Black Phone 2 (2025)

KEIN ANSCHISS UNTER DIESER NUMMER

5/10


© 2025 Universal Pictures


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: SCOTT DERRICKSON

DREHBUCH: SCOTT DERRICKSON, C. ROBERT CARGILL, NACH DER KURZGESCHICHTE VON JOE HILL

KAMERA: PÄR M. EKBERG

CAST: MADELEINE MCGRAW, MASON THAMES, ETHAN HAWKE, JEREMY DAVIES, MIGUEL CAZAREZ MORA, DEMIÁN BICHIR, ARIANNA RIVAS, MAEV BEATY, ANNA LORE U. A.

LÄNGE: 1 STD 54 MIN



Was war Scott Derricksons paranormaler Serienkillerthriller nicht für ein akkurater Filmleckerbissen, dahingleitend auf der Mystery-Schiene des Horror-Genres: Ein schwarzes Telefon im Keller eines Psychopathen, das, längst nicht mehr ans Netz angeschlossen, schauderhaft oft die Nerven des entführten Mason Thames kitzelt. Speziell in einem Punkt macht The Black Phone die erfrischende Wende: Nicht die Geister sind es diesmal, die die Lebenden quälen. Sie unterstützen diese, um der Bestie Mensch das Handwerk zu legen. Der von Thames verkörperte Finn ist der letzte einer ganzen Reihe ermordeter Kinder, die noch gar nicht wissen, dass sie überhaupt gestorben sind. Als spukhafte Vision manifestieren sie sich vor den Augen des Entführten und in den Visionen von dessen Schwester, die, daheim um ihren Bruder bangend, als Medium Hinweise genug erhält, um den Ort des Verbrechens letztlich ausfindig zu machen. Derricksons geradliniger Nägelbeisser besitzt ganz schön viel Atmosphäre, hat eine originelle Optik und das Herz am rechten Fleck. Zwar gerät die Sache ganz schon düster, doch letztlich ist The Black Phone zwar kein Feel Good-Horror, aber immerhin ein Feel-Better, je mehr sich die Dinge zuspitzen. Der verzweifelte Kampf Kind gegen Killer, der noch dazu eine so schaurige Maske trägt, weil sich die Mimik darauf auf geheimnisvolle Weise ändert, lässt sich wohl kaum eins zu eins auf ein Sequel übertragen, ohne dass sich dieses den Vorwurf gefallen lassen muss, einfach nur das Erfolgsrezept des Erstlings zu kopieren.

Ist so kalt der Winter

Eben da muss etwas Neues her. Oder eben etwas Altes, neu aufgegossen. Wie zum Beispiel die Idee von einem Psychopathen, der es geschafft hat, den Tod zu überwinden, um in den Träumen anderer aufzutauchen. Natürlich drängt sich da Nightmare – Mörderische Träume mit Antagonist Freddy Krüger auf, der sich mit gesottenem Gesicht, rotgrün gestreiftem Pulli und Klingenfingern durch die Träume argloser Teenies metzelt. Gut kopiert wird fast schon zum Original? In Black Phone 2 kehrt Ethan Hawke wieder zurück, doch anders als Freddy hat der Greifer nur dann freie Fahrt, wenn das Opfer den sechsten Sinn hat. In diesem Fall steht die Schwester des aus Teil eins entführten Finn im Mittelpunkt. Visionen von übel zugerichteten Kindern, die  Jungschauspielerin Madeleine McGraw in ein tief verschneites Wintercamp nach Colorado locken, machen bald deutlich, dass der totgeglaubte „Greifer“ noch lange keine Ruhe findet. Und seit Shining wissen wir: Die Isolation eines Ortes durch Schnee und Eis, diese für einen Thriller dramaturgisch eingegrenzte Spielfläche, auf der nur wenige Parameter über Sieg und Niederlage entscheiden, funktioniert als wohlige Zutat fast schon unter Garantie. Umso bedauerlicher, wenn die Story, die sich in dieses Setting zwängen will, plötzlich deutlich zu viel will.

Albträume in Super 8

Was an Black Phone 2 in Erinnerung bleibt, ist der Sound. Wenn Madeleine McGraw träumt, kippt die Geräuschkulisse in ein unheimliches Rauschen, Knistern und Knacken, der Bildstil gefällt sich als einer, den man von den Super 8-Filmen aus der Frühzeit des Home-Videos kennt. Schaurig ist das ausiovisuelle Experimentieren allemal, wenngleich Verpackung nicht alles ist. Um anders zu sein als das Original, erfinden Derrickson und  C. Robert Cargill ein bemühtes, komplexes Szenario und ziehen dabei die ganze Familie der Protagonisten mit hinein – inklusive Vergangenheitsbewältigung und jeder Menge Cold Case-Fälle, die der Reihe nach auftauen. Der gemeinsame Nenner von allem ist besagter Greifer, der plötzlich mehr ist, als er jemals war. Eine Figur wie diese braucht aber keine Biografie, sie nimmt ihr so manches Mysterium. Das Grauen, das in The Black Phone noch nach dem Zufallsprinzip zuschlägt, erhält in seiner Fortsetzung zu viel an Vorbestimmung und kollektiver Bewältigungspflicht, zu viel des Phantastischen und eine aufgesetzte Mystery, die nicht nur unter der Anstrengung leidet, den direkten Erzählfluss des Vorgängers beizubehalten, sondern sich selbst im Streben nach Originalität deutlich verkopft und verkonstruiert. Da helfen auch immer wieder die gleichen Visionen aus Blut und entstellten Gesichtern nichts, auch nicht Hawkes üppige Zombie-Visage. All das ist nur noch Brimborium mit zu vielen Charakteren, die alle wichtig sein und dem genre-eigenen Credo „Keep it simple“ nicht zuhören wollen. Was bleibt, ist der kämpferische Drang des Guten, dem Bösen die Leviten zu lesen. Die gesunde Wut auf den „Greifer“ ist nach wie vor befreiend – der Rest engt sich zu sehr selbst ein.

Black Phone 2 (2025)

Kazakh Scary Tales (2025)

KRABBELSPUREN IM STEPPENSAND

5/10


© 2025 Short Brothers


LAND / JAHR: KASACHSTAN 2025

REGIE / DREHBUCH: ADILKHAN YERZHANOV

KAMERA: YERKINBEK PTYRALIYEV

CAST: KUANTAI ABDIMADI, ANNA STARCHENKO, DINARA BAKTYBAYEVA, AZIZ BEISHENALIEV, SHAKH MURAT ORDABAYEV U. A.

LÄNGE: 1 STD 54 MIN


Man könnte ja meinen, man stehe in der kasachischen Steppenlandschaft, weit und breit kein Berg, und würde, sofern man den Rundumblick innehält, nichts auch nur annähernd übersehen, was vielleicht auf einen zukommen oder das monotone Landschaftsbild stören könnte. In dieser Steppe, in der mangelnder Regen das Gras verdorren lässt und der graue Staub zwischen den Zähnen knirscht, auch dann, wenn kein Wind weht; in dieser Steppe fühlt sich Filmemacher Adilkhan Yerzhanov wie zuhause. Schließlich ist es sein Land und es sind seine Bedingungen. Als Verfasser eines Manifests zum kasachischen Partisanenkino liegt dem Künstler wohl sehr daran, dem gängigen staatlichen Mainstreamfernsehen und auch dem ähnlich gelagerten, unverfänglichen und einlullenden Themenkino zu entsagen und stattdessen lieber, ohne jegliche staatliche Förderung, seine eigenen Visionen umzusetzen. Das mögen welche sein, die nicht allen schmecken, doch noch ist es nicht so weit wie im Iran, in dem Filmemacher eben längst nicht mehr mitteilen können, was auf deren Zunge brennt.

Dale Cooper und der Schamanismus

Yerzhanov, längst in der Branche bekannt, kann sich’s leisten. Er pfeift aufs Geld und auf den Einfluss von Behörden, die ausschließlich politisch, aber nicht künstlerisch und schon gar nicht progressiv denken. Er macht Filme wie zum Beispiel Steppenwolf – einen knallharten, dystopischen Actionthriller über eine Mutter auf der Suche nach ihrem Sohn. Begleitet wird sie dabei von einem Ex-Polizisten, der keine halben Sachen macht und gerne den Hammer schwingt. Yerzhanov macht aber auch Fernsehen, und dabei ist der Entwurf einer mehrteiligen, paranormalen Kriminalgeschichte entstanden, deren erste drei Folgen zu einem spielfilmlangen Triple-Feature zusammenmontiert wurden. Verschmolzen und neu geschnitten für die Leinwand, trägt das Konstrukt nun den Titel Kazakh Scary Tales – was ein bisschen nach Arbeitstitel klingt, allerdings aber auch ein gewisses Versprechen für Grusel und Horror gibt. Vor allem dann, wenn man weiß, womit der fantastische Reigen eigentlich beginnt. Denn dem Erscheinen des abgehalfterten Klischee-Kommissars aus der Stadt, der wie eine Mischung als FBI-Agent Dale Cooper aus Twin Peaks und Inspektor Columbo wirkt, gehen schockierende Todesfälle in einer Geburtsklinik voraus. Birzhan, so der Name des Polizisten, der samt Familie in die öde Provinz Kataras versetzt wurde, muss sich mit den lokalen Ordnungshütern herumschlagen, die überhaupt nicht bereit sind, dem übereifrigen Fremden unter die Arme zu greifen. Ganz im Gegenteil – die Fälle seltsamer Kindstode sollen lieber nicht weiter verfolgt werden, schließlich sind hier, und das weiß die unmotivierte Gruppe streitsüchtiger Polizisten, ganz andere Mächte im Spiel. Mächte, die nicht von dieser Welt sind. Zum Glück stößt Birzhan auf eine Hellseherin, einem Medium, das sich in der Mythologie des Ortes auskennt, und bald den Verdacht hegt, es könnte alles mit einem Fluch zu tun haben – dem Fluch von Albasty.

Fernsehen ist nicht gleich Kino

Zugegeben, das klingt alles sehr schön rätselhaft, auch skurril, man lernt Neues über Mythen aus einem Teil der Welt kennen, der sich in den Nachrichten rar macht. Der Einblick in die zentralasiatische Twilight-Zone beschert neuen Input für Liebhaber des Übernatürlichen, und mit Yerzhanovs Ambition, sowohl Kino als auch Fernsehen zu bedienen, mag das staubgeborene Wunderding eines horrorhaften, bizarren Thrillers eine sichere Bank sein. Letztlich aber entwickelt sich Kazakh Scary Tales zu einem nicht unanstrengenden, weil angestrengten Unterfangen. Dem Werk ist deutlich anzusehen, dass der narrative Aufbau deutlich den Regeln einer Fernsehserie folgt. Und wir wissen längst: Geschichten im Kino oder eben im Fernsehen zu erzählen – das sind zwei Paar Schuhe. Yerzhanov will alle zwei Paar anprobieren, letztlich passt nur jenes Paar für das Kleinformat daheim. Bei einer Serie kann sich die Geschichte Zeit lassen – vor allem dann, wenn nach drei Episoden noch längst nicht das Ende kommt. In Kazakh Scary Tales ist irgendwann des Rätsels Lösung zwar gefunden, öffnet aber weitere Türen in die Zwischenwelt, und ja, es wird klar, da kommt noch was.

So gesehen mag der Film eine gestreckte Pilotfolge sein, alleine, um Charaktere einzuführen und die Parameter erst einmal zu setzen, bevor man tiefer vordringt in das Unheilvolle dieser Provinz. Dabei entstehen, am Stück genossen, vertrödelte Nebensächlichkeiten, Entschleunigung dort, wo Yerzhanov dringender hätte vorwärtskommen sollen. Der absurde Witz, der an den im deutschen Sprachraum wohlbekannten österreichischen Ermittler Kottan von Peter Patzak erinnert, hat zwar sein eigenes Kolorit und verträgt sich gut mit dem Aberglauben und der Verschrobenheit der lokalen Bevölkerung, doch der Spannung tut das keinen Gefallen. Als Thriller plätschert Kazakh Scary Tales vor sich hin, bleibt selten am Punkt, verstrickt sich in kausalen Zusammenhängen, die den morbiden, wenig kinderfreundlichen Spuk nur noch mehr ausbremsen. Kompliziert erzählt ist also halb verloren, so reizvoll sich die Synopsis auch anhört, so eintönig zieht sie sich hin, passend zum grasbewachsenen Nirgendwo, in das man starren kann. Und vielleicht spielen die Sinne dabei ja Streiche. Doch das setzt nur bedingt versprochene Reize.

Kazakh Scary Tales (2025)

Conjuring 4: Das letzte Kapitel (2025)

THE REAL GHOSTBUSTERS

7/10


© 2024 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved


ORIGINALTITEL: THE CONJURING: LAST RITES

LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: MICHAEL CHAVES

DREHBUCH: DAVID LESLIE JOHNSON-MCGOLDRICK, IAN GOLDBERG, RICHARD NAING

KAMERA: ELI BORN

CAST: PATRICK WILSON, VERA FARMIGA, MIA TOMLINSON, BEN HARDY, REBECCA CALDER, ELLIOT COWAN, KÍLA LORD CASSIDY, BEAU GADSDON, PETER WIGHT, STEVE COULTER, SHANNON KOOK U. A.

LÄNGE: 2 STD 15 MIN


Who You Gonna Call? Natürlich die… na?… Ghostbusters! Wen denn sonst? Nur: Wer sind sie, diese Geisterjäger? In der Pop-Kultur fest verankert stehen Venkman, Stanz, Spengler und Zeddemore vor Dämonen und Gruselgeschöpfen aller Art, bewaffnet mit Energiekanonen, die den bösen Metawesen gefälligst das Ektoplasma aus den Windungen saugen sollen. So richtig cool ist in den Achtzigerjahren, genau genommen zwei Jahre später, nachdem Ivan Reitman seinen Blockbuster auf die Welt losließ, das Ehepaar Warren leider nicht. Selbst im Film kommen sie nicht umhin, sich diesem Vergleich stellen zu müssen. Dabei sind sie die echten, die wahren, die wirklichen Ghostbusters. Lorraine, ausgestattet mit dem sechsten Sinn, spürt schon seit den Sechzigerjahren das Paranormale in so manchen alten Mauern auf, erkennt das manifestierte Böse in Artefakten aller Art, wären es nun Puppen, Ethnografika oder Möbel. An ihrer Seite der gute alte Ed, investigativ ein As, allerdings, im Laufe der Jahrzehnte, immer mal wieder mit Herzproblemen kämpfend. Die beiden müssen sich wohl oder übel damit abfinden, dass vier knackige Kerle die Oberhand gewonnen haben, auch wenn das alles nur Geschichten sind. Im echten Leben muss die linke Hand aber nicht unbedingt wissen, was die rechte tut, also seis drum. Die beiden tun das für den guten Zweck, doch irgendwann ist überall die Luft draußen, und die geisterfreie Pension winkt bereits mit weißen Laken.

Es bleibt in der Familie

Man kann schon erahnen, dass die Mission der Familie Warren, eine Ordnung in das Dies- und Jenseits zu bringen, mit diesen beiden nicht enden wird. Tochter Judy ist erwachsen, ist verlobt und scheint mit beiden Beinen im Leben zu stehen. Auch sie hat den Code geknackt, wie man den sechsten Sinn nutzt, und seit jeher quälen Erinnerungen an Annabelle die junge Frau mit Visionen, die schlecht schlafen lassen. Ein letztes Mal noch werden die betagten Eltern zu Hilfe gerufen, nachdem ihr guter Freund, Pater Gordon, bei der Lösung eines kniffligen Falles – auch der beruht angeblich auf Tatsachen – das Zeitliche segnet. Wegschauen geht da nicht mehr, während das Hinsehen verstört. Denn auch diesmal wieder schenkt Michael Chaves seinen Fans durchaus gruselige Individuen, die jede Geisterbahn behübschen und mit begleitendem Sounddesign sein Publikum aus den Sitzen heben.

Horror auf der großen Leinwand

Interessant dabei war, zu beobachten, wie der Horror im Kino anders wirkt als daheim auf dem Flatscreen – die vorangegangenen Conjuring-Teile genoss ich in den vertrauten vier Wänden, immer auf Abstand, die Hand an der Remote Control. Im Kino ist man mehr oder weniger ausgeliefert, und muss nehmen, was kommt, in gleichbleibender Intensität und überdimensioniert. Natürlich wird der Effekt zum großen Meister, der Schrecken zum Erlebnis, und so manches Popcorn fällt aus der Tüte. Dabei ist Conjuring 4: Das letzte Kapitel zum Glück für mich, der das Genre des Horrorfilms erst vor Kurzem erst entdeckt hat, nicht die härteste Kost. Am Ende der Reise, die Vera Farmiga und Patrick Wilson in ausgesuchtem Engagement und Liebe zu ihren Rollen bezwungen haben, setzt Chaves auf viel familiäre Identität; er setzt auf Abschied, Neuanfang und dem Umgang mit der Angst, die schließlich zum Leben gehört. Conjuring 4: Das letzte Kapitel wird durchaus zum großen Drama, wird am Ende geradezu spektakulär auf eine Weise, wie man es aus dem Conjuring-Universum gewohnt ist. Der menschliche Faktor, die integren Helden in einer Welt, die gerne True Storys erzählt, mit denen man sich wohlig gegruselt schlafen legt, bieten genug Identifikationsfläche, um sich fallen zu lassen in diesen dämonischen Strudel, denn man kann gewiss sein, dass das Gute obsiegen wird. Da bleiben grinsende alte Omas und axtschwingende Massenmörder die schaurigen Gestalten einer Bühne, während die Warrens zwar immer an ihre Grenzen gehen, jedoch so viel Ideal besitzen, um scheinbar auf ewig weiterkämpfen zu können.

Mit diesen Parametern lässt sich der melodramatische Horror in jedem Fall genießen, und in den letzten Minuten beschleicht einen gar ein bisschen Wehmut, wenn der Vorhang fällt und das letzte Rumoren und Flüstern im Gebälk verstummt. Vielleicht macht es sich ja auch nur bereit, um die nächste Generation zur Séance zu bitten.

Conjuring 4: Das letzte Kapitel (2025)

Until Dawn (2025)

WER HAT AN DER UHR GEDREHT?

5/10


© 2024 Screen Gems, Inc. and TSG Entertainment II LLC. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: DAVID F. SANDBERG

DREHBUCH: GARY DAUBERMAN, BLAIR BUTLER

CAST: ELLA RUBIN, MICHAEL CIMINO, JU-YOUNG YOO, ODESSA A’ZION, BELMONT CAMELI, MAIA MITCHELL, PETER STORMARE U. A.

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Ist das letzte Körnchen Sand durchgerieselt, klingelt der Wecker erneut bei allen, die die Nacht davor ins Gras gebissen haben. Guten Morgen zur Nachtschicht, könnte man sagen, denn Until Dawn schickt seine unfreiwilligen Kandidaten ins Rennen um die Vorherrschaft der nächsten ersten Sonnenstrahlen. Wer bis dahin überlebt, ist fein raus und kann nach Hause. Wer das nicht tut, den weckt zwar nicht I got you Babe wie in Täglich grüßt das Murmeltier, sondern die immer gleiche Situation zu Beginn der Nacht, wenn die Sanduhr sich dreht und das Rieseln erneut beginnt.

Dieses Spiel aus der Playstation-Familie ist längst Kult, und ja, das Konzept verspricht Challenge genug, um dranzubleiben. Überhaupt sind Horrorspiele die bequeme Alternative zur Geisterbahn im Prater oder zum ausgesuchten Escape-Room, in welchem vielleicht der eine oder andere Schausteller den Ghul mimt. Hier aber sind es Wendigos, zumindest behauptet das der Film. Wenn man es genauer nimmt, gilt die Begrifflichkeit für mythologische, Waldwesen, die aufgrund des Verzehrs von Menschenfleisch verdammt sind, immer mehr davon zu essen, ohne jemals ihren hunger zu stillen. Viel genauer nimmt es dabei Coopers Folk-Horror Antlers, der den Steckbrief dieser Kreatur ganz genau gelesen hat. Was in Until Dawn aber kreucht und fleucht und seine spitzen, blutverschmierten Zahnreihen wetzt, sieht eher aus wie ein waschechter Ghul, blass und gespenstisch und räuberisch. Man kann die I-Tüpfel-Reiterei gerne außen vor lassen und den Begriff Wendigo mit Schulterzucken hinnehmen – nicht aber die geistige Konstitution von vier jungen Erwachsenen, die den Schrecken der Spirale des Grauens hinnehmen, als müssten sie lediglich am Samstagvormittag nachsitzen.

Zu Beginn wirft uns der Film, den David F. Sandberg zu verantworten hat und der sich mit Horror schließlich auskennt, da er Filme wie Lights Out oder Annabelle inszeniert hat, in die potenziell psychopathische Provinz, in der Clover (Ella Rubin, Gossip Girl) mit ihrem Freundeskreis inklusive Ex nach ihrer seit einem Jahr vermissten Schwester sucht. Natürlich haben alle weder Tanz der Teufel noch The Cabin in the Woods gesehen, denn sonst könnten sie bereits erahnen, dass dieser Tante-Emma-Laden samt merkwürdigem Besitzer einfach nichts Gutes bedeutet. Der Mann – Peter „Fargo“ Stormare – spart nicht mit guten Ratschlägen, denen die Gruppe auch folgt, womit wir kurzerhand im Haus des Grauens wären, in welchem Nacht für Nacht ein maskierter Killer die Jungschar dezimiert. Der aber ist nicht das einzige Problem, dass die Fünf daran hindert, den neuen Tag zu erleben. Hexen, Wendigos (bleiben wir dabei) und toxische Flüssigkeiten machen die Nacht zur Hölle, während niemand es wagt, sich dem Grauen entgegenzustellen.

Eigene Pläne zu schmieden oder Improvisation in Momenten der Not könnten in Zeiten von KI, die einem sowieso alles Denken abnimmt und sich dabei ins nicht vorhandene Fäustchen lacht, immer schwieriger werden. In Until Dawn ist der träge Geist der jungen Leute der wohl schlimmste Feind. Es heisst zwar immer, alle müssen an einem Strang ziehen – letztlich tut es niemand. Oder braucht es für ein Team immer einen Leader? Wie schwer ist Demokratie in der Katastrophe und warum ist die Psyche der Protagonistinnen und Protagonisten so dermaßen resilient, dass sie diesen Wahnsinn einfach immer wieder wegstecken? Der psychologisch undurchdachte Film kann wohl auch nicht anders, als dem Playstation-Spielekonzept treu zu bleiben und einen Plot zu entwickeln, der wenig plausibel scheint. Anders als in Escape Room von Adam Robitel hat Sandberg hier den Drang, alles erklären zu müssen, während der Horror in Filmen meistens dann stärker wird, wenn alles oder zumindest das Meiste ein Mysterium bleibt.

Abgesehen von einem sehr stimmigen, raffiniert beleuchtetem Creature Design und einem angenehm schaurigen Spukhaus-Setting, das wohl ganz der Vorlage entspricht, kommt das wenig überzeugende Schauspielensemble nie wirklich in die Gänge. Farblose Charaktere, die sich letztlich abstrampeln – und irgendwann weiß man, und das schon sehr früh, wie der Horror enden wird. Zwischen Young Adult-Mystery und beinhartem Sam Raimi-Horror hat sich Sandberg doch eher für erstere entschieden, obwohl erstaunlich viel Blut fließt und die explizite Gewalt ordentlich wütet. Man merkt, daran liegt es nicht, ob ein Genrefilm das Rennen macht oder nicht. Es liegt wohl eher im Grauen, dass sich in den Augen derer spiegelt, die ihn erleben. In Until Dawn sieht man davon wenig.

Until Dawn (2025)

Oddity (2024)

AUF DEM HOLZWEG IN DIE ZWISCHENWELT

6,5/10


© 2024 Shudder


LAND / JAHR: IRLAND 2024

REGIE / DREHBUCH: DAMIAN MCCARTHY

CAST: GWILYM LEE, CAROLYN BRACKEN, TADHG MURPHY, CARLINE MENTON, STEVE WALL, JOHNNY FRENCH, JOE ROONEY U. A.

LÄNGE: 1 STD 39 MIN


Wenn sich der Besuch manchmal hölzern verhält, liegt das vielleicht daran, dass dieser tatsächlich auch aus Holz beschaffen ist. Doch wer lädt schon Pinocchio zu sich ein oder Groot von den Guardians of the Galaxy? Ein Ent aus Mittelerde passt im Übrigen nicht in die Wohnung, also tut es vielleicht das Erbstück einer irischen Familie, die in einer Kiste schlummert und im Falle eines Falles und vorallem in Ermangelung anderer Gäste reaktiviert werden kann. Dafür besitzt sie so manches Loch am Hinterkopf, als wiederbefüllbares Gehirn sozusagen. Was man da hineinsteckt, beseelt die künstliche Holz-Intelligenz mit dem Schicksal, den Ahnungen und dem Wissen rund um jene Personen, die mit den Trainingsutensilien in Verbindung stehen.

Das Ganze mag schon etwas mysteriös klingen. Doch mit Sicherheit bezieht sich diese lebensgroße Figur mit den beweglichen Gelenken auf so allerhand Folkloristisches aus Irland, auf Mythen und Legenden und auf das Wissen über magische Artefakte, die nur von Leuten bedient werden können, die ohnehin schon einen Draht zum Übersinnlichen haben. Mit so einer ist schließlich der verwitwete Psychiater Ted verschwägert. Denn Darcy ist die Schwester von Teds Ehefrau Dani, die eines Abends, mutterseelenallein im neu erstandenen, rustikalen Anwesen im irischen Nirgendwo, durch die Hand eines psychopathischen Killers den Tod findet. Alles deutet daraufhin, dass dieser Jemand ein ehemaliger Patient Teds gewesen sein muss – einer namens Loin Boone. Doch die Zuseher wissen: Dieser seltsame Kauz mit dem Glasauge hatte eigentlich ganz andere Ambitionen. Um Licht in den Fall zu bringen, von welchem schließlich niemand weiß, wie er sich zugetragen hat, entert die übersinnlich begabte Darcy einige Zeit nach dem Unglück mit besagter Holzpuppe im Schlepptau den Ort des Geschehens mehr oder weniger uneingeladen. Dass dort bereits Teds Neue wohnt, die von der Vergangenheit nichts wissen will und dem ganzen Zinnober mehr als skeptisch gegenübersteht, stört Darcy nicht im Geringsten. Es provoziert sie nur.

Letztes Jahr lief dieser obskure Independent-Streifen im Zuge des allherbstlichen Slash Filmfestivals, kurze Zeit später war Sitges in Spanien dran. Irische Filmemacher wie Damien McCarthy, bereits mit Caveat 2022 in seinem Element, freut es, wenn sie die Gelegenheit bekommen, tief im Fundus volkstümlicher Gruselgeschichten und phantastischer Überlieferungen zu wühlen und zu stochern, um Kuriositäten (so der Titel des Films) ans Mondscheinlicht zu befördern. Da gibt es allerhand zu holen, diese Liebe zum Detail und zu den in nostalgischer Gänsehaut-Verklärung befindlichen Artefakte atmet Oddity in tiefen Zügen. Nicht umsonst ist Darcy, die Zwillingsschwester des Mordopfers und demzufolge auch von der selben Schauspielerin, nämlich Carolyn Bracken, verkörpert, Besitzerin eines obskuren Ladens voller verfluchter Objekte, darunter einer Tischglocke, die mit dem gewaltsamen Tod eines Hotelpagen in Verbindung steht. Läutet man diese, soll der unruhige Geist ins Diesseits schwappen, um den Tod desjenigen zu bringen, der geläutet hat. Alles nur Humbug? Oder steckt da mehr dahinter? Wer würde es wagen zu läuten?

Mit Artefakten lässt sich viel wohltuender Suspense-Horror erzeugen – Puppen wie Annabelle, die tätowierte Hand eines Zauberers wie in Talk to Me oder, wie demnächst in Oz Perkins neuem Streich The Monkey der verfluchte Spielzeugaffe mit den obligaten Tschinellen, der, wenn man genau hinsieht, auch in diesem Film als Vorahnung im Regal steht. In Oddity sollen die Dinge helfen, die Wahrheit ans Licht zu bringen, so unheilvoll und beklemmend der Prozess dafür auch sein mag. McCarthy verlässt sich dabei voll und ganz auf das Spiel mit der Atmosphäre und punktet dabei mit dem Zugeständnis, längst nicht für alles eine Erklärung zu haben. Die Mythen selbst bleiben unergründlich, die menschlichen Verbrechen und deren Täter, die sich im perfekten Mord wähnen, haben gegen die letzte richtende Instanz einer moralischen Geisterwelt nichts entgegenzusetzen. Und dennoch: das Gespenstische kommt auf diskreten Sohlen, es bleibt wohlplatziert und genießt vorallem in den Momenten der Stille, wenn die Handlung weder vor noch zurück kann und sich einfach nicht einschätzen lässt, was als nächstes passiert, die größte unheimliche Wirkung.

Hinterfragen darf man dabei die menschlichen Beweggründe für manches Handeln aber nicht. Es mag am Ende an der logischen Conclusio etwas hapern – auch ist schauspielerisch durchaus noch Luft nach oben. Das Spiel mit dem Glauben und der Skepsis gegenüber dem Paranormalen gelingt aber die ganze kauzige Schreckensmär lang bis zur erfrischenden Pointe, mit welcher der Film auch seinen Vorhang fallen lässt.

Oddity (2024)

Never Let Go (2024)

WENN ALLE STRICKE REISSEN

7/10


NEVER LET GO - LASS NIEMALS LOS / Ab 26. September 2024© 2024 Lionsgate


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: ALEXANDRE AJA

DREHBUCH: KC COUGHLIN, RYAN GRASSBY

CAST: HALLE BERRY, PERCY DAGGS IV, ANTHONY B. JENKINS, WILL CATLETT, MATTHEW KEVIN ANDERSON, STEPHANIE LAVIGNE U. A.

LÄNGE: 1 STD 41 MIN


Hütten und Häuser im Wald gibt es viele. Dort auszuharren bedeutet oft nichts Gutes. Entweder ist die Welt bereits den Bach runter, die Menschheit ausgelöscht oder ein Fluch hindert die darin Lebenden, ihre Existenzblase zu verlassen. Ob Evil Dead, The Cabin in the Woods oder Knock at the Cabin – irgendwo ist dabei immer das Böse einen Steinwurf entfernt und nur das bedächtige Verhalten einer Handvoll Überlebender entscheidet über Leben und Tod. Horror-Spezialist Alexandre Aja (u. a. Crawl, Oxygen) will Raimi oder Shyamalan weder kopieren noch parodieren noch sich gar vor ihnen verbeugen. Er schafft es, dank einer literarischen Vorlage, die den bekannten Versatzstücken entgeht, eine völlig anders geartete Variation des Haunted Cabin-Genres vorzulegen. Wir befinden uns dabei inmitten eines Waldes irgendwo in den Vereinigten Staaten, dort steht eine relativ alte Immobilie, die noch den Großeltern von Halle Berry gehört hat, die in Never Let Go eine traumatisierte Mutter gibt, die nichts mehr anderes in ihrem entbehrlichen Überleben antreibt als auf ihre beiden Söhne aufzupassen. Denn eines weiß sie: Eine niederträchtige Entität lauert jenseits des Grundstücks. Sie kann jedwede Gestalt annehmen und ihre Opfer zum Wahnsinn treiben, sobald diese berührt werden. Allerdings gibt es da eine Methode, um der Belagerung zu entgehen: Alle drei, Mutter und Söhne, müssen mit einem Strick stets mit dem Haus verbunden bleiben. Solange keine Abnabelung stattfindet, kann das Böse den Überlebenden nichts anhaben. Die Kinder zeigen sich, je älter sie werden, zunehmend skeptisch: Wie kann es sein, dass nur Mama das Böse sieht? Warum wir nicht? Und was, wenn alles gar nicht wahr ist und Mama längst in die Geschlossene gehört, weil sie was auch immer aus ihrer Vergangenheit nicht verarbeiten kann? Ist das Ende der Welt wirklich passiert oder liegt eine gänzlich andere Wahrheit irgendwo da draußen?

Wenn sich der Nachwuchs aus der elterlichen Fürsorge entwindet, um auf eigene Faust die Welt, in der er lebt, zu erforschen, mag das sehr viel mit Trial und Error zu tun haben, aber auch mit dem Erlernen notwendiger Selbstständigkeit. Es gibt Mütter und Väter, die das nur schwer zulassen können. Die sich viel zu sehr mit ihren Kindern identifizieren, ohne diese als autarke Persönlichkeiten zu betrachten. Wie monströs können Eltern werden, wie fanatisch, wenn juveniles Reifen nichts ist, was sich entwickeln darf. So sitzt Halle Berrys Figur wie eine Glucke auf den Brüdern Nolan und Samuel, lehrt sie, ihr Zuhause zu lieben und lehrt sie, niemals loszulassen. Der Titel ist dabei maßgeblich Programm. Und sagt vielleicht schon viel zu viel darüber aus, ob der Schutz vor der Außenwelt wirklich berechtigt ist oder nicht.

Dennoch belässt Aja die meiste Zeit des Films sein Publikum im Dunkeln, um nicht zu sagen: Fast die gesamte Laufzeit. Dieses Spiel mit Vertrauen, Misstrauen, Glaube und Aberglaube gerät zum dichten Reigen eines familiären Albtraums zwischen Einbildung, Angst und der klaren Sicht auf die Dinge, wie sie vermutlich sind. Never Let Go entwickelt dort noch Suspense, wo andere Filme längst aufgegeben haben und zur Tagesordnung eines Showdowns übergegangen sind. Mit The Village gelang Shyamalan – um einen Vergleich mit dem Regiekollegen dennoch zu bemühen – ähnliches. Dort konzentrierte sich dieser auf das fatale Dilemma rund um Verschwörung und Aberglaube, womit der Film mit Never Let Go einiges gemeinsam hat. Letzterer nimmt sich aber auch noch der Problematik elterlicher Erziehung an. Mag sein, dass Never Let Go letzten Endes zu viel will. Und ja, Aja stopft hier einiges in seine hundert Minuten, vor allem allerlei Symbolträchtiges und Allegorisches und verliert dabei vollends eine gewisse inhärente Logik aus den Augen, die den Nebel aus Halluzinationen, Tatsachen und Phantastischem teilen könnte.

Festhalten kann sich das Publikum nirgendwo. Was Never Let Go dann auch so beklemmend macht. Wenn es keine Wahrheit mehr gibt, schwindet der Boden unter den Füßen. Immer wilder wird der Ritt, wer hätte gedacht, dass Berry und zwei Jungdarsteller so ein Inferno entfesseln? Den rettenden Strohhalm gewährt Aja dann doch, aber erst dann, wenn jedwede Zuversicht schon aufgegeben scheint.

Never Let Go (2024)

The Boogeyman (2023)

NICHT ALLE MONSTER IM SCHRANK

6/10


THE BOOGEYMAN© 2023 20th Century Studios. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: ROB SAVAGE

DREHBUCH: SCOTT BECK, BRYAN WOODS, MARK HEYMAN

CAST: SOPHIE THATCHER, VIVIEN LYRA BLAIR, CHRIS MESSINA, DAVID DASTMALCHIAN, MARIN IRELAND, LISAGAY HAMILTON, MADISON HU U. A.

LÄNGE: 1 STD 39 MIN


Offene Türen sind des Nächtens ein No-Go. Wer will das schon, ins dunkle Nichts zu starren und sich allerhand Gruseliges darin vorzustellen, denn die Fantasie des Menschen kennt gerade in der Schwärze keine Grenzen. Warum nicht einfach schließen? Nichts da, im Kino gehen sie alle wieder auf – sogar, wenn sie versperrt sind. Im Schrank, da hat der Horror seine Startposition, da kann er nochmal ein Stretching hinlegen, bevor er die Schutzbefohlenen heimsucht – als Geist, als Portal in eine andere Welt, oder als schlaksiges Langbein mit mieser Fresse, das nichts anderes will, als die Angst furchtsamer Nichtschläfer zu schüren, denen tags darauf sowieso niemand glaubt.

Diese Schranktüren, die hat schon in den Achtzigern Steven Spielberg für sich genutzt. In Poltergeist ist der Ort dahinter, kaum zwei Quadratmeter, die Quelle allen Übels. Wie sehr dann viele Jahrzehnte später das Ganze nochmal und bis zum Augenrollen hin strapaziert wird, kann man nun im phantastischen Heimsuchungs-Streifen The Boogeyman erfahren. Abstellräume, soweit das nachtblinde Auge reicht: Biotope einer lebhaften Fantasie, die dank Kult-Schreiber Stephen King Gestalt annimmt. Monsterhorror gemixt mit dem Narrativ eines Haunted House-Dramas? Könnte von Guillermo del Toro sein (Crimson Peak). Ist er aber nicht. Diesmal war einer wie Rob Savage am Werk. Mit den Versatzstücken, die er zur Hand hat, sollte es keine Hexerei darstellen, einen Kinderlied-Helden wie diesen zum fiesen Meuchler umzufunktionieren. Wieso aber Kinderlied-Held? Der Boogeyman ist, eingedeutscht, im Grunde nichts anderes als der Bi-Ba-Butzemann, der laut Lyrics ums Haus tanzt. Der Butzemann wiederum steht für alles, was als Schreckensgestalt oder Dämon eben hinter Schranktüren passt, da ist die Auswahl groß und so auch die Möglichkeit zur freien Gestaltung dieser englischen Folklore-Figur, die ebenso als Schwarzer Mann bekannt ist. Also was jetzt? Im Grunde nur ein Platzhalter für sowieso alles Mögliche, was Angst macht?

Dieses Wesen also, wie kann es anders sein, nistet sich immer dort ein, wo Trauer, Schwermut und Verzweiflung herrschen. Je trauernder, umso mehr gibt’s für den Boogeyman zu holen. Im Haus des Witwers Will Harper zum Beispiel lässt es sich als Dämon ganz gut leben. Der Psychiater und seine zwei Töchter haben unlängst die Frau des Hauses zur letzten Ruhe betten müssen. Viel Gras ist über den Verlust noch nicht gewachsen. Gerade retour im Alltagsleben, haben es Vater und Kinder nicht leicht, Fuß zu fassen. Will Harper empfängt eines Tages in der hauseigenen Praxis einen seltsamen Mann, Mr. Billings (David Dastmalchian), der von einem ungelenken Schreckensding faselt, das alle seine Kinder auf dem Gewissen haben soll. Harper ist skeptisch, die Kinder sind es auch, doch als die kleine Sawyer (Vivien Lyra Blair, die junge Prinzessin Leia in Obi-Wan Kenobi) nebst wie durch Geisterhand geöffneter Schranktür auch einer grotesken Kreatur gewahr wird, will auch die ältere und desillusionierte Schwester Sadie der Sache auf den Grund gehen. Mit dieser Eigeninitiative gerät der Stein ins Rollen – und der Boogeyman fährt zur Höchstform auf.

Was Savage von Anfang an – und auch bis zum Ende – mehr oder weniger richtig macht, ist das von mir mal so genannte Alien-Prinzip, was so viel heißt wie: Mach dich rar, um richtig schrecklich zu sein. Den Boogeyman bekommt man also nie wirklich und niemals lang genug zu Gesicht, um sich ein Bild von ihm zu machen. Das expressionistische Grauen, wie ein surrealer Nachtmahr aus der Zeichenmappe des Alfred Kubin, manifestiert – um nicht zu sagen: teleportiert sich auf geheimnisvolle Weise wie eine nur Sekunden dauernde Einbildung, die man hat, wenn man glaubt, etwas Unnatürliches im Halbdunkel des Zimmers gesehen zu haben. Klar, dass der Film dann nicht bei Festbeleuchtung spielen kann. Klar auch, dass die Finsternis fast schon als personifizierter Main-Act die Regeln vorgeben muss, um überhaupt dem Boogeyman eine Bühne zu bieten. Das ist dann aber auch der Knüppel zwischen den Beinen, denn wie so oft wundert man sich über das dumme Verhalten neugieriger Nasen, die durchs Dunkel der Korridore schleichen, vielleicht noch nebenbei lauthals Hallo, ist da wer? rufen – wohlwissend, dass das Böse nicht weit sein kann.

Als Trauerdrama funktioniert The Boogeyman aber ganz und gar nicht, dafür kolportiert der Subplot lediglich die Fassade einer trauernden Familie, die niemals wirklich überzeugt. Für dieses Wesen jedoch müssen diese Parameter geschaffen sein – es will schließlich auch bekämpft werden. Was dabei entsteht, ist ein geradliniges Befreiungsszenario mit begrenzten Mitteln auf der Seite der Guten, vor allem effektiven Budenzauber und, wenn man die paar Sekunden zu schätzen weiß, knackiger Creature-Motion.

The Boogeyman (2023)

Last Night in Soho

EIN HORROR WIE DAMALS

7/10


lastnightinsoho© 2021 Universal Pictures International Germany

LAND / JAHR: USA, GROSSBRITANNIEN 2021

BUCH / REGIE: EDGAR WRIGHT

CAST: THOMASIN MCKENZIE, ANYA TAYLOR JOY, MATT SMITH, DIANA RIGG, TERENCE STAMP, RITA TUSHINGHAM U. A.

LÄNGE: 1 STD 57 MIN


Zum ersten mal ist mir Thomasin McKenzie in Debra Graniks Aussteigerdrama Leave No Trace aufgefallen – und von da an gab’s kein Zurück mehr: Die junge Dame zählt mittlerweile zu den herausragenden Naturtalenten im Kino. Jetzt verbündet sie sich in Edgar Wrights neuestem Streich mit einer nicht weniger begabten Größe: Anya Taylor-Joy, den meisten wohl bekannt aus der Netflix-Miniserie Das Damengambit. Mit Esprit, Ausstrahlung und einem Sinn für Extravaganz meistert die junge Dame jedes Genre. Sie und McKenzie ergänzen sich auf einnehmende Weise, und dieses Double Impacts ist sich Wright jedenfalls so sehr bewusst, dass er um die beiden herum einen Film schneidert, der nicht nur die Puppets on a String tanzen lässt, sondern auf so leidenschaftliche Art Retro ist, dass man glatt vermuten könnte, ob Last Night in Soho nicht ein verschollen geglaubtes Machwerk aus der Hochzeit des Psychothrillers sein kann. Ist es natürlich nicht, aber Wright tut so als ob. Und es gelingt ihm.

Dabei verbeugt er sich bis zu den Schuhspitzen vor einem Meister, der nach Hitchcock wohl am besten verstanden hat, die bedrohliche Metaphysik der Wahrnehmung auf versponnene junge Damen (und auch Herren) niedersausen zu lassen: Roman Polanski. Da gab es eine Zeit, da war eines seiner perfiden Horrorszenarien besser als das andere. Ekel mit Catherine Deneuve zum Beispiel – die Studie einer labilen Persönlichkeit, die dem Wahnsinn verfällt. Der Mieter mit Polanski himself, der von seiner Wohnung in den Selbstmord getrieben wird. Mia Farrow in Rosemaries Baby hat‘s da gleich mit dem Teufel zu tun – oder doch nicht? Thomasin McKenzie als Eloise, die Unschuld vom Land, bildet das bisherige Ende einer Reihe denkwürdiger Auftritte. Von Mode und der Musik aus den Sechzigern fasziniert, reist sie nach London, um eine Fachschule zu besuchen. Dabei bezieht sie ein Zimmer im berühmt-berüchtigten Viertel Soho. Dieses Zimmer jedoch schleust sie des Nächtens in eine andere Zeit, nämlich in die Sechziger, um den Spuren der aparten Sandy zu folgen, die sich in einem Tanzlokal als Sängerin bewirbt. Das fängt alles ganz gut und schön an, und Eloise träumt sich gerne in die andere Welt, in der sie mitunter auch die Rolle der swingenden Blondine übernimmt. Doch irgendwann kippt das Ganze, und plötzlich ist die gute alte Zeit aus eleganten Kleidern, rhythmischer Musik und hochgesteckten Frisuren nicht mehr so das Gelbe vom Ei. Und all die Schwärmerei nimmt unangenehme Ausmaße an.

Mit Musik geht bei Wright immer alles besser. Das hat er schon in Baby Driver bewiesen. In Last Night in Soho (der Titel bezieht sich auf einen Song der Band Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich) sind nicht nur blinkende Neonreklamen, regennasse Straßen und darauf brummende Oldtimer die Kulisse für einen Paranoia-Thriller wie diesen, sondern eben auch der 60er Sampler, der mit sowohl unbekannten als auch ganz bekannten Stücken wie Petula Clarks Downtown eine immense Stimmung erzeugt, und zwar auch in Szenen, in denen Schreckliches mit lieblichem Sound konterkariert wird. Alles in diesem nostalgischen Grusel ist Kulisse, und das muss auch so sein: Wright will die Demaskierung einer verklärten Ära, in denen Frauen im Püppchen-Outfit den lüsternen Avancen eines uniformierten schlipstragenden Patriarchats willenlos ausgeliefert waren. #Metoo war da weit entfernt. Was für ein Jagdrevier wäre das für Carey Mulligans Figur aus Promising Young Woman gewesen? Doch die führt erst Jahrzehnte später unverändert unverhohlene Geilspechte an der Nase herum, während McKenzie erst lernen muss, was es hieß, als Frau Erfolg haben zu wollen.

Last Night in Soho orientiert sich auch an Werken von Nicolas Roeg oder sogar Quentin Tarantino, der mit Once upon a Time…in Hollywood die idealisierten Siebziger vorgeführt und dabei den Mut hatte, verklärtes Zeitkolorit intelligent zu untergraben. Wright tut das auch. Doch genug ist ihm das nicht. Mit ganz viel überzeichnet-schaurigem Hokuspokus bekleckert er seinen feministischen Thriller, der letzten Endes zwar nicht die Strategien kluger Wendungen neu konzipiert, seine beiden Stars aber in bevorzugt rotem Licht und mit viel Liebe fürs Zitat über einen Laufsteg des Grauens irren lässt.

Last Night in Soho