Like A Complete Unknown (2024)

SPIEL MIR DAS LIED VOM WIND

9/10


© 2025 Searchlight Pictures


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: JAMES MANGOLD

DREHBUCH: JAY COCKS, JAMES MANGOLD, NACH DEM SACHBUCH VON ELIJAH WALD

CAST: TIMOTHÉE CHALAMET, ELLE FANNING, MONICA BARBARO, EDWARD NORTON, BOYD HOLBROOK, DAN FOGLER, NORBERT LEO BUTZ, SCOOT MCNAIRY U. A.

LÄNGE: 2 STD 21 MIN


James Mangold kann Biografien erzählen, die sind so kraftvoll, dynamisch und mitreißend, dass niemand auch nur einmal nach dramaturgischen Innovationen verlangt. Sein Walk the Line über Johnny Cash hat es vorgemacht, das neueste und für acht Oscars nominierte Portrait eines Nonkonformisten, wie er in den Annalen der Musikgeschichte steht, ist von ähnlicher Art, nur noch besser, noch intensiver und entfacht noch viel mehr Sehnsucht nach einer Zeit des Umbruchs, obwohl diese nicht nur gut war. Like A Complete Unknown vermittelt das Gefühl der Wehmut, wenn Timothée Chalamet als Bob Dylan am Ende des Films auf seiner Triumph die Bundesstraße entlangfährt, einer Freiheit entgegen, die nur er bestimmt. Wehmut ist es, die diesem Typen, diesem unbequemen, ungefälligen Egomanen und Virtuosen, nachwinkt. Es ergeht uns wie Dylans Herzensmensch Sylvie Russo (Elle Fanning), die zur Einsicht erlangt, einen wie ihn niemals halten zu können.

Warum wir diese Lust und das Verlangen verspüren, immer mehr und mehr dieser aufbrausenden Musik der Sechziger zu hören? Weil Mangold sein Ensemble dieses Lebensgefühl auch entdecken lässt. Da sind Namen dabei, die kennt ein jeder, der sich auch nur ansatzweise mit der US-amerikanischen Musikgeschichte auskennt. Joan Baez, Pete Seeger, Woodie Guthrie, Johnny Cash. Baez mit ihrer unverkennbaren, engelsgleichen Stimme, die ihre Zuhörer in andere Sphären katapultiert – Monica Barbaro gibt ihr ein Gesicht, gibt ihr Charakter, Charisma, spürt die Leidenschaft und das Engagement. Genauso Edward Norton als Seeger, Mitinitiator des Newport Folk Festivals und Mentor Bob Dylans, zurückhaltend, beflissen, gutherzig. Und natürlich Chalamet als der widerborstige und schwer zu greifende Lockenkopf, der Singer und Songwriter mit dieser atemberaubenden Poesie in seinen Liedern, mit all den kritischen, ironischen, melancholischen Texten über Beziehungen, die Gesellschaft, die Welt an sich und all den Schwierigkeiten, als Mensch auf ihr zu wandeln.

Da ist dieser junge Schauspieler, der mit Call Me By Your Name erstmals für Aufsehen gesorgt hat und in Dune mittlerweile als Monarch über Arrakis herrscht. Es hätte ja sein können, dass Timothée Chalamet in jene Kerbe schlägt, in die hofierte Stars manchmal geraten, wenn ihr Ego größer wird als ihre Rollen, die sie verkörpern. Die Folge: Immer das gleiche, niemals jemand anderer, maximal so tun, als ob. Zuletzt passierte dieser Umstand Angelina Jolie als Maria Callas in Pablo Larraíns Maria. Doch Chalamet weiß davon, sich seinen darzustellenden Figuren unterordnen zu müssen. Es gelingt ihm das Kunststück, trotz seines bekannten Äußeren hinter dem Konterfei eines Bob Dylan zu verschwinden – ganz ohne Make up, Latexmaske, Zahnprothese wie bei Rami Malek oder sonst eines nachhelfenden Charakter-Gadgets – wenn man Sonnenbrille und Wuschelkopf mal weglässt. Durch seine Interpretation dieses Mysteriums namens Bob Dylan wird das obsessive Musikgenie sichtbar. Und ja, man muss zugeben: In der Schauspielerei mag es deutlich einfacher sein, nach charakterlicher Vorlage weltbekannte Persönlichkeiten zu imitieren – sie geben die Richtung vor, markieren das Soll und das Ziel. Und dennoch ist es immer wieder ein Wunder dieser Performance-Kunst, wenn der Kult lebendig wird, wenn Chalamet es gelingt, die Tonlage Dylans zu treffen und von Blowin‘ in the Wind bis Like A Rolling Stone all diese zeitlosen Klassiker selbst zum Besten gibt. Man will dann gar nicht mehr Dylan hören, sondern Chalamet, wie er Dylan singt. Und man vergisst darauf, nur eine Darstellung des Originals zu sehen, denn Chalamet ist einer, auf den man abfährt, der eine geheimnisvolle künstlerische Entität verkörpert. Ob das Geheimnis rund um Dylans Wesen bei Mangold gelüftet wird? Gott behüte, das soll es gar nicht! Ihm nahe zu kommen und gleichzeitig auf Distanz zu bleiben, um auch sein Umfeld betrachten zu können – seine Gefolgschaft, seine Freunde und Gegner – dafür braucht es die richtige Balance. Durch die Interaktion mit einer behutsam erweckten verlorenen Zeit der 60er wird eine Figur wie Dylan erst lebendig. Ist der Fokus zu stark auf nur eine Person, bleibt nur versponnenes Psychokino, das niemanden mitnimmt.

Ob Biopics funktionieren, hängt ganz davon ab, welche Episode man wählt. Bei letzten Lebenswochen wird es manchmal zu resignativ und melancholisch. Mangolds Wahl fiel hingegen auf Bob Dylans stürmische Jahre. Der Um- und Aufbruch des Künstlers ist so voller Verve, dass man immer tiefer in medias res gehen will. Daher gibt der Film seinem Publikum genau das, was es innigst verlangt: Musik, Musik und nochmals Musik, sei es im synergetischen Duett, im stilübergreifenden Austausch oder mit einer Band im Hintergrund, die den Weg der E-Gitarre ebnet – und damit Grenzen sprengt. In diesem Musikfilm wird man schwerlich satt, und das nicht, weil man nichts geboten bekommt, sondern weil das Gebotene so erquickt. Dazwischen will und kann man von Chalamets Figur einfach nicht lassen. Und nicht nur von ihm, von niemandem in diesem auf beste Art klassischen, lange nachhallenden Filetstück biographischer Zeitgeschichte, nach dessen Sichtung die hauseigene Plattensammlung durchstöbert werden muss. Ob nicht doch ein lang verschollener Bob Dylan nur darauf wartet, gefunden und aufgelegt zu werden. Um diesen Zeitgeist neu zu spüren, der Gänsehaut verursacht.

Like A Complete Unknown (2024)

Dune: Part Two (2024)

IM SAND DER ZEITENWENDE

9,5/10


dune2© 2024 Warner Bros.


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: DENIS VILLENEUVE

DREHBUCH: DENIS VILLENEUVE, JON SPAIHTS & CRAIG MAZIN, NACH DEM ROMAN VON FRANK HERBERT

CAST: TIMOTHÉE CHALAMET, ZENDAY, REBECCA FERGUSON, JAVIER BARDEM, STELLAN SKARSGÅRD, AUSTIN BUTLER, DAVE BAUTISTA, JOSH BROLIN, CHRISTOPHER WALKEN, FLORENCE PUGH, CHARLOTTE RAMPLING, LÉA SEYDOUX, SOUHEILA YACOUB, ANYA TAYLOR-JOY U. A.

LÄNGE: 2 STD 46 MIN


Der Wortwitz mit dem Wurm drin ist sicherlich nicht neu, und ja, in diesem Fall vielleicht sogar schon abgedroschen. Ich bemühe ihn aber trotzdem: Obwohl in Dune selbige Tiergattung in überdimensionaler, evolutionsbedingter Monstrosität wohl drinnen steckt, ist Denis Villeneuves Maßstäbe setzendes Meisterwerk gleichzeitig komplett frei davon. Jene Kritiker, die schon als allererste bei der Weltpremiere in London das Werk vorab sichten konnten, und die mich manchmal einem gewissen Erwartungsdruck aussetzen, wenn sie Filme über den grünen Klee hinaus loben, sollen letztlich recht behalten. Mit Dune: Part Two gelingt Villeneuve etwas Bahnbrechendes. Science-Fiction, wie es sie schon lange nicht mehr gegeben hat.

Dabei ignoriere ich den rund drei Jahre zurückliegenden ersten Teil. Der hat mich stilistisch zwar abgeholt, emotional jedoch nicht. Misslungen war Dune: Part One keinesfalls, schon allein deswegen nicht, weil Villeneuve als vorausschauender Perfektionist nichts dem Zufall überlässt und dramaturgisches Timing beherrscht wie vielleicht noch Martin Scorsese oder Christopher Nolan. An Dune: Part One gibt es nichts zu kritisieren – die Schwierigkeit darin bestand jedoch, mit den vielen Charakteren in diesem „Game of Thrones“ der Galaxis vertraut zu werden. Viele bekannte Gesichter reichen da nicht, und so sehr die exzentrisch-ästhetische Bildsprache auch den Atem raubt – den Zugang in diese Welt macht es schwerer als den Zugang in eine Welt, die mit der narrativen Mechanik eines europäischen Mittelalters arbeitet. Diese Welt in Dune liegt, anders als die Welt von Star Wars, weit, weit in der Zukunft. Die Erde ist womöglich nur noch diffuse Legende, ganz anders aber politische Machtstrukturen, die sich über die Jahrtausende erhalten haben und, nicht viel anders als in der Frühzeit des Menschen, immer noch die Machtgier des Alleinherrschers hervorbringen, ohne sich gesellschaftspolitisch weiterentwickelt zu haben. Insofern ist das Machtgefüge in der dystopischen Realität von Frank Herbert eine archaische, vorgestrige. In dieser stecken archaische, vorgestrige Figuren, die jede einem gewissen Zeremoniell folgt. Dieses unnahbare Ensemble kennenzulernen, dafür war Dune: Part One genau richtig. Ein Vorspiel sozusagen, eine Einführung, die Ambivalenz gerade zulassen, die polarisieren muss. Und nicht nur darauf aus war, zu gefallen.

Im ersten Teil ist dann auch nicht viel passiert, der Plot bleibt überschaubar, wenn auch grandios bebildert. Mit Antiheld Paul Atreides auf dem Weg in die Wüste endet dieser auch, um alle Erwartungen zu sammeln für den großen, gigantischen Clash, für den Ur-Krieg der Sterne, den schon Alejandro Jodorowsky mit irrer Besetzung, angefangen von Orson Welles über Mick Jagger bis Salvador Dali (!) als wohl größten Film, der je existiert haben wird, verfilmen wollte. In der Dokumentation Jodorowsky’s Dune erfährt man, dass das oberarmdicke Storyboardbuch nur darauf gewartet hätte, verfilmt zu werden. Doch „ohne Geld ka Musi“ – und so ist dieser Zug mit Villeneuves eigenem Jahrhundertprojekt abgefahren. Ein Remake wird es für Dune nicht mehr geben. Denn besser lässt sich Herbert kaum verfilmen.

Nicht nur, dass dieses heilige erste Buch, dass viele Fortsetzungen und Ableger fand und noch genug Stoff bieten würde für ein ganzes Franchise, endlich doch noch jene Verfilmung bekommen hat, die es, wie schon Der Herr der Ringe auch, verdient hat – die Maßstäbe für das Kino der Science-Fiction und überhaupt des Phantastischen werden neu gesetzt. Dune: Part Two ist ein Opus Magnum, indem alle hier Verwendung findenden Kunstrichtungen ineinandergreifen und sich gegenseitig antreiben. Da gibt es diese einzigartige Bildsprache, diese Vorliebe für Wüstenstürme, Staubnebel und den Rauch brennender Trümmer, die wie ikonische Kolosse tonnenschwer auf die Erde stürzen. Da gibt es die Grazie der Gravitation entronnener, technologischer Körper, bizarre Raumschiffe und Zweckmaschinen wie albtraumhafte Panzer, die an den Stil von H. R. Giger erinnern und eine Reminiszenz an Jodorowskys gescheiterte Träume sein könnten. Da gibt es Gestalten in formverändernden Kostümen, die in geometrischen Inneren eines architektonischen Brutalismus Welten verändern. Stellan Skarsgård zum Beispiel als levitierender Baron Harkonnen wird zum Zerrbild eines gewissen russischen Diktators, auf den die schwarze Sonne seines Heimatplaneten herabscheint, während ein psychopathischer Thronfolger mit schwarzen Zähnen Freude am Ausweiden seiner Opfer hat. Längst wird klar: Was J.R.R.Martin für die High Fantasy schwerterschwingender Nibelungen-Interpreten, ist Herbert wie demzufolge auch Villeneuve für die Science-Fiction. Das Portal zum Shakespeare’schen Königs- und Revolutionsdrama tut sich auf, zum geopolitischen Lawrence von Arabien Lichtjahre weit von seinem Ursprung entfernt. Aus Peter O’Toole wird Timothée Chalamet, dessen Augen immer blauer werden und der bald Geheimnisse kennen wird, von denen er lieber nichts gewusst hätte. Seine Figur bleibt strebsam, doch bereits ansatzweise ambivalent. Wie die doppelbödige Mutterfigur Sarah Ferguson. Mit ihr erhält Dune: Part Two die kritische Komponente einer Betrachtung von religiösem Fundamentalismus. Unschwer ist Kritik am Islamismus zu erkennen, andererseits aber auch das Hinterfragen der Selbstverständlichkeit, die Rolle eines Messias einzunehmen. Dune: Part Two ist somit ein nicht zu unterschätzendes Politikum mit ganz viel zwischenmenschlichem Drama, und selbst Zendaya tritt aus ihrer Celebrity-Blase heraus und gibt sich ihrer zornigen Figur hin, die als Katalysator dafür dient, letztendlich so sehr in den Sog des Geschehens gerissen zu werden, dass dieses Mittendrin zur Bewusstseinserfahrung wird – zum opernhaften Event aus schweren, unirdisch klingenden Geräuschen, einem wummernden Score, der die Wüste und ihre Beschaffenheit zu einem epischen Schlachtfeld werden lässt, wie in Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs die Ebene vor Minas Tirith, auf der die letzte Schlacht gegen Sauron geschlagen wird.

War Part One noch die Ruhe vor dem Wüstensturm, lässt Part Two der ganzen aufgestauten Energie freien Lauf. Wie das Herannahen eines Gewitters, das die ersten Sturmböen bringt, während hier nun das Unwetter mit all seiner Wut losbricht. Man braucht nicht glauben, dass die ganze Kraft einem freien Spiel unterliegt. Villeneuve kanalisiert sie, strukturiert sie, gibt ihr Raum. Will man sich als Kritiker einer fast schon arroganten Nörgelei auf hohem Niveau hingeben, ließe sich maximal der sprunghafte Wechsel zwischen den undefinierten Kapiteln anmerken – vom fließenden Übergang hält Villeneuve nicht viel. Wohl auch, um zeitlich nicht auszuufern. Diese Zügel sitzen fest, und geben dem Werk auch das entsprechende Fundament, um der Wucht an audiovisuellen Eindrücken standzuhalten.

Villeneuve weiß genau, dass er auf dieses Fundament seine Dramatis Personae stellt, dass er das Menschliche immer als allererstes hochhalten muss, um seine Figuren in all diese schwebenden Objekte einsteigen; um sie herunterblicken zu lassen von der Balustrade eines für die Ewigkeit errichteten Gebäudes. Geometrie, Symmetrie – und die Wildheit eines Planeten: Das, was sich ausschließt, entwickelt unter der durchgetakteten Arbeit des Filmemachers und seiner Crew ungeahnte Synergien, die es tatsächlich schaffen, diese fremde, bizarre Welt immersiv erleben zu lassen und als Ganzes zu begreifen. Und das nur in Folge von zwei Filmen, die letztlich den Großvater des Sandwurms reiten – felsenfest stehend, den Blick nach vorne, die Zügel fest im Griff. Dune: Part Two ist wie ein Ritt auf einem solchen Monster. Eine formvollendete, seinem System perfekt angepasste Monstrosität von Kino, die man reiten sollte, bevor das Leben vorbei ist.

Dune: Part Two (2024)

Wonka (2023)

IN DER SCHOKO LIEGT DIE KRAFT

7/10


wonka© 2023 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA, VEREINIGTES KÖNIGREICH 2023

REGIE: PAUL KING

DREHBUCH: PAUL KING, SIMON FARNABY

CAST: TIMOTHÉE CHALAMET, CALAH LANE, OLIVIA COLMAN, KEEGAN-MICHAEL KEY, JIM CARTER, PATERSON JOSEPH, MATT LUCAS, MATHEW BAYNTON, HUGH GRANT, ROWAN ATKINSON, SALLY HAWKINS, TOM DAVIS, NATASHA ROTHWELL U. A.

LÄNGE: 1 STD 57 MIN


Musicals sind nicht so mein Ding, es sei denn, sie sind von Leonard Bernstein oder Andrew Lloyd Webber. Was Wonka betrifft, so war mir anfangs gar nicht mal bewusst, es hier mit einem Singspiel zu tun zu haben, denn wäre es so gewesen, hätte ich sicher gezögert, den Film auf die Watchlist zu setzen. Timothée Chalamet als jugendlich-hübscher Chocolatier mit magisch-alchemistischen Fähigkeiten wäre an sich schon genug des Zuckergusses, da müsste dieser doch nicht noch zu singen anfangen. Letzten Endes aber war die Lust am Eventkino mit einem seit Call Me By Your Name für Kultcharaktere etablierte Schauspieler und Olivia Coleman als schreckschraubige Hotel-Diktatorin größer als meine Abneigung zu zwanghaft intonierten Drehbuchtexten, die sich oftmals sträuben, gesungen zu werden.

Wonka von Paul King startet sogleich volle Dröhnung mit einem an Jack Sparrow erinnernden Auftakt, in dem der heimatlose Willy Wonka mit voller Motivation und nur wenigen Geldstücken in der Tasche seinem Lebenstraum nur wenige Trippelschritte entfernt scheint: In einer womöglich als London durchgehenden Großstadt will er ein Schokoladengeschäft eröffnen – mit Produkten, die das gewisse Etwas besitzen sollen. In den Galeries Gourmets – dem piekfeinen kulinarischen Zentrum der urbanen Gefilde steht gar eine Lokalität zum Verkauf, sehr zum Missfallen der Konkurrenz, die aus drei irrwitzig überzeichneten Unternehmern besteht, die nicht davor zurückschrecken, unlautere Mittel anzuwenden, um den hageren Virtuosen im auberginefarbenen Mantel zu vertreiben. Zum vorübergehenden Verhängnis wird dem Träumer das Etablissement der grätzigen Mrs. Schrubbes, nachdem dieser das Kleingedruckte in seinem Mietvertrag nicht gelesen hat. Der Schuldenberg ist enorm, also muss er in die Waschküche, wo bereits andere Schuldnerinnen und Schuldner für Jahre ihr Dasein fristen müssen, um sich freizukaufen. Wonka verliert sein Ziel aber nicht aus den Augen und tut sich mit dem Waisenmädchen Noodle zusammen, um sein Schoko-Konfekt so lange unters Volk zu bringen, bis das Geld zumindest reicht, um den süßen Laden zu eröffnen.

Beim Song Nummer eins tauche ich noch mit gutem Willen unter die halbgare Musik hindurch, um bei der nächsten dann doch eines gewissen eingehenden Rhythmus gewahr zu werden, der nicht anders als ansatzweise mitreißend bezeichnet werden kann. Schön, das macht Laune, und diese steigert sich mit den Filmminuten, die mit originellen Ideen selten sparen und klarerweise übers Ziel hinausschießen, wobei man mitunter vermuten und befürchten würde, dass Wonka nicht doch noch ein Griff zur billigen Kochschokolade werden könnte wie vor einigen Jahren das unsägliche Sequel zu Mary Poppins. Obwohl so mancher dem Süßen zugeneigter Bürger die Bodenhaftung verliert, bleibt der Fremdschämfaktor aus. Paul King, der mit Paddington bereits genug Erfahrung im Verfilmen von Kinderbüchern sammeln konnte, hat Roald Dahl eingehend studiert und kennengelernt, um zu wissen, wie dieser wohl ein Sequel wie Wonka verfasst hätte. Und er bringt es auf den Punkt: Sein Film mag zwar an der einen oder anderen Stelle sowohl visuell (die viel zu dünne Flüssigschokolade) als auch dramaturgisch (wie kann sich Wonka plötzlich so ein Geschäft leisten?) ein bisschen auslassen, weil dieser seinen Ambitionen selbst nicht ganz hinterherkommt, in den meisten Fällen aber regiert der Spirit eines unverwechselbaren Schriftstellers, der die Themen von autoritärer Erziehung, Unterdrückung, Freiheit und Willenskraft in liebevoll-bizarre Grotesken verpackt hat. Auch Wonka wird zur Groteske – doch immer nur so weit, um sich nicht den Magen zu verderben bei so viel Süßem. Die drei Antagonisten Slugworth, Prodnose und Fickelgruber (eine Anlehnung an Schickelgruber – die Figur spricht Bände) sind vorzüglich skizzierte Karikaturen, die Mechanik ihrer Machenschaften schönste Verschwörungsliteratur für jüngere Semester und solche, die in knallbunt illustrierten Schnurren polemische Seitenhiebe auf unlauteren Wettbewerb nur zu gerne entdecken möchten.

Alle weiteren Songs tun dann nicht mehr weh, sie sind Teil der Abstrahierung ins Realitätsferne. Mit Hugh Grants Umpa-Lumpa-Auftritt ist die Fantasie komplett, nichts ist mehr real oder lässt sich in die Realität uminterpretieren. Wie ein verschrobenes Zauberspiel von Ferdinand Raimund und all den Versatzstücken, die zukünftig in Roald Dahls Charlie und die Schokoladenfabrik eintauchen werden wie das Marshmallow in den Schokobrunnen, hält Wonka sein Abenteuer dank eines durchwegs gut aufgelegten und synergetischen Ensembles die Story bei der Stange. Vieles hat Witz, manches Detail ist zum Brüllen, Paul Kings tiefe Verbeugung vor einem Star der Kinderliteratur ist wie das Stückchen Schokolade, lässt man sich gemütstechnisch etwas gehen, leichte Glücksgefühle beschert, um wieder auf Spur zu kommen. Die Lust am Süßen muss dabei nicht zwingend damit einhergehen, denn dafür bleibt Wonka auffallend frei von gesetzten Impulsen. Im Gegenteil: Süßes macht dick, Keegan-Michael Kaye als Polizeichef macht die Probe aufs Exempel.

Wonka (2023)

Bones and All

ZUM FRESSEN GERN

6/10


bonesandall© 2022 Metro-Goldwyn-Mayer Pictures Inc.  All Rights Reserved.


LAND / JAHR: ITALIEN, USA 2022

REGIE: LUCA GUADAGNINO

BUCH: DAVID KAJGANICH, NACH DEM ROMAN VON CAMILLE DE ANGELIS

CAST: TAYLOR RUSSELL, TIMOTHÉE CHALAMET, MARK RYLANCE, ANDRÉ HOLLAND, MICHAEL STUHLBARG, DAVID GORDON GREEN, JESSICA HARPER, CHLOË SEVIGNY U. A.

LÄNGE: 2 STD 11 MIN


Da lobe ich mir Hannibal Lecter: Zumindest hat sich dieser die Leber gebraten und fein gewürzt und dazu noch einen Chianti genossen. Das ist Kannibalismus mit Stil. Andererseits: Der belesene Feingeist mit Hang zur Bestie ist ein Psychopath und nicht von so genetisch bedingtem Zwang durchs Leben gepeitscht wie diese beiden jungen Endteenies hier in Luca Guadagninos neuem, gar auf der heurigen Viennale gezeigten Horrordrama Bones and All. Bei so viel unüberwindbarer Triebhaftigkeit haben Tischmanieren das Nachsehen. Kein italienischer Wein im Dekanter, und die Serviette steckt sich auch niemand in den Ausschnitt, denn Blut bekommt man selten gut raus, hat man nicht gerade Dr. Beckmanns zur Hand. Und so ist dieses Besudele mit dem Lebenssaft Menschen wie Taylor Russel oder Timothée Chalamet ein von Kindheitstagen an vertrauter Umstand. Die Gier auf Menschenfleisch hat deren Leben mit Hindernissen zugepflastert, dass es ärger nicht geht. Kaum beißt Maren ihrer besten Freundin den Finger ab, muss Papa mit Kind fluchtartig das Land verlassen. Vielleicht ließe sich diese Anomalie ja erklären – keine Ahnung, warum in diesem Fall nicht die Wissenschaft herangezogen wurde, denn nicht alle hätten vermutlich die Lösung für solche Extreme im 21. Jahrhundert auf dem Scheiterhaufen gesehen. Aber was sich nicht erklären lässt, will man sich auch nicht erklären lassen. So kommt es, dass Maren bald allein dasteht, weil der leidgeprüfte Vater das Handtuch wirft. Was tun, mit taufrischen achtzehn Jahren und keinerlei Schulpflicht? Sie trifft auf den seltsamen Sully, einem Eigenbrötler und Obdachlosen, der sie auf eine halbe Meile hin bereits gerochen hat, trägt er doch dasselbe Handicap mit sich herum wie Maren. Wenig später ist es dann Lee, wohl altersadäquater als die von Mark Rylance verkörperte Figur. Und wenig zimperlich, was die Beschaffung von Frischfleisch angeht. Mit dieser Hingabe aufgrund impulsiven Hungers und einer gestohlenen Karre bewegen sich die beiden quer durch die Vereinigten Staaten, weil Maren ihre verschollene Mutter finden und das Rätsel um diese äußerst unangenehme Veranlagung lüften will.

We are what we are – so nennt sich zumindest ein mexikanischer und später nachverfilmter amerikanischer Horrorfilm rund um eine kannibalische Familie, die mit Sicherheit lieber auf Grillhühner stehen würde als auf die eigene Spezies. Doch sie sind nun mal, was sie sind. Genauso sehen das Maren und Lee. Und vielleicht auch Sully. Basierend auf dem Jugendbuch (!) von Camille DeAngelis setzt Luca Guadagnino nach dem phänomenalen Liebesfilm Call Me By Your Name abermals den schlaksigen Chalamet in Szene. Der gibt einen James Dean-Outlaw mit gefärbter Lockenpracht, aber sonst wenigen schauspielerischen Extras. Der schöne Star spielt mittlerweile meist sich selbst, während Taylor Russel (Waves, Lost in Space) als introvertierte Vagabundin ihrem Co-Star, aber nicht Mark Rylance, die Show stiehlt. Vielleicht liegt‘s an der fehlenden Chemie zwischen den beiden. Das toxische Süppchen kocht lieber Spielbergs Lieblingsstar Rylance, der die verkappte Psycho-Nummer hochfährt, und am liebsten würde man ihm einen ganzen Film gönnen, würde er seine abstoßenden Attitüden nicht so sehr zelebrieren. Doch das ist gut so, diese Rolle gibt dem Film etwas Tiefe, während das übrige Szenario in den Tag, oder besser gesagt, in filmische zwei Stunden hineinlebt, ohne ein konkretes Ziel zu haben. Ja, gut, die Mutter in Minnesota. Aber in welchem Film sucht denn nicht irgendwer irgendwann seine Erzeuger, angetrieben von apokalyptischen Umständen im Rücken? Noch dazu weiß Guadagnino mit der Geißel des Fleisches nicht ganz so gut umzugehen. Als Metapher für ein Coming of Age-Roadmovie ist das Konzept zu vage, denn der Kannibalismus ist längst kein Ventil für das Erwachsenwerden wie in Julia Ducournaus viel einprägsamerem und sehr ähnlich gelagerten Drama Raw. Decournau wagt viel mehr Schritte hinaus aus der Box, während Guadagnino in gewisser Weise gutzuheißen gedenkt, dass Natural Born Killers wie diese, die nicht wie bei Oliver Stone erst durch dysfunktionale Medienpädagogik so gemacht wurden, ihr gesellschaftsschädigendes Verhalten nicht zwingend in den Griff kriegen müssen. Warum die Abkehr von der Gesellschaft? Vorwiegend dürfte es Scham sein. Oder die Lust am Anderssein.

Bones and All

Don’t Look Up

DER BLICK AUF’S WESENTLICHE

6/10


dontlookup© 2021 Netflix


LAND / JAHR: USA 2021

BUCH / REGIE: ADAM MCKAY

CAST: LEONARDO DICAPRIO, JENNIFER LAWRENCE, MERYL STREEP, CATE BLANCHETT, ROB MORGAN, JONAH HILL, MARK RYLANCE, TIMOTHÉE CHALAMET, RON PERLMAN, ARIANA GRANDE, HIMESH PATEL, MELANIE LYNSKEY U. A. 

LÄNGE: 2 STD 18 MIN


Heute, am letzten Tag des Jahres 2021, ist der Titel des auf Netflix veröffentlichten Star-Vehikels wohl der falsche Imperativ. Heute gilt wohl eher die Devise, rund um den Jahreswechsel gen Himmel zu blicken, um das eine oder andere illegal von der Leine gelassene Stadtfeuerwerk aus sicherem Abstand mitzuerleben. Dann, ja dann kann man gerne wieder die Häupter senken, zum Tagesgeschäft übergehen und sich mit Eitelkeiten aufhalten. Der Blick fürs Wesentliche läuft dann zumindest nicht Gefahr, überanstrengt zu werden.

In Don’t Look Up, Adam McKays neuem Film, wäre es allerdings an der Zeit, die eigene Existenz in gesundem Maße zu hinterfragen und herauszufinden, worauf es im Leben wirklich ankommt. Denn in einer alternativen Realität, in welcher ein weiblicher Donald Trump in den USA die Fäden zieht, scheint der Menschheit das zu widerfahren, was den Dinos vor 65 Millionen Jahren passiert ist: die Vernichtung durch einen Kometen. Der ist nach Schätzungen von Astronom Dr. Randall Mindy sogar noch größer als das Exemplar von Yukatan. Was jetzt gilt, ist schnelles Handeln. Das setzt wiederum voraus, diese wirklich schlechte Nachricht an die richtige Frau oder den richtigen Mann zu bringen, damit geschieht, was geschehen muss. Doch das ist gar nicht leicht. Die Menschheit ist mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Mit Geld und Gier und sozialen Medien. Mit Ruhm und Trends und Gossips. 

So bequemt sich zumindest das amerikanische Volk (ein anderes bekommen wir nicht zu Gesicht) mit den Verführungen des Technologiezeitalters und der NLP-Message Control einer dekadenten Politik, während die Kacke am Dampfen ist und die Katastrophe alles, nur das nicht ist, was gerade in zu sein scheint. Für Mindy und seiner wissenschaftlichen Kollegin Kate Dibiasky ist das zum Haareraufen. Vielleicht wäre alles einfacher gewesen, hätte es da nicht diesen wirren Charaktermix aus Steve Jobs, Bill Gates und dem Computerguru aus Ready Player One gegeben, der weiß, dass, geht es der Wirtschaft gut, wohl allen gut gehen wird. Falsche Prämissen, die offene Türen einrennen.

Michael Bay hat damals, in der Actiongurke Armageddon, auf High-Tech und coole Sprüche gesetzt. So einer wie Bruce Willis fehlt in diesem galligen Szenario, dafür aber haben wir den Haudegen Ron Perlman, der gerne so sein will wie Chuck Norris, und den der Komet garantiert nicht lebend bekommen wird. Gabs bei McKays Politzynismus Vice – Der zweite Mann noch fein gesponnene realsatirische Spitzen, knotzt sich der Autorenfilmer lieber zu Greta Thunberg an die Hausmauer, um als Aktivist an vordester Front für mehr Selbstverantwortung angesichts unserer Planetenlage zu plädieren. Mit nichts anderem lässt sich das besser veranschaulichen als mit einem heranrasenden Trümmerstück aus der Oortschen Wolke. Der Klimawandel gibt zu wenig her, die kausalen Zusammenhänge mit Unwetter und menschengemachter Sauwirtschaft sind auch nicht eindeutig genug, um nicht auch hier Verschwörungstheoretiker auf den Plan zu rufen. Wäre Corona ein Komet, gäbe es diese aber immer noch. Und das so lange, bis der Mensch endlich sieht, was er glauben muss. Der Mensch, so Adam McKay, ist ein Wesen voller Widersprüche und Meister egozentrischen Handelns. In einem Film wie diesem wird klar, in welchem selbstgemachtem Korsett unser Verstand steckt. Mehr als notwendig, um unsere Art zu erhalten, können wir auch nicht tun. Zumindest noch nicht.

Dabei ereifern sich allerlei namhafte Star, von Leonardo DiCaprio über Jennifer Lawrence bis zu Timothée Chalamet (in einer entbehrlichen Rolle), um sich in das Gewissen der zusehenden Massen zu spielen. Mit einmal mehr, einmal weniger cholerischen Ausrastern. Dabei ist DiCaprio wieder ganz vorne mit dabei – sein Mut zum teigig-konservativen „Christian Drosten“ für die Apokalypse sei ihm hoch angerechnet, und auch Jennifer Lawrence erdet ihren Charakter mit dem Nonkonformismus einer Anti-Ikone. Dazwischen brilliert Cate Blanchett im Lifting-Look. Sie alle tragen ihr Scherflein dazu bei, im übertragenen Sinne die Weltlage zu erklären. Doch beileibe hat das nichts mit der ganzen Welt zu tun. Adam McKay tut so, als hätte sich die USA den Erdball vollständig unter den Nagel gerissen, und als wäre sein Land nun endlich die Supermacht Nummer eins, angesichts derer eine Institution wie die UNO zum beliebten Kartenspiel reduziert wird. Ist das Absicht, oder vergisst McKay auf den Rest der Welt, weil er der Leidenschaft für die ambivalente Politik der Vereinigten Staaten unterliegt? Das globale Problem ist ein Amerikanisches, was mitunter etwas arrogant erscheint. Auch pfeift sich die Geschichte rund nach der Hälfte selbst auf die Ersatzbank, und bis das bereits arg Vorhersehbare eintritt, geht dem Katastrophenfilm die Luft aus.  

Doch immerhin: Desastermovie geht auch anders, könnte anders gehen, aber kaum subtiler als es einer wie Roland Emmerich selbst zu Wege bringen kann.

Don’t Look Up

Dune

DIE GRAZIE SCHWEBENDER OBJEKTE

7/10


dune© 2020 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.

LAND / JAHR: USA 2020

REGIE: DENIS VILLENEUVE

CAST: TIMOTHÉE CHALAMET, REBECCA FERGUSON, OSCAR ISAAC, JOSH BROLIN, JASON MOMOA, ZENDAYA, CHARLOTTE RAMPLING, STELLAN SKARSGÅRD, DAVE BAUTISTA, JAVIER BARDEM, SHARON DUNCAN-BREWSTER U. A. 

LÄNGE: 2 STD 36 MIN


Gut Ding braucht Weile. Denn je länger eine Sache auf sich warten lässt, umso besonders muss sie sein. Etwas, das pünktlich erscheint, hat nichts zu verbergen. Größe entsteht durchs Hinhalten anderer, wissen wir von so manchem Monarchen oder Medienstar. Selbst die akademische Viertelstunde zeigt, dass der, der den Begriff der Pünktlichkeit ad absurdum führt, nicht minder weise sein muss. Dieser Umstand kommt auch Denis Villeneuves neuem und eben lange erwarteten Film zugute, natürlich ohne Absicht, denn die Umstände sind schließlich allesamt bekannt. Hinzu kommt, dass der kanadische Visionär schon seit jeher als Liebling der Kritiker gilt, und hinzu kommt, dass Frank Herberts Dune – Der Wüstenplanet nebst einer großen, eingelesenen Fangemeinde auch zu den besten Science-Fiction-Romanen unserer Zeit zählt. Verfilmt von einem der besten Regisseure? Die entsprechenden Vorschusslorbeeren hatten massig Zeit, sich zu entfalten. 

Nun flimmert er also über die Leinwand, der monumentale Schinken mit der Philosophie aus den Sechzigerjahren. Und bald wird klar, dass Dune viel stärker spätere Genrefilme beeinflusst hat als ich dachte. Wenn man so will, lässt sich Herberts Epos als die Ursuppe bezeichnen, durch die George Lucas‘ Star Wars erstmal schwimmen musste. Viele Elemente lassen sich aus der einen Sternensaga in der anderen finden, angefangen von raupenähnlichen Fahrzeugen, die durch die Wüste ächzen, über von magischen Fähigkeiten beseelten Auserwählten und deren Religion bis hin zu vermummten Gestalten in kuriosen Kostümen, umgeben von in Mitleidenschaft gezogener, fremdartiger Mechanik, die ihre volle Entfaltung in der Ausstattung zuletzt in The Mandalorian gefunden hat. Der Wüstenplanet und Star Wars, das ist der Ernst des Lebens und verspielter les affaires. Villeneuve, der nimmt seine Challenge so ernst, da lächelt bis auf ein paar Ausnahmen niemand, denn diese Welt unter dem Joch eines Imperators, der die einzelnen Herzogtümer untereinander ausspielt, ist nicht die eines blitzewerfenden Palpatine, sondern eines gesichtslosen, faschistoiden Diktators. Dabei wird der Wüstenplanet Arrakis zur Spielwiese freier Mächte – nämlich dem Geschlecht der Atreides, dem Geschlecht der Harkonnen und den indigenen Fremen. Auserwählt scheint da nicht Luke Skywalker, sondern Paul Atreides zu sein, der stets von Visionen heimgesucht wird und von seiner Mutter, einer Schülerin der Bene-Gesserit, in scheinbar magischen Künsten unterwiesen wird. Die Atreides, nunmehr die administrative Gewalt über den Spice-Planeten, werden von den vertriebenen Harkonnen überfallen, und so entspinnt sich ein Krieg der drei Parteien, während Wunderkind Paul bei den blauäugigen Fremen mitten im Land der Wüstenwürmer Zuflucht sucht.

Das Buch ist natürlich eine Schwarte, da hat Villeneuve gut daran getan, den Stoff zu splitten. Er weiß, dass es darauf ankommt, nun genug Geld einzuspielen, um sein Werk überhaupt vollenden zu können. Da er keine Kosten gescheut hat, blieb auch kein Budget, um das Projekt – so wie Peter Jackson es für Herr der Ringe getan hat – gleich in einem durch abzudrehen. So allerdings bleibt das Gespenst des unvollendeten Kunstwerks stets präsent. Doch die Meter an Film, die der Visionär bereits im Kasten hat, können sich vor allem sehen – und hören lassen. Was er bereits in Arrival so geschmackvoll formuliert hat, findet in Dune sein Crescendo: es ist die Grazie des schwebenden oder fliegenden Objekts, des vorzugsweise geometrischen Körpers. Es ist die Liebe zu in Form gebrachten Rohstoffen wie Stein und Metall. Dune ist kubistische Science-Fiction, ein tonnenschwerer Expressionismus, der Physik des Weltalls oder fremder Planeten ausgesetzt, zerkratzt, abgenutzt. Der Behäbigkeit der Dinge ist nur durch das Aufheben der Gravitation zu entkommen. selbst Stellan Skarsgård als Baron der Harkonnen mutiert zur levitierenden Skulptur. Diesem Ringen der Elemente miteinander, in Linien, Formen und Kuben, schenkt Villeneuve sehr viel Zeit, die er auch dazu nutzt, seinen Formenreigen mit entsprechenden sphärischen Klangwelten zu vertonen. Das ist natürlich ein Erlebnis, wofür es Preise regnen sollte. Science-Fiction hat sich selten so sehr in seiner Bild- und Tonsprache selbst genügt. Da wirken all die vielen bekannten Gesichter in relativ verschwindend kleinen Rollen wie Teile von Villeneuves Installation, ohne ihren Charakter preiszugeben. Am meisten kämpft damit Timothée Chalamet, der wie eine griechische Gottheit mit seiner Bestimmung hadert, jedoch wenig dafür empfindet. Zum Glück steht ihm Rebecca Ferguson bei, die aus dem ganzen Ensemble wie eine Lichtgestalt hervorsticht – ihre Performance ist einzigartig und nuanciert, sie ist es auch, die Chalamet immer wieder ins Spiel holt.

Obwohl Herberts interstellares Game of Thrones als Vorreiter gilt, wirkt der prinzipiell simple, aber durch die messianische Heilskomponente recht diffuse Plot fast schon nachahmend – die Ironie auf Kosten desjenigen, der‘s erfunden hat. Da sich Villeneuve sehr viel Zeit nimmt, das ganze Epos mit all seinen Darstellern überhaupt erst anzustarten, sich dabei aber in seine erschaffenen und genialen Welt verliert, zeigt sich die Dramaturgie etwas spröde und ungelenk. Wäre Dune als Serie konzipiert, wäre die Stärke der Charakterzeichnung eine so wichtige wie das visuelle Arrangement, denn Zeit dafür wäre dann genug vorhanden. Selbst nach 2 Std. 36, die sich mitunter etwas ziehen, ist die Geschichte nicht sehr viel weiter. Wie der ganze Rest in den zweiten Teil soll, kann ich mir nicht vorstellen. Klar, Dune ist keine leichte Materie, an dem nicht nur Alejandro Jodorowsky mit seiner verrückten LSD-Version bereits scheiterte. Villeneuve hingegen hat’s geschafft. Und es gelingt ihm aufgrund seines Könnens vieles – aber nicht alles.

Dune