One to One: John & Yoko (2024)

REVOLUZZER SEHEN FERN

7/10


© 1972 Bob Gruen / http://www.bobgruen.com


LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH, USA 2024

REGIE / DREHBUCH: KEVIN MCDONALD, SAM RICE-EDWARDS

MIT ARCHIVAUFNAHMEN VON: JOHN LENNON, YOKO ONO, ANDY WARHOL, STEVIE WONDER, ALLEN GINSBERG, JERRY RUBIN, MAY PANG, GEORGE WALLACE, RICHARD NIXON, SHIRLEY CHISHOLM, CHARLIE CHAPLIN U. A.

LÄNGE: 1 STD 41 MIN


Niemandem braucht man noch erklären, wer die beiden sind: John Lennon und Yoko Ono, weltberühmte Ikonen des Umbruchs und für eine bessere Welt. Allround-Genies, Universaltalente, Massenbegeisterer, wenngleich Yoko Onos experimentelle Musik vielleicht nicht bei allen den Nerv trifft. Des weiteren soll ihr ja bis heute, so vermute ich mal, vorgeworfen werden, Mitschuld am Bruch der Beatles zu haben. Viel mehr waren wohl gesellschaftliche und vor allem persönliche Umbrüche und Differenzen innerhalb der Vier ausschlaggebend dafür, dass dem Pilzkopf-Rock nach zehn Jahren die Kraft ausging. Die Rolling Stones hingegen, die es auch schon gab, als die Halbgötter aus Liverpool Kreischalarm auslösten, setzten damals aufs richtige Pferd – auf den Rock, und auf die nötige Flexibilität, um auf dem Trend der Jahrzehnte mitzureiten. McCartney hatte danach seine Solokarriere, Lennon ebenso. Und um diesen Mann mit der runden bunten Brille und den hippen Koteletten geht es hier, der ein Jahr nach dem Beatles-Aus mit seiner Partnerin Yoko Ono in Greenwich Village, New York, ein Zweizimmer-Apartment bezog, und das für zwei Jahre, um sich ins Bett zu verkriechen und vorrangig fernzusehen, denn dieses Medium, das hatte Anfang der Siebziger noch einen gänzlich anderen Stellenwert und eine ganz andere sinnstiftende Bedeutung als heutzutage.

Heutzutage ist Fernsehen wohl eher Berieselung und Dokusoap-Eskapismus mit Schwerpunkt Kochen, damals war es, da es kein Internet gab, Informationsquelle Nummer eins. John und Yoko waren auf diese Weise wohl immer im Bilde, was gerade geschah in diesen Vereinigten Staaten unter Präsident Nixon, der kurz davor stand, zur zweiten Amtszeit gewählt zu werden. Unter Nixon lag vieles im Argen, der Vietnamkrieg tobte, Rassendiskriminierungen waren en vogue, Watergate bahnte sich an, Reporter pflügten mit ihrem revolutionär anmutenden Drang zur Investigation durch die finsteren Winkel einer westlichen Welt, von denen es viele gab – darunter Willowbrook, eine Anstalt für Kinder mit besonderen Bedürfnissen, denen man aber aufgrund akuten Personalmangels alles andere als besondere Pflege zukommen ließ. Diese skandalösen, unmenschlichen und verstörenden Bedingungen führten dazu, dass Lennon und Ono ein Benefizkonzert gaben, dass wie Live Aid in die Musikgeschichte eingehen sollte. One to One hieß das damals, 1972 im Madison Square Garden abgehalten. Kevin McDonald, der als dokumentarischer Archivfilmer schon einige tüchtige Arbeiten vorzuweisen hat, darunter die Chronik des Olympiaterrors in München oder den Überlebenskampf eines Bergsteigers (fesselnd: Sturz ins Leere), widmet sich nun, gemeinsam mit Cutter Sam Rice-Edwards, nicht nur der Musik, sondern überhaupt einer ganzen Portion amerikanischer Zeitgeschichte zwischen Politik, Gesellschaft und Kultur. Das alles bewegt sich in Archivaufnahmen rund um die Persönlichkeiten von Lennon und Yoko herum, ohne sie bedeutend hervorzuheben. Er lässt die beiden lediglich interagieren, reagieren, die Initiative ergreifen dank idealistischer Visionen, die eine bessere Welt verheißen könnten als jene, die sich damals gebärdete.

Wie Sam Rice-Edwards (und weniger McDonald) es zusammenbringt, diese vielen kleinteiligen und oft nur sekundenlangen Sequenzen aneinanderzureihen, ohne sich notgedrungen in einer assoziativen, gar kontemplativen Collage zu verlieren – diese Fertigkeit verleiht dem dokumentarischen Essay ordentlich Kraft und auf gewisse Weise auch Strenge. Das akkurat gelegte Mosaik aus Unmengen an Archivmaterial bringt beruhigende Ordnung in ein beunruhigendes Zeitbild. Von vielen Dingen, von denen McDonald berichtet, war ich bislang nicht im Bilde – Willowbrook zum Beispiel sagte mir gar nichts. Ich wusste auch nichts von dem (nicht umgesetzten) Vorhaben Lennons, im Rahmen einer Tournee Kautionsgelder für womöglich unschuldig Inhaftierte zu zahlen, die sich ihre Freiheit niemals leisten konnten. Innovativ dabei, wie McDonald telefonisch geführte Interviews und Künstlergespräche rein als typografische Arrangements in sein geordnetes Kaleidoskop integriert. Die zurückhaltende Anordnung und die kommentarlose Betrachtung einer denkwürdigen Phase aus kreativen Synergien, eingebettet in den Programmpool amerikanischen Retro-Fernsehens, lassen One to One: John & Yoko, inspirierend und faszinierend zugleich, zu einem aufschlussreichen Realtraum eines abhandengekommenen Damals werden, in dem die Weltordnung genauso an der Kippe stand wie sie es heute tut.

One to One: John & Yoko (2024)

Like A Complete Unknown (2024)

SPIEL MIR DAS LIED VOM WIND

9/10


© 2025 Searchlight Pictures


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: JAMES MANGOLD

DREHBUCH: JAY COCKS, JAMES MANGOLD, NACH DEM SACHBUCH VON ELIJAH WALD

CAST: TIMOTHÉE CHALAMET, ELLE FANNING, MONICA BARBARO, EDWARD NORTON, BOYD HOLBROOK, DAN FOGLER, NORBERT LEO BUTZ, SCOOT MCNAIRY U. A.

LÄNGE: 2 STD 21 MIN


James Mangold kann Biografien erzählen, die sind so kraftvoll, dynamisch und mitreißend, dass niemand auch nur einmal nach dramaturgischen Innovationen verlangt. Sein Walk the Line über Johnny Cash hat es vorgemacht, das neueste und für acht Oscars nominierte Portrait eines Nonkonformisten, wie er in den Annalen der Musikgeschichte steht, ist von ähnlicher Art, nur noch besser, noch intensiver und entfacht noch viel mehr Sehnsucht nach einer Zeit des Umbruchs, obwohl diese nicht nur gut war. Like A Complete Unknown vermittelt das Gefühl der Wehmut, wenn Timothée Chalamet als Bob Dylan am Ende des Films auf seiner Triumph die Bundesstraße entlangfährt, einer Freiheit entgegen, die nur er bestimmt. Wehmut ist es, die diesem Typen, diesem unbequemen, ungefälligen Egomanen und Virtuosen, nachwinkt. Es ergeht uns wie Dylans Herzensmensch Sylvie Russo (Elle Fanning), die zur Einsicht erlangt, einen wie ihn niemals halten zu können.

Warum wir diese Lust und das Verlangen verspüren, immer mehr und mehr dieser aufbrausenden Musik der Sechziger zu hören? Weil Mangold sein Ensemble dieses Lebensgefühl auch entdecken lässt. Da sind Namen dabei, die kennt ein jeder, der sich auch nur ansatzweise mit der US-amerikanischen Musikgeschichte auskennt. Joan Baez, Pete Seeger, Woodie Guthrie, Johnny Cash. Baez mit ihrer unverkennbaren, engelsgleichen Stimme, die ihre Zuhörer in andere Sphären katapultiert – Monica Barbaro gibt ihr ein Gesicht, gibt ihr Charakter, Charisma, spürt die Leidenschaft und das Engagement. Genauso Edward Norton als Seeger, Mitinitiator des Newport Folk Festivals und Mentor Bob Dylans, zurückhaltend, beflissen, gutherzig. Und natürlich Chalamet als der widerborstige und schwer zu greifende Lockenkopf, der Singer und Songwriter mit dieser atemberaubenden Poesie in seinen Liedern, mit all den kritischen, ironischen, melancholischen Texten über Beziehungen, die Gesellschaft, die Welt an sich und all den Schwierigkeiten, als Mensch auf ihr zu wandeln.

Da ist dieser junge Schauspieler, der mit Call Me By Your Name erstmals für Aufsehen gesorgt hat und in Dune mittlerweile als Monarch über Arrakis herrscht. Es hätte ja sein können, dass Timothée Chalamet in jene Kerbe schlägt, in die hofierte Stars manchmal geraten, wenn ihr Ego größer wird als ihre Rollen, die sie verkörpern. Die Folge: Immer das gleiche, niemals jemand anderer, maximal so tun, als ob. Zuletzt passierte dieser Umstand Angelina Jolie als Maria Callas in Pablo Larraíns Maria. Doch Chalamet weiß davon, sich seinen darzustellenden Figuren unterordnen zu müssen. Es gelingt ihm das Kunststück, trotz seines bekannten Äußeren hinter dem Konterfei eines Bob Dylan zu verschwinden – ganz ohne Make up, Latexmaske, Zahnprothese wie bei Rami Malek oder sonst eines nachhelfenden Charakter-Gadgets – wenn man Sonnenbrille und Wuschelkopf mal weglässt. Durch seine Interpretation dieses Mysteriums namens Bob Dylan wird das obsessive Musikgenie sichtbar. Und ja, man muss zugeben: In der Schauspielerei mag es deutlich einfacher sein, nach charakterlicher Vorlage weltbekannte Persönlichkeiten zu imitieren – sie geben die Richtung vor, markieren das Soll und das Ziel. Und dennoch ist es immer wieder ein Wunder dieser Performance-Kunst, wenn der Kult lebendig wird, wenn Chalamet es gelingt, die Tonlage Dylans zu treffen und von Blowin‘ in the Wind bis Like A Rolling Stone all diese zeitlosen Klassiker selbst zum Besten gibt. Man will dann gar nicht mehr Dylan hören, sondern Chalamet, wie er Dylan singt. Und man vergisst darauf, nur eine Darstellung des Originals zu sehen, denn Chalamet ist einer, auf den man abfährt, der eine geheimnisvolle künstlerische Entität verkörpert. Ob das Geheimnis rund um Dylans Wesen bei Mangold gelüftet wird? Gott behüte, das soll es gar nicht! Ihm nahe zu kommen und gleichzeitig auf Distanz zu bleiben, um auch sein Umfeld betrachten zu können – seine Gefolgschaft, seine Freunde und Gegner – dafür braucht es die richtige Balance. Durch die Interaktion mit einer behutsam erweckten verlorenen Zeit der 60er wird eine Figur wie Dylan erst lebendig. Ist der Fokus zu stark auf nur eine Person, bleibt nur versponnenes Psychokino, das niemanden mitnimmt.

Ob Biopics funktionieren, hängt ganz davon ab, welche Episode man wählt. Bei letzten Lebenswochen wird es manchmal zu resignativ und melancholisch. Mangolds Wahl fiel hingegen auf Bob Dylans stürmische Jahre. Der Um- und Aufbruch des Künstlers ist so voller Verve, dass man immer tiefer in medias res gehen will. Daher gibt der Film seinem Publikum genau das, was es innigst verlangt: Musik, Musik und nochmals Musik, sei es im synergetischen Duett, im stilübergreifenden Austausch oder mit einer Band im Hintergrund, die den Weg der E-Gitarre ebnet – und damit Grenzen sprengt. In diesem Musikfilm wird man schwerlich satt, und das nicht, weil man nichts geboten bekommt, sondern weil das Gebotene so erquickt. Dazwischen will und kann man von Chalamets Figur einfach nicht lassen. Und nicht nur von ihm, von niemandem in diesem auf beste Art klassischen, lange nachhallenden Filetstück biographischer Zeitgeschichte, nach dessen Sichtung die hauseigene Plattensammlung durchstöbert werden muss. Ob nicht doch ein lang verschollener Bob Dylan nur darauf wartet, gefunden und aufgelegt zu werden. Um diesen Zeitgeist neu zu spüren, der Gänsehaut verursacht.

Like A Complete Unknown (2024)

Ein ganzes Leben (2023)

HEIMATLOS IN DER HEIMAT

7/10


einganzesleben© 2023 Tobis Film


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH 2023

REGIE: HANS STEINBICHLER

DREHBUCH: ULRICH LIMMER, NACH DEM ROMAN VON ROBERT SEETHALER

CAST: STEFAN GORSKI, AUGUST ZIRNER, JULIA FRANZ RICHTER, ROBERT STADLOBER, ANDREAS LUST, THOMAS SCHUBERT, MARIANNE SÄGEBRECHT, MARIA HOFSTÄTTER, GERHARD KASAL U. A.

LÄNGE: 1 STD 55 MIN 


In Rainhard Fendrichs inoffizieller österreichischer Bundeshymne lautet eine Zeile wie folgt: Da bin ich her, da gehör‘ ich hin. In Robert Seethalers fiktiver Heimatbiographie Ein ganzes Leben wird das unerschütterliche Statement zur unsicheren Fragestellung: Wo bin ich her, wo gehör‘ ich hin? Das sind Kernwahrheiten, nach denen wir alle suchen. Doch Seethalers Roman bringt es auf den Punkt, stellt diese Fragen dringender denn je – und macht mit seiner Figur des Andreas Egger die Probe aufs Exempel, wie es wohl sein muss, nicht zu wissen, woher man – im Bezug auf das Diesseits – eigentlich kommt und wohin man schließlich gehört. Zumindest Hans Steinbichler (u. a, Das Tagebuch der Anne Frank, Winterreise) hat den Schwebezustand eines bergverbundenen Mannes aus seiner allerletzten Verankerung gerissen und lässt ihn wie einen dieser montanen Greifvögel zwar nicht hoch, aber trotz allem in einiger Distanz zu seinem eigenen Leben und dem Sinn dahinter umhernomadisieren.

Das Woher-komme-ich lastet bereits im ersten Take des Films auf den Schultern eines gerade mal achtjährigen Jungen, der, und das wird nicht näher erläutert, so ziemlich elternlos daherkommt. Irgendwo muss dieser „Oliver Twist“ auch hin, am besten zum entfernt verwandten Bauern Kranzstocker (garstig: Andreas Lust), der, wie der Name schon sagt, gerne zum Stock greift, den Knaben verprügelt und diesen prinzipiell nicht leiden kann. Ein böser Mensch unter dem Herrn, und derart böse Menschen gibt es viele auf dieser Welt. Der junge Andreas Egger nimmt das stoisch hin, schluckt seinen physischen wie psychischen Schmerz einfach runter. Wenig wird er sprechen, zumindest in den jungen Jahren nicht. Doch kaum ist dieser älter und wehrhafter, kehrt er dem Hof und dem Prügelbauern den Rücken, sucht sein eigenes Glück und seine Bestimmung. Sucht im Grunde seine Heimat. Und findet seine Liebe, die, soeben erst gewonnen, wieder verlorengehen wird. Mit ihr auch die Idee eines Zuhause; einer Geborgenheit, die Andreas nicht mehr erlangen wird. Um sich selbst zu spüren, wird er schuften und arbeiten, arbeiten und schuften. Dazwischen schlafen, etwas essen, und sonst nicht viel reden.

Dieses Leben zwischen und auf den Bergen ist ein schnödes, undankbares. Eines, das gerade mal malerische Landschaften und blühende Blumenwiesen bietet. Rauschende Wälder und gar nicht mal einen Jodler. Ein ganzes Leben scheint einer dieser durch und durch klassischen, wildromantischen Heimatfilme zu sein, wie es sie früher gegeben hat. Statt Stefan Gorski oder August Zirner wäre die Rolle des Egger eine solche, die Luis Trenker wohl gespielt und einer wie Georg Wilhelm Pabst inszeniert hätte. Vermutlich in expressionistischem Schwarzweiß, stets im Fokus das wettergegerbte Gesicht des den Entbehrungen ausgesetzten Landmenschen, der hört, wie der Berg ruft, wie das Grollen von Lawinen vibriert und wie kalt der Tod sein kann.

Und doch ist bei Steinbichlers Film so manches anders. Muten die Metaebenen dieser in simpler Chronologie gehaltenen Jahrhundertbeichte fast wie paradoxe Gleichnisse an. Das Gefühl von Heimatlosigkeit in der Heimat, die Freiheit, über die Gipfel zu blicken, und doch nie gelernt zu haben, weiterzureisen bis ins nächste Tal. Arbeit, um zu leben, wird zum Leben, um zu arbeiten. Alles in Ein ganzes Leben hat eine Dualität, die in derselben Begrifflichkeit wurzelt. Auch wenn kaum feststellbar ist, welchen Gedanken dieser Egger nachhängt, – der übrigens sowohl von Stefan Gorski und August Zirner ohne Charakterbruch wie aus einem Guss gespielt wird, als wären beide ein einziger Akteur – lenkt Steinbichler seinen Panoramablick auf sein Innerstes. Damit ist diese in ihrer Sprache recht karge, doch emotional aufwühlende Literaturverfilmung weniger spektakuläres Epos als vielmehr eine introvertierte Suche nach nichts Bestimmtem, doch gleichzeitig nach Allem.

Ein ganzes Leben (2023)

Elvis

DER KÖNIG KOMMT BIS VEGAS

7,5/10


elvis© 2021 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2022

BUCH / REGIE: BAZ LUHRMANN

CAST: AUSTIN BUTLER, TOM HANKS, HELEN THOMSON, RICHARD ROXBURGH, OLIVIA DEJONGE, LUKE BRACEY, DAVID WENHAM, KELVIN HARRISON JR., KODI SMIT-MCPHEE U. A.

LÄNGE: 2 STD 39 MIN


Der Zeitpunkt scheint gekommen, an dem alle Elvis-Imitatoren rund um den Globus ihre Fake-Koteletten abziehen und ihre Glockenhosenoutfits zusammenpacken können – denn jetzt gibt es einen, der schlägt sie alle. Da gibt es nichts mehr über ihm, außer Elvis selbst, doch der ist leider schon seit 45 Jahren tot, wobei er sein eigenes Alter bereits um 3 Jahre überschritten hat. Elvis ist also länger schon Geschichte, als er überhaupt gelebt hat. Das Gerücht, das Elvis noch lebt, könnte mit Baz Luhrmanns tiefer Verbeugung vor einem Musik- und Showgenie neue Nahrung erhalten.

Denn Austin Butler, bislang vorwiegend in Nebenrollen und in einzelnen Fernsehserien zu sehen, schenkt dem King of Rock ’n‘ Roll ein neues, doch vertrautes Antlitz – er macht ihn nicht nur insofern lebendig, weil er dem Mann aus Memphis, Tennessee, so verblüffend ähnlich sieht. Sondern weil er weiß, wie er geht, steht, sich bewegt und vor allem – wie er lächelt. Sein charmantes Kokettieren mit dem weiblichen Publikum hat nebst den markanten Hüftbewegungen, die später Michael Jackson uminterpretieren wird, die eigentliche Hysterie ausgelöst und eine fast schon beängstigende Fankultur begründet. Austin Butler bekommt das genauso hin – vereint mit Outfit, Frisur und den richtigen Rhythmen wird eine Ikone lebendig, die man maximal in stadthallenfüllenden Tributshows aus sicherer Entfernung bewundern konnte – mit Lookalikes, Evergreens und einer damit einhergehenden Reisebegleitung in die Jugendjahre der Elterngeneration.

In Elvis wird nämliche Person hautnah erlebbar und somit zu einem Erlebnis, das in seiner kultischen Verehrung sogar jene Performance, die Rami Malek als Freddy Mercury hingelegt hat, in den Schatten stellt. Natürlich, auch er hat den Preis für die Rückholung des Queen-Leaders verdient, wenngleich die optischen Anpassungen manchmal etwas überzeichnet wirken. Butler hingegen spielt Elvis so, als wäre er niemals jemand anderer gewesen. Er muss sich mit der Biografie dieses Mannes akribisch auseinandergesetzt haben. Und nicht nur er. Auch Baz Luhrmann, dem der Stoff sicher schon lange in den Fingern gejuckt haben muss, erweist sich als profunder Kenner eines Teils der modernen Musikgeschichte. Natürlich, wie von Luhrmann zu erwarten, errichtet dieser seinen sakralen Triptychon-Altar aus funkelnden Devotionalien, manchmal zu braver biographischer Chronik und dem Blick hinter dem Bühnenvorhang, wo Drogen, Intrigen und Panik herrschen. Luhrmann feiert dabei das Zeitkolorit der Nachkriegsdekaden bis ins kleinste Detail und liebt das Konterfei seines Stars, weil er selbst kaum glauben kann, wen er da gecastet hat. Andererseits aber nimmt dieser seine Aufgabe ernst genug, nicht nur eine Elvis-Tribute-Show zu liefern, sondern auch den Menschen und sein Umfeld ganz ohne Getöse zu analysieren.

Diese Dreifaltigkeit gereicht dem Film zum Erfolg. Denn es bleibt nicht nur beim routinierten Abbild der Lebensgeschichte einer Kultfigur. Das mächtige Mittelstück von Luhrmanns Altar ist der Versuch einer Reise in eine gebrochene, gegängelte und verschreckte Seele. In die finsteren Winkel des Showbiz, das den Goldesel so oft bemüht, bis dieser zusammenbricht. Die Gier ist hierbei der Hounddog, die Bereicherung anderer am zum Objekt verkommenen Rampensau erweckt Suspicious Minds. Diese verdächtigen zu Recht einen gewissen Colonel Parker – Elvis Mentor, Mutterersatz und Mädchen für alles. Sein Marketing-Genie, sein Manager. Einer, der mit freier Hand über den „King“ verfügen wird. Plötzlich wird die Bühne zum Thronsaal, und der Monarch zur Marionette, die nach der Pfeife des Kanzlers tanzt. Tom Hanks hat sich hierfür eine Latex-Wamme sowie Wampe anlegen lassen, die ein bisschen aufgesetzt wirkt und den guten Mann von Hollywood in seinen schauspielerischen Möglichkeiten bremst, da man stets darauf konzentriert ist, nicht Hanks selbst, sondern einen alten, geldgeilen „Felix Krull“ darin zu entdecken, der gar nicht ist, wer er zu sein scheint. Diesem Löwen hat sich Elvis zum Fraß vorgeworfen, nichtsahnend und darauf vertrauend, dass es andere gut meinen könnten.

In diesem Gefüge aus Macht und Missbrauch, erinnernd an Pinocchios Schicksal unter den Fängen von Kater und Fuchs, erscheint Elvis‘ Lebens- und Erfolgsgeschichte wie eine Passion, wie ein Lehr- und Mahnbeispiel über Ausbeutung und Manipulation talentierter Geister. Damit verknüpft, überzeugen Butler und Luhrmann auch damit, Elvis als einen ehrgeizigen, wenngleich auch naiven Perfektionisten darzustellen, der außer dem Besten sonst nichts geben will. Am Ende bleiben Wehmut und Mitgefühl für einen Pionier. Erscheinen Bilder vom echten Elvis, die von den inszenierten kaum mehr zu unterscheiden sind. Elvis Erfolgsgeschichte ist eine, die niemand jemals haben will. Und Vegas? Wird zum Vorhof der Hölle, aus dem es kein Entkommen gibt.

Elvis

Die Misswahl – Der Beginn einer Revolution

WAS FRAUEN WOLLEN

7/10


misswahl© 2020 eOne Germany


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN, IRLAND, AUSTRALIEN 2020

REGIE: PHILIPPA LOWTHORPE

CAST: KEIRA KNIGHTLEY, JESSIE BUCKLEY, GUGU MBATHA-RAW, GREG KINNEAR, RHYS IFANS, LESLEY MANVILLE, SUKI WATERHOUSE U. A. 

LÄNGE: 1 STD 46 MIN


Wer ist die Schönste im ganzen Land? Diesen Umstand im Rahmen einer Gala fürs Establishment zu zelebrieren, ist nicht das eigentliche Problem. Schönheit, so subjektiv sie auch sein mag, muss sich nicht verstecken. Das wirkliche Problem, mit dem die Frauenrechtlerinnen Anfang der Siebziger Jahre und auch heute noch zu kämpfen haben, ist der Umstand, dass diese Frauen eben nur als das gesehen werden: als reizvolle Objekte mit den richtigen Maßen und Kurven. Das, finden diese anderen Frauen, ist einfach zu wenig. Ist vielleicht gut, aber zu wenig. Gleiche Chance für das weibliche Geschlecht in Beruf, Bildung und Karriere wäre wichtiger: da lässt sich selbst heute noch ordentlich dran feilen – wie prekär muss die Lage  wohl vor 50 Jahren gewesen sein? Da hieß es: nichts wie raus auf die Straße und demonstrieren. Aufstehen für etwas, das endlich mal Sinn macht.

Das britische BBC Entertainment, das ja stets eifrig dabei ist, historische Biographien und ebensolche Wendepunkte kinematographisch aufzubereiten, um so Unterhaltung und Allgemeinwissen für das filmaffine Volk zu kombinieren, nimmt sich mit Die Misswahl – Der Beginn einer Revolution (besserer Titel wie so oft im Original: Misbehaviour) den Aktionismus medienwirksamen Ungehorsams zur Brust, indem Regisseurin Philippa Lowthorpe jene Ereignisse nacherzählt, die dem wütenden Zwischenfall bei der Miss World Zeremonie 1970 vorausgegangen waren (Keine Sorge: das Happening selbst bekommt sehr wohl auch seine Sendezeit). Die Misswahl beobachtet auf mehreren Fronten gleichzeitig – insgesamt sind es vier. Da wäre die Storyline rund um Entertainer Bob Hope (großartig herablassend und gleichzeitig charmant: Greg Kinnear), der letzten Endes auf der Showbühne die meiste Häme kassiert. Da wäre die Storyline rund um den Miss World-Organisator Eric Morley, gespielt von Notting-Hill-Faktotum Rhys Ifans als geschäftiger Allrounder. Da wäre die Storyline rund um Gugu Mbatha-Raw als Grenadas Schönheitsgöttin und eben jene um Keira Knightley sowie die draufgängerische Jessie Buckley, die anfangs das eine und das andere Ende der Frauenbewegung bilden, letzten Endes aber an einem Strang ziehen, wenn die Katze aus dem Sack soll. Ein klug gecastetes Ensemble vereint sich um ein straffes Script, dessen Szenen richtig getimt und genau da sind, wo sie hingehören 

Die Misswahl überlässt als zeitgeschichtliche Chronik natürlich nichts dem Zufall – wie denn auch. Die Fakten stehen geschrieben, das ist es nur gut und recht, ihnen auch emotional und wohlrecherchiert gerecht zu werden – künstlerische Freiheiten außen vorgelassen, die müssen sein, sonst wär´s recht trocken. Was Die Misswahl sicher nicht ist. Vielmehr ein kluges Panoptikum aus eigenwilligen Patriarchen, dem schillernden Showbiz und nachhaltigen Mutmacherinnen.

Die Misswahl – Der Beginn einer Revolution

Die Stadt ohne Juden

UTOPIE DES SCHEINBAR UNMÖGLICHEN

7/10

 

stadtohnejuden© 1924 / Foto: FAA/ZDF

 

LAND: ÖSTERREICH 1924

REGIE: HANS KARL BRESLAUER

CAST: JOHANNES RIEMANN, EUGEN NEUFELD, HANS MOSER, FERDINAND MEYERHOFER, ARMIN BERG U. A. 

 

Als hätte er es gewusst, der österreichische Schriftsteller Hugo Bettauer, der seinen Roman Die Stadt ohne Juden 3 Jahre vor seinem Tod aufgeschrieben hat. Als wäre die Prophezeiung eine metaphysische Tugend der Künstler. Nicht nur Bettauer, auch anderen war diese antisemitische Drift ein Dorn im Auge, ein unübersehbares Schwelen aus Missgunst, Niedertracht und faschistoiden Anomalien, das sich da abgezeichnet hat. Die 20er Jahre – ein brodelndes Jahrzehnt, gleichzeitig nach und vor dem Krieg. Das Chaos der Börsen, das Erstarken eines manipulativen Redners für den Nationalismus. All das und noch vieles mehr. In den 20ern, da konnte man gerade noch intellektuellen Widerstand leisten gegen ein zunehmend fanatisiertes Politpublikum. Da konnten Künstler gerade noch sagen, was ihnen im Kopf herumgeht, bevor die Meinungsfreiheit in wenigen Jahren flöten gehen wird. Hans Karl Breslauer hat Die Stadt ohne Juden zwei Jahre später verfilmt – diesen Roman von Übermorgen, diese Was-wäre-wenn-Vision von etwas Unmöglichem, von dem Auseinanderreißen einer Gesellschaft, die nur in ihrer Vielfalt so ergänzend und ausgleichend überleben kann. Utopia heißt auch die Stadt, in der diese politische Absurdität Gestalt annehmen kann. Es wird politisiert, in Gasthäusern philosophiert, die Ablehnung gegen jene Minderheit, die den Wohlstand anscheinend gepachtet hat und im Geiste des Kaufmannes von Venedig die Wirtschaft der Nicht-Juden am Laufen hält, in dem sie wie niemand sonst das Geld vermehren kann, unverhohlen hinausposaunt.

Was für ein Klischee, allerdings viel eher die Überzeichnung eines geduldeten Nischendaseins, in welchem sich das jüdische Volk zum Kenner der Materie aufschwingen konnte. Von diesem Klischee, dieser Abhängigkeit will sich der Ur-Utopia-Wiener befreit wissen. Diese Sache findet im Parlament Gehör, und ehe sich der gottgleiche Bundeskanzler versieht, findet der geplante Erlass positive Zustimmung. Das jüdische Volk hat also bis Weihnachten das Land zu verlassen. Der Exodus beginnt. Und niemand wird für möglich halten, was dann geschieht. Die Folgen werden spürbar sein, und dieses ethnisch gesäuberte Utopia wird sich diese Freiheit wohl ganz anders vorgestellt haben.

Wirklich spannend an Die Stadt ohne Juden ist neben einer prophetischen Grundstimmung vor allem auch die Tatsache, dass dieses Werk lange Zeit als verschollen galt. Die letzte Aufführung des Filmes, die kontrovers diskutiert wurde, fand 1933 statt. Dann: nichts mehr, knapp 60 Jahre lang. Bis 1991 im Filmmuseum der Niederlande eine der letzten Kopien gefunden wurde. Die Qualität ließ zu wünschen übrig. Doch es wird noch besser kommen. Wir schreiben 2015, Paris. Auf einem Flohmarkt findet ein Filmsammler eine weitere Rolle und übergibt sie dem Österreichischen Filmmuseum, das folglich das Budget zusammenkratzen konnte, um eine vollständige Restaurierung zu starten. Entstaubt, gereinigt, neu vertont und in Duplex eingefärbt, wie zuvor schon Fritz Langs Metropolis oder Das Wachsfigurenkabinett, beides Beiträge des expressionistischen Films wie eben Breslauers Werk. Es ist ein klarer, vielleicht zu stark vereinfachter, aber energischer Blick zurück in das mahnende Denken der Liberalen. Man kann auch sagen eine Art Denkmal, vielleicht gar eine Hymne auf das jüdische Volk und eine Predigt gegen das aufkeimende Hitlerdeutschland, dass sich Anfang der 30er längst festgesetzt hat. Wir sehen Szenen auf den Gassen und Straßen Wiens, mitunter klar erkennbar das aufgebrachte Volk direkt vor dem Volksgarten. Die Outdoor-Szenen sind ungewöhnlich dokumentarisch, ihrer Zeit geradezu voraus. In dieses turbulente Geschehen mischt sich ein bekanntes Konterfei: das des jungen Hans Moser, auf seine Art unverkennbar als kauziger, nörgelnde Grantler, der als Antisemit Bernard letzten Endes den Verstand verliert und in einem bizarren Konstrukt seiner Gedanken als verlorenes Häufchen Elend keine Zukunft hat. Kunstvoll auch die Neuvertonung zwischen stark verfremdeten Wienerlied,  Massenlärm und Kletzmermusik, was die irre Vision Bettauers nochmal unterstreicht. Die Realität hat den Film dann längst eingeholt, und zwar um Lichtjahre. Umso erschreckender der Einblick in den Ist-Zustand von damals, der das Unvorstellbare nur in zumutbaren Ansätzen vorwegnehmen konnte.

Die Stadt ohne Juden

Werk ohne Autor

VOM KLAGEN DER BILDER

7,5/10

 

werkohneautor© 2018 Walt Disney Company

 

LAND: DEUTSCHLAND, ITALIEN 2018

REGIE: FLORIAN HENCKEL VON DONNERSMARCK

CAST: TOM SCHILLING, PAULA BEER, SEBASTIAN KOCH, SASKIA ROSENDAHL, OLIVER MASUCCI, LARS EIDINGER, BEN BECKER U. A.

 

Wo kein Richter, da kein Wohlgefallen: mit Florian Henckel von Donnersmarcks neuem und für den Auslands-Oscar nominierten, episch-biographischen Streifen hatte der Maler eingangs erwähnten Namens keine Freude. Warum? Nun, weil sich der Künstler in Werk ohne Autor ganz anders nennt – nämlich Kurt Barnert. Auf die Frage hin, warum denn von Donnersmarck nicht gleich und völlig aufrichtig Richter selbst erwähnt, gab es die Antwort, dass vorliegender Film lediglich eine Anlehnung an dessen Biografie sei, und nicht die Biografie selbst. Das allerdings macht vielleicht wütender als die Tatsache, das Kind nicht beim Namen nennen zu wollen. Denn Werk ohne Autor ist bis ins Detail und völlig offensichtlich sehr wohl die Biografie von Gerhard Richter. Selbst die Bilder sind inhaltlich ident, selbst Dresden als die Stadt, in welcher die Lebensgeschichte ihren Lauf nimmt, ist dieselbe. Somit ist das Drama eindeutig eine True Story, nichts Fiktives. Dafür aber trotz seiner sitzfleischfordernden Dauer von 3 Stunden so dermaßen straff und fesselnd inszeniert, dass diese wie im Flug vergehen. Dass die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts so punktgenau auf relevante Eckdaten heruntergestrichen wurde, dass man dennoch das Gefühl hat, die Zeit in all seinen Tagen vorüberziehen zu sehen. Das klingt, als wäre der Film epische Langeweile – mitnichten! Trotz der formalen Perfektion sind die unerwähnten Tage dazwischen Zwischenbilder im Kopf, scheinbar lückenlos, wie ein ganzes, volles Leben. In welchem viel passiert ist, viel Düsternis zwar, viel unbarmherziges Schicksal, aber auch die Chance, die Dinge in ihrem Zusammenhang zu begreifen, wie Barnert selbst sagt. Und der Wahrheit ins Gesicht zu sehen.

Was ist Wahrheit? oder besser gesagt – wie ist Wahrheit? Wahrheit ist schön, das sagt zumindest der künstlerisch hochbegabte Junge, dargestellt von Tom Schilling, der mit seiner Aussage gut und gerne einen Platz in Stefan Sagmeisters MAK-Ausstellung Beauty seinen Platz hätte finden sollen. Warum aber ist sie so schön? Schmerzt Wahrheit nicht viel mehr? Oder ist damit nur die Wahrheit der Kunst gemeint? Werk ohne Autor beginnt mit eben dieser – einer vermeintlich falschen Wahrheit, im Rahmen einer Kunstausstellung entarteter Schöpfer des Jahres 1937. Da waren die Maler der Brücke oder des Blauen Reiter künstlerische Missgeburten, verachtet und für krank befunden. Die Wahrheit ist hier auf das groteskeste verzerrt, und damit meine ich nicht die der Bilder, sondern das generische Gesetz eines faschistoiden Geschmacks. In dieser Welt wächst Kurt Barnert auf, ist sichtlich fasziniert von den entarteten Formen, die nur im Kopf geboren sind. Und von seiner Tante, die dem Jungen Weisheiten auf den Weg gibt, und ihn anhält, niemals wegzusehen. In Folge der Säuberung minderwertigen Lebens unter der NS-Herrschaft fällt auch die schizophren veranlagte Verwandte zum Opfer – durch die Hand des SS-Arztes Seeband, der darüber urteilt, was weiterleben darf und was nicht. Erschreckende Szenen, nicht zu begreifen. In seinem Grauen aber pietätvoll, soweit es geht, in Szene gesetzt. Der kleine Kurt ahnt all die Vorfälle, zieht sich zwar nicht zurück, aber verankert sich zusehends in seiner eigenen Realität, seiner Wahrheit, die eines Künstlers, der in einer gewissen Übersensibilität vermeint, mehr zu verstehen als andere, dafür aber nur spricht, wenn Bedarf besteht. Bis es allerdings soweit kommt, bis sich das Portal zum Ausdruck seiner Wahrheit öffnet, vergehen Jahre, Jahrzehnte, passieren seltsame Zufälle, die den Verdacht auf eine deterministische Welt schüren.

Die Wahrheit der Kunst ist die Prämisse von Donnersmarcks schillernden, bravourös erarbeiteten Film, in dem der künstlerische Umbruch der 60er Jahre mit sehr viel Affinität und Aufmerksamkeit nachgestellt ist. Die Kunstakademie Düsseldorf wird zum Schmelztiegel unterschiedlichster Weltsichten, nicht mehr unterdrückter Messages und schwer zugänglicher, befreiender Aufschreie. Hinsehen muss erstmal weniger der Kunstkonsumierende, sondern der Künstler selbst, der zu dieser Zeit den Krieg mit der Muttermilch mitbekommen und die Nachkriegszeit erlebt hat, eine Kindheit voller Entbehrung und Bitternis. Von diesen Umständen längst angewidert, müssen innere Wahrheiten ans Licht, und schwere Schuld getilgt werden. Zum Beispiel die Schuld eines Monsters in Weiß, das noch nach dem Krieg das Erbgut der Elite arisiert sehen will. Sebastian Koch legt als arroganter Übermensch eine beeindruckende schauspielerische Arbeit vor – so furchterregend rausgeputzt war rechthaberischer Trotz noch selten. Schilling aber, stets mit dem Blick aufs Wesentliche, findet in seiner Wahrheit jene dunkle des anderen. Und lässt Kunst entstehen, unscharf und verwaschen wie die Erinnerung. Doch was steckt dahinter, hinter all diesen Bildern? Vielleicht gar nichts, nur der Deckmantel des erkennenden Blickes. Keine Biografie, kein Trauma. Ist das zu wenig? Soll ein Künstler nicht sich selbst verarbeiten? Als man Samuel Beckett gefragt hat, was seine Werke eigentlich sollen, wusste er es selbst nicht. Auch David Lynch trägt wenig Erhellendes zu seiner Arbeit bei. In Werk ohne Autor hat das Werk letzten Endes tatsächlich keine Geschichte. Sondern nur die Geschichte des Betrachters, der sich ertappt fühlt.

Werk ohne Autor