Stars at Noon (2022)

NACKT IN NICARAGUA

5/10


starsatnoon© 2022 Ad Vitam Distribution


LAND / JAHR: FRANKREICH 2022

REGIE: CLAIRE DENIS

DREHBUCH: CLAIRE DENIS, ANDREW LITVACK, LÉA MYSIUS

CAST: MARGARET QUALLEY, JOE ALWYN, DANNY RAMIREZ, BENNY SAFDIE, JOHN C. REILLY, NICK ROMANO U. A.

LÄNGE: 2 STD 18 MIN


Reden wir nicht über Politik. Reden wir über die Liebe. Oder die Leidenschaft. Die Sexuelle Begierde, die in zerknüllten feuchten Laken und dampfenden Körpern – mein Gott, ist das schwülstig formuliert – ihren Ausdruck findet. Doch ob schwülstig hin oder her: in letzter Zeit ist mir kein anderer Film untergekommen, der die Definition von romantischem Abenteuer so sehr in eine Groschenroman-Ästhetik verpackt wie Stars at Noon. Die französische, sich quer durch alle Genres durchkostende Vielfilmerin Claire Denis hat sich eines Romans aus den Achtzigern angenommen, der in den Wirren des Nicaragua-Krieges spielt und sehr viel mit CIA, waghalsigem Journalismus und zwielichtigen Nutznießern aus der Wirtschaft zu tun hat. Alles Faktoren, die großes internationales Kino versprechen, so episch, als wären Catherine Hepburn und Spencer Tracy oder Lauren Bacall und Humphrey Bogart traumwandelnde Gestalten inmitten politischer Umbrüche und derlei gesellschaftlicher Spannungen, die damit einhergehen.

Traumwandlerisch ist wohl das Adjektiv, das am besten zu Stars at Noon passt. Ins Zentrum setzt Claire Denis Margaret Qualley, die Tochter Andie McDowells und seit Tarantinos Once Upon a Time… in Hollywood einem breiteren Publikum wohlbekannt. Sie gibt eine amerikanische Journalistin, die unangenehme Fragen gestellt und einen Artikel veröffentlicht hat, den allerlei mächtige Leute als bedenklich einstufen. Das hat zur Folge, dass die junge, durchaus promiskuitive Dame ohne Geld und ohne Pass in Nicaragua festsitzt und darauf hofft, durch Sex in die Gunst mancher Männer zu gelangen, die Beziehungen haben. Nicht selten lässt sie sich dafür auszahlen, darunter auch von Geschäftsmann Daniel (Joe Alwyn), der den Reizen der zugegeben hocherotischen Trish naturgemäß erliegt. Dieser Geschäftsmann aber hat sich mit den falschen Leuten eingelassen, und zwar mit jenen der costa-ricanischen Polizei und natürlich auch mit der CIA, und allesamt sind sie hinter ihm her, während Trish, immer noch darauf aus, ihre Papiere zurückzuerlangen, Daniel zur romantischen Zweisamkeit nötigt, wann immer sich dazu die Gelegenheit bietet. Letztendlich beschließen sie, sich gemeinsam Richtung Costa Rica abzusetzen. Auch ohne Pass und Geld.

Was an Stars at Noon am meisten fasziniert, ist das Gesicht von Margaret Qualley. Claire Denis kann sich daran nicht sattsehen. Wenn das liebreizende Konterfei nicht reicht, gibt’s Qualley auch im Evakostüm vor dem Fenster, vor dem Spiegel, auf dem Bett oder im Badezimmer. Es ist, als hätte Richard Hamilton lediglich seinen Weichzeichner vergessen, doch die eingefangene, schweißtreibende Schwüle tut ihr Übriges, um Konturen aufzuweichen. Stars at Noon ist schön anzusehen, keine Frage. Diese stellt sich aber umso mehr, betrachtet man den offensichtlichen Anachronismus des Films. Denis liegt weder daran, eine komplexe politische Geschichte zu erzählen noch daran, all die Umstände, die Trish und Daniel dorthin gebracht haben, wo sie sind, näher zu erläutern. Nicht mal die Zeit scheint von Bedeutung, Referenzstücke, um ein bestimmtes Jahrzehnt zu eruieren, fehlen gänzlich. Also vermischt sie Versatzstücke der modernen Gegenwart wie Smartphones und Chipkarten mit den politischen Unruhen der Reagan-Ära. Indizien, die nicht zusammenpassen.

Überhaupt nutzt Stars at Noon seinen fadenscheinigen Plot lediglich als abstrahiertes Konstrukt, als simplifizierte Verzerrung eines relevanten Politikums. Wie ein hohles Gefäß, in das Claire Denis ihre Zeit totschlagende Romanze bettet, eine Art Kulisse ohne Tiefe, eine austauschbare Variable für Thrillerdramen aller Art. In diesem kafkaesken Mysterium stört Margaret Qualley rein gar nichts, ihr breites Lächeln entschädigt für vieles, jedoch nicht für das langweilige Spiel von Joe Alwyn, zwischen beiden sprüht kein Funke. All die übrigen Figuren sind Staffage rund um Qualleys einnehmender Entrücktheit, der man die Rolle der investigativen Journalistin keine Sekunde abnimmt. Wer sind sie dann, diese beiden? Kolportierte Antihelden einer Stil-Hommage an den amerikanischen Film Noir, deren Plots manchmal so undurchschaubar waren, dass man sich am liebsten gar nicht damit auseinandersetzen, sondern nur mit den schmachtenden Momenten der Liebenden Vorlieb nehmen wollte. Diese Diffusion gelingt Claire Denis dann doch. Ob schwülstige Tropennächte das Soll erfüllen? Wie bei so vielen anderen Filmen bleiben bei diesem hier ohnehin nur Fragmente in Erinnerung. Es sollen die richtigen sein.

Stars at Noon (2022)

The Lobster

ONLY THE LONELY

4,5/10

 

thelobster© 2015 Yorck Kinogruppe / Park Circus Ltd.

 

LAND: IRLAND, GROSSBRITANNIEN, GRIECHENLAND, FRANKREICH, NIEDERLANDE 2015

REGIE: YÓRGOS LÁNTHIMOS

CAST: COLIN FERRELL, RACHEL WEISZ, BEN WISHAW, JOHN C. REILLY, JESSICA BARDEN, LÉA SEYDOUX, OLIVIA COLMAN U. A. 

 

Bin ich froh, hier aus dem Schneider zu sein. Denn ja, ich lebe in einer Partnerschaft. Ich muss also nicht, würde ich in Yórgos Lánthimos abstruser Welt leben, in einem Nobelhotel die wahrscheinlich letzten Tage meines menschlichen Daseins fristen, bevor ich zu einem Tier verwandelt werde, sollte ich keine Partnerin finden. In der Welt des griechischen Exzentrikers, der unlängst mit dem Queen Anne-Intrigenspiel The Favourite auch oscartechnisch für Aufsehen sorgte, folgen dem Singledasein radikale Konsequenzen. Alleinsein gibt’s nicht. Die Welt will Paare, welchen Geschlechts auch immer, aber zumindest Paare, damit keiner allein sein muss, auch die nicht, die das vielleicht als angenehm empfinden würden. In dieses Hotel also steigt Colin Farrell ab, als verlassener Ex-Ehemann mit Franz Fuchs-Gedächtnisschnauzer und Krankenkassabrille, mit seinem Bruder an der Leine, der leider ein Hund wurde, und mit dem Wunsch, doch in einen Hummer verwandelt zu werden, sollte Amor seine Treffsicherheit nicht unter Beweis stellen können. Das klingt ja schon mal äußerst originell. Wem fallen denn bitte solche absurden Geschichten ein? Warum gerade in ein Tier verwandeln? Und wie genau erkennt man, ob zwei Seelen zusammenpassen?

Tja, das ist die Frage, die Lánthimos sichtlich beschäftigt. Ziehen sich nun Gegensätze an oder müssen beide einen verblüffenden Gleichklang aufweisen, um den Zufall bestimmen zu lassen? Dann könnte man ja gleich würfeln, viel anders ist das nicht. Farrells Filmfigur aber tut sich sichtlich schwer, aus seiner stocksteifen Haltung auszubrechen, er probiert es mit einer Lüge, doch damit scheint er nicht weit zu kommen. Maximal bis zur anderen Seite des Waldes, denn dort leben die, die sich darauf verschworen haben, Single zu bleiben. Die aber letzten Endes um kein Haar besser sind als die Paarfanatiker im Herrensitz.

Die Eingangsszene allein verspricht eine opulente Groteske, die den Parship– und Tinder-Wahn aufs Kreuz legt, auf eine Weise aber, wie es vielleicht nur noch der Theatermagier Peter Greenaway hinbekommen hätte. Colin Farrell habe ich bislang so auch noch nie spielen sehen. Wie ausgewechselt und konträr zu seiner übrigen Werkschau sitzt er seltsam clownesk, wie eine kafkaeske Figur, die gegen eine höhere Ordnung anzukämpfen versucht, zwischen den Beziehungskisten. Neben ihm können auch andere illustre Namen wie Rachel Weisz, Ben Wishaw und Léa Seydoux und auch die oscargekrönte Olivia Colman für Single und Paare zu Felde ziehen.

Yórgos Lánthimos ist in seinen Filmen ein relativ autarker Künstler, an dessen Werken sich natürlich die Geister scheiden sollen, alles andere wäre ihm zu wohlgefällig. Für den Mainstream ist der Mann nicht gemacht. Ein bewusstes Polarisieren wie dieses könnte auch nach hinten losgehen, und tut es auch, zumindest für mich und was The Lobster angeht. Seine visuelle Exzentrik in allen Ehren – gegen Mitte des Filmes macht sich eine geradezu lähmende Zähigkeit breit, die trotz aller Kuriosität unerwartet vorhersehbar erscheint. Seine Idee ist Lanthimos das Wichtigste. Weniger wichtig seine marionettenhaft agierenden Figuren, die in ihren olivgrünen Ponchos im Kunstraum hängen. Noch seltsamer: der Off-Kommentar des ohnehin Offensichtlichen, wie eine akustische Bildbeschreibung für Sehbehinderte. In diesem losgelösten Szenario einer bedrückenden Beziehungsgroteske, die vor dem Andeuten expliziter Gewalt auch nicht zurückschreckt, kann ich mich nur schwer zurechtfinden, alles ist von einer klinischen Kälte und einer pragmatischen Konsequenz, die mich in ihrer artifiziellen Kopflastigkeit gänzlich unberührt lässt.

The Lobster

Stan & Ollie

NICHT OHNE MEINEN BUDDY

5,5/10

 

Unit stills photography© 2019 SquareOne Entertainment / capelight pictures

 

LAND: GROSSBRITANNIEN, USA, KANADA 2019

REGIE: JON S. BAIRD

CAST: STEVE COOGAN, JOHN C. REILLY, DANNY HUSTON, NINA ARIANDA, SHIRLEY HENDERSON U. A.

 

Es gibt Beziehungen, die sind in so heißem Feuer geschmiedet, da reichen weder familiäre Bindungen noch ein Ehegelübde heran. Sie sind sogar schon mehr als nur eine innige Freundschaft, das ist sogar schon so etwas wie eine Symbiose – eine Existenz, die nur doppelt gemoppelt gelebt werden kann. Im fiktionalen Kulturkreis findet sich da einiges, wie zum Beispiel Don Camillo und Peppone oder Asterix und Obelix. Oder könntet ihr euch Obelix ohne Asterix vorstellen? Oder umgekehrt? Fix ohne Foxi? Peterson ohne Findus? Dinge der Unmöglichkeit. Bud Spencer oder Terence Hill waren im Alleingang bei weitem nicht so gut. Genauso verhält es sich auch mit Stan Laurel und Oliver Hardy. Ihre Beziehung war genauso, nämlich die eines dynamischen Duos, das ohne den anderen niemals konnte und wenn doch, dann war das eine Schmach für beide. Stan & Ollie oder Dick & Doof, wie sie im deutschen Sprachraum auch hießen, waren nicht auseinanderzudividieren, waren wie Dean Martin & Jerry Lewis, Farkas & Waldbrunn und wie sie noch so alle hießen, diese Buddies, die sich ihre Pointen zuwarfen wie treffsichere Pässe beim Volleyball. Wo einer die Scherze auflegt, und der andere hineinsteigen muss. Das war wohl witzig damals, das war Slapstick mit Niveau, perfekt getimt und minutiös vorbereitet. Da saß jede Geste, jede Mimik. Sogar das Schälen von Eiern wurde zur Lachnummer. Das musste man können, so clownesk aufzutreten, dass es nicht peinlich wirkt, sondern pointiert und von lässiger Jovialität, trotz oder gerade wegen der hingebungsvoll nervenden Blicke von Oliver Hardy, der den achselzuckenden und kopfkraulenden Stan Laurel stets maßregeln musste, um kurzerhand Torten oder ähnliches ins Gesicht zu bekommen. Es lassen sich die Klassiker wie Die Wüstensöhne tatsächlich noch genießen – diese Nummernrevuen haben ein Kolorit und eine paraverbale Palette an komischer Performance, die heutzutage noch ihresgleichen sucht.

Und nun, da sind sie wieder, begleitet vom musikalischen Intro des Cuckoos Dance und nach einem Drehbuch von Jeff Pope (Oscarniminierung für Philomena), der die Fakten zu den letzten Dekaden des Komikerduos gewissenhaft zusammengetragen hat. Handverlesene Momente, hinter den Kulissen hervorgeholt. Was da zum Vorschein kam? Der Plan zu einem Film über Robin Hood. Veralbernd natürlich und aus der Feder von Stan Laurel, sowieso stets der Mastermind hinter dem Erfolg, wie Blitzgneisser Asterix, dem Obelix in blindem Vertrauen stets folgt. Nur – die Zeiten haben sich geändert, wir schreiben Anfang der 50er Jahre. Da fährt das Publikum doch eher auf die Eskapaden von Abbot & Costello ab, und weniger auf den lakonischen Fettnäpfchenreigen, wie sie Chaplin, Lloyd oder Keaton auch so an den Tag gelegt hatten. Die Investoren zieren sich, die Bühnenversion ihrer Filmsketches sind im Rahmen einer England-Tournee nur spärlich besucht. Und Ollie, der hat Knieprobleme. Beide aber können es nicht lassen. Sie müssen weitermachen, denn was wären sie ohne einander. Und ohne ihren Sinn für Humor, der die Massen doch bis jetzt begeistert hat. Alles hat aber ein Ende. Und irgendwann müssen auch die beiden ihre viel zu kleinen und zu großen Melonen an den Haken hängen.

Stan & Ollie ist ein wehmütiges Farewell für Fans und Kenner dieser Urgesteine aus einer längst vergangenen, analogen Ära. Steve Coogan und John C. Reilly sind phänomenal – nicht nur dass sie so aussehen wie die beiden darzustellenden Kindsköpfe. Sie bewegen sich auch genauso, haben dieselbe Mimik. Machen immer wieder mal vergessen, dass es sich hierbei gar nicht um die echten Stars handelt. Darüber hinaus aber bleibt das Porträt einer innigen künstlerischen Verbundenheit in schaumgebremster Zurückhaltung seltsam blass. Und das nicht wegen des grauen Schnauzers von Ollie. Sondern, weil das Abendrot ihres Erfolges nicht die ganze Geschichte ist – die ich aber gerne gesehen hätte. Der Film hebt zwar am Höhepunkt ihrer Karriere an, springt aber sofort 16 Jahre weiter. Was bleibt, ist ein Abgesang. Rührend zwar, aber verdünnt auf Spielfilmlänge. Reilly und Coogan legen sich ins Zeug, füllen mit ihren Konterfeis vorwiegend die Kamera aus und machen schon deutlich, was beide damals wirklich verbunden hat. Das hat als Psychogramm einer Freundschaft schon Hand und Fuß, leidet aber schnell unter Atemnot, wie Oliver Hardy, dessen Herz bald nicht mehr mitmacht. So ist das ganze biografische Fragment: langsam, irgendwie schwächelnd, wenn geht rastend. Das passt natürlich zum Befinden von Stan & Ollie, lässt aber deren unverwüstlichen komödiantischen Esprit der beiden auf Dauer vermissen, auch wenn die Vision eines letzten gemeinsamen Films wehmütig macht.

Stan & Ollie

The Sisters Brothers

WILDER WESTEN, UND KEINER GEHT HIN

6,5/10

 

The Sisters Brothers© 2018 The Wild Bunch

 

LAND: FRANKREICH, BELGIEN, RUMÄNIEN, SPANIEN 2018

REGIE: JACQUES AUDIARD

CAST: JOAQUIN PHOENIX, JOHN C. REILLY, JAKE GYLLENHAL, RIZ AHMED, RUTGER HAUER U. A.

 

Eine Überschlagsrechnung im Western-Genre ergibt, dass wohl die meisten Vertreter ihrer Gattung vorwiegend gut und gerne an einer Hand abzählbare bewährte Topics als dramaturgischen Unterbau heranziehen: Das sei mal allen voran die Motivation der Rache. Schillerndes und zeitloses Beispiel natürlich: Spiel mir das Lied vom Tod. Gier spielt auch noch eine tragende Rolle (The Good, the Bad and the Ugly), und zuletzt natürlich die Diskrepanz zwischen Weißen und Indianern, so wie erst letztes Jahr in dem elegischen Gewalt- und Versöhnungsdrama Hostiles mit Christian Bale. Zwischendurch gibt es aber auch Filme, die das Genre des amerikanischen Heimatfilms, wenn man so will, konterkarieren und ihm Seiten abgewinnen, die bislang selten in Betracht gezogen wurden. Die Coen-Brüder hatten mit ihrem makaber-melancholischen Episodenfilm The Ballad of Buster Scruggs (Oscarnominierung 2019 für das beste Drehbuch) die ausgetretenen Stereotypen der einsamen Cowboys verwildern lassen, und stattdessen ganz andere Schneisen geschlagen. Das Ergebnis war bemerkenswert. Der Franzose Jacques Audiard hat das verschwitze Halstuch eines John Wayne oder den speckigen Hut eines Clint Eastwood auf eine ähnliche Art von innen nach außen gekehrt. Obwohl es anfangs nicht den Anschein hat, dass da etwas ganz anderes auf uns zukommt.

The Sisters Brothers sind zwei Erfüllungsgehilfen, deren Begegnungen mit ihrer Zielperson relativ endgültig sind. Auftragskiller, wenn man so will, getarnt hinter dem bequemen Charme Durchreisender, die ihren Killerinstinkt im Griff haben und drohnengleich nur dort zuschlagen, wo die Koordinaten ihres Auftrages hinweisen. Die beiden wirken recht kauzig, leicht unterschätzbar. Beauftragt von einem mysteriösen Commodore (in einer seiner kleinsten Rollen: Rutger Hauer), reisen sie von Oregon in den Süden, um einem jungen Goldsucher namens Warm habhaft zu werden, der angeblich eine Formel für eine chemische Substanz besitzt, die Flussgold sichtbar werden lässt. Der Detektiv John Morris (hinter dichtem Bartwuchs versteckt: Jake Gyllenhal) ist bereits längst unterwegs – und soll den Jungspund finden.

Das unvermeidliche Gipfeltreffen aller vier Protagonisten findet natürlich statt, und nach klassischer Adam-Riese-Rechnung im Western-Genre führt wahrscheinlich ein astreiner Shootout zu geordneten Verhältnissen – wäre da nicht dieses Umdenken, das zumindest einige der Figuren ziemlich nachhaltig beschäftigt. John C. Reilly als Bruder Eli hat schon mal alle Gedanken voll zu tun, sich eine Zukunft jenseits von Mord und Totschlag vorzustellen. Da winkt schon das eine oder andere Mal der materielle Gegenentwurf eines gepflegten Lebens in Form einer Zahnbürste oder einer Klosettspülung, die den introvertierten Revolverhelden zu Begeisterungsstürmen hinreißen lässt. Diese Zahnbürste ist es auch, die das Räderwerk entgegengesetzter möglicher Lebensentwürfe überhaupt erst zum Laufen bringt. Das es im Westen auch anders gehen kann, ist nur noch eine Frage der Entscheidung. Des Willens. Und dem Einfluß auf andere, die das vielleicht nicht so wollen. Dieses Umdenken berauscht auch den Goldjungen Riz Ahmed. Seine Chemie ist zwar tödlich giftig, aber effizient – darüber hinaus aber steht mit all dem leicht gewonnene Reichtum die Idee einer pazifistischen Gesellschaft im Raum, die den Altruismus und das Miteinander als tägliches Soll erfüllt sehen will. Das sind natürlich Ideale, die haben in einer Welt aus Raubeinen und faustrechtlerischen Glücksrittern eigentlich nichts verloren. Doch – warum eigentlich nicht? Wie wäre das, ein achtsames Miteinander?

Patrick deWitt hat diesen Roman aus dem wilden Westen als ein Hinterfragen widerstandslos platzierter Figurenklischees konzipiert. Jacques Audiard hat dafür den richtigen Cast vereint. Obwohl das lustvolle Brechen von Erwartungshaltungen die narrativen Lassoschlingen zu zaghaft auswirft. Da scheint es, dass dem Franzosen manchmal die Zügel aus der Hand gleiten, da bekommt The Sisters Brothers eine gedankenverlorene, orientierungslose Eigendynamik. Da weiß keiner mehr, wohin man eigentlich will, was man eigentlich will. Und überhaupt: wer genau? Das Leben zu überdenken, das mag natürlich ähnliche Leerläufe nach sich ziehen, bis das Quergedachte wieder sattelfest obenauf sitzt. Das liest sich vielleicht besser, als es sich ansehen lässt. Trotz Joaquin Phoenix, der wie die weniger infantile Macho-Version eines Terence Hill einen Bud Spencer an seiner Seite hat, der will, dass Frau schöne Worte zu ihm sagt. Und ihm etwas schenkt, dass aus Liebe den Besitzer wechselt. In diesen stillen Szenen der Sehnsucht nach einem Ort der Ruhe und Geborgenheit gelingen dem eigenwilligen Western die besten Momente.

The Sisters Brothers

Chaos im Netz

ALLES SO SCHÖN BUNT HIER

6/10

 

filmz.ru© 2018 Disney

 

LAND: USA 2018

REGIE: RICH MOORE, PHIL JOHNSTON

MIT DEN STIMMEN VON: JOHN C. REILLY, SARAH SILVERMAN, ED O´NEILL, GAL GADOT U. A.

 

1000 Jahre sind ein Tag… So tönte Udo Jürgens in den 80ern während des Intros zur augenzwinkernden Sachkunde auf FS1 durch die knisternden Boxen des Röhrenbildschirms. Es war einmal… hieß das Format, moderiert von Josef Meinrad, und der weißbärtige Verwandte von Miraculix war der Weise, während es immer zwei gab, die sich die Schädel eingeschlagen haben. Solche Seiteniebe auf das wenig durchdachte Sozialverhalten des Menschen findet man heutzutage im Kinderprogramm nur noch selten. Aber seis drum, wir haben zumindest einiges gelernt. Mitunter, dass das Hämoglobin im Blut im Grunde lauter kleine rote Männchen sind, und das Immunsystem eine bis an die Zähne bewaffnete Armee an Bakterien- und Virenbekämpfern, die wiederum auch ein Gesicht haben und furchtbar grimmig dreinschauen. Dennoch ist uns Sprösslingen aber durch diese vereinfachte Darstellung relativ hürdenlos klar geworden, wie zb. der menschliche Körper oder die Welt funktioniert. Hätte es das Internet aber damals schon gegeben, dann wäre ganz sicher eine Episode entstanden, die ungefähr so ausgesehen hätte wie das Sequel zu Ralph reichts. Denn dort begibt sich der gutmütige Schrank von einer Spielfigur mit bratpfannengroßen Handflächen und desolater Latzhose in den flirrenden Wahnsinn des World Wide Web. Natürlich im Schlepptau: die zuckersüße, stupsnasige Vanellope, ihres Zeichens Bolidendompteurin des Arcade-Spiels Sugar Rush. Die heult ganz verzweifelt in ihren Hoodie, weil das Lenkrad des Spielautomaten kaputtgegangen und wohl kaum ein Ersatzteil zu beschaffen ist. Viel zu retro ist diese Kiste, da zahlt sich eine Investition von 200 USD nicht wirklich aus – denn die müsste man brennen, gibt es dieses Teil doch auf Ebay zu ergattern. Was tut Ralph nun, um seine Freundin wieder lächeln zu sehen? Er schmuggelt sich über Datenwege ins virtuelle Babylon, auf der Suche nach virtuellem Geld, um das Teil dann direkt in die Spielothek liefern zu lassen, in der Vanellopes Spiel steht. Wenn das nur so einfach wäre, bei der Fülle an Informationen, die den Videospiel-Avataren da tsunamiartig entgegenpeitschen.

Wenn Yesss, der Algorithmus einer Medienplattform, einen Blazer aus Glitter-Velour trägt und der Erinnerungstimer von ebay als kleiner blauer Botenjunge permanent aufpoppt, wenn nervige Werbefenster ganz grün im Gesicht sind und das Darknet aussieht wie der finsterste Hinterhof im finstersten Viertel – dann sind das nur eine Handvoll manifestierte Zustände, mit denen wir alle arbeiten, die wir hassen, dulden oder lieben. Wenn wir schon in anderen Filmen die manchmal etwas plumpe Produktplatzierung beanstanden, so lebt Chaos im Netz faktisch nur davon. Wenn hier die Beschwerdepflicht gilt, dass Webkonzerne hier Werbung machen, sollte man den Film gleich nach den ersten 20 Minuten sein lassen. Alle großen Leader scheinen hier vertreten zu sein, es ist wie ein Who is Who im Context eines ewig währenden Wettbewerbs, die Momentaufnahme eines Status Quo, wobei es interessant wäre, in 20 Jahren nochmal einen Blick auf diesen Film zu werfen, der womöglich nostalgische Gefühle wecken wird. Des weiteren wäre ich neugierig, ob Disney sich den Referenzpool an Wortmarken bezahlen hat lassen – Gerangel um den Höchstbietenden inklusive. Eben so wie im echten Internet-Leben: jeder will ganz vorne stehen, in Ralphs Welt hat sowieso Google den höchsten Wolkenkratzer – doch da ist mir die zyklamenfarbene, gestauchte Suchmaschine in ihrem Bücherverschlag, die jedes ausgesprochene Wort zwanghaft ergänzen muss, um eine ganze Browserbreite lieber.

Kritik am chaotischen Marktgeschrei des Internets gibt es in Chaos im Netz keinen – der Film ist eine liebevolle Hommage, augenzwinkernd vielleicht, das eine oder andere Mal sind leichte Stupser kaum als Seitenhieb auf manch unliebsamen Bug bei der Usability zu bezeichnen, aber laut Chaos im Netz gehört auch das zum täglichen Brot des virtuellen Dauerzirkus aus Angebot und Nachfrage, wobei die Nachfrage mit Abstand hinterher hinkt. Und Disney würde es auch nicht anders wollen, geht doch das schwarze Loch aller Megakonzerne, das sowieso alles schluckt, was nur irgendwie in Reichweite von Mickey Mouse gelangt, sehr bald mit seinem Streamingdisnt online. Und Disney spart nicht mit jeder Menge Eigenreferenzen von Star Wars bis zur EisköniginDonald, Mickey und die Urgesteine des Konzerns sind mir entweder nicht aufgefallen oder sie waren alle nicht wirklich vertreten in diesem Vergnügungspark, vielleicht, weil die Zeitgenossen des alten Walt im Grunde nichts mehr zu sagen haben – die sind Ladenhüter eines immensen Traumarchivs. Nur Mary Poppins nicht, die war aber auch nicht da. Dafür aber Gal Gadot als Queen of the Dirt – unverwechselbar gut als ihr eigener Avatar.

Und wenn man so will, ist Chaos im Netz die Samstagnachmittagsversion von Spielberg´s Zitatenschatzkiste Ready Player One, die den Engerln und Bengerln des Internets auf dem Niveau eines gewitzten Schulfernsehens seine Cameos einräumt – bishin zum Virus, der fast alles zerstört, was uns in Zeiten wie diesen so verbindet. Witzig, sehr oft schrill und knallbunt – für Spielfilmlänge vielleicht zu lang. Für ein Update von Es war einmal – der Mensch durchaus sehenswert.

Chaos im Netz