Mission: Impossible – The Final Reckoning (2025)

WIE MAN EINE KI FÄNGT

7/10


© 2025 Paramount Pictures


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: CHRISTOPHER MCQUARRIE

DREHBUCH: CHRISTOPHER MCQUARRIE, ERIK JENDRESEN

CAST: TOM CRUISE, HAYLEY ATWELL, SIMON PEGG, VING RHAMES, ESAI MORALES, POM KLEMENTIEFF, GREG TARZAN DAVIS, HENRY CZERNY, ROLF SAXON, SHEA WIGHAM, ANGELA BASSETT, MARIELA GARRIGA, MARK GATISS U. A.

LÄNGE: 2 STD 50 MIN


Was hat er denn diesmal wieder angestellt, dieser ewig junge Sunnyboy, der bereits mehr als sechzig Lenze zählt? Tom Cruise scheint wie in Edge of Tomorrow tatsächlich in einer Zeitschleife festzustecken, in welcher er jedes Mal einen neuen Mission: Impossible-Film mitgestalten und produzieren muss. Zum Glück übernimmt die Regie Christopher McQuarrie, der das Franchise längst im Blut hat und selbst im Halbschlaf das Go für den Sprint seines Stars quer durch London erschallen lassen kann. Dieser Sonnyboy, der fährt diesmal nicht mit einem Motorrad über die Klippe. Diesmal hängt er an einem Vintage-Doppeldecker fest, während ihm der Fahrtwind die Wangen massiert und das freche längere Haar nach hinten wehen lässt.

Man sieht auch im Film, dass Tom Cruise unmöglich nur getan hat, als würde er an einem Flugzeug hängen. Die Anstrengung steht ihm ins Gesicht geschrieben, und nicht nur einmal hat ihn dieser Stunt so viel abverlangt, dass er vom Set getragen werden musste. Mit dieser minutenlangen Verfolgungsjagd in den Lüften und knapp über dem Gelände eines wilden Südafrikas hechelt und hechtet das Grande Finale der Mission: Impossible-Reihe – und zwar The Final Reckoning – seiner Superlative entgegen, dem Nonplusultra eines schwindelerregenden Stunt-Zirkus, um welchen das ganze narrative Konstrukt des letzten Teils herumgebastelt wurde. Dabei hat McQuarrie, der auch am Drehbuch mitschrieb, nicht vergessen, dass es auch inhaltlich ein „rien ne va plus“ geben muss, einen absoluten Peak, den Achttausender, den Everest aller kniffligen Lagen, aus denen Ethan Hunt und sein Team (stets mit dabei: Ving Rhames und Simon Pegg, zwei Tausendsassa) jemals herauskommen mussten.

Obwohl die Doppeldecker-Szene die sogenannte Mitternachtseinlage des Films sein soll, gibt der Tauchgang im Polarmeer noch viel mehr her als eine traditionell-analoge Flugshow. Das Kapitel um ein versenktes U-Boot, dessen Inhalt das Schicksal der Welt entscheidet, ist das eigentliche Herzstück, denn weder davor noch danach ist Mission: Impossible – The Final Reckoning jemals besser. Wir haben also das Eiswasser und den Himmel über Afrika, rundherum türmt sich eine haarsträubende Bedrohung wie Gottes Sintflut über allem auf, was auf zwei Beinen läuft. Und was würde sich für diese nicht besser anbieten als eine wahnsinnig gewordene künstliche Intelligenz, die die Menschheit vom Planeten tilgen will, um einen Reboot einzuläuten. Das darf natürlich nicht passieren, und wenn wir uns an Mission: Impossible – Dead Reckoning erinnern, hat dort auch alles angefangen. Erinnern wir uns nicht, erhält der Spaß am Film dadurch kein Defizit. Cruise und McQuarrie haben ihren Schlussakkord so konstruiert, dass es wenig Vorwissen braucht, um einer leider sehr austauschbaren Geschichte zu folgen, die in haarsträubender Überdimensionierung einer Gefahr den James Bond-Eskapaden aus der Ära des Kalten Krieges fast schon das Wasser reichen kann.

Kann es denn wirklich so weit kommen, dass eine KI den ganzen Cyberspace infiltriert, um alles, was irgendwo in einem Netzwerk hängt, irgendwann selbst zu steuern? James Cameron bekommt angesichts dessen seinen nächsten Albtraum, und Skynet feuchte Augen, wenn es denn welche hätte. In diesem absoluten Bedrohungsszenario, in welchem die USA wieder im Zentrum steht, diesmal aber eine integre Angela Bassett anstelle einer jähzornigen Orange auf besagten Knopf drücken muss, ist Ethan Hunt der Auserwählte, der Weltenretter schlechthin – Tom Cruise eben, der glaubt und hofft, auch das Kino zu retten. Unter dieser bibbernden Last der Verantwortung und mit einem Blick zurück auf sieben vorangegangene Teile, angesichts dieser, wie „Luther“ Ving Rahmes beteuert, niemand etwas bereuen muss, zerstört sich das Pathos eines Agentengottes nach fünf Sekunden leider nicht selbst. Andererseits: Kenner der Reihe sind gewohnt und wissen, was auf sie zukommt. Die gleiche Rezeptur wie sonst auch, zwischen Tarnen, Täuschen, Masken und Munition geht es irgendwann nur noch um einen Wimpernschlag, der alles entscheidet. Ganze Sekunden der Entscheidung sind da fast schon gähnend langweilig.

Mission: Impossible – Dead Reckoning – das muss man zugeben – ist deutlich raffinierter und knackiger als der Alles-in-einem-Topf-Wurf des Grande Finales, bei dem alles, was noch in den Schubladen geblieben war, mit verarbeitet werden konnte. Eine Schwäche, die nicht nur dieses Franchise spürt. Der siebte Teil musste auch noch nicht der Ambition folgen, alle vorangegangenen Teile in einem Licht dastehen zu lassen, als wären sie nur das Vorspiel des einzigen letzten großen Films gewesen. Ein Kniff, der nicht funktioniert, und bei dem man merkt, dass der rote Faden erst im Nachhinein eingeflochten wurde.

Doch wie man die Mission: Impossible-Reihe auch dreht und wendet: In solch einem Handwerk analoger Agenten-Action wummert Aufwand, Anstrengung und Ambition. Und die unbändige Lust, etwas zu beweisen. Tom Cruise hat es schon wieder getan, und er wird, was man so liest, nicht müde werden.

Mission: Impossible – The Final Reckoning (2025)

Reflection in a Dead Diamond (2025)

DER MUSTERAGENT UND SEINE NEMESIS

5,5/10


© 2025 Kozak Films


ORIGINALTITEL: REFLET DANS UN DIAMANT MORT

LAND / JAHR: BELGIEN, LUXEMBURG, ITALIEN, FRANKREICH 2025

REGIE / DREHBUCH: HÉLÈNE CATTET, BRUNO FORZANI

CAST: FABIO TESTI, YANNICK RENIER, KOEN DE BOUW, MARIA DE MEDEIROS, THI MAI NGUYEN, CÉLINE CAMARA, KEZIA QUENTAL, SYLVIA CAMARDA U. A.

LÄNGE: 1 STD 27 MIN


Agenten sterben einsam? Letztendlich legen sie sich mit all ihren Widersachern ins Grab, ganz besonders mit jenen, die Zeit ihres Lebens so viel Größenwahn verspürt haben, um sich die ganze Welt unter den Nagel zu reißen, ob mit oder ohne weißer Katze am Schoß, am liebsten aber mit Vorliebe für kuriose Todesarten und völlig unverständlichem Zögern, wenn es darum ging, den Superspion von der Landkarte zu tilgen. Diese Naturgesetze funktionieren nur im Kino, von diesen Naturgesetzen sind die Filmemacher Hélène Cattet und Bruno Forzani so sehr entzückt, dass sie Lust dazu hatten, eine Collage anzufertigen, die all diese Stilmuster miteinander vereinen soll. In homogener Koexistenz lassen sich diese Puzzleteile aber nicht verorten. Vielmehr könnte sich diese Anordnung mit einer prall gefüllten Piñata vergleichen lassen, die auf einer grob skizzierten Storyline ihren Inhalt entlädt. Die zufällige Verteilung der Versatzstücke gibt in Reflection in a Dead Diamond den Rhythmus vor. Als sechster und letzter Beitrag im Rahmen meiner Exkursion in die fantastische Filmwelten des Slash 1/2-Festivals ist dieser experimentelle Avantgardefilm wohl weniger Vorreiter für Neues, sondern wehmütiger Zitatenschatz, der die visuelle und vor allem kinematographische Sprache wie totes Latein neu erlernen und erklingen lassen will.

Zurück sind die Sechzigerjahre, der grobkörnige Analogfilm, die ebenfalls analogen Bildmontagen und psychedelisch irrlichternden Sequenzen surrealer Vorspänne, welche längst ein Markenzeichen sind für das Franchise rund um James Bond, oft unterlegt mit dem Best Of stimmgewaltiger Soul-Diven, während die Schattenrisse nackter Frauenkörper mit den maskulinen Formen diverser Schießgeräte verschmelzen. Der Erfolg rund um James Bond ließ ganze Subgenres aus dem Boden wachsen wie großzügig gedüngter Bambus. Neben dem britischen Serienerfolg Cobra, übernehmen Sie (als Grundlage für den Stunt-Wahnsinn von Tom Cruise) wucherte vor allem im europäischen Festlandkino, vorwiegend Italien und Frankreich, billig produzierte Massenware als glamouröse Eurospy-Agentenfilme in gern besuchte Spätvorstellungen. Aus dem Pulk der Machwerke stechen die familienfreundlichen parodistischen Fantomas-Komödien mit Louis de Funès hervor, die das Geheimagenten-Milieu so weit überhöhten, bis nichts davon noch realitätsbezogen blieb. Und dennoch ist das Ganze nicht dem Genre des Fantastischen zuzuordnen. Agenten und Spione gibt es tatsächlich, interessant wird es aber erst, wenn das Unmögliche als kaum zu bezwingbare Nemesis Masken trägt, an mehreren Orten gleichzeitig auftaucht, Geld wie Heu hat, High-Tech neu erfindet und nebenher die Weltverschwörung hostet. Marvel- und DC-Comics waren dabei seit jeher Inspiration.

Reflection in a Dead Diamond ist fraglos ein bunter, auf das Publikum niederregnender Bilderreigen: erratisch, fragmentarisch, zersplittert. Es gibt Zeit- und Traumdimensionen, Realität und Fiktion, einen dem guten alten 007 nachempfundenen männlichen Stereotyp mit der Lizenz zum Töten, in jungen Jahren ein Schönling, im Alter ein geiler Specht. Es gibt die knallharte Superagentin, die nicht von dieser Welt zu sein scheint, und nie wird ganz klar, ob sie ihrem männlichen, vergleichsweise biederen Kollegen den Rang ablaufen will oder die Gegenseite verkörpert, die der Agent nicht müde wird zu bekämpfen.

Am Anfang einer nur grob skizzierten Geschichte gibt Altstar Fabio Testi, der in so pikanten Machwerken wie Sklaven der Hölle und Orgie des Todes mitgewirkt hat und auch in Klassikern wie Nachtblende neben Romy Schneider zu finden ist, den Spion a. D., der seinen einsamen Lebensabend irgendwo an der Cote d‘Azur verbringt und die Zeit damit verbringt, die Zimmernachbarin des Hotels lustvoll zu betrachten. Diese jedoch verschwindet recht bald, und John – so nennt sich Testis Figur – wittert bald schon eine offene Rechnung, die aus seinen vergangenen Dienstzeiten in die Jetztzeit segelt. Mit ihr rückt eine Femme Fatale an die Front, die den Helden über Jahre an seinem Verstand zweifeln hat lassen.

Wirklich spannend ist Reflection in a Dead Diamond nicht. Das ist auch nicht die Absicht des Films, der lieber gerne retrospektive Installation als sonst was wäre. Quentin Tarantino hätte diese in schwarzem Lack und Leder gezwängten Schöne, deren Gesicht niemals das echte ist, wohl gerne in einem seiner Filme wiedergefunden – Katana-schwingend und mit abstrusen Schlitzwerkzeugen ausgestattet, lässt sie ihre Gegner bluten – womit wir beim Giallo wären, den Cattet und Forzani auch noch liebgewonnen haben. Vor lauter Glitzer, Glamour und dem satten, überbelichteten Funkeln titelgebender Diamanten, die nicht alle unbedingt echt sein müssen, lässt sich die schrumpfige Geschichte nur noch schwer ausmachen. Die Attraktion der überhöhten Stilbilder mag als Kuriosität verblüffen, für die Dauer eines Spielfilms aber irgendwann nicht reichen, da das Gefühl, letztlich nur filmischen Tand zu betrachten, einen leeren Magen hinterlässt.

Reflection in a Dead Diamond (2025)

The Amateur (2025)

CODEKNACKER IM SÜHNEFIEBER

5,5/10


© 2025 20th Century Fox


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: JAMES HAWES

DREHBUCH: KEN NOLAN, GARY SPINELLI

CAST: RAMI MALEK, LAURENCE FISHBURNE, RACHEL BROSNAHAN, JON BERNTHAL, CAITRÍONA BALFE, MICHAEL STUHLBARG, HOLT MCCALLANY, JULIANNE NICHOLSON, MARC RISSMANN, JOSEPH MILLSON, ADRIAN MARTINEZ U. A.

LÄNGE: 2 STD 3 MIN


Man kann nicht wirklich behaupten, dass Rachel Brosnahan, die zukünftige Lois Lane in James Gunns DC-Universum, im CIA-Thriller The Amateur einen spielfilmlangen Auftritt hinlegt. Viel eher bringt sie maximal den Stein ins Rollen, der die Handlung fortan für die nächsten zwei Stunden durch ein komprimiertes Spannungskino peitscht, welches viele Details außen vorlässt. Diese Feinheit im Erzählen hätte allerdings dazu geführt, aus einem routinierten Agentenfilm vielleicht gar etwas Besonders zu machen, einen Genrefilm mit anderem Blickwinkel, vorrangig einem psychologischen. Denn Brosnahans Göttergatte in dieser illustren Verfolgungsjagd quer über den europäischen Kontinent ist Rami Malek. Er ist der Star dieses Films, Oscarpreisträger für die Imitation von Freddy Mercury und überhaupt einer, der sich nicht dem Mainstream solider Schauspielkunst unterordnet. Malek legt seine Rollenwahl gerne auf Charaktere an, die stets eine verpeilte Weltsicht mit sich führen, die gerade erst durch ihr Verhalten oder so, wie sie die Welt sehen, zum geachteten und nicht verachteten Außenseiter werden. So einer ist Malek auch als Amateur – wobei sich die desillusionierte Bezeichnung für einen, der nicht weiß, wies geht, lediglich darauf beschränkt, in James Bond-Manier den Schurken das Handwerk zu legen. Diese Skills beherrscht Charlie Heller, so die Anti-Heldenfigur beim Namen genannt, nicht wirklich. Dafür aber hat er es als Codeknacker und Superbrain in Sachen Computertechnologie so einiges im Köpfchen. Das Ableben seiner besseren Hälfte erfolgt dann durch einen nicht näher erläuterten Terroranschlag, eine Gruppe martialischer Bösewichte lassen Brosnahan also zeitnah zum Anfang über die Klinge springen. Charlie Heller sieht das Ganze mit an, ist verstört, wütend und trauernd. Und schwört natürlich, wie kann es anders sein, auf die obligate Rache. Alle, die an dieser Schandtat beteiligt waren, und wovon wir nicht wissen, warum sie es getan haben, sollen sterben. Da Heller die Geschäftsführung der CIA angesichts eines leicht beweisbaren Vertuschungsskandals am Schlafittchen packt, willigt diese ein, den Schreibtischhengst einer Agentenschulung zu unterziehen, damit dieser seine Spur der Verwüstung durch die alte Welt ziehen kann. Haudegen Laurence Fishburne, der ihn unterweisen soll, erkennt aber bald, dass, auch wenn man es im Köpfchen hat, nicht automatisch in den Armen haben muss. Statt der Waffe im Anschlag darf nun der Laptop her. Online und mit schnell erlerntem Know-How fürs Bombenbasteln macht sich der schmächtige Exzentriker ans Werk.

Rami Malek sieht man gerne dabei zu, wie er sich an das Schurkenpack ranmacht, meist trickst es Regisseur James Hawes so, dass der Rächer nicht in erster Instanz für das Ableben so manches finsteren Kapazunders verantwortlich sein muss. Die Figur des Heller ist schließlich eine gute, eine Moralperson, doch gerade der Faktor der Ambivalenz wäre hochinteressant gewesen, hätte The Amateur doch eher den Weg einer Charakterstudie eingeschlagen. Stattdessen scheint der Plot des Thrillers wie die Idee eines Showrunners für eine weitere Staffel Jack Ryan zu sein, angereichert mit einem Dutzend Episoden und vorallem in den Details soweit auserzählt, dass man als Zuseherin oder Zuseher ganz gut nachvollziehen kann, wie Malek es überhaupt gelingt, den Bösen das Handwerk zu legen. Was Stoff genug gewesen wäre für eine ganze Staffel bester Genre-Unterhaltung, komprimiert The Amateur auf satte zwei Stunden herunter und verzichtet dabei auf die feine Klinge sowohl des Erzählens als auch der Charakterzeichnung. Malek kompensiert das Defizit immerhin mit gewohnter Professionalität. Mitunter blitzen Ansätze auf, die den Widerstreit in seiner Seele zeigen, jedoch ist das Meiste als simplifizierte Form eines winkelschlagenden Rachefeldzugs zu sehen, der am Ende des Tunnels die Moral verortet und es dem Superhirn so einfach wie möglich macht. Wie Mary Poppins in ihrer Ledertasche kramt, um alles herauszufriemeln, was man gerade benötigt, hat Maleks Figur alles zur Hand. Vom Improvisations-Tutorial eines McGyver ist nicht viel übrig, stattdessen scheint diesem hier der die Gunst der Götter so gut wie sicher. Flüge von A nach B gestalten sich wie lokale Straßenbahnfahrten, der Endgegner ist ein redseliger Philosoph, der die Weisheit der Welt gepachtet haben muss. Letzten Endes bleibt vieles so konstruiert, dass es in die abendfüllende Spielzeit passt. Zwar beherrscht James Hawes, der zuletzt Anthony Hopkins im Weltkriegsdrama One Life einen guten Menschen hat sein lassen, das Einmaleins des Agentenfilms, doch dieses Einmaleins wenden alle an, die im Genre unterwegs sind. The Amateur kann, trotz Unterhaltungswert, Krasinskis Jack Ryan nicht das Wasser reichen.

The Amateur (2025)

Der ägyptische Spion, der Israel rettete (2018)

FÜR EIN PAAR HEKTAR MEHR

5/10


aegyptischespion_israel© 2018 Netflix Inc.


ORIGINAL: THE ANGEL

LAND / JAHR: ISRAEL, ÄGYPTEN, GROSSBRITANNIEN 2018

REGIE: ARIEL VROMEN

DREHBUCH: DAVID ARATA, BASIEREND AUF DEM SACHBUCH VON URI-BAR JOSEPH

CAST: MARWAN KENZARI, TOBY KEBBELL, HANNAH WARE, TASHI HALEVI, WALEED ZUAITER, SAPIR AZULAY, ORI PFEFFER, SASSON GABAI U. A.

LÄNGE: 1 STD 54 MIN


Man könnte ja meinen, dass die Geschichte des Nahen Ostens, insbesondere jene des jungen Staates Israel – im Grunde eine lange Liste aus Pulverfässern, Anschlägen und Vertreibungen –durchwegs verfilmbar wäre. Nirgendwo sonst ist der Konflikt so verrannt, nirgendwo sonst möge sich ein Staat mitsamt seinem Volk so unwillkommen fühlen wie dort, im sogenannten Heiligen Land, umgeben von arabischen Nachbarn, die es verachten und am liebsten, in ihren wüstesten politischen Fantasien, von der Landkarte tilgen würden. Kleines Problem: Israel hat einen mächtigen Verbündeten, nämlich die USA. Da fängt man nicht so leichtfertig einen weiteren Genozid an, auch wenn es in den Fingern juckt.

Aus Gründen wie diesen musste sich Israel seit jeher zu behaupten wissen – auf eine Weise, die anderen wie ein napoleonischer Expansionsdrang vorkommen muss. Das Westjordanland, die Halbinsel Sinai – von den Israelis beliebäugelte Landstriche als quadratkilometergroßer Fehdehandschuh, den sich alle bemüßigt fühlen aufzuheben. Um letzteres Pflaster, das sich, westlich vom Golf von Suez und östlich vom Golf von Akaba, pfeilförmig zum roten Meer hin verjüngt und als Aktionsfläche des antiken Stammesführers Moses diente, wetzten Israel und Ägypten die Messer. Solche Besetzungsstrategien haben einen komplexen Ursprung – und es wäre ein Geschichts- und kein Filmblog, würde ich hier noch weiter ausholen. Nachzulesen lässt sich das andernorts wesentlich besser, da bin ich für Rückfragen die falsche Quelle. Doch da liegt auch das Problem des Films begraben. Eines Spionagedramas mit jeder Menge Meetings und Schauplatzwechsel, das als purer Faktenlieferant inhaltlich zwar interessant scheint, filmisch jedoch um jedes Quäntchen an dramaturgischer Substanz kämpfen muss, da die zentrale Figur, der sogenannte Engel, so unnahbar bleibt wie sein Eintrag über ihn auf Wikipedia.

Dabei ist Der ägyptische Spion, der Israel rettete (welch sperriger deutscher Titel, im Original schlicht The Angel) die True Story um einen Doppelagenten und hätte somit alles, was Agentenfilme benötigen. Einzig: es fehlt an Überhöhung, an reizgebenden Extras, schlichtweg am Persönlichen. Wie sonst würden James Bond, Jack Ryan oder Jason Bourne auch funktionieren? Weil sie im Grunde völlig unmögliche Geschichten erzählen, weil bei ihnen alles Gute und Böse getrennt bleibt, weil sich die Komplexität der Ereignisse auf den Mainstream konzentriert und dort ansetzen muss, wo das Mitdenken nicht anstrengen darf. Filme der anderen Art wie Dame, König, As, Spion oder A Most Wanted Man von Anton Corbijn sind zwar subtiler und fordender, müssen jedoch ebenfalls die Handlung insofern glattbügeln, um Emotionen hervorzurufen und Charaktere so zu skizzieren, dass sie greifbar bleiben.

Der von Marwan Kenzari dargestellte Ashraf Marwan, Schwiegersohn des damaligen israelischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser, steht zwar zwischen den verhärteten Fronten und infiltriert beide Seiten zum Wohle des Friedens, bleibt jedoch, obwohl er als großer Manipulator genau dieses gewisse Charisma hätte mitbringen sollen, um ihn faszinierend zu finden, ein Stand-in-Double inmitten politischer Wirrnisse und Kompromisse, Gefahren und in letzter Sekunde fruchtender Abwehrtaktiken. Das ist Geschichte, wohl war. Spannende, erhellende Geschichte. Aber eben Geschichte, viel zu komplex, um sie von Grund auf zu verstehen. In Nebensätzen gelingt das nicht. Schließlich fällt das Hadern zwischen den Staaten am Sinai nicht mit Eintreten des Vorspanns als erkenntnisreiches Manna vom Himmel. Allein schon die Situation ist eine fremde, darin ein fremder Mann, der wenig von sich preisgibt, zu einer Zeit, die mit ins Bild gerückten Terroristen den Flair eines exotischen Politthrillers kolportieren sollen, dessen immense Fakten und Hintergründe ihn letztlich heillos überfordern.

Der ägyptische Spion, der Israel rettete (2018)

Heart of Stone (2023)

MAN ZIELT NUR MIT DEM HERZEN GUT

5/10


Heart of Stone© 2023 Netflix Österreich


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: TOM HARPER

DREHBUCH: GREG RUCKA, ALLISON SCHROEDER

CAST: GAL GADOT, JAMIE DORNAN, SOPHIE OKONEDO, MATTHIAS SCHWEIGHÖFER, ALIA BHATT, JING LUSI, PAUL READY, ARCHIE MADEKWE, MARK IVANIR, BD WONG, GLENN CLOSE U. A.

LÄNGE: 2 STD 3 MIN


Welcher Actionfilm war das noch gleich? Der mit dem Verrat in den eigenen Reihen? Oder der mit dem Artefakt, das alle haben wollen? Nein, es ist der Film um diese künstliche Intelligenz, mit der sich die Welt unterwerfen lässt. Mit ihr wäre man der mächtigste Mensch auf Gottes schöner Erde. Doch war das nicht eher Mission Impossible: Dead Reckoning Teil Eins? Da war doch auch so eine KI. Allerdings eine, die den Bösen dient. In Heart of Stone ist es eine sündteure Convenience-App, die den selbstlosen Recken einer aus dem Radar gefallenen Spezialeinheit unter die Arme greift. Die ohne KI vielleicht so blind wie ein Maulwurf wären und im Worst Case analoge Improvisation wohl kaum abrufen könnten.

Wie heißt es so schön bei Einstein: Man sollte alles so einfach wie möglich machen, aber nicht einfacher. Im neuen Netflix-Abenteuer ist aber genau das die Krux an der Sache: Agenten, ähnlich wie beim IMF, werden zu Erfüllungsgehilfen eines Spionageprogramms, das jede softwaregesteuerte Elektrotechnik dieses Planeten unterwandern kann. Was bleibt da von einem hemdsärmeligen Helden wie James Bond, der angesichts dieser Hilflosigkeit nur mitleidig lächelnd seinen Martini schlürft und dabei liebevoll an seinen Aston Martin denkt, der links und rechts seine Gatlings ausfahren kann. Mehr war da nie wirklich – doch nun ist der nackte Mensch allein so fähig wie der ausgesetzte Moses im Weidenkörbchen am Nil.

Wir einigen uns also darauf, Heart of Stone als jenen Actionfilm zu definieren, in welchem ein heiß begehrtes High-Tech-Tool im Zentrum gefühlt aller Interessen steht. Als Superstar der astreinen Netflix-Produktion agiert „Wonder Woman“ Gal Gadot, die sich wohlweislich eine neue Paraderolle suchen muss, denn die Zeiten für die Lasso schwingende Amazone aus Themiskyra sind vorbei. Eine optimalere Besetzung wird keiner jemals finden, aber seis drum: Wenn James Gunn alles neu machen will, nur, damit alles seine Handschrift trägt, dann soll er. Gadot agiert diesmal aber nicht nur vor der Kamera, sondern übt sich auch als Produzentin – eine Zusatzerfahrung, die sie begeistert. Doch wie es scheint, dürfte die smarte Israelin sehr schnell mal etwas vom Hocker werfen. Da reichen womöglich ein paar Stunts, und schon ist sie glücklich. Ob das Publikum ihre Freude am Tun zu spüren bekommt? Ob Heart of Stone nach Pleiten wie Red Notice oder The Gray Man vielleicht sogar noch Tyler Rake in den Schatten stellt?

Die (subjektive) Wahrheit ist: Heart of Stone, inszeniert von Tom Harper, der bereits für Netflix The Aeronauts mit Felicity Jones auf den Heimscreen brachte, kämpft sich verzweifelt durch die beliebtesten Versatzstücke des Genres, um Neues zu entdecken. Die Ambition mag man vielleicht bemerken, das gute alte Heureka bleibt aber letztlich aus. Zu schade um Gal Gadot, die sich mit Fleiß und Hingabe bemüht, ihre Arbeit wirklich gut zu machen. So fliegt, schießt und schlägt sie sich stets akkurat und so aufmerksam, als hätte sie Schulstunde, durch ein generisches, mehrere Länder umspannendes Abenteuer, dessen Künstlichkeit anhand mancher Effekte und Kulissen überdeutlich auffällt. Sie selbst ist Gutmensch durch und durch, gerät durch ihre strahlend weiße Ideologie aber deutlich flacher oder gar naiver als zum Beispiel Charlize Theron in Atomic Blonde. So knochenhart wird’s in Heart of Stone schließlich auch nicht, denn was Netflix wollte, ist, auf den fahrenden Zug von Tom Cruises exorbitantem Stunt-Theater aufzuspringen.

Das heißt nicht, dass als Schienenersatzverkehr für Heart of Stone letztlich nur eine Draisine zur Verfügung steht. Solide choreographierte Actionszenen gibt es genug, das Drehbuch hat kaum nennenswerte Längen und wenn man schon mal in Lissabon war, lassen sich während der obligatorischen Autoverfolgungsjagd durch die Altstadt viele Orte wiedererkennen, die man selbst schon besucht hat. Doch dort, wo viele andere Agentenfilme ihren Meister finden und ohnmächtig die Waffen strecken, kommt auch Tom Harpers Blockbuster an seine Grenzen. Zu viele Kompromisse in der Handlung zugunsten eines weltweiten Streaming-Publikums, zu wenig Mut zur Grauzone und psychologisch undurchdachte Antagonisten bescheren dem Star Vehikel letztlich nur Mittelmaß.

Heart of Stone (2023)

Mission: Impossible – Dead Reckoning Teil Eins (2023)

DAS HÜTCHENSPIEL ALS ACTIONKNÜLLER

8/10


missionimpossible7© 2023 Paramount Pictures


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE / DREHBUCH: CHRISTOPHER MCQUARRIE

CAST: TOM CRUISE, HAYLEY ATWELL, SIMON PEGG, VING RHAMES, REBECCA FERGUSON, VANESSA KIRBY, HENRY CZERNY, SHEA WIGHAM, FREDERICK SCHMIDT, ESAI MORALES, POM KLEMENTIEFF, CARY ELWES, GREG TARZAN DAVIS U. A. 

LÄNGE: 2 STD 44 MIN


Wir alle kennen es, dieses ohnmächtige Gefühl, wenn uns siedendheiß einfährt, dass wir den Schlüssel verloren haben. Die Suche nach dem extra fürs eigene Schloss geschliffenen kleinen Werkzeug gestaltet sich meistens schwierig, und nicht selten auch mit Jähzorn. Im schlimmsten Fall erfährt die Haustür dann noch ein Sicherheits-Upgrade, denn was weiß man schon, wie fix manche Langfinger sind, wenn heimatloses Sperrutensil zur freien Entnahme auf der Straße liegt. Ähnlich ergeht es Agent Ethan Hunt und seiner IMF. So ergeht es dem MI6, der CIA und gefühlt allen anderen geheim operierenden Organisationen, die zwar nicht den Schlüssel zum Eigenheim, aber immerhin den Schlüssel zum Wohle der Welt suchen. Wie Tom Cruise und Christopher McQuarrie – der Regisseur seines Vertrauens, der dem Star alle Wünsche von den Augen abliest – aus der Plot-Essenz rund um ein High-Tech-Artefakt eine hyperventilierende Action-Sensation kreieren, ist erstaunlich. Das zeugt von Planung und punktgenauer Umsetzung.

Zugpferd ist natürlich der ewig junggebliebene Sunnyboy mit fragwürdiger Scientology-Affinität, die, betrachtet man die öffentliche und offene Person, gar nicht passt. Weit weg von jeglicher Ideologie will der, der alles kann, auch wirklich zeigen, wie weit er für sein Publikum gehen will. Tom Cruise ist ein Entertainer. Er kennt das Kino und weiß, wie Filme mit Erfolg funktionieren; worauf es ankommt, und wie sehr man vermeiden sollte, andauernd more of the same zu erzählen. Bei Mission: Impossible – Dead Reckoning Teil Eins könnte man ja fast vermuten, die Action-Franchise hat sich ähnlich ausgeleiert wie jene von Stirb langsam. Die Plots werden immer dünner, die Stunts immer generischer, Autoverfolgungsjagden die Hunderttausendste. Nicht so bei Mission: Impossible. Denn Cruise arbeitet so, als würde er einen James Bond-Film drehen. Neuer Kontext, neuer Plot, neue Figuren und doch auch Bewährtes. Die Figur des Ethan Hunt ist eine Konstante, mit ihr kämpfen die Buddys Luther und Benji (Ving Rhames und Simon Pegg, die man immer wieder gerne sieht), ab und an auch Rebecca Ferguson als Elsa Faust. Alles andere drum herum ist in Bewegung – und erfindet sich, wie auch in Dead Reckoning Teil Eins, zum sechsten Male neu. Dabei muss darauf geachtet werden, nur nicht die Haben-Seite in neuem Gewand nachzuimitieren, sondern aus einer völlig anderen Richtung das Damoklesschwert über alles und jeden zu erheben und dabei auch den Nerv der Zeit zu treffen, die mit der Parade Künstlicher Intelligenzen völlig überfordert scheint. Zu aller Bedrohung ist da noch die Büchse der Pandora, die unbedingt geöffnet werden will. Wenn diese in die falschen Hände gerät, reicht selbst der elegante Sprung von der Klippe nicht mehr – ein Stunt, der in den Zirkus gehört, nur ist kein Zelt groß genug. Daher: ab ins Kino.

Viel über den Inhalt, der als straffes Libretto für die Actionoper dient, sollte ich gar nicht ausplaudern. Zu wissen ist nur: dieser Schlüssel, das kleine. glänzende Objekt der Begierde, hat bald ein Eigenleben. Und irgendwann weiß niemand mehr, wer wann wie oft und wo eben diesen unter seinem Hütchen verbirgt. Derer gibt es mehrere, und sie werden so lange hin und hergeschoben, bis einem schwindelig wird. Warum das Teil plötzlich dort auftaucht, wo es keiner vermutet – nun, das ist der Trick. Auf Basis der Philosophie dieser auf Fußgängerpromenaden gern gesehenen Abzocke ersinnt nicht nur die Mission: Impossible-Reihe neue Parameter, sondern auch das totgelaufene Genre des Actionfilms bekommt die Adrenalinspritze. Es geht also doch. Und es gibt sie noch: Szenen, die man so kaum jemals gesehen hat. Selten war eine Autoverfolgungsjagd so witzig. Selten entfesselte ein Eisenbahncrash einen derartigen Dominoeffekt, so, wie er hier auf Spannung setzt und Murphys Gesetz bedient. Cruise und McQuarrie sind Showrunner, die ihr Spektakel mit Herzblut erarbeitet haben; mit Spaß am Improvisieren und Selbermachen. Irgendwann sind Tom Cruises Hemdsärmel dann aber auch genug aufgekrempelt – so ganze ohne CGI geht’s dann doch auch nicht. Gesprengte Brücken sprengen schließlich das Budget.

Mission: Impossible – Dead Reckoning Teil Eins ist ein Genre-Genuss, da gibt es keine Zweifel. Mag sein, dass die Menge an unwahrscheinlichen Koinzidenzen das logische Verständnis strapaziert, doch das Überzeichnen des Thrillers ist Part of the game. Wer schon die unmögliche Masken-Mechanik akzeptiert, wird auch den Rest akzeptieren. Solche Szenarien sind aber das, was  Actionkino ausmacht. Mission Impossible ist irreale Fiktion und spannendes Theater, zwischen Agentenkrimi und Science-Fiction. Tom Cruise holt für den ersten Teil des Grande Finale alles raus, was noch geht. Und wird für das Ende vom Ende noch einige Asse im Ärmel haben. Sein Schlüssel zum Erfolg, der passt.

Mission: Impossible – Dead Reckoning Teil Eins (2023)

The Contractor

AM ARBEITSMARKT FÜR VETERANEN

7/10


thecontractor© 2022 Leonine Pictures


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: TARIK SALEH

CAST: CHRIS PINE, BEN FOSTER, GILLIAN JACOBS, EDDIE MARSAN, KIEFER SUTHERLAND, J. D. PARDO, NINA HOSS, FLORIAN MUNTEANU U. A. 

LÄNGE: 1 STD 43 MIN


In The Gray Man erzählen Joe und Anthony Russo von einem Ex-Sträfling, der als Auftragskiller vom CIA rekrutiert wird – und irgendwann die moralische Integrität des Geheimdienstes hinterfragt. Schlecht für ihn, denn kurz darauf sind die besten Killer hinter ihm her, um den vermeintlichen Whistleblower auszuschalten. Entstanden ist ein Thriller, der als teuerster Netflix-Film aller Zeiten gilt und nebst gut aufgelegten Schauspielern allerdings eine recht seichte und oft kopierte Story erzählt. The Contractor mit dem sympathischen Chris Pine in der Titelrolle konstruiert eine ganz ähnliche Geschichte, nur weitaus weniger auf Hochglanz und lässt viel mehr Raum für psychologische Entwicklungen. Kurz gesagt: The Contractor ist der bessere Film. Auch wenn das Szenario im Grunde nicht ganz neu ist, gelingt dem Schweden Tarik Saleh, der mich bereits mit dem Politthriller Die Nile Hilton Affäre überrascht und beeindruckt hat, das differenzierte Psychogramm eines Mannes, der wohl in Sylvester Stallones Expendables-Runde gerne angeheuert hätte und auch dort nicht groß aufgefallen wäre. Nur hier, in diesem Thriller, hat selbstironischer Humor keine Bühne, was weise entschieden wurde, denn Augenzwinkerei hätte dem Film seine Intensität genommen.

Als physisch angeschlagener Nahost-Kriegsveteran bemüht sich der ehemalige Special Forces Soldat James Harper mit allen Mitteln – und sind es auch Aufputschmittel aller Art – wieder in den aktiven Dienst aufgenommen zu werden. Körperliche wie seelische Belastungen haben allerdings ihren Tribut gefordert, und so bleibt dem eigentlich gebrochenen Familienvater und Ehemann nichts anderes übrig, das Angebot eines ehemaligen Kollegen anzunehmen, in einer Söldnertruppe anzuheuern, die gutes Geld bringt. Bitter nötig hätte er es, stapeln sich doch die unbezahlten Rechnungen auf dem Küchentisch. Der erste Einsatz in Berlin wird dann auch gleich zum Wendepunkt im Leben des ewigen Kämpfers, der sich plötzlich von allen Seiten verraten fühlt und versuchen muss, während er permanent auf der Flucht ist, die finsteren Machenschaften seines Auftraggebers aufzudecken.

Neben Chris Pines überzeugendem Spiel, welches ihn aus meiner Sicht ohne weiteres (und gemeinsam mit seinem Auftritt in Der Anruf) in die engere Auswahl zum nächsten James Bond manövriert, sammeln sich noch andere Charakterdarsteller, die mitunter undurchschaubar agieren, so wie Ben Foster oder Eddie Marsan. Am offensichtlichsten nicht ganz astrein und recht konventionell bleibt Kiefer Sutherlands Figur – doch immerhin freut es, das Zugpferd aus 24 Hours auch mal auf der anderen Seite und abgesehen davon überhaupt wieder in einem Film zu sehen. Als europäische Ergänzung darf Nina Hoss als zugeknöpfte Mittelsfrau agieren – alles in allem also ein stimmiges Ensemble in ebenso stimmigen und manchmal auch gnadenlos konsequenten Szenen, die sich davor hüten, gefällige Drehbuchversatzstücke zu integrieren und sich dahingehend zu bequemen, etwaige Wendungen an den Haaren herbeizuziehen. Dadurch erhält The Contractor genug Ecken und Kanten, wenn schon nicht die Ambivalenz der Figuren für die Gewährleistung eines Thrillers, der am Schlachtfeld globaler Verstrickungen als schwer einzunehmende Bastion gilt, ausreichen würde.

The Gray Man kann man sich ohne weiteres ansehen. The Contractor aber ist erdiger, schmutziger und zehrt außerdem mehr an den physischen Ressourcen der überrumpelten Figuren. Wenngleich der Showdown wie über den Kamm geschoren wirkt und tatsächlich mehr zu Stallone passen würde, kommt zumindest die Action letzten Endes auch nicht zu kurz. Ein Umstand, der die vielleicht manchmal zu lakonische Dramaturgie aus der Reserve lockt.

The Contractor

The Gray Man

DIE PFUSCHER VOM (GEHEIM)DIENST

5,5/10


grayman© 2022 Netflix


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: ANTHONY & JOE RUSSO

CAST: RYAN GOSLING, CHRIS EVANS, ANA DE ARMAS, BILLY BOB THORNTON, REGÉ-JEAN PAGE, WAGNER MOURA, JESSICA HENWICK, DHANUSH, JULIA BUTTERS, ALFRE WOODARD U. A.

LÄNGE: 2 STD 9 MIN


Ryan Gosling muss seine Identität nicht wechseln. Dafür hat er eine Nummer. Sierra 6. Oder so ähnlich. Netflix will nämlich auch gerne sein eigenes Agenten-Franchise haben, doch irgendwie mag es damit nicht so recht funktionieren. Vielleicht zäumt der derzeit unter einigem Kundenschwund leidende Streamingriese sein Pferd von der falschen Seite auf. Des Rätsels Lösung scheint nämlich nicht, jede Menge Superstars einzukaufen, die dann als abrufbares Haus-und-Hof-Ensemble zur Verfügung stehen. Wir haben Ryan Reynolds, Dwayne Johnson, Gal Gadot, Ana de Armas schon des Öfteren. Mark Wahlberg, Jamie Foxx und jetzt auch zur Freude aller Fans von Nicolas Winding Refn, der ihn mit Drive so richtig stoisch in Szene gesetzt hat: eben Ryan Gosling. Das muss doch funktionieren, denken sich die Verantwortlichen von Netflix und feiern sich und den Actionthriller The Gray Man als neues Ei des Columbus, dessen um der Standfestigkeit willen in Mitleidenschaft gezogene Unterseite mehr Brüche quer durch den Film verursacht als anfänglich in Kauf genommen.

Denn was hat The Gray Man denn eigentlich wirklich Besonderes zu bieten – neben des Casts natürlich? Die Antwort ist nicht leicht zu finden. In der Story ruht sie jedenfalls nicht. Zugrunde liegt dieser ein x-beliebiger 08/15-Roman aus der Feder von Tom Clancys gehostetem Sidekick Mark Greaney, der gegenwärtig die Jack Ryan-Reihe munter fortführt. Um nicht dauernd dasselbe in Grün zu schreiben, gibt’s auch anderen Stoff – eben The Gray Man um einen angeblich lautlosen Killer eingangs erwähnter Nummer, der irgendwann aus dem Gefängnis geholt wird, um für die CIA als nicht ganz legaler Mister Saubermann zu arbeiten, mit einem Ticket rund um die Welt und einer Verpflichtung auf lebenslang. Die CIA und andere Geheimdienste nutzen zwar wiederholt gut ausgebildete, steuerfreie Schergen zur bequemen Beseitigung potenziell weltverschlimmernder Individuen, wollen aber andererseits natürlich nicht, dass irgendwo in den Rechtsstaaten etwas davon durchsickert. Eine oft benutzte und noch öfter variierte Grundlage für das Thriller Entertainment, sei es nun im Kino oder als Serie. Bei Hanna hat das gut geklappt, bei den Bourne-Filmen ebenso. Bei The Gray Man – nun ja. Die Art und Weise, wie die Einsatzgruppe Scriptwriting hier die Belletristik adaptiert hat, lässt darauf schließen, dass Netflix wirklich nur auf Prominenz setzt.

Der Thriller hat inhaltlich nichts zu bieten. Also zumindest nichts Neues. Die Handlung bemüht sich, auf Spielfilmlänge zumindest so auszusehen, als hätten alle Beteiligten die Sache durchdacht. Und zwar auf kreative Weise. Mit Achterbahnfahrten quer durch Europa (gar nicht mal so exotisch – für die USA vielleicht, in uns Europäern weckt das nicht so sehr das Fernweh) und hineingezwängten Wendungen, die gestressten Nine-to-Five-Jobbern gleich bei stoßzeitlicher U-Bahnüberfüllung auch noch hinter die Tür des abgefertigten Zuges wollen. Dabei entstehen Logiklöcher, die, auch wenn man will, nicht oder nur schwer zu übersehen sind. Tom Cruise schafft in seinen Mission Impossible-Filmen trotz all der kuriosen Schauwerte immer noch sowas wie Plausibilität – den Russo-Brüdern, die mit den beiden Infinity-Filmen aus dem MCU wirklich zeigen konnten, was sie drauf haben, bleibt angesichts des schalen Plots kaum Füllstoff, um dramaturgischen Wendungen nicht den Sinn zu rauben.

Und dennoch: Die Rechnung von The Gray Man ist nicht eine, die gar nicht aufgeht. Wir haben den mimisch recht einsilbigen, aber sympathischen Gosling, der mit Gaze-Auflagen Scherenstiche heilt und Herumballern als diskrete Killermethode bezeichnet. Und den freudvoll aufspielenden Chris Evans jenseits von Captain America, der mit Pornobalken und enger Hose gerne mal den Ungustl gibt. Ana de Armas bleibt da außen vor – ihre guten Momente sind zum Beispiel in der ebenfalls auf Netflix veröffentlichten Agenten-Biopic Sergio zu finden. Und die Action? Spricht nicht für den teuersten Netflix-Film aller Zeiten. Obwohl ich kein Fan bin: Michael Bay hätte diese wohl prächtiger inszeniert. Wobei die krachige Straßenbahnsequenz in Prag außerplanmäßigen Intervallen infolge einer Zugstörung neue Bedeutung verleiht.

The Gray Man

The 355

AGENTINNEN MIT HERZ

6/10


the355© 2022 Leonine Distribution


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: SIMON KINBERG

CAST: JESSICA CHASTAIN, DIANE KRUGER, PENÉLOPE CRUZ, LUPITA NYONG’O, FAN BINGBING, SEBASTIAN STAN, ÈDGAR RAMIREZ U. A. 

LÄNGE: 2 STD 3 MIN


Tatsächlich? Wirklich noch ein Profikillerinnen-Action-Vehikel? Und wieder Frauen gegen Männer? Muss diese Schwarzweißmalerei denn wirklich sein? Die Filmbranche reizt das Thema der weiblichen Emanzipation auch im Actionfach mittlerweile so sehr aus, dass sich kaum jemand mehr nach ballernden Amazonen umdrehen will. In letzter Zeit sind es nicht mal mehr Einzelkämpferinnen wie gefühlt jeder zweite Film von Luc Besson, wie in Kate oder Code Ava oder wie sie alle heißen. Wir haben es nun mit wohlgecasteten Grüppchen zu tun, bevorzugt dogmatischen Killerorden angehörend, die gegen das böse Patriarchat aufbegehren, so gesehen in Gunpowder Milkshake. Auch in The 355 schließen sich vier Frauen zusammen, um den Männern zu zeigen, wo der Hammer hängt. Wir wissen schließlich – sie können es. Ist daher der ganze Action- und Agentenschmafu demnach wirklich nur zum Gähnen? Nicht so sehr wie befürchtet. Und alle Achtung: Simon Kinberg entfernt sich in seinem femininen Schulterschluss von aus der Kindheit traumatisierten X-Chromosom-Kampfmaschinen und holt sich vier namhafte Schauspielerinnen ans Set, die als Agentinnen des jeweils anderen Geheimdienstes einfach nur ihren Job machen wollen.

Doof nur, dass sich alle vier (später sind es fünf) beim Versuch, einen Datenträger brandgefährlichen Inhalts einzukassieren, kontinuierlich in die Quere kommen. Da gibt’s den BND, die CIA und den MI6 – Penélope Cruz als Psychiaterin scheint nur zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, doch sie vertritt die kolumbianische Fraktion. Das Interessensnetz spannt sich also über den halben Erdball. Und die Sache wäre auch so gut wie ausgestanden, gäbe es nicht die Männerdomäne der Bösewichte, die damit einen Weltkrieg anzetteln wollen. Die vier unterschiedlichen Frauen schließen sich klarerweise bald zu einem Team zusammen, denn der Feind meines Feindes… eh klar. Und das ist auch schon die ganze Geschichte.

Relativ dürftig, um ehrlich zu sein. Doch seltsamerweise fällt diese Banalität weniger ins Gewicht, wenn man sich ansieht, wie herzhaft unprätentiös die vier Ladys – Jessica Chastain, Lupita Nyong’o, Diane Kruger und eben Penélope Cruz – die exponierten Skills resoluter Expertinnen mit einem langweiligen, aber glücklichen Privatleben vereinbaren wollen. Hier ist sich keine zu gut, um die Hilfe der anderen anzunehmen. Keine zu zynisch, um sich von irgendwelchen Fesseln befreien zu wollen. Dieser Umstand erdet The 355 zumindest ein bisschen. Was die dreistellige Zahl wohl bedeutet? Chastain, die den Film auch mitproduzierte, hat darüber Auskunft gegeben. 355 ist der Code der ersten weiblichen Agentin der USA, die im 18. Jahrhundert zur Zeit der Amerikanischen Revolution tätig gewesen war. Seit damals wird der Code immer wieder mal von Geschlechtsgenossinnen angewandt – und somit auch von den vier toughen Damen, die durchaus mal emotional werden oder sich durchaus mal gegenseitig mit der Waffe bedrohen können, das Herz aber am rechten Fleck haben. Diese Sympathie geht einigen Filmen ähnlicher Machart so ziemlich ab. Dort sind die Protagonistinnen unnahbare Ikonen, die nach ihrem Einsatz, so scheint es, lieber wieder auf ihren eigenen Planeten zurückkehren wollen. Chastain & Co allerdings scheinen den Feierabend auf der Couch allen militanten Selbstbehauptungen auf alle Fälle vorziehen zu wollen.

The 355

James Bond 007 – Keine Zeit zu sterben

DIE EINSAMKEIT DER DOPPELNULL

5/10


notimetodie© 2021 DANJAQ, LLC AND MGM.  ALL RIGHTS RESERVED.


LAND / JAHR: USA, GROSSBRITANNIEN 2021

REGIE: CARY JOJI FUKUNAGA

CAST: DANIEL CRAIG, LÉA SEYDOUX, LASHANA LYNCH, RAMI MALEK, BEN WISHAW, RALPH FIENNES, NAOMI HARRIS, ANA DE ARMAS, JEFFREY WRIGHT, CHRISTOPH WALTZ, BILLY MAGNUSSEN U. A. 

LÄNGE: 2 STD 43 MIN


Es ist ja fast so, als könnte man anhand lange verschobener Filmpremieren die globale Lage in Sachen Corona ablesen. Wenn Filme wie Dune oder eben James Bond 007 – No Time to Die in den Kinos starten, fühlt sich das an wie ein in der Economy-Class händeringend erwarteter Take Off ins Urlaubsland. Von da an kann es nur noch bergauf gehen. Und es ist auch fast so, als wäre der Rückstau im Kinoprogramm damit endlich durch. Von nun an könnte man vielleicht doch eher stressfrei durch die Kino-Agenda gleiten.

Was auch lange braucht, oder sagen wir: dort, wo die Nachfrage am größten ist, könnte auch wirklich Großes verborgen sein. Natürlich, schließlich geht es um nichts anderes als das James Bond-Franchise, das sein Kinopublikum seit den Sechzigerjahren bei der Stange hält. Bond ist Kult, wandelnder Zeitgeist und gleichzeitig hartgesottener Held im maßgeschneiderten Anzug und im Rahmen seiner Missionen über dem Gesetz.

Mit diesem lukrativen Garanten für volle Kinosäle kommt sich eine wie Barbara Broccoli natürlich mächtig vor. Allerdings ist sie das auch. Wie Kathleen Kennedy bei Disney ist auch Broccoli eine toughe Macherin, der man sicherlich kein X für ein U vormachen kann. Entsprechend geschäftstüchtig denkt sie auch – und legt den letzten Bond mit Daniel Craig in die Hände von Cary Joji Fukunaga, der sich längst mit anspruchsvollen Filmen wie Beasts of No Nation bewährt hat. Den Künstlern ihre Arbeit, den Wirtschafterin die ihre, möchte man meinen. Nur – so einfach ist das nicht. Wer zahlt, schafft an – und pocht auf seine Ideen im Drehbuch. Dieses wird längst nicht mehr von einem wie Dalton Trumbo geschrieben, sondern da sind viele, die das Script für eine filmische Wollmilchsau dahingehend optimieren und mit den Entwürfen anderer Besserwisser vermengen, sodass ein verhobenes Konstrukt aus Reminiszenzen, Charakterentwicklungen und bodenhaftender Standard-Action entsteht. Im Finale soll alles vorhanden sein, was Bond ausmacht.

Der Kreis schließt sich also, so wie bei Star Wars. Statt „Ich bin alle Jedi“ heißt es diesmal „Ich bin alle Bonds“. Und es scheint gar, als würde No Time to Die dieses Versprechen erfüllen. Wir sehen und hören anfangs subtile Anspielungen auf frühe Klassiker, im Aston Martin rauschen Craig und Léa Seydoux über Italiens Landstraßen. Vor dem obligatorischen und diesmal im Stil etwas unentschlossenen Intro, gesungen von Billie Eilish, die ein gehaltvolles Flüstern entfacht, allerdings keine Shirley Bassey ist, atmet der Bond-Kult aus allen Poren, verlässt sich auf sein nostalgisches Repertoire, wirkt aber dennoch zeitgemäß. Womöglich stammt der Anfang gar von Autor Fukunaga selbst. Oder aber von Purvis & Wade? Oder Phoebe Waller-Bridge? Wie auch immer, viele Köche eben.

Was so schneidig und stilsicher beginnt, verliert sich in einem unter sichtbarem Bemühen in die richtige Richtung gelotsten Kompromiss aus wenig schlüssigen Handlungsfäden, frappanten logischen Fehlern und fragwürdigen Entscheidungen. Bond selbst versinkt in Trauer und Liebeskummer, hat aber dennoch so manche an Roger Moore erinnernde, verschmitzte Bonmots auf Lager. Craig versucht dabei, seiner legendären Rolle so gut es geht treu zu bleiben. Wäre da nicht das Hineinzwängen seiner Person in ein gnadenlos in die Länge gezogenes Patchwork-Abenteuer, das mit Rami Malek wohl eine der lächerlichsten Bösewichte auf dem Ian Fleming-Planeten aus der Mottenkiste holt. Viel Geschwurbel füllt leere Minuten, aus knackig wird gedehnt, und so gut wie alles, was in diesem Eventkino zum Einsatz kommt – sei es Setting oder Action – war im eigenen Franchise einfach schon mal dagewesen, und zwar viel besser. Selbst so integre und in ihrer Rolle fast schon autark agierende Nebenrollen wie Christoph Waltz oder Lashana Lynch ziehen sich irgendwann zurück, um beim Finale fassungslos zuzusehen, was an pathetischem Kitsch eigentlich alles möglich ist.

Nachher braucht man einen Martini. Geschüttelt oder gerührt ist auch schon egal.

James Bond 007 – Keine Zeit zu sterben