Rabbit Trap (2025)

HÖR MAL, WAS DA SPRICHT

6,5/10


© 2025 Bankside Films


LAND / JAHR: USA, VEREINIGTES KÖNIGREICH 2025

REGIE / DREHBUCH: BRYN CHAINEY

KAMERA: ANDREAS JOHANNESSEN

CAST: DEV PATEL, ROSY MCEWEN, JADE CROOT U. A.

LÄNGE: 1 STD 37 MIN


Wir lieben die Natur, wir schätzen die Natur und wir missachten sie gleichermaßen, weil wir davon ausgehen, dass wir längst verstehen, wie sie tickt. Doch das tun wir nicht. Wir haben keine Ahnung, was Natur eigentlich ist, wie alles zusammenpasst und ineinandergreift, was sie uns sagt und von uns verlangt. Und vor allem: was warum auf welche Weise seinen Nutzen hat. Wir lauschen also da hinein, ins Rauschen der Wälder, ins Zirpen der Vögel und ins Knarren und Knacken der Bäume. Dazwischen gibt es aber auch noch etwas. Eine Melodie, ein Raunen und Singen, eine ganze verborgene, metaphysische Landschaft aus einer Art dunkler Materie, die alles zusammenhält, in der Zwischenwelten und Zwischenwesen existieren. Diese Entität weckt Aberglauben und Ängste und erzählt von Gestalten, die es angeblich gar nicht gibt. In Skandinavien ist der Glaube an verborgene Völker wie Trolle, Feen oder Zwerge fest im kulturellen Erbe verankert, anderswo führen Forststraßen durch erschlossene Nationalparks und aufgekaufte Hektar, der Urwald ist mittlerweile etwas Besonderes, weil so seltenes.

Dem Rauschen lauschen

Am Rande eines solchen jedoch, fernab von jeglichem urbanen Treiben, isoliert im Nirgendwo wie auf einer Insel, dorthin hat sich das durchaus exzentrische Paar der Davenports zurückgezogen – Daphne und Darcy machen Musik, keine klassische, sondern experimentelle wohlgemerkt, die sich aus Klängen, Geräuschen und Wortfetzen zusammensetzt, dazwischen wummernde Synthies, lautstark aus diversen Boxen dröhnend, die an diversen Verstärkern hängen und so das rustikale Cottage und die ganze Umgebung ihren Rhythmen unterwiren. Während Daphne den Sound mixt, macht sich Darcy auf die Suche nach lohnenswerten Vibes und stößt dabei, wie kann es anders sein, auf ein höchst seltsames Geräusch, das so klingt, als wäre es durch Menschen verursacht – ein Flüstern, Kreischen und Wimmern. Die Stimme des Waldes, der Natur? Ganz benommen von dieser Entdeckung, dröhnt der neue Soundmix in satter Tonlage durch die Räume, durch die Wände, in die Welt zurück – um eine Gestalt anzulocken, eine junge Person, eigentlich noch ein Teenager, vielleicht gar minderjährig, niemand weiß das so genau. Sie steht da plötzlich vor dem Haus, wird hereingebeten, man freundet sich an, übernimmt völlig ungeachtet eines Vorsatzes so was wie Verantwortung – bis die Balance ganz deutlich kippt und klar wird, dass dieser fremde Mensch, der nicht mal einen Namen besitzt, etwas ganz anderes sein muss, nur nicht menschlich.

Verständnis für das Unverstandene

Es kann sein, dass Rabbit Trap von Debütant Bryn Chaney mit der Fülle seiner Ideen zu sehr auf die Dynamik dieses höchst mysteriösen und nicht immer ganz verständlichen Mysteriums drückt, obwohl es, wie man bald bemerkt, genau darum geht: um Verständnis für etwas, das der Mensch nicht versteht. Chaneys Film handelt von Gnade, Respekt und Verantwortung, von nicht erfüllbaren Zugeständnissen und dem namenlosen Dazwischen als Essenz für eine Dimension, die der unseren, begreifbaren und analysierten, inhärent zu sein scheint. Schauspielerin Jade Croot gibt dabei der phantastischen Figur des Findelkinds eine bemerkenswert unheilvolle Aura, pendelt zwischen erregtem Mitleid, Freundlichkeit und erschreckend raumfüllender Dominanz hin und her – dabei hält sich „Slumdog Millionaire“ Dev Patel ohnehin nur in einem Zustand der völligen Verwirrung auf, bleibt neben der Spur, verliert die Orientierung genauso wie Co-Star Rosy McEwen (Harvest). Faszinierend, was Chaney aus seiner Grundsatzannahme, die Natur ist mehr als die Summe ihrer Teile, alles hervorwuchern lässt. Als wäre es nur eine durch natürliche Drogen verursachte Wahrnehmung, verfängt sich das Schauspiel-Duo in einem Regelwerk unsichtbarer Mächte. Das darauffolgende dekorative Brimborium, den opulenten Overkill aus Sinnbildern und illustrierter Metaphysik, hätte es vielleicht gar nicht gebraucht. Tatsächlich ist das schon zu viel des Guten, wenngleich das Visuelle von Rabbit Trap durchaus besticht und das Staunen sich in die eigene Mimik schleicht.

Sieht man genauer hin und sucht vielleicht nach Vergleichen in der Filmgeschichte, die die Inkarnation von etwas Abstraktem zum Thema haben, stößt man vielleicht auf Michael Endes Unendlicher Geschichte und seine kindlichen Kaiserin, die flehentlich darum bittet, verstanden und benannt zu werden. Bei Rabbit Trap ist es die Natur, die keiner will, aber dringend braucht, um überhaupt weiterzumachen.

Rabbit Trap (2025)

Monkey Man (2024)

VOM WILDEN AFFEN GEBISSEN

7/10


monkeyman© 2024 Universal Studios. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: DEV PATEL

DREHBUCH: DEV PATEL, PAUL ANGUNAWELA, JOHN COLLEE

CAST: DEV PATEL, SHARLTO COPLEY, PITOBASH, VIPIN SHARMA, SIKANDAR KHER, MAKARAND DESHPANDE, ASHWINI KALSEKAR, SOBHITA DHULIPALA, VIJAY KUMAR, ADITHI KALKUNTE U. A.

LÄNGE: 2 STD 2 MIN


Er fühlt sich an wie ein Bollywood-Actioner, ist es aber nicht. Monkey Man von und mit Dev Patel verortet sich zwar irgendwo in einer fiktiven indischen Megacity, genannt Yatana, trägt die Versatzstücke für einen Bollywood-Overkill aber, wie ihn moderne Subkontinent-Klassiker wie RRR bereits entfesselt haben, nicht wie einen Bauchladen vor sich her. Denn Dev Patel will nur eines: Dass sein Actionfilm sich selbst genügt und zu einer respektvollen und nicht verlachbaren Verbeugung vor jenen Mythen wird, mit denen er womöglich großgeworden ist. Und so taucht Monkey Man tief in die hinduistische Götterwelt ein, ohne Götter von irgendwo her aus ihren Parallelwelten zu rekrutieren. Diese bleiben Legenden, ohne sie vorführen zu müssen. All das, all diese Geschichten, nähren den Überlebenswillen des Monkey Man im Kopf. Mit dieser Motivation und jener, die er aus dem entsetzlichen Schmerz lukriert, den der gewaltsame Tod seiner geliebten Mutter mit sich gebracht hat, nimmt Dev Patel sein Schicksal und das vieler böser Jungs selbst in die Hand.

Was er entfacht, ist weitaus, dreckiger, blutiger und emotionaler, als es der stoische Keeanu Reeves mit dem Hang zur selbstironischen Übertreibung jemals angepeilt hätte. Bei John Wick sprechen die Projektilwaffen eine andere Sprache, nämlich die auf Distanz. Bei Monkey Man ist es der brachiale Nahkampf mit Fäusten, Scherben, Messern. Diese Nähe zum Gegner ist nicht nur Voraussetzung für intensive Martial Arts-Parcours, wie wir sie aus Gareth Evans‘ The Raid kennen, einem modernen Klassiker des asiatischen Metzelkinos, in welchem sich Uko Iwais durch ein ganzes Hochhaus schnetzelt. Diese Nähe zum Gegner entfesselt vor allem eine tiefgreifende, traumatisierte Sehnsucht: Die endgültige Konfrontation.

In diesem Willen und der manischen Pflicht, die Mörder seiner Mutter zu stellen, liegt die ganze Triebkraft von Dev Patels Film, der erstmals selbst Regie führt und gut daran getan hat, die Rolle des Kid gleichzeitig auch mit sich selbst zu besetzen. Auf diese Weise kann Patel die subjektive Idee seiner Figur ungefiltert ausleben und gestaltet diese zu einer Nemesis, die gut zu einer Underdog-Gesellschaft passen würde, die in der fiktiven DC-Metropole Gotham rund um Batman mit ihren eigenen Dämonen hadert.

In so einem Moloch verdingt sich Kid als affengesichtiger Prügelknabe bei illegalen Boxkämpfen. Stets muss er, so ist es mit seinem Auftraggeber Tiger (Sharlto Copley, die beiden kennen sich aus Chappie) vereinbart, auf die Matte gehen, ohne selbst zu gewinnen. Er tut dies, um erstens den eigenen Schmerz zu ersticken, und zweitens, um nebenher an einem Racheplan zu schmieden, der zum Ziel hat, den selbsternannten Guru Baba Shakti und seine rechte Hand, den Polizeichef Rana, welche die ganze Stadt unter ihre Kontrolle bringen wollen, hinzurichten. Dabei muss er sich im wahrsten Sinne des Wortes vom Tellerwäscher zum gnadenlosen Rächer hocharbeiten, knüpft Beziehungen, manipuliert und unterwandert das verkorkste Etablissement des King’s Club, der als Umschlagplatz für Drogen, Geld und für sinistre Machenschaften der beiden genannten Antagonisten dient. Es ist ein langer, steiniger Weg bis zum Tag X, an welchem die beiden Unmenschen dran glauben sollen.

Welche Action Dev Patel dabei entfesselt, ist, als hätte nicht S. S. Rajamouli, sondern einer wie Danny Boyle einen Slumdog Millionaire zum Slumdog Avenger werden lassen. Schnelle Schnitte, entfesselte Kamera, getaucht in Neonlicht, in den fahlgelben Schein müder Straßenlaternen, in Staub, Schweiß und Dreck. Mit erstaunlichem Gespür für Timing und von jenen gelernt, unter deren Regie er bislang gestanden hat, behält Dev Patel die konzentrierte Mitte zwischen exotischer Opulenz, weihrauchstäbchengeschwängertem Mystizismus und der sichtbaren Überanstrengung menschlicher Körper, deren physisches Potenzial bis an die Grenzen geht. Das sichtbar Indische in diesem Film wird zur Energiequelle, auf welche sich der Monkey Man erst besinnen muss, darüber hinaus ist alles andere jedoch ein ort- und zeitloses Stück Actionkino mit Event-Charakter, in welchem die unstillbare Wut eines der Zukunft beraubten Kindes im Körper eines Erwachsenen zu brüllen anfängt. Als wildgewordener Affe, der gerne auch mal zubeißt, wenn sonst nichts zur Hand ist, bleibt Patel wenig zimperlich. Tendenziell so brutal wie The Raid, aber immer noch gefälliger, sterben die Bösen explizite Tode. Die Unkaputtbarkeit eines John Wick weicht eines verausgabten, keuchenden Hanuman. Dass das Schauspiel durchaus immersiv wird, liegt auch an einem ausgewogenen, pointierten Score von Jed Kurzel, der indische Rhythmen mit erdigem Synthie-Score verbindet, manchmal gar mit Radio-Klassikern daherkommt und die gewaltsamen Szenen stimmig konterkariert.

Diese Stimmung ist es auch, die ihr Level hält. Natürlich können geradlinige Rachegeschichten wie diese, die nicht auf der Klaviatur melancholischer, französischer Noir-Gangsterfilme spielen, sondern Gut und Böse klar auf simple Weise voneinander trennen, nur zu einem einzigen Ziel führen, um zu entladen, was sich im Laufe der Handlung alles aufgestaut hat. Das ist ein gängiges Konzept, kann aber, wie man sieht, angenehm anders variiert werden. Man muss den Anti-Helden in seiner alles entpriorisierenden Todessehnsucht nicht überhöhen, man kann ihn Mensch oder Tier sein lassen, niederen Instinkten folgend, ohne ihn auf angeberische Weise seinen Krawattenknoten richten zu lassen, nachdem der Bösewicht besiegt ist. Monkey Man macht das. Sein tragischer Affe ist alles andere als Bingo Bongo, er könnte ein mythischer Superheld sein. Mit Kräften, die aus sich selbst heraus entstehen.

Monkey Man (2024)

Ich sehe was, was du nicht siehst (2023)

WIR BLÄTTERN IM BILDERBUCH

5/10


The Wonderful Story of Henry Sugar© 2023 Netflix Inc.


ORIGINAL: THE WONDERFUL STORY OF HENRY SUGAR

LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN, USA 2023

REGIE: WES ANDERSON

DREHBUCH: WES ANDERSON, NACH DEN KURZGESCHICHTEN VON ROALD DAHL

CAST: BENEDICT CUMBERBATCH, RALPH FIENNES, DEV PATEL, BEN KINGSLEY, RUPERT FRIEND, RICHARD AYODE U. A.

LÄNGE: 39 MIN

LÄNGE VON DER SCHWAN, DER RATTENFÄNGER & GIFT: 17 MIN


Was diese Werke in der Produktion wohl kosten müssen? Wir alle kennen diese vorzugsweise aus früheren Zeiten stammenden Kinderbücher, die aus kaschierten, dicken Kartonseiten bestanden und nur relativ wenig zum Blättern hatten, die aber, jedes Mal, wenn man das Buch aufschlug, dieses eine dreidimensionale Welt aus ausgestanzten und hintereinander gereihten Kartonkulissen auferstehen ließ. Blickte man dann frontal und in Augenhöhe mit dem Umschlag auf das Kunstwerk aus Falt-, Falz und Kartonkunst, war das Wunderland nicht erst seit der Darbo-Werbung näher als einem lieb ist. Als Sahnehäubchen dienten da noch Kartonstreifen am linken und rechten Rand, die, wenn man sie zog oder schob, filigrane Figuren durch den Forst, durchs Schloss oder durchs Dorf wandeln ließen. Ach, wie herrlich war und ist doch der analoge Büchertrick – und tatsächlich erfährt diese Art der Buchkunst heutzutage wieder ein Revival. Da braucht es nur einen Besuch im einschlägigen Papierfachhandel – der nächste Pop-up-Overkill kann schon der eigene sein.

Mit solchen Werken muss auch Wes Anderson aufgewachsen sein. Und mit den Geschichten von Roald Dahl. Das Wunder des Puppentrickfilms passt da ebenfalls gut dazu, nicht grundlos entstand 2009 Andersons Werk Der fantastische Mr. Fox, natürlich Roald Dahl. Die Begeisterung für den britischen Schreiberling schlägt sich nun in einer Kurzfilmreihe nieder, die im Kino womöglich als Episodenfilm in einem Aufwaschen präsentiert worden wäre: Ich sehe was, was du nicht siehst – und weitere drei Erzählungen des Meisters, aus dessen Feder Charlie und die Schokoladenfabrik, Hexen hexen oder Sophiechen und der Riese stammen. Seine Kurzgeschichten sind da weniger kindertauglich – oder eben auch kindertauglich, nur nicht erste Wahl für eine Gutenachtgeschichte.

In Ich sehe was, was du nicht siehst liest der eitle und geldgierige Henry Sugar, dargestellt von Benedict Cumberbatch, in einem Büchlein über einen wundersamen älteren Herrn namens Imdad Khan (Ben Kingsley), der, ohne seine Augen zu benutzen, sehen kann. Als Attraktion einer Freakshow will dieser seine Performance unter ärztlicher Aufsicht zelebrieren. Und was Imdad Khan konnte, muss Henry Sugar doch auch können. Nun, man kann sich denken, dass dieser in seinem Ehrgeiz, Spielcasinos abzuzocken, diese Skills bald sein Eigen nennen wird. Doch zu welchem Preis? Kein Roald Dahl ohne Pointe. So erfahren wir auch in den weiteren, deutlich kürzeren Schrullen von knapp über jeweils einer Viertelstunde, wie es einem Jungen ergeht, der von vogelmordenden Rabauken malträtiert wird (Der Schwan), wie es in Der Rattenfänger einem Schädlingsbekämpfer gelingt, lästigen Nagern Herr zu werden. Und wir erfahren in Gift, ob Cumberbatch, starr im Bett liegend, letztlich von einer Schlange gebissen wird oder nicht.

Wes Anderson musste für seine geschmackvollen Miniaturen wohl nicht händeringend an die Türen seiner Stars klopfen – womöglich war‘s eher umgekehrt. Also gibt nicht nur Cumberbatch spielfreudig manch Dahl’sche Figure zum Besten, sondern auch Dev Patel (Slumdog Millionaire), Rupert Friend und Ben Kingsley. Als der Schriftsteller himself wetzt Ralph Fiennes im schmuck eingerichteten Autorenstübchen, vollgestopft mit Accessoires, seine Hauspantoffeln und gibt einleitende wie abschließende Worte zum Besten – ein Storyteller par excellence. Da fläzt man sich gern zu dessen Füßen, folgt vielleicht der ersten Geschichte mit genug Aufmerksamkeit, um all die Details aufzunehmen und auszuwerten, doch aufgrund der recht gleichförmig betonten, dichten Wortwolken, die da am künstlichen Firmament aufziehen, in einer Geschwindigkeit, wie man eben Kulissen auf die Bühne schiebt und von dort wieder weg, heften sich Augen und Ohren nicht mehr an die wesentliche Handlung, sondern driften auf nebensächliche, penibel platzierte Details ab. Es bleibt ein einziges Wundern über die obsessive Vorliebe des einstigen Werbefilmers für Setzkastenoptik und pittoresken Puppenstubenpanoramen, über die narrenhafte Vorliebe für 50ties-Gebrauchsgegenstände und einem analogen Damals. Vor diesen Bühnen dann bekannte Gesichter, die das Offensichtliche aussprechen und in direkter Rede sich selbst sprechen hören.

Anderson treibt seinen akribischen Bühnenkitsch endgültig auf die Spitze. Seine Filme werden immer unbeweglicher, statischer und standbildhafter. Natürlich hinterfragt er die Möglichkeiten des Kinos, in dem er diese einfach nicht nutzt, um das Medium der Bedeutung eines mobilen Ersatztheaters zuzuführen. Doch diese Philosophie dahinter haben wir längst verstanden. Es braucht bei Anderson einen frischen Wind, der durch die abgestandene und ausgebleichte Optik weht. Es braucht neue Impulse. Und weniger Schauspieler, die wie Figuren einer Spieluhr ihren exakt getimten Auftritt haben. Das ist, außer repetitiv zu sein, zu viel vom Gleichen, auch wenn Roald Dahls Geschichten als Perpetuum Mobile das Ringelreihe antreiben. Es wäre auch schon egal, ob Dahl oder sonst wer hier als Vorlage gedient hat. Hauptsache, die Bühne bringt‘s.

Ich sehe was, was du nicht siehst (2023)

The Green Knight

DEN KOPF HINHALTEN

6,5/10


thegreenknight© 2021 24 Bilder


LAND / JAHR: USA, IRLAND 2020

BUCH / REGIE: DAVID LOWERY

CAST: DEV PATEL, ALICIA VIKANDER, JOEL EDGERTON, SEAN HARRIS, SARITA CHOUDHURY, KATE DICKIE, ERIN KELLYMAN, RALPH INESON, BARRY KEOGHAN U. A.

LÄNGE: 2 STD 10 MIN


Fantasy ist trotz des Erfolgs mit Game of Thrones und Herr der Ringe immer noch rar gesät, natürlich aufgrund der Kosten, die so ein Projekt verschlingt. Ausflüge ins Mittelalter sind fast ausschließlich in der Hand eines Ridley Scott (demnächst mit The Last Duel im Kino), wenn nicht gerade Michael Hirst seine Vikings auf die Welt loslässt. Endlich gibt’s hier Nachschub, und endlich mal dreht sich alles wieder um König Artus und die Ritter der Tafelrunde. Von Guy Ritchies Haudrauf-Interpretation des illustren Helden ist nämlich auch nur noch eine vage Erinnerung geblieben. Das könnte sich mit dem Spin-Off eines ganz anderen Recken durchaus ändern, denn die Verfilmung einer mittelalterlichen Romanze rund um Gawain entlockt den Themen unter der Regie eines sehr bemerkenswerten Filmemachers ganz andere Töne. Die Rede ist von David Lowery, ein Feingeist und cineastischer Umdenker. Einer, der Disneys Elliot – Der Drache zur emotional intensiven Familien-Fantasy mit Öko-Botschaft emanzipiert hat. Der Robert Redford Banken ausrauben ließ und in A Ghost Story auf innovative Weise über die Zeit und den Tod philosophiert hat. Es lässt sich erahnen, in welche Richtung Lowery diesmal abdriften wird, ist doch das Genre des Ritterfilms gänzlich neu in seinem Oeuvre. Das Ergebnis ist in Sachen Grünstich dem Fell des Walddrachen Elliot ganz ähnlich, taucht allerdings ganz tief ein in die Sphären von mit Chorklängen erfüllten, steinernen Gewölben, um längst gewohntem Trend den Rücken zu kehren. Hier, in der Finsternis des Mittelalters, trifft „Slumdog Millionaire“ Dev Patel auf den oder das große Unbekannte: auf den magischen, grünen Ritter.

Dabei ist anfangs noch alles so, wie es in einem Film über die Tafelrunde sein zu hat. Es ist Weihnachtstag, alles versammelt sich um den obligaten runden Tisch, der bereits recht alternde Artus spricht zu seinem Gefolge, als sich plötzlich die Tore öffnen und eine berittene Gestalt die traute Runde stört, um einen der Anwesenden zu einem Schlagabtausch herauszufordern. Der Mutige soll seinen Hieb ausführen, in einem Jahr gibt’s dann die Antwort des grünen Ritters auf die gleiche Weise. Noch Nicht-Tafelrundler Gawain, ein trinkfreudiger Taugenichts, zeigt dennoch Mut und schlägt dem Fremden den Kopf ab. Pech für den Jüngling, denn das berüstete Baumwesen zeigt sich unsterblich und zieht sich enthauptet zurück. Was also tun? Gawain will die Abmachung nicht erfüllen, wohl wissend, dass dies seinen Tod bedeutet. Doch das Volk, darunter auch Artus, feiert ihn schon jetzt als mutigen Helden.

Es ist ja nicht so, dass die Legende rund um Gawain noch nie verfilmt wurde. Sean Connery hat sogar mal die Rolle des martialischen Waldschrats übernommen. Nur so, wie die Mythen hier zu neuem Leben erwachen, gab‘s das noch nicht. The Green Knight ist Ritterkino für Intellektuelle und Kunstgenießer, für Museumsbesucher und Minnesang-Afficionados. Lowery schwelgt in nebelverhangenen, herbstlichen Landschaften, das Mystische ist allgegenwärtig – der Sinn manchmal jedoch nicht. Gawains Queste wird zu einer Rittergenese über Schlachtfelder und an ziellos umherwandernden Riesen vorbei. Das Phantastische bleibt vage, die Magie hingegen scheint alles zu durchdringen, erscheint aber auch nie konkret als solche. Vielmehr hängt sie mit Gawains Wahrnehmung und Seelenwelt zusammen, die sichtbar wird. Das gerät manchmal zum Durcheinander aus rätselhaften Andeutungen und aufgeräumten, recht formelhaften Dialogen, die aber sehr darauf bedacht sind, eine altertümliche Sprache zu sprechen, knapp an der Versform vorbei. Vieles geschieht wortlos, kippt in malerisch überhöhten Realismus, wobei die streng komponierte, farblich durchdachte Bildsprache am meisten fasziniert. Lowerys Film erinnert stark an die surrealen Welten des Italieners Matteo Garrone. Seine Filme Pinocchio (2019) oder Das Märchen der Märchen, eine Anthologie barocker Erzählungen, finden einen ähnlichen Stil. Sie sind diffus, transzendent, lakonisch und durchzogen von erdigem Naturalismus. Das ist wunderschön und sinnlich. Aber auch sehr artifiziell, weniger spontan und unnahbar.

The Green Knight lässt etwas ratlos zurück, ist aber unterm Strich sicherlich bemerkenswert. Ein exzentrischer Genuss fürs Auge und fürs Ohr und so theatralisch wie John Boormans Excalibur, nur ohne Carmina Burana. Die Artusepik bleibt hier spartanischer und den Geistern einer moralischen, erzieherischen Natur unterworfen.

The Green Knight

David Copperfield – Einmal Reichtum und zurück

WIE DIE ANDEREN WOLLEN

7/10


davidcopperfield© 2020 Constantin Film


LAND: GROSSBRITANNIEN, USA 2019

REGIE: ARMANDO IANNUCCI

CAST: DEV PATEL, TILDA SWINTON, HUGH LAURIE, BEN WISHAW, PETER CAPALDI, ANEURIN BARNARD, BENEDICT WONG, JAIRAJ VARSANI, ROSALIND ELEAZAR U. A.

LÄNGE: 1 STD 59 MIN


Ist es nicht so? Bei Nennung des titelgebenden Namens kommt doch sogleich der amerikanischen Zauberkünstler mit den dunklen Augenbrauen in den Sinn, der durch die Chinesische Mauer ging oder die Freiheitsstatue hat verschwinden lassen. Der wiederum hat sich allein aufgrund des lautmalerischen Wohlklangs so benannt. Und noch etwas recht Interessantes tritt zutage, setzt man sich mit Charles Dickens´semi-fiktionaler Biopic David Copperfield auseinander: Uriah Heep kommt darin vor. Natürlich nicht als Hardrock-Band, sondern als Namensquelle selbiger. Warum aber haben sich die britischen Musiker ausgerechnet nach der niederträchtigsten Figur aus Dickens´ Roman benannt? Der wiederum von Death of Stalin-Regisseur Armando Iannucci auf höchst exzentrische, aber vergnügliche Art interpretiert wurde.

Viel anders als überstilisiert, so denke ich, lässt sich dieser Stoff in dieser Zeit aber wohl kaum publikumswirksam für die Leinwand adaptieren. Entstanden ist ein kostümfundiertes Kommen und Gehen unterschiedlicher skurriler Gestalten, neurotischer Lebenskünstler, von Reichtum und Armut. Vor allem jene letztgenannten Gegensätze, die bei Charles Dickens in vielen seiner Werke Kern der Sache sind, bilden nicht nur das Alpha und Omega der Memoiren von David Copperfield – vor allem die Armut ist zwischendurch immer wieder Antrieb und Quelle der Improvisation all dieser Figuren, die durch ihre Entrücktheit ihren Existenzzustand überhaupt erst erträglich machen. Dazwischen verweilt der Zuseher zwischen den blumigen Worten einer eloquenten Gesellschaftskomödie, eines Begegnungsreigens und einer chaotischen Zettelwirtschaft. Denn Copperfield, der sich eigentlich nur selbst so nennt, weil alle anderen ihn so nennen wie sie wollen, notiert sein Leben stets auf Resten von Papier – der Zettelpoet ist geboren.

Eine solche Verfilmung wäre vielleicht zur langatmigen Angelegenheit eines Lebens geworden, das nicht wirklich tangiert – wäre Iannucci nicht auf die Idee gekommen, nebst eines ausgeschlafenen und bestens aufgelegten Star-Ensembles (Tilda Swinton, Hugh Laurie und auch Ben Wishaw als Uriah Heep agieren großartig) ethnische Merkmale vollständig zu ignorieren. Das ist, soweit ich weiß, ein gänzlich neuer Impuls: Copperfield selbst ist indischer Herkunft, wobei beide Eltern Europäer sind. Der Industrielle Wickfield ist Asiate, seine Tochter eine Schwarze, so wie die Mutter von Copperfields weißem Kommilitonen Steerforth. Wie seltsam das plötzlich klingt: schwarz, weiß, asiatisch, indisch. Iannucci beschämt das schubladisierte Denken seines Pubikums, sprengt die gesellschaftlichen Normen dahinter, schert sich nicht um ethnische Unterschiede. Das ist mutig – zwar anfangs etwas verwirrend, aber letzten Endes durchaus konsequent. Auch altern all die Figuren kein bisschen, sie sind stets das, was sie in Copperfields Erinnerung sind: unabänderbare Erscheinungen aus der ersten Begegnung, wie Fotografien oder gemalte Portraits. Vor diesen farbenfrohen, satten Pop-Up-Bildern aus Requisiten und liebevoll eingerichteten Interieurs klingelt das Charakterkarussell rotierend vor sich hin. Nicht unanstrengend, das Ganze, weil Iannucci seine Inszenierung in einem zweistündigen Stakkato an exaltierter Theatralik loszulassen gedenkt. Auf der Habenseite allerdings steht eine komplexe Kostüm-Adaption – auf den Punkt gebracht, straff und kurzweilig.

David Copperfield – Einmal Reichtum und zurück

Die Poesie des Unendlichen

WER ES FASSEN KANN, DER FASSE ES

7/10

 

poesieunendlich

Regie: Matt Brown
Mit: Dev Patel, Jeremy Irons, Toby Jones

 

Manche Menschen sind einfach von Geburt an mit Begabungen gesegnet, die wir Normalos nicht mal ansatzweise nachvollziehen können und wo wir schon nach den ersten Metern erschöpftes W.O. geben würden beim Versuch, die Welt in ihren Grundstrukturen zu erfassen. Die Dimensionen der Mathematik sind da das wohl deutlichste Beispiel dafür, welchem Spektrum sich der menschliche Verstand bedienen und wie weit der Mensch in die „Matrix“ unserer Welt vordringen kann. Doch hinter den Vorhang des Sichtbaren zu blicken und dabei nicht den Verstand zu verlieren, ist eine Gratwanderung. Vor allem bei so einer Begabung, die gleich einer geistigen Mutation einfach da ist, gleichermaßen quält und zur Erkenntnis führt. Ruhelose Geister sind das. Der Mathematiker John Nash zum Beispiel war schizophren und litt Zeit seines Lebens an Wahnvorstellungen. Russel Crowe hat ihn im Film A Beautiful Mind ein Denkmal gesetzt. Überhaupt legen Menschen mit autistischen Zügen sagenhafte kognitive Fähigkeiten an den Tag. Wunderkinder, Hochbegabte. Wie zum Beispiel Sitcom-Nerd Sheldon Cooper.

Natürlich tauchen solche Superhirne auch in entlegenen Ecken der Welt auf. Und wenn sie die Chance dazu haben, und den Mut aufbringen, dieses Potenzial des Welterklärens nutzen zu wollen, kann man von diesen Leuten später sogar in den Geschichtsbüchern lesen. Wie zum Beispiel bei Srinavasa Ramanujan. Der indische Büroangestellte wollte in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg, also noch in der tiefsten Kolonialzeit Großbritanniens, sein Recht durchsetzen, sein mathematisches Verständnis universitätstechnisch absegnen zu lassen. Und zwar an keiner geringeren Institution als Cambridge. Diesen Weg dorthin als steinig zu bezeichnen, ist geradezu ein Euphemismus. Hätte er nicht den Mathematikprofessor G. H. Hardy an seiner Seite gewusst, wäre der Rest nicht Geschichte geworden. Ist es aber. Ramanujan hat das Weltbild zukünftiger Zahlenwissenschaftler grundlegend verändert. Doch das Faszinierendste auf diesem Weg dorthin war die Tatsache, dass der Wunder-Inder mathematische Rätsel lösen konnte – doch erklären konnte er sie nicht. Wie die Gabe eines Mutanten aus dem X-Men-Universum. Wie ein Wunderheiler oder ein parapsychologisches Medium war Ramanujan nicht imstande, für seine prophetischen, sagenhaft präzisen Botschaften eine mathematische Formel zu finden. Mit Ergebnissen allein lässt sich Mathematik nicht lehren. Oder gar verstehen.

Regisseur und Drehbuchautor Matt Brown hat auf historischer Basis eine unaufgeregte, zurückhaltende Biografie ersonnen, die sich dem Thema des menschlichen Genies von einer ganz anderen Seite nähert. Für Brown ist Ramanujan keine Attraktion, sondern ein akribischer Ehrgeizling mit einem Gehirn als rätselhaftes Werkzeug, das sich erst gar nicht und später nur sehr widerwillig und nach großer Anstrengung nutzen lässt. Hochbegabung kann sich nicht alleine überlassen werden. Dazu ist sie zu komplex, selbst für den, der sie besitzt. Die Poesie des Unendlichen lädt ein in eine fremde Welt des Begreifens und Verstehens. Aber auch in eine Epoche des unreflektierten Klassendenkens und Menschenverachtens. Dev Patel lässt seinen berühmten Landsmann mit sehr viel Sympathie zur historischen Person straucheln und wieder aufstehen, leiden und lieben. Dafür nimmt sich der Film sehr viel Zeit, und oft sind es nur nüchterne Dialoge, welche die Geschichte vorwärts bringen. Zeit, Geduld und Interesse sollte man mitbringen – dann wird der Filmabend zu einem berührenden Streifzug durch die Terra Incognita eines menschlichen Geistes.

Die Poesie des Unendlichen

Lion

EINER VON 800 MILLIONEN

* * * * * * * * * *

Lion

Die diesjährigen Oscar-Anwärter für den besten Film des Jahres 2017 sind, soweit von mir bereits gesichtet, durch die Bank sehenswerte Werke. Das wohl thematisch riskanteste und am schwierigsten umzusetzende Projekt ist allerdings mit einigem Abstand die True Story rund um den fünfjährigen indischen Jungen Soree, der in den 80er Jahren im unendlich scheinenden Nirwana indischer Großstädte verloren gegangen war. An so einem Stoff kann man sich die Finger verbrennen. Mit einer derart emotional aufgeladenen Real Life-Story muss ein Filmemacher erst mal umgehen können. Leicht kann es passieren, dass der kleine verzweifelte Junge zum Oliver Twist-Abziehbild mutiert oder die Wiederkehr nach Indien geschlagene 25 Jahre später zum kalkulierten Reality Soap Rührstück verkommt. Das alles kann passieren. Und sehr schnell und sehr leicht sogar. Doch nicht umsonst durfte der Australier Garth Davis mit seinem unmittelbar distanzlosen und grundehrlichen Drama vor der Academy und eben auch beim Publikum und der Presse punkten.

Seine Regieführung ist getrost als großer Wurf zu bezeichnen. Die Art und Weise, wie Davis seine Schauspieler führt, ist zwischen distanziertem Blick auf die Chronik der Geschehnisse und aufrichtigen Emotionen ein gelungener Balanceakt auf dünnem Eis. Angefangen vom fünfjährigen Sunny Pawar, der für sein Alter wirklich Erstaunliches leistet, bis zu Nicole Kidman, die auch mal wieder zeigt, was sie eigentlich kann, ist der Cast von Lion nicht nur ein aufeinander eingespieltes Ensemble – die Interpretation der Figuren ist, und das macht den Film wirklich sehenswert, von angenehm unpathetischer Art. Das Spektrum des Empfindens und Erfahrens auf der Leinwand hat keinerlei Schwierigkeiten, das Publikum für sich einzunehmen. Das Schöne dabei ist – der Film macht dies nicht unter Aufgebot von reißerischer Klastchspalten-Plakativität, sondern schenkt seinen Zusehern Empfindungen, die man derart problemlos nachvollziehen kann, als hätte man all das irgendwo und irgendwann tatsächlich schon mal selbst erlebt. Man versteht, wie sich der kleine Soree gefühlt haben muss. Und man scheint zu wissen, mit welchem Gefühlschaos der nunmehr selbstbewusste Adoptivaustralier mehr als zweieinhalb Dekade später zu kämpfen hatte. So unmittelbar, als wäre man es selbst gewesen.

Dass solche Filme auch ohne Kitsch funktionieren und erzählt werden können, liegt vielleicht auch daran, dass Lion ein zutiefst unamerikanischer Film geworden ist, obwohl von den Weinstein-Brothers finanziert. Geschickt gliedert Garth Davis seine dramatische Reportage in zwei Teile. Den Anfang macht die Chronik des Verschwindens inmitten der Wirrnis des indischen Subkontinents. In seiner semidokumentarischen Art erinnert der Film an Mira Nair´s 1988 entstandenen Kinderdrama Salaam Bombay!. Die exotischen, aber auch ungeschminkt realistischen Bilder prägen bei einigen vielleicht ein ganz neues Bild Indiens. Oder geben verblassten Assoziationen wieder neue Farbe. Inmitten der ohnmachtseinflössenden urbanen Wildnis dieser dritten Welt läuft der kleine Sunny Pawar – leider nicht oscarnominiert – wie seinerzeit der Waisenjunge Oliver Twist – vor Kindesentführern um sein Leben. Der etwas in die Länge gezogene zweite Teil des Filmes erzählt mehr von der Psychologie seiner Hauptfigur Dev Patel und seiner Beziehung zu seiner „unechten“ Familie und ist längst nicht so packend wie die erste Stunde. Dafür ruhiger und getragener, dafür aber manchmal auch gefährlich nah am Pathos. Das kann schon mal den einen oder anderen Geduldsfaden kosten, doch bevor es zu spät ist, versöhnt uns das australische Kino mit einem aufregend bebilderten und famos geschnittenen Finale, das weitaus wirksamer ist als all die grellbunten Bilder, die Danny Boyles filmisches Holi-Fest Slumdog Millionaire verziert haben.

Lion ist eine dieser unglaublichen wahren Geschichten, denen man gerne und mit heruntergeklappter Kinnlade zuhört. Umso mehr, wenn man dem, der erzählt, das Ganze noch dazu abkaufen kann. Der Inder Soree war damals einer von knapp 800 Millionen, heute wäre er einer von 1,3 Milliarden. Das bewegende Einzelschicksal spricht für tausende verlorene Kinder, die dieses unerwartete Glück, wie es dem Löwen widerfahren ist, nie haben werden. Dennoch – Good News sind auch manchmal einfach nur Good News.

 

Lion