Black Phone 2 (2025)

KEIN ANSCHISS UNTER DIESER NUMMER

5/10


© 2025 Universal Pictures


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: SCOTT DERRICKSON

DREHBUCH: SCOTT DERRICKSON, C. ROBERT CARGILL, NACH DER KURZGESCHICHTE VON JOE HILL

KAMERA: PÄR M. EKBERG

CAST: MADELEINE MCGRAW, MASON THAMES, ETHAN HAWKE, JEREMY DAVIES, MIGUEL CAZAREZ MORA, DEMIÁN BICHIR, ARIANNA RIVAS, MAEV BEATY, ANNA LORE U. A.

LÄNGE: 1 STD 54 MIN



Was war Scott Derricksons paranormaler Serienkillerthriller nicht für ein akkurater Filmleckerbissen, dahingleitend auf der Mystery-Schiene des Horror-Genres: Ein schwarzes Telefon im Keller eines Psychopathen, das, längst nicht mehr ans Netz angeschlossen, schauderhaft oft die Nerven des entführten Mason Thames kitzelt. Speziell in einem Punkt macht The Black Phone die erfrischende Wende: Nicht die Geister sind es diesmal, die die Lebenden quälen. Sie unterstützen diese, um der Bestie Mensch das Handwerk zu legen. Der von Thames verkörperte Finn ist der letzte einer ganzen Reihe ermordeter Kinder, die noch gar nicht wissen, dass sie überhaupt gestorben sind. Als spukhafte Vision manifestieren sie sich vor den Augen des Entführten und in den Visionen von dessen Schwester, die, daheim um ihren Bruder bangend, als Medium Hinweise genug erhält, um den Ort des Verbrechens letztlich ausfindig zu machen. Derricksons geradliniger Nägelbeisser besitzt ganz schön viel Atmosphäre, hat eine originelle Optik und das Herz am rechten Fleck. Zwar gerät die Sache ganz schon düster, doch letztlich ist The Black Phone zwar kein Feel Good-Horror, aber immerhin ein Feel-Better, je mehr sich die Dinge zuspitzen. Der verzweifelte Kampf Kind gegen Killer, der noch dazu eine so schaurige Maske trägt, weil sich die Mimik darauf auf geheimnisvolle Weise ändert, lässt sich wohl kaum eins zu eins auf ein Sequel übertragen, ohne dass sich dieses den Vorwurf gefallen lassen muss, einfach nur das Erfolgsrezept des Erstlings zu kopieren.

Ist so kalt der Winter

Eben da muss etwas Neues her. Oder eben etwas Altes, neu aufgegossen. Wie zum Beispiel die Idee von einem Psychopathen, der es geschafft hat, den Tod zu überwinden, um in den Träumen anderer aufzutauchen. Natürlich drängt sich da Nightmare – Mörderische Träume mit Antagonist Freddy Krüger auf, der sich mit gesottenem Gesicht, rotgrün gestreiftem Pulli und Klingenfingern durch die Träume argloser Teenies metzelt. Gut kopiert wird fast schon zum Original? In Black Phone 2 kehrt Ethan Hawke wieder zurück, doch anders als Freddy hat der Greifer nur dann freie Fahrt, wenn das Opfer den sechsten Sinn hat. In diesem Fall steht die Schwester des aus Teil eins entführten Finn im Mittelpunkt. Visionen von übel zugerichteten Kindern, die  Jungschauspielerin Madeleine McGraw in ein tief verschneites Wintercamp nach Colorado locken, machen bald deutlich, dass der totgeglaubte „Greifer“ noch lange keine Ruhe findet. Und seit Shining wissen wir: Die Isolation eines Ortes durch Schnee und Eis, diese für einen Thriller dramaturgisch eingegrenzte Spielfläche, auf der nur wenige Parameter über Sieg und Niederlage entscheiden, funktioniert als wohlige Zutat fast schon unter Garantie. Umso bedauerlicher, wenn die Story, die sich in dieses Setting zwängen will, plötzlich deutlich zu viel will.

Albträume in Super 8

Was an Black Phone 2 in Erinnerung bleibt, ist der Sound. Wenn Madeleine McGraw träumt, kippt die Geräuschkulisse in ein unheimliches Rauschen, Knistern und Knacken, der Bildstil gefällt sich als einer, den man von den Super 8-Filmen aus der Frühzeit des Home-Videos kennt. Schaurig ist das ausiovisuelle Experimentieren allemal, wenngleich Verpackung nicht alles ist. Um anders zu sein als das Original, erfinden Derrickson und  C. Robert Cargill ein bemühtes, komplexes Szenario und ziehen dabei die ganze Familie der Protagonisten mit hinein – inklusive Vergangenheitsbewältigung und jeder Menge Cold Case-Fälle, die der Reihe nach auftauen. Der gemeinsame Nenner von allem ist besagter Greifer, der plötzlich mehr ist, als er jemals war. Eine Figur wie diese braucht aber keine Biografie, sie nimmt ihr so manches Mysterium. Das Grauen, das in The Black Phone noch nach dem Zufallsprinzip zuschlägt, erhält in seiner Fortsetzung zu viel an Vorbestimmung und kollektiver Bewältigungspflicht, zu viel des Phantastischen und eine aufgesetzte Mystery, die nicht nur unter der Anstrengung leidet, den direkten Erzählfluss des Vorgängers beizubehalten, sondern sich selbst im Streben nach Originalität deutlich verkopft und verkonstruiert. Da helfen auch immer wieder die gleichen Visionen aus Blut und entstellten Gesichtern nichts, auch nicht Hawkes üppige Zombie-Visage. All das ist nur noch Brimborium mit zu vielen Charakteren, die alle wichtig sein und dem genre-eigenen Credo „Keep it simple“ nicht zuhören wollen. Was bleibt, ist der kämpferische Drang des Guten, dem Bösen die Leviten zu lesen. Die gesunde Wut auf den „Greifer“ ist nach wie vor befreiend – der Rest engt sich zu sehr selbst ein.

Black Phone 2 (2025)

The History of Sound (2025)

HÖREN, WAS UNS VERBINDET

5,5/10


© 2025 Fair Winter LLC. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA, VEREINIGTES KÖNIGREICH 2025

REGIE: OLIVER HERMANUS

DREHBUCH: BEN SHATTUCK, NACH SEINER KURZGESCHICHTE

KAMERA: ALEXANDER DYNAN

CAST: PAUL MESCAL, JOSH O’CONNOR, MOLLY PRICE, RAPHAEL SBARGE, HADLEY ROBINSON, ALESSANDRO BEDETTI, EMMA CANNING, BRIANA MIDDLETON, GARY RAYMOND, CHRIS COOPER U. A.

LÄNGE: 1 STD 7 MIN


Der neue Film von Oliver Hermanus erinnert unweigerlich an Brokeback Mountain, wie wahr ein Eckpfeiler des queeren Kinos, tragisch, sentimental und nicht davor zurückschreckend, den unantastbar scheinenden Mythos des maskulinen Westernhelden zu hinterfragen. Heath Ledger und Jake Gyllenhaal liebten sich, schmachteten sich an, vergossen Tränen und blickten so sehnsuchtsvoll wie wehmütig in die Landschaft. Und dennoch: So ganz genau wusste ich nicht, woran es lag, dass es den beiden nicht gelang, in ihren Figuren zu überzeugen. Lag es am Klischee des Westerns? Oder daran, dass Ledger und Gyllenhaal nur so tun mussten, als wären sie homosexuell? Vielleicht war Ang Lee als Regisseur auch nicht der richtige, vielleicht wäre Oliver Hermanus besser gewesen. Dieser hat schließlich das Thema auf eigene Weise variiert und die Tonalität eines Western außen vorgelassen, ohne aber auf die Historie eines Landes zu verzichten. Hermanus (sein letzter Film Living, nach einer Idee von Akira Kurosawa und mit einem sagenhaft guten Bill Nighy, lief ebenfalls auf der Viennale) taucht tatsächlich viel tiefer ein in das vergangene Amerika, glücklicherweise nicht nur im Sinne genrebedingter Parameter und Stereotypen, und findet seine unstillbare Sehnsucht zweier Männer im leisen Abenteuer des Suchens, Sammelns und Zuhörens.

Wie die Alten sungen

Dieses Zuhören zahlt sich aus, denn was Lionel und David miteinander verbindet, ist die Musik. Der eine, Lionel, besitzt schon von Klein auf die Fähigkeit, die akustische Welt anders zu empfinden als andere, er sieht und spürt sie in Farben, er kann sie fühlen und fast schon schmecken. Und er kann singen. Ein Talent, das ihn von der elterlichen Farm mit all seinen vom Vater zum Besten gegebenen Volksweisen nach Boston ans Musikkonservatorium bringt. Wo er natürlich David kennenlernt, einen Komponisten. Der eine singt, der andere spielt Klavier, so kommen sie, singend und spielend, zueinander und landen dann auch gemeinsam im Bett. Um später, nach dem ersten Weltkrieg, gemeinsam auf Wanderschaft zu gehen, amerikanische Volkslieder zu sammeln und auf Wachszylindern aufzuzeichnen.

Liebe und Distanz

In diesen Zehnerjahren des 20. Jahrhunderts aber, während der Erste Weltkrieg tobt, ist Homosexualität ein Tabuthema, niemand redet darüber, doch die beiden akzeptieren sich und ihre Neigung – weit davon entfernt, sich zu outen. Der nach einer Kurzgeschichte von Ben Shattuck entstandene Liebes- und Lebensfilm macht aber gerade diese Art der sexuellen Orientierung nicht vorrangig zu einem Thema, sondern zieht, und das ist drängend genug, die Konsequenzen, die der Tatsache einer niemals realisierbaren Zukunft folgt. Paul Mescal und Josh O’Connor – beide gerade im Filmbiz sehr gefragt – spielen ihre Charaktere auf Distanz, sie bleiben verschlossen, agieren lakonisch, geben wenig von sich preis. Zwei introvertierte Außenseiter, auf der Suche nach dem Ort, wo sie hingehören könnten – The History of Sound nutzt das historische, in allen Brauntönen präsente Kolorit eines ruralen Amerikas und erweitert das Spektrum mit alten Liedern, die von der Schwere des Lebens und der Liebe erzählen. Natürlich der Liebe, das ist das, was auch die beiden jungen Männer bewegt, obwohl sie zumindest in Hermanus Narration zwar die Liebe zueinander darstellen sollen, jedoch stets so agieren, als würden sie auf Abstand bleiben wollen.

Wie klingen verpasste Chancen?

Mescal und O’Connor fehlt die Harmonie zueinander. Der ohnehin stets distanziert agierende O’Connor, der oft so wirkt, als hätte er ein sinniges Lächeln auf den Lippen und hinter dessen Fassade man schon in The Mastermind nicht blicken konnte, erhält durch seinen Filmpartner Paul Mescal, der sich ähnlich verschlossen zeigt, keinerlei Support, um Gefühle zu repräsentieren. Beide sind eine Insel für sich, beide streifen durchs herbstliche Amerika – die Lieder selbst, die man hört, füllen nur bedingt die emotionale Lücke, die der Film hinterlässt. Und man merkt auch: The History of Sound ist eine Kurzgeschichte. Ähnlich spartanisch fühlt sich diese Story an, die sich sichtlich bemüht ist, im Fluss zu bleiben, nicht aber daran interessiert ist, den Zuseher einzubinden.

Spärlich interessante Figuren also in einer prinzipiell interessanten, aber gehemmten Exkursion über die Verbundenheit durch Klang, Erbe und Gesang, die ihre eigene Romanze vernachlässigt, dafür aber in den letzten Minuten eine sentimentale, nostalgische Wehmut mit sich bringt. Schließlich artikuliert sich, was bisher die ganze Zeit gefehlt hat: Die Schmerzlichkeit einer Empfindung, die man hat, wenn man nicht weiß, wohin einen das Herz tragen soll. Manchmal weiß The History of Sound auch nicht, wohin mit sich. Diese Ratlosigkeit schafft eine kaum überbrückbare Distanz.

The History of Sound (2025)

The Life of Chuck (2024)

VOM WERT DER BLOSSEN EXISTENZ

9/10


© 2025 Tobis Film


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: MIKE FLANAGAN

DREHBUCH: MIKE FLANAGAN, NACH EINER KURZGESCHICHTE VON STEPHEN KING

KAMERA: EBEN BOLTER

CAST: TOM HIDDLESTON, CHIWETEL EJIOFOR, KAREN GILLAN, ANNALISE BASSO, MARK HAMILL, MIA SARA, BENJAMIN PAJAK, JACOB TREMBLAY, CARL LUMBLY, Q’ORIANKA KILCHER, CODY FLANAGAN, DAVID DASTMALCHIAN U. A.

LÄNGE: 1 STD 51 MIN


Dieser Film erzählt von einem Leben. Einem wichtigen Leben. Er erzählt jedoch nicht von einem Diktator, einem Präsidenten. Nicht von einem Feldherren, einem Heiligen, einem Popstar. Es ist jemand, den wir alle nicht kennen. Den selbst jene im Film nicht kennen, während sie sich fragen: Wer um alles in der Welt ist Chuck Krantz? Richtig. Um Alles in der Welt. Darum geht es. Denn dieser schlichte, ganz normale, unauffällige Mensch, der noch dazu den wohl wenig spektakulären Beruf eines Buchhalters ausübt: für ihn ist sein Leben tatsächlich alles in der Welt. Und die Welt, die sich ihm offenbart, genau das: Eine, die nur existiert, weil Chuck Krantz eben alles ist.

Die Welt, die ich wahrnehme, ist meine ganz eigene. Manchmal fühlt sie sich an wie ein Film mit spektakulären Schicksalsschlägen, dann wieder wie eine Serie, bestehend aus mehreren Staffeln, in denen der Cast ständig wechselt und nur manche als dauerhafte Charaktere in den Hauptrollen verweilen. Andere treten ab, neue kommen hinzu, und einige, die mir flüchtig begegnen, verschwinden wieder. Eine ganze Welt ist das, ein einziges, individuelles, persönliches Universum. Das Universum meiner Existenz ist nur eines von mehreren Milliarden, und jedes ist mit jedem anderen nicht zu vergleichen. So ist auch das von Chuck Krantz einzigartig, und der Mensch selbst, der dieses beherrscht, etwas ganz Besonderes.

Ein Leben, auf jede Weise gut

Wie sich Stephen King anhand einer mysteriösen Kurzgeschichte darauf einlässt, zu vermitteln, was ein Mensch für sich selbst (und andere) bedeutet, bietet abermals genug Stoff für einen Film, der allerdings sehr leicht in sentimentale Schieflage geraten hätte können, wäre nicht einer wie Mike Flanagan (u. a. Spuk in Hill House, Doctor Sleeps Erwachen) so versiert genug, dieses Leben eines völlig Unbekannten nicht als tränendrüsiges Kalenderspruch-Melodrama in fettreicher Zubereitung seinem Publikum zuzumuten. Stattdessen ist der Wert der Bescheidenheit neben dem der Akzeptanz und der Menschenwürde ein nobles Gut vor allem im Film. Und gerade in einem wie diesen.

Denn das Leben des Chuck Krantz ist kurz, leidgeprüft, karg, in der Dämmerung seines Daseins von Krankheit gezeichnet. Schließlich wird er gerade mal 39 Jahre alt. Doch das wissen wir anfangs noch alles gar nicht. Der Anfang ist in The Life of Chuck das Ende – gekonnt und souverän montiert Flanagan Kings Geschichte chronologisch verkehrt, was rückwirkend viel mehr Sinn macht – und dank dieser Anordnung geht die Rechnung mitsamt ihrer Botschaft letztlich auch auf. Am Anfang, da schickt sich die ganze Welt an, unterzugehen. Schrittweise versagt die Infrastruktur, das System bricht zusammen. Jene, die sich lieben, kommen zueinander. In diesem Fall Chiwetel Ejiofor und Karen Gillan. Und wie bei King dennoch zu erwarten, ist die Welt hier ähnlich die eines rätselhaften Traumes. Surreal, gespenstisch, voll der letzten Worte und Gedanken. Später sehen wir Tom Hiddleston, der im Erwachsenenalter als ganz normaler Buchhalter den musikalischen Moment genießt, die Essenz des Lebens inhaliert, diesem einen Sinn verleiht. Am Ende ist Chuck ein Waisenjunge, der bei seinen Großeltern lebt, in einem viktorianischen Gemäuer, dessen Turmzimmer nicht betreten werden darf. In diesem schlummert ein Geheimnis, das Opa Mark Hamill vehement bewacht.

Im Kopf ein Universum

All diese Mysterien, all diese Leidenschaften und Entbehrungen, all das Glück und die Traurigkeit formieren sich zu einem unprätentiösen Kanon einer Existenzbetrachtung, die in hingebungsvoller Bedachtsamkeit und mit viel Respekt das Hier und Jetzt als einzige Dimension versteht, in der wir uns allem bewusst sind. Womöglich ist Stephen King einer, der über den Tod hinaus an nichts mehr glaubt. Umso mehr erinnert The Life of Chuck an den unverhandelbaren Wert des Selbst; an die Erkenntnis, dass das ganze Universum, solange wie leben, eigentlich nur in uns selbst schlummert, weil wir selbst nichts anderes sein können als der Mittelpunkt dessen.

In Zeiten wie diesen müssen wir genügen, leisten und mithalten, wir sind voller Selbstzweifel und Ängste. Und dann kommt ein sich selbst reflektierender Film daher, der mit diesem Chuck Krantz auf geradezu fürsorgliche Weise all die Agenden seines Charakters und im Zuge dessen vielleicht auch ein bisschen unsere eigenen ins Reine bringt. Zwischen Nachruf und beschwingtem Jubiläum feiert Flanagan das Menschsein als humanistisches Triptychon. Nach Die Verurteilten, ebenfalls auf einer Kurzgeschichte Kings beruhend und das Prinzip Hoffnung sezierend, setzt The Life of Chuck nun auf den Lebenssinn alleine durch die Existenz – das ist kathartisch, sich selbst genügend und erfrischend. Besser lässt sich King kaum ins Kino bringen.

The Life of Chuck (2024)

In the Lost Lands (2025)

EIN TOURGUIDE FÜR DIE WUNSCHHEXE

5/10


© 2025 Praesens Film


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND, KANADA, USA 2025

REGIE: PAUL W. S. ANDERSON

DREHBUCH: CONSTANTIN WERNER

CAST: MILLA JOVOVICH, DAVE BAUTISTA, ARLY JOVER, AMARA OKEREKE, FRASER JAMES, SIMON LÖÖF, DEIRDRE MULLINS, SEBASTIAN STANKIEWICZ, TUE LUNDING U. A. 

LÄNGE: 1 STD 42 MIN


Der dunkle Turm, Fallout, Mad Max, Warhammer – das alles und noch viel mehr lässt sich dieser Tage im Paul W. S. Andersons neuem Endzeitspektakel In the Lost Lands wiederfinden, basierend auf einer Kurzgeschichte von GOT-Schöpfer George R. R. Martin, die dieser irgendwann in einem Anfall der Lust, die Postapokalypse mit verruchten Helden und Hexen zu bevölkern, womöglich innerhalb eines Abends auf ein Blatt Papier geschmiert haben könnte. Nun, Martin ist Martin, auch sowas verkauft sich und findet dann auch noch jemanden, der das ganze verfilmen will. Dagegen ist prinzipiell nichts einzuwenden, den Niedergang unserer Welt sehen wir alle gerne, zumindest bannt dieses Subgenre vielleicht diverse Ängste, die zurzeit ohnehin massenhaft an die Oberfläche sickern.

Zu sehen ist ein verwüstetes Stück ehemalige urbane USA (was denn sonst), eingestürzte Wolkenkratzer machen sich immer gut, zum Glück verzichtet Anderson auf die Freiheitsstatue, denn die gibt’s ja schließlich schon anderswo. In dieser rauen Gegend, in welcher die Wüstenstürme toben und der Himmel dadurch in rostroten Farben strahlt, reitet ein einsamer Gunman in eine Stadt ein, die George Miller hätte entwerfen können. Oder aber auch in der Welt von Warhammer 40.000 zu finden gewesen wäre. Der bullige Revolvermann schiebt sein Konterfei bereits anfangs nah an die Kamera, um dem Publikum zuzuraunen, dass diese Geschichte keinesfalls ein Märchen sei, und ein Happy End gäbe es auch keines. Danke für den Spoiler an dieser Stelle, doch letztlich ist es egal, ob wir wissen, wie es ausgeht oder nicht. Wichtig ist Dave Bautista, die stiernackige Furchenstirn, und an seiner Seite Milla Jovovich, die immer noch eine gute Figur macht und vor allem als Hexe Gray Alys niemandem einen Wunsch abschlagen kann. Das ist ihr Credo, und dafür lebt sie – auch wenn sie vom alle Höllen überdauernden erzkatholischen Klerus zwischen jüdischem Hohepriestertum und Kreuzzug-Geilheit als Ketzerin gebrandmarkt und standrechtlich gelyncht werden soll. Lady Overlord, die Königin, schert das kein bisschen. Sie will Gray Alys in die Wüste schicken, damit sie einen Gestaltwandler heranschleppt, dessen magische Essenz sie absorbieren kann – um selbst die Macht des Tieres in sich zu tragen.

Also reiten Bautista und Jovovich als ungleiches Gespann auf ins Ungewisse, verfolgt von den klerikalen Schergen, um… was zu erleben? Abenteuer? Viele gibt es nicht, auch wenn über die Lost Lands als ein Ort ohne Wiederkehr nur hinter vorgehaltener Hand ehrfürchtig geflüstert wird. Durchs bildbearbeitete Nullachtfünfzehn-Ödland könnte sogar eine Schar Kinder reisen, sie müssten zumindest einen größeren Bogen um gewisse Orte machen, dann ist alles kein Problem. Das Drehbuch von Constantin Werner findet dabei sagenhaft serientaugliche Dialoge, vorhersehbare Wendungen und vor allem eines: ein konfuses letztes Drittel, dem man durchaus mehr Augenmerk hätte schenken können. Eine klare Sicht hat man bei diesem Sand im Getriebe dann längst nicht mehr, ein bisschen ratlos sieht man dabei zu, wie Milla Jovovich in ihrer Hexenrolle versucht, alle Wunscherfüllungen unter einen Hut zu bekommen. Es hapert immens an der Schlüssigkeit, doch die artifizielle Optik ist Anderson deutlich wichtiger. Was seinerzeit unter Zac Snyder im Spartaner-Epos 300 die Münder offen stehen hat lassen, erfreut das CGI-müde Auge gerade noch bei der ersten animierten Kamerafahrt vorbei am stahlgeschmiedeten Voest-Alpine-Kreuz hin zum totenkopfgeschmückten Overlord-Palast, angesichts dessen man He-Mans Greyskull-Zauberwort bereits in den Ohren hat. Später dann, nach dem wiederholten Schwenk und dem Closeup auf regennasse Totenschädel, ist der Spaß am phantastischen Trash-Kino keinesfalls ganz verklungen – er mag vielleicht in Langeweile umgeschlagen sein, dank einer gewissen visuellen wie erzählerischen Monotonie.

Das solide Kernstück bleiben Jovovich und Bautista – vielleicht reiten sie ja nochmal gen Sonnenuntergang, wie Lucky Luke, nur ohne Rantamplan, stattdessen eine klingenschwingende Madame Mim an seiner Seite – als diese noch ihre besten Jahre hatte.

In the Lost Lands (2025)

The Monkey (2025)

DER TOD MACHT SICH ZUM AFFEN

4,5/10


© 2025 Constantin Film


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: OSGOOD PERKINS

DREHBUCH: OSGOOD PERKINS, NACH EINER KURZGESCHICHTE VON STEPHEN KING

CAST: THEO JAMES, CHRISTIAN CONVERY, TATIANA MASLANY, COLIN O’BRIEN, ROHAN CAMPBELL, SARAH LEVY, OSGOOD PERKINS, ELIJAH WOOD, ADAM SCOTT U. A.

LÄNGE: 1 STD 35 MIN


Stephen King, Grand Signeur der US-amerikanischen Horror-Literatur, hat wohl während der Vorstellung von Osgood Perkins neuem Film genug zu tun gehabt, nicht vom Sessel zu fallen, wenn er folgende Worte unbedingt loswerden musste: „So etwas … habt ihr noch nie gesehen. Er ist absolut wahnsinnig. Als jemand, der sich von Zeit zu Zeit dem Wahnsinn hingibt, sage ich das mit Bewunderung.“

Man könnte meinen, Stephen King hat sich in der letzten Zeit wohl viel zu selten dem Wahnsinn hingegeben, vieles vielleicht vergessen oder war nicht ganz up to date geworden mit dem Genrekino der Gegenwart. Sonst wären ihm, statt vom Hocker zu fallen, vielleicht die Füße eingeschlafen. Vielleicht muss er auch voll der Bewunderung für ein Werk sein, dessen Vorlage aus seiner eigenen Feder stammt. Doch soweit differenziert der Meister dann doch – schließlich genießt Shining bis heute noch dessen Missbilligung. The Monkey dürfte für King also tatsächlich vieles richtig gemacht haben. Als Kurzgeschichte hat das Werk inhaltlich überschaubaren Wert, doch das sagt gar nichts. Oft kommt es vor, da plustert sich knapper Content zu abendfüllenden Offenbarungen auf, man sehe sich nur Die Verurteilten an. Da Osgood Perkins zuletzt Furore machte mit seinem Killerthriller Longlegs, schien der Stoff beim Sohn von Psycho-Legende Anthony in guten Händen. Und ja: stilistisch ist sie das auch. Dramaturgisch allerdings weniger.

Ein verfluchtes Artefakt, ein von Dämonen beseeltes Spielzeug: Objekte des Anstoßes gibt es viele im Horror- und Fantasykino. Man nehme nur das schreckliche, in Menschenleder eingebundene Necronomicon. Man nehme nur die (tatsächlich existierende) Puppe Annabelle. Auch sie glupschäugiges Schmuckstück in jeder Puppensammlung und in jedem Mädchenzimmer – bis der darin wohnende Dämon den nervigen Nachbarn ersetzt. Auf den Grund gegangen wird im Conjuring-Universum somit einiges. Bei The Monkey so gut wie gar nichts. Andererseits: Einen Film seinen Mysterien zu überlassen ist kein Fehler, bei David Lynch hat das immer prächtig funktioniert. Der Aufbau von The Monkey verlangt aber anderes. Er verlangt, hinter diese Begebenheiten zu blicken, um den Kampf aufzunehmen gegen das Böse. Wenn man aber nicht weiß, was es ist und warum, woher es kommt und nach welchen Parametern es praktiziert – wird die Sache etwas dünn. Und auch willkürlich. Nichts hat System, nicht mal das Rätselhafte.

Dieser trommelnde Affe nämlich, den finden die Zwillingsbrüder Hal und Bill (Christian Convery, Sweet Tooth) unter den Habseligkeiten des wie vom Erdboden verschluckten Vaters. Das sicherlich wertvolle, weil alte Spielzeug lässt sich anhand eines Schlüssels im Steiß aufziehen. Sobald der haarige Bursche sein zähnefletschendes Grinsen aufsetzt und den linken Arm hoch über seinen Kopf hebt, um mit dem rotierenden Schlegel in der Hand gleich loszudreschen, schwingt der Gevatter seine Sense. Scheinbar wahllos beißen Leute ins Gras, vorallem jene, die Hal und Bill nahestehen – sogar die eigene Mutter. Hal und Bill, das muss man dazusagen, haben so ihre Differenzen, die legen sich auch nicht 25 Jahre später, nachdem die beiden den Affen längst beseitigt glaubten. Natürlich kehrt er wieder – und spätestens dann verliert die Story ordentlich an Esprit.

Denn was sich Perkins auf Basis der literarischen Vorlage ausgedacht hat, ist das anämische Libretto hinter einer blutigen Aneinanderreihung im Brainstorming erdachter Todesfälle, die zu gewollt und zu konstruiert sind, um – so wie in Final Destination – irgendeinen Schrecken zu verbreiten. Perkins klotzt mit explodierenden Leibern, Dickdärmen an der Harpune oder zermanschten Köpfen. Atmosphäre schafft das keine, diese Tode integrieren sich auch nicht in die Möchtegern-Bedrohlichkeit pseudokosmischen Horrors, der vielleicht als Symptom einer dysfunktionalen Familie oder der unerklärlichen Wut unter den Brüdern symbolisiert werden könnte. Der Affe macht sein Ding, die Protagonisten das ihre. Interagieren wollen sie alle nicht miteinander, sie müssen es schließlich tun, letztlich ist das Ganze aber weder von Faszination noch von Grauen unterwandert, sondern lediglich von einer Pflichterfüllung, die man verspürt, wenn man zuhause seine Geldbörse liegen hat lassen und noch einmal zurück muss.

The Monkey (2025)

The Boogeyman (2023)

NICHT ALLE MONSTER IM SCHRANK

6/10


THE BOOGEYMAN© 2023 20th Century Studios. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: ROB SAVAGE

DREHBUCH: SCOTT BECK, BRYAN WOODS, MARK HEYMAN

CAST: SOPHIE THATCHER, VIVIEN LYRA BLAIR, CHRIS MESSINA, DAVID DASTMALCHIAN, MARIN IRELAND, LISAGAY HAMILTON, MADISON HU U. A.

LÄNGE: 1 STD 39 MIN


Offene Türen sind des Nächtens ein No-Go. Wer will das schon, ins dunkle Nichts zu starren und sich allerhand Gruseliges darin vorzustellen, denn die Fantasie des Menschen kennt gerade in der Schwärze keine Grenzen. Warum nicht einfach schließen? Nichts da, im Kino gehen sie alle wieder auf – sogar, wenn sie versperrt sind. Im Schrank, da hat der Horror seine Startposition, da kann er nochmal ein Stretching hinlegen, bevor er die Schutzbefohlenen heimsucht – als Geist, als Portal in eine andere Welt, oder als schlaksiges Langbein mit mieser Fresse, das nichts anderes will, als die Angst furchtsamer Nichtschläfer zu schüren, denen tags darauf sowieso niemand glaubt.

Diese Schranktüren, die hat schon in den Achtzigern Steven Spielberg für sich genutzt. In Poltergeist ist der Ort dahinter, kaum zwei Quadratmeter, die Quelle allen Übels. Wie sehr dann viele Jahrzehnte später das Ganze nochmal und bis zum Augenrollen hin strapaziert wird, kann man nun im phantastischen Heimsuchungs-Streifen The Boogeyman erfahren. Abstellräume, soweit das nachtblinde Auge reicht: Biotope einer lebhaften Fantasie, die dank Kult-Schreiber Stephen King Gestalt annimmt. Monsterhorror gemixt mit dem Narrativ eines Haunted House-Dramas? Könnte von Guillermo del Toro sein (Crimson Peak). Ist er aber nicht. Diesmal war einer wie Rob Savage am Werk. Mit den Versatzstücken, die er zur Hand hat, sollte es keine Hexerei darstellen, einen Kinderlied-Helden wie diesen zum fiesen Meuchler umzufunktionieren. Wieso aber Kinderlied-Held? Der Boogeyman ist, eingedeutscht, im Grunde nichts anderes als der Bi-Ba-Butzemann, der laut Lyrics ums Haus tanzt. Der Butzemann wiederum steht für alles, was als Schreckensgestalt oder Dämon eben hinter Schranktüren passt, da ist die Auswahl groß und so auch die Möglichkeit zur freien Gestaltung dieser englischen Folklore-Figur, die ebenso als Schwarzer Mann bekannt ist. Also was jetzt? Im Grunde nur ein Platzhalter für sowieso alles Mögliche, was Angst macht?

Dieses Wesen also, wie kann es anders sein, nistet sich immer dort ein, wo Trauer, Schwermut und Verzweiflung herrschen. Je trauernder, umso mehr gibt’s für den Boogeyman zu holen. Im Haus des Witwers Will Harper zum Beispiel lässt es sich als Dämon ganz gut leben. Der Psychiater und seine zwei Töchter haben unlängst die Frau des Hauses zur letzten Ruhe betten müssen. Viel Gras ist über den Verlust noch nicht gewachsen. Gerade retour im Alltagsleben, haben es Vater und Kinder nicht leicht, Fuß zu fassen. Will Harper empfängt eines Tages in der hauseigenen Praxis einen seltsamen Mann, Mr. Billings (David Dastmalchian), der von einem ungelenken Schreckensding faselt, das alle seine Kinder auf dem Gewissen haben soll. Harper ist skeptisch, die Kinder sind es auch, doch als die kleine Sawyer (Vivien Lyra Blair, die junge Prinzessin Leia in Obi-Wan Kenobi) nebst wie durch Geisterhand geöffneter Schranktür auch einer grotesken Kreatur gewahr wird, will auch die ältere und desillusionierte Schwester Sadie der Sache auf den Grund gehen. Mit dieser Eigeninitiative gerät der Stein ins Rollen – und der Boogeyman fährt zur Höchstform auf.

Was Savage von Anfang an – und auch bis zum Ende – mehr oder weniger richtig macht, ist das von mir mal so genannte Alien-Prinzip, was so viel heißt wie: Mach dich rar, um richtig schrecklich zu sein. Den Boogeyman bekommt man also nie wirklich und niemals lang genug zu Gesicht, um sich ein Bild von ihm zu machen. Das expressionistische Grauen, wie ein surrealer Nachtmahr aus der Zeichenmappe des Alfred Kubin, manifestiert – um nicht zu sagen: teleportiert sich auf geheimnisvolle Weise wie eine nur Sekunden dauernde Einbildung, die man hat, wenn man glaubt, etwas Unnatürliches im Halbdunkel des Zimmers gesehen zu haben. Klar, dass der Film dann nicht bei Festbeleuchtung spielen kann. Klar auch, dass die Finsternis fast schon als personifizierter Main-Act die Regeln vorgeben muss, um überhaupt dem Boogeyman eine Bühne zu bieten. Das ist dann aber auch der Knüppel zwischen den Beinen, denn wie so oft wundert man sich über das dumme Verhalten neugieriger Nasen, die durchs Dunkel der Korridore schleichen, vielleicht noch nebenbei lauthals Hallo, ist da wer? rufen – wohlwissend, dass das Böse nicht weit sein kann.

Als Trauerdrama funktioniert The Boogeyman aber ganz und gar nicht, dafür kolportiert der Subplot lediglich die Fassade einer trauernden Familie, die niemals wirklich überzeugt. Für dieses Wesen jedoch müssen diese Parameter geschaffen sein – es will schließlich auch bekämpft werden. Was dabei entsteht, ist ein geradliniges Befreiungsszenario mit begrenzten Mitteln auf der Seite der Guten, vor allem effektiven Budenzauber und, wenn man die paar Sekunden zu schätzen weiß, knackiger Creature-Motion.

The Boogeyman (2023)

Mr. Harrigan’s Phone

DAS LETZTE HEMD HAT PLATZ FÜRS HANDY

7,5/10


mrharrigansphone© 2022 Netflix Österreich


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: JOHN LEE HANCOCK

CAST: JAEDEN MARTELL, DONALD SUTHERLAND, KIRBY HOWELL-BAPTISTE, CYRUS ARNOLD, JOE TIPPETT, MYRNA CABELLO U. A. 

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Stephen King’s Kurzgeschichten zählen wohl zum besten, was verfilmt werden kann. Und das ist auch ganz offensichtlich, warum: Kurzgeschichten haben Längen, die, würde man sie in die Maßeinheit für Film umrechnen, ungefähr einem Kinoabend entsprächen. Weil man tatsächlich auf jedes Detail eingehen kann. Weil man nichts weglassen und die Intensität des Erzählten nicht abschwächen muss zugunsten einer erträglichen Laufzeit. Bestes Beispiel:  Die Verurteilten, eine unerreicht gute Adaption.

Mr. Harrigans Phone ist ebenfalls so ein knapp getextetes Gustostück und erschien erstmals 2020 im Sammelband Blutige Nachrichten (besser im Original: If it bleeds). Und da lässt sich wieder deutlich erkennen, was für ein Meister im Mysteriösen Stephen King eigentlich ist. Einer, der offensichtlich Paranormales so sehr zwischen seinen Zeilen verstecken kann, dass es durch die Hintertür kommt und einem vom Nacken aufwärts die Härchen aufstellt. Doch manchmal muss es das auch gar nicht. Vielleicht wäre das schon wieder zu plump, für einen, der sein Talent vor allem in den kleinen, knappen Gedankengängen so auslebt, als hätte man das Gefühl, genau so etwas ähnliches schon mal selbst mit Schrecken erdacht zu haben. Denn in Mr. Harrigan’s Phone, da stellt sich die Frage: Was, wenn Tote als Geist in der Maschine ihren Draht zum Diesseits nicht ganz kappen können? Was, wenn das Smartphone als technologisches Mysterium der Gegenwart, das wohl die wenigsten von uns in seinen Prozessen nachvollziehen können, ohnehin längst als Tor in eine andere Dimension fungiert?

Andere Autoren würden hier vielleicht mit viel Budenzauber ein Portal zur Hölle oder sonst wohin auftun. Stephen King macht das nicht. Und auch John Lee Hancock (u. a. The Blind Side), der die Vorlage adaptiert und inszeniert hat, hütet sich davor, allzu effektbeladen seine Anomalien innerhalb einer uns vertrauten Welt aufzuplustern. Es ließe sich gut vorstellen, Jonathan Frakes als Moderator diese Geschichte im Rahmen seines süchtigmachenden X-Faktor-Panoptikums ankündigen zu lassen. Er könnte uns fragen: Was glaubt ihr? Ist das, was ihr gesehen habt oder sehen werdet, wahr – oder falsch? Auch in X-Faktor ist das Paranormale gleich um die nächste Ecke präsent, und vielleicht begegnen wir ähnlichem, eines Tages, wenn wir es am wenigsten erwarten.

So ergeht es schließlich Jaeden Martell als Craig, einem hilfsbereiten Jungen, der dem reichen und mittlerweile gealterten Geschäftsmann Mr. Harrigan dreimal die Woche aus seinen Büchern vorliest – gegen Bezahlung natürlich. Wer geglaubt hätte, dies wäre vielleicht ein bisschen Taschengeld für ein Semester, wird sich wundern: Über fünf Jahre wird Craig die ganze Bibliothek des Alten rauf und runterlesen und mit dem erfahrenen, distinguierten und gebildeten Gentleman Gespräche führen – über Gott und die Welt. Über die Vergangenheit und den Fortschritt. Apropos Fortschritt: Dieser lässt in Gestalt des ersten iPhone (dieser Film enthält Produktplatzierungen!) den Greis nochmal so richtig aufblühen. So wie all die jungen in der Schule hängt auch er nur noch am mobilen Endgerät. Und dann passiert es. Diese ungewöhnliche Freundschaft endet jäh, als Mr. Harrigan stirbt, mit dem Telefon in der Hand, darauf Craigs Nummer angewählt. Als die Beerdigung stattfindet, steckt ihm Craig sein iPhone unters Jackett. So als kleiner Trost. Die Konsequenz dieser Geste: Mr. Harrigan schickt Nachrichten aus dem Grab, kryptische SMS. Und ab und an erschallt dessen eigener Klingelton: Stand by your Man von Tammy Wynette.

Schaudert es euch schon? Mich zumindest auf gewisse Weise. Ein seltsames Gefühl wohligen Unwohlseins bemächtigt sich meiner. Es ist etwas Unheimliches geschehen, das sich allerdings auf schräge Weise vertraut anfühlt. Ein seidener Faden als Brücke zwischen Dies- und Jenseits scheint gesponnen. Oder ist das alles doch nur ein profaner Hacker-Streich, der eine Kette an Zufällen auslegt? Kann es das geben? All diese vagen Vermutungen und die Vernunft, die das Metaphysische als unmöglich ablehnt, geraten in einen Dialog. Und auch dann, wenn Dinge wie diese, die hier passieren, vielleicht auch wirklich nur Koinzidenzen sein könnten, belebt die Möglichkeit eines sich aller Wissenschaft entziehenden Wunders die Hoffnung auf ganz anderen Wahrheiten, die unserer Existenz einen verlockend anderen Spin mitgeben. Mit diesem Wechselspiel an atmosphärischer Suspense und den Werten von Freundschaft und Verantwortung gelingt John Lee Hancock ein subtiles, fein gesponnenes Mysterydrama, das seinen Reiz durch das Indirekte und Unbekannte erhält – und natürlich durch das elegante Spiel eines würdevollen Donald Sutherland, der, wie es scheint, längst noch nicht genug davon hat, vor der Kamera zu stehen.

Mr. Harrigan’s Phone

Asphaltgorillas

DIE STADT VOLLER AFFEN

6,5/10

 

asphaltgorillas© 2018 Constantin Film

 

LAND: DEUTSCHLAND 2018

REGIE: DETLEV BUCK

CAST: JANNIS NIEWÖHNER, SAMUEL SCHNEIDER, ELLA RUMPF, GEORG FRIEDRICH, MICHAEL OSTROWSKI, KIDA KHODR RAMADAN U. A.

 

Hierzulande – also in Österreich – ist der Deutsche vor allem für Sex, Drugs und Rock’n’Roll bekannt. Die Rede ist von Michael Glawoggers teils psycheledischer Filmtrilogie über Lust und Laster halbseidener (Anti-)Helden aus gesellschaftlichen Grauzonen. Bei unseren Nachbarn im Norden hat der Blonde mit den wahrscheinlich schwarzen Schuhen schon längst, und zwar schon seit den frühen 90ern, Kultstatus erreicht. Detlev Buck ist dort natürlich ein Begriff, und mittlerweile führt er sich selbst im Vorspann auch nur mehr als Buck an, mit der Gewissheit, dass ihn wohl keiner mit Biene Majas Stubenfliege verwechselt. Die schreibt man ja auch mit hartem P, aber wer weiß das schon so genau?

Buck ist also von seinen Gastauftritten an der Donau längst wieder ins Heimatland zurückgekehrt, und hat dabei aber nicht vergessen, die beiden schrägen Vögel Michael Ostrowski und Georg Friedrich mitzunehmen. Die beiden dürften sich mit dem ollen Detlev gut verstanden haben, waren auch sie Teil des Ensembles von Nachtschnecken, Contact High und Hotel Rock’n’Roll. Und so durchgeknallt, wie dort die Saiten aufgezogen wurden, darf es auch in der Thrillerkomödie Asphaltgorillas zugehen. Als Vorlage für diese Reihe betrüblicher Ereignisse diente die Kurzgeschichte Der Schlüssel von Ferdinand von Schirach. Von der Kurzgeschichte bis zum abendfüllenden Neonrausch ist es kaum noch eine Großstadtmeile an zusätzlichen dramaturgischen Verstrickungen hin – und fertig ist das augenzwinkernde Boulevardstück zwischen Luxus-Appartement und Bolidenschuppen. Und wie es besagter Titel der literarischen Essenz des Filmes schon vorwegnimmt: alles dreht sich um einen Schlüssel, der zu ganz viel Geld führt, dass eigentlich für noch mehr Blüten investiert werden will. Das blöde nur: der Schlüssel verschwindet. Jannis Niewöhner und Samuel schneider wissen zwar wohin, kommen aber nicht wirklich an ihn heran. Währenddessen soll aber auch noch der verquere Kleinganove Ronny (herrlich verkorkst und durch den Wind: Georg Friedrich) die Falschgeldmünzer hinters Licht führen.

Turbulent bis zum Kolbenreiber, möchte man meinen. Dabei schaltet Detlev Buck aber einen oder zwei zugedröhnte Gänge runter, gibt sich ob der verfahrenen Situationen unentsprechend gechillt und hat sich die eine oder andere Entrückung durchaus vom leider viel zu früh verstorbenen Michael Glawogger abgeguckt. Daran erinnert auch die eingestreute Bildmetaphorik eines Gorillas, der die Gesetze des Dschungels in Erinnerung ruft. In nacktschnecken hatten wir die Symbolik des durchs Bild laufenden Geparden, auf den keiner genauer einzugehen vermochte, weil er nur fürs Publikum da war, um die instinktive Triebhaftigkeit des Tiers namens Mensch elegant zu umschmeicheln. Obwohl nicht nur Glawoggers kurioses Eintauchen in die Halbwelt situationselastischer Glückritter in Asphaltgorillas seine neu gewürfelte Wiederkehr entdeckt, sondern auch das so trockene wie schildbürgerliche Thrillerkino eines Guy Ritchie. Manche, die dem sprichtwörtlichen Sperrfeuer der Unterweltparteien in die Quere kommen, werden bluten müssen, andere punkten mit lebensmüder Frechheit. Das macht vor allem in der zweiten Halbzeit dieser Filmsafari erst so richtig Spaß, wenn alle am quer durch die Gassen gezogenen roten Theseusfaden ziehen, ohne zu wissen, wer da nun den größten Spielraum hat.

Asphaltgorillas ist ein lustvolles, urbanes Hazardspiel, dass nach einigem zögerlichen Anlauf die Kacke bald am Dampfen hat. Bucks Film spielt mit Neonlicht, gibt in heißen Karossen Gummi und lässt die Straßen funkeln. Das ganze aber ohne viel Metazeugs, übersieht man mal all die brusttrommelnden Primaten, die sich zum Affen machen. Und einer von ihnen, der fängt am Schluss die Banane.

Asphaltgorillas