The Amateur (2025)

CODEKNACKER IM SÜHNEFIEBER

5,5/10


© 2025 20th Century Fox


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: JAMES HAWES

DREHBUCH: KEN NOLAN, GARY SPINELLI

CAST: RAMI MALEK, LAURENCE FISHBURNE, RACHEL BROSNAHAN, JON BERNTHAL, CAITRÍONA BALFE, MICHAEL STUHLBARG, HOLT MCCALLANY, JULIANNE NICHOLSON, MARC RISSMANN, JOSEPH MILLSON, ADRIAN MARTINEZ U. A.

LÄNGE: 2 STD 3 MIN


Man kann nicht wirklich behaupten, dass Rachel Brosnahan, die zukünftige Lois Lane in James Gunns DC-Universum, im CIA-Thriller The Amateur einen spielfilmlangen Auftritt hinlegt. Viel eher bringt sie maximal den Stein ins Rollen, der die Handlung fortan für die nächsten zwei Stunden durch ein komprimiertes Spannungskino peitscht, welches viele Details außen vorlässt. Diese Feinheit im Erzählen hätte allerdings dazu geführt, aus einem routinierten Agentenfilm vielleicht gar etwas Besonders zu machen, einen Genrefilm mit anderem Blickwinkel, vorrangig einem psychologischen. Denn Brosnahans Göttergatte in dieser illustren Verfolgungsjagd quer über den europäischen Kontinent ist Rami Malek. Er ist der Star dieses Films, Oscarpreisträger für die Imitation von Freddy Mercury und überhaupt einer, der sich nicht dem Mainstream solider Schauspielkunst unterordnet. Malek legt seine Rollenwahl gerne auf Charaktere an, die stets eine verpeilte Weltsicht mit sich führen, die gerade erst durch ihr Verhalten oder so, wie sie die Welt sehen, zum geachteten und nicht verachteten Außenseiter werden. So einer ist Malek auch als Amateur – wobei sich die desillusionierte Bezeichnung für einen, der nicht weiß, wies geht, lediglich darauf beschränkt, in James Bond-Manier den Schurken das Handwerk zu legen. Diese Skills beherrscht Charlie Heller, so die Anti-Heldenfigur beim Namen genannt, nicht wirklich. Dafür aber hat er es als Codeknacker und Superbrain in Sachen Computertechnologie so einiges im Köpfchen. Das Ableben seiner besseren Hälfte erfolgt dann durch einen nicht näher erläuterten Terroranschlag, eine Gruppe martialischer Bösewichte lassen Brosnahan also zeitnah zum Anfang über die Klinge springen. Charlie Heller sieht das Ganze mit an, ist verstört, wütend und trauernd. Und schwört natürlich, wie kann es anders sein, auf die obligate Rache. Alle, die an dieser Schandtat beteiligt waren, und wovon wir nicht wissen, warum sie es getan haben, sollen sterben. Da Heller die Geschäftsführung der CIA angesichts eines leicht beweisbaren Vertuschungsskandals am Schlafittchen packt, willigt diese ein, den Schreibtischhengst einer Agentenschulung zu unterziehen, damit dieser seine Spur der Verwüstung durch die alte Welt ziehen kann. Haudegen Laurence Fishburne, der ihn unterweisen soll, erkennt aber bald, dass, auch wenn man es im Köpfchen hat, nicht automatisch in den Armen haben muss. Statt der Waffe im Anschlag darf nun der Laptop her. Online und mit schnell erlerntem Know-How fürs Bombenbasteln macht sich der schmächtige Exzentriker ans Werk.

Rami Malek sieht man gerne dabei zu, wie er sich an das Schurkenpack ranmacht, meist trickst es Regisseur James Hawes so, dass der Rächer nicht in erster Instanz für das Ableben so manches finsteren Kapazunders verantwortlich sein muss. Die Figur des Heller ist schließlich eine gute, eine Moralperson, doch gerade der Faktor der Ambivalenz wäre hochinteressant gewesen, hätte The Amateur doch eher den Weg einer Charakterstudie eingeschlagen. Stattdessen scheint der Plot des Thrillers wie die Idee eines Showrunners für eine weitere Staffel Jack Ryan zu sein, angereichert mit einem Dutzend Episoden und vorallem in den Details soweit auserzählt, dass man als Zuseherin oder Zuseher ganz gut nachvollziehen kann, wie Malek es überhaupt gelingt, den Bösen das Handwerk zu legen. Was Stoff genug gewesen wäre für eine ganze Staffel bester Genre-Unterhaltung, komprimiert The Amateur auf satte zwei Stunden herunter und verzichtet dabei auf die feine Klinge sowohl des Erzählens als auch der Charakterzeichnung. Malek kompensiert das Defizit immerhin mit gewohnter Professionalität. Mitunter blitzen Ansätze auf, die den Widerstreit in seiner Seele zeigen, jedoch ist das Meiste als simplifizierte Form eines winkelschlagenden Rachefeldzugs zu sehen, der am Ende des Tunnels die Moral verortet und es dem Superhirn so einfach wie möglich macht. Wie Mary Poppins in ihrer Ledertasche kramt, um alles herauszufriemeln, was man gerade benötigt, hat Maleks Figur alles zur Hand. Vom Improvisations-Tutorial eines McGyver ist nicht viel übrig, stattdessen scheint diesem hier der die Gunst der Götter so gut wie sicher. Flüge von A nach B gestalten sich wie lokale Straßenbahnfahrten, der Endgegner ist ein redseliger Philosoph, der die Weisheit der Welt gepachtet haben muss. Letzten Endes bleibt vieles so konstruiert, dass es in die abendfüllende Spielzeit passt. Zwar beherrscht James Hawes, der zuletzt Anthony Hopkins im Weltkriegsdrama One Life einen guten Menschen hat sein lassen, das Einmaleins des Agentenfilms, doch dieses Einmaleins wenden alle an, die im Genre unterwegs sind. The Amateur kann, trotz Unterhaltungswert, Krasinskis Jack Ryan nicht das Wasser reichen.

The Amateur (2025)

Stars at Noon (2022)

NACKT IN NICARAGUA

5/10


starsatnoon© 2022 Ad Vitam Distribution


LAND / JAHR: FRANKREICH 2022

REGIE: CLAIRE DENIS

DREHBUCH: CLAIRE DENIS, ANDREW LITVACK, LÉA MYSIUS

CAST: MARGARET QUALLEY, JOE ALWYN, DANNY RAMIREZ, BENNY SAFDIE, JOHN C. REILLY, NICK ROMANO U. A.

LÄNGE: 2 STD 18 MIN


Reden wir nicht über Politik. Reden wir über die Liebe. Oder die Leidenschaft. Die Sexuelle Begierde, die in zerknüllten feuchten Laken und dampfenden Körpern – mein Gott, ist das schwülstig formuliert – ihren Ausdruck findet. Doch ob schwülstig hin oder her: in letzter Zeit ist mir kein anderer Film untergekommen, der die Definition von romantischem Abenteuer so sehr in eine Groschenroman-Ästhetik verpackt wie Stars at Noon. Die französische, sich quer durch alle Genres durchkostende Vielfilmerin Claire Denis hat sich eines Romans aus den Achtzigern angenommen, der in den Wirren des Nicaragua-Krieges spielt und sehr viel mit CIA, waghalsigem Journalismus und zwielichtigen Nutznießern aus der Wirtschaft zu tun hat. Alles Faktoren, die großes internationales Kino versprechen, so episch, als wären Catherine Hepburn und Spencer Tracy oder Lauren Bacall und Humphrey Bogart traumwandelnde Gestalten inmitten politischer Umbrüche und derlei gesellschaftlicher Spannungen, die damit einhergehen.

Traumwandlerisch ist wohl das Adjektiv, das am besten zu Stars at Noon passt. Ins Zentrum setzt Claire Denis Margaret Qualley, die Tochter Andie McDowells und seit Tarantinos Once Upon a Time… in Hollywood einem breiteren Publikum wohlbekannt. Sie gibt eine amerikanische Journalistin, die unangenehme Fragen gestellt und einen Artikel veröffentlicht hat, den allerlei mächtige Leute als bedenklich einstufen. Das hat zur Folge, dass die junge, durchaus promiskuitive Dame ohne Geld und ohne Pass in Nicaragua festsitzt und darauf hofft, durch Sex in die Gunst mancher Männer zu gelangen, die Beziehungen haben. Nicht selten lässt sie sich dafür auszahlen, darunter auch von Geschäftsmann Daniel (Joe Alwyn), der den Reizen der zugegeben hocherotischen Trish naturgemäß erliegt. Dieser Geschäftsmann aber hat sich mit den falschen Leuten eingelassen, und zwar mit jenen der costa-ricanischen Polizei und natürlich auch mit der CIA, und allesamt sind sie hinter ihm her, während Trish, immer noch darauf aus, ihre Papiere zurückzuerlangen, Daniel zur romantischen Zweisamkeit nötigt, wann immer sich dazu die Gelegenheit bietet. Letztendlich beschließen sie, sich gemeinsam Richtung Costa Rica abzusetzen. Auch ohne Pass und Geld.

Was an Stars at Noon am meisten fasziniert, ist das Gesicht von Margaret Qualley. Claire Denis kann sich daran nicht sattsehen. Wenn das liebreizende Konterfei nicht reicht, gibt’s Qualley auch im Evakostüm vor dem Fenster, vor dem Spiegel, auf dem Bett oder im Badezimmer. Es ist, als hätte Richard Hamilton lediglich seinen Weichzeichner vergessen, doch die eingefangene, schweißtreibende Schwüle tut ihr Übriges, um Konturen aufzuweichen. Stars at Noon ist schön anzusehen, keine Frage. Diese stellt sich aber umso mehr, betrachtet man den offensichtlichen Anachronismus des Films. Denis liegt weder daran, eine komplexe politische Geschichte zu erzählen noch daran, all die Umstände, die Trish und Daniel dorthin gebracht haben, wo sie sind, näher zu erläutern. Nicht mal die Zeit scheint von Bedeutung, Referenzstücke, um ein bestimmtes Jahrzehnt zu eruieren, fehlen gänzlich. Also vermischt sie Versatzstücke der modernen Gegenwart wie Smartphones und Chipkarten mit den politischen Unruhen der Reagan-Ära. Indizien, die nicht zusammenpassen.

Überhaupt nutzt Stars at Noon seinen fadenscheinigen Plot lediglich als abstrahiertes Konstrukt, als simplifizierte Verzerrung eines relevanten Politikums. Wie ein hohles Gefäß, in das Claire Denis ihre Zeit totschlagende Romanze bettet, eine Art Kulisse ohne Tiefe, eine austauschbare Variable für Thrillerdramen aller Art. In diesem kafkaesken Mysterium stört Margaret Qualley rein gar nichts, ihr breites Lächeln entschädigt für vieles, jedoch nicht für das langweilige Spiel von Joe Alwyn, zwischen beiden sprüht kein Funke. All die übrigen Figuren sind Staffage rund um Qualleys einnehmender Entrücktheit, der man die Rolle der investigativen Journalistin keine Sekunde abnimmt. Wer sind sie dann, diese beiden? Kolportierte Antihelden einer Stil-Hommage an den amerikanischen Film Noir, deren Plots manchmal so undurchschaubar waren, dass man sich am liebsten gar nicht damit auseinandersetzen, sondern nur mit den schmachtenden Momenten der Liebenden Vorlieb nehmen wollte. Diese Diffusion gelingt Claire Denis dann doch. Ob schwülstige Tropennächte das Soll erfüllen? Wie bei so vielen anderen Filmen bleiben bei diesem hier ohnehin nur Fragmente in Erinnerung. Es sollen die richtigen sein.

Stars at Noon (2022)

The Beekeeper (2024)

DIE AKTIVISTISCHE ADER EINER WUTBIENE

7/10


beekeeper© 2023 Constantin Filmverleih


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: DAVID AYER

DREHBUCH: KURT WIMMER

CAST: JASON STATHAM, EMMY RAVER-LAMPMAN, JOSH HUTCHERSON, JEREMY IRONS, BOBBY NADERI, MINNIE DRIVER, PHYLICIA RASHAD, DAVID WITTS, TAYLOR JAMES, JEMMA REDGRAVE, MICHAEL EPP U. A.

LÄNGE: 1 STD 45 MIN


Wenn die Königin eines Bienenstocks, so werden wir uns im Laufe des Films erklären lassen müssen, unzureichenden Nachwuchs erzeugt, könnte diese durch den Eifer eines einzelnen Individuums entthront werden, einzig und allein aus dem Grund – und es ist ein driftiger –, das ganze System zu retten. Die aufgebrachte Wutbiene würde die Matriarchin töten. Ob jemand anderes ihren Platz einnimmt, ist fraglich. Ob sich der Bienenstock dann demokratisch verwaltet? Wohl kaum. Zumindest faule Erben folgen keine nach. Nach diesem Prinzip schaltet und waltet in David Ayers Genugtuungs-Actionthriller eine allen Gesetzen, nicht aber allen Werten erhabene Geheimorganisation namens The Beekeeper, die dort ansetzen, wo das System versagt. Und das tut es. Sonst würde einer wie Jason Statham nicht notgedrungen aus dem Ruhestand zurückkehren und die Sache selbst in die Hand nehmen, um den Missstand auszumerzen. Wie würde man sich nicht so jemanden wie ihn gleich in mehrfacher Ausführung wünschen, um gefühlt überall auf dem Globus für eine Ordnung zu sorgen, die mit bewährten Mitteln derzeit nicht erreicht werden kann.

Im Laufe der Geschichte sind es oftmals die Guten, die über die Klinge springen müssen, denn das Böse findet seine Handlanger. Umgekehrt mag so ein Vorhaben zwar geplant gewesen sein – am Beispiel Adolf Hitler zeigt sich aber, wie gut sich Diabolisches wegducken, wie gut es sich schützen kann. Und wie sehr das Weltoffene, positiv Progressive durch seinen Idealismus mitten ins Fadenkreuz gerät. All diese Gedanken kommen hoch, wenn das Ausüben von Gewalt für eine bessere Welt in David Ayers gelungenem Actionfilm das effektivste Mittel bleibt, um Ungerechtigkeiten zu bekämpfen. Da der rechtschaffene Weg nicht funktioniert, kommt jener von Statham zum Zug. Zumindest im Kino lässt sich daran erfreuen, wie gierige, korrupte, arrogante Herrenmenschen, die ich weiß nicht wie auf die Butterseite des Lebens gefallen sind, die Leviten gelesen bekommen. Von einem, der längst schon das Erbe von Chuck Norris angetreten hat. Der Bienen isst, statt sich Honig aufs Brot zu schmieren. Unter dessen Füßen die Erde hinwegrollt, der nicht schläft, sondern wartet. Statham-Witze könnten bald in Mode kommen, so unkaputtbar pflügt sich der stoische Glatzenkrieger durch den Sündenpfuhl eines Machtgefüges, das an jenes von Donald Trump erinnert. Das das Volk für dumm verkauft und sich an dessen Reichtum labt. Das es sogar geschafft hat, ins Weiße Haus zu gelangen. Wie, weiß keiner so genau.

Einen Beekeeper aufzuscheuchen, ist das Schlimmste, was Verbrechern passieren kann. Es ist ungefähr so schlimm, wie John Wicks Hund zu erschießen und sein Auto zu klauen. Keanu Reeves‘ Schlipsträger-Nemesis treibt persönliche Rache um, er ist für sich und sonst niemanden bereits vier Teile lang unterwegs, um die Königin irgendwann am Schlafittchen zu fassen. Jason Statham hingegen tut das zwar wohl auch für persönliche Schmach, hat aber eine deutlich sozialere Agenda im Rücken: Das Allgemeinwohl. Das macht ihn, obwohl in kühler Akkuratesse unnahbar, sympathischer als manch andere Ein-Mann-Armee. Und noch etwas: Während bei anderen, ähnlichen Filmen kaum andere Instanzen mitmischen außer jene, die sich frontal ans Leder wollen, bringt David Ayer die Instanz der rechtlich abgesicherten Exekutive ins Spiel, die verzweifelt versucht, Gerechtigkeit ins vorherrschende System zu integrieren. Natürlich geht dieser Diskurs nicht sonderlich in die Tiefe. Natürlich ist The Beekeeper vorrangig ein glatter, aber nicht aalglatter Actionfilm, der den überirdisch widerstandsfähigen Tausendsassa auch mit bis an die Zähne bewaffneten Kleinarmeen umspringen lässt wie eine Katze mit ihrem Wollknäuel. Dass in der realen Welt einer wie Statham nicht weiterkommen würde als bis vor seine Haustür, ist eine Tatsache, die Kinogeher allerdings nicht wissen wollen. Zu sehen, was in einer Welt, in der Gerechtigkeit und Genugtuung Teil eines Evolutionsgedankens sind, alles passieren kann, ist wohltuend und beglückend wie ein Espresso am Morgen.

The Beekeeper (2024)

Gletschergrab (2023)

NAPOLEONS REISE NACH ISLAND

6,5/10


gletschergrab© 2023 Splendid Film


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND, ISLAND 2023

REGIE: ÓSKAR THÓR AXELSSON

DREHBUCH: ARNALDUR INDRIÐASON & MARTEINN THORISSON

CAST: VIVIAN ÓLAFSDÓTTIR, JACK FOX, IAIN GLEN, WOTAN WILKE MÖHRING, ÓLAFUR DARRI ÓLAFSSON, ADESUWA ONI, NANNA KRISTIN MAGNÚSDÓTTIR, SABINE CROSSEN U. A.

LÄNGE: 1 STD 42 MIN


Diese Insel hoch im Norden steht wohl bei vielen Gutverdienern auf der Reiseliste: Island. Dort lässt sich am besten auf eigene Faust die Gegend erkunden; jede Menge Wasserfälle, Gletscherzungen und Küstenstriche laden als Hot Spots zum Verweilen ein. Die Geldbörse möge bitte prall gefüllt sein, denn kostspielig wird das ganze Abenteuer mit Sicherheit. Der finanzielle Aufwand würde sich noch mehr rentieren, hätte man das Glück, den einen oder anderen verborgenen Schatz zu finden. Nun, nicht zwingend einen, den Zwerge, Trolle oder Brunhild aus den Nibelungen irgendwo versteckt haben – sondern vielleicht einen, dessen Wert und Ursprung wohl eher in der Geschichte Europas liegt, insbesondere in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs. Dieser Schatz lässt sich zwar nicht in einen Goldesel umwandeln, der das nötige Kleingeld spuckt, sondern vielleicht in mediale Aufmerksamkeit, vielleicht in einen für ein paar Wochen anhaltenden kleinen Zeitungsruhm, verursacht durch Journalisten, die einen selbst peinlich befragen.

Dieser Schatz ist in der Bestseller-Verfilmung Gletschergrab ein Passagierflugzeug aus dem Nazi-Hangar, bruchgelandet gegen Ende des Krieges. Dank der Klimaerwärmung und der damit einhergehenden Gletscherschmelze wird das Dach eines mehrere Dekaden im Eis konservierten Vehikels sichtbar, und zwar über viele Kilometer hinweg, denn alles, was nicht so strahlt wie das drumherum befindliche Eis, zieht selbstredend die Aufmerksamkeit jener spärlichen Besucher des Vatnajökulls auf sich, die hier Sport betreiben. Einer davon ist Jetski-Fahrer Elias, dem es sogar gelingt, in das Flugzeugswrack einzusteigen und alles, was sich darin noch befindet, als Social Media-Reel abzufilmen, darunter die Leichen der Piloten mit US-Wappen an ihren Jacken – ein Umstand, der mit dem Hakenkreuz am Seitenleitwerk nur schwer vereinbar scheint. Ehe sich der Selfmade-Abenteurer versieht, tanzen seltsame Gestalten an, die Böses im Schilde führen – und Elias kurzerhand in ihre Gewalt bringen. Was sie nicht wussten: dieser Junge hat eine Schwester namens Kristin (Vivian Ólafsdóttir), die sich umgehend auf die Suche nach ihrem verschwundenen Bruder macht, und im Zuge dessen so einiges aufdecken wird, was irgendwie mit der supergeheimen Operation Napoleon zu tun hat. Keiner weiß, was das ist, womöglich nicht mal die, die diese Mission initiiert haben. Nur eines ist gewiss: Der US-Geheimdienst hat da ein Wörtchen mitzureden.

Das Beste an Gletschergrab ist nicht nur, dass dieser Verschwörungs- und Geheimdienstthriller deutlich mehr Zunder gibt als so viele überteuerten, stargespickten Eventfilme, die sich am Genre des stuntlastigen Agentenfilms versuchen. Das Beste an diesem Streifen ist auch, dass lange, wirklich erstaunlich lange niemand weiß, wobei es sich um diese ominöse Fracht, die einst mit dem alten Luftbrummer transportiert worden war und dann verschwunden ist, handeln könnte. Bei all dieser Geheimniskrämerei, diesem völlig im Dunklen tappen – angesichts dieser großen Frage, wofür all dieser Ärger, braucht sich niemand krämen und glauben, als einziger dumm sterben zu müssen, haben doch all die Protagonisten das gleiche Fragezeichen über der Stirn, im Gegensatz zu den sinistren Geheimdienstlern, darunter Game of Thrones-Star Iain Glen, der als eine Art verbissener und wenig zimperlicher Anti-James Bond im Roger Moore-Style die Interessen seiner Auftraggeber verfolgt. Durch die multinationale Besetzung verbreitet Gletschergab ähnliche Vibes, wie sie bei staatenübegreifenden Großproduktionen fürs Fernsehen ab und an zu spüren sind – gerade immer dann, wenn für einen besonderen Kriminalfall Expertisen aus aller Herren Länder gefragt sind – insbesondere aus europäischen. So kommt es, dass Óskar Thór Axxelsons Verfilmung des Romans von Arnaldur Indriðason wie ein teures, aber bodenständiges Fernsehspiel wirkt – was aber ausnahmsweise nicht zum Nachteil gereichen sollte. Vielleicht entsteht der Eindruck aufgrund einer mehr auf Dialogen und sozialer Konfrontation, und viel weniger auf kostspielige Schauwerte setzenden Erzählweise. Da reicht das Konstrukt des Fliegers im Eis, da reichen die Landschaften Islands, da braucht es keinen Mission Impossible-Overkill (der zugegeben stets perfekt inszeniert ist).

Mit dem Rätselraten um die Büchse der Pandora, mit der investigativen Suche nach Etwas, wovon keiner so genau weiß, was es ist, sichert sich Gletschergrab die Aufmerksamkeit seines Publikums. Das passiert immer dann, wenn die Charaktere im Film den selben Wissensstand haben wie wir. Das ist schließlich weder arrogant noch ignorant noch allzu gefällige Langeweile – sondern Thrillerkost auf Augenhöhe ohne Eitelkeiten, die kurzweilig bleibt und Spaß macht.

Gletschergrab (2023)

The Expendables 4 (2023)

DER LETZTE REST VOM SCHÜTZENFEST

5/10


expend4bles© 2023 Leonine Distribution


ORIGINAL: EXPEND4BLES

LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: SCOTT WAUGH

DREHBUCH: KURT WIMMER, TAD DAGGERHART & MAX ADAMS

CAST: JASON STATHAM, SYLVESTER STALLONE, MEGAN FOX, DOLPH LUNDGREN, RANDY COUTURE, 50 CENT, ANDY GARCIA, IKO UWAIS, LEVY TRAN, TONY JAA, EDDIE HALL U. A.

LÄNGE: 1 STD 43 MIN


Weihnachten kommt früher, als man denkt. Und zwar in Gestalt des mimisch auf Nummer sicher gehenden Actionhelden Jason Statham, der seit Sylvester Stallones vor vielen Jahren ins Leben gerufenen 80er-Reminiszenz The Expendables als Lee Christmas sets in Erscheinung tritt, wenn er nicht gerade mal für Guy Ritchie im Tweed gute Figur macht oder Riesenhaie mit Füßen tritt. Als Gespielin, mit der er zu Anfang des Films Zoff hat, darf die mit sowohl dauergeschürzten als auch aufgeschminkten Lippen bewaffnete Megan Fox herumzetern, was ihr leidlich gelingt, denn für Größeres geschaffen zu sein als den freizügigen Vamp zu geben – das ist dem Ex-Transformers-Hingucker, der sich entweder selbst sexualisiert oder sexualisiert wird, leider nicht vergönnt. Statham tut sein Bestes, um darauf mit allerlei Klischees des verständnislosen Adonis zu reagieren – eine Rolle, die noch dazu cool genug sein muss, damit Sylvester Stallone auch noch was davon abbekommt. Der ist als 77jähriger und mehrfach unterm Messer gelegener Barney Ross Zugpferd der Söldnertruppe titelgebenden Namens, und das bereits zum vierten Mal. Als er bei Stathams an die Tür klopft, lässt sich schon irgendwie erahnen, dass das für den 80er-Haudegen das letzte Mal sein wird. Lang genug hat er den Rambo- und Rocky-Drachen schließlich geritten oder als Glücksschwein vor sich her gepeitscht. Für diesen Barney bleibt kaum mehr über als die Rolle eines Conférenciers, der einen generischen Actionfilm einläuten darf, um dann wieder, am Ende, den Final Curtain fallen zu lassen. Dazwischen ist Platz für Gastauftritte aus dem Osten: Ong Bak-Haudrauf Tony Jaa als Kampfkunstguru, der genug vom Töten hat. Und Iko Uwais – bekannt geworden als zähe Nuss, die sich in The Raid in feinster Martial Arts-Choreografie durch ein Hochhaus voller Böslinge schnetzelt.

Mittlerweile sind fast alle größeren und kleineren Actionhelden der Achtziger und Neunziger-Dekade zum Handkuss gekommen. Wir hatten Bruce Willis, Arnold Schwarzenegger, Wesley Snipes, Jean-Claude van Damme oder Antonio Banderas. Wir hatten Harrison Ford, Mel Gibson, Mickey Rourke und sogar Chuck Norris! Geblieben sind Dolph Lundgren und der Wrestler Randy Couture, das Zusammentragen eines ebenso starken Ensembles wie in den Vorgängerfilmen fiel diesmal sichtlich schwerer. Na gut, 50 Cent ist dabei und eingangs erwähnte Megan Fox, die in das Ensemble natürlich reinpasst. Levy Tran kennen allerdings nur Fans der McGyver-Neuauflage, sonst ist dieser Star wohl eher auf mittleren Comic Cons zu finden. Die Luft ist draußen, die Gästeliste kurz. Ach ja, Andy Garcia mischt mit. Doch der hat auch schon mal bessere Filme erlebt. Denn The Expendables 4 ist die Molke einer durchraffinierten Idee zur Mobilisation junggebliebener Kinder der Achtziger, die Arnie, Stallone und Co mit der Muttermilch abbekommen haben. Ein Who is Who gut gealterter Jahrgänge, mit Selbstironie vollgepumpt statt mit Anabolika, und agierend inmitten rustikaler Action, die vor allem mit einer Vielzahl an Waffen und satter Pyrotechnik punkten durfte. Darüber hinaus war das ganze pures Adrenalinkino – weibliche Ikonen wie Brigitte Nielsen, Cynthia Rothrock, Linda Hamilton oder Sigourney Weaver hätten das Starensemble noch mehr Nuancen verliehen – doch zumindest jetzt, im Finale Grande, gibt’s ein kleines Zugeständnis.

Sieht man aber von der kleinen Möchtegern-Selbsthilfegruppe genötigter Actionstars ab, die ihre Genre-Highlights, die sie großgemacht haben, kaum mehr zitieren können, darf die Angelegenheit als routiniertes Auslaufmodell betrachtet werden. Als ein durch pflichtbewussten Applaus zurück auf die Bühne geholtes Ensemble, das, längst schon müde vom heutigen Abend, nochmal eine Nummer schiebt. Das große Gähnen bleibt jedoch aus. Vielleicht liegt das daran, dass man The Expendables 4 (nach eigener Erfahrung) genau dann konsumieren sollte, wenn nach einer harten Woche wirklich nichts mehr geht, wenn das Blödschauen im Kino besser funktioniert als das Fernsehschlafen daheim, ersteres ist schließlich exklusiver. Und so folgt der sympathisierende Actionfan einem austauschbaren, von Kurt Wimmer (u. a. Equilibrium) mitverfassten Plot rund um Zündkapseln und Atombomben, um einen fiesen Mr. X, der sich Ozelot nennt und einen gekaperten Frachter auf hoher See, dessen Szenen, die darauf abgehen, klar unterschieden werden können zwischen Greenscreen und einigen wenigen Outdoor-Minuten. Das wirkt billig, und ist es auch. Doch High Quality ist schließlich nicht das, was auf den Expendables draufsteht. Meine Güte, es ist Trash. Es bietet nichts sonst, außer vorgestrige männliche Stereotypen, die dem Franchise geschuldet sind (denn so müssen sie schließlich auftreten) und dem Willen, den dritten Weltkrieg zu verhindern. Das ist ja immerhin etwas.

The Expendables 4 (2023)

Mission: Impossible – Dead Reckoning Teil Eins (2023)

DAS HÜTCHENSPIEL ALS ACTIONKNÜLLER

8/10


missionimpossible7© 2023 Paramount Pictures


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE / DREHBUCH: CHRISTOPHER MCQUARRIE

CAST: TOM CRUISE, HAYLEY ATWELL, SIMON PEGG, VING RHAMES, REBECCA FERGUSON, VANESSA KIRBY, HENRY CZERNY, SHEA WIGHAM, FREDERICK SCHMIDT, ESAI MORALES, POM KLEMENTIEFF, CARY ELWES, GREG TARZAN DAVIS U. A. 

LÄNGE: 2 STD 44 MIN


Wir alle kennen es, dieses ohnmächtige Gefühl, wenn uns siedendheiß einfährt, dass wir den Schlüssel verloren haben. Die Suche nach dem extra fürs eigene Schloss geschliffenen kleinen Werkzeug gestaltet sich meistens schwierig, und nicht selten auch mit Jähzorn. Im schlimmsten Fall erfährt die Haustür dann noch ein Sicherheits-Upgrade, denn was weiß man schon, wie fix manche Langfinger sind, wenn heimatloses Sperrutensil zur freien Entnahme auf der Straße liegt. Ähnlich ergeht es Agent Ethan Hunt und seiner IMF. So ergeht es dem MI6, der CIA und gefühlt allen anderen geheim operierenden Organisationen, die zwar nicht den Schlüssel zum Eigenheim, aber immerhin den Schlüssel zum Wohle der Welt suchen. Wie Tom Cruise und Christopher McQuarrie – der Regisseur seines Vertrauens, der dem Star alle Wünsche von den Augen abliest – aus der Plot-Essenz rund um ein High-Tech-Artefakt eine hyperventilierende Action-Sensation kreieren, ist erstaunlich. Das zeugt von Planung und punktgenauer Umsetzung.

Zugpferd ist natürlich der ewig junggebliebene Sunnyboy mit fragwürdiger Scientology-Affinität, die, betrachtet man die öffentliche und offene Person, gar nicht passt. Weit weg von jeglicher Ideologie will der, der alles kann, auch wirklich zeigen, wie weit er für sein Publikum gehen will. Tom Cruise ist ein Entertainer. Er kennt das Kino und weiß, wie Filme mit Erfolg funktionieren; worauf es ankommt, und wie sehr man vermeiden sollte, andauernd more of the same zu erzählen. Bei Mission: Impossible – Dead Reckoning Teil Eins könnte man ja fast vermuten, die Action-Franchise hat sich ähnlich ausgeleiert wie jene von Stirb langsam. Die Plots werden immer dünner, die Stunts immer generischer, Autoverfolgungsjagden die Hunderttausendste. Nicht so bei Mission: Impossible. Denn Cruise arbeitet so, als würde er einen James Bond-Film drehen. Neuer Kontext, neuer Plot, neue Figuren und doch auch Bewährtes. Die Figur des Ethan Hunt ist eine Konstante, mit ihr kämpfen die Buddys Luther und Benji (Ving Rhames und Simon Pegg, die man immer wieder gerne sieht), ab und an auch Rebecca Ferguson als Elsa Faust. Alles andere drum herum ist in Bewegung – und erfindet sich, wie auch in Dead Reckoning Teil Eins, zum sechsten Male neu. Dabei muss darauf geachtet werden, nur nicht die Haben-Seite in neuem Gewand nachzuimitieren, sondern aus einer völlig anderen Richtung das Damoklesschwert über alles und jeden zu erheben und dabei auch den Nerv der Zeit zu treffen, die mit der Parade Künstlicher Intelligenzen völlig überfordert scheint. Zu aller Bedrohung ist da noch die Büchse der Pandora, die unbedingt geöffnet werden will. Wenn diese in die falschen Hände gerät, reicht selbst der elegante Sprung von der Klippe nicht mehr – ein Stunt, der in den Zirkus gehört, nur ist kein Zelt groß genug. Daher: ab ins Kino.

Viel über den Inhalt, der als straffes Libretto für die Actionoper dient, sollte ich gar nicht ausplaudern. Zu wissen ist nur: dieser Schlüssel, das kleine. glänzende Objekt der Begierde, hat bald ein Eigenleben. Und irgendwann weiß niemand mehr, wer wann wie oft und wo eben diesen unter seinem Hütchen verbirgt. Derer gibt es mehrere, und sie werden so lange hin und hergeschoben, bis einem schwindelig wird. Warum das Teil plötzlich dort auftaucht, wo es keiner vermutet – nun, das ist der Trick. Auf Basis der Philosophie dieser auf Fußgängerpromenaden gern gesehenen Abzocke ersinnt nicht nur die Mission: Impossible-Reihe neue Parameter, sondern auch das totgelaufene Genre des Actionfilms bekommt die Adrenalinspritze. Es geht also doch. Und es gibt sie noch: Szenen, die man so kaum jemals gesehen hat. Selten war eine Autoverfolgungsjagd so witzig. Selten entfesselte ein Eisenbahncrash einen derartigen Dominoeffekt, so, wie er hier auf Spannung setzt und Murphys Gesetz bedient. Cruise und McQuarrie sind Showrunner, die ihr Spektakel mit Herzblut erarbeitet haben; mit Spaß am Improvisieren und Selbermachen. Irgendwann sind Tom Cruises Hemdsärmel dann aber auch genug aufgekrempelt – so ganze ohne CGI geht’s dann doch auch nicht. Gesprengte Brücken sprengen schließlich das Budget.

Mission: Impossible – Dead Reckoning Teil Eins ist ein Genre-Genuss, da gibt es keine Zweifel. Mag sein, dass die Menge an unwahrscheinlichen Koinzidenzen das logische Verständnis strapaziert, doch das Überzeichnen des Thrillers ist Part of the game. Wer schon die unmögliche Masken-Mechanik akzeptiert, wird auch den Rest akzeptieren. Solche Szenarien sind aber das, was  Actionkino ausmacht. Mission Impossible ist irreale Fiktion und spannendes Theater, zwischen Agentenkrimi und Science-Fiction. Tom Cruise holt für den ersten Teil des Grande Finale alles raus, was noch geht. Und wird für das Ende vom Ende noch einige Asse im Ärmel haben. Sein Schlüssel zum Erfolg, der passt.

Mission: Impossible – Dead Reckoning Teil Eins (2023)

Ghosted (2023)

NEHMT EUCH EIN ZIMMER!

4/10


ghosted© 2023 Apple TV+


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: DEXTER FLETCHER

BUCH: RHETT REESE, PAUL WERNICK

CAST: CHRIS EVANS, ANA DE ARMAS, ADRIEN BRODY, TATE DONOVAN, AMY SEDARIS, TIM BLAKE NELSON, ANTHONY MACKIE, SEBASTIAN STAN, JOHN CHO, MARWAN KENZARI, RYAN REYNOLDS, MIKE MOH U. A.

LÄNGE: 1 STD 56 MIN


Niemanden interessiert wirklich, was den Antagonisten – umgangssprachlich den Bösewicht – so antreibt. Da kann Adrien Brody gar nichts dafür, er muss die Rolle nehmen, wie sie ist. Niemanden interessiert, worum es eigentlich geht und warum denn nun schon wieder das Schicksal der Welt auf der Kippe steht, womöglich wegen irgendeiner Superwaffe, die unter der Hand verschachert wird. Beides interessiert selbst die Drehbuchautoren nicht mal wirklich. Sie schmücken ihr Star-Vehikel mit Versatzstücken aus, die man aus dem Setzkasten pult, und die so generisch sind, dass sie wie ein Blindtext vorgefertigte Layoutseiten füllen. Kurz gesagt: Das ist langweilig. Vor allem dann, wenn sich ein derart gestalteter Plot zum Hauptthema aufbläst und man ohnehin schon längst weiß, wie es enden wird.

Ana de Armas und Ex-Captain America Chris Evans wollten es anscheinend so. Beide haben den Film produziert, und beide wollten sich selbst in Screwball-Rollen sehen, die in ihren Interaktionen ungefähr so charmant und gewitzt sein hätten sollen wie damals Katherine Hepburn und Humphrey Bogart, später Kathleen Turner und Michael Douglas und noch viel später Jamie Lee Curtis und Arnold Schwarzenegger, die in True Lies jenem Konzept mit Selbstironie auf die Sprünge halfen, welches eben jetzt, in Ghosted, den Akteuren zugrunde liegt. Eine gemähte Wiese, könnte man meinen. Spielplatz für das, was sich neckt und in Wahrheit liebt. Doch beide, de Armas und Evans, sind in ihrem Bestreben, filmreife Gefühle füreinander zu entwickeln, zu sehr von Parametern abgelenkt, die die Actionkomödie vorantreiben sollen. Also hetzen sie von einer Szene zur anderen, nachdem sich die beiden storybedingt aus den Augen verlieren, damit einer von beiden überhaupt erst – wie der Titel schon sagt – geghostet werden kann.

Chris Evans hat als Cole Turner also die bildhübsche und kluge Sadie kennengelernt. Sie verbringen einen Tag und eine Nacht und am nächsten Morgen gehen sie auseinander. Cole tippt brav seine Chat-Nachrichten inklusive Emojis, doch Antwort kommt keine mehr. Ist Mann zu aufdringlich? Braucht Frau Zeit für sich? Wie jetzt, schon nach einer Begegnung? Cole, der noch nie im Ausland war, packt die Gelegenheit mein Schopf und will Sadie dort überraschen, wo sie sich gerade aufhält – in London. Doch wie es der Zufall so will, wird der unbedarfte und bald sehr aufgebrachte Zivilist von Verbrechern entführt, die ihn für jemand ganz anderen halten. Sadie funkt dazwischen, bevor Blut fließt – und entpuppt sich als CIA-Agentin. Fortan müssen beide, ob sie wollen oder nicht, allerlei Abenteuer bestehen, die nach James Bond oder Mission Impossible, wohl eher aber nach einem x-beliebigen Agententhriller aussehen, den man schnell vergisst.

Was einem von diesem ganzen lauen Tamtam in Erinnerung bleibt, sind vielleicht diese auffallend vielen Cameo-Auftritte, die gemeinsamen den geheimen Star des Films stellen. Wie sich Ryan Reynolds, Sebastian Stan oder Anthony Mackie in Einzelszenen und mit viel Humor verheizen lassen, ist sehenswert. Der Rest nicht.

Ghosted (2023)

November (2022)

DIE GEHETZTEN VON PARIS

6,5/10


november2022© 2022 Studiocanal


LAND / JAHR: BELGIEN, FRANKREICH 2022

REGIE: CÉDRIC JIMENEZ

BUCH: OLIVIER DEMANGEL

CAST: JEAN DUJARDIN, ANAÏS DEMOUSTIER, SANDRINE KIBERLAIN, JÈRÉMIE RENIER, LYNA KHOUDRI, STÉPHANE BAK, CÉDRIC KAHN U. A.

LÄNGE: 1 STD 45 MIN


Statt des 11. Septembers 2001 war es der 13. November 2015, ein Freitag. Dass die ominöse Zahl noch dazu mit einem Freitag zusammenfiel, war reiner Zufall. Denn wenn das Böse zuschlägt, nimmt es vor allen Dingen keine Rücksicht auf irgendwelchen Aberglauben. Auf die Uhrzeit leider schon. Denn genau dann, wenn ganz Paris nach Dienstschluss und vor dem Wochenende irgendwo auf kulturellen Events verweilt oder im Lokal der Wahl entspannte Gespräche führt, gilt es für die kranken Köpfe des Terrors, zuzuschlagen. Und das taten sie auch. Dieser 13. November war für Frankreich ungefähr das, was Herbst 2001 für die USA bedeutet: ein beispiellos tiefer Messerstich ins Herz einer aufgeklärten, friedfertigen Zivilisation. Und wie auch beim 11. September weiß ich noch genau, wo ich gewesen bin, als die ersten Infos noch als Fußleiste über den Fernsehbildschirm liefen. Sondersendungen würden folgen.

Sieben Jahre später hat sich das Trauma insofern in einen wiedergewonnenen Alltag integriert, dass nun die Filmwelt Frankreichs auf den verkrusteten Wunden der Tragödie herumtasten kann. Die USA war da eher bereit: Michael Moore stanzte vier Jahre später mit Fahrenheit 9/11 gleich den ersten thematisch verwandten Film aus dem aschegrauen Boden der jüngsten Vergangenheit, um George W. Bush den Kampf anzusagen. Viele weitere Produktionen, vorrangig Spielfilme, sollten folgen. Mit November brachten die letztjährigen Filmfestspiele von Cannes kein Betroffenheitskino an die Öffentlichkeit, sondern einen akribisch recherchierten Tatsachenthriller, der ganz klar nur eines zeigen will: Den dringlich umgesetzten Willen, all die Drahtzieher besagter Nacht zur Rechenschaft zu ziehen. Dazu musste man dieser erst habhaft werden. Geht natürlich nicht so leicht. Diese Leute wissen, wie man sich unsichtbar macht, wurden sie doch sehr wahrscheinlich genau auf ihre Rolle vorbereitet, sei es nun in irgendeinem Camp im Nahen Osten oder in einem Hinterzimmer irgendwo im längst unübersichtlich gewordenen Moloch von Paris, der Stadt der Liebe, die ängst ihren Status verspielt hat. Viel zu sehr drängt das an der Peripherie wabernde soziale Chaos langsam aber doch in den Mittelpunkt. Filme wie Die Wütendens – Les Misérables oder der auf Netflix veröffentlichte Anarcho-Actioner Athena bringen die Problematik überhöht zwar, aber doch auf den Punkt.

Cédric Jimenez (Der Unbestechliche – Mörderisches Marseille) schwebt allerdings ein Film vor, welcher dem fröstelnden Exekutiv-Pragmatismus von Kathryn Bigelow folgt, die in Zero Dark Thirty einer gefährlich unterkühlten Jessica Chastain jene Werkzeuge in die Hand gelegt hat, die später zur Eliminierung des Oberschurken Osama Bin Laden führen sollten. Ein beinharter Thriller ist das geworden, dunkel und voller Nachtsicht-Optik, doch sehr distanziert, was an der Chronologie der Fakten liegt. Filme wie diese sind Tatsachenberichte in Kinoform, die zeigen, was war, aber nicht, welche Menschen dahinterstehen.

November ergeht es genauso. Im Zentrum steht Jean Dujardin, der niemals schläft und auf 1000 Sachen läuft; der sich Ausruhen nicht leisten kann, der danach womöglich zusammenbrechen wird, denn kein menschlicher Organismus hält auf Dauer eine Anspannung wie diese aus. Die Anti-Terror-Abteilung SDAT stellt nach den Attentaten somit alle menschlichen Bedürfnisse auf Pause, um keine Zeit zu verlieren. Regisseur Jimenez tut dasselbe, und hat auch nicht vor, über gewohnte Spielfilmlänge hinauszugehen, denn niemand würde nach zwei Stunden Fakten- und Indiziengewitter noch auf Spur bleiben wollen. So komprimiert er die Chronik der Ereignisse auf eine Handlungsdichte herunter, die keinerlei Luft lässt für Charakterentwicklung oder dafür, die Lage der Nation stimmungsmäßig zu erfassen. Hier wird ausgeschwärmt, spioniert und gestürmt, was das Zeug hergibt. Hier wird verhaftet und wieder freigelassen. Hier wird gehetzt, gewittert und in Augenschein genommen. Es schaltet sich die CIA dazu und es drängt die Regierung. An Dujardins Seite zeigt Anaïs Demoustier jenseits roter Sommerkleider und französischer Lebenslust – so gesehen in Der Sommer mit Anaïs – Vorzeichen hochgradiger Erschöpfung bei so einem Arbeitssoll.

Klar bleibt der Film spannend und hochinteressant. Gerade gegen Ende, wenn November vorhat, seine Jagd zum Ziel zu bringen, entwickeln sich dann doch so einige zwischenmenschliche Momente, wenn die Bekannte einer der Verdächtigen sich zur Mithilfe entschließt und zwangsläufig ihren bisherigen Bekanntenkreis verrät. Da wird die Notlage so richtig fühlbar, während man im Rest der Zeit gar nicht dazu kommt, das gehetzte Handeln zu reflektieren. Ein Film also wie ein Examen auf Zeit – besser schnell Taten setzen, die Besprechung gibt’s nachher.

November (2022)

The Gray Man

DIE PFUSCHER VOM (GEHEIM)DIENST

5,5/10


grayman© 2022 Netflix


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: ANTHONY & JOE RUSSO

CAST: RYAN GOSLING, CHRIS EVANS, ANA DE ARMAS, BILLY BOB THORNTON, REGÉ-JEAN PAGE, WAGNER MOURA, JESSICA HENWICK, DHANUSH, JULIA BUTTERS, ALFRE WOODARD U. A.

LÄNGE: 2 STD 9 MIN


Ryan Gosling muss seine Identität nicht wechseln. Dafür hat er eine Nummer. Sierra 6. Oder so ähnlich. Netflix will nämlich auch gerne sein eigenes Agenten-Franchise haben, doch irgendwie mag es damit nicht so recht funktionieren. Vielleicht zäumt der derzeit unter einigem Kundenschwund leidende Streamingriese sein Pferd von der falschen Seite auf. Des Rätsels Lösung scheint nämlich nicht, jede Menge Superstars einzukaufen, die dann als abrufbares Haus-und-Hof-Ensemble zur Verfügung stehen. Wir haben Ryan Reynolds, Dwayne Johnson, Gal Gadot, Ana de Armas schon des Öfteren. Mark Wahlberg, Jamie Foxx und jetzt auch zur Freude aller Fans von Nicolas Winding Refn, der ihn mit Drive so richtig stoisch in Szene gesetzt hat: eben Ryan Gosling. Das muss doch funktionieren, denken sich die Verantwortlichen von Netflix und feiern sich und den Actionthriller The Gray Man als neues Ei des Columbus, dessen um der Standfestigkeit willen in Mitleidenschaft gezogene Unterseite mehr Brüche quer durch den Film verursacht als anfänglich in Kauf genommen.

Denn was hat The Gray Man denn eigentlich wirklich Besonderes zu bieten – neben des Casts natürlich? Die Antwort ist nicht leicht zu finden. In der Story ruht sie jedenfalls nicht. Zugrunde liegt dieser ein x-beliebiger 08/15-Roman aus der Feder von Tom Clancys gehostetem Sidekick Mark Greaney, der gegenwärtig die Jack Ryan-Reihe munter fortführt. Um nicht dauernd dasselbe in Grün zu schreiben, gibt’s auch anderen Stoff – eben The Gray Man um einen angeblich lautlosen Killer eingangs erwähnter Nummer, der irgendwann aus dem Gefängnis geholt wird, um für die CIA als nicht ganz legaler Mister Saubermann zu arbeiten, mit einem Ticket rund um die Welt und einer Verpflichtung auf lebenslang. Die CIA und andere Geheimdienste nutzen zwar wiederholt gut ausgebildete, steuerfreie Schergen zur bequemen Beseitigung potenziell weltverschlimmernder Individuen, wollen aber andererseits natürlich nicht, dass irgendwo in den Rechtsstaaten etwas davon durchsickert. Eine oft benutzte und noch öfter variierte Grundlage für das Thriller Entertainment, sei es nun im Kino oder als Serie. Bei Hanna hat das gut geklappt, bei den Bourne-Filmen ebenso. Bei The Gray Man – nun ja. Die Art und Weise, wie die Einsatzgruppe Scriptwriting hier die Belletristik adaptiert hat, lässt darauf schließen, dass Netflix wirklich nur auf Prominenz setzt.

Der Thriller hat inhaltlich nichts zu bieten. Also zumindest nichts Neues. Die Handlung bemüht sich, auf Spielfilmlänge zumindest so auszusehen, als hätten alle Beteiligten die Sache durchdacht. Und zwar auf kreative Weise. Mit Achterbahnfahrten quer durch Europa (gar nicht mal so exotisch – für die USA vielleicht, in uns Europäern weckt das nicht so sehr das Fernweh) und hineingezwängten Wendungen, die gestressten Nine-to-Five-Jobbern gleich bei stoßzeitlicher U-Bahnüberfüllung auch noch hinter die Tür des abgefertigten Zuges wollen. Dabei entstehen Logiklöcher, die, auch wenn man will, nicht oder nur schwer zu übersehen sind. Tom Cruise schafft in seinen Mission Impossible-Filmen trotz all der kuriosen Schauwerte immer noch sowas wie Plausibilität – den Russo-Brüdern, die mit den beiden Infinity-Filmen aus dem MCU wirklich zeigen konnten, was sie drauf haben, bleibt angesichts des schalen Plots kaum Füllstoff, um dramaturgischen Wendungen nicht den Sinn zu rauben.

Und dennoch: Die Rechnung von The Gray Man ist nicht eine, die gar nicht aufgeht. Wir haben den mimisch recht einsilbigen, aber sympathischen Gosling, der mit Gaze-Auflagen Scherenstiche heilt und Herumballern als diskrete Killermethode bezeichnet. Und den freudvoll aufspielenden Chris Evans jenseits von Captain America, der mit Pornobalken und enger Hose gerne mal den Ungustl gibt. Ana de Armas bleibt da außen vor – ihre guten Momente sind zum Beispiel in der ebenfalls auf Netflix veröffentlichten Agenten-Biopic Sergio zu finden. Und die Action? Spricht nicht für den teuersten Netflix-Film aller Zeiten. Obwohl ich kein Fan bin: Michael Bay hätte diese wohl prächtiger inszeniert. Wobei die krachige Straßenbahnsequenz in Prag außerplanmäßigen Intervallen infolge einer Zugstörung neue Bedeutung verleiht.

The Gray Man

The 355

AGENTINNEN MIT HERZ

6/10


the355© 2022 Leonine Distribution


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: SIMON KINBERG

CAST: JESSICA CHASTAIN, DIANE KRUGER, PENÉLOPE CRUZ, LUPITA NYONG’O, FAN BINGBING, SEBASTIAN STAN, ÈDGAR RAMIREZ U. A. 

LÄNGE: 2 STD 3 MIN


Tatsächlich? Wirklich noch ein Profikillerinnen-Action-Vehikel? Und wieder Frauen gegen Männer? Muss diese Schwarzweißmalerei denn wirklich sein? Die Filmbranche reizt das Thema der weiblichen Emanzipation auch im Actionfach mittlerweile so sehr aus, dass sich kaum jemand mehr nach ballernden Amazonen umdrehen will. In letzter Zeit sind es nicht mal mehr Einzelkämpferinnen wie gefühlt jeder zweite Film von Luc Besson, wie in Kate oder Code Ava oder wie sie alle heißen. Wir haben es nun mit wohlgecasteten Grüppchen zu tun, bevorzugt dogmatischen Killerorden angehörend, die gegen das böse Patriarchat aufbegehren, so gesehen in Gunpowder Milkshake. Auch in The 355 schließen sich vier Frauen zusammen, um den Männern zu zeigen, wo der Hammer hängt. Wir wissen schließlich – sie können es. Ist daher der ganze Action- und Agentenschmafu demnach wirklich nur zum Gähnen? Nicht so sehr wie befürchtet. Und alle Achtung: Simon Kinberg entfernt sich in seinem femininen Schulterschluss von aus der Kindheit traumatisierten X-Chromosom-Kampfmaschinen und holt sich vier namhafte Schauspielerinnen ans Set, die als Agentinnen des jeweils anderen Geheimdienstes einfach nur ihren Job machen wollen.

Doof nur, dass sich alle vier (später sind es fünf) beim Versuch, einen Datenträger brandgefährlichen Inhalts einzukassieren, kontinuierlich in die Quere kommen. Da gibt’s den BND, die CIA und den MI6 – Penélope Cruz als Psychiaterin scheint nur zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, doch sie vertritt die kolumbianische Fraktion. Das Interessensnetz spannt sich also über den halben Erdball. Und die Sache wäre auch so gut wie ausgestanden, gäbe es nicht die Männerdomäne der Bösewichte, die damit einen Weltkrieg anzetteln wollen. Die vier unterschiedlichen Frauen schließen sich klarerweise bald zu einem Team zusammen, denn der Feind meines Feindes… eh klar. Und das ist auch schon die ganze Geschichte.

Relativ dürftig, um ehrlich zu sein. Doch seltsamerweise fällt diese Banalität weniger ins Gewicht, wenn man sich ansieht, wie herzhaft unprätentiös die vier Ladys – Jessica Chastain, Lupita Nyong’o, Diane Kruger und eben Penélope Cruz – die exponierten Skills resoluter Expertinnen mit einem langweiligen, aber glücklichen Privatleben vereinbaren wollen. Hier ist sich keine zu gut, um die Hilfe der anderen anzunehmen. Keine zu zynisch, um sich von irgendwelchen Fesseln befreien zu wollen. Dieser Umstand erdet The 355 zumindest ein bisschen. Was die dreistellige Zahl wohl bedeutet? Chastain, die den Film auch mitproduzierte, hat darüber Auskunft gegeben. 355 ist der Code der ersten weiblichen Agentin der USA, die im 18. Jahrhundert zur Zeit der Amerikanischen Revolution tätig gewesen war. Seit damals wird der Code immer wieder mal von Geschlechtsgenossinnen angewandt – und somit auch von den vier toughen Damen, die durchaus mal emotional werden oder sich durchaus mal gegenseitig mit der Waffe bedrohen können, das Herz aber am rechten Fleck haben. Diese Sympathie geht einigen Filmen ähnlicher Machart so ziemlich ab. Dort sind die Protagonistinnen unnahbare Ikonen, die nach ihrem Einsatz, so scheint es, lieber wieder auf ihren eigenen Planeten zurückkehren wollen. Chastain & Co allerdings scheinen den Feierabend auf der Couch allen militanten Selbstbehauptungen auf alle Fälle vorziehen zu wollen.

The 355