How to Blow Up A Pipeline (2022)

BREAKING BAD FÜR DEN GUTEN ZWECK

7/10


howtoblowuppipeline© 2023 Plaion Pictures


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: DANIEL GOLDHABER

DREHBUCH: ARIELA BARER, JORDAN SJOL & DANIEL GOLDHABER, NACH DEM BUCH VON ANDREAS MALM

CAST: ARIELA BARER, KRISTINE FROSETH, LUKAS GAGE, FORREST GOODLUCK, SASHA LANE, JAYME LAWSON, MARCUS SCRIBNER, JAKE WEARY, IRENE BEDARD U. A.

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Verbrechen zahlt sich aus? Vielleicht in der Politik, da merkt man nicht sofort, was im parlamentarischen Hinterzimmer alles beredet wird. Oder, wenn ein ganzes Volk an einem Strang zieht. Sowas nennt man dann Revolution, die wiederum Sinn macht, wenn Alleinherrschaften gestürzt werden sollen. Verbrechen aber im Gewand von linkem oder rechtem Idealismus zieht meist einen Rattenschwanz aus Ahndung und Vergeltung nach sich. Niemand kann verstehen, wie Gewalt – sei es nun gegen Menschen oder gegen Dinge – als gesetztes Zeichen für eine bessere oder andere Welt jemals genau dorthin führen soll. Um andere aufzurütteln? Die, die es vielleicht zum Umdenken bringen könnte, haben längst schon ihre Türen geöffnet, bevor sie eingerannt werden. Die anderen hängen in ihrer Borniertheit sowieso an ihrer Meinung. Und können statuierte Exempel wie im vorliegenden Film nur verurteilen oder geringschätzend belächeln.

Einen Kreuzzug gegen die kapitalistische Weltherrschaft zu führen ist, als würde man eine Festung mit Graffitisprays stürmen. Klimakleber blockieren zwar die Straße, blockieren aber auch ein Umdenken, weil Aktionen wie diese ganz andere Emotionen auslösen, nicht aber jene, die die Umwelt betreffen, die im Argen liegt. Idealisten, die eine Pipeline sprengen wollen, um den Ölfluss und damit die Konzernroutine zu stören, packen das Übel nicht an der Wurzel, sondern reißen dem Unkraut lediglich die Blätter aus. Ihre Vorgehensweise ist eine persönliche, und keine fürs globale Allgemeinwohl. Das erfährt man, wenn man sich How to Blow Up A Pipeline ansieht, basierend auf dem gleichnamigen Ratgeber für aktivistische Kriegsführung. In diesem Independentdrama treffen acht vom Leben im Stich gelassene, junge Menschen aufeinander, die sich in der Wüste von Texas einem Sabotageakt verschreiben, der, wie der Titel schon sagt, die Ölzufuhr eines Rohstoffgiganten an zwei auseinanderliegenden Stellen zumindest eine Zeit lang stoppen soll. In die Wege geleitet soll dies mit ordentlich Sprengstoff werden – einem vorzüglich selbst gemixten. Und schon erinnert das ganze Szenario ein bisschen an Breaking Bad – nur statt Crystal Meth, das ja wirklich nicht fürs Allgemeinwohl, sondern nur für den eigenen Profit hergestellt wird, mixt der in Sprengstoffen versierte Autodidakt Michael mit angehaltenem Atem und ruhiger Hand ein ganz anderes Pulver zusammen. Eines, dass Stahl, Nieten und alles andre in seine Einzelteile zerlegen soll. Die anderen sieben helfen dabei, füllen ganze Fässer mit Ammoniumnitrat, checken die Lage und schwören sich auf ein Gelingen des Anschlags ein, der tunlichst keine Menschenleben gefährden soll, denn schließlich geht es ja um die Menschlichkeit, um ein besseres Leben, um ein Umdenken. Mord wäre da das falsche Signal. Und Sachbeschädigung?

Regisseur Daniel Goldhaber bewundert seine acht Seelen, die im Winter der amerikanischen Wüste die Welt verändern wollen. Ja, er sympathisiert gar mit ihnen und erklärt sie zu Kreuzrittern, die sich Gehör verschaffen müssen. Andererseits aber schnipselt er ins fast schon semidokumentarische und genau beobachtete Making Of eines Anschlags die in groben Eckdaten zusammengefassten persönlichen Beweggründe jeder und jedes einzelnen. Dabei wird klar, dass selten der globale Zustand unserer Welt der Motor für die nun vor uns liegende Aktion darstellt, sondern ausschließlich persönliche Kränkungen, Benachteiligungen und gesundheitlicher Schaden. Ist das Ganze dann nicht eher eine Frage der Rache? Der Vergeltung? Die einzige Möglichkeit, sich den eigenen Schmerz und die Ungerechtigkeit rauszuschreien, weil ihn sonst keiner hört?

How to Blow Up A Pipeline ist fraglos eine spannende Chronik, und bietet aufgrund der unterschiedlichen Charaktere, die mit ihrer desillusionierten Grimmigkeit schließlich doch etwas gemeinsam haben, potenziellen Zündstoff, der das ganze Vorhaben bereits intern hätte scheitern lassen können. Das gemeinsame Ziel allerdings – die Aussicht, nichts mehr verlieren zu können, schweißt alle zusammen. Verzweiflung, Gruppendynamik und Teamgeist bilden die Essenz, die vorhanden sein muss, um Tabula rasa zu machen. In Goldhabers Film steht also primär die Erforschung der Parameter im Vordergrund, die zur praktischen Umsetzung radikaler Ideen führen. Andererseits kann Goldhaber auch nicht anders, als die Wahl extremer Mittel, um ein Statement zu setzen, für vertretbar zu befinden.

Von daher ist sein Film durchaus imstande, zu beobachten und zu provozierien. Am Ende wird das Charaktedrama gar zum – zugegeben etwas konstruierten – Thriller inklusive Story-Twist. Darüber, ob How to Blow Up A Pipeline nun aber Partei ergreift oder nicht, lässt sich streiten. Ich zumindest meine, er tut es. Doch wenigstens liegt hier – zwischen Wut und Pipeline – eine logische Verbindung vor, während das Anschütten berühmter Gemälde mit Tomatensuppe vielleicht doch am Ziel vorbeipatzt.

How to Blow Up A Pipeline (2022)

Die Stimme des Regenwaldes (2019)

AKTIVISMUS ZAHLT SICH AUS

7/10


Spielfilm BRUNO MANSER© 2019 Thomas Wüthrich


LAND / JAHR: SCHWEIZ, ÖSTERREICH 2019

REGIE: NIKLAUS HILBER

DREHBUCH: NIKLAUS HILBER, PATRICK TÖNZ, DAVID CLEMENS

CAST: SVEN SCHELKER, ELIZABETH BALLANG, NICK KELESAU, MATTHEW CROWLEY, BENJAMIN MATHIS, DAVID K. S. TSE, RAAD RAWI, CHARLOTTE HEINIMANN, DANIEL LUDWIG U. A.

LÄNGE: 2 STD 22 MIN


Ganz schön mutig, so ganz allein und nur mit einem Rucksack quer durch Sarawak zu wandern. Ohne Guide, ohne irgend jemandem, der die Gegend und seine Tücken kennt. Ohne großer Kenntnis der lokalen Flora und Fauna. Das muss man wirklich wollen – so auszusteigen und sein Schicksal in Gottes Hand oder in die Hand jener Entität zu legen, die im Glauben der Penan die ganze Gegend mit allem, was da kreucht und fleucht, unter seiner Obhut hat. Der Schweizer Bruno Manser hat das getan: Dem stockkonservativen Weltbild seiner Heimat den Rücken gekehrt, um Alternativen zu finden. Neue Lebensentwürfe und die Essenz des Daseins. Oder einfacher gesagt: Worauf es im Leben wirklich ankommt. Dieser Marsch durch den Regenwald führt in schon bald zum Nomadenstamm der Penan – ein scheinbar unbekümmertes Volk aus Jägern und Sammlern, friedliebend, glücklich, voller Humor. Manser wird anfangs skeptisch beäugt, doch nachdem der „Eindringling“ einfach nicht verschwinden will und bald auch für unfreiwillig komische Momente sorgt, ist er bald Teil der Gemeinschaft, einschließlich textillosem Outfit und ausgestattet mit Speer und Machete.

So streifen sie durch den Dschungel, mehrere Jahre lang – bis dieser plötzlich endet. Grund dafür ist der Kahlschlag ganzer Areale, die eigentlich den im Urwald lebenden Stämmen gehören, doch die malaysische Regierung sieht Indigene wie diese eher als Tiere statt als Menschen. Zumindest Wesen, die keinerlei Rechte haben und übervorteilt werden können, wenn es um die globale Wirtschaft geht. Und Tropenholz, das wollen alle. Vor allem der Staat selbst, in welchem abgeholzt wird, weil Lizenzen wie diese irre viel Geld bringen. Die Gier wird uns sehr bald und so richtig das Genick brechen, ich warte nur noch drauf. Einer, der nicht warten konnte, war eben Bruno Manser. Als „Gandhi“ Borneos gelingt es ihm, all die Penan-Stämme zum gewaltfreien Widerstand zu mobilisieren, sehr zum Missfallen der Holzindustrie und ihre Geschäftspartner, die sich nach langem Tauziehen sogar dazu hinreißen lassen, auf den weißen Lendenschurz-Rebellen ein Kopfgeld auszusetzen.

So geht Aktivismus – das muss man schon sagen. Zielgerichtet, am Ort des Geschehens und unbeugsam angesichts halbseidener Kompromisse, die dazu tendieren, Öko-Robin Hoods wie Manser einfach zu kaufen. Geht natürlich gar nicht, Methoden wie diese schüren nur noch mehr den Widerstand, doch davon haben die, die dem Geld verfallen sind, natürlich keine Ahnung. Die Penan-Blockade ist ein Lehrbeispiel der Auflehnung, trotz des Sitzens am kürzeren Ast. In Zeiten wie diesen, in denen die grüne Lunge des Planeten – vorrangig in Amazonien – immer mehr abgewürgt wird, bis uns die Atemnot auf die Füße fallen wird, ist ein Film wie dieser das richtige Stück Bildungskino für Menschen, die fest der Meinung sind, Aktivismus hätte keinen Sinn. Um sie eines Besseren zu belehren. Niklaus Hilber hat hier 2019 ein Denkmal gesetzt für einen Mann, der aus dem Nichts heraus hörbar für die ganze Welt so vehement auf den Tisch gehauen hat, dass EU und UNO einfach nicht mehr wegsehen konnten. Mit Vokuhila und Gelehrtenbrille steht der halbnackte Idealist auf den staubigen Pisten, links und rechts der Wald, hinter ihm sein geliebtes Volk. Der Schweizer Bühnendarsteller Sven Schelker gibt der Ikone des Umweltschutzes ein Gesicht, welches man in anderen Filmen vergeblich sucht. Und das ist gut so. Der reale Charakter wird dadurch nicht von der Prominenz eines Stars übertüncht – Bruno Manser im Film könnte Bruno Manser in echt sein. Erstaunlich auch die Rekonstruktion der Lebensweise der Penan, mit all ihren Darstellern, die in der indigenen Sprache sprechen, was wunderbar klingt und mit den Geräuschen des Regenwaldes harmoniert. Niklaus Hilber mag sich ganz auf die Eigendynamik aus Natur und indigener Kultur verlassen, auf den Einklang der Menschen mit ihrer Umwelt. Es sind die besten Momente des Films – beeindruckend und opulent, wie in John Boormans Ökothriller Der Smaragdwald aus dem südamerikanischen Dschungel. Auch die Chronik der Auflehnung hat Power, doch nach dem Szenenwechsel in die Schweiz offenbart sich eine unbeholfene Dramaturgie, die mehr an Spielszenen fürs Schulfernsehen erinnern als an packendes Politkino. Das mag an den Co-Akteuren liegen, deren Texte wie aufgesagt klingen. Das Skript ist dann nur noch eine To-do-Liste relevanter Szenen, die für die biographische Chronik eines Bruno Manser essenziell sind.

Ungeachtet dieses Defizits ist es allerdings wert gewesen, mit Die Stimme des Regenwaldes die Geschichte eines großen Aktivisten zu erzählen. Da diese keine Naturschutzfloskeln enthält und auch nicht im Pseudoidealismus den Erfolg solcher Missionen anhand glücklicher Zufälle vom Himmel regnen lässt, bleibt das Ende relativ offen und beschert dem Werk einen greifbaren Realismus. Fakt ist jedenfalls: Seit 2005 gilt Manser im Regenwald Borneos als verschollen. Ob es Mord oder Selbstmord war – oder ob Manser nur untergetaucht ist, wird man nie erfahren.

Die Stimme des Regenwaldes (2019)

Visitor from the Future (2022)

ATOMKRAFT? NEIN, DANKE!

5/10


VisitorsFromTheFuture© 2023 capelight pictures


LAND / JAHR: FRANKREICH 2022

BUCH / REGIE: FRANÇOIS DESCRAQUES

CAST: FLORENT DORIN, ENYA BAROUX, ARNAUD DUCRET, RAPHAËL DESCRAQUES, SLIMANE-BAPTISTE BERHOUN U. A.

LÄNGE: 1 STD 41 MIN


Kennt irgendjemand von Euch die französische Webserie Le Visiteur du Futur? Bereits in mehreren Staffeln verfügbar, handelt diese komödiantische Science-Fiction von einem nicht näher benannten Zeitreisenden, der als Besucher durch die Epochen reist, um Schlimmstes zu verhindern. Verfolgt wird er dabei stets von den Handlangern einer so obskuren wie militanten Zeit-Brigade, die, hochgerüstet wie extraterrestrische Kampfroboter, dem Chaoten das Handwerk legen will, manipuliert dieser doch bereits festgelegte Vergangenheiten, nur um eine bessere Welt zu erschaffen.

Gesehen habe ich davon keine einzige Folge – immerhin aber dieses als Spielfilm komprimierte Special mit genau jenem Cast, der auch in der Serie mitwirkt. Es lässt sich dabei ganz genau erkennen, wodurch sich die Macher ihres manchmal recht klamaukigen Zeitreise-Universums inspirieren ließen, ohne aber allzu offensichtlich abzupausen. Obwohl: Gesagt muss dennoch werden, dass das Subgenre der Zeitreisen langsam für eine vorübergehende Verschnaufpause pochen sollte, denn vergleicht man jüngste Produktionen miteinander – und dabei ist es egal, ob es nun Serien oder Filme sind – gibt es ein ordentliches Gefälle, was die Genauigkeit und den nötigen Ernst anbelangt, mit welchem man sich dem Thema Zeit annehmen will. Da führt momentan die deutsche Erfolgsserie Dark so ziemlich alles an, was es derzeit gibt, vor allem anfangs hatten jene Überlegungen zur Manipulation der vierten Dimension ordentlich Hand und Fuß. Am liebsten denkt man natürlich auch an den Klassiker Zurück in die Zukunft, der niemals auch nur einen Gedanken daran verschwendet hat, dass Multiversen möglich sind, sondern alles auf einer Zeitlinie geschehen ließ. In Visitor from the Future gibt es scheinbar auch nur eine Zeitlinie – und dennoch arbeitet François Descraques mit den Benefits multipler Existenzebenen, ohne sie näher beim Namen zu nennen.

Mit seinem Besucher durch die Zeiten schuf dieser so einen hyperaktiven Alleskönner wie Dr. Who, der ohne Tardis auskommt, sondern einfach auf Knopfdruck und ohne Zieleingabe überall hinkommt, wo er gerade hinwill. Diese Simplifizierung ist allerhand, mit Sicherheit dreist und auch erstaunlich selbstbewusst. Die Frage nach dem Wie lässt Descraques so sehr außen vor und unbeantwortet wie einen näher definierten Grund dafür, in der Zukunft auf einer mit Zombies bevölkerten Endzeit-Erde zu stoßen. In Visitor of the Future hat nichts eine wirkliche Ursache, und wäre Gott im Spiel, der ein Artefakt zurückverlangt, mit welchem man durch die Epochen springen kann wie einst eine Handvoll Zwerge, die unter Terry Gilliams Regie als Time Bandits bekannt wurden, könnte man das Ganze ja noch als Parodie verstehen, die sich der märchenhaften Fantasy mit Haut und Haaren verschrieben hat.

Dieser Film aber schert sich kein bisschen darum, ein logisches Konstrukt innerhalb seiner erdachten Welt aufzubauen. Abgefahren ist angesagt, und neben zahlreichen Genre-Versatzstücken und stilistischen Zitaten, angefangen von I am Legend über Dark bis zu Mad Max ist dem immerhin gut aufgelegten Team nur eines wichtig: Das Streben nach erneuerbaren Energien und dem Ende der Atomkraft. Was ich bis zu diesem Punkt herausgezögert habe, ist schließlich die Synopsis des Films.

In einer alternativen Gegenwart stehen alle Lichter auf grün, wenn es darum geht, ein mit offensichtlichen Mängeln ausgestattetes Atomkraftwerk in Betrieb zu nehmen. Die Tochter des Konstrukteurs, Alice Alibert, schließt sich dem Aktivismus an und geht sogar so weit, den Arbeitslaptop des Vaters zu entwenden, damit dieser seine Arbeit nicht mehr zu Ende bringen kann. In dieser besagten Nacht stößt die junge Frau auf den eingangs erwähnten Besucher mit Fliegerbrille und Trenchcoat, der genau denselben Plan verfolgt. Beide, einschließlich des aus dem Schlaf geholten Vaters, werden ins Jahr 2555 katapultiert, in welchem sich die Fremden mit einer Postapokalypse auseinandersetzen müssen, die Vaters Atomkraftwerk seinerzeit verursacht hat.

Alles in allem kann der ganze Film als ökobewusste und zivilisationskritische Science-Fiction-Komödie betrachtet werden, die aber letzten Endes tut, was sie will und all ihre dadurch entstandenen Widersprüche beschwichtigend beiseite wedelt. Immerhin aber birgt der Film in seinem mehrminütigen Prolog, bevor das ganze Abenteuer beginnt, wohl die seit langem witzigsten Momente im Genre der Science-Fiction.

Visitor from the Future (2022)

Year of the Shark (2022)

DEN KNORPLER BEI DEN KIEMEN PACKEN

4/10


year-of-the-shark© 2022 Les Bookmakers


LAND / JAHR: FRANKREICH 2022

REGIE: LUDOVIC & ZORAN BOUKHERMA

CAST: MARINA FOÏS, KAD MERAD, JEAN-PASCAL ZADI, CHRISTINE GAUTIER, LUDOVIC TORRENT, JEAN BORONAT, JEAN-JACQUES BERNEDE U. A. 

LÄNGE: 1 STD 27 MIN


Während an Hollywoods Küsten bereits jede Menge Knorpelfische mit Lust auf Blut ihr Unwesen getrieben haben und sogar der deutsche Müggelsee mit einem solchen Gesellen hat hadern müssen, gabs in Frankreich bislang keine einzige Haifischflosse zu sehen, da konnte man noch so mit dem Feldstecher über die sich leicht kräuselnde Meeresoberfläche streichen – weder in der Normandie noch an der Cote d‘Azur konnten die Räuber mit dem Revolvergebiss französische Küsten für sich erobern. Das hat jetzt ein Ende. Mit Year of the Shark war 2022 tatsächlich das Jahr des Hais zumindest für die Franzosen angebrochen. So ließen die Brüder Ludovic und Zoran Boukherma endlich mal den Fisch mit dem schlechten Image (Danke Steven Spielberg an dieser Stelle) auf einen kleinen Badeort in ihrem Heimatland los, und wäre der Gendarm von St. Tropez womöglich strafversetzt worden, hätte er in dieser verschlafenen Horrorkomödie wohl ordentlich für hellwaches Auflachen gesorgt. Wir wissen: Louis de Funès war als Ordnungshüter der Inbegriff bürgerlichen Schenkelklopfer-Klamauks zwischen aufgeblasener Entrüstung und kurz bevorstehendem Herzinfarkt. Hätte er es wohl mit einem Hai zu tun gehabt, hätte diese Episode dem nach mehreren Teilen mittlerweile ausgeleierten Gendarmen-Franchise einen ordentlichen Drall in eine andere Richtung verpasst.

Doch Louis de Funès lebt nicht mehr und stattdessen müssen andere seinen Platz einnehmen, wie zum Beispiel Marina Foïs, welche als Maja, gewissenhafte Gendarmin eines Badeortes, sehr bald in Rente gehen wird – zur Freude ihres gemütlichen Gatten Kad Merad. Wie es der Zufall aber oft will, kommt das Beste erst zum Schluss. Oder wenn man schon nicht vom Besten reden kann, dann das Spektakulärste: Ein Hai treibt sein Unwesen, und hat gleich zu Beginn des Films einen neureichen Touristen verspeist, dessen Reste in den Hafen gespült werden. Nun gilt es, das Tier einzufangen – aber nicht zu töten. So will es Maja, die schließlich ihre ökobewussten Prinzipien hat. Die erste Unternehmung aufs offene Meer hinaus gelingt sogar – das Tier wird betäubt und in einen Käfig gesteckt, um es später zu übersiedeln. Doch wie es in der Natur alles Lebendigen liegt – Einsperren ist nicht. Der Hai ist bald wieder frei und holt sich die nächsten Opfer. Und Maja – die muss dafür büßen, den Knorpler nicht gekillt zu haben.

Auch wenn die gerne als kauzig geltende Provinzgroteske am Meer spielt – bei diesem Tierhorror fehlt das Salz in der Ursuppe. Es mangelt nicht nur an jenem nervenaufreibenden Suspense, den Steven Spielberg damals so virtuos beherrscht hat – es fehlt auch an Schrecken, sofern man ihn genießen will. Und an Humor. Und seltsamerweise schmeckt jede Zutat in diesem Film nach wenig bis nichts. Interessant mag vielleicht der Aspekt des Tierschutzes sein und die Folgen einer nonletalen Monsterjagd, die Maja über sich ergehen lassen muss: doch es scheint, als wären diese Eindrücke das Produkt eines Zufalls, als hätten die Brüder Boukherma gar nicht vorgehabt, in ihrem Film eine spezielle Meinung zu vertreten. Die orientieren sich dann doch lieber an all die großen Vorbilder aus Übersee und legen einen Pragmatismus an den Tag, der vielleicht dafür verantwortlich ist, dass Year of the Shark an keiner Stelle so richtig zündet. Einige Ideen sind vielleicht bizarr genug, um stets auf mehr zu hoffen. Und Comedy-Support Jean-Pascal Zadi, der Mann mit dem irren Vorbiss, mag da noch die lustigste Komponente des Films verkörpern. Bei all dem halbgaren Rest jedoch ermüdet gar der Flossenschlag des titelgebenden Raubfisches. Louis de Funès hätte die Sache vielleicht gerettet.

Year of the Shark (2022)

Strange World (2022)

SELTSAM VERTRAUT UND DOCH VÖLLIG FREMD

5/10


STRANGE WORLD© 2022 Disney. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: DON HALL

BUCH: QUI NGUYEN

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): JAKE GYLLENHAAL, DENNIS QUAID, JABOUKIE YOUNG-WHITE, GABRIELLE UNION, LUCY LIU, KARAN SONI, ALAN TUDYK U. A.

LÄNGE: 1 STD 42 MIN


Der gigantische Dachkonzern Disney mit all seinen eingegliederten Studios zu jedem seiner Themen sieht sich völlig nachvollziehbar in der Pflicht, der medienkonsumierenden Menschheit beizubringen, wie man achtsam durchs Leben geht. Wie man Minderheiten nicht mehr als minder ansieht, wie man sexuelle Diversität ganz einfach und ohne viel nachzudenken akzeptieren kann. Wie sich People of Color endlich auf Augenhöhe mit den amerikanischen Weißen begeben kann. Und wie man nicht zuletzt unsere Welt, oder eigentlich viel mehr uns selbst schützt, bevor es zu spät ist. Disney hat sich da viele Gedanken gemacht. Und nicht nur Disney. Auch Netflix und Amazon und alle Riesen, die sich in der moralischen Verantwortung befinden. Jeder Konzern hat da so seine Liste, auf welcher steht, wer aller und was alles in einem Mainstream-Film zu sein hat, welche Botschaften kommuniziert werden müssen und welche Moral vertreten. Sind diese Bedingungen erfüllt, kann es ja meinetwegen kreativ werden. Aber nicht vergessen: Die Message ist wichtig, die Agenda muss erfüllt sein, die Saat muss aufgehen.

Klar soll sie das. Alles andere ist Unsinn und lässt die Menschheit in seiner Entwicklung im Kreis laufen bzw. zurück, so lange Freiheiten, die niemanden sonst einschränken, nicht gelebt werden können. So lange Hautfarben soziale Unterschiede hervorrufen, es „Ungläubige“ gibt oder der Klimawandel geleugnet wird. Es liegt so viel im Argen. Und ja, man muss ein Bewusstsein schaffen, wenn man die Macht dazu hat. Die Frage ist nur: Wie? So wie Disney?

So viel Wokeness muss man auch erst mal in einen Film packen können. Der Mauskonzern schafft das mit links, und tatsächlich liegt es ihm fern, das Offensichtliche auch noch zusätzlich zu erwähnen. Hier ist die Diversität selbstverständlich, in dieser höchst eigenartigen Welt, umgeben von hohen Gebirgen, die überhaupt nicht so aussieht wie die unsere, in der Steampunk-Mechanik den Alltag prägt und die Menschheit in ihrer Akzeptanz schon sehr viel weiter scheint als unsere. Diese verbindende Vernunft hat dann auch Potenzial für Helden und Abenteurer, die unbedingt schon mal wissen wollten, was jenseits der Berge liegt. Also macht sich der gestandene Familienvater Jaeger Clade mit seinem Teenager-Filius eines Tages auf, um das Unbekannte zu erforschen, allerdings mehr für sich selbst als für die Allgemeinheit. Dem Sohnemann Searcher (was für seltsame Namen) wird das Unterfangen bald zu viel – er ist schon zufrieden damit, auf dem Weg durch die Wildnis auf eine außergewöhnliche Pflanze gestoßen zu sein, die Energie abgibt. Ach, was hätten wir die nicht gern angesichts der geschmalzenen Jahresabrechnungen zu Strom und Gas, die uns ins Haus flattern? Doch man muss neidlos zugestehen: Dieses Gewächs hat es in sich und wird die Autarkie des Landes retten, während der sture Übervater verschollen bleibt, hat der doch seinen Sohn damals einfach ziehen lassen. Eine ganze Generation später gibt’s mit diesen Energie-Trauben allerdings ein Problem – sie liefern nicht mehr so, wie sie sollen. Also startet eine Expedition ins Innere des Planeten, um den Ursprung allen Übels ausfindig zu machen – und stößt dabei auf eine höchst merkwürdige, surreale Welt aus grenzenloser Biomasse, die noch dazu seltsame Lebewesen beherbergt, die zu surreal erscheinen, um wahr zu sein. Eines dieser Geschöpfe ist aber allzu menschlich: es ist Jaeger Clade, der zwei Dekaden lang sein Dasein hier hat fristen müssen.

Natürlich ist die Optik wieder prachtvoll – die Figuren und ihre Mimik, all die Oberflächen und die geschmeidige Animation: einfach perfekt. Doch zu viel Perfektion bleibt seltsam seelenlos. Disney erlaubt sich mit Strange World, eine ideale Welt zu fordern, in der selbst das Imperfekte nur so weit auftritt, um moralisch noch integer zu bleiben. Konflikten geht Strange World aus dem Weg, die Vater-Sohn-Problematik reduziert sich auf die üblichen Stereotypien verlorener Väter, die gefunden werden wollen. Die Familie selbst ist das überfrachtete Produkt aus politischer Korrektheit, die so sehr das Ideal einer harmonischen Koexistenz einfordert, dass sie fast schon an Propaganda grenzt. Dabei wäre es gehaltvoll genug gewesen, einfach „nur“ die Umweltproblematik zu thematisieren, die uns sowieso gerade herumreißt. Dafür gibt’s auch einen netten Story-Twist am Ende, und der eigentliche Plot wird zur runden Sache. Doch der Hang zum Perfektionismus und die vehemente Agenda des Medienriesen gerät viel zu plakativ.

Strange World (2022)

I Am Greta

AM FREITAG IST ALLES GANZ ANDERS

6/10

greta© 2020 Filmwelt Verleihagentur

LAND: SCHWEDEN, DEUTSCHLAND, USA, GROSSBRITANNIEN 2020

REGIE & KAMERA: NATHAN GROSSMANN

MIT: GRETA THUNBERG

LÄNGE: 1 STD 37 MIN

Was haben Forrest Gump und Aktivistin Greta Thunberg eigentlich gemeinsam? Sie haben ein Projekt, das sie durchziehen, frei nach dem Motto: Move your ass, your mind will follow. Forrest Gump hat irgendwann zu laufen begonnen, Greta hat sich irgendwann vor das schwedische Parlament gesetzt. Beide sind Einzelgänger, und beide hatten irgendwann die Medien auf ihrer Seite. Dank dieser meinungsmachenden Institution hatten gab’s bald unzählige Anhänger, die entweder mitgelaufen sind, weil sie den Run von Forrest Gump für ein höheres Ziel hielten – oder mitstreiken wollten, weil sie auch das für ein höheres Ziel hielten – was es ja im Gegensatz zu Forrest Gumps Dauerlauf auch war. Hatte Greta Thunberg das beabsichtigt? Oder ist ihr das Ganze passiert? War es vielleicht in erster Linie die Idee von Gretas Papa?

Das dokumentarische Portrait einer Öko-Ikone von Dokufilmer Nathan Grossmann beginnt mit der Stunde Null, aus allen erdenklichen Perspektiven gefilmt. Rein zufällig wird Grossmann nicht vor dem Parlament auf und ab spaziert sein, um darauf zu warten, die Story schlechthin zu ergattern. Gretas Projekt „Friday for Future“ war also nichts spontanes, sondern etwas sorgfältig geplantes, durchbesprochenes – ein durchgetaktetes Medienereignis, natürlich für einen guten Zweck. Oder war alles ganz anders, war vielleicht Grossmann doch rein zufällig dort? Spannend, was sich in die Doku I am Greta alles hineininterpretieren lässt oder welche Gedanken man dabei verfolgt. Grossmann hat das Mädchen also ein Jahr lang überallhin begleitet. gefilmt, wo noch nicht gefilmt wurde und dazu gefilmt, wo längst die Kameras anderer Reporter glühten. Viel Persönliches zeigt er daher nicht. Was wir sehen, ist ein zusammenmontiertes Portrait aus öffentlichen und privaten Aufnahmen. Greta spricht, Greta schweigt, Greta sucht ihren Ausgleich im Tänzeln und Herumhüpfen. Ist mal in sich gekehrt, dann wieder vergnügt. Lässt negative Feedbacks aus den sozialen Medien aber unkommentiert.

Nichtsdestotrotz ist I am Greta eine nicht wenig faszinierende und nicht zwingend zum Vorteil für Gretas Jünger konzipierte, erhellende Betrachtung auf ein menschliches Phänomen. Ironisch, wenn Greta Wasser predigt und die Gefolgschaft Wein trinkt. Wenn es nicht um Selfies geht, und alle anderen auf ein Selfie mit ihr wollen. Es scheint, als wäre Gretas manischer Wille, das Klimafehlkonstrukt umzureißen, ein Perlenwerfen vor die Säue. Ihre verbale, verkniffene Wut vor all den Politbonzen sind ihre besten Momente. Nur schade, dass diese bei vielen Mächtigen maximal eine gewisse belustigende Faszination vor dem Ungewöhnlichen hervorruft. Denn das ist sie auf jeden Fall, unsere Greta Thunberg: ungewöhnlich. Klug obendrein, keine Frage. Eine Musterschülerin, die sich Auszeiten vor der Schulbank leisten kann. Was mich aber am Ende des Portraits weiterhin und noch mehr faszinieren würde, wäre so manch eine Stimme aus dem Off. Zum Beispiel mehr Wortspenden vom Vater, von der Mutter. Vielleicht gar aus Gretas Schule? Welche Mechanismen wohl hinter all diesem Foght fürs Klima stecken mochten. So gesehen bleibt I am Greta zwar ein runder Abschluss ihres Aktivistenjahres, ein Resümee ihrer öffentlichen Person und ein werbewirksamer Abspann. Mehr aber nicht. Und gerade dieses „Mehr“ würde mir noch fehlen.

I Am Greta

Long Shot – Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich

DU ENTSCHULDIGE, I KENN DI

4,5/10

 

Fred Flarsky (Seth Rogen) and Charlotte Field (Charlize Theron) in FLARSKY.© 2019 Studiocanal

 

LAND: USA 2019

REGIE: JONATHAN LEVINE

CAST: CHARLIZE THERON, SETH ROGEN, BOB ODENKIRK, ANDY SERKIS, O´SHEA JACKSON JR. U. A. 

 

Da hat sich Seth Rogen wieder weit aus dem Fenster gelehnt: Als derber Investigativjournalist hat er so manchen bösen Jungs den Wind aus den Segeln genommen, wenig eloquentes Zeter und Mordio in seine Artikel gepflanzt und sich fast ein Hakenkreuz stechen lassen. Stil dürfte für den Hipsterbärtigen aber auch nur das Ende des Besens sein, denn das tägliche Outfit ist ein Trainings-Blazer aus den Neunzigern, dezent in Ponyfarben. Dass dieser prinzipientreue Eigenbrötler jemanden wie Charlize Theron kennt, die als Außenministerin eine wahnsinnig gute Figur macht, das ist mal unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Wie sich Bekanntschaften aus der Kindheit entwickeln, ist ja kaum absehbar. Und plötzlich haben wir hier zwei, die sich komplett auseinander gelebt – und wieder gefunden haben. Das könnte man doch glatt mit Peter Cornelius „Du entschuldige I kenn di“ untermalen, so passend wäre da der Song. Aber nein, Regisseur Jonathan Levine greift auf die Playlist von Pretty Woman zurück, weil’s eben so schön war. Und was könnte näher liegen, als einen Film mit 90er-Hadern zu verwöhnen, die bereits für ein Glamour-Märchen um Underdog und VIP in Verwendung waren. Ein ähnliches Konzept liefert jene neue Komödie, die wiedermal das etwas abgenutzte Klischee einer aufrichtigen US-Politik mit dem Alles-ist-möglich-Aufstieg eines Nonkonformisten verbindet. Das ist aber durchaus in Ordnung, und das wusste ich ja auch, ich kannte ja die Synopsis des Films, also mal sehen, welche Ansatzpunkte diesmal bereits Bekanntes auf andere Spuren bringen könnte. Und bei Seth Rogen ist so was durchaus im Bereich des Möglichen. Charlize Theron kann eigentlich auch alles spielen, sie bleibt aber stets die aparte, etwas distanzierte Schönheit, die sie ist. Und bei Atomic Blonde zum Beispiel konnte sie die unnahbare Aura des Wertvollen wunderbar für sich nutzen.

In Long Shot (die deutsche Subline lassen wir mal weg) wagt sie sich nur selten aus ihrer Defensive. Dass sie als Außenministerin der Message Control folgen und ihre Fassade zu welchem politischen Spiel auch immer wahren muss, ist natürlich vollkommen logisch. Den Mut zum Wagnis kitzelt ihr dann Seth Rogen als Fred Flarsky mit nichts außer seiner Verschrobenheit hervor, die Theron relativ anziehend findet, vielleicht weil diese Vibes nicht so auf Massentauglichkeit gestutzt sind. Da stimmt dann auch die Chemie, beide ziehen an einem Strang, die politische Domina mit dem strahlenden Image hat zwar die Hosen an, darf aber von dem Querdenker auch einiges lernen. Das ist natürlich Romanze pur, und wer sich eine haarfeine Politkomödie wie zum Beispiel Dave erwartet, wird aber enttäuscht werden. Dieses Thema scheint Levine eindeutig zu groß, obwohl er hie und da versucht, Seitenhiebe auf aktuelle politische Zustände zu verteilen. Die sind zwar da, man belächelt sie, aber mehr nicht. Das ist viel zu halbherzig, um zu irritieren. Da sind Filme wie Vice ein komplett anderes Kaliber. Doch wie Vice will Long Shot natürlich niemals sein, will auch nicht wirklich anecken. Der Film macht das ganze Spiel hinter den Kulissen einfach nur zum Thema, weil er es benötigt – für eine RomCom, die nichts umformuliert, selten auch nur irgendwelche alternativen Entwicklungen der Handlung andenkt und leider die bemühte Illusion allgemeiner Akzeptanz für Körpersäfte zum Knackpunkt der Geschichte macht. Das entlockt mir weder ein Wow für lässige Indiskretion noch appelliert es an meine sporadisch vorhandene Restprüderie. Zu gewollt wäre das richtige Wort, zu vorhersehbar das andere. Klar, es ist Hollywood, und klar, Filme wie Hallo, Mister Präsident sind schon länger her. Long Shot will aber doch mehr sein, der Streifen will auch austeilen können, er will mit intelligentem Charme punkten, und hätte mit seinem Cast sogar das Potenzial dazu – letzten Endes hält er sich aber zu sehr an die Regeln des gelernten Spiels, als sie mit frechen Kniffen zu unterwandern.

Mit 50/50 hat Levine wohl einer der besten Filme zum Thema Krebs gedreht. Mit Long Shot bleibt ihm ein knackiger Zugang zu anderen bewährten Filmthemen leider verwehrt. Was aber nicht heißen soll, dass die Komödie nicht auch unterhält. Das tut sie, es gibt auch einiges zu lachen, und die Kifferszene mit Theron ist sowieso die Mitternachtseinlage schlechthin. Im Ganzen aber erliegt Long Shot seinem naiven Schöngerede, das so süß, aber auch so wenig haltbar ist wie ein Wahlzuckerl kurz vor dem Urnengang.

Long Shot – Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich

Downsizing

ZUR WELTRETTUNG NACH LILIPUT

6/10

 

downsizing© 2017 Constantin Film

 

LAND: USA 2017

REGIE: ALEXANDER PAYNE

MIT MATT DAMON. CHRISTOPH WALTZ, HONG CHAU, UDO KIER, KRISTEN WIIG U. A.

 

Die Welt steht vor dem Kollaps. Die schreckliche Konsequenz des Evolutionstheoretikers und Vordenkers Thomas Malchus zu Überbevölkerung Mitte des 18ten Jahrhunderts wird irgendwann mal tatsächlich wahr werden. In Alexander Payne´s neuem Film ist sie das bereits. Die Menschheit in all ihren Ballungszentren hat keinen Platz mehr. Unbesiedelte Regionen der Erde sind zurecht unbesiedelt. Wo es einem gefällt, da kann man sich längst nicht mehr niederlassen. Vor allem nicht in gewohntem Wohlstand. Um dieses Problem zu beheben – da gibt es einige Ideen. Manche davon sind so greifbar real wie das Geschwisterverbot aus Tommy Wirkola´s What happened to Monday?, die düstere Vision einer Ein-Kind-Gesellschaft, wie sie heute bereits in China der Fall ist. Manche wiederum sind so absurd und unmöglich wie in Downsizing.

Zu Downsizing fällt mir der Bestseller des Hypothetikers und Zeichners Randall Munroe ein. In What if? beantwortet der Science-Blogger in wissenschaftlicher Klarheit diverse unmögliche Fragen wie „Was wäre, wenn sich alle Menschen an einem Ort der Erde einfinden und gleichzeitig loshüpfen?“. Oder „Was wäre, wenn die Erde plötzlich aufhören würde, sich zu drehen?“ Eine dieser Fragen könnte somit auch lauten: „Was wäre, wenn sich ein Teil der Weltbevölkerung auf 12cm verkleinern würde?“ Auf diese bizarre Vorstellung hat aber diesmal nicht Munroe, sondern Alexander Payne die Antwort. Und er hat nicht eine Antwort, sondern gleich mehrere parat. Weil man so eine Frage ja nicht nur aus einem Blickwinkel beantworten kann. Da gibt es Feedback auf sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Ebene. Payne will alle zugleich beantworten. Das ist wiederum typisch für den Filmemacher. In seinem Familiendrama The Descendants, zu welchem er ganz so wie bei Downsizing auch selbst das Drehbuch verfasst hat, geht es auch nicht nur um eine Sicht der Dinge, um eine Botschaft oder um einen roten Faden. Payne mixt diverse Genres subtil ineinander. Mal wirken sie komisch, mal sehr ernsthaft, und plötzlich handelt der Film wieder von gänzlich anderen Dingen. Mag sein, dass seine Methode des Geschichtenerzählens vielen Zusehern als zerstreut erscheint. Alles anschneiden zu wollen, lässt keiner Perspektive die Chance, zur Gänze gesehen zu werden. Das trifft auch zweifellos auf Downsizing zu.

Denn im Grunde ist Downsizing ein Episodenfilm, der auf den ersten Blick nicht so aussieht wie einer. Das liegt schon allein daran, dass Payne seinen Film auch nicht in Episoden unterteilt hat – was aber dem Film besser bekommen hätte. Eigentlich sind es drei Teile. Der erste handelt von der allen physikalischen Gesetzen zum Trotz von norwegischen Wissenschaftlern entdeckten Möglichkeit, sich verkleinern zu lassen – zum Wohle der Umwelt und der eigenen Geldbörse – denn alles was kleiner ist, kostet weniger. Ist also eine augenzwinkernde, aber niemals scherzhaft gemeinte Utopie einer globalen Notbremse. Die zweite Episode spielt in Leasure Land, dem Land der Minikins (kann sich wer noch an die gelungen Serie aus den frühen Achtzigern erinnern?), in welchem unser lebensüberdrüssiger Paul „Matt Damon“ Safranek versucht, auch ohne seiner besseren Hälfte, die ihn im Stich gelassen hat, klarzukommen. Wie ist es, so groß wie eine Actionfigur zu sein? Und was für Nebenwirkungen schleichen sich ein? Weniger gesundheitlich, viel mehr sozialer Natur. Die dritte Episode spielt in Norwegen, im Herzen der Downsizing-Kommune, quasi in Liliput. Der letzte Akt ist es dann auch, der sich wieder betont mit der Zukunft der Menschheit beschäftigt – und mit der Prognose für die Gesamtheit des Lebens überhaupt. Das hat dann fast schon Endzeitstimmung. Und ich hätte nie gedacht, dass Downsizing eine solche Richtung nehmen würde. Denn Satire ist was anderes, davon ist Paynes Utopie weit entfernt.

Seiner Geschichte wohnt eine reizvolle Thematik zugrunde und ist nur von ganz subtilem Humor durchzogen, welcher der Ernsthaftigkeit eines unmöglichen Szenarios etwas mehr Leichtigkeit verleiht. Die hat der Film dringend notwendig, weil Payne´s Fokus auf manche Details so wirken, als hätte die Regie vergessen, sich rechtzeitig auszuklinken, um die Aufmerksamkeit wieder woandershin zu richten. Vieles verliert sich dadurch wie schon eingangs erwähnt als Fragment in den Hirnwindungen des Zusehers und hinterlässt offene Fragen.

Dennoch – Downsizing als (Alb)traum einer Menschheit im Puppenhaus-Format war es wert, verfilmt worden zu sein. Auch wenn die erwartete Farce gar keine ist.

Downsizing