Frankenstein (2025)

DER WERT GANZ GLEICH WELCHEN LEBENS

8/10


© 2025 Netflix Inc.


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: GUILLERMO DEL TORO

DREHBUCH: GUILLERMO DEL TORO, NACH DEM ROMAN VON MARY SHELLEY

KAMERA: DAN LAUSTSEN

CAST: OSCAR ISAAC, JACOB ELORDI, MIA GOTH, CHRISTOPH WALTZ, FELIX KAMMERER, LARS MIKKELSEN, DAVID BRADLEY, CHRISTIAN CONVERY, CHARLES DANCE, NIKOLAJ LIE KAAS, LAUREN COLLINS, RALPH INESON, BURN GORMAN U. A.

LÄNGE: 2 STD 30 MIN



Dass Netflix Guillermo del Toros überbordendes Frankenstein-Drama in Österreich nicht auf die Leinwand brachte, grenzt ja fast schon an Banausentum. Was in Deutschland und anderswo zumindest eine kurze Zeit lang gewährt wurde, hat man hierzulande nicht umgesetzt. Und das, obwohl Frankenstein hinter dem bald erscheinenden dritten Avatar wohl der visuell stärkste Film des Jahres ist. Doch wie die Release-Politik funktioniert, bleibt im Dunst der Unverständlichkeit verborgen. Wirtschaftliche Interessen hin oder her: der Kunst seinen Raum zu geben wäre nur natürlich.

Das Monster als visuelle Variable

So bleibt uns nur der Platz vor dem Fernseher, der zum Glück groß genug ist, um ein bisschen etwas von der Wirkung abzubekommen, die der Film noch hätte entfalten können. Die ist selbst im Kleinformat stark genug, um einen Wow-Effekt zu erzeugen. Denn einer, der Filme wie Hellboy, Pans Labyrinth oder The Shape of Water zustande brachte und der selbst mit der Mystery-Noir-Nummer Nightmare Alley visuell alle Stückchen gespielt hat, darf nun bei Mary Shelleys Schauerroman auffahren, was geht.

Die Latte liegt bei diesem Stoff natürlich hoch – einer wie Boris Karloff in Gestalt von Frankensteins Monster ist so sehr Teil der Filmgeschichte und der Popkultur, das es unmöglich scheint, eine denkwürdige Interpretation entgegenzusetzen, die den Quadratkopf Karloffs auch nur irgendwie verdrängt. Das hat schon Kenneth Branagh probiert. Seine Frankenstein-Verfilmung ist zweifelsohne ein gelungenes Stück Theaterkino, und Robert De Niro als das Monster keine schlechte Wahl, nur blieb der Oscarpreisträger abgesehen von seinem Erscheinungsbild auch als die künstliche Person, die erschaffen wurde, hinter dem möglichen Spektrum an Empfindungen zurück. Bei Dracula selbst liegen die Dinge schon etwas anders, Dracula hat die Variabilität für sich gepachtet, Frankensteins Monster nicht. Doch nun, so viele Jahre später, schlüpft Jacob Elordi in die Kreatur – und schenkt ihm ungeahntes, schmerzliches, mitleiderregendes Leben, wie man es bei Karloff, De Niro und sonstigen Darstellern, die diese Rolle innehatten, vergeblich sucht. Dabei entfernt sich del Toro radikal vom gedrungenen, schweren, unbeholfenen Körper eines denkenden Zombies. Dieser hier ist ein wie aus Lehm geformtes Patchwork-Wesen aus einer anderen Dimension – ein Mann, der vom Himmel fiel. Ein Körper mit dem Geist eines Kindes, das vor den Entdeckungen seines Lebens steht. Die Beschaffenheit der Figur, ihr zusammengeflickter Leib, strotzt vor Anmut, physischer Stärke und verbotener Schrecklichkeit. Kein Wunder, dass Mia Goth als des Wissenschaftlers Schwägerin fasziniert ist von dieser Erschaffung. Denn wir, oder zumindest ich selbst, bin es ebenso.

Über Leichen gehender Ehrgeiz

Ihm gegenüber der Zynismus in Reinkultur – ein vom Ehrgeiz getriebener Möchtegerngott namens Viktor Frankenstein. Überheblich, getrieben, rastlos. Ein Visionär als Metapher für eine vor nichts haltmachenden Wissenschaft, die keine Moral, keine Ethik und kein Mitgefühl kennt, sondern nur sich selbst, den eigenen Ruhm und nicht mal das Wohl aller, welches durch eine Erkenntnis wie diese erlangt werden könnte. So wohlbekannt die Geschichte, so ausstattungsintensiv die Bilder dazu, und zwar von einer farblichen, strahlenden Intensität, dass man es schmecken, riechen und greifen kann. Frankenstein ist ein waschechter del Toro, getunkt in seine Farbpalette aus schwerem Rot, Aquamarin und giftigen Grüntönen. In diesem Bildersturm gelingt aber vor allem genau das, was Filme, die auf Schauwerte setzen, gerne hinter sich lassen: Die Tiefe der Figuren, die Metaebenen der Geschichte. Oscar Isaac kehrt Victor Frankensteins Innerstes nach außen, Jacob Elordi lässt das scheinbar gottlose Wesen als Konsequenz von Diskriminierung und Ablehnung in Rage geraten – als hätte es die Macht, sein eigener Gott zu sein. Frankenstein beginnt und endet im ewigen Eis, in einem Niemandsland ohne Zivilisation. Der richtige Ort, um über das Menschsein zu sinnieren. Dann passiert es, und im Licht der Polarsonne wird das Phantastische zum Welttheater.

Frankenstein (2025)

Bugonia (2025)

DIE BIENEN HABEN ES SCHON IMMER GEWUSST

7/10


© 2025 Atsushi Nishijima / Focus Features


LAND / JAHR: USA, SÜDKOREA, IRLAND 2025

REGIE: YORGOS LANTHIMOS

DREHBUCH: WILL TRACY, NACH DEM FILM VON JANG JOON-HWAN

KAMERA: ROBBIE RYAN

CAST: EMMA STONE, JESSE PLEMONS, AIDAN DELBIS, ALICIA SILVERSTONE, STAVROS HALKIAS U. A.

LÄNGE: 2 STD


Überall diese Muster

Wie schön es nicht ist, völlig belegfrei im Geflecht von Aktion und Reaktion, von Ursache und Wirkung auf diesem unseren Planeten Muster zu erkennen, wo keine sind. Besten Dank an dieser Stelle ans Gehirn! Einige unserer Mitmenschen sind wirklich gut darin und machen ihre Hausaufgaben, denn wenn man versuchen würde, manch gordischen Gehirnknoten zu lösen, dabei verzweifelt darum fleht, mit diesem Unfug aufzuhören, da Belegbares anscheinend nicht reicht – es würde nicht gelingen. Genauso wenig, wie sich die Existenz eines Gottes weder widerlegen noch beweisen lässt, lässt sich auch bei manch anderen Behauptungen nur schwer über den Tellerrand blicken. In diesem Vakuum aus Belegungsnotstand treibt die üppige Botanik gemeinsam mit unkurierter Paranoia herrliche Blüten, vom Ursprung der menschlichen Rasse, angetrieben durch die Intervention einer uns haushoch überlegenen außerirdischen Spezies über die Deep State-Bestrebungen, den Freimaurern, dem eigentlichen Zweck der Pyramiden (Danke, Roland Emmerich), der Qanon-Blutsaugern, natürlich den Chemtrails, der gefakten Mondlandung, der Biowaffe namens Covid bis zur aktuellen Streitfrage, ob Brigitte Macron nicht doch ein Mann ist – oder, viel schlimmer: vielleicht, wie Michael Jackson, ein Alien.

In Wahrheit ist Elch Emil auch nur ein als Elch getarntes biopositronisches russisches Vehikel, materialisiert in Polen, welches den Osten Österreichs ausgekundschaftet hat, Putin hat schließlich überall seine Augen, Ohren, Geweihe. Man kann bis zum Abwinken dahinschwurbeln, eine Systematik hinter immer wieder auftretenden Zahlen erkennen (die 23!) oder Beweise in der Schublade liegen haben, wonach die Erde in Wahrheit nämlich flach ist – wenn es dann tatsächlich Beweise geben sollte und die Schwurbler lägen richtig, wäre ihr Aufmerksamkeitsdefizit dann plötzlich nicht mehr so pflegebedürftig.

Wir sind nicht allein

In so einem irren Dunst der Wahnvorstellungen – und weil die Bienen es ohnehin schon immer gewusst haben und deswegen stiften gehen – reitet einer wie Jesse Plemons die aalglatte, toughe Geschäftsfrau Emma Stone in eine unangenehme Situation hinein: Schließlich soll sie wie Michael Jackson ein Alien sein, es gibt allerhand Indizien dafür, Wangenknochen, Vorbiss, et cetera. Die weite Reise vom Andromeda-Nebel auf sich genommen, soll sie mit einigen anderen ihrer Spezies die Menschheit längst infiltriert haben. Teddy, Plemons Figur, und der geistig etwas langsame Don haben alles von langer Hand geplant und bringen Michelle, so Emmas Figur, in ihre Gewalt. Eine Audienz beim Imperator will Teddy schließlich erzwingen, um sich der Schattenherrschaft der Aliens zu entledigen. Natürlich hat Michelle keine Ahnung, doch wie belegt man bei einem Verschwörungstheoretiker wie diesen denn die Fakten, ohne dass die Sache nach hinten losgeht? Richtig, nämlich gar nicht. Wie im Laufe dieser unglaublichen Entführung der verrückten Mrs. Stone ebenjene versucht, sich aus den Gehirnwindungen des Teddy herauszumogeln, beschert uns Zuseherinnen und Zusehern den wohl bekömmlichsten, weil geradlinigsten und gefälligsten Film des Exzentrikers Yorgos Lanthimos. Von seinen Anfangswerken wie Dogtooth oder The Lobster – exzentrische, verkopfte, strenge Werke – hat der Grieche Abstand genommen. Das könnte, so vermute ich – und das ist keine Verschwörungstheorie – mitunter daran liegen, dass das Skript gar nicht von Lanthimos stammt, basiert dieses doch auf einem bereits existierenden südkoreanischen Science-Fiction-Film mit dem Titel Save the Green Planet!.

Es wäre wegen den Bienen

Übertragen auf US-amerikanische Bedürfnisse und Ängste, versteht sich Bugonia als geradlinige, direkte und kaum doppelbödige Thrillersatire, die ein lustvolles Ensemble einfach machen lässt. Selbst ich hätte dabei meinen Spaß an der Freude, wenn ich jene Ohrfeige austeilen könnte, die am Ende des wenig zimperlichen Werks mit Schmackes ins Gesicht jedes Verschwörungsschwurblers knallt, der von sich behauptet, als einziger die Wahrheit zu kennen. Ein Fun Fact zum Titel gefällig? Bugonia – bitte nicht verwechseln mit der Begonie – kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet Ochensgeburt, was wiederum auf ein antikes Ritual zurückzuführen ist, in dem aus dem Kadaver einer toten Kuh (!) Bienen zu neuem Leben erwachen (nochmal !).

Opfer bringen für eine Zeitenwende, zur Tat schreiten auf kruden Wegen, die sonst niemand beschreitet: Ja, es mag Blut fließen und ganze Tiegel an antihistaminischer Körpercreme verschmiert werden – irgendwann sieht Emma Stone, und das schon relativ früh, tatsächlich aus wie nicht von dieser Welt: wie eine Version von Werner Herzogs Nosferatu wird sie selbst für uns zur zweifelhaften Geheimnisträgerin, die vielleicht doch nicht das ist, was sie vorgibt.

Selbsterfüllende Prophezeiungen

Bugonia macht Spaß, treibt den Teufel kruder Weltbilder durchs Dorf, bevor der Film diese Geißel an die Wand malt, um ihn dann vielleicht zu bannen. Der Stich in die Blase der Verschwörungen ist dann nur ein leises Plopp – wie Lanthimos diese Metapher in seine humorvolle Groteske im wahrsten Sinne des Wortes hineinstrickt, ist elegant, die Optik wie immer so akkurat wie sonderbar, und auch die Schmerzgrenze für quasselnde Alltagsweisen mag nach diesem Film etwas höher liegen – vielleicht deswegen, weil man sich dann wünscht, dass sie allesamt, von den Scheibenweltlern bis zu den Deep State-Enthusiasten – endlich bekommen sollen, was sie verlangen. Dann aber möchten sie alle selbst nicht mehr glauben, was sie denken.

Bugonia (2025)

Touch Me (2025)

EIN HIP-HOP-JESUS GEGEN DEN KLIMAWANDEL

7/10


© 2025 WTFilms


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE / DREHBUCH: ADDISON HEIMANN

KAMERA: DUSTIN SUPENCHECK

CAST: OLIVIA TAYLOR DUDLEY, LOU TAYLOR PUCCI, JORDAN GAVARIS, MARLENE FORTE U. A.

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


War Jesus vielleicht ein Außerirdischer? So krude Gedanken wie diese gibt es womöglich tatsächlich, und in Anbetracht der Leichtgläubigkeit der menschlichen Spezies bei gar nicht so wenigen Individuen. Wie sonst könnte man sich diese wundersamen Heilsmethoden erklären, die der Sohn eines Zimmermanns alleine schon durchs Handauflegen erfolgreich praktizieren konnte. Und manchmal, war da nicht mal das vonnöten? Gehe hin in Frieden, erwache von den Toten, bewege deine Beine – du bist nicht mehr gelähmt. Eine Macht hatte der, das lässt mitunter manch kritische Stimme nicht verstummen, die den Bergprediger als ein Wesen verdächtigt, das nicht von dieser Welt sein muss. Im Grunde steht auch genau das als direkte Rede im Testament. Also warum nicht?

Das Heil in den Tentakeln

Und warum nicht eine Geschichte entwerfen, in der die fleischgewordene christlichsoziale Heilsverkündung wie Jared Leto aussieht, der wiederum manchmal so aussieht wie eines der kitschigen Heiligenbilder, die in bäuerlichen Schlafzimmern hängen, direkt über dem Kopfende, und wo das flammende Herz expositioniert vor sich hin wabert. Dieser Mann, nicht Jared Leto, ist kein menschliches Wesen, sondern ein Außerirdischer, der in Wahrheit ganz anders aussieht. Ein bisschen was lässt sich anfangs schon vermuten, wenn dieses Individuum seine Tentakel ausfährt, um irdischen Glückbedürftigen einen Gemütszustand zu bescheren, den man normalerweise erst dann erlangt, wenn man wie Siddhartha jahrelang meditiert hat. Den mentalen Genuss einer sorgenfreien Weltsicht, ohne der Schwere vergangener Traumata, die man wie einen nicht abnehmbaren Fallschirm nach der Landung auf hartem Grund hinter sich herzieht, wollen schließlich alle – und da kommen Joey und Craig ins Spiel – zwei Freunde, die bisher nicht ganz so sehr auf die Sonnenseite des Lebens gefallen sind. Mit dem feschen Brian haben beide wohl das große Los gezogen, so scheint es. Denn Sex mit einem Alien, was Besseres gibt es nicht. Da mögen dessen Ambitionen, rotlaubige Bäume gegen den Klimawandel zu pflanzen, bereitwillig akzeptiert werden, wobei diesen Umstand zu hinterfragen wohl dringender nötig gewesen wäre als auf den nächsten Austausch von Körperflüssigkeiten zu warten.

Wie viel Good Will steckt in einem Alien?

Filme, in denen Aliens über uns Menschen das uneigennützige Heil bringen, und zwar vorwiegend bei älteren Semestern, das gabs in den Achtzigern mit dem erquickend sentimentalen Klassiker Cocoon. Das Bad im Pool wurde, angereichert durch die Energien eines extraterrestrischen Eis, für vulnerable Pensionisten zum Jungbrunnen. Doch anders als Ron Howards humanistischer Diskurs übers Altwerden klingt das Wunschkonzert aus dem All in Touch Me nach schiefen Tönen – die sich der Mensch gerne schönhört, weil er will, dass alles gut wird.

Wenn Brian – dieser Jared Leto-Jesus-Verschnitt – mit textilfreiem Oberkörper seinen gymnastischen Morgentanz hinlegt, lukriert das eine Menge Lacher aus dem Publikum. Denn diese Performance wirkt dann so, als wäre man in einem Aerobic-Video der Achtziger gelandet, unfreiwillig komisch und ohne jemals die Chance, ernstgenommen zu werden. Das wiederum passt perfekt zu einem der ungewöhnlichsten und auch wagemutigsten Features im Rahmen des Slash Filmfestivals – denn Touch Me ist eine clevere Satire auf so manches, was den nach Glückseligkeit und Eintracht strebenden Menschen nicht nur auszeichnet. Addison Heimann, der seinen Film selbst präsentierte und auch für Q&As wortreich zur Verfügung stand, spiegelt die Umtriebigkeit und Craziness seiner Arbeit wider – für alle, die seinen Film nicht mögen würden, sendet er vorab schon mal ein sympathisches „Fuck you“. So überdreht und ausgetickt Heimann wirkt, so überdreht und ausgetickt ist Touch Me, der durchwegs auch in die düsteren Tiefen eines gespenstischen Thrillers mündet, um dort wieder emporzusteigen als handgeschnitzter Bodyhorror voll praktischer Geht ja-Effekte und jeder Menge Schleim. Das wiederum hätte ich im Laufe des Films auch nicht erwartet, doch was davon lässt sich hier auch wirklich absehen?

Aus den besten Freunden werden Feinde, Missgunst, Abhängigkeit und verschenktes Vertrauen an das Gute sind nur einige menschliche Eigenschaften, die Heimann in seinem Fast-Schon-Kammerspiel seziert – gespickt mit Wortwitz und einem vom Regisseur höchstpersönlich projizierten Elan, der irritiert, manchmal zu Brei schlägt, was hätte erhalten werden können, aber im Ganzen dazu beiträgt, dass die abgefahrene Science-Fiction-Mär ihre Gleichung ganz gut löst. Und Heimanns „Fuck You“ muss ich letztlich dann doch nicht auf mich beziehen.

Touch Me (2025)

The Toxic Avenger (2023)

GIFTSTOFFE, AUS DENEN HELDEN SIND

6,5/10


© 2025 Legendary Pictures


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: MACON BLAIR

DREHBUCH: MACON BLAIR, NACH DER VORLAGE VON LLOYD KAUFMAN

KAMERA: DANA GONZALES

CAST: PETER DINKLAGE, JACOB TREMBLAY, TAYLOUR PAIGE, KEVIN BACON, ELIJAH WOOD, JULIA DAVIS, JONNY COYNE U. A.

LÄNGE: 1 STD 43 MIN


Troma – was bedeutet das? Klingt ungefähr so wie Trauma, und die Frage ist, ob die Assoziation gewollt war oder nicht, jedenfalls könnten Zartbesaitete und auch weniger Zartbesaitete, die zumindest alle menschlichen Extremitäten anatomisch richtig an ihrem Platz wissen wollen, traumatische Erfahrungen gemacht haben, hätten sie zum Beispiel Filme wie Bloodsucking Freaks, Surf Nazis Must Die oder Cannibal! The Musical gesehen. Troma ist schlicht und ergreifend eine Produktionsfirma für grenzwertigen Stoff, der vorallem Gorehounds abholt – Freunde und Liebhaber körperlicher Zerstörungswut. Diese durchaus erfolgreiche Firma wurde, passend für diese Zeit, in den Siebzigern gegründet und hat im Laufe ihrer Erfolgsgeschichte vor allem einen Superhelden hervorgebracht, der weder ins Marvel- noch ins DC-Universum und wenn, dann am Ehesten noch ins Universum der Boys passen würde, doch auch dort wäre der rabiate Quasimodo mit dem Herzen aus Gold immer noch ein Außenseiter. Die Rede ist vom Toxic Avenger, oder auch Atomic Hero – so der Titel des damals, 1984, veröffentlichten Splatter- und Gore-Hits, der mittlerweile längst Kultstatus genießt und Peter Jackson, Quentin Tarantino oder Takashi Miike nicht unwesentlich beeinflusst hat. Gerade bei Jackson erkennt man spätestens bei Sichtung seiner Filme, die vor der Verfilmung der Tolkien-Romane das Licht der Leinwand erblickten, eine wenig zimperliche Besinnung auf das Portfolio TromasBad Taste oder insbesondere Braindead sprechen dabei für sich.

Pimp up the Trash

The Toxic Avenger – und ich schreibe hier von der Neuverfilmung – hatte seine Premiere schon 2023, verschwand aber danach aus unerfindlichen Gründen zwei Jahre lang in einem temporären Giftschrank, um nun doch nochmal voll mit einem österreichweit regulären Releasedatum durchzustarten. Ich selbst konnte die Österreichpremiere im Rahmen des Slash-Festivals genießen – und ja, dieses Verb trifft die Gemütslage durchaus, denn Peter Dinklage, von Grund auf ein unendlich sympathischer Charakter, egal, was er spielt, verleiht dem grüngesichtigen, entstellten Berserker, der an die schrille LSD-Version eines Charles Laughton aus Der Glöckner von Notre Dame erinnert, so viel Herzenswärme, dass man ihm seine radikale Vorgehensweise bösen Buben gegenüber durchaus verzeiht – auch wenn das eine oder andere Mal ganze Gedärme ihren Weg durch den Anus ans Tageslicht finden oder Köpfe munter drauflosexplodieren, wenn der Avenger mit seinem giftklumpigen Besen ausholt, um irreparable Schädelfrakturen zu verpassen. Man möchte es ja kaum für möglich halten, aber so knuffig und liebevoll kann ein Gorefilm sein, der seine zahlreichen Gewaltspitzen als grelle Himbeersaft-Orgie komponiert, und zwar so weit und so sehr intensiv, dass sie Teil dieser ganzen völlig irrealen Überzeichnung werden, die hier stattfindet.

Macon Blair, der 2017 die bemerkenswerte Thrillerkomödie Fremd in der Welt schrieb und inszenierte (abrufbar auf Netflix), später aber mit einer unsäglichen Komödie wie Brothers (mit Peter Dinklage und Josh Brolin) den Totalabsturz riskiert, holt sich für diese fast schon salonfähige und massentaugliche Sause eine ganze Reihe namhafter Schauspieler ans Set – mit Dinklage und Elijah Wood hat er schließlich schon gearbeitet gehabt, jetzt kommen noch Kevin Bacon und Jacob Tremblay als des Avengers Stiefsohn hinzu – so schillernd kann gewolltes Underground-Kino sein, das aber ordentlich Budget gehabt haben muss.

Viel Herzblut, viel Kunstblut

Mit diesem Budget bringt sich die Story eines Putzmanns in einem skrupellosen Chemiekonzern in Position: Als Winston Gooze muss er feststellen, dass all die Jahre inmitten giftiger Dämpfe seinen Tribut gefordert haben. Nur noch knapp ein Jahr, dann wird der Hirntumor lethale Ausmaße erreichen. Winston hofft auf Entschädigung von einem Konzern, der hochgiftigen Abfall in die Umwelt entlässt, ohne Rücksicht auf Verluste, was wiederum an Trumps Nachhaltigkeitsbewusstsein erinnert. Natürlich lässt man ihn hängen, und während er seinem Vorgesetzten Kevin Bacon eine Lehre erteilen will, schmeißt man ihn kurzerhand in den Sondermüll. Nach Tim Burton werden manche zum Joker, andere eben zum grünen Gnom, der seinen Wischmopp schwingt und völlig unerwartet zum Helden wird, nachdem er mit einer Verbrecherbande im wahrsten Sinne die Wände eines Fast Food-Restaurants dekoriert. Die Bösen machen bald Jagd auf ihn, und so kann die Geschichte ihren natürlich vorhersehbaren Lauf nehmen, denn inhaltlich originell ist The Toxic Avenger beileibe nicht.

Schließlich kann man sich nicht auf alles konzentrieren, und schließlich muss ja auch dem Troma-Spirit gehuldigt werden, denn all die grenzwertigen „Meisterwerke“ von damals sind allesamt wohl kaum drehbuchpreiswürdig, da es doch vorrangig um die visuelle Grenze geht, um den blutigen Dekor, um den Gladiatorenkampf an sich. Plakativität hat hier seine Daseinsberechtigung wie  nirgendwo sonst, und nur Peter Dinklage, Jacob Tremblay und ja, auch Taylour Paige ist es zu verdanken, dass diese Herzenswärme und dieser Feel-Good-Faktor all diese obszöne Gewalt so sehr durchdringt, dass man den Gore-Faktor nur noch peripher wahrnimmt.

The Toxic Avenger (2023)

We Bury the Dead (2024)

DES ZOMBIES BESSERE HÄLFTE

6/10


© 2024 Nic Duncan


LAND / JAHR: AUSTRALIEN 2024

REGIE / DREHBUCH: ZACK HILDITCH

KAMERA: STEVEN ANNIS

CAST: DAISY RIDLEY, BRENTON THWAITES, MATT WHELAN, MARK COLES SMITH, KYM JACKSON, SALME GERANSAR, CHLOE HURST, ELIJAH WILLIAMS U. A.

LÄNGE: 1 STD 34 MIN


Vom Zähneknirschen bekommt man Albträume? Ja, wenn die bessere Hälfte des Nächtens die Kauleiste malträtiert und man zuvor We Bury the Dead gesehen hat, eine Down-Under-Postapokalypse, die gerne so sein will wie Danny Boyles 28 Days Later, und tatsächlich auch Ansätze liefert, die das Zeug hätten, die Sache mit den Untoten nicht ganz so profan anzulegen wie vielerorts in der Filmwelt. Boyle hat mit seinem rabiaten Reißer das abgeschlurfte Genre mit allerlei narrativen Blutkonserven wiederbelebt – was er aber dabei nicht in petto hatte, waren die von den Untoten verursachten Geräusche, die nicht nur Dentisten in den Wahnsinn treiben. Sobald es also knirscht, harrt der nächste zum Erbarmen armselige Schatten seines ehemaligen Selbst an der nächsten Ecke, um vom Militär entsorgt zu werden, während der Rest der Gesamtbevölkerung der Insel in Leichensäcken endet. Grund dafür ist ein schiefgegangener Waffentest und eine damit einhergehende Druckwelle, die den Menschen in weitem Umkreis das Gehirn zerstört hat. Manchen allerdings nicht ganz, und genau ab da dehnt sich der Spannungsbogen spielfilmlang für die Insel-Odyssee einer sichtlich desperaten Daisy Ridley. Die englische Schauspielerin gibt Ava, eine freiwilligen Helferin, die ins Katastrophengebiet geflogen wird, um die Gegend nach Toten zu durchkämmen, die folglich fachgerecht entsorgt werden müssen. Auch die Halbtoten sollen über die Klinge springen, ihr irreparabler Zustand rechtfertigt den Kahlschlag. Ava ist aber nicht aus rein selbstlosen Gründen im Einsatz – sie sucht ihren Ehemann, der zu dieser Zeit in der Gegend auf Geschäftsreise war. Erschwerend hinzu kommt der Umstand, dass die vorangegangene Ehekrise wie eine offene Wunde ganz unbehandelt brach liegt, und Ava ihre bessere Hälfte zumindest finden will, um einen Schlussstrich ziehen zu können.

Warum so boshaft, Zombie?

Zak Hilditchs Bemühen, ein Beziehungsdrama mit einem Zombiethriller zu verknüpfen, klingt anfangs mal vielversprechend. Und auch der Umstand, dass Zombies in diesem Fall nur die noch gar nicht ganz Toten darstellen, eine Ausnahme. Es wäre tatsächlich auch konsequent gewesen, hätte We Bury the Dead so viel Courage und Widerstandskraft bewiesen, um sich nicht mit dem Strom gängiger Narrative weitertreiben zu lassen. Was uns We Bury the Dead auftischt, ist scheinbar die Abkehr von reißerischen Untotenlegenden hin zu Betrachtungen über Euthanasie, Verheerung und Rüstungskritik. Letzteres bedarf keiner zusätzlichen Erwähnung, die Metaebene ist viel zu dünn. Das Hinterfragen zomboider Stasis wäre ein erwachsener Ansatz gewesen, doch dem will Hilditch nicht ganz so treu bleiben,  denn man merkt, wie er sich im Laufe seines Skripts immer mehr dazu verleiten lässt, den mutierten Menschen als etwas darzustellen, dass unbedingt antagonistisch sein muss. Zwingend notwendig ist das nicht, das weiß zumindest Thea Hvistendahl in ihrem weitaus ungewöhnlicheren Zombiefilm Handling the Undead. Dort ist von nach Blut und Menschenfleisch gierenden Untoten überhaupt keine Rede. Dort sind auch Untote wirklich Untote, und das Warum dieser Anomalie bleibt angenehm im Dunkeln. Im norwegischen Horrordrama sind Zombies nur eine Erscheinung, keine Bedrohung. In We Bury the Dead reagiert manch entmenschlichte Kreatur so gewohnt wie eh und je, attackiert die Gesunden, sucht Streit, weil es Blut will? Oder Fleisch? Oder warum genau? Hilditch scheint das egal zu sein, womöglich war ihm sein Entwurf zu dröge, also muss es den Clinch mit den Untoten geben, schön kässlich, mit blutunterlaufenen Augen, denn die Lebenden alleine als Bedrohung darzustellen, würde nicht reichen.

Rückwirkend würde ich sagen: Doch, das hätte es. Letztlich scheint es nur ein Zufall zu sein, dass gewisse Begebenheiten in We Bury the Dead mit jenen aus Danny Boyles Sequel 28 Years Later geradezu ident sind. Das nimmt Hilditchs Film natürlich einiges von dem Quantum an originärem Charme, den er noch besitzt, obwohl er gar nichts dafür kann.

We Bury the Dead (2024)

Afterburn (2025)

BLACKOUT FÜR KUNSTKENNER

3/10


© 2025 LEONINE Studios


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: J. J. PERRY

DREHBUCH: MATT JOHNSON, NIMRÓD ANTAL

KAMERA: JOSÉ DAVID MONTERO

CAST: DAVE BAUTISTA, SAMUEL L. JACKSON, OLGA KURYLENKO, KRISTOFER HIVJU, DANIEL BERNHARDT, EDEN EPSTEIN, GEORGE SOMNER, SERGIO FREIJO U. A.

LÄNGE: 1 STD 45 MIN


Nein, dieser Film handelt nicht von den Nachwirkungen scharfen Essens. Denn der Unterschied zu vorliegendem postapokalyptischem Heist-Actioner ist nämlich dieser: Scharfes Essen brennt zweimal. In Afterburn hats nur einmal gebrannt, oder sagen wir so: Ließ die Sonne die Erde mehr oder weniger anbrennen, dank eines gewaltigen Sonnensturms, der jedweder Elektronik auf unserem Planeten den Stecker zog. Der Blackout in globaler Größenordnung macht also das, was er am besten kann: die stromabhängige Menschheit zurück in die Anarchie befördern, ganz ohne Zombies, Virus und Aliens, die auf Geräusche abfahren. So ein Vakuum kann man sich durchaus vorstellen, letztendlich freut man sich, wenn man den Bunsenbrenner noch nicht als Flohmarktware ausrangiert hat.

In diesem führerlosen Chaos hat es sich Dave Bautista nicht nur dank seiner Muckis irgendwie gerichtet. Die Spezialität des grobschlächtigen Hünen: Dinge finden, insbesondere wertvolle Artefakte, angefangen von sündteuren Gemälden bis hin zur Stradivari. Auftraggeber für solche Herausforderungen ist Samuel L. Jackson als selbsternannter König Auguste, der die Monarchie als die beste Medizin ansieht, um die Menschheit wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Es gab in den Neunzigern eine Zeit, da war Samuel L. Jackson in gefühlt jedem zweiten Film dabei, dank seiner Offenheit gegenüber Nebenrollen, die er weitestgehend alle veredelte. Das hält bis heute an. Diesmal wirft sich die wohl coolste Socke Hollywoods ins feudale Outfit samt Pelzkäppi. Dank gewisser Erfahrungen geht Bautista alias Ex-Soldat Jake davon aus, das auch dieser nächste Coup wieder gelingt, auch wenn es das schwierigste Unterfangen werden könnte, auf welches sich dieser je eingelassen hat. Denn jenseits des Ärmelkanals, auf französischem Grund, soll Jake die Mona Lisa heranschaffen. Ganz richtig, Da Vincis weltberühmtes Portrait, das irgendwo in einem Depot vor sich hinmodert. Auguste will es haben, verspricht dem selbsternannten Scout gar ein Segelboot für den nächstbesten Sonnenuntergang. Jake willigt ein und befindet sich alsbald im Auge eines Sturms, der angetrieben wird von diversen Fraktionen selbsternannter Armeen, angeführt von finsteren, psychopathischen Warlords, die ihr totalitäres Machtkonstrukt etablieren wollen.

Der von Stuntman J. J. Perry (u. a. Day Shift mit Jamie Foxx) inszenierte postapokalyptische Reißer macht niemals einen Hehl daraus, als B-Movie ganz ungeniert in stereotypen Gewässern zu fischen. Will man Afterburn sehen, weiß man im Vorhinein, worauf man sich einlässt. Und ja – zugegeben, sowas wie das hier macht immer wieder mal Spaß, erquickt mit seiner Action und liefert Erwartbares, ohne an irgendwelchen Storytwists herumschrauben zu müssen. Das ganze Szenario lässt sich auch ganz gut an, dank dieses Sympathieträgers Bautista, der brutto für netto völlig synchrongeschaltet ist, und krachender Panzer-Action, die für ordentlich Wumms sorgt. Vergessen sollten Perry und Co-Drehbuchautor Nimród Antal (Predators) dabei nicht, ihre Genre-Fans nicht allzu sehr für dumm zu verkaufen. Den beiden dürfte so manches an ihrem Film aber egal gewesen sein, insbesondere der charakterliche Ausbau des Antagonisten (langweilig und abgeklatscht: Kristofer Hivju) und allen voran Ex-Bondgirl Olga Kurylenko, die nicht weiß wohin mit ihrem deplatziertem Schauspiel, das umso schlimmer wird, je länger der Film dauert und je unglaubwürdiger manche Schlüsselszenen werden, die den Ausgang der Handlung rechtfertigen sollen. Die Drehbuchschwächen sind enorm, das dürfte der Cast letztlich auch mitbekommen haben, anders lässt sich der Leistungs-Pragmatismus nicht erklären. Ob die Überlegung aufkam, den Film vielleicht in einem Giftschrank verschwinden zu lassen?

Afterburn bleibt im Ganzen ein unoriginelles, derbes Machwerk, obschon in den Startlöchern so mancher Motor ordentlich brummt. Das mindert später aber nicht den Frust, den man angesichts mangelnden Ehrgeizes verspüren wird, der das heranrollende Blackout auch in filmischer Hinsicht mit offenen Armen empfängt.

Afterburn (2025)

The Fantastic Four: First Steps (2025)

SCIENCE-FICTION VON GESTERN

6/10


© 2025 20th Century Studios / MARVEL


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: MATT SHAKMAN

DREHBUCH: JOSH FRIEDMAN, ERIC PEARSON, JEFF KAPLAN, IAN SPRINGER, KAT WOOD

KAMERA: JESS HALL

CAST: PEDRO PASCAL, VANESSA KIRBY, EBON MOSS-BACHRACH, JOSEPH QUINN, JULIA GARNER, RALPH INESON, PAUL WALTER HAUSER, MARK GATISS, SARAH NILES, NATASHA LYONNE, MATTHEW WOOD U. A.

LÄNGE: 1 STD 54 MIN


Im Rahmen der so gut wie alle Aspekte abdeckenden Ausstellung auf der niederösterreichischen Schallaburg zum Thema Träume gibt es ein bibliophiles Exponat, ein sogenanntes Sticker-Album, wie es Kinder gerne haben, stammend aus den Sechzigern, in welchem Visionen der Zukunft dargestellt werden. Genau so stellte sich damals die zivilisierte Welt die nächsten Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte vor. Wie niedlich. Wie naiv. Und wie formschön!

Diese Art und Weise des Vorausdenkens nennt man Retro-Futurismus. Perry Rhodan-Leser der ersten Stunde schätzen die Cover-Artworks der Romanhefte, die nach wie vor das Auge erfreuen und jeden Roman-Shop schmücken: Stromlinienförmige Vehikel in der Luft; Roboter, deren Mechanik infantil erscheint. Urbane Stadtbilder mit tropfen- und zapfenartigen Türmen, Brücken und schwebende Boliden, alles aus einem Guss. Jetzt ist dieser liebreizende Stil auch im Marvel-Universum angekommen. Mitgeliefert im narrativen Rahmen des Multiversums, das seinerzeit Dr. Strange, aber auch Loki, der schabernacktreibende nordische Halbbruder Thors, erst möglich gemacht haben. Was wir in The Fantastic Four: First Steps zu sehen bekommen, ist die Erde 828, also nicht jene Erde, auf welchem sich der eigentliche Erzählfaden des MCU abspielt (die wäre 616). Hier ist alles ganz anders, gibt es keine Avengers und keine sonstigen Superhelden. Auch kein Wakanda, auch keine Secret Invasion, kein Daredevil und kein Punisher: Hier haben sich drei Astronauten und eine Astronautin zu einer dritten Macht vereint, die nach einem Weltraumausflug und einigen Turbulenzen nun sagenhafte Kräfte besitzt, die den vier Elementen entsprechen. Eine schöne Idee, die Stan Lee und Jack Kirby hier hatten. Diese vier leben in einer Welt, die man in einem Reisekatalog für Science-Fiction-Fans der früheren Generationen erfolgreich anpreisen könnte. Und zugegeben: Der Look des Films schlägt die Story, er schlägt so gut wie alles, was in Matt Shakmans neuem Anlauf zu den Fantastic Four zu erleben sein wird.

Shakman hat seine Liebe zu konsequenten Stilwelten nicht erst mit diesem Film hier entdeckt, schließlich war er verantwortlich für eine der originellsten Beiträge zum MCU, die es bisher gibt: WandaVision. In dieser neunteiligen Mini-Serie entdecken Hexe Wanda Maximoff und ihr Geliebter Vision, die längst eine Sitcom-Familie gegründet haben, dass nichts so ist, wie es scheint. Dabei unternimmt Shakman eine Zeitreise durch Jahrzehnte des Fernsehens, von antifeministischer Küchen-und Familienordnung der Fünfziger in Schwarzweiß bis zur farbintensiven Serienschwemme der Neunziger in grellen Outfits. Er weiß also, wie stilsicher man seine Settings errichten kann. So hat auch dieses Abenteuer tief in die Designer-Kiste gegriffen und eine akkurate Welt komponiert, die man so und in diesem Ausmaß noch nicht gesehen hat. Hinzu kommen Weltraumszenen in der Dynamik vergangener Science-Fiction aus dem Röhren-TV, die abermals an die gute alte Vorstellung grenzenloser Weiten erinnern. Schön ist das. Und gleichzeitig völlig überhastet.

Denn es ist nicht so, dass die Fantastic Four hier ihre First Steps auf dem Filmparkett klackern lassen: Die Helden haben, und das erfahren wir im Rahmen einer Fernsehshow, moderiert von Mark Gatiss, schon einiges erlebt, was wir nicht wissen. Dazu gehört die Auseinandersetzung mit einem gewissen Mole Man, der unter der Erde das Volk der Subterraner anführt. Was haben wir verpasst? Naja, so einiges. Dafür hätte es in manchen Lichtspielhäusern großer Kinoketten ein Prequel-Comic gegeben, das mir aber niemand in die Hand gedrückt hat. Doch wie auch immer: Jetzt ist Sue Storm aka Richards (weil verheiratet mit Reed Richards, dem Gummi-Mann) schwanger und fliegt unter diesen Umständen ins Unbekannte, um eine Bedrohung abzuwenden, die sich Galaktus nennt. Auch dieser Hüne wurde von Lee und Kirby erschaffen und gilt als Weltenverschlinger. Der Silver Surfer (diesmal eine Frau), stets in dessen Diensten, hat diesmal die Erde als Appetithappen ausfindig gemacht. Und ja: Der von Ralph Ineson verkörperte Gigant lässt Thanos geradezu mickrig aussehen – Godzilla hingegen nicht. Der Riese, ehemals ein normales humanoides Wesen vom Planeten Taa, plagt ein astronomischer Hunger, und nicht ganz freiwillig muss Terra seinen Magen füllen. Da Shakman eigentlich nur zwei Stunden Zeit hat, um erstens die Vier neu vorzustellen und zweitens diese stattliche Bedrohung so abzuwenden, dass der Film auch sein Ende findet, hechelt das Abenteuer ruhelos durch eine sprunghafte Abfolge schnell durchdachter Initiativen, die in völlig unrealistischen Zeiträumen in die 828-Realität umgesetzt werden. Hier hapert es gewaltig mit inhärenter Plausibilität und Timing, hapert es mit dem Fehlen einer Vorgeschichte und einer Storyline, die einer grob zusammengezimmerten Inhaltsangabe gleichkommt, die man vielleicht auf Wikipedia liest.

Visuell ist The Fantastic Four: First Steps erste Sahne, nebenher jedoch will der Film zu viel erzählen und erreicht damit genau das Gegenteil. Im Endeffekt ist man zwar informiert, aber emotional kaum beteiligt.

The Fantastic Four: First Steps (2025)

Brick (2025)

DAS TRAUMA VOM LOCKDOWN

6/10


© 2025 Sasha Ostrov / Netflix


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2025

REGIE / DREHBUCH: PHILIP KOCH

KAMERA: ALEXANDER FISCHERKOESEN

CAST: MATTHIAS SCHWEIGHÖFER, RUBY O. FEE, FREDERICK LAU, MURATHAN MUSLU, SALBER LEE WILLIAMS, SIRA-ANNA FAAL, ALEXANDER BEYER, AXEL WERNER U. A. 

LÄNGE: 1 STD 39 MIN


Wir können uns alle noch gut daran erinnern, wie Corona die Welt in ihrer Mangel hatte und der eine oder andere Lockdown über uns kam wie das Schwert es Damokles. Ein Spaß war das keiner. Einschränkungen, sinnvoll oder nicht, wo es nur ging. Ab 21 Uhr gab’s Ausgangssperre, Besuchsverbot sowieso und so weiter und so fort. Und manchmal, da überkam einem doch das Gefühl, eingemauert zu sein, isoliert von aller Welt. Der Mysterythriller Brick mit Matthias Schweighöfer und Frederick Lau in den Hauptrollen lässt das Gefühl des Eingesperrtseins auf plakative Weise Gestalt annehmen. Was das Ensemble in diesem Film am Weiterkommen hemmt, ist eine geheimnisvolle Mauer, die Fenster und Türen umgibt – das ganze Haus also, in dem Tim mit seiner Freundin Olivia wohnt. Letztere will sich nach einem unaufgearbeiteten Schicksalsschlag von ihrem Partner, einem verbissenen IT-Nerd, gerade trennen, da scheint ihr gar nicht mal der Wille, es durchzusetzen, im Wege zu sein, sondern eben etwas Physisches – eine anthrazitgraue, in unterschiedlich große Segmente gegliederte Wand, die ihr den Weg versperrt. Und nicht nur ihr: Auch die Nachbarn sind zumindest innerlich aus dem Häuschen und tun sich zusammen, um herauszufinden, wie man diese Sperre im wahrsten Sinne des Wortes unterwandern kann. Zwischen Trial und Error offenbart sich eine Art Escape Room, der seine Opfer fordert und nicht jeden so erscheinen lässt, wie er wirklich ist.

Beschützer oder Aggressor?

Matthias Schweighöfer arbeitet gern für Netflix. Das tut Philipp Koch auch. Der hat vor einigen Jahren die vielversprechende postapokalyptische Serie Tribes of Europa mit Henriette Confurius und Oliver Masucci aus dem genretechnisch nicht unbedingt flexiblen deutschen Filmboden gestampft, Perlen wie Dark sind da wohl eher eine Ausnahme. Die durchaus gelungene Staffel endete mit einem Cliffhanger – und wird auch nie wieder fortgesetzt werden. Eine Methode, mit der Netflix seine Abonnentinnen und Abonnenten gerne sekkiert. Zum Glück ist Brick keine Serie, sondern ein Film, und ja, vom Plot her wären mehrere Episoden auch gar nicht vonnöten. Kochs Film ist, was es ist. Und Schweighöfer? Lässt sich von einem wie Murathan Muslu die Stirn bieten – der österreichische Schauspiel-Export darf in dieser Science-Fiction-Mystery die gehaltvollste Rolle verkörpern. Einen undurchschaubaren Bären von Mann mit graumelierter Mähne und unangenehm beobachtendem Blick. Ein John Goodman, der von der großen Katastrophe spricht und in 10 Cloverfield Lane Mary Elizabeth Winstead zum Ausharren in seinem Bunker verdonnert. Unterm Strich agiert das Ensemble durchaus situationsadäquat, das Skript strengt sich zwar nicht an, lässt aber, was das Tempo betrifft, nicht allzu viel anbrennen. Straight nennt man so eine Inszenierung. Und ein bisschen naiv, wenn man glaubt, die Wände und Böden eines Altbaus wären so widerstandsfähig wie Papiermaché. Nimmt man diese adaptierte physikalische Tatsache als Basis, könnte man sich die Kiste Bier für die unter der Hand engagierten Renovierer demnächst sparen. Mit Bohrmaschine und Vorschlaghammer geht schließlich alles.

Zu viel Science-Fiction, zu wenig Mystery?

Hat man mit dieser Prämisse aber dennoch Probleme, bleibt immerhin noch der Vergleich, der uns sicher macht. Vor Jahren lief auf dem Slash Filmfestival der Horrorstreifen Lockdown Tower. Ähnliche Ausgangssituation, andere – radikalere – Lösung. Menschen in einem Hochhaus werden zwar nicht von einer Mauer, sondern lediglich von einem schwarzen Nichts daran gehindert, ihre vier Wände zu verlassen. Brick ist da wesentlich harmloser, obwohl auch blutig. Wohl eher lässt sich das Netflix-Zuckerl als Mieterschutzversion von Cube betrachten – nur statt den Würfeln sind es Wohnungen, durch die man sich ackert und immer wieder auf neue Leute trifft, darunter Opa Axel Werner als jemand, der erfrischen nuanciert den Altersdurchschnitt hebt.

Man kann von der Auflösung halten, was man will. Die Tendenz geht eher in Richtung Ernüchterung, da Koch weder mit den Wahrnehmungen spielt noch ans Unterwandern von Erwartungen denkt. Den Twist verkraftet man ebenfalls ganz gut, denn es gibt keinen. Zumindest ich habe keinen entdecken, doch vielleicht sehe ich den Durchgang vor lauter Wänden nicht.

Brick (2025)

The Old Guard 2 (2025)

DIE ZEIT HEILT KEINE WUNDEN

3/10


© 2025 Netflix Inc.


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: VICTORIA MAHONEY

DREHBUCH: GREG RUCKA, NACH SEINER GRAPHIC NOVEL

KAMERA: BARRY ACKROYD

CAST: CHARLIZE THERON, KIKI LAYNE, UMA THURMAN, MATTHIAS SCHOENAERTS, HENRY GOLDING, CHIWETEL EJIOFOR, MARWAN KENZARI, VERONICA NGO, LUCA MARINELLI U. A.

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Im Wartezimmer für Dummverkaufte sitze ich hier und kann es kaum glauben, dass The Old Guard 2 mich hier einfach so mir nichts dir nichts aus dem Couch-Auditorium wirft. Nach bescheidenen 104 Minuten ohne Schmackes, sehr viel serientypischem Gerede und einer in die Länge gezogenen Handlung komplettieren Netflix und Skydance einen halbfertigen Film, der nichts anderes zuwege bringt als den Unmut der Betrachter auf sich zu ziehen. Ist das nun die neue Methode zur Kundenbindung? Zur Geldmacherei? Um kreative Defizite zu einem Thema zu übertünchen, indem man ein Abenteuer so dermaßen ausdünnt, dass es für zwei Filme reichen soll? The Old Guard 2 fühlt sich so an, als würde man einen verlängerten Verlängerten bestellen, mehr Wasser als Kaffee, ein Gschloder auf gut wienerisch, weil sonst nichts mehr da ist von dem guten gemahlenen Bohnenzeugs.

Dabei war 2020 noch alles relativ eitel Wonne. The Old Guard lieferte während der Covid-Lockdowns Eventkino für die eigenen Mattscheiben-Quadratmeter, mit einer überzeugend sportlichen und agilen Charlize Theron, die sich in die Rolle der Jahrtausende alten Andromache so gut wiederfand, als wäre sie tatsächlich älter als sie vorgibt zu sein. Sie war eine der Unsterblichen, einer Handvoll Auserwählter, die im Laufe der Menschheitsgeschichte dem Wohl unserer Spezies dienen und als Aufpasser fungieren, natürlich mit dem Benefit, jeden noch so gearteten Todesfall heillos zu überstehen. Die Comics von Greg Rucka, die als Vorlage dienten, sind dabei explizit gewalttätig, intensiv und akkurat konzipiert, Regisseurin Gina Prince-Bythewood (The Woman King) brachte das martialische Ensemble, das gerne auch mit mediävalen Waffen um sich wirft, souverän in den Live Act. Mit von der Partie auch Matthias Schoenaerts und KiKi Layne (If Beale Street Could Talk) sowie Chiwetel Ejiofor – bekannte Gesichter also, die ähnlich den Eternals aus dem MCU so manche Geschicke lenken. The Old Guard handelt von Leben, Tod und dem Geschäft mit der Wunderheilung, es geht um Liebe und Vertrauen und der Unmöglichkeit, das Werte wie diese tatsächlich die Jahrhunderte überdauern können. Im folgenden Aufguss, wofür auch diesmal wieder Greg Rucka das Drehbuch lieferte und keiner weiß, warum auf diese Art, mag der von den USA gerne bediente niedere  Motivator der Rache das Feld dominieren. Uma Thurman, die sich nur zaghaft zurück ins Filmbiz bewegt, darf als erste Unsterbliche nichts aus ihrer langen Lebenszeit gelernt und wiedermal bewiesen haben, dass Erfahrung noch keinen weisen Menschen macht. Ihr Ego-Trip wird für alle zum Verhängnis, einstmalige Verräter werden wieder zu Verbündeten und eine lange verschollene Bekannte von Andromache, unfähig zur Aussprache, kocht ihr eigenes Süppchen. Stereotype Verhaltensweisen also in einem gedehnten Stück Fantasy-Action, in dem lange Rede kurzen Sinn ergibt.

Wie hätte man den Film nicht straffen können. Was wäre falsch daran gewesen, das Finale Grande der Storyline nicht auch noch in The Old Guard 2 zu packen? Man sieht, wie konstruiert und bemüht das Fragmentieren eines Filmes wirkt. Heruntergekürzt auf 104 Minuten, wären hier locker zweieinhalb Stunden drin gewesen, eine normale Länge heutzutage für einen hochbudgetierten Blockbuster. Weniger Leerlauf, mehr Spannung und das dramatische Ende obendrauf – fertig eine abgeschlossene Geschichte zur Befriedigung aller. Ein ganzer, kompakter Film, vielleicht nicht ganz perfekt, aber rund – und nicht so, als hätten andere absichtlich getrödelt, um das Zeitfenster zu verpassen. Den Trend der mutwilligen Dehnung sieht man schon bei 28 Years Later, der einem Rausschmiss des Publikums nach der Halbzeit gleichkommt. Erfüllend ist das nicht, und noch weniger, wenn keiner mehr einen Hehl daraus macht, aus keiner Notwendigkeit heraus einen Film zu stückeln, dessen Fortsetzung sowieso, wie bei Netflix üblich, ungewiss scheint. Schlimmstenfalls hätte man ein Fragment, das keiner braucht, eine Unsitte in der Filmbranche. Vom großen Kino ist man da weit entfernt.

The Old Guard 2 (2025)

Jurassic World: Die Wiedergeburt (2025)

INDIANA JONES UND DIE INSEL DER DINOSAURIER

6/10


© 2025 Universal Pictures. All Rights Reserved.


ORIGINALTITEL: JURASSIC WORLD: REBIRTH

LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: GARETH EDWARDS

DREHBUCH: DAVID KOEPP

KAMERA: JOHN MATHIESON

CAST: SCARLETT JOHANSSON, MAHERSHALA ALI, JONATHAN BAILEY, RUPERT FRIEND, MANUEL GARCIA-RULFO, LUNA BLAISE, AUDRINA MIRANDA, DAVID IACONO, ED SKREIN, BECHIR SYLVAIN, PHILIPPINE VELGE U. A.

LÄNGE: 2 STD 13 MIN


Aus der brillanten Vision einer Welt, in der die prähistorische Fauna erneut den Erdball besiedelt und mit uns, dem Homo sapiens, Seite an Seite existieren muss – nun, aus dieser Vision wurde nichts. Nur zaghaft hat sich Colin Trevorow 2022 mit Jurassic World: Ein neues Zeitalter an die Umsetzung dieses Szenarios herangewagt, einige wenige Szenen ließen gar einen tieferen Einblick in den Umgang des Menschen mit den Dinosauriern zu. Doch letzlich war das dem Studio viel zu düster, zu zivilisationskritisch – das Publikum lechzt wohl eher nach dem Abenteuer und benötigt auch nicht zwingend die alte Riege von damals – Laura Dern, Sam Neill oder Jeff Goldblum, denn diese Reminiszenz an die Anfänge des Dino-Hype war wohl auch mehr Zwangsbeglückung als intrinsische Notwendigkeit.

Wir wissen: Wenn man sich verfährt, kann man zurück zur Weggabelung, diese wäre ungefähr dort, wo sich Steven Spielberg und Drehbuchautor David Koepp an den Versatzstücken der Romane von unter anderem Jules Verne oder H. G. Wells orientierten, und wo es gelang, das perfekte Survival-Abenteuer für die ganze Familie aus dem Inseldschungel zu stemmen, natürlich mit sensationellen Sequenzen, die längst totgeglaubte Wunder der Natur wiederbelebt hatten, nicht nur zur Freude kleiner Jungs (und weniger der Mädchen), die in ihren Kinderzimmern ihre Regale mit Spielzeugminiaturen diversester Spezies vollgestellt wussten. Nach Vergessene Welt: Jurassic Park aus dem Jahr 1997 ist es aus narrativer Sicht nicht weit bis zum jüngsten Abenteuer, und ja, auch aktuell sieht man anhand des Skripts, dass David Koepp zwar damit beauftragt wurde, sich selbst eine neue, weitestgehend originäre Geschichte aus den Rippen zu leiern, diesem aber nicht wirklich viel anderes einfiel als das, was er ohnehin schon geschrieben hat.

Wir haben eine Insel, eine verbotene Zone, wir haben ein Team waghalsiger Abenteurer, die der Mammon lockt. Wir haben eine Familie, die natürlich nicht sterben darf, denn Universal Pictures ist ein familienfreundliches Studio und will niemanden verstören. Diese Familie kommt, wie seinerzeit die Kids im Original, unfreiwillig zum Handkuss und muss zwischen Faszination für das Urtümliche und Todesangst die Grenzerfahrung ihres Lebens bestreiten, während das Schicksal auf ihrer Seite steht. In der Jurassic World herrscht schließlich ein gerechter Dino-Gott, der die Moral predigt und die Niederträchtigen bestraft, während sogar jene überleben, die sich zu opfern bereit sind. Somit ist von Anfang an klar, wer heil bleibt und wer sterben wird. Koepp und Regie-Visionär Gareth Edwards würfeln die Spielrunde nicht neu, schon gar nicht bei den Figuren. Diese sind klar positioniert, als wäre eine KI mit allen bisherigen Jurassic Park- oder World-Filmen trainiert worden, nur um Charaktere auszuspucken, die ohne jegliche Grauschattierung so klischeehaft sind, dass sich selbst jene „Redshirts“, die als Dino-Futter auserkoren sind, klar zu erkennen geben. Und das Kind? Klar gibt es das. Und nein: es würde niemals, niemals, NIIIIEMALS gefressen werden. Weil sich der Dino denkt: Ach nööö, Kinder und Hunde (oder Babydinos), die sind tabu, da passe ich mich der gesellschaftlichen Moral des Homo sapiens natürlich an.

All diese Vermutungen werden sich bestätigen. Rechtschaffenheit, Anstand und Ordnung dürfen selbst in einer gesetzlosen, archaischen, wilden Welt wie diese, die so aussieht, als wäre sie Teil einer Hohlwelt im Herzen unseres Planeten (Das Godzilla-vs-Kong-Franchise lässt grüßen), nicht über Bord geworfen werden. Letztlich passiert das zumindest einigen der Abenteurer, die unterwegs sind, um die DNA noch lebender Giganten abzuzapfen, die wiederum in der Medizin, speziell für die des Herzens, pharmazeutische Geschichte schreiben soll. Natürlich ist der windige Auftraggeber (Rupert Friend) von Geldgier durchdrungen, Mahershala Ali als anständiger Kapitän seines Kahns nur dann draufgängerisch, wenn die Kohle stimmt und Scarlett Johansson eine, die zwar auch die Dollarscheine in den Augen hat, aber gerne vom einzigen Wissenschaftler in diesem Team eines Besseren belehrt werden wird. Vieles geht dabei schief; die schiffbrüchige Familie, die vom Mosasaurier attackiert wird, ist auch mit dabei. Alle schlagen sich durch die Botanik, um sich am Ende in einem Star Wars-Crossover wiederzufinden, das eine Dino-Mutation vermuten lässt, die so aussieht, als wäre sie aus Jabbas Palast entkommen.

Die Story ist so dermaßen mau, dass vor allem Johansson, die wohl ihre Rolle der Black Widow vermisst und sich als Lara Croft-Verschnitt daher doppelt gefällt, alle Hände voll zu tun hat, um zumindest der menschlichen Seite ein bisschen mehr Charisma zu entlocken. Was Gareth Edwards (u. a. Rogue One: A Star Wars Story) natürlich wieder sensationell gut hinbekommt, sind die Bildwelten, die Optik, die Wiederbelebung so sagenhaft schöner Wesen wie den Quetzalcoatlus oder den Titanosaurus, auch der Mosa schenkt uns eine atemberaubende Performance. Genau dafür geht man ja schließlich in einen Film wie diesen. Hat man mit Dinos nichts am Hut, sind das verlorene Stunden, so aber kann man sich nicht sattsehen an diesen exotischen Biomassen aus grauer Vorzeit, die mitunter ihre Nester in antike Urwaldtempel platzieren, die Indiana Jones wohl noch untersuchen müsste.

Wenn doch nicht alle so einen Radau machen würden während ihrer Tour of Duty durch den Dschungel einer Insel, die es so gar nicht geben kann. Dank eines mangelnden gesunden Menschenverstands lassen sich diverse Arten blicken, doch letztlich auch viel zu wenige. Jurassic World: Die Wiedergeburt besinnt sich der Anfänge, bleibt auf ausgetretenen Pfaden und fordert sein Publikum keine Sekunde, wenngleich es dem Film gelingt, selbst Offensichtliches so zu inszenieren, dass es zumindest nicht langweilig wird.

Jurassic World: Die Wiedergeburt (2025)