungen. Alles, was das Gehirn als ein Wunderding chemischer Prozesse und als Antwort auf die Außenwelt, die einen formt, produziert? Am besten verlässt man sich da auf Pixar. Denn Pixar bringt interagierende Emotionen als Bilderbuch auf Schiene, gibt Freude, Kummer, Ekel, Angst und Wut eine knuffige Gestalt, mit der sich das Publikum leicht identifizieren kann, weil sie liebenswert erscheinen, auch wenn sie etwas verkörpern, dass uns gut und gerne verstimmt. Pixar hat sich darin bewährt, Abstraktes greifbar zu machen und ein komplexes System in seinem Workflow so weit zu simplifizieren, dass es selbst die Jüngeren (aber nicht die ganz Jungen) verstehen. Was da abgeht, verstehen nicht mal wir Erwachsenen, umso hilfreicher sind Filme wie Alles steht Kopf, die uns auf spielerische Weise verdeutlichen, womit wir tagtäglich zu ringen haben.

Ein junger Mensch taucht in seine Gefühle ein wie ein Pionier, der eine Landmasse neu entdeckt. Die eingangs erwähnten Emotionen sind allesamt noch da, sie sind nach wie vor chaotisch, finden aber einen gewissen Rhythmus in ihrem Tun. Bis eben die Pubertät im Alarmstufe Rot-Modus alle aus dem geordneten Schlaf holt. Die Stunde des Erwachsenwerdens hat geschlagen, die nun dreizehnjährige Riley erfährt zum ersten Mal in ihrem Leben, wie es ist, zu sich selbst zu stehen und ihr Tun zu hinterfragen. Sie beginnt, an die Zukunft zu denken und Prioritäten zu setzen, sie setzt sich dem sozialen Biotop eines Eishockey-Camps aus und biedert sich einer bewundernswerten Clique an, während ihre beiden langjährigen Freundinnen, die noch dazu nächstes Jahr an eine andere Schule wechseln, sehen müssen, wo sie bleiben. In Rileys Kopf entern nun ganz andere, neue Emotionen die Schaltzentrale – vor allem der Zweifel gibt den Ton an, begleitet von Neid, Gleichmut und Peinlichkeit. Grandios: als fünfte Emotion im Schlepptau gibt sich die Nostalgie als schicke alte Oma ein Stelldichein. Was dann passiert, ist fast schon mit einem Putsch der Gefühle zu bezeichnen, die Klassiker werden verdrängt und landen im Hinterstübchen, der Zweifel beginnt, ohne es zu wollen, Rileys Persönlichkeit zu ändern und zu verleugnen.

Was Zweifel mit einem machen, stellen Drehbuchautorin Meg LaFauve (dier schon am ersten Teil mitgeschrieben hat) und Kelsey Mann auf eine Weise dar, die klüger nicht sein könnte. Pixar übertrumpft mit seinem Sequel noch bei weitem das Original, die surreale Hirnlandschaft eines Mädchens wird abermals zu einer abenteuerlichen Terra incognita mit bekannten Ecken, aber auch neuen „Naturkatastrophen“ wie dem Sarkasmusgraben oder den zeppelingroßen Ballons, die die mögliche berufliche Zukunft Rileys darstellen. Ideen wie diese sind Gold wert, mit viel Bedacht bringt Alles steht Kopf 2 diese irreale und doch so reale Welt zum Beben und Leben, alles hat seinen Platz, seine Funktion, seinen Sinn.

Natürlich folgt Kelsey Manns Film der fast schon generischen Problemwelt eines Mädchens, all das kennen wir aus Schulfilmen von John Hughes und vielen ähnliche Serien wie Wunderbare Jahre. Das alles ist nicht neu, fast schon psychosoziales Lehrbeispiel – doch durch diesen Dreh, mit dem das Innere sichtbar wird – diese Welt aus Gedanken, zuckenden Synapsen und schwer kontrollierbaren Emotionen – gerät Alles steht Kopf 2 so packend wie ein Psychothriller, so fordernd wie eine Therapiesitzung und ist tatsächlich auch imstande, Gänsehaut zu erzeugen. Klarerweise müssen die Verantwortlichen auch darauf achten, den sehr jungen Part ihrer Zielgruppe nicht aus den Augen zu verlieren – manch infantile Momente wirken daher wie im falschen Film, den Kleinen dürfte es aber gefallen. Von mir aus, in Kauf genommen, schließlich ist alles andere auf den Punkt inszeniert und animiert, mit Alles steht Kopf 2 hat das Team von Pixar schließlich wieder jenen Tiefgang erreicht, den es zuletzt mit Soul hatte. Darin, das Formlose sichtbar werden zu lassen und neue Welten zu erforschen, liegt die Stärke dieses Studios. Beim nächsten Mal, ich ahne es schon, könnte die Liebe ins Spiel kommen. Das Beste wäre aber, Riley ihr ganzes Leben lang zu begleiten. Denn jede Phase davon wäre ein Film wie dieser wert.

Alles steht Kopf 2 (2024)

Cruella

RACHE WIRD SCHWARZWEISS SERVIERT

7,5/10


cruella© 2021 The Walt Disney Company


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: CRAIG GILLESPIE

CAST: EMMA STONE, EMMA THOMPSON, PAUL WALTER HAUSER, JOEL FRY, MARK STRONG, EMILY BEECHAM U. A. 

LÄNGE: 2 STD 13 MIN


Es ist wie es ist: Die Bösen sind die Guten. Sie sind die, an die man sich erinnert. Sie sind die besseren Charakterköpfe und sprechen als psychisch labile Schmerzensschwestern und -brüder den eigenen alltäglichen Unzulänglichkeiten viel mehr aus der Seele als jemand, der alles im Griff hat. Der Neid könnte einen fressen bei jenen, die sich herkulesgleich die Schulter entstauben. Doch was wäre das – andersherum – für ein ethisches Weltbild? Es wäre erschütternd – aber griffiger. Das Böse ist immer verführerischer. Das Böse bietet viel mehr Bühne. Zum Beispiel für einen Straßenclown, der zu Batmans Nemesis wird. Oder für einen ungestümen Jedi, der drei Sequel-Teile lang zu Darth Vader mutiert. Sie alle haben ihre eigenen faszinierenden Origin-Story, da sich die dort innewohnende zynische Weltsicht so verlockend frei anfühlt. Die vorab erlittenen Schicksale bleiben dabei entbehrlich. Nur das Endprodukt fährt – der Rest macht es nur nachvollziehbar.

Zu den klassischen Antagonisten Hollywoods zählt natürlich auch jene Dame, die man eventuell als Joker der Modewelt bezeichnen könnte. Der Teufel trägt also Prada? Mitnichten – denn Cruella de Vil hat ihre eigene Kollektion. Im Zeichentrick-Kultfilm 101 Dalmatiner ist sie es, die davon träumt, einen Mantel aus Dalmatinerfell zu besitzen und den Rassehunden Pongo und Perdita hinterherjagt (oder besser gesagt: sie lässt hinterherjagen), da sie es ja nicht nötig hat, einen Finger zu rühren. Wie es dazu kommt? Die Antwort darauf hat nun Craig Gillespie hingelegt – und lässt dabei Emma Stone die Gelegenheit beim Schopf packen. Die wird nach dem gewaltsamen Tod ihrer Mutter in London von den zwei Waisen Jasper und Horace (wir erinnern uns an den Zeichentrickfilm) gefunden und kurzerhand in ihre Diebesgang aufgenommen. Die Brieftaschen der Londoner Bevölkerung stapeln sich in deren Unterschlupf. Die Zeit vergeht und Estella, die ihre Liebe zu Schneiderei und Mode an sich selbst auslebt, träumt davon, in der superschicken Modeboutique der Stadt zu arbeiten. Die Gelegenheit ergibt sich bald, allerdings beschränken sich da die Aussichten auf den sanitären Bereich. Doch auch später meint es das Schicksal gut – und wie durch eine Fügung desselben landet der kreative Kopf im Atelier der Modezarin Baroness von Hellman. Einer Patronin, angesichts jener Meryl Streep als Miranda Priestley fast schon erscheint wie Mutter Theresa. Doch so viel Herzenskälte ist fast schon egal – wenn Estella tun kann, was sie immer schon tun wollte. Bis sie dahinterkommt, dass die affektierte Lady so einiges mit dem Tod ihrer Mutter zu tun hat.

Viel schiefgehen kann da wirklich nicht, wenn sich Emma Stone ins Zeug legt. Die Oscar-Preisträgerin für La La Land ist auch diesmal wieder ein Energiebündel an Ausdrucksstärke und Emotion – fad geht anders. Da kommt so eine schillernde Antagonistin wie Cruella de Vil wie gerufen. Liebend gern schlüpft Stone in ihre Outfits, stolz trägt sie das schwarzweiße Haar. Am anderen Ende der Kippschaukel: Emma Thompson – sowieso immer gern gesehen, diesmal aber suhlt sie sich in ihrer heillos überzogenen Karikatur der erfahrenen, toughen Geschäftsfrau zwischen Dürrenmatts alter Dame und Ebenezer Scrooge. Das ist so plakativ, dass es schon weh tut – aber das soll es auch. Und es macht Spaß, zu sehen, wie die beiden Emmas ihren Spaß haben, wenn sie sich die Kleiderpuppen um die Ohren hauen und sich gegenseitig darin übertrumpfen wollen, wer das bessere Outfit trägt. Dabei untermalt Gillespie sein Bad-Girl-Origin mit allerlei bekannten Songs vergangener Jahrzehnte, welche die eskalierende Dramatik nochmal unterstreichen.

Cruella ist die Antwort Disneys auf das Ikonenuniversum von DC. Dabei scheint es für den Mauskonzern durchaus okay zu sein, hier nicht die ganze Familie vor die Leinwand bzw. vor den Bildschirm zu holen. Cruella mag die Kids wohl eher nicht betören – für alle anderen ist das vergnügliche Erstarken einer hundeverachtenden Drama Queen ein atmosphärisch dichtes Realfilmerlebnis, das es tatsächlich schafft, den Eindruck zu vermitteln, mitunter das Ganze in Zeichentrick zu sehen. Und überdies: hätte der Joker nicht schon seine Harley QuinnCruella de Vil wäre eine ernsthafte Konkurrenz.

Cruella

Der Fall Richard Jewell

DER ÜBLICHE VERDÄCHTIGE

8/10

 

richardjewell© 2020 Warner Bros.

 

LAND: USA 2019

REGIE: CLINT EASTWOOD

CAST: PAUL WALTER HAUSER, KATHY BATES, SAM ROCKWELL, JON HAMM, OLIVIA WILDE U. A. 

 

Wer ist eigentlich Paul Walter Hauser? Würde mich nicht wundern, wenn hier jetzt einige von euch fragend nach dem Namen googlen. Womöglich erscheint hier ganz oben bei den Ergebnissen ein gewisser Film namens I, Tonya, jener True Story über besagte Eiskunstläuferin, die ihre Konkurrentin sabotiert haben soll. Eine der Nebenrollen, die hier im Gedächtnis geblieben sind, war jene des selbsternannten Agenten Shawn Eckhardt. Auch in BlackKlansmann fiel er als eher unterbelichteter Neonazi auf, beides handfeste Performances, die wohl auch Clint Eastwood aufgefallen sind. Denn der hat ihn kurzerhand für seinen neuesten Film engagiert, und zwar nicht für eine Nebenrolle, sondern gleich für die ganz große One-Man-Show, in der er Richard Jewell verkörpert, dessen Name vermutlich nun auch durch den Suchfilter laufen wird, denn jenseits des Atlantiks sind die Schlagzeilen rund um einen mehr schlecht als recht vereitelten Anschlag auf die Olympischen Spiele in Seattle entweder längst in Vergessenheit geraten oder gar nicht mal in solchem Ausmaß durchgedrungen wie zum Beispiel jenes Wunder vom Hudson River, das Flugzeugpilot Sully vollbracht hat. Diesen gewissenhaften, integren Charakterkopf kann man nach wie vor durchaus als Held bezeichnen, obwohl Helden selber von sich niemals so sprechen würden. Held ist auch ein relativ „gefährliches“ Wort, ich sage mal so, denn ein Held scheint unfehlbar zu sein, und diese implizierte Unfehlbarkeit ruft in relativ kurzer Zeit jede Menge Gegenstimmen auf den Plan, und so wird die Perfektion einer guten Tat schnell zu einem ungläubigen Wunder, dass, hat man es nicht selber gesehen, im Zweifel für des Menschen guten Charakter niemals passiert sein kann. Nach Sully ist Der Fall Richard Jewell der zweite Film zur Analyse von Alltagshelden anhand wahrer Geschichten. Die Ambivalenz eines solchen Geschehnisses, diese graue Wolke, die solche Menschen in ihren unnachahmlichen Taten umgibt, dürfte das sein, was Clint Eastwood fasziniert. Überhaupt sind es diese Portraits außergewöhnlicher Amerikaner, denen sich Clint Eastwood schon die längste Zeit gewidmet hat und vermutlich noch widmen wird. Er beobachtet sie innerhalb ihrer Zeitkapsel aus Ruhm und Zweifel, um sie dann wieder in ihre Anonymität zu entlassen. Doch bemerkenswert sind sie alle. Und ganz besonders dieser Richard Jewell, den Paul Walter Hauser eben so grandios verkörpert. Als wäre das die Rolle, auf die er Zeit seines Lebens hingearbeitet hätte, stünde er nicht erst am Anfang einer großen Karriere, die hiermit womöglich ihren ernsthaften Anfang nimmt.

Zugegeben, Richard Jewell dürfte damals ein Sonderling gewesen sein. Einer, der bei seiner Mutter wohnt (ebenfalls grandios: Kathy Bates), Waffen sammelt und für den Recht und Ordnung über alles geht. Das klingt schon mal verdächtig – aber warum eigentlich? Recht und Ordnung ist schon mal notwendig, wenn jemand so ein Verständnis dafür hat, warum sollte nicht gerade der einen Job in der Exekutive haben? Weil er über die Stränge hinausschlägt? Manches zu ernst nimmt? Über nichts hinwegsieht? Im Nachhinein ist es gut, das Jewell über nichts hinweggesehen hat, denn der oftmals gekündigte und scheel beobachtete Junggeselle hat als erster diesen herrenlosen Rucksack bemerkt, der unter einer Bank im Areal des Olympia-Parks lehnt. Natürlich war das eine Bombe, und natürlich ist sie explodiert, doch dank Richard Jewell hat diese weniger Schaden angerichtet als geplant. Der Mann wird zum Helden, wird in so gut wie fast allen Medien zum Interview geladen und durch die Gegend hofiert wie ein Popstar. Bis dem FBI die Sache spanisch vorkommt, ist doch der Bursche das exakte Ergebnis einer Faustformel fürs Täterprofil. Pech für ihn, ein üblicher Verdächtiger, und im Namen aller Profiler fraglos schuldig. Inquisition verlief im tiefsten Mittelalter nicht anders, aber das nur am Rande. Der Retter wird also zum Täter hochstilisiert. Was dann beginnt, sind quälende Wochen aus Bespitzelung, Hausdurchsuchung und Schmutzkübelmedien, die aus dem Paulus einen Saulus machen.

Mit Der Fall Richard Jewell ist Clint Eastwood mit knapp 90 Jahren wohl einer seiner besten Filme gelungen. Dieses unfassbar wahre Paradebeispiel einer mediengemachten Hexenjagd der Neuzeit ist Schglagzeilenkino vom Feinsten, alleine schon aufgrund seines grandios aufspielenden Ensembles bis in die Nebenrollen, die von Eastwood mit sicherer Hand und ohne allzu viel Druck aufs Set geschickt werden. Bei so viel dramatisierter Erniedrigung klappt einem durchaus die Kinnlade herunter, und zwischenszeitlich ertappt man sich selbst dabei, der investigativen Meinungsmache stattzugeben. Doch Jewell, der dürfte ein aufrichtiger Bursche gewesen sein (und ist es so denke ich heute noch), und dabei zuzusehen, wie ein ebenfalls begnadeter Sam Rockwell als schrulliger Anwalt seinem Klienten aus der Misere hilft, ist packend, unglaublich menschelnd und kurios zugleich.

Der Fall Richard Jewell

Da 5 Bloods

VOM KRIEG, DER NICHT IN RENTE GEHT

6/10

 

da5bloods© 2020 Netflix

 

LAND: USA 2020

REGIE: SPIKE LEE

CAST: DELROY LINDO, CLARKE PETERS, ISIAH WHITLOCK JR., NORM LEWIS, CHADWICK BOSEMAN, JEAN RENO, MÉLANIE THIERRY, PAUL WALTER HAUSER, JASPER PÄÄKKÖNEN U. A. 

 

Da fällt mir doch gleich ein echter Klassiker von Dire Straits ein: Brothers in Arms. Im Vibra-Sound, recht verhalten und in den imaginären Stahlhelm gesungen, erzählt der Song vom Durch- und Zusammenhalten, wenn die Waffen sprechen. Sowas begründet natürlich, sofern man überlebt, niemals endende Freundschaften. Zwangsfreundschaften sozusagen. Innerhalb der schwarzen Bevölkerung ist das gefühlsmäßig etwas anders. Die sind nicht nur im Krieg Brüder – die solidarisieren sich auch so. Vor allem jetzt, wenn Black Lives Matter. Da sind all jene afrikanischen Ursprungs eine ganze große Familie, um gegen den zur us-amerikanischen Tagesordnung gehörenden Rassismus anzurennen. Spike Lee ist da ganz vorne mit dabei. Rassenhass, Gewalt und Politik waren immer sein Thema. Politik ganz besonders. Und all die ganzen zersetzenden Mechanismen einer Gesellschaft, die, egal ob schwarz oder weiß, so leicht in Frieden miteinander leben könnte. Lee sucht aber in seinen Filmen ganz andere Ansätze und verleiht dem Ansinnen auf ethnische Liberalität den Klang von Stereo, lässt seine wild schraffierten Ideen wie aktivistische Transparente nicht nur auf das Kinopublikum los – sondern jetzt auch auf all die User von Netflix, die exklusiv sein neues Werk begutachten können – und sich, sofern sie es gesehen haben, vielleicht an BlacKkKlansman erinnert fühlen.

Diese True Story, fast schon Satire, führt mit Freuden die White Power der USA ad absurdum, lässt Tomaten auf die weißen Gewänder der Kapuzenträger hinabregnen, wenngleich Lees Film trotz seiner ruhelosen Ambitionen weitestgehend handzahm daherkommt. Diese Phlegmatik könnte mit Da 5 Bloods jetzt ein Ende haben – obwohl auch dieser neue, überlange Streifen rund um den Vietnamkrieg und seine Nachwehen relativ viel Zeit benötigt, um wirklich in die Gänge zu kommen. Aber so ist das in den Tropen: einer Akklimatisierungsphase folgt ein Abenteuer Marke Baedeker, wie man es daheim anschließend gern erzählt. Die 4 Bloods – der fünfte im Bunde hatte schon während des Kriegseinsatzes in Fernost das Zeitliche segnen müssen – finden sich nach Jahrzehnten wieder dort ein, wo die „Blutsbrüderschaft“ ihren Anfang nahm: In Saigon, im Süden des Landes. Warum nun sind sie hier, diese vier Rentner? Mitnichten zum Urlauben. Sondern um einen Goldschatz zu heben, der im Hinterland vergraben liegt, mitsamt den Überresten des fünften Blood, den es als Vorwand zu finden gilt, würden doch die vietnamesischen Behörden dieses satte Kapital niemals ausreisen lassen. Vier Knacker sinds also, denen das Leben bereits ganz schon mitgespielt hat. Und die den Krieg nicht überwinden können. Zumindest einer – Delroy Lindo in bemerkenswert intensiver Spiellaune – scheint massiv traumatisiert. Doch wie geplant brechen sie in den Dschungel auf, und je näher sie ihrer gemeinsamen Vergangenheit kommen, umso präsenter wird ein Krieg, der Jahrzehnte vorbei zu sein scheint. Es ist fast wie ein Fluch, der auf denen lastet, die gekämpft haben.

Da 5 Bloods ist trotz einiger Verzettelungen und zäher Konfusion ein kurioses Konstrukt, das auf gewisse Weise nachwirkt. Perfekt ist Lees Film keineswegs. Die erste Stunde lang, wenn nicht länger, sieht man den vier Veteranen beim Quatschen zu, über das Leben und das Damals. Das wirkt fast so wie eine dieser Travel-Soaps, in denen Promis auf Reisen gehen. Irgendwann gibt’s auch noch einen Reiseleiter, der nur die Geschichte des fünften Blood kennt, aber nicht die des vielen Goldes. Lee wechselt das Bildformat wie ein Fotograf sein Objektiv – von 4:3 bis Cinemascope ist alles da. Aus einem Guss ist das nicht. Gewöhnungsbedürftig sind nicht nur die Szenen aus vergangenen Kriegstagen, die wie Super 8-Aufnahmen inszeniert sind, untermalt von pathetischer Orchestermusik wie für einen Chuck Norris-Reißer, und in denen die Bloods, bis auf den einen fünften („Black Panther“ Chadwick Boseman), genauso alt sind wie 5 Jahrzehnte später. Gewöhnungsgbedürftig ist der ganze Film, der manchmal einfach zu viel skandiert, der schockierende Archivaufnahmen aus dem echten Krieg wie Schrapnelle so manche Szene spaltet. Der Power-Point-Files in seinen War-Punch hineinwirft und alles nochmal aufkocht. Lees Senf zu Black Lives Matter wirkt dabei leider wie aufgesetzt, hat auch aus meiner Sicht mit dem Werk nur peripher zu tun. Aber gut, Spike Lee will so viel wie möglich, fällt fast schon in Rage. Dabei kippt das Werk ins Anarchische. Was folgt, ist ein regelrecht bizarres Apokalypse Now-Revival für die R.E.D.-Generation in drastischen Bildern, ein Antikriegsfilm mit nostalgischem Blick zurück ins Desaster, in dessen Folge der Sieg über den Feind auch nichts weiter ist als eine Niederlage der anderen Art.

Da 5 Bloods