Cleaner (2025)

SCHLIERENFREI DIE WELT RETTEN

3/10


© 2025 SquareOne


LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH 2025

REGIE: MARTIN CAMPBELL

DREHBUCH: SIMON UTTLEY, PAUL ANDREW WILLIAMS, MATTHEW ORTON

KAMERA: EIGIL HENSEN

CAST: DAISY RIDLEY, MATTHEW TUCK, CLIVE OWEN, TAZ SKYLAR, FLAVIA WATSON, RUTH GEMMELL, RAY FEARON, HOWARD CHARLES U. A.

LÄNGE: 1 STD 38 MIN


Wenn es nach alteingesessenen Star Wars-Fans geht, die mit der originalen Trilogie aufgewachsen sind, so sollte es J. J. Abrams‘ Sequel-Trilogie eigentlich gar nicht geben, so sehr soll sich Disney blamiert haben. Eine Meinung, der ich by the way nicht teile. In diesen bildgewaltigen Filmen spielt das Naturtalent eines Jedi die tragende Rolle – ihr Name: Rey Skywalker. Es stellt sich dabei die Frage, ob es nun ein einmaliges Glück war, das Daisy Ridley diese Rolle ergattern konnte, oder eben ein nachhallendes Stigmata, denn auch Mark Hamill hatte damals das Pech, mit Star Wars zwar weltberühmt und umjubelt zu werden, jedoch niemals wirklich aus diesem tonnenschweren Franchise-Schatten heraustreten zu können. Einmal Star Wars, immer Star Wars, vor allem dann, wenn man davor noch gänzlich unbekannt war. Zu sehr klebt der Hype, als dass man ihn loswerden könnte, um sich umzudisponieren und die Chance zu erhalten, ganz andere Saiten aufzuziehen. Daisy Ridley bemüht sich seitdem unentwegt, ihr Schauspiel unter Beweis zu stellen – die wirklich tragfähigen Angebote bleiben allerdings aus. Für Daniel Radcliffe zum Beispiel, einst der Junge mit der Narbe, hat sich die Mühe mittlerweile gelohnt. Für Ridley muss die Rechnung noch aufgehen.

Erfolgsrezept von damals 

Bis dahin zeugen Filme wie Magpie von ihrem darstellerischen Können, andere wiederum reichen als Lückenfüller, um die Stromrechnung zu bezahlen. Einer davon: Cleaner, ein Reißer von der Stange mit schalem Skript und uninspirierter Regie, obwohl hier einer am Werk war, der 2006 Daniel Craig in der furiosen Bond-Neuauflage Casino Royale reüssieren hat lassen. Martin Campbell hat seitdem wenig dazu beigetragen, die Filmwelt innovativ zu bereichern. Das Meiste landet direkt auf dem Streamer, Kinoauswertungen will sich damit niemand wirklich antun. Jüngstes Beispiel ist die Neubesetzung von John McLane aus der Stirb langsam-Reihe mit einer weiblichen Actionheldin, diesmal eben Daisy Ridley. Und nein, es ist nicht wirklich ein Reboot und hat auch nichts mit Bruce Willis‘ Paraderolle zu tun, allerdings fallen narrative Elemente wie ein von Terroristen gekapertes Hochhaus und eine zur falschen Zeit am falschen Ort befindliche Ex-Elitesoldatin insofern auf, da sie an einen Actionklassiker aus den Achtzigern erinnern, der nach wie vor unerreicht bleibt und der in seiner straffen Inszenierung und seinem abgegrenztem Setting alles richtig gemacht hat – bis hin zu den verblüffenden Tricks, die uns glauben ließen, ein brennender Helikopter stürze wirklich vom Dach des Nakatomi-Building in Los Angeles.

Lieblinge des Publikums

In Cleaner hängt Daisy Ridley anfangs noch in aufgeweckter Manier und einnehmendem Grinsen in einer Gondel an der Fensterfront eines ganz anderen Gebäudes. Längst nicht mehr beim Militär, darf sie jetzt, nach einer unehrenhaften Entlassung, einem sinistren Energiekonzern den Durchblick gewähren. Aufgebrummte Überstunden führen dazu, dass Ridley immer noch an der Glasfront klebt, als Öko-Aktivisten eine Party aufmischen, darunter Clive Owen, der sich wie seinerzeit Steven Seagal in der weitaus ansehnlicherem Actiongranate Einsame Entscheidung nach rund zehn Minuten Screentime verabschieden muss. Was folgt, ist der obligate Tritt einer moralisch integren Heldenfigur zwischen die Beine böser Buben. Den Drehbuchautoren fiel es dabei schwer, ihren Figuren charakterliche Tiefe zu verleihen, einzig Ridley boxt sich durch wie schon in ihren Star Wars-Filmen, für deren Ambivalenz sie wahrhaftig nichts kann. Der Antagonist bleibt dabei fade, genauso wie die leidenschaftslos abgespulte Handlung, die sich stets vorhersehen lässt und kaum mehr zu liefern imstande ist als in einem B-Movie dieser Art üblich.

Im Zuge dieser Feststellung fragt man sich schon, wie es Ex-King of Queens-Liebling Kevin James geschafft hat, mit seinem Guns Up die Kinos zu entern – und Cleaner eben nicht. Womöglich sind es die Beliebtheitswerte: Bei „Doug Heffernan“ vs. „Rey Skywalker“ gewinnt deutlich ersterer, während Daisy Ridley ihr Star Wars-Ruhm trotz Wachsfigur bei Madame Tussauds immer noch vor die Füße fällt.

Cleaner (2025)

Oxana – Mein Leben für Freiheit (2024)

OBEN OHNE GEGEN PUTIN

5/10


© 2024 X Verleih AG


LAND / JAHR: FRANKREICH, UKRAINE, UNGARN 2024

REGIE: CHARLÈNE FAVIER

DREHBUCH: DIANE BRASSEUR, CHARLÈNE FAVIER, ANTOINE LACOMBLEZ

KAMERA: ERIC DUMONT

CAST: ALBINA KORZH, MARYNA KOSHKINA, LADA KOROVAI, OKSANA ZHDANOVA, YOANN ZIMMER, NOÉE ABITA, MARIIA KOKSHAIKINA, OLESYA OSTROVSKA U. A.

LÄNGE: 1 STD 43 MIN


Das Kino nimmt nicht nur zeitgemäße, sondern auch längst überfällige Agenden ernst. Und keine davon erfährt derzeit mehr Unterstützung quer durch alle Genres wie jene, die zum Ziel hat, die Frau dem Mann endlich gleichzustellen. Das beginnt stets immer damit, erstmal darüber zu berichten, was alles jahrhunderte- und jahrzehntelang im Argen lag. Das beginnt bei historischen Werken wie dem italienischen Familienepos Vermiglio und reicht mit Arbeiten wie Wunderschöner proaktiv und zukunftsweisend bis in die direkte Gegenwart, die gar keine Gegenwart mehr sein will, sondern eine zuversichtliche Zukunft, in der vieles längst besser gemacht und so manch diskriminierender Gap fast schon überwunden scheint. Weil alle zusammenhalten, alle Frauen, und vielleicht auch ein paar Männer.

Dazwischen gibt es biographische Werke wie Oxana – Mein Leben für Freiheit. Deutschsprachige Titel-Anhängsel wie diese sind meist zu generisch, um wirklich mehr Aufschluss darüber zu geben, worum es in diesen Filmen eigentlich geht. Für ein Publikum, das sich schon seit jeher interessiert und aufgeschlossen hinsichtlich feministischer Bestrebungen gezeigt hat, braucht es das nicht, da reicht der Name Oksana Schatschko und der Überbegriff Femen, um zu wissen, welche gesellschaftspolitische Wissenslücke hier geschlossen werden kann. Bei Femen weiß man vielleicht noch so ungefähr, dass hier Aktivistinnen mit textilfreier Oberweite konservativen Apparatschniks das Leben schwer gemacht hatten, natürlich gewaltfrei und bereit dafür, selbst Gewalt zu erleiden, denn abgeführt wurden sie immer. Dann aber war das Ziel bereits erreicht – europäische Medien und auch jene darüber hinaus hatten, was sie brauchten. Femen wurde weltbekannt, der Finger lag in den offenen Wunden, die Saat zum Aufstand war ausgebracht. Hinter all diesen Bemühungen, Entbehrungen und offener Rebellion stand Oksana Schatschko als Gründungsmitglied einer Initiative, die das Zeug hatte, starre patriarchale Krusten aufzubrechen.

Ihr schenkt Regisseurin Charlène Favier ein filmisches Denkmal, chronologisch geordnet und gleichsam auch wieder nicht, denn was wiegt schon schwerer als das Datum des freiwillig herbeigeführten Todes? Dabei präsentiert sich Oksana nicht als Opfer für den guten Zweck, nicht als Märtyrerin oder gar moderne Heilige, die bis zur letzten Sekunde für die gute Sache kämpft. Favier stellt die junge Ukrainerin, die sich mit 31 Jahren das Leben nahm, vorallem als Künstlerin dar, die mit der Eigendynamik ihrer mitersonnenen aktivistischen Idee letztlich nicht klarkommen konnte.

Als Künstlerin oder Künstler ist man vorrangig mit sich selbst beschäftigt, der Geltungsdrang und die Selbstbestätigung durch die Bewunderung anderer ist die Ernte, die man einfahren will. Da geht es weniger um die Sache an sich als um das Ego, das im Mittelpunkt bleiben will. Seltsamerweise hätte, zumindest laut Film, Oksana dank ihrer virtuosen Darstellung provokanter Ikonen nur durch offene Türen treten müssen, um nochmal ganz groß durchzustarten – das Problem aber lag offensichtlich woanders. Eine Dunkelheit, die Favier scheinbar ausspart und nicht näher ergründen will. Somit bleibt Oxana – Mein Leben für Freiheit sehr an der Oberfläche, scheint fast schon Furcht davor zu haben, das Kind beim Namen zu nennen. Viel anderes muss hier in diesem Leben schiefgelaufen sein, doch das Psychodrama bleibt außen vor. Als Biografie, die sich in den letzten Lebenstag des 23. Juli 2018 einbettet, bleibt Oxana – Mein Leben für Freiheit konventionell und routiniert. Die Ukrainerin Albina Korzh gibt der Femen-Ikone ein hübsches Gesicht, doch das ist auch schon alles. Bewegend mögen, wie so oft in Biografien, die Fakten sein, der Bezug zur jüngeren Geschichte Europas, die in einer Dokumentation aber genauso zu finden sind.

Oxana – Mein Leben für Freiheit (2024)

Green Border (2023)

MENSCHEN OHNE RECHTE

6/10


greenborder© 2023 Piffl Medien / Agata Kubis


LAND / JAHR: POLEN, TSCHECHIEN, FRANKREICH, BELGIEN 2023

REGIE: AGNIESZKA HOLLAND

DREHBUCH: AGNIESZKA HOLLAND, GABRIELA LAZARKIEWICZ-SIECZKO, MACIEJ PISUK

CAST: JALAL ALTAWIL, MAJA OSTASZEWSKA, TOMASZ WLOSOK, BEHI DJANATI ATAI, MOHAMAD AL RASHI, DALIA NAOUS, PIOTR STRAMOWSKI, JAŚMINA POLAK, MARTA STALMIERSKA, AGATA KULESZA U. A.

LÄNGE: 2 STD 27 MIN


Über zweieinhalb Stunden reichen fast nicht, um Schicksale wie diese zu erzählen. Es sind Zustände, die an die finsterste Zeit in Europa erinnern – oder die Dystopie eines totalitären Polizeistaates vorwegnehmen, der Polen vielleicht einmal sein wird. Das ganze Szenario in Schwarzweiß zu halten, trägt nicht unwesentlich dazu bei, auch an Steven Spielbergs Schindlers Liste zu erinnern, der von einer Zeit berichtet, in der Menschen wie Vieh behandelt, entrechtet und enteignet wurden. Misshandelt, ermordet – und keine Träne nachgeweint. So sehr das auch nach Drittem Reich klingt: Ein lebendiges, denkendes Wesen so zu behandeln, als wäre es minderwertig – diese Klaviatur des Grauens spielt es immer noch. Und zwar nicht irgendwo im tiefsten Afrika, in Russland oder im Nahen Osten. Solche Töne schlägt man an der Außengrenze der ach so liberalen, alles und alle verbindenden Europäischen Union an, wenn syrische, afghanische oder Flüchtlinge von sonst wo ihr Leben aufs Spiel setzen, um dieses zu schützen. Sie gehen nicht den Weg der bürokratischen Ordnung, sondern stehlen sich über die grüne Grenze zwischen Weißrussland und Polen – das geht schneller, ist einfacher, und wenn man die entsprechenden Verbindungen spielen lässt, die Verwandte, die es bereits geschafft haben, in petto haben, könnte der Traum vom sicheren Leben Wirklichkeit werden. Denn Sicherheit, ein Dach über dem Kopf, zu trinken, zu essen und zu schlafen – sind Grundbedürfnisse des Menschen, die gewährleistet werden müssen. Das sagt nicht nur die UN Menschenrechtserklärung, das sagt auch der Menschenverstand, sofern er nicht vom autoritären Populismus so weit durchgeknetet wurde, um dann einer Doktrin zu folgen, die man kaum für möglich hält, würde man es nicht mit eigenen Augen sehen.

Unsereins im sicheren Nest irgendwo geborgen in Österreich oder Deutschland, mit garantiertem Einkommen, Wohlstand und zum Bersten gefüllten Supermärkten – wir bekommen solche Zustände gerade mal wohldosiert über die täglichen Nachrichten mit. Und auch dann nur, wenn diese die Freiheit genießen, unabhängig zu berichten. Das ist längst nicht selbstverständlich, man muss schließlich nehmen, was man vorgesetzt bekommt. Oder man fährt selbst dorthin, an den Ort des Geschehens, um sich ein Bild zu machen, ohne Zensur, ohne Propaganda, sondern direkt, echt und schrecklich.

In dieses Grauen wirft sich Agnieszka Holland mit allem, was sie zur Verfügung hat. Als wäre sie eine Korrespondentin vor Ort, folgt sie einer sechsköpfigen Familie auf Schritt und Tritt, von den Sitzplätzen im türkischen Billigflieger bis zum Stacheldrahtzaun, der mehr schlecht als recht die grüne Grenze markiert. Ökotouristen hätten mit dieser Waldgegend wohl eine helle Freude – die Biomasse ist enorm, Elche und Wölfe lassen sich sehen, zwischen den flechtenbewachsenen Bäumen kilometerweit nur Sumpf und Morast, in dem man leicht versinken kann. Außerdem ist es bitterkalt, Wasser ist knapp, zu essen gibt es nichts, und der Akku des Smartphones ist leer. Als die Familie polnischen Boden erreicht, werden sie aufgegriffen und nach Belarus zurückgeschickt. Es ist schmerzlich, mitanzusehen, wie schwangere Frauen Kartoffelsäcken gleich über den Drahtverhau geschmissen werden. Wie andere getreten, schikaniert und eingeschüchtert werden. Betroffenheitskino par excellence schafft Holland hier aufzuziehen, nah am Menschen, die Kamera herumwirbelnd, das Elend einfangend, als wäre ihr Film nicht fiktiv, sondern reine Dokumentation.

Dass Green Border eben alles ist, nur keine True Story, erkannt man an dem Bedürfnis, alles anzureißen und nichts auszulassen – Keine Sichtweise, kein Schicksal, kein noch so tragisches Ereignis. Zweifelsohne macht die Machtwillkür der bösen Grenzsoldaten, die fast alle indoktriniert wurden, einfach nur wütend, man wünscht ihnen alles nur erdenklich Schlechte und könnte sich selbst motiviert fühlen, wäre man einer ähnlichen Situation ausgesetzt, mit den Aktivisten gemeinsame Sache zu machen. Die Lust an der Rebellion ist das, was Holland entfacht. Die Wut, die Ohnmacht, es ist schlichtweg eine Schande, diesen Missstand ertragen und mittragen zu müssen. Den obligaten Umdenker bei den Grenzschützern gibt es aber dann doch. Genauso wie die selbstlose Lebensretterin, die für ihren Mut alles aufs Spiel setzt. Es gibt die, die sich aus blinder Verzweiflung, aber auch völlig grundlos den Löwen zum Fraß vorwerfen und den Lichtstreifen am Horizont.

Green Border will alles sagen, alles erwähnen, nichts schuldig bleiben, scheint dann aber bald unter seiner Last zusammenbrechen. Überambitioniert und anklagend donnert das wuchtige Werk über den Zuseher herein, der nicht weiß, wohin mit seiner Entrüstung, der sich irgendwann davon distanzieren muss, und die Chance ergreift, aus dieser Distanz eine gewisse reisserische Plakativität zu erkennen, eine pflichterfüllende Agenda, um als humanitäres Manifest zu funktionieren. Das alles ist rechtschaffen und völlig richtig, packend auch und verstörend. Vielleicht aber hätte ein Blickwinkel gereicht, vielleicht wäre es auch besser gewesen, den Film in Farbe und nicht in Schwarzweiß anzulegen, um so diesem Werk mehr von seiner künstlerischen Distanz zu nehmen. Filme wie der ukrainische Klondike, der eine kleine Geschichte aus nur einer Perspektive erzählt und gelegentlich mit Metaphern spielt, hat letztlich mehr Wirkung als die radikale Direktheit eines aus den Fugen geratenen Universaldramas.

Green Border (2023)

How to Blow Up A Pipeline (2022)

BREAKING BAD FÜR DEN GUTEN ZWECK

7/10


howtoblowuppipeline© 2023 Plaion Pictures


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: DANIEL GOLDHABER

DREHBUCH: ARIELA BARER, JORDAN SJOL & DANIEL GOLDHABER, NACH DEM BUCH VON ANDREAS MALM

CAST: ARIELA BARER, KRISTINE FROSETH, LUKAS GAGE, FORREST GOODLUCK, SASHA LANE, JAYME LAWSON, MARCUS SCRIBNER, JAKE WEARY, IRENE BEDARD U. A.

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Verbrechen zahlt sich aus? Vielleicht in der Politik, da merkt man nicht sofort, was im parlamentarischen Hinterzimmer alles beredet wird. Oder, wenn ein ganzes Volk an einem Strang zieht. Sowas nennt man dann Revolution, die wiederum Sinn macht, wenn Alleinherrschaften gestürzt werden sollen. Verbrechen aber im Gewand von linkem oder rechtem Idealismus zieht meist einen Rattenschwanz aus Ahndung und Vergeltung nach sich. Niemand kann verstehen, wie Gewalt – sei es nun gegen Menschen oder gegen Dinge – als gesetztes Zeichen für eine bessere oder andere Welt jemals genau dorthin führen soll. Um andere aufzurütteln? Die, die es vielleicht zum Umdenken bringen könnte, haben längst schon ihre Türen geöffnet, bevor sie eingerannt werden. Die anderen hängen in ihrer Borniertheit sowieso an ihrer Meinung. Und können statuierte Exempel wie im vorliegenden Film nur verurteilen oder geringschätzend belächeln.

Einen Kreuzzug gegen die kapitalistische Weltherrschaft zu führen ist, als würde man eine Festung mit Graffitisprays stürmen. Klimakleber blockieren zwar die Straße, blockieren aber auch ein Umdenken, weil Aktionen wie diese ganz andere Emotionen auslösen, nicht aber jene, die die Umwelt betreffen, die im Argen liegt. Idealisten, die eine Pipeline sprengen wollen, um den Ölfluss und damit die Konzernroutine zu stören, packen das Übel nicht an der Wurzel, sondern reißen dem Unkraut lediglich die Blätter aus. Ihre Vorgehensweise ist eine persönliche, und keine fürs globale Allgemeinwohl. Das erfährt man, wenn man sich How to Blow Up A Pipeline ansieht, basierend auf dem gleichnamigen Ratgeber für aktivistische Kriegsführung. In diesem Independentdrama treffen acht vom Leben im Stich gelassene, junge Menschen aufeinander, die sich in der Wüste von Texas einem Sabotageakt verschreiben, der, wie der Titel schon sagt, die Ölzufuhr eines Rohstoffgiganten an zwei auseinanderliegenden Stellen zumindest eine Zeit lang stoppen soll. In die Wege geleitet soll dies mit ordentlich Sprengstoff werden – einem vorzüglich selbst gemixten. Und schon erinnert das ganze Szenario ein bisschen an Breaking Bad – nur statt Crystal Meth, das ja wirklich nicht fürs Allgemeinwohl, sondern nur für den eigenen Profit hergestellt wird, mixt der in Sprengstoffen versierte Autodidakt Michael mit angehaltenem Atem und ruhiger Hand ein ganz anderes Pulver zusammen. Eines, dass Stahl, Nieten und alles andre in seine Einzelteile zerlegen soll. Die anderen sieben helfen dabei, füllen ganze Fässer mit Ammoniumnitrat, checken die Lage und schwören sich auf ein Gelingen des Anschlags ein, der tunlichst keine Menschenleben gefährden soll, denn schließlich geht es ja um die Menschlichkeit, um ein besseres Leben, um ein Umdenken. Mord wäre da das falsche Signal. Und Sachbeschädigung?

Regisseur Daniel Goldhaber bewundert seine acht Seelen, die im Winter der amerikanischen Wüste die Welt verändern wollen. Ja, er sympathisiert gar mit ihnen und erklärt sie zu Kreuzrittern, die sich Gehör verschaffen müssen. Andererseits aber schnipselt er ins fast schon semidokumentarische und genau beobachtete Making Of eines Anschlags die in groben Eckdaten zusammengefassten persönlichen Beweggründe jeder und jedes einzelnen. Dabei wird klar, dass selten der globale Zustand unserer Welt der Motor für die nun vor uns liegende Aktion darstellt, sondern ausschließlich persönliche Kränkungen, Benachteiligungen und gesundheitlicher Schaden. Ist das Ganze dann nicht eher eine Frage der Rache? Der Vergeltung? Die einzige Möglichkeit, sich den eigenen Schmerz und die Ungerechtigkeit rauszuschreien, weil ihn sonst keiner hört?

How to Blow Up A Pipeline ist fraglos eine spannende Chronik, und bietet aufgrund der unterschiedlichen Charaktere, die mit ihrer desillusionierten Grimmigkeit schließlich doch etwas gemeinsam haben, potenziellen Zündstoff, der das ganze Vorhaben bereits intern hätte scheitern lassen können. Das gemeinsame Ziel allerdings – die Aussicht, nichts mehr verlieren zu können, schweißt alle zusammen. Verzweiflung, Gruppendynamik und Teamgeist bilden die Essenz, die vorhanden sein muss, um Tabula rasa zu machen. In Goldhabers Film steht also primär die Erforschung der Parameter im Vordergrund, die zur praktischen Umsetzung radikaler Ideen führen. Andererseits kann Goldhaber auch nicht anders, als die Wahl extremer Mittel, um ein Statement zu setzen, für vertretbar zu befinden.

Von daher ist sein Film durchaus imstande, zu beobachten und zu provozierien. Am Ende wird das Charaktedrama gar zum – zugegeben etwas konstruierten – Thriller inklusive Story-Twist. Darüber, ob How to Blow Up A Pipeline nun aber Partei ergreift oder nicht, lässt sich streiten. Ich zumindest meine, er tut es. Doch wenigstens liegt hier – zwischen Wut und Pipeline – eine logische Verbindung vor, während das Anschütten berühmter Gemälde mit Tomatensuppe vielleicht doch am Ziel vorbeipatzt.

How to Blow Up A Pipeline (2022)

Die Stimme des Regenwaldes (2019)

AKTIVISMUS ZAHLT SICH AUS

7/10


Spielfilm BRUNO MANSER© 2019 Thomas Wüthrich


LAND / JAHR: SCHWEIZ, ÖSTERREICH 2019

REGIE: NIKLAUS HILBER

DREHBUCH: NIKLAUS HILBER, PATRICK TÖNZ, DAVID CLEMENS

CAST: SVEN SCHELKER, ELIZABETH BALLANG, NICK KELESAU, MATTHEW CROWLEY, BENJAMIN MATHIS, DAVID K. S. TSE, RAAD RAWI, CHARLOTTE HEINIMANN, DANIEL LUDWIG U. A.

LÄNGE: 2 STD 22 MIN


Ganz schön mutig, so ganz allein und nur mit einem Rucksack quer durch Sarawak zu wandern. Ohne Guide, ohne irgend jemandem, der die Gegend und seine Tücken kennt. Ohne großer Kenntnis der lokalen Flora und Fauna. Das muss man wirklich wollen – so auszusteigen und sein Schicksal in Gottes Hand oder in die Hand jener Entität zu legen, die im Glauben der Penan die ganze Gegend mit allem, was da kreucht und fleucht, unter seiner Obhut hat. Der Schweizer Bruno Manser hat das getan: Dem stockkonservativen Weltbild seiner Heimat den Rücken gekehrt, um Alternativen zu finden. Neue Lebensentwürfe und die Essenz des Daseins. Oder einfacher gesagt: Worauf es im Leben wirklich ankommt. Dieser Marsch durch den Regenwald führt in schon bald zum Nomadenstamm der Penan – ein scheinbar unbekümmertes Volk aus Jägern und Sammlern, friedliebend, glücklich, voller Humor. Manser wird anfangs skeptisch beäugt, doch nachdem der „Eindringling“ einfach nicht verschwinden will und bald auch für unfreiwillig komische Momente sorgt, ist er bald Teil der Gemeinschaft, einschließlich textillosem Outfit und ausgestattet mit Speer und Machete.

So streifen sie durch den Dschungel, mehrere Jahre lang – bis dieser plötzlich endet. Grund dafür ist der Kahlschlag ganzer Areale, die eigentlich den im Urwald lebenden Stämmen gehören, doch die malaysische Regierung sieht Indigene wie diese eher als Tiere statt als Menschen. Zumindest Wesen, die keinerlei Rechte haben und übervorteilt werden können, wenn es um die globale Wirtschaft geht. Und Tropenholz, das wollen alle. Vor allem der Staat selbst, in welchem abgeholzt wird, weil Lizenzen wie diese irre viel Geld bringen. Die Gier wird uns sehr bald und so richtig das Genick brechen, ich warte nur noch drauf. Einer, der nicht warten konnte, war eben Bruno Manser. Als „Gandhi“ Borneos gelingt es ihm, all die Penan-Stämme zum gewaltfreien Widerstand zu mobilisieren, sehr zum Missfallen der Holzindustrie und ihre Geschäftspartner, die sich nach langem Tauziehen sogar dazu hinreißen lassen, auf den weißen Lendenschurz-Rebellen ein Kopfgeld auszusetzen.

So geht Aktivismus – das muss man schon sagen. Zielgerichtet, am Ort des Geschehens und unbeugsam angesichts halbseidener Kompromisse, die dazu tendieren, Öko-Robin Hoods wie Manser einfach zu kaufen. Geht natürlich gar nicht, Methoden wie diese schüren nur noch mehr den Widerstand, doch davon haben die, die dem Geld verfallen sind, natürlich keine Ahnung. Die Penan-Blockade ist ein Lehrbeispiel der Auflehnung, trotz des Sitzens am kürzeren Ast. In Zeiten wie diesen, in denen die grüne Lunge des Planeten – vorrangig in Amazonien – immer mehr abgewürgt wird, bis uns die Atemnot auf die Füße fallen wird, ist ein Film wie dieser das richtige Stück Bildungskino für Menschen, die fest der Meinung sind, Aktivismus hätte keinen Sinn. Um sie eines Besseren zu belehren. Niklaus Hilber hat hier 2019 ein Denkmal gesetzt für einen Mann, der aus dem Nichts heraus hörbar für die ganze Welt so vehement auf den Tisch gehauen hat, dass EU und UNO einfach nicht mehr wegsehen konnten. Mit Vokuhila und Gelehrtenbrille steht der halbnackte Idealist auf den staubigen Pisten, links und rechts der Wald, hinter ihm sein geliebtes Volk. Der Schweizer Bühnendarsteller Sven Schelker gibt der Ikone des Umweltschutzes ein Gesicht, welches man in anderen Filmen vergeblich sucht. Und das ist gut so. Der reale Charakter wird dadurch nicht von der Prominenz eines Stars übertüncht – Bruno Manser im Film könnte Bruno Manser in echt sein. Erstaunlich auch die Rekonstruktion der Lebensweise der Penan, mit all ihren Darstellern, die in der indigenen Sprache sprechen, was wunderbar klingt und mit den Geräuschen des Regenwaldes harmoniert. Niklaus Hilber mag sich ganz auf die Eigendynamik aus Natur und indigener Kultur verlassen, auf den Einklang der Menschen mit ihrer Umwelt. Es sind die besten Momente des Films – beeindruckend und opulent, wie in John Boormans Ökothriller Der Smaragdwald aus dem südamerikanischen Dschungel. Auch die Chronik der Auflehnung hat Power, doch nach dem Szenenwechsel in die Schweiz offenbart sich eine unbeholfene Dramaturgie, die mehr an Spielszenen fürs Schulfernsehen erinnern als an packendes Politkino. Das mag an den Co-Akteuren liegen, deren Texte wie aufgesagt klingen. Das Skript ist dann nur noch eine To-do-Liste relevanter Szenen, die für die biographische Chronik eines Bruno Manser essenziell sind.

Ungeachtet dieses Defizits ist es allerdings wert gewesen, mit Die Stimme des Regenwaldes die Geschichte eines großen Aktivisten zu erzählen. Da diese keine Naturschutzfloskeln enthält und auch nicht im Pseudoidealismus den Erfolg solcher Missionen anhand glücklicher Zufälle vom Himmel regnen lässt, bleibt das Ende relativ offen und beschert dem Werk einen greifbaren Realismus. Fakt ist jedenfalls: Seit 2005 gilt Manser im Regenwald Borneos als verschollen. Ob es Mord oder Selbstmord war – oder ob Manser nur untergetaucht ist, wird man nie erfahren.

Die Stimme des Regenwaldes (2019)

All the Beauty and the Bloodshed (2022)

WENN KUNST DEN AUFSTAND PROBT

6/10


allthebeautybloodshed© 2023 Plaion Pictures


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: LAURA POITRAS

KAMERA: NAN GOLDIN

MIT: NAN GOLDIN, MARINA BERIO, NOEMI BONAZZI, HARRY CULLEN, MEGAN KAPLER. JOHN MEARSHEIMER U. A.

LÄNGE: 1 STD 57 MIN


Bevor Laura Poitras (gewann den Oscar 2014 für die Snowden-Doku Citizenfour) letztes Jahr den Goldenen Löwen von Venedig gewann, war mir der Name Nan Goldin überhaupt kein Begriff. Gäbe es ihren preisgekrönten Film All the Beauty and the Bloodshed nicht, würde ich auch weiterhin nichts von ihr wissen. Eine Bildungslücke? Ich bin mir nicht sicher. Zumindest haben einige in meinem Umfeld noch nie von dieser Künstlerin gehört, und wenn, dann käme ihnen maximal ihr Name bekannt vor.

Gut, soll sein, ich lass mich ja gern weiterbilden, und so erfahre ich im Zuge des vorliegenden, aus zwei Erzählsträngen geflochtenen Films von einer US-Amerikanerin mit entbehrungsreicher Kindheit, entbehrungsreicher Jugend, einem Dasein als Young Adult mit allerhand Sex and Drugs und nicht wirklich Rock ‘N Roll, dafür aber mit ganz viel LGBTQ und dem Drama AIDS. Nan Goldin also. Fotografin für Szene und Underground, stets biographisch gefärbt, stets sehr lebensnah und ohne Blatt vor dem Mund. Was ihr selbst widerfuhr, dürfen alle anderen durchaus wissen. Ob Prostitution, gefühlskaltes Elternhaus oder der Suizid ihrer acht Jahre älteren Schwester, die ihr viel bedeutet hat.

Doch das ist nicht alles, was Poitras in ihren sehr Amerika-lastigen Film packt. Da gibt es noch das gewisse Etwas, den zweiten Erzählstrang, die mehr oder weniger in der jüngsten Vergangenheit vorgefallene Auseinandersetzung Goldins mit dem Pharmakonzern Purdue Pharma, das zum Imperium der stinkreichen Familie Sackler gehört hat, von der ich auch zum ersten Mal höre, und hätte es diesen Film nicht gegeben, würde ich auch hier weiter nichts wissen. Anscheinend weist mein Allgemeinwissen ordentliche Lücken auf, aber hey: wie heißt es doch so schön bei Platon: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Diese Sacklers haben also ein Medikament auf den Markt gebracht, genauer gesagt ein Opioid namens Oxycontin – eine schmerzstillende Blockbuster-Arznei, möchte man meinen, aber hochgradig abhängig machend. Goldin war eines dieser Suchtopfer, kam darüber hinweg und zieht nun mit ihrer eigens gegründeten Bewegung P.A.I.N. von Kunstforum zu Kunstform, um den Namen Sackler aus jeder musealen Einrichtung zu verbannen, haben die doch ganz schön viel Geld in die Kunst investiert. Goldin kann sich das leisten, sie ist schließlich selbst überall Teil des Ausstellungsprogramms, niemand will ihre Werke missen, sprechen die doch so ein klares Lokalkolorit weit jenseits eines perfekten Bildes, dafür aber voller Atmosphäre und US-Zeitgeist.

All the Beauty and the Bloodshed ist nichts, was man sich ansieht, um einen angenehmen Filmabend zu verbringen. Und hätte mich das Kinoabo-Service nonstop (Vielen Dank an dieser Stelle!) nicht zu einem Überraschungs-Kinoabend eingeladen, hätte ich dieses Werk auch nie auf meine Liste gesetzt. Ich konnte weder mit dem Namen noch mit der Problematik viel anfangen, und sogar bei Sichtung des Films fällt es mir schwer, zu dieser Welt, die Goldin ihre eigene nennt, Zugang zu finden. Es kommen Schicksale von Leuten ans Licht, die für Goldin zwar wichtig waren (und sind), mir aber fremd bleiben. Die Art zu leben, die Kunstszene des Undergrounds, aus welcher mir nur John Waters ein Begriff ist; dieses Einzelschicksal einer Person, zu welcher ich selbst und aus meinem eigenen Alltag heraus keine Verbindung knüpfen kann, berührt mich nur am Rande. Und es ist seltsam befremdend, laufenden Bildern zu folgen, die keine sind, und zwar notgedrungen, denn Goldins Oeuvre sind Diashows. So reiht Poitras ein Werkzitat ans andere, und zugegeben – manche sind erstaunlich, andere wiederum sind zwar spontan entstanden, aber technisch gesehen entbehrlich. Eine Kinodoku, zu 30 Prozent Diashow. Einerseits: Warum nicht. Andererseits wäre All the Beauty and the Bloodshed als Ergänzung für eine museale Retrospektive der Künstlerin besser aufgehoben.

Doch auch wenn das Thema so breit gefächert ist wie ein Bauchladen an erschwerten Lebensbedingungen, Geldgier und Aktivismus, gelingt es dieser Dokumentation, all diese Elemente zusammenzubringen und so miteinander zu vermengen, dass der Film wie aus einem Guss wirkt. Dass er niemals langweilt und man dennoch dranbleiben will, auch wenn all die realen Personen im Film vehement in ihrer Aktionsblase bleiben. Das will nichts anderes heißen als das: Der Venedig-Gewinner des letzten Jahres ist als Film enorm gut gemacht, die Positionen im Film sind klar bezogen. Viel zu viel Stoff ist es aber dennoch, das rühmliche Ego ist groß und über Kunst lässt sich nach wie vor streiten.

All the Beauty and the Bloodshed (2022)

The Best of Enemies

DURCHS REDEN KOMMEN D‘ LEUT‘ ZAM

7/10


thebestofenemies© 2021 Netflix


LAND / JAHR: USA 2019

BUCH / REGIE: ROBIN BISSELL

CAST: TARAJI P. HENSON, SAM ROCKWELL, WES BENTLEY, BABOU CEESAY, ANNE HECHE, BRUCE MCGILL, JOHN GALLAGHER Jr. U. A. 

LÄNGE: 2 STD 13 MIN


Was tun eigentlich rechtsorientierte, fremdenfeindliche Idealisten, wenn sie im Laufe ihres gesellschaftspolitisch vorgeprägten Lebens plötzlich überzuckern, dass die andere Seite es besser weiß? Dass die Sache mit der Rassentrennung vielleicht doch nicht so Hand und Fuß hat? Was tun diese Leute eigentlich in Anbetracht eines sozialen Umfelds, das zur Gänze aus einem meinungspolitisch festgefahrenen Dunstkreis kommt? Würden Sie zugeben, manchmal anderer Meinung zu sein? Zu viel stünde auf dem Spiel – das gesamte mühsam errichtete soziale Netzwerk, alle Freunde und vielleicht gar Fans könnten Quergedachtes durchaus übel nehmen. Also schauspielern bis zum Selbstverrat? Natürlich, denn es gehört viel zu viel Mut dazu, um sich aus formelhaftem Gedankengut, kolportierten Vorurteilen und einer sich selbst aushöhlenden Vereinsghettoisierung herauszukämpfen.

Diese hier vorliegende True Story ist ein Beispiel dafür, wie leicht es passieren kann, sich dennoch vom Gegenteil überzeugen zu lassen. Wer würde da gut in die Rolle des Ku Klux Klan-Obmanns passen, der plötzlich mit den verhassten Schwarzen zusammenarbeiten muss? Natürlich Oscarpreisträger Sam Rockwell. Ein guter Mann. Nicht leicht einzuordnen, nicht zwingend der Gute, auch nicht zwingend der Böse. Vielleicht aber wohl einer der ausdrucksstärksten Identifikationsfiguren des amerikanischen Kinos, als einer, der gut und gerne sein Weltbild adaptiert. Das war bei Duncan Jones´ Moon schon so. Das hat er als rassistischer Bulle in Three Billboards outside Ebbing, Missouri ebenso wunderbar ausformuliert. Und da zeigt er nun auch in The Best of Enemies überzeugend, wie es ist, sich nochmal neu überzeugen zu lassen.

Die Sache ist nämlich die: ein Brand in einer Schwarzen-Schule in Durham führt dazu, dass jene Rassenklassen in eine Weißenschule integriert werden müssten. Prinzipiell mal bedarf dieser Umstand keinerlei Diskussionen. Jedoch befinden wir uns hier Anfang der 70er Jahre und Durham ist nun mal ein rassistisch angehauchtes Pflaster, auf dem der sogenannte Klan sein Unwesen treibt und der Bürgermeister mit diesen noch dazu unter einer Decke steckt. Ein Jurist muss her – der wiederum initiiert ein sogenanntes Charette-Verfahren. Noch nie davon gehört. Dank des Films weiß ich jetzt: Diese Planungsmethode dient zur Stadtentwicklung mit direkter Beteiligung der Bürger. Das heisst: es wird abgestimmt, ob die Zusammenlegung nun stattfindet oder nicht. Auf der einen Seite steht als Co-Vorsitzender Sam Rockwell alias C.P. Ellis, auf der anderen Seite Aktivistin Ann Atwater, aufbrausend, tobsüchtig und resolut bis dorthinaus. Beide haben ihr Team, beide schenken sich nichts.

Dieser Fall ist natürlich ein schwer umzusetzender, durchaus trockener Filmstoff. Wie daraus eine spannende Chronik der Ereignisse extrahieren? Überraschenderweise funktioniert der über 2 Stunden lange Film nach einigen Anfangsschwierigkeiten, bei dem ein gewisses Dahinplätschern zu verorten ist, letzten Endes tatsächlich. Wird gar packend. Und das, ohne groß auf den plakativen Konflikt zwischen Schwarz und Rechtaussen Weiß zu setzen. Natürlich – um zu verdeutlichen, mit wem wir es hier zu tun haben, dürfen die ruchlosen Methoden des Klans nicht unerwähnt bleiben. Regisseur Robin Bissell aber spart sich den Zeigefinger und widmet seine fast schon unparteiische Hymne viel mehr der erhellenden Macht eines diplomatischen Gesprächs. Durchs Reden kommen d‘ Leut zam – sagt man. Durch Begegnungen können Meinungen auch revidiert werden. The Best of Enemies ist vielmehr die Entstehungsgeschichte einer unmöglichen Freundschaft, entworfen als lokales Polittheater. Dabei legt sich Taraji B. Henson (oscarnominiert für Finchers Benjamin Button) für ihre Glaubwürdigkeit als aufstampfende Supermama voller Inbrunst ins Zeug. Auch für eine zweite Chance, die jeder bekommen sollte. Und sei er auch noch so sehr der Feind.

The Best of Enemies

Und morgen die ganze Welt

WATSCHEN FÜR DIE FASCHOS

6/10


UndMorgenDieGanzeWelt© 2020 Alamode Film


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2020

REGIE: JULIA VON HEINZ

CAST: MALA EMDE, NOAH SAAVEDRA, TONIO SCHNEIDER, ANDREAS LUST, LUISA-CÉLINE GAFFRON, FRIDA KNABE U. A. 

LÄNGE: 1 STD 51 MIN


Aufstehen gegen Nationalismus und Faschismus und überhaupt gegen alles, was die Grundwerte einer Demokratie ins Wanken bringen könnte: das ist natürlich löblich. Und wie es Julia von Heinz als einleitendes Zitat ihrem Film Und morgen die ganze Welt voranstellt, liegt es anscheinend auch in der Verantwortung jedes einzelnen Bürgers, die Destruktion eines Sozialstaates mit eigenen und mit allen Mitteln zu verhindern, sofern staatliche Maßnahmen nicht mehr greifen. Ein gesetzlicher Grundsatz, der fast schon jene attraktive Auslegungswiese mäht wie das Buch aller Bücher. Rein subjektiv betrachtet könnten angesichts des rechten Umschwungs zumindest in der Bundesrepublik Deutschland der eine oder andere Subdreißiger das Gefühl bekommen, jetzt eingreifen zu müssen – da der Staat, wie es aussieht, maximal Symptombekämpfung betreibt.

Wo also ansetzen, denkt sich Jurastudentin Luisa. Freundin Batte schleppt sie dafür in die linkslinke Kommune P81, die für die gute Sache kämpfen will, allerdings im Untergrund bleiben muss. Ihre Taktik: bei rechten Versammlungen als Partycrasher fungieren. Das geht sehr schnell sehr fies nach hinten los, als Luisa bei so einer Aktion von einem Neonazi verfolgt und angegriffen wird. Spätestens da kippt die Stimmung. Luisa empfindet neben posttraumatischer Panik Scham, Kränkung und die Lust nach Rache. Wie viel bleibt da noch von einem politischen Statement? Wieviel bleibt da noch vom Großen und Ganzen, wenn Politik zur persönlichen Sache wird? Nicht nur Luisa, auch zwei ihrer Gesinnungsgenossen wollen schwerere Geschütze auffahren – und schrecken vor Gewalt dann auch nicht mehr zurück.

Ihr Jungen, habt ihr nichts gelernt? Da reicht ein Blick in den Nahen Osten, um ganz schnell festzustellen, dass Gewalt nur Gegengewalt erzeugt. Dass der geprobte Aufstand als das redundante Ausmalen der immer gleichen bröckeligen Wand (ein schöner Vergleich, den Andreas Lust im Film von sich gibt) maximal die eigenen Emotionen befriedigt, Mutter Staat aber relativ kalt lässt. Julia von Heinz (u. a. Ich bin dann mal weg) äußert sich höchst kritisch zu dieser Art der Bürgerpolitik – ganz gleich, welche Fraktion das angeht. Ihr Drehbuch hat kluge Ansätze und konzentriert sich dabei vorwiegend auf Male Emde, die sich – gut gespielt – als Luisa zusehends zur Rebellin radikalisiert und auf alles andere als auf nachhaltigen Schaden für die Gegenseite setzt. Ähnliche Filme wie Night Moves von Kelly Reichhardt, in dem es um radikalen Klima-Aktivismus geht, sind sogar noch pessimistischer. Hier aber ist politisches Halbwissen ein großes Manko, wenn man politisch etwas verändern will.

Es fällt in Und morgen die ganze Welt sehr schwer, für all diese Idealisten und gekränkten Figuren Sympathie zu empfinden. Ihre Art zu handeln ist fragwürdig, schwer nachvollziehbar und teilweise auch völlig dumm. Was dann bleibt, ist ein gutes schlechtes Beispiel für unbekümmerte Militanz. So manche Dialoge, die einfach nur halblaut gemurmelt sind, bleiben überdies akustisch schwer verständlich. Ein Film, der nahe geht, ist das Politdrama keines. Vielmehr ein distanziertes „Ich hab’s euch ja gesagt“ in knappen zwei Stunden.

Und morgen die ganze Welt

Flucht aus Pretoria

DIE SCHLÜSSEL ZUR FREIHEIT

7/10


Flucht_Pretoria© Koch Films 2020


LAND: AUSTRALIEN, GROSSBRITANNIEN 2020

REGIE: FRANCIS ANNAN

CAST: DANIEL RADCLIFFE, DANIEL WEBBER, IAN HART, MARK LEONARD WINTER, NATHAN PAGE, GRANT PIRO U. A. 

LÄNGE: 1 STD 46 MIN


Was waren das nicht für Ausbruchsszenarien! Steve McQueen zum Beispiel, der von der Teufelsinsel floh. Packend inszeniert im Streifen Papillon. Oder Clint Eastwood auf der Flucht von Alcatraz – eine unvergleichlich präzise Chronik tatsächlicher Ereignisse. Und natürlich nicht zu vergessen Tim Robbins Pin-Up-Girl-Trickserei in Die Verurteilten – fiktiv zwar, aber einfach genial. Jetzt, nach langen Jahrzehnten halbgarer Ausbruchsfilme, unter ferner Liefen zum Beispiel Escape Plan mit Stallone und Schwarzenegger, gibt es jetzt endlich wieder ein Werk, dass sich geschnäuzt und gekämmt auf Augenhöhe mit eingangs erwähnten Klassikern begeben kann: Flucht aus Pretoria. ein australischer Film, rekapituliert die unglaubliche, aber wahre Geschichte der Politaktivisten Tim Jenkinund Stephen Lee, die in den aufwühlenden Zeiten der südafrikanischen Apartheid mit Flugzettelbomben das unterdrückte Volk zum Ungehorsam aufwiegeln wollten. Pech für die beiden: sie werden erwischt und wandern für geraume Zeit hinter schwedische Gardinen. Zum Glück nicht auf Robben Island, auf welcher zur selben Zeit Nelson Mandela seine lebenslange Haft absitzen muss. Hinter Schloss und Riegel kommen die beiden im Staatsgefängnis von Pretoria, wie der Titel schon sagt. Wobei keiner der beiden nur eine Sekunde ernsthaft daran denkt, die aufgebrummte Zeit abzusitzen. Ganz im Gegenteil – kaum im Häfen, schmiedet Tim Jenkin – souverän verkörpert vom brillen- und barttragenden Daniel Radcliffe – einen Fluchtplan. Dabei wählt er die offensichtlichste aller Methoden., um Tür und Tor für die Freiheit zu öffnen – er fertigt Schlüssel an.

Wie und wann er das macht, wie er diese Schlüssel testet, wie er überhaupt an die Originalvorlagen herankommt, und wer ihm dabei hilft oder nicht hilft – das wird zum spannenden, packenden und enorm konzentrierten Spießrutenlauf, zum Balanceakt ohne Netz und doppeltem Boden. Dabei geht Regisseur Francis Annan natürlich keinerlei Risiken ein, was seine Verfilmung angeht: Flucht aus Pretoria ist routiniertes, handwerklich sauberes Kino ohne Firlefanz. Hier ist das, was man sieht genau das, was man bekommt. Metaebenen, Psychostudien oder sonstiges sind hier maximal in der Besuchszeit gestattet – und auch dann nicht, denn Annans Film konzentriert sich auf eigentlich recht trockene, aber kuriose Fakten, die das Leben zum besten Storyteller machen. Was braucht es da nämlich sonst noch außer Radcliffe und Co dabei zuzusehen, wie sie das Unmögliche wagen, wie sie ihre politische Motivation, im Menschenrecht zu sein, zu einem dermaßen frechen Escape Plan verleitet, der allen Kerkermeistern Südafrikas die lange Zunge zeigt. Nicht umsonst zog Jenkins und Lees Ausbruch die größte Polizeiaktion des Staates nach sich. Flucht aus Pretoria ist gewitztes True Story-Kino auf Nadeln. Für Freunde von Knastfilmen, die nicht zwingend den Mikrokosmos gnadenloser Ganglandschaften untersuchen, sondern lieber mit den Motiven eines pragmatischen Handwerk-Thrillers spielen, für dessen Helden Selbstmitleid ein Fremdwort ist, weil sie lieber Köpfchen haben.

Flucht aus Pretoria

I Am Greta

AM FREITAG IST ALLES GANZ ANDERS

6/10

greta© 2020 Filmwelt Verleihagentur

LAND: SCHWEDEN, DEUTSCHLAND, USA, GROSSBRITANNIEN 2020

REGIE & KAMERA: NATHAN GROSSMANN

MIT: GRETA THUNBERG

LÄNGE: 1 STD 37 MIN

Was haben Forrest Gump und Aktivistin Greta Thunberg eigentlich gemeinsam? Sie haben ein Projekt, das sie durchziehen, frei nach dem Motto: Move your ass, your mind will follow. Forrest Gump hat irgendwann zu laufen begonnen, Greta hat sich irgendwann vor das schwedische Parlament gesetzt. Beide sind Einzelgänger, und beide hatten irgendwann die Medien auf ihrer Seite. Dank dieser meinungsmachenden Institution hatten gab’s bald unzählige Anhänger, die entweder mitgelaufen sind, weil sie den Run von Forrest Gump für ein höheres Ziel hielten – oder mitstreiken wollten, weil sie auch das für ein höheres Ziel hielten – was es ja im Gegensatz zu Forrest Gumps Dauerlauf auch war. Hatte Greta Thunberg das beabsichtigt? Oder ist ihr das Ganze passiert? War es vielleicht in erster Linie die Idee von Gretas Papa?

Das dokumentarische Portrait einer Öko-Ikone von Dokufilmer Nathan Grossmann beginnt mit der Stunde Null, aus allen erdenklichen Perspektiven gefilmt. Rein zufällig wird Grossmann nicht vor dem Parlament auf und ab spaziert sein, um darauf zu warten, die Story schlechthin zu ergattern. Gretas Projekt „Friday for Future“ war also nichts spontanes, sondern etwas sorgfältig geplantes, durchbesprochenes – ein durchgetaktetes Medienereignis, natürlich für einen guten Zweck. Oder war alles ganz anders, war vielleicht Grossmann doch rein zufällig dort? Spannend, was sich in die Doku I am Greta alles hineininterpretieren lässt oder welche Gedanken man dabei verfolgt. Grossmann hat das Mädchen also ein Jahr lang überallhin begleitet. gefilmt, wo noch nicht gefilmt wurde und dazu gefilmt, wo längst die Kameras anderer Reporter glühten. Viel Persönliches zeigt er daher nicht. Was wir sehen, ist ein zusammenmontiertes Portrait aus öffentlichen und privaten Aufnahmen. Greta spricht, Greta schweigt, Greta sucht ihren Ausgleich im Tänzeln und Herumhüpfen. Ist mal in sich gekehrt, dann wieder vergnügt. Lässt negative Feedbacks aus den sozialen Medien aber unkommentiert.

Nichtsdestotrotz ist I am Greta eine nicht wenig faszinierende und nicht zwingend zum Vorteil für Gretas Jünger konzipierte, erhellende Betrachtung auf ein menschliches Phänomen. Ironisch, wenn Greta Wasser predigt und die Gefolgschaft Wein trinkt. Wenn es nicht um Selfies geht, und alle anderen auf ein Selfie mit ihr wollen. Es scheint, als wäre Gretas manischer Wille, das Klimafehlkonstrukt umzureißen, ein Perlenwerfen vor die Säue. Ihre verbale, verkniffene Wut vor all den Politbonzen sind ihre besten Momente. Nur schade, dass diese bei vielen Mächtigen maximal eine gewisse belustigende Faszination vor dem Ungewöhnlichen hervorruft. Denn das ist sie auf jeden Fall, unsere Greta Thunberg: ungewöhnlich. Klug obendrein, keine Frage. Eine Musterschülerin, die sich Auszeiten vor der Schulbank leisten kann. Was mich aber am Ende des Portraits weiterhin und noch mehr faszinieren würde, wäre so manch eine Stimme aus dem Off. Zum Beispiel mehr Wortspenden vom Vater, von der Mutter. Vielleicht gar aus Gretas Schule? Welche Mechanismen wohl hinter all diesem Foght fürs Klima stecken mochten. So gesehen bleibt I am Greta zwar ein runder Abschluss ihres Aktivistenjahres, ein Resümee ihrer öffentlichen Person und ein werbewirksamer Abspann. Mehr aber nicht. Und gerade dieses „Mehr“ würde mir noch fehlen.

I Am Greta