Sisu: Road to Revenge (2025)

ICH UND MEIN HOLZ

5,5/10


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LAND / JAHR: FINNLAND 2025

REGIE / DREHBUCH: JALMARI HELANDER

KAMERA: MIKA ORASMAA

CAST: JORMA TOMMILA, STEPHEN LANG, RICHARD BRAKE, EINAR HARALDSSON, JAAKKO HUTCHINGS, SANDY E. SCOTT, ERGO KÜPPAS U. A.

LÄNGE: 1 STD 28 MIN



Das Bahnhofskino hat wieder eröffnet! Im Mitternachtsprogramm nach Machete, Planet Terror und Death Proof lässt sich Jalmari Helanders wie ein Italowestern der Bauernschneuzer-Sorte aufgezogener Taiga-Reisser dank stilsicherer Tonalität bequem unterbringen. Im Mittelpunkt steht dabei ein Mann und sein Holz, der als kriegsgebeutelter Selfman sein Leben im wahrsten Sinne des Wortes neu aufbauen will. Dafür muss der schweigsame Aatami Korpi, bekannt aus Sisu, in ehemals finnisches und nunmehr russisches Gebiet vordringen. Was dort zu holen ist? Nichts sonst außer die Heimstatt seiner Familie, die von Kriegsverbrecher Igor Draganov hingemetzelt wurde. Dieses Blockhaus will Korpi abbauen, auf seinen Truck laden und in Finnland neu errichten, stets in Gedenken an seine Lieben, die er, soweit er es mimisch darstellen kann, schmerzlich vermisst. Doch dieser Draganov, verkörpert von Permanent-Bösewicht und Vorzeige-Antagonist Stephen Lang, der auch in Avatar die Nemesis gibt, bekommt den Auftrag, auch den letzten der Korpi-Familie auszulöschen, hat der doch hunderte russische Gefolgsleute auf dem Gewissen.

Alles was Flügel hat fliegt

Den Rest kann man sich denken. Viel mehr Stoff gibt es nicht. Fast so viel und vielleicht einen Deut mehr als in George Millers Mad Max: Fury Road. Bei diesem Roadmovie fängt Jalmari Helander ganz schön viel atemberaubende Landschaft ein. Jorma Tommila, der einmal mehr kein Drehbuch auswendig zu lernen braucht, weil kein Wort über seine blutenden Lippen kommt, fährt mit sehr viel Holz, das ihm immer wieder abhanden kommt und wie durch Geisterhand wieder eingesammelt wird, von A nach B, stets Stephen Lang im Nacken, der einmal wilde Biker, dann Militärflugzeuge hinterherhetzt. Alles kein Problem für diesen hartgesottenen Burschen, der zäher ist als Leder und ungefähr so viel aushält wie John Wick. Ein finnischer Stehaufmann, der sogar Panzern beibringt, wie man fliegt. All diese Action ist natürlich völliger Nonsens. Purer, gewalttätiger Eskapismus, der diesmal aber nicht nur so elementare Emotionen wie Rache bedient, sondern vorrangig mal Flucht und Widerstand. Die Road to Revenge wird erst sehr viel später zu selbiger, nämlich erst dann, wenn bei unserem Protagonisten die Hutschnur platzt.

Ventil für den Erstling

Bis dahin geht dem Sequel trotz vieler gemachter Kilometer und zerstörter fliegender wie fahrbarer Untersätze die Puste aus. Es ist, als wäre vom Original noch so viel aufgestaute Energie vorhanden gewesen, dass es ein Ventil gebraucht hat, um diese noch irgendwohin absorbieren zu lassen. So wird Teil Zwei zum Löschpapier von Teil Eins, überraschend spannungsarm und unspektakulär in seinem berechneten Spektakel. Sisu selbst war 2022 noch ein staubtrockener, finnischer Anti-Nazi-Western, da kannte man Aatami Korpi natürlich noch nicht, und wusste beileibe auch nicht, wie dieser tickt und ob er den Aggressoren in seinem Land überhaupt Herr werden kann. Am Ende des wahnwitzigen, explizit brutalen Streifens wusste man es dann: dieser Finne packt alles. Natürlich auch Teil Zwei. Und da setzt das große Gähnen an.

Artisten, Panzer, Attraktionen

Es ist witzig, den Salto eines Panzers zu bewundern. Die blutige Rache hat dann auch seine Genugtuung gegenüber eines störrischen Antagonisten, der schon längst hätte ins Gras beissen können, den Lang aber mit verkniffenen Gesichtsausdruck aus dem FF beherrscht. Doch dahinter lässt sich nichts entdecken, alles was Sisu: Road to Revenge bietet, ist Show, eine Revue voller öl-, schlamm- und blutgetränkter Attraktionen und niemals realer möglicher Gegebenheiten. Ein surreales, absurdes Stück Actionkino, doch alles in allem nicht mehr als für Zwischendurch, wie der Happen an einer Tankstelle, wenn man gerade unterwegs ist. Mit oder ohne Holz.

Sisu: Road to Revenge (2025)

Barbarian (2022)

DAS KLEINGEDRUCKTE BEI AIRBNB
7/10


© 2022 Vertigo Entertainment / Disney+


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE / DREHBUCH: ZACH CREGGER

KAMERA: ZACH KUPERSTEIN

CAST: GEORGINA CAMPBELL, BILL SKARSGÅRD, JUSTIN LONG, MATTHEW PATRICK DAVIS, RICHARD BRAKE, JAYMES BUTLER, KATE BOSWORTH, SARA PAXTON, KATE NICHOLS U. A.

LÄNGE: 1 STD 42 MIN


Mitunter oberste Regel, die man wissen muss, wenn das Seepferdchen-Abzeichen auf dem Schwimmsuit eben erlernte H2O-Skills bestätigen soll: Spring niemals in unbekannte Gewässer! Mitunter oberste Regel, wenn das AirBnB-Schmuckkästchen temporär gemietet wird: Gehe niemals in den Keller, vorallem nicht, wenn Gänge hinter Geheimtüren im Dunkel liegen und von dort, aus dem Nichts, seltsame Geräusche zu hören sind. In der Realität wäre das Anwesen, verortet in einem berüchtigten Viertel von Detroit, wo nicht mal mehr der Fuchs dem Hasen Gute Nacht sagt, ohne ihn vorher auszuweiden, längst von seinem Fluch befreit worden, denn in der Realität würde Georgina Campbell nicht ohne begleitender Exekutive tiefer in das unheimliche Gewölbe vorgedrungen sein.

Das Genre des Horrorfilms interessiert sich aber nicht für vernünftige Vorgehensweisen. Dort sind die Protagonisten gemäß des Spruches „Neugier killt die Katze“ immer jene, die auch zu Weihnachten Santa Claus auf die Finger schauen oder das Christkind inflagranti ertappen wollen. Es sind jene, die gerne in die Dunkelheit vordringen, ohne sich vorher überlegt zu haben, was sie denn dem Unbekannten entgegenzusetzen hätten, sollte es ungemütlich werden. In Barbarian wird es schließlich sehr, sehr ungemütlich. Und eigentlich will man gar nicht wissen, was so manche Leute in ihren Kellern treiben oder gar getrieben haben. Da muss man nur an die jüngere österreichische Kriminalgeschichte denken, um sich mit Schauder und Ekel abzuwenden. Das Undenkbare ist vor allem in beschaulichen Siedlungen durchaus möglich, wenngleich das, was in Barbarian passiert, als üppige Geisterbahn-Version manches davon potenziert.

Das Grausame ist bei Zach Cregger das unter den Teppich Gekehrte, das hinter der Fassade Dahinmodernde. Viel plakativer als bei David Lynch, in dessen Vorgärten man gelegentlich ein Ohr finden kann. Viel weniger subversiv und entlarvend als bei Ulrich Seidl zum Beispiel, dem österreichischen Enfant Terrible, der mit seiner Episoden-Doku Im Keller gar manchen Abgeordneten in die Bredouille brachte und genau das zeigen musste, was man eigentlich gar nicht sehen will, dann doch aber wieder muss, weil schließlich nicht nur die Katze daran glauben soll, sondern auch wir, die wir nicht ohne finaler Erkenntnis der Dinge abnippeln wollen.

Der Keller im Keller

Das Haus in Barbarian offenbart ganz geschmeidig und fast schon subversiv seine wahre Identität, es scheint fast so, als wäre man amfangs in einer leicht mysteriösen Romanze gelandet, wenn Bill Skarsgård und Georgina Campbell miteinander einen netten Abend verbringen, nachdem letztere enttäuschend hat feststellen müssen, dass ihr gemietetes Airbnb-Etablissement gleich doppelt gebucht wurde. Skarsgård, dem diesmal seine Pennywise-Diabolik überhaupt nicht in den Sinn kommt, gibt sich jovial und hilfsbereit und holt die im Regen stehen Gelassene ins Haus. Mangelndes Klopapier und eine offene Kellertür führen tags darauf dazu, dass Georgina Campbells Charakter namens Tess an Orte gelangt, die niemand wirklich sehen will. Als Bill Skarsgård – im Film der nette Keith – die durchaus verstörte und aufgeregte Tess beruhigen und sich die Sache selbst ansehen will, verschwindet er. So, als wäre er von einem noch tieferen Keller verschluckt worden. Und ja, den gibt es.

Stimmungskiller als Stilmittel

Je tiefer, desto dunkler. Desto perverser und verstörender. Wer den Höhlenhorror The Descent gut durchgestanden hat, ohne um jeden Gully einen Bogen zu machen, kann auch mit Georgina Campbells Handytaschenlampe eine Gegend erkunden, die keinen erquickenden Mehrwert bietet. Der Horror kommt bald ans Licht, schön subversiv, erschreckend, pointiert, während Cregger sich ganz plötzlich etwas einfallen lässt, was herkömmlichen Filmen dieser Art nie in den Sinn kommen würde, da es die mühsam etablierte Stimmung killt. Denn plötzlich scheint es, als wäre man im falschen Film. Auftritt Justin Long, im roten Cabrio unterwegs, die Sonne scheint, die Hintergrundmusik dudelt, alles ist eitel Wonne. Das Kontrastieren des Erzählstils, das Einbinden völlig neuer Tonalitäten, darf man durchaus als Geniestreich bezeichnen. Cregger, mit frischen Ideen im Handgepäck, sampelt seinen scheinbar vorhersehbaren Suspense-Horror mit völlig anderer Melodik. Das ranzige Dunkel weicht dem Licht, schale, schmutzige Farben weichen buntem Pseudo-Perfektionismus, der einhergeht mit veränderter Optik. Der Bruch erfrischt den Horror ungemein, macht ihn augenzwinkernd und lässt ihn frech werden. Doch ganz klar: Wenn sich am Ende das Innere nach außen kehrt, fährt Cregger nur mehr Vollgas eine Spur. Nichts anderes hätte man sich letztlich wünschen wollen. Selbst die Katze will dann nur noch weg.

Barbarian (2022)

Mandy (2018)

WAHNSINN, ICH GEH FÜR DICH DURCH DIE HÖLLE

6/10


mandy© 2018 Plaion Pictures

LAND / JAHR: USA, BELGIEN 2018

REGIE: PANOS COSMATOS

DREHBUCH: PANOS COSMATOS, AARON STEWART-AHN

CAST: NICOLAS CAGE, ANDREA RISEBOROUGH, LINUS ROACHE, NED DENNEHY, OLWEN FOUÉRÉ, LINE PILLET, BILL DUKE, RICHARD BRAKE U. A.

LÄNGE: 2 STD 1 MIN


Wer hätte damals gedacht, dass Nicolas Cage im Herbst des Jahres 2018 dem Slash Filmfestival tatsächlich die Ehre erweisen würde. Laut Slash-Mastermind Markus Keuschnigg kam er, sah sich um und ging wieder. Doch immerhin: Er hostete damit seine Rache-Phantasmagorie Mandy, die Autorenfilmer Panos Cosmatos als Reminiszenz an den Hippie-Drogenrausch der ausklingenden Sechziger und beginnenden Siebziger anlegt, als nostalgische Konservierung einer längst vergangenen New Hollywood-Revolution im Kino, an das Haare schwingende Aquarius und dem Lebensgefühl aus Woodstock. Das klingt natürlich nach beschwingten Vibes, doch Mandy ist alles andere als das. Panos Cosmatos bricht mit den Dogmen und korrumpiert eine verklärte Ära so sehr, dass er diese als Albtraum manifestiert. Als der Realität entfremdetes Konstrukt, aufgeblasen wie die Opfer eines exaltierten Avantgardisten, getaucht in die Lieblingsfarbe Rot, konturiert durch sattes Schwarz. Grobkörnig, in der Bewegung verzerrt und tragödienhaft manieriert wie der düsterste Shakespeare, der je geschrieben wurde.

Dass hier Sehgewohnheiten strapaziert werden und es Cosmatos vor allem darum geht, sein Publikum aus jener Bequemlichkeit zu holen, welche die Sichtung von Bewährtem auf die Dauer mit sich bringt, mag den Genre-Kunstfilm bereichern. Bild und Ton verschmelzen zu einer Bilderorgie, die immer wieder in ihrer eigenen Ambition ertrinkt und auch zu viel in sich hineinstopft, um sich dann, ebenfalls in Rot, im übertragenen Sinn zu übergeben, um dann weiterzuvöllern im theatralischen Gebaren der beiden Hauptdarsteller – eben Nicolas Cage und der fulminante Linus Roache, den Vikings-Fans als den angelsächsischen König Egbert mit Sicherheit in Erinnerung behalten haben. Seine Dialoge mit Travis Fimmel als Ragnar Lodbrok sind legendär. In Cosmatos‘ Actionhorror probiert er sich als manische, gottgleich angesehene Leitfigur eines obskuren Sektenkults, der, unterwegs mit seiner sinistren Entourage, der faszinierenden und titelgebenden Mandy (entrückt: Andrea Riseborough) begegnet, die ahnungslos die Straße entlangwandert. Sie ist schließlich die bessere Hälfte von Cage, der im Grunde ein zufriedenes Leben führt, wäre da nicht die Besitzgier des teuflischen, gern mit nacktem Oberkörper agierenden Antagonisten, der das engelsgleiche Opferlamm für sich haben will – und diese in einer Nacht- und Nebelaktion aus dem sicheren Zuhause entführt. Cage ist verzweifelt, will die Liebe seines Lebens wieder zurückholen, scheitert anfangs aber und muss dabei zusehen, wie Mandy der Tod ereilt. Danach gibt‘s kein Halten mehr: Cages gemarterte Figur erlangt jene Manie wie sein Widersacher sie besitzt. Wut, Obsession und Aggression brechen sich Bahn und hinterlassen eine Blutspur im grobkörnigen Stil. Eine Kettensäge ist dabei nur eine der Utensilien, die Cage in die Finger bekommt, um alles und jeden zu meucheln, der die Unterwelt bevölkert. Dazwischen dämonische Biker, fratzenhaft und mit verzerrten Stimmen, wohlweislich im Gegenlicht und als kämen sie vom Set eines George Miller, der sich am Mad Max-Franchise abarbeitet. 

Ja, Cage geht grinsend durch die artifizielle Hölle. Dramaturgisch hat Cosmatos dafür aber keinerlei Ideen – was er wiederum versucht, durch seine unverkennbare Optik wieder auszugleichen. Nur: Optik allein reicht nicht immer. Vorallem nicht, wenn diese nur minimal variiert wird. Schwülstig, dampfend, wabernd, als Drogenrausch überstilisiert, laufen die filmischen Methoden im Kreis, treten auf der Stelle – abwechslungsreich ist Mandy daher nicht. Sondern ein einziger, fetter Brocken; sättigend, nicht leicht verdaulich und noch dazu nährstoffarm.

Mandy (2018)

The Last Stop in Yuma County (2023)

DYING IN THE DINER

7/10


laststopinyumacounty© 2024 Pandastorm Pictures


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE / DREHBUCH: FRANCIS GALLUPPI

CAST: JIM CUMMINGS, JOCELIN DONAHUE, RICHARD BRAKE, NICHOLAS LOGAN, FAIZON LOVE, MICHAEL ABBOTT JR., GENE JONES, ROBIN BARTLETT, SIERRE MCCORMICK, CONNOR PAOLO U. A.

LÄNGE: 1 STD 30 MIN


Wir alle erinnern uns noch an die längst zum Kult gewordene Szene, mit welcher der Klassiker Pulp Fiction sein episodenhaftes Schauspiel eröffnet: Pumpkin und Honey Bunny finden sich als Bonnie & Clyde-ähnliches Räuberpaar in einem Diner wieder, um diesen auszurauben. „Everybody be cool, this is a robbery“ – so tönt Bill Roth durch den Konsumationsbereich. Nimmt man diese Szene und löst sie los von ihrem Film, variiert sie und nutzt sie als Prämisse für einen ganz anderen, dann könnte so etwas ähnliches entstehen wie The Last Stop in Yuma County, ein versteckt im Retail-Segment verbratenes kleines Juwel von einem Thriller, der die Faktoren Isolation, Abhängigkeit und einen begrenzten Spielraum für sich nutzt, um den Plot wie ein reißfestes Spinnennetz über eine von Gott verlasse Tankstelle am Rande von New Mexiko zu spannen – bevor es weitergeht nach Kalifornien, einem Bundesstaat, wo alle hinwollen. Denn in New Mexico hat keiner was verloren, das ist nicht erst seit Breaking Bad bekannt. Was aber, wenn die letzte Tankstelle für die nächsten hundert Meilen kein Benzin mehr hat, und der Tank des eigenen Autos gefährlich leer? Ums Auftanken kommt man nicht drum rum, also heisst es warten, bis der versprochene Nachschub eintrifft. Was aber, wenn der Tankwagen auch nicht kommt, sondern irgendwo auf dem Weg hierher im Straßengraben liegt, während der Treibstoff ins Erdreich plätschert?

Davon weiß keiner was, weder der Tankstellenbetreiber, der aus seinen wenigen Quadratmetern nicht herauskommt, noch die Bedienung im Diner, die hübsche Charlotte. Noch der verhaltensauffällige Handelsvertreter ohne Namen oder das ältere Ehepaar, dass die Mehlspeise des Tages konsumiert, um die Wartezeit nicht nur mit einem Nickerchen totzuschlagen. Sie alle warten. Und es wäre eine langweilige Warterei, wenn da nicht an diesem Tag auch noch ein Raubüberfall stattgefunden hätte und das Fluchtauto mit – wie kann es anders sein – leerem Benzintank ebenfalls hier parken muss. Die beiden zwielichtigen Kriminellen ändern den Status Quo der idyllischen Diner-Tristesse natürlich grundlegend. Was folgt, ist ein Geiseldrama als Kammerspiel, eine knackige sozialpsychologische Belastungsprobe, in die sich auch noch die Provinzpolizei mischt, die wohl den Polizeifunk nicht richtig abgehört hat.

Autorenfilmer Francis Galluppi hat sich zweifelsohne von den Werken Quentin Tarantinos inspirieren lassen, allerdings auch von den Arbeiten Sidney Lumets oder Ben Wheatleys. Die Betonung liegt dabei auf „inspirieren“, denn Galluppi trägt der blutigen Situationsironie seinen eigenen verqueren Stempel auf. Das liegt vorallem an den undurchschaubaren Charakteren, die sich hier versammeln. Jim Cummings als Salesman ist ohnehin nicht zu trauen, den jungen ungestümen und bewaffneten Turteltauben, die an Harrelson und Lewis aus Natural Born Killers erinnern, ebenso wenig. Selbst die Alten könnten anders sein, als sie vorgeben. Nur Charlotte hinter dem Tresen hofft hier noch auf die Harmonie eines ereignislosen Tages in der Gluthitze der Wüste, wenn das Standoff jedes Mal um neue, unerwartete Ereignisse oder Personen ergänzt oder reduziert wird. Faktoren wie Aktion und Reaktion unter Zeitdruck oder menschliche Verhaltensmuster in Ausnahmesituationen führen eine Dynamik herbei, von der man schon erwartet, dass alles in einem großen Knall enden muss. Und man ertappt sich dabei, wie erwartungsvoll man dem Desaster entgegenfiebert.

Als hundsgemeine Sarkasmusperle lässt sich The Last Stop in Yuma County genüsslich empfehlen. Galluppi lässt einen bescheidenen kleinen Weltuntergang über ein Nirgendwo hereinbrechen, der gleichsam überrascht und drohende Erwartungen erfüllt.

The Last Stop in Yuma County (2023)

Vesper Chronicles

ERNTEN WAS MAN SÄT

5,5/10


vesper© 2022 Plaion Pictures


LAND / JAHR: LITAUEN, FRANKREICH, BELGIEN 2022

BUCH / REGIE: KRISTINA BUOZYTĖ & BRUNO SAMPER

CAST: RAFFIELLA CHAPMAN, EDDIE MARSAN, ROSY MCEWEN, RICHARD BRAKE, EDMUND DEHN, MÉLANIE GAYDOS U. A. 

LÄNGE: 1 STD 54 MIN


Die Welt hat sich wieder mal selbst ins Aus gekickt. Übrig bleiben triste Wälder, brach liegende Äcker, sumpfige Landschaften. Ungefähr so, wie es derzeit im Baltikum aussieht, nur unfruchtbar, jenseits allen bislang erreichten Fortschritts. Verwahrlost, verarmt – und Wegelagerern begegnet man auf jeder Lichtung. Die Reichen und auf der Butterseite des Lebens Dahergeschlitterten haben sich im wahrsten Sinne des Wortes in ihre teuer erkauften Blasen zurückgezogen, genannt die Zitadellen. Doch viele haben gar nichts, und können sich ein Leben in der Zitadelle ungefähr so vorstellen wie wir uns den Lottosechser. So eine vom Leben enttäuschte junge Dame ist Vesper – ein Teenager, der seine geistige Entwicklung auch nicht gerade verschlafen hat, mit seinem autodidaktisch angeeigneten Knowhow an Biomechanik herumexperimentiert und die halbe Hütte als Labor benutzt. Unweit davon entfernt züchtet Vesper selbst kreierte Pflanzen, mit dem Ziel, etwas Fruchtbares zu schaffen, von dem alle leben könnten. Pflanzen jedoch haben den Planeten fest im Griff. Geht man in den Wald, scheint es so, als gerät man in die verbotene Area X aus Jeff VanderMeers Southern Reach-Trilogie (Auslöschung). Dort hat die Botanik alles tierische Leben ersetzt und Nischen gefüllt, ganz so, wie man es erwarten würde, hätte die Evolution eben Platz geschaffen  für Virtuosen aus leuchtenden Stielen, todbringenden Stacheln und sonstigen Extremitäten, die sich gerne irgendwo festsaugen. Vesper scheint durch die Landschaft eines fremden Planeten zu stiefeln, an ihrer Seite ein schwebender Kubus – ein biomechanisches Sprachrohr, das Vespers Vater ersetzen soll, der, ans Bett gefesselt und womöglich an einem Locked In-Syndrom leidend, zumindest auf diese Weise aktiv am Leben seiner Tochter teilhaben kann.

Da passiert es und Vesper findet Camellia, eine Bewohnerin aus einer der Zitadellen, die mit ihrem Gleiter über den Wäldern Bruchlandung erlitt. Allerdings war da noch jemand im Flugzeug, und zwar deren Vater. Also macht sich der toughe Teenie auf die Suche nach ihm und kommt bald ihrem Onkel Jonas (Eddie Marsan) in die Quere, der die Elite verabscheut und nicht nur das – Jagd auf künstlich gezüchtete Humanoide macht.

Über allem allerdings schwebt die Aura einer gewissen Zuversicht, die man besitzt, wenn man das Genom alles Lebendigen entschlüsselt hat und damit herumfuhrwerken kann wie mit einer Kiste voller Lego. Auch wenn Gaia nicht mehr das ist, was sie mal war, könnte es einen neuen Anfang geben. Diese Hoffnung macht diese postapokalyptische Düsternis erträglich und erlebbar, und überhaupt beeindruckt die Fülle an fantastischer, fahlbunter botanischer Biomasse, die atmet und pulsiert. Vesper Chronicles ist aber nicht nur die Coming of Age-Geschichte mit einer ordentlichen Portion Albtraum für Botanophobiker, denen Würgefeigen und The Little Shop of Horrors längst schon keinen Kick mehr geben. Ein bisschen liebäugelt die litauische Autorenfilmerin Kristina Buozytė (Vanishing Waves) und der Franzose Bruno Samper mit Versatzstücken aus Ridley Scotts erdachter Welt der Replikanten und Blade Runner. Nur ist Vesper Chronicles im Vergleich dazu die Schrebergarten-Version. Hier dominieren von Pilzsporen befallene Holzverschläge und das Interieur sich selbst überholter Retro-Science-Fiction. Und ja, das sieht verdammt gut aus. All das Pflanzliche, Wuchernde, verbunden mit futuristischer Verschleißtechnik, die sich in einer zwischen zwei Atemzügen befindlichen Welt aus technologischen Wracks und bizarr gekleideten Schrottsammlern, die wie Brueghel-Figuren durch die herbstliche Endzeit trotten, zusammensetzt, könnte in den Büchern von Simon Stalenhåg zu finden sein. Oder in den Romanen russischer Zukunftsliteraten wie den Gebrüdern Strugatzki (Stalker). Das alles entfacht eine berührende Stimmung. Doch Stimmung allein trägt selten einen Film fast über zwei Stunden. Zwischen all den Wendepunkten auf der Suche nach einem Neuanfang lässt sich das Regieduo oftmals zu viel Zeit. Der Plot ist träge und langatmig, Spannung gibt es kaum. Was man für Vesper Chronicles braucht, ist also Geduld – die einem immer wieder abhandenkommt, wenn die leidlich interessante Beziehung zwischen Mutterfigur Camellia und der jungen Vesper vertieft wird. Da mag Raffiella Chapman noch mehr Hoffnung schöpfen für die Zukunft – unsereins schaut derweil auf die Uhr.

Vesper Chronicles

The Rhythm Section

WAS DICH NICHT UMBRINGT…

5/10

 

therhythmsection© 2020 Leonine

 

LAND: USA 2020

REGIE: REED MORANO

CAST: BLAKE LIVELY, JUDE LAW, STERLING K. BROWN, MAX CASELLA, RICHARD BRAKE U. A. 

 

Wieder ein Film, der sich der Virus-Diktatur hat beugen müssen: The Rhythm Section mit Blake Lively und Jude Law. Hätte in die Kinos kommen sollen, wurde aber auswaggoniert und fürs Streaming zur Verfügung gestellt. Die Kino-Nerds danken – wie sonst sollen sie up-to-date bleiben, wenn später mal alles Verschobene auf einmal kommen soll und die Lichtspiel-Agenda an Terminen nur so überquillt. Der Film kam natürlich auf die Liste. Und war dann, obwohl Livelys neuer Look zumindest im Trailer stylishes Spannungskino im Stile von Atomic Blonde versprochen hat, doch eher ein verhaltenes Vergnügen. Diese Ernüchterung bezieht sich auf ein gravierendes Plausibilitätsproblem, das eben nicht nur The Rhythm Section hat, sondern auch einige andere themenverwandte Filme im Vorfeld schon hatten.

Eine sagen wir mal normale Bürgerin oder normaler Bürger wird mit einem traumatischen Schicksal konfrontiert: die plötzliche Auslöschung eines geliebten Menschen – oder gleich mehrerer, vielleicht sogar der gesamten Kernfamilie, mit der man unter einem Dach gelebt hat. Das Verschulden eines solchen Unglücks kann unterschiedlich sein, allerdings wird von US-Drehbuchautoren sehr gerne das Motiv des Terroranschlags bemüht, und wenn dieses Motiv schon zu sehr abgegriffen ist: das stinknormale, aber nicht weniger verheerende Verbrechen. Ganz klassisch: Charles Bronson oder später Bruce Willis, die in Death Wish zum reuelosen Racheengel werden. Auch ein Film wie American Assassin lässt einen völlig unauffälligen Studiosus innerhalb kürzester Zeit zum Profi-Agenten mutieren, der im Action-Hero-Modus mit dem fiesesten Dschihadisten konkurrieren kann. Und jetzt Blake Lively. Durch einen Flugzeuganschlag verliert die ebenfalls junge, blitzgescheite und verwöhnte Studentin ihre gesamte Familie. Das ist natürlich eine furchtbare Tragödie. Normalerweise holt man sich da psychologische Hilfe oder wird vom Rest der Familie (den es meist geben muss) aufgefangen. Gibt es den nicht, sind es Freunde, die Blake Livelys Filmcharakter sicherlich gehabt haben muss. Aber nein: in The Rhythm Section gibt es gar nichts, weder Familie noch Freunde, und Lively rutscht ganz tief runter in den Drogenkeller, um sich mit Prostitution das Geld für den nächsten Schuss zu verdienen. Um da wieder rauszukommen braucht es Selbstdisziplin. Was alleine schon Stoff für ein Drama wäre. Aber daraus, so finde ich, kann kein Rachethriller werden, weil es mir einfach nicht plausibel erscheint, dass ein entsprechend wohlerzogener Mensch plötzlich zur gestählten Agentin mutiert, die auf der Vendetta-Schiene fährt. Dieses Schema ist viel zu platt. Das Ganze sieht vielleicht maximal so aus wie im Traumadrama Aftermath mit – aufgepasst – Arnold Schwarzenegger, der ebenfalls Frau und Kind bei einem Flugzeugabsturz verloren hat und auf ganz andere Weise und in all seinem (völlig nachvollziehbaren und solide vorgetragenen) Schmerz den Verantwortlichen für diese Katastrophe zur Rechenschaft ziehen will. Das ist verhaltenspsychologisch tatsächlich plausibel. The Rhythm Section ist es nicht, im Gegensatz wiederum zu Atomic Blonde, deren Figur eine entsprechende Vergangenheit mit sich bringt. Zumindest wird Lively nicht zur  Killerin, denn dann hätten wir eine zweite Nikita, wobei ihr Look sowieso schon an Luc Bessons Kampfamazone erinnert. Sagen wir mal es ist eine Hommage 😉

So viel zu Filmen wie diesem. Auch wenn Blake Lively sich im Gegensatz zum eintönigen Jude Law wirklich ins Zeug legt und herausholt, was man aus so einer Rolle nur herausholen kann: Depression, Drogensucht, Trauer, ein verquollenes Gesicht, tränende Augen und unendliches Selbstmitleid. Das passt inklusive perfektem Makeup alles gut zusammen, und zwar so gut, dass die talentierte Schauspielerin auf alle Fälle einen besseren Film verdient hätte und nicht die Verfilmung eines gefühlt x-beliebigen Belletristik-Thrillers, dessen inhaltliches Konzept, oft verbraten, nur noch wenige Überraschungen birgt. Wenn schon das Thema bürgerlicher Rache aus dem Dunstkreis der genügsamen Mittelklasse, dann Aftermath. Für einen Thriller wie diesen ist The Rhythm Section nämlich viel zu sehr vom Reißbrett.

The Rhythm Section