Fountain of Youth (2025)

SCHÄTZE DER WELT UND WIE MAN NICHT NACH IHNEN SUCHEN SOLLTE

3/10


© 2025 Apple TV+

LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: GUY RITCHIE

DREHBUCH: JAMES VANDERBILT

CAST: JOHN KRASINSKI, NATALIE PORTMAN, DOMNHALL GLEESON, EIZA GONZÁLES, CARMEN EJOGO, ARIAN MOAYED, LAZ ALONSO, STANLEY TUCCI U. A.

LÄNGE: 2 STD 5 MIN


Es gibt ein enorm qualitatives Gefälle zwischen Produktionen, die direkt im Stream erscheinen, und jenen, die eine Auswertung in den Lichtspielhäusern ergattern. Hier muss man aber unterscheiden, dass Filme, die anderswo ins Kino kommen, hier in Österreich aber nur digital released werden, nicht zu jenen zählen, die reine Streamingfilme sind. Zu letzterem zählen wiederum Filme, die so tun, als würden sie auf großer Leinwand ausgewertet werden, in Wahrheit aber maximal ein Wöchlein Luxus wie diesen genießen. Vielleicht haben sie ja dadurch die Chance, so manchen Preis abzuräumen, doch sieht man sich die letzte, sündteure Produktion an, für die Apple TV+ ganz schön was springen ließ, ist der Preisverdacht wohl der letzte, der dabei aufkommt.

Fountain of Youth, ein Abenteuerspektakel und Trittbrettfahrerfilm, der sich an etablierten Genrejuwelen wie Indiana Jones, der National Treasure-Reihe und den von mir geschätzten Uncharted-Film dranhängt, wird dabei sogar von allen bisher erschienenen Tomb Raider-Versuchsanordnungen abgehängt, die aber durchaus ihre Eigendynamik hatten. Dieser hier hat davon nichts. Und das, obwohl sich Guy Ritchie dafür verantwortlich zeichnet, der sich als unverkennbarer Stil-Filmer längst etabliert hat. Der mit Klassikern wie Snatch – Schweine und Diamanten, The Gentlemen oder der wohl geglücktesten Disney-Realverfilmung Aladdin ein Unterhaltungskino schuf, das den Spaß an der Freude vermittelt und obendrein noch bewiesen hat, dass er in unterschiedlichen Genres unterwegs sein kann. Das gediegene Abenteuerkino quer über den Erdball ist dann wohl doch nicht so seins, vielleicht auch, weil das Skript von James Vanderbilt (dessen Qualität genauso schwankt wie jene des Regisseurs – siehe White House Down) eine Hetzjagd in zwei Stunden Spielfilmzeit zwängt, die durch das Weglassen sämtlicher narrativer Details so geschmeidig wirkt wie nervöses Channel-Surfen daheim auf der Couch nach zu viel Süßem. Doch was genau ist passiert, warum kann Fountain of Youth einfach nicht abholen?

Wie man die Quelle der Inspiration nicht findet

Ein Abenteuerfilm steht und fehlt weniger durch seine exotischen Schauplätze oder Actionsequenzen, sondern hauptsächlich durch die Synergien innerhalb des Teams. Das muss natürlich nicht immer eine eingespielte Truppe sein, es kann auch Differenzen geben, denn was sich zankt, schafft noch eine weitere sozialpsychologische Ebene. Bei Fountain of Youth haben wir John Krasinski, als Agent Jack Ryan aufgeräumter Tausendsassa, den nur schwerlich etwas aus der Ruhe bringen kann – und Natalie Portman, der es nicht und nicht gelingt, aus ihrer Arthouse-Blase auszubrechen. Ihr steifes Spiel fiel bereits in Thor: Love and Thunder ins Gewicht, diesmal bemüht sie sich als rechtschaffene Filmschwester des auf Speed agierenden Abenteurers Krasinski um jenen Witz, den seinerzeit Catherine Hepburn als Sparring Partnerin von Humphrey Bogart oder Spencer Tracy auf denkwürdige Weise episch werden ließ. Portman scheitert hier, vielleicht auch, weil Krasinski jeden Versuch, hier einen auf Screwball zu machen, durch seine fahrige Oberflächlichkeit im Keim erstickt. Und da ist dann noch Domnhall Gleeson, phlegmatisch, gelangweilt und seit seiner Rolle als General Hux in den Star Wars-Sequels nie wieder in Höchstform. Allein auf weiter Flur bleibt Eiza Gonzáles, sie wünscht sich womöglich, lieber im Uncharted-Universum festzusitzen, als hier den mit der Kirche ums Kreuz hechelnden Schatzsuchern hinterherzujagen.

Dass in einem Genrefilm wie diesem das visionäre Herzblut eines Steven Spielberg schlagen muss, wäre zu viel verlangt. Den Metabolismus hatten das National Treasure-Franchise mit Nicolas Cage oder Uncharted auch nicht, dennoch waren sie durch die Bank mitreißende Eskapismus-Werke, die Lust auf eine Terra incognita machten. Dass man in den schnelllebigen Zeiten wie diesen, wo Millionen gerne auf fragwürdige Weise verpulvert werden, keinen Cent davon ausgibt, um vielleicht die Quelle der Inspiration anstatt jene des ewigen Lebens zu suchen, mag an der Effizienschraube liegen, an der nicht nur Streaming-Giganten drehen. Überall muss alles weniger Zeit kosten, Qualität ist aber ein Umstand, der sich genauso wenig komprimieren lässt wie Wasser. Und so bleibt, wenn wir schon beim flüssigen Element angekommen sind, Fountain of Youth ein gehetztes Zerstreuungsfilmchen ohne Persönlichkeit, dafür aber mit betörenden Momenten fantasievoller Einfallslosigkeit.

Fountain of Youth (2025)

May December (2023)

DAS LEBEN IST EIN ROLLENSPIEL

7/10


maydecember© 2024 Polyfilm


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: TODD HAYNES

DREHBUCH: SAMY BURCH, ALEX MECHANIK

CAST: NATALIE PORTMAN, JULIANNE MOORE, CHARLES MELTON, ELIZABETH YU, GABRIEL CHUNG, ANDREA FRANKLE, PIPER CURDA, D. W. MOFFETT, CORY MICHAEL SMITH U. A.

LÄNGE: 1 STD 53 MIN


Es stand auf der Blacklist der besten, noch nicht verfilmten Drehbücher – das originale Skript von Samy Burch über eine May December-Beziehung – so nennt man den frappanten Altersunterschied eines Paares, der ja an sich kein Problem darstellen würde, wenn beide es wollen. Der aber schnell kriminell werden kann, wenn zum Zeitpunkt des ersten Koitus der Knabe gerade mal 13 Lenze zählt. Dummerweise wurden beide inflagranti erwischt, und aus dem Akt der Liebe entwuchs dazu noch Nachwuchs, den Gracie, verurteilt aufgrund der Verführung eines Minderjährigen, im Gefängnis hat austragen müssen. Der Fall schlug damals ordentlich Wellen, 24 Jahre später ist mehr oder weniger schütteres Gras über die Sache gewachsen, sodass Hollywood damit liebäugelt, einen Film darüber zu machen. Als Hauptdarstellerin soll der Star Elizabeth Berry herhalten. Was Schauspielerinnen und Schauspieler eben so tun, wenn sie eine reale Person verkörpern wollen, die noch unter den Lebenden weilt? Sie fallen den zu interpretierenden Vorbildern insofern auf den Wecker, da sie ihr Rollenstudium in deren Privatleben absolvieren. Elizabeth wird also zum Schatten von Gracie, investigiert nach, sucht den Dialog, stellt Fragen und beobachtet. Langsam aber doch offenbaren sich Geheimnisse, die geheim bleiben, und tun sich Erkenntnisse auf, die vielleicht ein gänzlich anderes Licht auf jene Rollen werfen, die innerhalb der eingeschworenen, unorthodoxen Partnerschaft eingenommen werden. Elizabeths hospitierende Aufgabe nimmt mehr Raum ein als beabsichtigt, der damals minderjährige Joe wird immer mehr aus sich herausgehen – bis klar wird, dass vieles im Leben erreicht, anderes aber auch unwiederbringlich versäumt und verloren scheint.

Todd Haynes hat schon mal mit Julianne Moore gedreht, und zwar das Melodrama Dem Himmel so fern über eine ebenfalls ungewöhnliche Beziehung zu sehr ungünstigen Zeiten. Nach dem subtilen lesbischen Liebesdrama Carol widmet sich der Filmemacher mit dem Gespür für schwer zu fassende Gefühlswelten einem komplexen Familienkonstrukt, bestehend aus zwei Parteien – der früheren Familie von Gracie und der neuen. Dazwischen jede Menge unaufgearbeitetes Dilemma, Kränkungen und zerstörte Leben. Auf der einen Seite steht eben Moore als eine mehrmals auf die Probe gestellte, verletzte Frau, deren Nerven blank liegen. Auf der anderen Natalie Portman als berechnende, stets höfliche Diva, die ihren eigenen Kopf hat und sich somit ihr eigenes Bild macht vom wellenschlagenden Umstand einer verbotenen Liebe, die, keiner weiß es genau, wer auch immer entfacht hat. Wer war die treibende Kraft hinter all dem? Ist es wirklich immer noch Liebe? Oder Pflicht? Oder das Erfüllen einer Erwartungshaltung, um nicht geächtet zu werden?

May December macht keinen Unterschied mehr zwischen Filmrollen und jenen, die man im Leben einnimmt. Das akkurate Drama wirft viele Fragen auf und beobachtet in messerscharfer Genauigkeit die Gefühlslagen der Beteiligten, wobei die Dramatis Personae ordentlich Kreise zieht. Hochkomplex ist Todd Haynes Film geworden, und kaum jemand hätte diese abstrakten, fragilen Gefühlswelten ohne einer differenzierten, kühl-mathematischen Ordnungsliebe darstellen können. Das Mysteriöse in diesem Streifen sind die schwer zu positionierenden Hauptfiguren, die einfach nicht sind, was sie vorzugeben scheinen. Die eine hegt den Verdacht bei der jeweils anderen, dieser schwelende Konflikt gerät aber niemals zum derben Schlagabtausch, sondern bleibt vages Urteil, Vorurteil oder Wunschdenken. Haynes legt Sehnsüchte und Versäumnisse frei, May December ist das impressionistische Geflecht einer eingegrenzten Gesellschaft, die entweder zum Opfer einer spontanen Wollust oder einer echten Zuneigung wurde, wobei man sich fragt, ob letzteres es wirklich wert gewesen war, so viel aufs Spiel zu setzen.

Man darf sich von diesem präzise beobachteten Psychodrama kein mitreißendes Emotionenkarussel erwarten. Vieles bleibt indirekt, nicht alle Geheimnisse werden offenbart, ganz im Gegenteil: Immer mehr kommen hinzu und am Ende ist man genauso schlau wie vorher. Letztendlich ist alles nur Vertrauenssache ohne Gewissheit.

May December ist ein spannender, durchdachter Film – die Qualität von Portman und Moore nochmal zu erwähnen, ist fast schon überflüssig. Beide sind Profis und scheuen sich nicht davor, in die Tiefe ihrer Rollen einzutauchen.

May December (2023)

Thor: Love and Thunder

ALTE LIEBE ROSTET NICHT

6/10


thorloveandthunder© 2022 Marvel Studios / The Walt Disney Company


LAND / JAHR: USA 2022

BUCH / REGIE: TAIKA WAITITI

CAST: CHRIS HEMSWORTH, NATALIE PORTMAN, TESSA THOMPSON, CHRISTIAN BALE, TAIKA WAITITI, RUSSELL CROWE, KIERON L. DYER, CHRIS PRATT, SEAN GUNN U. A.

LÄNGE: 1 STD 59 MIN


MCU-Mastermind Kevin Feige hat zwar jetzt noch alles im Griff – die Tendenz aber, welche die neue Phase des MCU gerade anstrebt, könnte zum Problem werden. Denn all die Figuren, Helden und Antagonisten, die da so antanzen, streben danach, ihr eigenes Ding zu drehen und nicht, wie in der letzten Phase bis zum Endgame, einem gemeinsamen, alles verbindenden roten Faden zu folgen. Moon Knight, derzeit wohl das beste aus dem ganzen Kosmos, hat keinerlei Bezugspunkte mehr zu einem gemeinsamen Nenner. Genauso wenig Ms. Marvel (abgesehen von Idol Carol Denvers) – und jetzt noch weniger: Thor: Love and Thunder. Selbst Dr. Stephen Strange setzt nun, wie man aus der Post Credit Scene seines letzten Abenteuers herauslesen kann, das Multiversum nicht mehr so sehr auf die Agenda seiner Dienste, sondern viel eher die Bekämpfung eines zukünftig wohl mehr in Erscheinung tretenden Herrschers der dunklen Dimension – Dormammu. Mal sehen, wie es weitergeht.

Bei Thor: Love and Thunder jedenfalls sind die Taue gekappt, es geht durchs Universum an Bord des Schiffes der Guardians of the Galaxy. Seit Endgame sind einige Jahre her. Der Gott des Donners muss sich, während er gemeinsam mit der streitlustigen Gang Welten vor Aggressoren rettet, erstmal neu erfinden und letzten Endes, wie alle anderen auch in diesem neuen MCU, einen eigenen Weg gehen. Die Guardians, deren knackiges Cameo bereits anfangs für gute Laune sorgt, finden wir dann wohl in einem anderen Abenteuer wieder, während Thor den Bewohnern des auf der Erde gegründeten Neu-Asgards zu Hilfe eilt. Dort treibt Gorr, ein in Linnen gewandeter, glutäugiger Extremist sein Unwesen, der es auf alle Gottheiten des Uni(nicht des Multi-)versums abgesehen hat. Die Erfolgsquote ist Dank eines bestimmten magischen Schwertes relativ hoch, und so fürchten auch die nordischen Heiligen um ihre Existenz. Während Thors proaktivem Einsatz gegen den Schurken und seine Schattenmonster läuft ihm seine alte Flamme Jane (nicht Jodie) Foster über den Weg, die ganz genauso aussieht wie er, nur eben weiblich. Sie schwingt obendrein noch Mjöllnir, während Thors Axt auf beleidigt tut. Klar, dass beide die Challenge auf sich nehmen und sogar dem griechischen, etwas dekadent gewordenen Gottvater Zeus (passend: Russell Crowe) begegnen, um Hilfe von ihm zu erbeten.

Ja, es darf auch in Taika Waititis zweitem Ausflug durch die knallbunte Phantastik eines überbordend diversen Kosmos geschmunzelt und manchmal gelacht werden, selten jedoch mitgefiebert. Der Neuseeländer, dessen infantil-lockerer Erzählstil bei Thor: Tag der Entscheidung einschlug wie eine Bombe und frischen Wind in das Franchise blies, fühlt sich auch bei Love and Thunder so siegessicher wie noch nie. Was ihm vielleicht ein bisschen wie ein Knüppel zwischen die Beine fährt. Statt als Gott des Donners gibt Chris Hemsworth den Gott der Selbstironie – alles ist nur noch mit Augenzwinkern zu genießen; und falls nicht, dann gleicht Buddy Korg (Taika Waititi) mit seiner naiv-ehrlichen Art allfällige Defizite aus. Auf der finsteren Seite: Christian Bale in seinem Marvel-Einstand. Eine eindrucksvolle Gestalt, präzise ausformuliert – millelalterlich, episch und vom Grimm überwältigt. Und ernstzunehmend. Dazwischen weiß Natalie Portman nicht so recht, wie sie denn ihre Figur anlegen soll? Ironisch, ernsthaft, spaßig? Kleine Ahnung. Die Dame aus dem Charakterfach tut sich sichtlich schwer, für ihre Rolle Leidenschaft zu empfinden. Denn nebst Waititis ausgelassenem Weltraumfasching zwischen Flash Gordon und dem Best of Guns N‘ Roses hängt die Dramatik ziemlich durch.

Natürlich sind Schauwerte und Effekte deluxe – ein Film, den man, wenn überhaupt, im Kino gesehen haben muss. Doch Waititi greift zur Blaupause seiner bewährten und lobend besungenen Versatzstücke, während der Plot (entführte Kinder, wie oft noch?) verblüffend ideenlos bleibt. Über echte Empfindungen macht sich Waititi alsbald lustig, additive Charaktere bleiben flach, abgedroschene Floskeln über Liebe – sei sie väterlicher oder partnerschaftlicher Natur – bemühen das müde Auge und das abgekaute Ohr. Aber immerhin: Wir haben fetzigen Hard Rock, übertrieben oft eingesetzte Freeze Frames, die Thor wie Winnie Puuhs Freund Tigger als Springinsfeld über spinnerte Invasoren hereinbrechen lassen. Und ein Götter-WhoisWho, das zumindest allen irdischen, spirituellen wie folkloristischen Ansätzen ihre Legitimität erlaubt.

Dieses Mal hat sich der Gott des Donners neu erfunden – das nächste Mal wird’s wohl Taika Waititi selbst sein müssen, der seine filmischen Prioritäten gerne neu ordnen darf.

Thor: Love and Thunder

Vox Lux

DAS TRAUMA EINES POPSTARS

5,5/10


voxlux© 2019 Kinostar


LAND / JAHR: USA 2018

BUCH / REGIE: BRADY CORBET

CAST: NATALIE PORTMAN, JUDE LAW, RAFFEY CASSIDY, STACY MARTIN, JENNIFER EHLE, MARIA DIZZIA U. A. 

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Warum genau wollen das manche – ein Star werden? Ist es wirklich nur Ruhm und Reichtum? Diese Stars – sie können sich alles kaufen, alles leisten und haben Einfluss. Einfach sie selbst sein können sie nicht. Ausruhen können sie nicht. Unerkannt bleiben können sie nicht. Auf allen Kirtagen müssen sie sein, um die Erfolgssuppe am Köcheln zu halten, sonst ist der Stern ganz schnell ein sinkender. Aber vielleicht ist dieser Prozess letzten Endes das Beste, was passieren kann. Bleibt nur, es zuzulassen.

Zu solchen Gedanken gelangt man – muss man ganz einfach gelangen, wenn am Screen Natalie Portman als unausstehlicher, weil seelisch zerrütteter Popstar Celeste so gut wie alles Offensichtliche im Leben erreicht zu haben scheint – nur nicht das, worauf es ankommt.

Dabei nimmt das Leben dieser fiktiven Persönlichkeit, die um die Jahrtausendwende den Pophimmel erobern wird wie im tatsächlichen Leben Lady Gaga oder ihresgleichen, in ihren Teenagerjahren eine erschreckende Wendung. Celeste wird Opfer eines schulischen Amoklaufs, kommt mit dem Leben davon. Zwei Narben verunstalten Hals- und Bauchbereich, seitdem erschweren Kreuzschmerzen den Alltag. Bei einer Gedenkfeier für die Opfer des Anschlags fängt Celeste zu singen an – und wird über Nacht zur Ikone. Ihre Stimme findet bald den richtigen Agenten (Jude Law), der das Mädchen vom Aufnahmestudio bis zur Bühne überallhin begleitet. Und ja: dieses scheinbar von allen psychischen Schmerzen unberührte Individuum schafft es, ganz groß rauszukommen. Nur: sagenhafte Popularität hat ihren Preis. Das ist fast so wie ein Pakt mit dem Leibhaftigen, der die materielle Welt zu Füßen legt, während die wahren Werte ihm ganz alleine gehören.

Kurz mal nachgedacht: es gibt kaum einen Film über Stars ohne Schattenseiten. In den meisten Fällen dominieren sie die Biographie. Auch in A Star is Born hat zwar Lady Gaga das große Los gezogen, Bradley Cooper allerdings gibt sich nach zahlreichen Besäufnissen den Strick. Es scheint, als wäre das Star-Dasein ein Fluch aus Versuchung und dem Rausch des Mittelpunkts. Kann sein, dass Brady Corbet sein Glamour-Drama als kritische Antithese auf den in allen Farben schillernden Traum vom Showbusiness sieht. Hier ist gar nichts schillernd und schmuck, nicht mal die ausladende Stage-Sequenz von Celeste im Glitter-Look, in welcher sekündlich merkbar scheint, wie mühsam diese Performance sein muss. Wie sehr sich dieser ohnehin schon durch alle Öffentlichkeit hindurchverwurstete Mensch sich wegdenkt, während der Automatismus das eingelernte Programm abspult. In Vox Lux ist der Erfolg ungefähr so elektrisierend wie ein Suchtgiftentzug. Vox Lux ist schwerfällig und larmoyant, ein bisschen überkünstelt und von ermüdender Exaltiertheit, die schon beim Zusehen das Verlangen nach einer eigenen Auszeit weckt. Dieses öffentliche Leben fühlt sich verklebt und verdreckt an – unterm Strich falsch. Da setzt Natalie Portman in ihrer heillos überzogenen Darstellung des kurz vor dem Nervenzusammenbruch stehenden Superstars dem vermurksten Leben noch die Krone auf, in dem sie im klappernden Stelzschritt und aufgebrezelt bis zum Barock-Theater ihre Authentizität verscherbelt.

Befriedigung kommt bei diesem Drama, welches wie eine Oper in mehrere Akte unterteilt ist und hörspielmärchengleich von einem Erzähler aus dem Off begleitet wird, keine auf. Der fahle Nachgeschmack eines nie aufgearbeiteten (amerikanischen) Terror-Traumas und einer latenten Unversöhnlichkeit dem Leben gegenüber sediert jede Szene. So ist das, wenn der Teufel einen Deal macht.

Vox Lux

Lucy in the Sky

DIE WELT IST NICHT GENUG

5/10

 

lucyinthesky© 2019 Walt Disney Company

 

LAND: USA 2019

REGIE: NOAH HAWLEY

CAST: NATALIE PORTMAN, JON HAMM, ZAZIE BEETZ, ELLEN BURSTYN, DAN STEVENS U. A. 

 

Ehrgeiz und Obsession dürften Natalie Portman nicht fremd sein. Den Oscar für Black Swan hat sie ja nicht einfach nur so gewonnen, sondern weil sie genau das – Obsession, Leistungsdrang und Wahnsinn – sehr nachvollziehbar darstellen konnte. Im Astronautendrama Lucy in the Sky kann sie die Karten für ihre Figur einer gnadenlosen Ich-AG neu mischen und mit neuen Aspekten versehen – zum Beispiel mit dem Aspekt der begrenzten Kapazität des menschlichen Geistes, der es nicht auf die Reihe bringt, die furchteinflößende und gleichzeitig faszinierende Größe des Alls zu begreifen. Lucy Cola zählt zu jenen Kandidaten, die zwar rein physisch und kognitiv gesehen die Erfordernisse eines Astronautenjobs bis zur Perfektion hin erfüllen, die aber mit dem, was sie gesehen haben, nicht mehr klarkommen. Was wird eine solche neue Wahrnehmung wohl bewirken? Nun, die Kleinheit und Nichtigkeit des Menschseins wird deutlicher, das große Ganze greifbarer, unsere scheinbare Verlorenheit in dem ewigen Schwarz führt zu Beklemmung. Es ist ein Wegsehen von einer Wahrheit, die das Denken sprengt. Da braucht es einen in sich ruhenden, rationalen Geist. Kein Sinnieren und Philosophieren. Bereits an der orbitalen Schwelle Richtung Unendlichkeit stehend, gibt es für eine labile Seele keinen Platz mehr.

Lucy hat das selbst nicht kommen sehen, so scheint es zumindest. Wieder zurück vom Einsatz auf der Raumstation, erscheint alles andere nicht mehr wichtig, es ist wie eine Sucht nach einer starken Droge, fast schon der Blick in eine alternative Realität, die um so vieles schöner ist als das Dasein in den eigenen vier Wänden. So werden diese auch zum Gestaltungsapparat für Regisseur Noah Howley und Kamerafrau Polly Morgan. Ihr Film, einer der laut IndieWire wohl am meisten erwarteten Produktionen 2019, variiert stetig das Bildformat – von 16:9 auf 4:3, dann wieder haben wir ein Superpanorama, das sich wie ein horizontales Band vom linken zum rechten Bildschirmrand zieht. Ganz klar, was damit bezweckt werden will. Jenseits des Weltalls, zurück auf den Boden des Alltags, gilt nur noch das althergebrachte Fernsehformat von früher, es unterstützt Natalie Portmans Wahrnehmung von der quälenden Enge ihres Daseins. Portman macht das ganz gut, sie findet keine Ruhe mehr, das Zuhause ist ein Platz der Abwesenheit, ihr Ehemann fast nur noch Staffage, dafür aber die Chance auf einen Seitensprung mit einem als Frauenheld verschrienen Nasa-Kollegen (Jon Hamm) zumindest so etwas wie ein Kick in eine andere Richtung, denn so, wie sie bislang zu leben gewohnt war, kann es nicht bleiben. Am Liebsten wieder zurück ins All, zur nächsten Mission. Dumm nur, dass ihr Liebhaber bereits auf eine ganz andere Kollegin schielt.

Inspirieren ließ sich der Film von wahren Begebenheiten. Interessant, was man davon alles ableiten kann. Zum Beispiel die Überlegung, ob der Mensch mal überhaupt und prinzipiell dafür geschaffen ist, als solcher Terra den Rücken zu kehren. Ähnliche Ansätze hatte auch Claire Denis odysseeisches Drama High Life. Andererseits handelt Lucy in the Sky auch von Ablehnung und Kränkung, vom Gefühl, nicht verstanden zu werden, ähnlich wie Michael Douglas als D-Fense in Falling Down. Von beiden Filmen finden sich für mich in Howleys Werk Assoziationen, der Fall Lucy Cole ist also komplexer, als vermutet. Weniger komplex ist das dramaturgische Konzept. Meines Erachtens nach ist Lucy in the Sky längst nicht so lahm und schon gar nicht so unnahbar geworden wie manche Kritiker meinen. Dafür aber relativ zäh und vor allem in der ersten Halbzeit mit erzählerischem Vakuum angereichert. Das hätte straffer gehen können, da hat das Ganze schwermütige Längen, die sich alles andere als schwerelos anfühlen und etwas den Kopf brummen lassen: Vielleicht auch wegen des ständigen Formatwechsels, der zwar gut gemeint ist, der aber nur schwer eine einheitliche Bildsprache oder gar einen einheitlichen Stil zulässt. Experimentell ist das schon, doch ein bisschen zu knieweich und von einer inneren Unruhe erfüllt. Womöglich geht es Heimkehrern aus dem Orbit ähnlich. Allerdings: angesichts dieser filmischen Spirale abwärts ist der Weltraum nichts, wohin der Mensch streben sollte.

Lucy in the Sky

Eine Geschichte von Liebe und Finsternis

WEDER MILCH NOCH HONIG

5,5/10

 

geschichteliebefinsternis© 2016 Koch Media

 

LAND: ISRAEL, USA 2015

DREHBUCH & REGIE: NATALIE PORTMAN

CAST: NATALIE PORTMAN, GILAD KAHANA, AMIR TESSLER, OHAD KNOLLER U. A.

 

Aus dem Steckbrief von Natalie Portman die Frage: Welches ist ihr Lieblingsbuch? Die Antwort könnte klipp und klar lauten: Eine Geschichte von Liebe und Finsternis, nach den Kindheitserinnerungen von Amos Oz, und zum Gedenken an dessen Mutter. Portman, die hat für diese israelische Produktion alles selber gemacht, also zumindest das Wichtigste. Das wären Drehbuch, Regie und Hauptrolle. Beachtlich, das ist ganz schön viel Arbeit. Gut, dass sie Kamera und Schnitt jemand anderem überlassen hat. Wer so viel Herzblut und Arbeitszeit in einen Film investiert, muss vom zu erzählenden Stoff sehr angetan sein. Die gebürtige Israelin, die mit drei Jahren nach Amerika auswanderte, dürfte mit Amos Oz´ früher Geschichte irgendwie verbunden sein. Der mehrfach ausgezeichnete und mit Preisen überhäufte Israeli hätte Portmans Film womöglich noch sehen können – 2018 starb er an einem Krebsleiden.

Keine Ahnung, wie er diesen Film gefunden hätte. Hatte er Mitspracherecht bei dieser Inszenierung? Die Oscar-Preisträgerin passt jedenfalls sicher sehr gut zumindest mal in meine Vorstellung von einer intellektuellen, emotionalen und verträumten Mutterfigur, die sich nach der Flucht aus Polen in Jerusalem von allen ihren Träumen entledigt sieht. Dabei wollte Mutter Oz (eigentlich nur ein Künstlername, ursprünglich hieß die Familie Klausner) so viel aus ihrem Leben machen. So viel erreichen. Stattdessen gelingt das mehr schlecht als recht ihrem Gatten, der sich als Schriftsteller versucht und unwissentlich von Branchenkollegen unterstützt wird, indem sie seine Bücher aufkaufen – auch eine Form von Motivation. Das andere Ende der Fahnenstange ist die Mutter, die zusehends depressiver wird, an chronischen Kopfschmerzen leidet und irgendwann nur noch apathisch in der Gegend herumsitzt, egal ob es regnet, stürmt oder schneit, und irgendwann ganz einfach nicht mehr will. Wie war das bei Hape Kerkeling und seinem Jungen, der an die frische Luft muss? Ziemlich ähnlich. Dessen Mutter litt an einer Krankheit, bei welcher der Geruchs- und Geschmackssinn abhandenkommen. Kerkelings Biographie hat etwas unglaublich Trauriges – auch Amos Oz´ Biographie sollte dies haben, aber im Gegensatz zur Kinderausgabe des Komikers kommt man der Kinderausgabe von Amos Oz nicht wirklich nahe.

Der Mutter aber auch nicht. Manchmal ist es schwer auszuhalten, dieses Theatralisieren des eigenen Schicksals. Portman setzt sich selbst als märtyrerhafte Leidensfigur in Szene, als resignative, vom Soll-Leben enteignete Hoffnungslose. Der Junge tut, was er kann, um den Lebensstandard so, wie er ihn kennt und niemals anders gekannt hat, aufrechtzuerhalten. Was für eine schwierige Kindheit unter diesen Voraussetzungen. Was noch dazukommt, sind die politischen Unruhen, die britische Besatzung. Tage, die Geschichte geschrieben haben, gipfelnd in der Ausrufung des eigenen Staates und gefolgt von einem Krieg, den die Familie des Schriftstellers ungefiltert miterleben muss.

Natalie Portman verknappt diese Autobiographie in verdaulicher Spielfilmlänge und setzt ihren Fokus natürlich auf sich selbst, während Klein-Amos sowie dessen Vater um die häusliche Inkarnation des Leidens herumscharwenzeln und ihr Ding durchziehen. Ein Film über ein nachhallendes familiäres Trauma namens Mama, diese mit versteinertem Gesicht, harten Kontrasten, manchmal ein Lächeln, wie manisch-depressiv. Klar, dass Israel einen Film wie diesen großzügig finanziert, und klar, dass sie wollten, Portman solle in Jerusalem drehen, dafür gab’s dann noch einen Extra-Bonus. Amos Geschichte ist natürlich eine Zeitkapsel über den inneren wie äußeren Zustand eines fühlbar auserwählten, hart geprüften Volkes, dessen alte Generation vernichtet, und dessen neue das Potenzial hat, etwas aufzubauen. Doch Milch und Honig findet sich bis heute nicht.

Eine Geschichte von Liebe und Finsternis

Auslöschung

DAS UNIVERSUM IN DER SEIFENBLASE

9/10

 

null© 2018 Paramount Pictures / Netflix

 

LAND: USA 2018

REGIE: ALEX GARLAND

MIT NATALIE PORTMAN, OSCAR ISAAC, JENNIFER JASON LEIGH, GINA RODRIGUEZ, TESSA THOMPSON U. A.

 

Wenn der Zweck des Eroberns die Neugier des Menschen heiligt, fühlt sich Homo Sapiens verstanden und beauftragt. Kaum eine Triebkraft ist stärker als die, unbekannte Territorien entdecken zu wollen. Egal, ob fremde Dimensionen oder weiße Flecken auf der Landkarte, verborgene Zusammenhänge in der Physik oder den Geist in der Materie. Blicken wir zurück, war das Entdecken des Unbekannten fast ausschließlich aus wirtschaftlicher Sicht notwendig. Aus Gründen der Gier und neu gewonnener Macht. Alles andere bleibt der Freiheit des Individuums oblegen, durch die Welt zu reisen und Orte zu erschließen. Notwendig war das allerdings nicht. Genauso wenig wie die Erkundung des Universums. Doch würden wir uns danach richten, wären wir keine Menschen. Denn der Mensch will verstehen. Seine Neugier ist so unendlich wie der Kosmos. Gestillt muss sie werden. Und aufgewogen mit Wissen.

In Jeff VanderMeer´s erstem Band seiner Southern Reach-Trilogie wird erstmals die Neugier des Menschen dafür angewandt, die Welt zu retten. Erst dann kommt das Verstehenwollen. Wäre der Schimmer, der sich rund um einen Leuchtturm um Sumpf- und Waldland gelegt hat, nicht im Begriff, sich auszudehnen – gäbe es dann Menschen, die auch ohne Notwendigkeit hinter den in öligem Farbspektrum einer Seifenblase schimmernden Vorhang zu tauchen? Womöglich, wenn nicht bekannt wäre, dass Expeditionen, die schon vorher das Mysterium erkunden wollten, als verschollen gelten. Bis auf einen. Und der ist sterbenskrank. Kann sein, dass dieses Wunder einer Rückkehr die Neugier noch mehr anficht. Vor allem, weil der Schimmer, wie es scheint, nichts entdecken, sondern zerstören will. Die Ehefrau des Rückkehrers (erschreckend abgemagert: Natalie Portman), selbst Biologin und mit sinnmachendem Vorwissen für das bevorstehende Abenteuer ausgestattet, macht sich mit drei anderen Wissenschaftlerinnen auf den Weg, das Geheimnis zu lüften. Und dieses Geheimnis würde Denker wie Mönch Gregor Mendel bis hin zum Evolutionsbiologen Richard Dawkins schlaflose Nächte bereiten. Wobei schlaflos das geringere Übel wäre – Albträume, die die Mechanismen der Evolutionslehre dopen, wollen garantiert nicht geträumt werden. Weder von Darwin noch von Carl Sagan. Von mir schon gar nicht. Noch unwohler wird mir, wenn diesen Albträumen eine rudimentär machbare Realität zugrunde liegt. Wie die Maus und das Ohr, welches dem Tier aus dem Rücken wächst. Verantwortlich dafür sind die sogenannten Hox-Gene, die den Bauplan eines Tieres oder einer Pflanze in sich tragen, und die genau wissen, wo welcher Teil eines Körpers wie zu wachsen hat. Hox-Gene sind das Grundkonzept einer Lebensform. In diesen Genen harren Unmengen an Informationen ihrer endgültigen konstruktiven Bestimmung. Einige dieser „Befehle“, wie ich sie mal nenne, sind ausgeschalten. Andere nicht. Bringt man dieses Aus und Ein durcheinander, entstehen Monster. Missgeburten. Und bestenfalls neue, effiziente, perfekt angepasste Lebensformen. Neue Arten. Aus der Mikro- wird die Makroevolution. Über Äonen hinweg. Gene, so der Biologe Dawkins, können egoistisch sein. Sie sind die wahren Organismen, die wie Puppenspieler das Leben erschaffen und es leiten. Die Gen-Kolonie Mensch dirigieren, auf die Welt kommen und sterben lassen. Durch die Vererbungslehre kann ein Gen in seiner Information niemals verschwinden. Schon gar nicht, wenn es geklont wird. Oder selbst in einer Art mikroskopischen kambrischen Radiation auf explodierende Weise improvisiert.

Damit komme ich wieder zurück zu Auslöschung, zu diesem Faszinosum von Film über ein Universum in der Seifenblase, dessen Bedeutung ich mal nur ein ganz klein wenig versucht habe, zu erklären. Denn leicht macht es Alex Garlands überraschende Odyssee ins Unbekannte niemanden. Das hatte der Drehbuchautor und Regisseur von Ex Machina auch gar nicht vor. Die Geschichte, die er erzählt, lebt in der Tradition osteuropäischer Phantasten wie Stanislaw Lem, der mit Solaris gleich einen ganzen telepathischen Planeten als kollektiven Organismus beschreibt und den Gebrüdern Strugatzki, die mit Picknick am Wegesrand, verfilmt unter dem Titel Stalker, Menschen in eine verbotene Zone schicken, in der Naturgesetze aufgehoben und die innersten Wünsche wahr werden. So ähnlich wie Stalker lässt sich Auslöschung tatsächlich auch betrachten. Beide Menschengruppen betreten eine Zone des Fremden, in der gewohnte Paradigmen außer Kraft geraten oder neu justiert werden. Andrej Tarkowskij hat mit Stalker ein metaphysisches Meisterwerk der intellektuellen, philosophischen Science-Fiction erschaffen. Mit Auslöschung wäre der russicche Filmemacher sehr zufrieden gewesen, vielleicht sogar ein bisschen neidisch. Weil Alex Garland mit seinem außergewöhnlichen, bedächtig erzählten Entwurf, in dessen Ruhe die eigentliche Kraft liegt, etwas nicht weniger Beeindruckendes zustande gebracht hat.

Schon klar, warum Paramount Auslöschung nicht wirklich auf die breite Masse loslassen wollte. Denn Auslöschung ist nach Interstellar von Christopher Nolan und Arrival von Denis Villeneuve eine weitere Perle extraordinären Kopfkinos, die mögliche Utopien, Gedankengänge und Hypothesen in entfesseltem Schaffensdrang illustriert und anspruchsvolle Fabulierkunst für neugierige Zielgruppen zaubert. Auslöschung verstört gleichermaßen wie es betört. Und wirkt so beklemmend wie in seiner Ästhetik verwundernd. Einzutauchen in diesen scheinbar surrealen, aber in Wahrheit unglaublich plausiblen, psychedelischen Wahrnehmungstrip führt zu einem Erlebnis, das man gerne im Kino gesehen hätte – der aber auch am TV-Gerät seine Wirkung nicht verfehlt. Auslöschung mag durchaus Elemente des Horrorkinos aufweisen, Elemente des Survivalthrillers, Elemente eines stillen Psychodramas. Unterlegt mit einem außerordnetlich sphärischen, wuchtigen Sound komponiert Garland aus allen Teilen eine so grausam schöne Kinoerfahrung, die lange nachhallt, zum Denken anregt, neugierig auf die Welt und ihr Funktionieren macht und das Bewusstsein schafft, dass das Medium Film doch noch reine, fordernde Magie sein kann, ohne auf Marktforschung aufbauen zu müssen. Wie hat Stephen Hawking schon gesagt: Erinnern Sie sich daran, nach oben zu den Sternen zu blicken – und nicht nach unten auf Ihre Füße. Versuchen Sie, einen Sinn zu erkennen in dem, was Sie sind, und fragen Sie sich, was das Universum existieren lässt. Seien Sie neugierig!

Genau diesen Imperativ hat sich das Medium Kino mit Garland´s neuem Film zu Herzen genommen.

Auslöschung

Jackie

DIE PASSION DER FIRST LADY

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jackie

Der 22. November 1963 muss wohl ein Tag gewesen sein, der die Weltbevölkerung erschauern ließ. Meine Eltern können sich noch genau an diesen Tag erinnern, ebenso wie wir uns noch an den 11. September erinnern können – und niemals vergessen werden. Die Bilder kennen wir alle. Wenn man nicht schon in der Schule damit konfrontiert wurde, dann spätestens bei Oliver Stone´s Politthriller JFK – Tatort Dallas. Bilder, die Geschichte geschrieben haben. Wenn sich Jackie Kennedy in ihrem rosafarbenen Kaschmirjäckchen über das Heck der Limousine beugt, um die Schädelfragmente ihres ermordeten Mannes einzusammeln, manifestiert sich das Grauen politischen Terrors in Bild, Farbe und Ton. Kaum eine Ermordung wurde so akribisch dokumentiert wie jene von John F. Kennedy. Man hat das Gefühl, dass die amerikanischen Medien anders ticken als alle anderen. Dass die den gewissen sechsten Sinn haben. Dass sie wissen, wo sie sein müssen, um globale Paradigmenwechsel rechtzeitig und perfekt ins Bild zu rücken. Das war 1963 in Dallas so, das war auch beim 11. September so. Selbst die Ermordung von Lee Harvey Oswald gibt es auf Band. Was es aber nicht auf Band gibt, das sind die Tage nach dem verstörenden Attentat, aus der Sicht von Amerikas First Lady Jackie. Tage der Trauer, der Verzweiflung, der Wut. Und Tage der eigenen Ohnmacht. 

Was der chilenische Filmkünstler Pablo Larrain (No!, Neruda) daraus gemacht hat, ist die distanzlose Apotheose einer Ikone. Ein filmisches Close Up des erahnten Konterfeis einer leidenden Maria Magdalena. Die Biografie – ein Gesicht in verschwenderischer Mimik. Larrain reduziert die Passion der heiligen Jaqueline auf eine Diashow formatfüllender Portraits. Die Kamera, der Regisseur, das Drehbuch – sie kennen keine Gnade und rücken der Trauernden ungemein anstandslos auf die Pelle. Ein Schritt zurück, und was bleibt, sind die gähnenden, spärlich möblierten Räume des Weißen Hauses. In diesen Momenten erinnert Jackie an den Stil eines Stanley Kubrick. Womöglich hätte der 1997 verstorbene Kultregisseur zu diesem sehr speziellen Thema einen ähnlichen Film gemacht. Den Momentaufnahmen eines politisch motivierten Mordes und seiner Folgen geht sehr bald das relevante Drumherum der Geschehnisse abhanden. Was bleibt, ist eine Frau, die man aus den Medien kennt und gekannt hat. Und die, reduziert auf ihre Trendsetter-Mode und ihren Haarschnitt, nur bröckelnde Fassade bleibt. Die Tür in das Innere der Jackie Kennedy aufzustoßen, das gelingt diesmal nicht einmal der von mir sehr geschätzten Natalie Portman. Sie bleibt in Larrain´s Film lediglich eine Person der Öffentlichkeit. Eine, mit der man mitleiden, mitweinen und mithadern kann. Die aber das Terrain einer Boulevardpresse nicht verlässt. Im Gegenteil – die Schwärmerei der Regie entartet in einer Überstilisierung, die man aus dem Propagandakino einer Leni Riefenstahl kennt. Geht es dabei aber wirklich um Jackie Kennedy? Oder um Natalie Portman? Hat Noah Oppenheim das Drehbuch für Portman geschrieben? Oder war es umgekehrt? Jedenfalls dürften beide Personen beim chilenischen Filmemacher einen persönlichen Hype ausgelöst haben. Und ohne Zweifel, Portman gibt alles. Einmal verklemmt kokettierend mit der Kamera, beim Zitieren eines Filmes aus den frühen Sechzigern, der einen Rundgang durchs Weiße Haus beschreibt. Einmal in ihrer erschütterten Trauer resignierend und ihr neues Ich suchend, das schneller verfügbar sein musste als man im Grunde verlangen kann. Einen trauernden Menschen kann man nicht drängen. Einen selbigen, der noch dazu in der Öffentlichkeit steht, schon. So reflektiert die bildschöne Schauspielerin alle Spektren ihres Könnens und macht aus ihrer darzustellenden Figur eine durch das Unglück des Lebens kämpfenden Apostelin, die nicht nur um das Andenken ihres Ehemanns, sondern auch um das eigene bemüht ist. Damit haben wir aber auch schon den einzigen reflektierenden Aspekt, verkörpert durch einen namenslosen Journalisten, der unbequeme Fragen stellen darf, dem aber verboten ist, Gesagtes publik zu machen.

Dennoch: Jackie Kennedy bleibt auch nach diesem Interview eine Unbekannte, bleibt doch ihr Charakter in ihrem Ausnahmezustand verzerrt. Wie und wo sie gelitten hat, was sie womöglich gedacht und wozu sie imstande gewesen wäre – die Interpretation besteht aus Verhaltensweisen, die jedem trauernden Menschen eigen sind. Somit bleibt Jackie eine filmische Spekulation und eine haltlos übertriebene Ikonografie, die sich in den Zügen Natalie Portmans suhlt und ihr wie auch der späteren Onassis-Gattin bar jeglicher Behutsamkeit in der Inszenierung ein Ungetüm von Denkmal errichtet. Ein künstlerischer Film, durchaus. Aber im wahrsten Sinne des Wortes ein Facebook-Bericht, gespickt mit distanzlos-distanzierten Profilbildern aus dem tief getroffenen Establishment.  

Jackie