We Bury the Dead (2024)

DES ZOMBIES BESSERE HÄLFTE

6/10


© 2024 Nic Duncan


LAND / JAHR: AUSTRALIEN 2024

REGIE / DREHBUCH: ZACK HILDITCH

KAMERA: STEVEN ANNIS

CAST: DAISY RIDLEY, BRENTON THWAITES, MATT WHELAN, MARK COLES SMITH, KYM JACKSON, SALME GERANSAR, CHLOE HURST, ELIJAH WILLIAMS U. A.

LÄNGE: 1 STD 34 MIN


Vom Zähneknirschen bekommt man Albträume? Ja, wenn die bessere Hälfte des Nächtens die Kauleiste malträtiert und man zuvor We Bury the Dead gesehen hat, eine Down-Under-Postapokalypse, die gerne so sein will wie Danny Boyles 28 Days Later, und tatsächlich auch Ansätze liefert, die das Zeug hätten, die Sache mit den Untoten nicht ganz so profan anzulegen wie vielerorts in der Filmwelt. Boyle hat mit seinem rabiaten Reißer das abgeschlurfte Genre mit allerlei narrativen Blutkonserven wiederbelebt – was er aber dabei nicht in petto hatte, waren die von den Untoten verursachten Geräusche, die nicht nur Dentisten in den Wahnsinn treiben. Sobald es also knirscht, harrt der nächste zum Erbarmen armselige Schatten seines ehemaligen Selbst an der nächsten Ecke, um vom Militär entsorgt zu werden, während der Rest der Gesamtbevölkerung der Insel in Leichensäcken endet. Grund dafür ist ein schiefgegangener Waffentest und eine damit einhergehende Druckwelle, die den Menschen in weitem Umkreis das Gehirn zerstört hat. Manchen allerdings nicht ganz, und genau ab da dehnt sich der Spannungsbogen spielfilmlang für die Insel-Odyssee einer sichtlich desperaten Daisy Ridley. Die englische Schauspielerin gibt Ava, eine freiwilligen Helferin, die ins Katastrophengebiet geflogen wird, um die Gegend nach Toten zu durchkämmen, die folglich fachgerecht entsorgt werden müssen. Auch die Halbtoten sollen über die Klinge springen, ihr irreparabler Zustand rechtfertigt den Kahlschlag. Ava ist aber nicht aus rein selbstlosen Gründen im Einsatz – sie sucht ihren Ehemann, der zu dieser Zeit in der Gegend auf Geschäftsreise war. Erschwerend hinzu kommt der Umstand, dass die vorangegangene Ehekrise wie eine offene Wunde ganz unbehandelt brach liegt, und Ava ihre bessere Hälfte zumindest finden will, um einen Schlussstrich ziehen zu können.

Warum so boshaft, Zombie?

Zak Hilditchs Bemühen, ein Beziehungsdrama mit einem Zombiethriller zu verknüpfen, klingt anfangs mal vielversprechend. Und auch der Umstand, dass Zombies in diesem Fall nur die noch gar nicht ganz Toten darstellen, eine Ausnahme. Es wäre tatsächlich auch konsequent gewesen, hätte We Bury the Dead so viel Courage und Widerstandskraft bewiesen, um sich nicht mit dem Strom gängiger Narrative weitertreiben zu lassen. Was uns We Bury the Dead auftischt, ist scheinbar die Abkehr von reißerischen Untotenlegenden hin zu Betrachtungen über Euthanasie, Verheerung und Rüstungskritik. Letzteres bedarf keiner zusätzlichen Erwähnung, die Metaebene ist viel zu dünn. Das Hinterfragen zomboider Stasis wäre ein erwachsener Ansatz gewesen, doch dem will Hilditch nicht ganz so treu bleiben,  denn man merkt, wie er sich im Laufe seines Skripts immer mehr dazu verleiten lässt, den mutierten Menschen als etwas darzustellen, dass unbedingt antagonistisch sein muss. Zwingend notwendig ist das nicht, das weiß zumindest Thea Hvistendahl in ihrem weitaus ungewöhnlicheren Zombiefilm Handling the Undead. Dort ist von nach Blut und Menschenfleisch gierenden Untoten überhaupt keine Rede. Dort sind auch Untote wirklich Untote, und das Warum dieser Anomalie bleibt angenehm im Dunkeln. Im norwegischen Horrordrama sind Zombies nur eine Erscheinung, keine Bedrohung. In We Bury the Dead reagiert manch entmenschlichte Kreatur so gewohnt wie eh und je, attackiert die Gesunden, sucht Streit, weil es Blut will? Oder Fleisch? Oder warum genau? Hilditch scheint das egal zu sein, womöglich war ihm sein Entwurf zu dröge, also muss es den Clinch mit den Untoten geben, schön kässlich, mit blutunterlaufenen Augen, denn die Lebenden alleine als Bedrohung darzustellen, würde nicht reichen.

Rückwirkend würde ich sagen: Doch, das hätte es. Letztlich scheint es nur ein Zufall zu sein, dass gewisse Begebenheiten in We Bury the Dead mit jenen aus Danny Boyles Sequel 28 Years Later geradezu ident sind. Das nimmt Hilditchs Film natürlich einiges von dem Quantum an originärem Charme, den er noch besitzt, obwohl er gar nichts dafür kann.

We Bury the Dead (2024)

Twisters (2024)

WIRBEL UMS WETTER

7/10


twisters© 2024 Warner Bros. / Amblin Entertainment


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: LEE ISAAC CHUNG

DREHBUCH: MARK L. SMITH

CAST: DAISY EDGAR-JONES, GLEN POWELL, ANTHONY RAMOS, BRANDON PEREA, DARYL MCCORMACK, MAURA TIERNEY, HARRY HADDEN-PATON, DAVID CORENSWET, KATY O’BRIAN, JAMES PAXTON U. A.

LÄNGE: 2 STD 3 MIN


Schönes Wetter ist langweilig. Blauer Himmel, Sonnenschein von früh bis spät – da kommt zumindest mir das große Gähnen. Wetter ist dann interessant, wenn es sich in Szene setzt. Das beginnt bereits mit einer Wolkenbank, die sich über den Horizont schiebt, mit schwerem dunkelgrauen Regen im Schlepptau. Am schönsten ist es, wenn es gewittert. Wenn dann noch der Sturm bläst, wird’s theatralisch. Zugegeben, das sagt einer, der, wohnhaft im Wiener Becken, von den Konsequenzen eines Unwetters stets verschont bleibt. In der Provinz sieht das schon anders aus. Überflutungen, Murenabgänge, entwurzelte Bäume – Sommer in Österreich.

In den USA hingegen treiben Tornados ihr Unwesen, vorwiegend und alljährlich in den zentralen Ebenen des nordamerikanischen Kontinents, von Texas über Oklahoma bis nach Kansas, diese Spur der Verwüstung nennt sich Tornado Alley. Erst kürzlich gab’s gar im österreichischen Bundesland Steiermark einen kleinen Tornado, doch diese Kapriolen sind nichts im Vergleich zu den Ungetümen, die dort in Übersee aus ganzen Dörfern und Städten Kleinholz machen. Eine Katastrophe, der man im Grunde nichts Erbauliches abgewinnen kann. Doch da gibt es die andere Seite – jene, auf der die sogenannten Tornadojäger zu finden sind – weniger Wissenschaftler als vielmehr Abenteurer, die den Kick suchen. In Twisters, der sagen wir mal Neuauflage von Jan de Bonts stürmischem Klassiker Twister aus dem Jahre 1996, kommen beide Seiten zu Wort – einschließlich jene der Opfer, die Regisseur Lee Isaac Chung (Minari – Wo wir Wurzeln schlagen) gewissenhaft nicht außer Acht lassen will.

In diesem Dreieck der Interessen und Befindlichkeiten lässt Chung das Wetter einem wild gewordenen Rodeo-Büffel gleich aus dem Zwinger. Und präsentiert seinem staunenden Kinopublikum Bilder voller Schönheit und Bedrohlichkeit: Die Natur von ihrer dunklen Seite – so steht es zumindest auf den Filmplakaten. Was aber kann Twisters einem Film wie Twister als Mehrwert verkaufen? Was hat der neue Film, was der alte nicht hatte? Ich erinnere mich noch, dass die Darstellung der Unwetter damals das Beste war, was man auf die Leinwand bringen konnte. Die Story: nun ja, klassisches Hollywood-Katastrophenkino mit Trial und Error, Enttäuschung, Hoffnung, Läuterung und persönlichem Sieg. Den Aufbau der Geschichte hat Chung und Drehbuchautor Mark. L. Smith beibehalten – somit ist Twisters ungefähr so vorhersehbar wie das Wetter der nächsten Tage.

Im Zentrum steht Kate (Daisy Edgar-Jones, Der Gesang der Flusskrebse), die sich nach einer Tornado-Tragödie, während welcher auch ihr Freund ums Leben kam, auch nach fünf Jahren immer noch nicht ganz erholt hat. Javi (Anthony Ramos) der Einzige, der damals noch überlebt hat, will Kate und ihre Fähigkeit, Tornados nachzuspüren, für ein eigenes Projekt gewinnen. Widerwillig kommt sie an Bord, jagt erneut Tornados hinterher und lernt den Youtube-Tornadojäger Tyler Owens kennen, dargestellt von Feschak Glen Powell (A Killer Romance, Top Gun: Maverick), den sie anfangs nicht ausstehen kann.

Was intensiv nach Screwball-Romanze vor dunklen Wolken klingt, in welcher es nicht wirklich viel zu holen gibt, geht unterm Strich als leidenschaftlicher Beweis dafür durch, dass traditionelles Katastrophenkino in uneitler Hemdsärmeligkeit immer noch bestens funktioniert. Twisters, unter der Obhut von Steven Spielberg produziert, entwickelt trotz seiner konventionellen Plot-Struktur unerhört packende Momente, die sich in knappen Intervallen aneinanderreihen. Auch wenn man ziemlich treffsicher ahnt, wer aus der beeindruckenden Himmelhölle geläutert, verändert und soziomoralisch integriert hervortreten wird – auch wenn man weiß, wer welche Beweggründe für sein Tun überdenken wird: es liegt an der straffen Kunst der dramatischen Inszenierung, wie wann welche Emotionen getriggert werden, um die Spannungsschraube zu spüren. Chung und Spielberg schaffen gemeinsam ein sehr menschelndes und menschliches Wetterabenteuer und einen Naturthriller, in welchem Edgar-Jones und Powell mit ihrer Sympathie das Interesse des Publikums gewinnen. Beide sind nicht irgendwer, sondern Identifikationsfiguren, die im Laufe von zwei Stunden viel über sich selbst lernen und sich dementsprechend auch weiterentwickeln. So sehr wie das Wetter in Twisters im Wandel ist, so sehr wandeln sich die Charaktere. Ein Film, der konsequent in Bewegung bleibt.

Twisters (2024)

Godzilla Minus One (2023)

DAS TRAUMA ALS BIOMASSIGE URFORM

6,5/10


godzillaminusone© 2023 Toho Company Ltd/Courtesy Everett Collection


LAND / JAHR: JAPAN 2023

REGIE / DREHBUCH: TAKASHI YAMAZAKI

CAST: RYŪNOSUKE KAMIKI, MINAMI HAMABE, YUKI YAMADA, MUNETAKA AOKI, HIDETAKA YOSHIOKA, SAKURA ANDŌ, KURANOSUKE SASAKI, MIO TANAKA U. A.

LÄNGE: 2 STD 5 MIN


Dieser Film bringt die wohl legendärste Monsterechse der Popkultur wieder dorthin zurück, wo sie urtümlich aus den Fluten trat – das ist nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich zu verstehen. Godzilla an seinen Ursprung zurückbringen, dorthin, wo Tomoyuki Tanaka diesen Giganten erstmals ins Leben rief, um ihn als Allegorie auf ein Desaster verstanden zu wissen, das als lokale Apokalypse Hiroshima und Nagasaki in den Abgrund riss. Diese Echse ist niemand Gutes. Sie ist der unbezwingbare, kataklystische Horror, die menschengemachte Naturkatastrophe, die nur eines im Sinn hat, sofern sie etwas im Sinn haben kann: Zerstören! So schiebt sich der dickliche Knautsch-Drache, den man ja, würde man ihn aus einiger Entfernung betrachten, direkt als niedlich einstufen würde, stampfend über den Meeresboden, bis der Wasserspiegel um dessen Hüften sinkt und sinkt und letztlich nur noch seine Knöcheln umspielt, sofern er welche hätte. Dann aber, dann ist es zu spät, um das japanische Volk noch zu evakuieren. Godzilla pflügt weiter, pflügt sich durch Häuserschluchten, die ihm links und rechts nicht passen, macht kaputt, was kaputtgemacht werden kann. Und die entindividualisierte Masse  hilfloser Menschlein rennt völlig sinnlos um sein Leben.

Ja, ungefähr so lässt sich ein Aggressor beschreiben, der dem Drang, ein Land verheeren zu müssen, nicht widerstehen kann. Dieses Grauen, dass sich am Ende des Zweiten Weltkriegs die Vereinigten Staaten als Akt der Schande an die Fahnen heften konnten, als es mit einem unfassbaren Gewaltakt den Weltkrieg beendete, lässt sich zur Traumaverarbeitung besser manifestieren – und zwar in eine Kreatur. Das hilft, schon rein aus psychologischer Sicht, mit dem Trauma klarzukommen, wenn man den Wahnsinn bündelt. Deswegen gibt es Godzilla. Und obwohl Godzilla im Kampf gegen andere Titanen die Menschheit vertritt und vor allem auch im aktuellen Monster-Franchise ein als auf die natürliche Balance ausgerichteter Ordnungshüter über den Planeten wummert – in Godzilla Minus One lässt sich diese Agenda nirgendwo ableiten. Das Monster ist schlichtweg wütend.

Vor dieser Katastrophe agiert ein japanisches Schauspiel-Ensemble aus Überlebenden der Schlacht um Tokyo sowie ein Kamikaze-Pilot, dem Kamikaze nicht wirklich im Sinn steht und der unter Vorgabe eines technischen Gebrechens auf der Insel Odo notlandet. Wie es das Unglück des Zufalls so will, quert Godzilla den kleinen Stützpunkt ohne Rücksicht auf Verluste – Pilot Kōichi Shikishima überlebt. In seiner Heimatstadt Tokio angekommen, muss er feststellen, dass der Krieg seine Familie dahingerafft hat. Den leeren Platz um ihn herum füllt bald die junge Noriko, die ihrerseits ein Findelkind mitbringt. Als Patchwork-Familie und mit der Unterstützung der desillusionierten Nachbarin versuchen diese paar bescheidenen Bürger einen Neuanfang – bis Godzilla alles wieder zunichtemacht. Experten sind gefragt – und eben auch Piloten wie Koichi, der sich von der Schmach der Feigheit vor dem Feind endlich reinwaschen will.

Das Erstaunliche an Godzilla Minus One ist technischer Natur. Mit „lediglich“ 10 bis 15 Millionen US-Dollar Produktionskosten läuft das Monsterspektakel im Gewand eines pathetischen Nachkriegsdramas deutlich unter dem Radar ganze Staatshaushalte verschlingender Us-Produktionen, die sich wirklich jeden Luxus leisten wollen. Für dieses Kleingeld hat Takashi Yamazaki eine fulminante Optik eingefangen, die dem Desasterkino eines Emmerich das Wasser reicht und die Echse weniger als Gummitier, sondern als naturalistische Biomasse ins Rennen schickt. Wenn das Meerwasser brodelt und das Tier aus den Tiefen taucht – überhaupt jene Szenen, die auf und rund ums Minensuchboot stattfinden, sind erstaunlich professionell. Kaum etwas unterscheidet das Spektakel von den Monsterclashs eines Leigh Wannell – ganz im Gegenteil. Während in Filmen wie Godzilla x Kong – A New Empire in üppigem Bildersturm die Qualität aufgrund von inflationärer CGI sichtlich leidet, setzt Yamakazi seine Desaster-Szenen akzentuiert ins Bild, nicht mehr, nicht weniger. Das Drama hat immer noch Gewicht genug, wenn auch vorhersehbar und nach alter dramaturgischer Schule. Jedoch lässt es seine Figuren nicht so lächerlich nebensächlich wirken wie in Hollywood. Hier geht’s um die Bewältigung eines Traumas, einer Tragödie, die man, anders als den Effekt, den Atombomben naturgemäß auslösen, fassen kann.

Godzilla Minus One (2023)

A Quiet Place: Tag eins (2024)

AUF LEISEN PFOTEN KOMMT DIE KATZE

6/10


aquietplacetageins© 2024 Constantin Film


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE / DREHBUCH: MICHAEL SARNOSKI

CAST: LUPITA NYONG’O, JOSEPH QUINN, ALEX WOLFF, DJIMON HOUNSOU, ALFIE TODD, ELIANE UMUHIRE, ALEXANDER JOHN U. A.

LÄNGE: 1 STD 39 MIN


Die Katze ist das Symbol des erfolgreichen Widerstands. Denn sie gibt keinen Mucks von sich. Sie weiß, dass sie nicht mal schnurren, geschweige denn miauen darf. Keine Schwierigkeit für so einen Stubentiger. Die leisen Pfoten sind dabei angeborene Gadgets, die wir Menschen uns angesichts einer Endzeit wie dieser gerne wünschen würden. Doch leider spielt es das nicht. Des Menschen Schwerfälligkeit und Ungelenkigkeit, die lärmfreudigen Sohlen festen Schuhwerks und das ständige Keuchen, Husten und panische Kreischen angesichts monströser Schreckgestalten macht uns zur leichten Beute, während Katzen bald die Welt regieren. Gemeint sind mit den Aggressoren extraterrestrische Kreaturen, die warum auch immer eines schönen Tages auf die Erde herabregnen und, sobald sie gelandet sind, aus den Kratern kriechen und Jagd auf alles machen, das Lärm verursacht.

Dass da Homo Sapiens in seiner Massenhysterie laut schreiend und völlig orientierungslos den staksigen Lauschern in die Klauen fällt – diese Verhaltensweise wird in John Krasinskis erdachtem Horrorszenario zur frappanten Reduzierung der menschlichen Bevölkerungszahl führen. Die wenigen, die es dennoch schaffen, trotz höllischer Angst ruhig zu bleiben, sind jene, die sich evolutionstechnisch gesehen als jene, die auf tonlose Weise umherschleichen, die Zukunft sichern. Wie das in urbanem Gelände funktioniert, wo ja alles irgendwie Geräusche macht, und sind es nun tapsende Schritte auf von Splittern übersätem Asphalt, zeigt A Quiet Place: Tag eins. In dieser uns mittlerweile vertrauten Apokalypse findet sich die todkranke Sam wieder, gespielt von Lupita Nyong’o, die mit gruseligen Endzeitszenarien längst schon Bekanntschaft gemacht hat – wären es nun Zombies in Little Monsters oder mörderische Klone in Jordan Peeles kreativem Verschwörungsthriller Wir. Nun sind es Wesen, deren Kopf im Grunde aus gewaltigen Hörorganen besteht, die ein bissfestes Kiefer umrahmen. Das scheint Sam, die ja sowieso nicht mehr viel zu verlieren hat, kaum davon abzubringen, ihre Tagesagenda unbeirrt weiterzuverfolgen. Sie will an den Ort Ihrer Kindheit zurück – und nochmal Petsy‘s Pizza probieren. Auf dem beschwerlichen Weg dorthin trifft sie auf Eric (Joseph Quinn), der nicht mehr von ihrer Seite weicht.

Viel mehr erzählt A Quiet Place: Tag eins tatsächlich nicht. Außer, dass wir endlich mal ein Bild davon bekommen, wie alles angefangen hat. Im Grunde hat man dies in Auszügen bereits in Krasinskis Original gesehen. Braucht es da wirklich noch die ausgewalzte Darbietung eines Schreckens, der nicht wie eine klassische, technologisch überlegene Invasion daherkommt, sondern wie das Hereinplatzen einer invasiven Art, die das autochthone Leben eines Ökosystems namens Erde auseinandernimmt? Nyong’o hat sehr viel Angst, Joseph Quinn ebenso. Die Katze nicht. Sie gibt, als symbolisches Best-Case-Testimonial vor, wie man sich zu verhalten hat. Sie zeigt auf erschreckende Weise, wie unzulänglich der Mensch einer natürlichen Katastrophe entgegentreten muss, während Katzen die Skills dafür bereits besitzen, sich aus dem Chaos heraus neu zu ordnen.

Nyong’o und Joseph Quinn entwickeln das leise Szenario einer Zweckgemeinschaft, Regisseur Michael Sarnoski, der zuletzt Nicolas Cage in Pig auf die Suche nach seinem Lieblingsschwein geschickt hat, setzt auch hier den Fokus viel stärker auf die Fähigkeit des Menschen, zu improvisieren. Eine Besonderheit, die aber nur in der Kooperation funktioniert. Dieses emotionale Zusammenspiel lässt den Grund der Katastrophe fast zur Nebensache werden – es ist wie im Genre des Zombiefilms. Auch hier sind die Untoten nur die Variable einer Ursache, eines von vielen Symptomen für den Ausnahmezustand. Ob nun Monster aus A Quiet Place oder die unabbildbare Entität im Bird Box-Franchise, die alle, die sie sehen, in den Selbstmord treibt: Der Kampf ums Überleben ist in A Quiet Place: Tag eins einer von vielen, fast austauschbar präsentiert sich dieses auf leisen Sohlen dahinwandelnde Abenteuer, das von A nach B oder B nach C  balanciert. Das Extra mit der Stille erhält dadurch aber keine neuen Aspekte – die kreativen Ansätze John Krasinskis in den beiden eigentlichen Filmen finden sich alle genau dort – und weniger in diesem Spin Off, das als Kurzfilm vielleicht weniger Längen gehabt hätte – denn sooft die beiden Survivalisten auch durchschnaufen müssen – jedes Mal scheint einmal zu viel.

A Quiet Place: Tag eins (2024)

Die Schneegesellschaft (2023)

SCHLACHTFELD ANDEN

6,5/10


schneegesellschaft© 2023 Netflix Inc. 


LAND / JAHR: URUGUAY, SPANIEN, CHILE 2023

REGIE: J. A. BAYONA

DREHBUCH: J. A. BAYONA, BERNAT VILAPLANA, JAIME MARQUES & NICOLÁS CASARIEGO, NACH DEM ROMAN VON PABLO VIERCI

CAST: ENZO VOGRINCIC, MATÍAS RECALT, AGUSTÍN PARDELLA, ESTEBAN KUKURICZKA, FRANCISCO ROMERO, RAFAEL FEDERMAN, TOMAS WOLF U. A.

LÄNGE: 2 STD 23 MIN


Tunlichst sollte man vermeiden, diesen Film zu konsumieren, kurz bevor man selbst abhebt: Im Nachhinein könnte es passieren, und das obligate Ruckeln im Flieger bei so manchen Luftlöchern lässt das Herz stillstehen und das Bordmenü, sofern es eines gibt, schmeckt noch weniger als sonst. Tatsächlich sind Turbulenzen nur selten der Grund für einen Absturz. Fliegt der Pilot allerdings über eine Bergkette, um auf die andere Seite zu gelangen, wären ein paar Höhenmeter mehr zwischen Felsgrat und Fliegerbauch durchaus ratsam. In diesem Fall allerdings, der sich 1972 zugetragen hat und der bereits von Frank Marshall Anfang der 90er mit dem Titel Überleben! verfilmt wurde, wird ein tieffliegender Vogel der Fuerza Aerea Uruguay mit vierzig Passagieren und fünf Besatzungsmitgliedern niemals mehr an seinem Zielort ankommen. Irgendwo in den verschneiten Anden reißt es das Flugzeug in Stücke, das bugseitige Teil der Maschine pflügt sich schlittengleich durch den Tiefschnee, bis es in der Senke eines Gletschers zum Stehen kommt. Gleich zu Beginn das erste Wunder: Die meisten der Passagiere, darunter auch die Spieler einer Rugby-Mannschaft, haben den Crash vorerst überlebt. Eisiger Wind, Schnee und Schmerzen, womöglich der Geruch von Blut und quälende Schreie sind das erste, was der Erzähler des Films, Numa Turcatti, und seine Freunde in die Realität zurückholt. Bereits zuvor, in der Darstellung der großen Katastrophe, beginnend mit der siedend heiß aufsteigenden Angst unter den jungen Leuten, bevor sie noch alle ihr Schicksal ereilt, gibt sich und uns J. A. Bayona (Das Waisenhaus, The Impossible) die komplette Breitseite eines Unglücks. Er filmt das Zittern, das Jammern, das Verkrampfen im Sitz. Er filmt die Gebete, er filmt das Auseinanderbrechen des Fliegers von innen. Wir sehen, wie es das Heck nach hinten reißt, wie Passagiere, an ihre Sitze gegurtet, ins weiße Nichts fallen. Die Kamera wird zum Passagier, zum Überlebenden. Es ist, als sähen wir mit den Augen eines Verunglückten, plötzlich Blackout und dann nichts mehr.

Während Frank Marshall in seinem Film die unaussprechliche Notmaßnahme des Verzehrs von Menschenfleisch ins Zentrum rückt, schenkt Bayona diesem Tabu nicht die größte Wichtigkeit. Natürlich, ohne der posthumen Hilfeleistung der toten Kameraden hätte niemand überlebt. Ungefähr gleichwertig gesellt sich der menschenunwürdige Zustand immerwährender Kälte hinzu, diesem folgt mit Nachdruck die verheerende Gewalt heranrollender Schneemassen – das Ersticken und verzweifelte Luftholen, wenn ausgemergelte, schwer gezeichnete Körper aus der Schneedecke hervorbrechen. Der uruguayische Kameramann Pedro Luque (u. a. Don’t Breathe 1 und 2) rückt den wie in einem Schützengraben während eines Krieges aller menschlichen Grundbedürfnissen bis auf jene der sozialen Interaktion entledigten Gequälten mit Weitwinkelobjektiven so sehr zu Leibe, dass man sich auch hier – wie schon zuvor beim Absturz – der Situation stellen muss. Mit solchen Szenen wird Die Schneegesellschaft nach dem Roman eines Überlebenden zu einer Art Antikriegsfilm im Katastrophengenre. Weder verklärt noch beschwichtigt noch heroisiert Bayona auch nur irgendeinen Umstand oder irgendjemanden in seinem Film – stattdessen ist es der Schmerz und die Angst, die in der Ausgestaltung eines extremen Naturalismus das romantisierte Abenteuer in Stücke reißt.

Die Auseinandersetzung mit menschlichen Qualen ist eine Sache, die andere ist, dass man natürlich weiß, und zwar längst weiß, wie diese Geschichte ausgehen wird. Überlebt haben letztlich 16 Personen. Aufgrund der Menge an Charakteren, die sich trotz Bergszenario und Weitblick auf engstem Raum versammeln müssen, lässt sich mit keinem recht eine Verbindung aufbauen. All die Charaktere bleiben bestenfalls angerissen, grob skizziert, fast schon gegeneinander austauschbar. Trotz der Bemühung, Die Schneegesellschaft aus der narrativen Sicht eines einzelnen zu erzählen, wird das Individuum in dieser Schicksalsgemeinschaft zum kleinen Teil eines großen Ganzen. Wie der Titel schon sagt, ist vielleicht genau das beabsichtigt. Wieder ein Faktor, der an einen Kriegsfilm erinnert.

Die Schneegesellschaft (2023)

How It Ends

MIT SCHWIEGERPAPA UNTERWEGS

6/10


howitends© 2019 Netflix Österreich


LAND / JAHR: USA 2018

REGIE: DAVID ROSENTHAL

CAST: THEO JAMES, FOREST WHITAKER, KAT GRAHAM, KERRY BISHE, MARK O’BRIEN, NANCY SORRELL U. A.

LÄNGE: 1 STD 53 MIN


Die Welt steht auf kein‘ Fall mehr lang. Das wusste schon Johann Nestroy, als er für seine moralische Komödie Der böse Geist Lumpazivagabundus das sogenannte Kometenlied erdichtet hat. Wenn man wenigstens wüsste, aus welchem Grund die Erde untergeht, wäre ja das ganze Schicksal vielleicht besser zu ertragen, als wenn man im Dunkeln tappt. So wie Theo James in dem 2019 auf Netflix veröffentlichten endzeitlichen Roadmovie How it Ends. Das Problem an Titel und dazugehörigem Film: Man weiß eben nicht, wie es endet. Und schon gar nicht wodurch. Nur so viel: Irgendetwas ist passiert. Etwas ganz Schlimmes. Vielleicht der endgültige Kollaps aufgrund zu hoher Energiepreise? Margin Calls überall? Alles reine Spekulation. Was das amerikanische Volk im Osten des Kontinents, genauer gesagt in New York, als erstes zu spüren bekommt, sind Flugausfälle und eine gekappte Verbindung in den Westen. Für Theo James als werdender Vater Will eine schreckliche Sache, weilt doch die werdende Mutter in der eigentlichen Heimat Seattle, während Will geschäftlich nach New York hat fliegen müssen und dort auch gleich seine Schwiegereltern besucht. Mit Schwiegervater Tom, dargestellt von einem rollenbedingt etwas angriffslustigen Forest Whitaker, hat der Mittdreißiger so gut wie gar nichts gemeinsam, doch die angeheiratete Familie kann man sich eben nicht aussuchen. Als Vater Tom sich anschickt, mit dem Auto gen Westen aufzubrechen, um nach dem Rechten zu sehen, muss Will sich anschließen. Wie in einem Roadmovie dieser Art zu erwarten: Je weiter und je länger beide unterwegs sind, desto apokalyptischer wird die ganze Situation. Und je apokalyptischer diese wird, desto näher rücken die beiden Sturköpfe zusammen, um ihr Ziel zu erreichen.

Während man im Kometenkatastrophendrama Greenland längst wusste, was auf einen zukommt, konnte sich Ric Roman Waugh vollkommen auf das Bewältigen sämtlicher Probleme zum Überleben der Spezies konzentrieren. How it Ends fährt die kontinentale Angelegenheit auf eine Tour of Duty hinunter, die mit den üblichen Komplikationen aufwartet, denen Durchreisende eben mal so begegnen, greift die Anarchie langsam um sich. Whitaker verleiht dem Abenteuer so etwas wie Würde, seine gönnerhaft-resolute Erscheinung als Ex-Marine (was man ihm allerdings nicht so ganz glauben mag) weckt Interesse, und ja, man würde den Mann, würde er am Straßenrand stehen, einfach aufgrund seines Charismas mitnehmen, damit die Fahrt nicht so langweilig wird.

Für Langeweile sorgt die Dystopie dankenswerterweise nicht. Denn David Rosenthal, dessen 2019 gedrehtes Remake von Adrian Lynes Jacob‘s Ladder sang und klanglos in der Versenkung verschwand, lässt die Karotte für den hinterherhoppelnden Hasen – in diesem Fall wir Zuseher – lange genug vom Heck seines staubaufwirbelnden Fahrzeuges baumeln. Diese Karotte: sie ist der wahre Grund für das Desaster. Und Rosenthal, er schweigt. Lässt Rauchsäulen in den Himmel steigen, lässt gar nicht mal wissen, ob sich das ganze nur als nationale oder gar globale Tragödie ausgestaltet. Lässt Straßen sperren und vertröstende Worte von einem selbst recht ratlosen Militär spenden und manch vertrauten Bekannten aufgrund der Extremsituation zu einem psychisch labilen Verbrecher mutieren. Das wiederum scheint wenig glaubhaft, gönnt uns am Ende aber endlich den Thriller, den How it Ends die ganze Zeit auf der Straße vor sich hertrieb, während hinten eben das Gemüse lockt. Was zu spät kommt, bezahlt man im Film mit Kreativität. Leider auch in diesem Fall, denn die Fahrt von Schwiegervater und -sohn hätte auch ein ganz normales, aber gelungenes Generationendrama sein können.

How It Ends

The North Sea

ROHSTOFFJUNKIES AUF ENTZUG

5/10


northsea© 2022 Koch Films


LAND / JAHR: NORWEGEN 2022

REGIE: JOHN ANDREAS ANDERSEN

CAST: KRISTINE KUJATH THORP, HENRIK BJELLAND, ROLF KRISTIAN LARSEN, BJORN FLOBERG U. A.

LÄNGE: 1 STD 46 MIN


Diesmal ist es nicht das Verschulden eines multinationalen Ölkonzerns wie BP, der im Falle der Katastrophe von Deepwater Horizon bis heute ganze Küstenstriche Nordamerikas auf dem Gewissen hat. Diesmal ist es die Erde selbst, die sich räuspert – in spürbaren Bad Vibrations tief unterhalb des Meeresspiegels, und genau dort, wo norwegische Ölplattformen das Gebiet bereits durchlöchert haben wie einen Schweizer Käse. Bei so viel Perforation mag Gaia die lästigen Kletten gerne abschütteln – was sie auch tut. Das große Krachen beginnt, Öl sprudelt hoch und zeigt sich brennbar, während der Stahlbeton ächzt und knarrt und alles irgendwann irgendwie explodiert. Bevor es aber so weit kommt, gelingt dem fiktiven Konzern Ekofisk, seine Belegschaft per Helikopter in Sicherheit zu bringen – bis auf einen Mann, natürlich selbstloser Familienvater mit ehrbarem Gewissen, der im letzten Moment noch das letzte Bohrloch dicht machen will, bevor Schlimmeres passiert. Nun: es passiert Schlimmeres, Wasser dringt in den Schacht, die Helis sind längst weg. Geht natürlich nicht, dass genau die Bezugsperson für uns Zuseher hier eines frühzeitigen Todes stirbt. Diese verschanzt sich und hofft auf Rettung, die gegen jedwede Vernunft auch in die Wege geleitet wird.

Einige haben’s schon immer gewusst, dass dieses getriebene Schindluder mit den maritimen Ressourcen irgendwann nicht mehr ungestraft bleiben kann. Regisseur John Andreas Andersen (The Quake) lässt den fossilen Brennstoff auf eine Weise über die kräuselnden Wellen schwappen, dass einem fast mulmig wird. Und es wird klar: eine so verheerende Ölpest kann uns jederzeit blühen, das ist keine krude Science-Fiction, sondern ein greifbares Szenario, ungefähr so wie der allseits bereits prophezeite Blackout, der uns bald wieder mit Feuerstein und Zunder hantieren lassen wird.

Abgesehen von diesen mahnenden und durchaus finsteren Blicken in die Zukunft, die ebenfalls und nicht zuletzt auch den radikalen Pragmatismus diverser Konzernverantwortlicher abmahnt, findet Andersen sehr schnell den Abschneider von der unangenehmen globalen Thematik auf den effektiv-abenteuerlichen Trekkingpfad eines ganz persönlichen Survivaltrips. Dabei greift The North Sea tief in die Trickkiste. Einige Szenen können in ihrer Opulenz durchaus mit Emmerichs Desastermovies mithalten, da braucht sich niemand verstecken. Wenn die Bohrinsel in sich zusammenstürzt, entbehrt das nicht eines gewissen Showeffekts, der einsetzt, wenn kontrollierte Sprengungen desolater Wohntürme zum urbanen Publikumsrenner werden. Beeindruckend, dieses viele Feuer und der ganze Schutt. Weniger beeindruckend: die relativ banale-Escape-Room-Formel, wenngleich sich der pathetische Öko-Reißer zu einigen wenigen Spannungsspitzen hinreissen lässt, die zum Nägelbeissen einladen. Dabei stellt sich nie die Frage, ob die Helden es schaffen oder nicht, denn in den Werteparametern eines Mainstreamkinos auch aus Europa kann nämlich nicht sein, was nicht sein darf.

The North Sea

The Father Who Moves Mountains

DIE GRENZEN DES MÖGLICHEN

8/10


fatherwhomovesmountains© 2021 Netflix


LAND / JAHR: RUMÄNIEN, SCHWEDEN 2021

BUCH / REGIE: DANIEL SANDU

CAST: ADRIAN TITIENI, ELENA PUREA, JUDITH STATE, VALERIU ANDRIUTÃ U. A.

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Das menschliche Verhalten ist eine Terra incognita an faszinierenden Eskapaden und bizarren Wendungen, ist beeinflusst durch das soziale Umfeld und vor allem auch durch die Erziehung. Es ist vor allem auch eines: des öfteren absolut unlogisch. So richtig glockenhell und klar werden solche Ausformungen dann, wenn eine wie auch immer geartete Extremsituation in greifbare Nähe rückt. Dann wird zumindest vom schwedischen Regisseur Ruben Östlund seziert, was das Zeug hält. Und aufgedröselt, was als Schmach unter den Teppich gekehrt werden soll. Weil es sich nicht schickt, die eigene Unzulänglichkeit einzugestehen. Höhere Gewalt schildert das Verhalten von Menschen während des Abgangs einer Lawine. The Square geht sogar noch einen Schritt weiter und sucht nach der Motivation für Zivilcourage. Was Östlund auf die Leinwand und somit aufs Tapet bringt, schafft auch der Rumäne Daniel Sandu. In ganz anderem Kontext, in einer ganz anderen Geschichte, doch die Katastrophe ist ähnlich dominant. Hier, im Festivalfilm The Father Who Moves Mountains, lotet ein verzweifelter Vater auf der Suche nach seinem Sohn die Grenzen des Möglichen aus. Das kommt gerade richtig in Zeiten wie diesen, wo Überanstrengung und Burnout die Basis dafür sind, immer besser zu werden. Auch wenn schon das Beste gegeben wird.

Dieser Mann, von dem hier die Rede ist, scheint zu seinen Dienstzeiten im rumänischen Geheimdienst so einige Strippen gezogen zu haben. Entsprechend groß ist auch noch sein Einfluss quer durchs Land. Mircea kennt viele und jeden, weiß alles besser und lässt nicht locker, wenn es darum geht, andere soweit verbal zu zermürben, damit diese das tun, was Mircea für richtig hält. Ein anderes Wort dafür ist grenzenlose Überheblichkeit. Der pensionierte Vater eines Sohnes sieht sich aber bald mit einem unlösbaren Problem konfrontiert: Sein Filius gilt zusammen mit seiner Freundin nach einer winterlichen Bergtour in der montanen Wildnis Rumäniens als verschollen. Sogleich setzt Mircea alle Hebeln in Bewegung, will gar selbst auf den Berg, um auf eigene Faust den Schutzheiligen zu spielen. Das gefällt der örtlichen Bergrettung überhaupt nicht – Zivilisten behindern nur die Suchaktion, was rational betrachtet eigentlich vollkommen klar sein sollte. Doch der Ex-Offizier beharrt auf sein Zutun und lässt ein ganzes Team an Geheimdienstlern anreisen, die ihrerseits dem Berg auf die Pelle rücken.

Der Einfluss eines Einzelnen scheint manchmal grenzenlos. Das Menschenmögliche ist bald erreicht, doch die Schmach vor dem Versagen entbehrt jegliche Vernunft. In einer selbstgefälligen und rechthaberischen Eitelkeit plustert sich Schauspieler Adrian Titieni zu einem Helden auf, der meint,  Berge versetzen zu können. Faszinierend und auch erhellend, was Daniel Sandu aus dem verzweifelten Ringen eines Vaters an Verhaltensparametern ausgraben kann. Am Ort des Geschehens, sowohl am Berg als auch im Tal, entsteht die Oligarchie eines Rettungsstaates, die alle Beteiligten nach der Pfeife eines sturen Patriarchen tanzen lässt, den sein eigener Ehrgeiz wie eine Lawine heimzusuchen droht. So tragisch das Schicksal der verschollene Wanderer auch sein mag, umso mehr gerät der Zweck für diesen aussichtslosen Rundumschlag in den Hintergrund. In diesen Momenten erreicht The Father Who Moves Mountains die garstigen Spitzen eines Ruben Östlund und zeigt auf, wo die Nächstenliebe aufhört und das eigene Ego alles andere verdrängt. Dieses sehenswerte, kluge Charakterstück ist übrigens auf Netflix zu entdecken.

The Father Who Moves Mountains