Predator: Badlands (2025)

AM LAGERFEUER MIT DEM KOPFJÄGER

6/10


© 2025 20th Century Fox / Disney


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: DAN TRACHTENBERG

DREHBUCH: PATRICK AISON

KAMERA: JEFF CUTTER

CAST: DIMITRIUS SCHUSTER-KOLOAMATANGI, ELLE FANNING, REUBEN DE JONG, MIKE HOMIK, ROHINAL NARAYAN, CAMERON BROWN, ALISON WRIGHT, THE DUFFER BROTHERS U. A.

LÄNGE: 1 STD 47 MIN


Disney spürt man überall. Am stärksten bei Themen, die nicht dafür gemacht sind, den Kindern vor dem Schlafengehen als Betthupferl zu dienen. Disney will aber, das sich im Grunde alles, worüber es das Sagen hat, ein bisschen nach Betthupferl anfühlt. Predator: Badlands, jüngste Erweiterung des Franchise, das diesmal auch hochoffiziell mit dem Alien-Universum kokettiert, ist so, als würde man den beinhart agierenden Arnold Schwarzenegger in seiner Rolle als T1000 aus James Camerons Klassiker nunmehr als Kindergarten Cop einsetzen. Zumindest als unfreiwillige, pädagogisch dann doch wertvolle Aufsicht über jenen Dreikäsehoch, der als Sprössling von Sarah Connor im Endeffekt zu Nannys Nemesis werden könnte.

Der moralische Kompass eines Aliens

Tut mir leid, Predator. Wenigstens darfst du aber diesmal zum Lokalaugenschein einladen, zum Wohngespräch mit deinem Publikum, denn zum allerersten Mal seit 1987 gewährt das wirklich nicht schönste Alien des Universums einen Einblick ins Privatleben einer Yautja-Familie, die auf Yautja Prime ihre wenig zimperlichen Rituale zugunsten der Tradition genüsslich praktizieren, ohne sie zu hinterfragen. Was wir wissen: Der Yautja ist, wie der Titel schon sagt, ein Jäger, ein Trophäensammler, ein gnadenloser Bursche (es gibt, so wie ich das sehe, nur männliche Exemplare – oder gar kein Geschlecht?) mit einem moralischen Kompass ohne Pole, der wirr um sich schlägt und für Erdlinge wohl kaum verstanden werden kann. Schließlich spielten bislang Faktoren wie Achtsamkeit, Respekt vor allem Lebenden und sowas wie Humanismus überhaupt keine Rolle. Disney will aber das Gute, das wissen wir. Das moralisch Integre, Aufgeräumte, Ehrbare. Auch der Predator soll und muss ehrbar werden. Am leichtesten lässt sich das bewerkstelligen, wenn dieses Exemplar in Predator: Badlands zum Opfer seiner eigenen Familienphilosophie wird.

Ökotrip für Hartgesottene

Als schwächstes Glied der Kette wird Dek zwar von seinem älteren Bruder beschützt, doch der mächtige Patriarch hat dann doch noch das letzte Wort. Und während sich in geradezu unvorstellbarer Selbstlosigkeit der Bruder unters Messer des Vaters wirft, gelingt dem jüngeren Taugenichts die Flucht per Raumschiff auf einen lebensfeindlichen Nachbarplaneten, dessen toxische und gefährliche Fauna und Flora jedes noch so erdenkliche Habitat auf unserem Planeten zum unkrautfreien Schrebergarten erklärt. Genna heisst jener Ort, an welchem nur nachhaltige Ökotouristen mit Hang zum Suizid ihre Reise buchen. Eines der mächtigsten und unmöglich zu tötenden Kreaturen sollen hier lauern, der sogenannte Kalisk, ein Muskelpaket von Monster, stark wie King Kong, unverwüstlich wie eine Kakerlake, weil gesegnet mit einem genetischen Reperaturmechanismus, der Wunden in Windeseile wieder schließt. Dek will es aber dennoch wissen – und schaffen, was niemand zuvor geschafft hat. Bevor es aber überhaupt so weit kommt, gibt sich der Rest des Planeten ausgeschlafen genug, um sich dieser landfremden Kreatur mit ganzer Bandbreite in den Weg zu stellen.

Als gäbe es ihn wirklich

Alle, die ans Creature Design ihr Herz verloren haben, dürfen sich Predator: Badlands nicht entgehen lassen. Ich sage es an dieser Stelle ganz offen: Mein Traumjob wäre es nach wie vor, in die Fußstapfen eines Phil Tippet, Dennis Muren oder Stan Winston zu treten, doch hierzulande in Österreich kann man mit dem Erschaffen von Kreaturen aller Art herzlich wenig erreichen. Es muss dann wohl genügen, einfach zuzusehen, was andere entworfen haben – und zugegeben, man kann sich selbst hier, in Trachtenbergs Bestiarium ferner Planeten, kaum an all dieser kuriosen Biomasse sattsehen, obwohl die Viecher minütlich über die Leinwand regnen. Dabei steht der Yautja in all seiner monströsen Beschaffenheit im Zentrum der Aufmerksamkeit, und tatsächlich: Es ist, als gäbe es dieses Wesen wirklich, so realitätsnah simulieren die Könner ihres Fachs eine extraterrestrische Physiognomie, die nicht mal vor Nahaufnahmen Halt macht. Allein dafür ist Predator: Badlands ein Genuss – und kommt man damit klar, dass es nur das ist, was wirklich staunen lässt, hat man schon gewonnen.

Schließlich ist der erzählerische Rest des Ganzen einfach nur Disney. Weiß man von der Tonalität der jüngsten Serie Alien: Earth, wird selbst der von Elle Fanning dargebotene Android zu einer Quasselstrippe, die sich nach König der Löwen anfühlt. Später noch gesellt sich ein glupschäugiges Wesen hinzu, das von vorne bis hinten einfach nicht zum Stil des Predators passt, auch nicht in diese Welt und überhaupt schon gar nicht in dieses düstere Trope. Von düster will man aber nur noch wenig wissen, all das Herzige ist so geschmeidig wie eine Wimper im Auge, das stößt und sperrt sich und fühlt sich nicht richtig an. Letztendlich aber behalte zumindest ich den waldschratigen hässlichen Haudegen im Kopf, wie er seine Moral vor sich herträgt und die Gelegenheit aufgreift, sein schlechtes Image durch einen neuen Blickwinkel auf sich selbst schönzuargumentieren.

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Predator: Badlands (2025)

Tron: Ares (2025)

DIE 29-MINUTEN-REGEL

6,5/10


© 2025 The Walt Disney Company


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: JOACHIM RØNNING

DREHBUCH: JESSE WIGUTOW, DAVID DIGILIO

KAMERA: JEFF CRONENWETH

CAST: JARED LETO, GRETA LEE, EVAN PETERS, JODIE TURNER-SMITH, HASAN MINHAJ, GILLIAN ANDERSON, JEFF BRIDGES, CAMERON MONAGHAN, SARAH DESJARDINS U. A.

LÄNGE: 1 STD 59 MIN


Wie soll man sich Künstliche Intelligenz nun vorstellen? Oberstes Gebot, welches wöchentlich in mahnenden Essays zu lesen ist: Nur nicht vermenschlichen! Denn diese Art des künstlichen Denkens schafft es lediglich nur, Erlerntes und Trainiertes zu kombinieren; all die Erfahrungen, die der Mensch im Netz je geteilt hat, als Algorithmus nachzuinterpretieren, Regeln zu finden und diese dann mit den von uns eingegebenen Botschaften, kurz genannt Prompts, in Gleichklang zu bringen. Das macht es anhand von Tokens, Bausteinen sozusagen, die unsere Sätze in Bruchstücke gliedert und einen gemeinsamen Nenner herausliest. Mit Intelligenz hat das dann letztlich weniger zu tun, sondern eher mit einem riesengroßen Memory – und ja, das, worüber wir so verblüfft sind, ist einfach nur gut im Erinnern.

Schnell, bevor’s zusammenbricht

Schöner wärs allerdings – und vom Narrativ her einfach auch abenteuerlicher – wenn unser Chat GPT, Gemini oder Claude – oder wie diese mittlerweile gefühlt tausendfach zur Verfügung stehenden Tools alle heißen – genau so aussehen würden wie Jared Leto. Das wäre es doch, oder? Laut Tron: Ares verhält es sich so. Hier wird die Perspektive umgekehrt, wir blicken hinter den Vorhang der Wunder, die uns das Leben so leicht machen, auf ein Pendant zu unserer urbanen Welt; auf ein Metropolis aus Nullen und Einsen, dargestellt als architektonische High-Tech-Eskapade vor dramatischem Himmel. Hoch oben über allem, in einem stilistischen letzten Schrei von Interieur-Design, das wohl sehr schnell wieder überholt sein wird, wartet Ares – der Kriegsgott der virtuellen Welt – auf seine Instruktionen. Diese kommen von außerhalb, dort wo wir sind, und erscheinen auf der anderen Seite als großes, dröhnendes, herrisches Diktatorengesicht, das sagt, wo es langgeht. Ares führt, ohne viel zu hinterfragen, alles schön brav aus, so wie er es gelernt hat. Und noch etwas gelingt ihn: Diesmal ist es möglich, dass sich ein intelligentes Programm in der unseren, realen Welt (die laut jüngsten mathematischen Erkenntnissen nicht so wie in Matrix eine Simulation sein kann, mehr dazu hier) manifestiert. Allerdings – und jetzt kommt die Pointe, an welcher sich der gesamte Film schließlich aufhängt: nur 29 Minuten. Danach fällt alles, was aus dem 3D-Drucker kommt, wieder in sich zusammen und verpufft. Das ist für den Rüstungsgiganten Dillinger (dessen Großvater im 80er-Knüller Tron schon als Antagonist zu sehen war, nur kaum jemand kann sich erinnern) eine Hürde, die es mit allen Mitteln zu überwinden gilt. Leicht wäre das zu bewerkstelligen, wenn dieser nur an den sogenannten Persistenzcode kommen könnte, den das Konkurrenzunternehmen ENCOM mit Superwissenschaftlerin Eve Kim (Greta Lee, Past Lives) kurz davor steht, zu entdecken. Das geht schließlich nur mit unlauteren Mitteln, und so setzt Dillinger Jared Leto auf die Guten an, die sich logischerweise nicht in Schwarzrot präsentieren, sondern in vertrauensvollem Türkisblau – eine Farbe, die einfach nicht böse sein kann.

Disneyland-KI fürs Auge

Das Filmmagazin cinema wirft Tron: Ares des weiteren vor, um einen Plot zu kreisen, den ein KI-Tool hätte erstellen können, und zwar in Windeseile, weil Effizienz ist das neue Schwarz. Aus meiner Sicht bietet der dritte Teil, der nur so tut, als würde er sich bemühen, die Brücke zu den Vorgängern zu schlagen, weitaus besseren Stoff als so manch anderes im Genre der Action oder der Science-Fiction. Aus der 29-Minuten-Hürde lässt sich in der Tat einiges herumbauen. Joachim Rønning weiß das und inszeniert ein unschlagbar naives Bilderbuch über einen technosozialen Paradigmenwechsel, der nur peripher mit dem zu tun hat, worin wir selbst gerade stecken. Statt Statt kritischer Blicke auf die Büchse der Pandora bietet Tron: Ares sympathischen Eskapismus und will viel eher als zeitgeistige Design-Revue mit ordentlich Drive verstanden wissen als in den Reigen der Black Mirror-Albträume aufgenommen zu werden.

Vergesst nicht, wir haben es hier mit Disney zu tun, Disney arbeitet mit simplen Parametern und Formeln, allerdings ist der Konzern ausgeschlafen genug, um die Rezeptur mit Fachexpertise umzusetzen. Während der Sound von Nine Inch Nails ordentlich fetzt, bietet Tron: Ares eine von den Settings bis zu den Kostümen durchgestylte Welt, in der Designer aller Couleur sichtlich ihr Bestes gegeben haben. Tron: Ares ist auch ausschließlich dafür gemacht, zwei Stunden Popcornkino zu liefern, das nicht den Faktor KI verteufelt, sondern nur den, der sie anwendet. Das Willkommensklatschen eines künstlichen Bewusstseins in unseren Kreisen der sterblichen Biomasse ist somit laut und freundlich. Nach nicht mal 29 Minuten hat man längst Platz gefunden in einer Zukunft, die niemanden etwas wegnimmt, und daher auch niemals real sein kann. Als LLM-Illusion für Dummies aber, und da zähle ich mich mindestens spielfilmlang dazu, hat alles seine moralische, aber vorurteilsfreie Ordnung.

Tron: Ares (2025)

Freakier Friday (2025)

SICH SELBST MIT ANDEREN AUGEN SEHEN

6/10


© 2025 Disney Enterprises, Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: NISHA GANATRA

DREHBUCH: JORDAN WEISS

KAMERA: AMIE DOHERTY

CAST: JAMIE LEE CURTIS, LINDSAY LOHAN, JULIA BUTTERS, SOPHIE HAMMONS, MANNY JACINTO, MAITREYI RAMAKRISHNAN, ROSALIND CHAO, CHAD MICHAEL MURRAY, MARK HARMON, VANESSA BAYER, CHRISTINA VIDAL MITCHELL, HALEY HUDSON U. A.

LÄNGE: 1 STD 51 MIN


„Ich bin alt!“ Eine kleine Sternstunde der Situationskomik war das damals, als Jamie Lee Curtis vor dem Spiegel es nicht fassen konnte, wie sie aussah. Dazu muss man wissen, dass in ihrem Körper die siebzehnjährige Lindsay Lohan steckte, zumindest im Drehbuch war das so vorgemerkt, dass beide – Mama und Tochter – über Nacht ihrer eigenen physischen Hülle verlustig wurden und stattdessen die der jeweils anderen bekamen. Jetzt, mehr als zwei Dekaden später, ist Mark Waters launiger Erfolg von 2003 eine Prachtkuh, die man, wenn es nach dem Disney-Konzern geht, der stellvertretend für Hollywood steht, immer noch melken kann. Der Trend der Aufgüsse, Remakes und Sequels reißt nicht ab. Viele Projekte tauchen an den 2000ern vorbei bis tief in die Achtziger – zuletzt fand man dort Die nackte Kanone, demnächst Running Man oder gar Spaceballs. Rick Moranis soll wieder vor die Kamera. Das glaube ich erst, wenn ich es sehe. Hier allerdings, in Freakier Friday, genießt die wunderbare Jamie Lee Curtis nach ihrem Oscar für Everything Everywhere All at Once ihren zweiten Karrierefrühling und macht das Beste daraus.

Meiner Meinung nach verhält es sich dabei so: Wenn Curtis draufsteht, ist Curtis drin, und wir wissen, sie ist eine Vollblutkomödiantin, da gibt es aus meiner Sicht kein Wenn und Aber. In ihr steckt diesmal nicht die Tochter, sondern die zwangsbeglückende Patchwork-Schwester von Lohans leiblicher Tochter. 22 Jahre kann viel Veränderung bringen – und ja, die gute Lindsay ist nun kein kindlicher Teenie mehr, sondern eine erwachsene Karrierefrau, die die Dosierung ihres Lip-Fillers besser einschätzen kann als Nicole Kidman. Sie verliebt sich in Manny Jacinto (u. a. in The Acolyte als Antagonist zu sehen), der ebenfalls eine Tochter hat. Beide gehen an die selbe Schule, und beide können sich nicht ausstehen. Wenn dieser Patchwork dann auch noch mit einem Bodyswitch doppelt vernäht wird, ist das Chaos perfekt. Schließlich steckt die Tochter wieder in der Mutter und umgekehrt. Turbulenzen, Missverständnisse und jede Menge cringe Situationskomik, die entsteht, wenn das Mindset der Älteren mit der agilen Physis der Jüngeren gesegnet wird, lassen sich in einem maßgeschneiderten Drehbuch finden, das nichts dem Zufall überlässt. Im Film ist das eine sichere Bank für ein Publikum, das bekommen will, was es sich erwartet und keinerlei Überraschungen duldet. Freakier Friday ist Familiencomedy, Teenie-Turbulenz und Generationen-Clinch, dazu ein Hauch Mystery und die übliche Mechanik, die leise Sitcom-Melancholie mit gehetztem Wohlstands-Klamauk verbindet. Angenehm vertraut kommt einem das Ganze vor, tatsächlich so wie damals, als Curtis und Lohan die einzigen waren, die ihre Diskrepanzen miteinander hatten.

Da Nisha Ganatra (Late Night mit Emma Thompson und Mindy Kaling) den Plot von damals mehr oder weniger dupliziert, muss vieles in dieser Komödie auch parallel laufen. Ab und an verliert man dabei den Überblick und hetzt von der einen Notlage zur anderen. Irgendwie schafft es Ganatra aber doch, die Verwirrung im Zaum zu halten. Wenn man sich darauf konzentriert, wer nun wer ist, macht das Guilty Pleasure doppelt Spaß, und es lässt sich dabei auch gut erkennen, wie gut oder weniger gut manche Besetzung ihren Bodyswitch auch umsetzen kann.

Frei nach dem Motto „Versetz dich mal in meine Lage“ setzt Freakier Friday den Blickwechsel zum besseren Miteinander als emotionale Ebene ein, auf welcher der durchaus herzliche Spaß seine Ausdauer probt. Unterm Strich weiß man mit einer erfrischend engagierten Lohan und natürlich der prächtigen Curtis so einiges auf der Habenseite. Ob da noch ein Teil in Aussicht steht, liegt wiedermal am Einspiel. Kino ist schließlich ein Geschäft ohne Risiko. Vielleicht aber sollten sich die Studios mal in die Rolle des Publikums versetzen, denn das Klingeln der Münzen ist nicht alles. Neuer Input wäre umso mehr.

Freakier Friday (2025)

Elio (2025)

SCIENCE-FICTION DURCH KINDERAUGEN

5/10


© 2025 Disney/Pixar. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: MADELINE SHARAFIAN, DOMEE SHI, ADRIAN MOLINA

DREHBUCH: JULIA CHO, MARK HAMMER, MIKE JONES

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): YONAS KIDREAB, ZOE SALDAÑA, REMY EDGERLY, BRANDON MOON, BRAD GARRETT, JAMEELA JAMIL, MATTHIAS SCHWEIGHÖFER U. A.

LÄNGE: 1 STD 38 MIN


Sind wir allein? Kommt ganz drauf an. Sind wir allein auf dieser Welt? Mitnichten. Sind wir allein im Universum? Womöglich auch nicht. Lässt sich dann angesichts dieser Prämisse denn behaupten, man könnte gar in den Weiten des Kosmos einen Freund fürs Leben finden? Im Kino ist alles möglich. Da dienen Wurmlöcher und Warp-Antriebe dazu, extreme, rein theoretisch niemals überbrückbare Distanzen zu überwinden, um sich in die Arme zu schließen. Dem kleinen Waisenjungen namens Elio Solis gelingt das. Er genießt das seltene Glück, zu erkennen, dass der Mensch nur eine von vielen Lebensformen ist, die das Universum bevölkern. Die Tatsache versetzt ihn zwar mitunter in Staunen, so, als würde man zum ersten Mal auf den Rummel gehen oder in den Zirkus, doch man sieht auch – mit etwas anderem hat Elio eigentlich gar nicht gerechnet. Liegt es daran, weil er fest daran geglaubt hat?

In weiterer Folge werden wir dem lateinamerikanischen Knirps dabei zusehen, wie er als Botschafter der Erde versucht, einen martialischen Aggressor im Krustentier-Kostüm in die Schranken zu weisen. Die Seele eines Diplomaten steckt in unserem Titelhelden, noch dazu hat er das Glück, sich mit Glordon anzufreunden, dem Sohn des finsteren Oberbosses, der auch so gerne in den Reigen des Communiverse aufgenommen werden will, doch aufgrund seiner kriegstreibenden Gesinnung wohl eher außen vorgelassen wird. Das erinnert doch irgendwie an Putin und die Lage in Europa, oder nicht? Versteckt Pixar hier ein geopolitisches Gleichnis? Mag sein oder auch nicht: Diese Kränkung will der zähnefletschende Wurm nicht hinnehmen, und Elio hat alle kleinen Hände voll zu tun, eine Lösung zu finden, da der friedfertige Rest diverser Planetenbewohner keinerlei Ideen hat, wie man mit so jemanden umgeht.

Identitätsfindung vs. Weltenfrieden

Liest man die Reviews auf diversen Plattformen, ist von Entfremdung, Isolation und Anderssein die Rede; von Zugehörigkeit, Gemeinschaft und Freundschaft. Uff, ja, schön und gut, einiges davon steckt in jedem noch so gearteten Familienfilm, der jemals von Disney und Pixar produziert wurde. Das alles steckt auch gefühlt in jedem anderen Kinderfilm, in jeder anderen Kinderserie, in jedem anderen Kinderbuch. Elio bemüht sich nicht einmal, diese juvenilen Bedürfnisse erzählerisch zu variieren, sondern liefert eine überraschend simple, ich will nicht sagen banale, aber herkömmliche Geschichte ab, die zu den vielleicht höher gesteckten Erklärungszielen wie Entfremdung und Isolation viel zu wenig zu sagen hat. Die aufkeimenden Konflikte sind absehbar, deren Lösung nicht minder vorhersehbar – für die ganz Kleinen bleiben eine Handvoll erhellende, gar tröstende Erkenntnisse, alles in kindgerechter Aufmachung, runden Formen und weichen Linien, mit ganz vielen Farben, jeder Menge Leuchten und Glitzern. Erwachsene ermüdet das schnell, da es nichts gibt, dass sich – bis auf ein paar dezente Filmzitate und markigen Gesten, die auf Klassiker der SciFi verweisen – an ein anderes Publikum richtet, das nicht mehr als zwölf Lenze zählt. Warum dieser extreme Schwenk in eine Richtung, die den kreativen Köpfen hinter diesem aufwendig animierten Streifen kaum Raum für tollkühnen Spirit bietet? Von Meisterwerken wie Alles steht Kopf, Soul oder Wall-E ist man weit entfernt – Filme wie diese handeln von abstrakteren, universelleren, auch zukunftskritischen Dingen, selbst die Toy Story-Abenteuer rund um liebgewonnenes Spielzeug bemühen sich um augenzwinkernde Geschichten, mit Gespür für Ironie, Herzlichkeit und unerwarteten Wendungen. Elio hat zwar jede Menge Feel-Good-Vibes, doch die großen narrativen wie emotionalen Ideen fehlen. Elio probiert Bewährtes, denkt nicht um die Ecke, lässt mehrdeutigen Humor zu großen Teilen vermissen.

Wie Elio zu Beginn des Films am Strand liegt und sich abholen lassen will, weil die Welt, in der er lebt, keinen Platz für ihn hat – genau dort findet Pixar noch nachhause, hier variieren die Macher die Themen Entfremdung und Deplatziertheit auf liebevolle Art und Weise. Spätestens beim Erscheinen einer ganzen Riege irdischer Tiefseekreaturen nachempfundener Wesenheiten, die generische Persönlichkeiten besitzen, außer eben Freund Glordon, der auf die Butterseite der Charakterentwicklung fiel, erfährt das Abenteuer eine gewisse Beliebigkeit, zeichnet eine wenig autarke Story zwischen Der Flug des Navigators (ein Jugendfilm-Highlight der 80er) und Guardians of the Galaxy. Gerade bei letzterem denke ich an Peter Quill aka Star Lord, der nach dem Tod seiner Mutter von Außerirdischen ähnlich abgeholt wird wie Elio. Marvel-Einflüsse sind unübersehbar, was zur Folge hat, dass Pixar sich wieder tiefer in den Schoß der Disney-Mutter kuschelt, zumindest in diesem Fall.

Das will nicht heißen, dass ich nun auf Alles steht Kopf 3 warte – sondern auf das Finden einer neuen Inspirationsquelle, auf erfrischendes Gedankengut und vielleicht auch auf ambivalentere Charaktere. Selbst Kindern, und gerade Kindern, ist sowas längst zuzumuten.

Elio (2025)

Deadpool & Wolverine (2024)

MEIN PARTNER MIT DER FRECHEN SCHNAUZE

7/10


DEADPOOL & WOLVERINE© 2024 20th Century Studios / © and ™ 2024 MARVEL.


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: SHAWN LEVY

DREHBUCH: RHETT REESE, PAUL WERNICK, ZEB WELLS, RYAN REYNOLDS, SHAWN LEVY

CAST: RYAN REYNOLDS, HUGH JACKMAN, MATTHEW MACFAYDEN, EMMA CORRIN, AARON STANFORD, MORENA BACCARIN, ROB DELANEY, LESLIE UGGAMS, DAFNE KEEN, JENNIFER GARNER, WESLEY SNIPES, CHANNING TATUM, JON FAVREAU, CHRIS EVANS U. A.

LÄNGE: 2 STD 8 MIN


Wade Wilson, der unkaputtbare Ex-Söldner und Superkiller, hat längst das Nirvana des gesamten filmischen Comic-Kosmos erreicht. Deadpool hat den Überblick, ganz so wie der am Zenit der Erkenntnis angekomme Siddharta, der später als Buddha in die Religionsgeschichte eingegangen sein wird. Denn alles, so weiß Deadpool, ist nur Kino. Alles nur ein Film, er selbst eine erfundene Figur in einem erfundenen Universum. Schließlich ist er der einzige, der begriffen hat, der zu sein, der er ist: Ein von Ryan Reynolds bislang unter Twentieth Century Fox auf die Leinwand gebrachter Charakter, der nun darauf hoffen darf, auf den kunterbunt-süßen Schoß von Disney zu krabbeln. Wenn Deadpool die vierte Wand durchbricht und über sein Dasein in einer völlig zerfahrenen Multiversum-Timeline schwadroniert – wenn er zurückgreift auf andere Filme, in dessen Sets er herumfuhrwerkt (in diesem Fall James Mangold‘s Wolverine-Abgesang Logan), hat uns der rotgekleidete Berserker längst in sein Allerheiligstes eingeladen, um als Teil seines überschaubaren Freundeskreises dem Eskapismus zu frönen, fern jedweder Betroffenheit, jeder noch so unschönen Realität oder ernsten Angelegenheit. Diese Extra-Lizenz, keiner von Marvel sonst wie aufgestellten Benimmregel folgen zu müssen, verleiht dem jovialen Vielredner und Possenreißer den Status eines Hofnarren, der selbst den König einen Dolm nennen darf. Diese lausbübische Freiheit verlangt es, dass Deadpool gar das Problemkind des von Kevin Feige etwas zerfahrenen MCU beim Namen nennt – und die Kurve deswegen kriegt, weil er weniger das Multiversum-Dilemma nochmal aufkochen, sondern viel lieber mit einer stiefkindlich betrachteten Nebenschiene des Marvel-Kosmos kokettieren will: Den X-Men.

Ufert das Ganze dann nicht noch mehr aus, wenn die Avengers und die X-Men synergieren sollen? Jedenfalls ist diese Fusion wohl besser, als sich in multiplen Realitäten noch mehr zu verlieren. So sehr diese Prämisse anfangs auch vielversprechend schien – so wenig ist sie zu gebrauchen. Weil sie sich totläuft. Einmal allerdings noch, lässt sich auch Deadpool den Ritt auf dem Zeitstrahl nicht nehmen, und wer die souveräne Serie Loki gesehen hat, weiß längst Bescheid, was es mit der TVA – der Time Variance Authority – auf sich hat. Auch Wade gerät in die Mühlen dieser Bürokratie, weiß aber, dass er sein eigenes Universum nur dann vor der behördlichen Vernichtung retten kann, wenn er den in seiner Welt verstorbenen Wolverine von woanders klaut. Nach einigen Versuchen findet er ihn: einen in Selbstmitleid, Alkohol und Gram ertrunkenen Superhelden, der alles vermasselt hat. Man kann sich denken, wie sich die beiden wohl vertragen werden. Ob sie gemeinsame Sache machen oder nicht: letztlich landen Sie an einem Ort, den wir ebenfalls aus Loki kennen und an welchem Kooperation besser ist als gegenseitiges Aufschlitzen.

Ja, sie sind das Dreamteam des MCU. Besser noch als der Falcon und der Winter-Soldier. Besser noch als Hulk und Thor. Oder Wanda und Vision. Die beiden sind wie Jack Lemmon und Walter Matthau, wie Bud Spencer und Terence Hill. Wie Shawn Levy (Stranger Things, Free Guy) diese Bromance auf Spur bringt, ist weder konfus noch ausufernd noch an den Haaren herbeigezogen, sondern lebt von dieser auch privaten innigen Freundschaft zwischen Ryan Reynolds und Hugh Jackman. Diese Spielfreude und die Bereitschaft, sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen, ist das Fundament für ein heillos überzeichnetes, aber niemals zuviel wollendes Abenteuer, dass zwar nie die groteske Häme der Boys erreicht, dafür aber die blutrünstige, in ihrer Gewaltdarstellung hyperrealistisch karikierte Optik übernimmt. Literweise Kunstblut fließen schon in den ersten Minuten des Films, in welchen Deadpool unter den Klängen der Backstreet Boys die Exekutive der TVA zerschnetzelt. Wenn Wolverine dann auch noch seine Klingen ausfährt, wird es richtig schön deftig. Und fast schon sinnlich.

Angereichert mit Seitenhieben auf Franchises, Medien und längst eingestampften Ex-Superhelden, die ihre Gastauftritte genießen, liefert Deadpool & Wolverine vergnügliche zwei Stunden reinsten Schabernacks. Die mit Ernst angehauchte Realitätskrise Wolverines steht ganz im Gegensatz zu Reynolds permanentem Sarkasmus, zusammen stemmen sie eine gottseidank heruntersimplifizierte Story, deren Antagonistin in ihrer Grimmigkeit zwar fehl am Platz wirkt, von den beiden Kapazundern, die wirklich jeden Quadratzentimeter des Films leidenschaftlich einnehmen, aber mitgerissen wird.

War schon der letzte Deadpool ein Schenkelklopfer schlechthin, entgeht der dritte Teil dank Wolverines brachialer und comicgetreuer Rückkehr einer vielleicht nervtötenden Redundanz. Seine Bühnenpräsenz zu teilen, tut Deadpool äußerst gut. Und auch umgekehrt. Beide gemeinsam haben eine Zukunft, wobei Jackman wohl nicht mehr seinen Adamantium-Arsch vor die Kamera schieben wird. Doch warten wir mal ab. Reynolds ist schließlich beharrlich.

Deadpool & Wolverine (2024)

Alles steht Kopf 2 (2024)

DAS HÄLT MAN JA IM KOPF NICHT AUS

8/10


INSIDE OUT 2© 2023 Disney/Pixar. All Rights Reserved.


ORIGINALTITEL: INSIDE OUT 2

LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: KELSEY MANN

DREHBUCH: MEG LAFAUVE, DAVE HOLSTEIN

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): AMY POEHLER, PHYLLIS SMITH, TONY HALE, LEWIS BLACK, LIZA LAPIRA, MAYA HAWKE, AYO EDEBIRI, ADÈLE EXARCHOPOULOS, PAUL WALTER HAUSER, KENSINGTON TALLMAN, DIANE LANE, KYLE MCLACHLAN U. A.

MIT DEN STIMMEN VON (DEUTSCHE SYNCHRO): NANA SPIER, PHILINE PETERS-ARNOLDS, OLAF SCHUBERT, HNS-JOACHIM HEIST, TANYA KAHANA, DERYA FLECHTNER, OLIVIA BÜSCHKEN, JESSICA WALTHER-GABORY, BASTIAN PASTEWKA U. A.

LÄNGE: 1 STD 36 MIN


Wie bringt man so etwas Abstraktes wie die Vielfalt der eigenen Emotionen in die Gussform einer Coming of Age-Story, die hauptsächlich nur zeigt, was in einem Menschen vorgeht, insbesondere eines jungen Menschen, der mit all diesen Gefühlen erstmal auf Kennenlernkurs gehen und sich dann selbst als Person und Charakter definieren muss? Hinzu kommen Werte, Überzeugungen und Glaubenssätze, dunkle Geheimnisse, verdrängte Erinnerungen. Alles, was das Gehirn als ein Wunderding chemischer Prozesse und als Antwort auf die Außenwelt, die einen formt, produziert? Am besten verlässt man sich da auf Pixar. Denn Pixar bringt interagierende Emotionen als Bilderbuch auf Schiene, gibt Freude, Kummer, Ekel, Angst und Wut eine knuffige Gestalt, mit der sich das Publikum leicht identifizieren kann, weil sie liebenswert erscheinen, auch wenn sie etwas verkörpern, dass uns gut und gerne verstimmt. Pixar hat sich darin bewährt, Abstraktes greifbar zu machen und ein komplexes System in seinem Workflow so weit zu simplifizieren, dass es selbst die Jüngeren (aber nicht die ganz Jungen) verstehen. Was da abgeht, verstehen nicht mal wir Erwachsenen, umso hilfreicher sind Filme wie Alles steht Kopf, die uns auf spielerische Weise verdeutlichen, womit wir tagtäglich zu ringen haben.

Ein junger Mensch taucht in seine Gefühle ein wie ein Pionier, der eine Landmasse neu entdeckt. Die eingangs erwähnten Emotionen sind allesamt noch da, sie sind nach wie vor chaotisch, finden aber einen gewissen Rhythmus in ihrem Tun. Bis eben die Pubertät im Alarmstufe Rot-Modus alle aus dem geordneten Schlaf holt. Die Stunde des Erwachsenwerdens hat geschlagen, die nun dreizehnjährige Riley erfährt zum ersten Mal in ihrem Leben, wie es ist, zu sich selbst zu stehen und ihr Tun zu hinterfragen. Sie beginnt, an die Zukunft zu denken und Prioritäten zu setzen, sie setzt sich dem sozialen Biotop eines Eishockey-Camps aus und biedert sich einer bewundernswerten Clique an, während ihre beiden langjährigen Freundinnen, die noch dazu nächstes Jahr an eine andere Schule wechseln, sehen müssen, wo sie bleiben. In Rileys Kopf entern nun ganz andere, neue Emotionen die Schaltzentrale – vor allem der Zweifel gibt den Ton an, begleitet von Neid, Gleichmut und Peinlichkeit. Grandios: als fünfte Emotion im Schlepptau gibt sich die Nostalgie als schicke alte Oma ein Stelldichein. Was dann passiert, ist fast schon mit einem Putsch der Gefühle zu bezeichnen, die Klassiker werden verdrängt und landen im Hinterstübchen, der Zweifel beginnt, ohne es zu wollen, Rileys Persönlichkeit zu ändern und zu verleugnen.

Was Zweifel mit einem machen, stellen Drehbuchautorin Meg LaFauve (dier schon am ersten Teil mitgeschrieben hat) und Kelsey Mann auf eine Weise dar, die klüger nicht sein könnte. Pixar übertrumpft mit seinem Sequel noch bei weitem das Original, die surreale Hirnlandschaft eines Mädchens wird abermals zu einer abenteuerlichen Terra incognita mit bekannten Ecken, aber auch neuen „Naturkatastrophen“ wie dem Sarkasmusgraben oder den zeppelingroßen Ballons, die die mögliche berufliche Zukunft Rileys darstellen. Ideen wie diese sind Gold wert, mit viel Bedacht bringt Alles steht Kopf 2 diese irreale und doch so reale Welt zum Beben und Leben, alles hat seinen Platz, seine Funktion, seinen Sinn.

Natürlich folgt Kelsey Manns Film der fast schon generischen Problemwelt eines Mädchens, all das kennen wir aus Schulfilmen von John Hughes und vielen ähnliche Serien wie Wunderbare Jahre. Das alles ist nicht neu, fast schon psychosoziales Lehrbeispiel – doch durch diesen Dreh, mit dem das Innere sichtbar wird – diese Welt aus Gedanken, zuckenden Synapsen und schwer kontrollierbaren Emotionen – gerät Alles steht Kopf 2 so packend wie ein Psychothriller, so fordernd wie eine Therapiesitzung und ist tatsächlich auch imstande, Gänsehaut zu erzeugen. Klarerweise müssen die Verantwortlichen auch darauf achten, den sehr jungen Part ihrer Zielgruppe nicht aus den Augen zu verlieren – manch infantile Momente wirken daher wie im falschen Film, den Kleinen dürfte es aber gefallen. Von mir aus, in Kauf genommen, schließlich ist alles andere auf den Punkt inszeniert und animiert, mit Alles steht Kopf 2 hat das Team von Pixar schließlich wieder jenen Tiefgang erreicht, den es zuletzt mit Soul hatte. Darin, das Formlose sichtbar werden zu lassen und neue Welten zu erforschen, liegt die Stärke dieses Studios. Beim nächsten Mal, ich ahne es schon, könnte die Liebe ins Spiel kommen. Das Beste wäre aber, Riley ihr ganzes Leben lang zu begleiten. Denn jede Phase davon wäre ein Film wie dieser wert.

Alles steht Kopf 2 (2024)

The Creator (2023)

DIE TRÄNEN DER ANDROIDEN

6/10


THE CREATOR© 2023 20th Century Studios. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: GARETH EDWARDS

DREHBUCH: GARETH EDWARDS, CHRIS WEITZ

CAST: JOHN DAVID WASHINGTON, MADELEINE YUNA VOYLES, GEMMA CHAN, KEN WATANABE, STURGILL SIMPSON, ALLISON JANNEY, RALPH INESON, AMAR CHADHA-PATEL, MARC MENCHACA U. A.

LÄNGE: 2 STD 13 MIN


Künstliche Intelligenz ist in aller Munde, in allen Zeitungen und, weil es so einfach geht, auf sehr vielen elektronischen Geräten. Als App, die sich ungeniert der lizenzfreien Datenaneignung hingibt, um mehr zu wissen als der User mit seinen unzureichend ausformulierten Prompts. Künstliche Intelligenz treibt uns alle um, macht Angst und schafft gleichermaßen Freizeit, wenn die Dinge an die Technik delegiert werden können. Dafür sind KIs schließlich da, und nicht dafür, sich als neue Spezies zu etablieren, auf einem Planeten, der ohnehin schon kaum mehr Ressourcen hat. Gareth Edwards, Held der Star Wars-Franchise und Virtuose im Schaffen von Bildern, die das Phantastische in natürliche Settings integrieren, hätte sein Roboterdrama nicht punktgenauer ins Kino bringen können. The Creator gibt sich schließlich der großen Frage hin, was wohl aus unserer Welt werden könnte, wenn künstliche Intelligenz mit eigenem Bewusstsein auf ein Daseinsrecht pocht und zum Teil einer rätselhaften Evolution wird, die Homo sapiens immer mehr den Rang abläuft.

Das sind prinzipiell mal, ohne viel nachzudenken, interessante Überlegungen. In einem schönen Film, der an die postmodernen (ich will nicht sagen: postapokalyptischen) Welten eines Simon Stålenhag (The Electric Dreams) erinnert. Bizarrer architektonischer High-Tech-Gigantismus zwischen naturbelassenen Landschaften überwiegend der asiatischen Hemisphäre – alles getaucht in mal zu-, mal abnehmendes Tageslicht; mal grobkörnig, mal leicht verwaschen. Es ist, als wären diese Gebilde wirklich da. Es ist, als wären diese Androiden, Simulants genannt, mit dem täuschend echten Antlitz diverser Gesichts-Sponsoren niemals weggewesen. Betrachtet man sie im Profil, erkennt man sie leicht an diesem Hohlraum zwischen Kiefer und Wirbelsäule, die eigentlich gar nicht mehr vorhanden ist. Diese Androiden könnten die Vorstufe zu den Replikanten sein, mit welchen sich der Blade Runner zeitlich eigentlich früher, aber angepasst an The Creator viele Jahrzehnte später herumschlagen wird. Bei Gareth Edwards ist es das Jahr 2065. KI in jedweder Form hat bei den Westmächten längst seine Chance verspielt, nochmal groß rauszukommen. Aufgrund eines nicht näher definierten atomaren Zwischenfalls, welcher die Zerstörung von Los Angeles zur Folge hatte, ist in den USA der Geist aus dem Computer persona non grata – anders als im Osten, denn dort ist die Koexistenz zwischen Mensch und Maschine zum wahrgewordenen Wunschtraum eines John Connor geworden, der sich in der Welt des Terminators mit einer ganz anders gearteten, menschenfeindlichen KI namens Skynet herumschlagen musste. Im Osten schließlich wäre alles eitel Wonne und selbst Androiden würden den Weltreligionen wie dem Buddhismus folgen, würden sich die Westmächte nicht, was plausibel scheint, als Weltpolizei aufspielen und dem Fortschritt dank einer monströsen, im Orbit stationierten Waffe namens Nomad, den Krieg erklären. In diesem Tauziehen zwischen Ost und West sucht ein amerikanischer Ex-Agent namens Joshua Taylor (John David Washington) seine bei einem Anschlag vermeintlich draufgegangene Geliebte, die Teil eines Rebellenrings rund um den KI-Entwickler Nirmata gewesen ist und von Joshuas Doppelleben nichts wusste. Im Zuge seiner Bestrebungen fällt ihm auch noch die Roboter-Superwaffe Alpha O in die Hände – ein junges Androidenmädchen, das womöglich weiß, wo Joshuas Geliebte steckt, und wo auch Nirmata zu finden ist, dem alle habhaft werden wollen.

Die abenteuerliche Odyssee quer durch eine atemberaubend arrangierte Zukunft mit Robotern und Vehikeln, die frappant an Star Wars und eben Rogue One – A Star Wars Story erinnern, ist eine Sache. Die andere ist Gareth Edwards‘ und Chris Weitz‘ erschreckend naiver Zugang zur Materie. The Creator ist ein Film, der vor allem den Filmemachern gefällt, der sich selbst gefällt und, um diese Harmonie aus Natur und High-Tech nicht zu stören, allerlei Kompromisse für seinen Plot einzugehen bereit ist. Alles soll gut ins Konzept passen, passt aber nicht zu dieser übergeordneten Vision einer – ich sag‘s mal so – völlig unmöglichen Zukunft, die an so vielen Ecken und Enden so viele Fragen aufwirft, das man gar nicht mal anfangen will, diese – zumindest mal für sich selbst– zu beantworten.

Das fängt allein schon damit an, dass The Creator völlig ignoriert, dass die Welt, in der wir womöglich leben werden, sowohl an Überbevölkerung als auch unter Ressourcenknappheit leidet. Ist sowieso schon alles dicht gedrängt und die Existenz am Kippen, braucht es zu allem Überfluss Maschinenmenschen, die uns ersetzen. Diese zu bauen, kostet Geld. Wer finanziert das? Wieviel kostet ein Android? Können sich diese bereits selbst herstellen? Was sollen diese Streifzüge durch heruntergekommene Fabrikhallen, an denen „echte“ Menschen werkeln, während das, was vom Fließband steigt, das Nonplusultra eines High-Tech-Endprodukts darstellt?

Nichts ist in einer Welt wie dieser umsonst. Womit zahlen Androiden ihren Strom, den sie abzapfen? Menschliche Profitgier ist plötzlich kein Thema mehr, Landfraß nicht der Rede wert. Wo Gareth Edwards hinblickt, führen Androiden-Bauern ihre Wasserbüffel übers Feld. Hinken Androiden, nur weil sie die Gesichter alter Menschen haben, den lehmigen Dorfweg entlang. Menschenleere Strände, Inseln in der Andamenensee, idyllische Ja natürlich!-Wirtschaft inmitten eines Techno-Krieges? Das ist Kitsch, der ohne Kontext vielleicht funtkionieren würde. Die Welt dieser Zukunft seufzt in entrückter Melancholie vor lauter Science-Fiction-Romantik, als wäre Caspar David Friedrich im Roboterzeitalter wiedergeboren. Nur passt diese pittoreske Fiktion nirgendwohin, sie ist die gefällige Momentvorstellung eines Visionärs, der schöne Bilder liebt, schluchzende KI-Kinder und letzte Küsse vor dem Supergau, wie Felicity Jones und Diego Luna, kurz bevor der Todesstern den Palmenplaneten Scarif in Schutt und Asche verwandeln wird.

The Creator ist ein Bilderbuch aus einer irrealen Zukunft. Eines, das man gerne durchblättert, wovon man aber die rundum verfasste Geschichte nicht unbedingt mitlesen muss, denn dann könnte man Gefahr laufen, festzustellen, dass Edwards Film in ereiferndem Glauben an das Erstarken künstlicher Lebensformen dem Fortschritt der KI Tür und Tor öffnen will. Eine Conclusio, die mir nicht ganz schmeckt.

The Creator (2023)

Strange World (2022)

SELTSAM VERTRAUT UND DOCH VÖLLIG FREMD

5/10


STRANGE WORLD© 2022 Disney. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: DON HALL

BUCH: QUI NGUYEN

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): JAKE GYLLENHAAL, DENNIS QUAID, JABOUKIE YOUNG-WHITE, GABRIELLE UNION, LUCY LIU, KARAN SONI, ALAN TUDYK U. A.

LÄNGE: 1 STD 42 MIN


Der gigantische Dachkonzern Disney mit all seinen eingegliederten Studios zu jedem seiner Themen sieht sich völlig nachvollziehbar in der Pflicht, der medienkonsumierenden Menschheit beizubringen, wie man achtsam durchs Leben geht. Wie man Minderheiten nicht mehr als minder ansieht, wie man sexuelle Diversität ganz einfach und ohne viel nachzudenken akzeptieren kann. Wie sich People of Color endlich auf Augenhöhe mit den amerikanischen Weißen begeben kann. Und wie man nicht zuletzt unsere Welt, oder eigentlich viel mehr uns selbst schützt, bevor es zu spät ist. Disney hat sich da viele Gedanken gemacht. Und nicht nur Disney. Auch Netflix und Amazon und alle Riesen, die sich in der moralischen Verantwortung befinden. Jeder Konzern hat da so seine Liste, auf welcher steht, wer aller und was alles in einem Mainstream-Film zu sein hat, welche Botschaften kommuniziert werden müssen und welche Moral vertreten. Sind diese Bedingungen erfüllt, kann es ja meinetwegen kreativ werden. Aber nicht vergessen: Die Message ist wichtig, die Agenda muss erfüllt sein, die Saat muss aufgehen.

Klar soll sie das. Alles andere ist Unsinn und lässt die Menschheit in seiner Entwicklung im Kreis laufen bzw. zurück, so lange Freiheiten, die niemanden sonst einschränken, nicht gelebt werden können. So lange Hautfarben soziale Unterschiede hervorrufen, es „Ungläubige“ gibt oder der Klimawandel geleugnet wird. Es liegt so viel im Argen. Und ja, man muss ein Bewusstsein schaffen, wenn man die Macht dazu hat. Die Frage ist nur: Wie? So wie Disney?

So viel Wokeness muss man auch erst mal in einen Film packen können. Der Mauskonzern schafft das mit links, und tatsächlich liegt es ihm fern, das Offensichtliche auch noch zusätzlich zu erwähnen. Hier ist die Diversität selbstverständlich, in dieser höchst eigenartigen Welt, umgeben von hohen Gebirgen, die überhaupt nicht so aussieht wie die unsere, in der Steampunk-Mechanik den Alltag prägt und die Menschheit in ihrer Akzeptanz schon sehr viel weiter scheint als unsere. Diese verbindende Vernunft hat dann auch Potenzial für Helden und Abenteurer, die unbedingt schon mal wissen wollten, was jenseits der Berge liegt. Also macht sich der gestandene Familienvater Jaeger Clade mit seinem Teenager-Filius eines Tages auf, um das Unbekannte zu erforschen, allerdings mehr für sich selbst als für die Allgemeinheit. Dem Sohnemann Searcher (was für seltsame Namen) wird das Unterfangen bald zu viel – er ist schon zufrieden damit, auf dem Weg durch die Wildnis auf eine außergewöhnliche Pflanze gestoßen zu sein, die Energie abgibt. Ach, was hätten wir die nicht gern angesichts der geschmalzenen Jahresabrechnungen zu Strom und Gas, die uns ins Haus flattern? Doch man muss neidlos zugestehen: Dieses Gewächs hat es in sich und wird die Autarkie des Landes retten, während der sture Übervater verschollen bleibt, hat der doch seinen Sohn damals einfach ziehen lassen. Eine ganze Generation später gibt’s mit diesen Energie-Trauben allerdings ein Problem – sie liefern nicht mehr so, wie sie sollen. Also startet eine Expedition ins Innere des Planeten, um den Ursprung allen Übels ausfindig zu machen – und stößt dabei auf eine höchst merkwürdige, surreale Welt aus grenzenloser Biomasse, die noch dazu seltsame Lebewesen beherbergt, die zu surreal erscheinen, um wahr zu sein. Eines dieser Geschöpfe ist aber allzu menschlich: es ist Jaeger Clade, der zwei Dekaden lang sein Dasein hier hat fristen müssen.

Natürlich ist die Optik wieder prachtvoll – die Figuren und ihre Mimik, all die Oberflächen und die geschmeidige Animation: einfach perfekt. Doch zu viel Perfektion bleibt seltsam seelenlos. Disney erlaubt sich mit Strange World, eine ideale Welt zu fordern, in der selbst das Imperfekte nur so weit auftritt, um moralisch noch integer zu bleiben. Konflikten geht Strange World aus dem Weg, die Vater-Sohn-Problematik reduziert sich auf die üblichen Stereotypien verlorener Väter, die gefunden werden wollen. Die Familie selbst ist das überfrachtete Produkt aus politischer Korrektheit, die so sehr das Ideal einer harmonischen Koexistenz einfordert, dass sie fast schon an Propaganda grenzt. Dabei wäre es gehaltvoll genug gewesen, einfach „nur“ die Umweltproblematik zu thematisieren, die uns sowieso gerade herumreißt. Dafür gibt’s auch einen netten Story-Twist am Ende, und der eigentliche Plot wird zur runden Sache. Doch der Hang zum Perfektionismus und die vehemente Agenda des Medienriesen gerät viel zu plakativ.

Strange World (2022)

Avatar: The Way of Water

DER MENSCH UND DER NEID AUFS PARADIES

8/10


AVATAR: THE WAY OF WATER© 20th Century Studios. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: JAMES CAMERON

BUCH: JAMES CAMERON, JOSH FRIEDMAN

CAST: SAM WORTHINGTON, ZOE SALDANA, STEPHEN LANG, SIGOURNEY WEAVER, KATE WINSLET, CLIFF CURTIS, JAMIE FLATTERS, BRITAIN DALTON, JACK CHAMPION, CCH POUNDER, JEMAINE CLEMENT U. A.

LÄNGE: 3 STD 13 MIN


Da gibt es Kunstwerke auf dieser Welt, die existieren scheinbar schon ewig, doch man hat sie selbst noch nicht gesehen. Die Pyramiden zum Beispiel, den Petersdom oder die Fresken des Michelangelo. Man weiß, dass diese von einer objektiven Schönheit sind, und man weiß, dass, würden diese mal wirklich vor den eigenen Augen in ihrer ganzen Realität erscheinen, wir sie schön finden müssten. Allein schon aufgrund der Art und Weise, wie sie entstanden sind. Und vor allem: wie lange. Das zu respektieren verlangt in gewissem Maße ein positives Feedback des Betrachters. Denn so viel Arbeit verdient, honoriert zu werden. Ist es also ehrlos, wenn der Applaus trotzdem ausbleibt? Viel mehr scheint es wie ein Gruppenzwang, unter welchem man gut finden muss, was die Mehrheit bereits überschwänglich liebt. Sich dem zu entziehen, ist manchmal nicht leicht. Und bei den Werken von James Cameron, die schon irgendwie, zumindest in der Welt des Films, einen gewissen Weltwunder-Status genießen, ist diese den Massen zugetragene Schönheit genauso etwas, was unmöglich nicht gefallen kann. Oder doch?

Beginnen wir mal damit, dass James Cameron, Visionär und Avantgardist in Sachen Film- und Kameratechnik, in erster Linie eben genau das ist: ein Techniker. Einer, der Science-Fiction und alles liebt, was irgendwie mit Wasser zu tun hat. Der so wie George Lucas einst nicht viel darauf gibt, was alles möglich ist, sondern viel mehr wissen will, was alles möglich sein kann. Und so macht er seine Filme. Mit einem Aufwand wie beim Bau der Pyramiden, mit eigens entwickelten Kameras und Methoden, die Bilder liefern sollen, wie das Publikum sie bis dato noch nicht gesehen hat. 13 volle Jahre lang konnte uns Cameron dies versprechen. Bis Mitte Dezember 2022. Denn da sollten wir sehen, ob das Blaue vom Himmel nicht nur eine Seifenblase ist, sondern greifbare Früchte aus dem Olymp des Eventkinos, die sich nun jeder von uns für spendable 20 Euro pro Nase pflücken kann. Wenn man ein Herz hat für Fantasy. Für simple Geschichten voller Pathos. Oder einfach zur Masse dazugehören will.

Eigentlich will ich das nicht. Aber Fantasy-Fan bin ich schon. Und Liebhaber des 2009 über die nichtsahnende Kinowelt hereingebrochenen ersten Teils – Avatar – Aufbruch nach Pandora. Damals hat mich weniger die schwindelerregende 3D-Optik zur Standing Ovation hinreißen lassen, sondern das konsequent bis ins kleinste Detail durchdachte Ökosystem eines fremden Mondes, angefangen von biolumineszierenden Pollen bis hin zu prähistorisch anmutenden Dickhäutern oder drachenähnlichen Flugwesen, mit welchen das Volk der Na’vi in Verbindung treten kann. Und nicht nur mit diesen Echsen können sie das, sondern mit allem. Mit den Pflanzen, mit dem Boden – mit dieser ganzen prachtvollen, so faszinierenden wie gefährlichen Natur, genannt Eywa – die Mutter. Die größte Idee Camerons war dabei aber immer noch jene, die Na’vi mithilfe eines zopfartigen Auswuchses mit Pandora in den Austausch treten zu lassen. Kann sein, dass wir Menschen mangels dieser Möglichkeit und der Tatsache, dass wir uns immer weiter von der Natur entfernen, angesichts dieses Privilegs neidvoll erblassen. Wut und Enttäuschung mischt sich dazu. Die Na’vi haben etwas, was wir nicht haben: Das Verständnis für das große Ganze.

Apropos großes Ganze: 2009 hat Cameron nur gezeigt, was in den tropischen Wäldern Pandoras so los ist. Jetzt bekommen wir die tropischen Gefilde präsentiert, die artenreichen Riffe und das, was jenseits der Riffe so lebt. Von Panzerfischen bis zu fremdartigen Walen. Eigentümlichen Seehasen, die Atemluft spenden oder Ichthyosaurier, die sich reiten lassen. Blickt man auf unsere Erde, so würde das Paradies von Raja Ampat im Nordwesten von Papua dieser Welt am nächsten kommen. Man spürt die tropische Wärme, das warme Wasser auf der Haut, das kühler wird, je tiefer man runtertaucht. Die wogende See und den die Schwüle lindernden Regen. Cameron nimmt sich Zeit, um seine Welt zu erklären. Das ist das, was er am besten kann. Was er noch kann und wir seit Aliens – Die Rückkehr längst wissen: Action inszenieren. Und mit dem Wasser spielen.

Also lässt der Meister des sündteuren Entertainments alles an Kameras auffahren, denen er habhaft werden konnte, lässt das Weta-Team bis zum Umfallen an organischen Texturen arbeiten, vermengt auf perfektionistische Weise Realaufnahmen mit digitalen Welten, die sich anfühlen, als wären sie der Parcour eines PS5-Computerspiels der neuen Generation. Selbst ist man einer der blauen oder aquamarinfarbenen Eingeborenen in vollendetem Performance-Capture und sprintet, schwimmt und taumelt durch ein trunken machendes Jump and Run-Szenario, das von so einer virtuosen Kamera begleitet wird, dass es schier unmöglich wird, nachzuvollziehen, wie ein solches Timing an Schnitt, Kamera und Bewegung die ganze Zeit gewährleistet werden kann. Während Avatar: The Way of Water anfangs oft zurückblickt auf den ersten Teil und in der zweiten Stunde auf Universum-Erkundungstour unter den Wasserspiegel geht, definiert die dritte Stunde das Actionkino neu. Was einst bei Star Wars – Episode IV für Ahs und Ohs gesorgt hat, lässt diesmal wieder die Kinnlade der Schwerkraft folgen. Da entstehen Bilder, die man nicht so schnell vergisst. Stets interagierend mit den geographischen Eigenheiten des Trabanten wie zum Beispiel einer täglichen Sonnenfinsternis, ist das wechselnde Licht des Tages und der Nacht auf der Haut der Na’vi die absolute Königsdisziplin für Kameramann Russel Carpenter und den Effekt-Spezialisten, die gemäldeartige Arrangements schaffen aus Körpern und Tieren, stets im hitzigen Dialog mit einer zerstörerischen Technik, die das Mysterium eines Paradieses unterwandert.

Die Sehnsucht nach dem Paradies ist vielleicht Camerons größte Versuchung, der er sich in jeder Szene hingeben will. Das Streben nach Perfektion in einem Film ist aber nicht immer alles. Kann sein, dass man Gefahr läuft, etwas klinisch Kitschiges abzuliefern. Als würde man eine KI fragen: Wie sieht eine schöne Landschaft aus? Ab und an passiert das hier. Die schwebenden Korallenbrocken sind dann doch zu viel des Guten, das meist strahlende Wetter zur Mittagszeit ein bisschen flach. Pandora sollte genauso ungemütlich sein wie manchmal unsere Welt. Doch diese Katastrophen kommen stets nur in Gestalt einer invasiven Menschheit, die sich nach einer ausgeknockten Erde nun diesen Mond unter den Nagel reißen will. Und da sind wir auch schon bei Camerons größter Schwäche: Die Geschichte selbst. Und ja: für ausgefeilte Plots ist der Mann schließlich nicht berühmt geworden. Weder bei Terminator noch bei Aliens noch bei Titanic. Seine Stories sind simpel und folgen einfachen Mustern. Gut und Böse bleibt gerne strikt getrennt, die Kritik am Raubbau natürlicher Ressourcen wird in universellen Bildern für jede Altersgruppe dargestellt.

Avatar: The Way of Water ist ein Film, an den man sich beim Zusehen erst gewöhnen muss. Oder besser gesagt: Das Auge, welches etwas Zeit benötigt, um einen gewissen Gleichklang aus dem Gesehenen zu machen. Jeder nimmt visuelle Reize anders wahr, mir zumindest fallen die Unterschiede zwischen Szenen mit höherer Bildrate und herkömmlich gefilmten Sequenzen deutlich auf, was aber im Laufe des Films zum Glück homogener wird – so auch der 3D-Effekt, den man bald nicht mehr wahrnimmt, sondern nur die erhöhte Plastizität sich bewegender Körper. Daher ist auch die letzte Stunde die Sternstunde in einem Film, der trotz dieser satten Laufzeit verblüffend kurzweilig erscheint, weil man die Chance bekommt, Hals über Kopf in eine Welt einzutauchen, von welcher man gerne ein Teil wäre. Cameron ist es unterm Strich gelungen, nicht allzu viel mehr versprochen zu haben als er uns letzten Endes gegeben hat. Das Avatar-Abenteuer ist zweifelsohne ein Meisterwerk technischer Präzision. Und das, was wir ohnehin nicht erwartet hätten, enttäuscht uns auch nicht. Genauso wenig wie die Pyramiden oder der Petersdom, von dem wir längst wussten, dass sie beeindruckend sein müssen.

Avatar: The Way of Water

Not Okay

SIE LIEBEN MICH, SIE LIEBEN MICH NICHT

7,5/10


notokay© 2022 20th Century Studios. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2021

BUCH / REGIE: QUINN SHEPHARD

CAST: ZOEY DEUTCH, MIA ISAAC, DYLAN O’BRIEN, NADIA ALEXANDER, SARAH YARKIN, KARAN SONI, BRENNAN BROWN, EMBETH DAVIDTZ U. A. A. 

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


So weit sind wir gekommen, rund 30 Jahre später, nach Etablierung des Internets und des World Wide Web: Die Sozialen Medien haben uns fest im Griff, vielen dirigiert es das Leben, anderen gibt es den Freibrief für Hass und Häme. Anderen, und nicht wenigen, gibt es die Möglichkeit, zeit- und kostensparend vor ein Publikum zu treten, um sich selbst zu präsentieren. Und damit geht’s erst so richtig los: Wer gefällt besser? Was gefällt besser? Das neue Publikum vor der Bühne sind Follower und Liker. Je größer das Publikum, desto besser das, was auf der digitalen Bühne abgeht. Oder doch nicht? Wie viel wert ist das Publikum, das sich für nichts mehr bemühen muss, außer dafür, einen Klick abzugeben? Mittlerweile lässt sich sowas sogar dazukaufen, aber keiner redet darüber. Manchmal schaffen es einige und treten Hypes oder ähnliches los, die dann wieder nach absehbarer Zeit so verpuffen, als wären sie nie da gewesen. In dieser Zeit aber kann man reich und beliebt werden. Mehr als beliebt. Angehimmelt. Zum Idol werden. Zum Helden. Zur mediasozialen Gottheit aus Werbung, Trend und Anbiederung.

So jemand wird Danni Sanders. Und es ist ein Aufstieg, raketengleich bis ins nächste Sonnensystem. Dabei war Danni beliebtheitsmäßig gerade mal noch Tellerwäscherin – zur Ikone mutiert sie durch einen Trick, der sich, wenn alles glatt läuft, später unter den Tisch kehren lässt. Berühmt will man im 21. Jahrhundert nämlich nicht nur Andy Warhol’sche 15 Minuten sein – sondern gefühlt auf ewig. Das sich der gläserne Mensch nicht mehr nur selbst genügt, sondern sich durch Likes wildfremder anderer definiert, ist bedenklicher Teil eines klugen, modernen Filmmärchens, dem Happy Endings am Allerwertesten vorbeigehen und hinter der Gefallsucht junger Menschen einen kärglichen Rest Selbstwert vorfindet, der nur deswegen so mickrig geworden ist, weil die eigene Ehre als Einsatz für die letzte Runde Beliebtheitspoker auf den Tisch kommt.

Und anfangs sieht es so aus, als hätte Poserin Danni Sanders, bis über beide Ohren selbstverliebt, maskenhaft und gekünstelt, richtig gute Karten. Dank eines Terroranschlags in der französischen Metropole Paris, der genau dann verübt wird, als sich Danni eben dort aufhält. Angeblich, jedenfalls. Denn in Wahrheit sitzt die eitle Schöne daheim, fingiert ihre Selfies auf Photoshop und macht sich so natürlich beliebt. Als dann das Grauen jenseits des Atlantiks hereinbricht, bleibt Danni nichts anders übrig, als traurige Mine zu bösem Spiel zu machen und sich selbst als Überlebende des Terrors bemitleiden zu lassen. Das ist Zündstoff, der sie unter dem Hashtag #NotOkay zur Leitfigur eines Trends werden lässt, der das Unwohlsein der Gesellschaft vor die Linsen mobiler Gerätschaften holt. Doch wo es Erfolg gibt – wie auch immer erreicht – gibt es auch Neider. Und nach dem Aufstieg kommt der tiefe Fall.

Disney+ hat mit der Posting-Satire Not Okay wieder mal den richtigen Riecher gehabt: Quinn Shephards Abrechnung mit den modernen Medien macht von Anfang an klar, wohin die Bestrebungen der bildschönen Lügenprinzessin letzten Endes führen werden. Daher zeichnet sie mit Liebe zum Detail und mit einem gewissen Quäntchen an Schadenfreude einen unwirtlichen Weg aus Verrat, Betrug und Vertrauensmissbrauch Richtung Untergang. Zum Glück verzichtet Shephard aber auf Zynismus oder derb-grotesker Polemik, zu der man sich gerade in diesem thematischen Untiefen gerne hinreißen lassen könnte. Zoey Deutch als Fake-Zeitgeistheldin rotiert als Influencerin um ihr massereiches Ego und bleibt dennoch plausibel und differenziert, mitunter funkelt von Anfang an schon die ungeschminkte Danni durch, die sie in den wenigen, aber ausdrucksstarken Momenten menschlich greifbar werden lässt. Viele von den Daily Postern im tatsächlichen Leben, so lässt sich nachvollziehen, könnten ähnlich gestrickt sein. Ganz ohne Betrug. Der kommt noch dazu, und lässt die Bombe in einer Größenordnung platzen, die fast schon dem Stern-Skandal rund um die Hitler-Tagebücher (Schtonk!) nahekommt. Alles für Prestige und Ruhm, und letzten Endes nichts für einen selbst. Mia Isaac als Greta Thunberg’sche andere Seite der Medaille, der es, ebenfalls berühmt, um die Sache geht und die nicht mit dem Selbstzweck die Mittel heiligen will, ist die gute Fee in einem Gewissenskonflikt der Generation Now!, die egal zu welchem Preis ihre Jünger sammelt.

Not Okay sticht schwachbrüstige Genrebeiträge wie Nerve so ziemlich aus, und muss auch nicht auf Horror tun wie Unfriend. Als ernstzunehmender Konkurrent tut sich nur noch die polnische Hassposting-Analyse The Hater hervor, nur weitab jeglichen leichtfüßigen Augenzwinkerns. Dieses hat Shephards Film aber reichlich, wird dabei aber keinesfalls weniger ernst oder aufrichtig. Was Not Okay zu sagen hat, kommt aus voller Überzeugung.

Gelungene Komödien mit Tiefgang gibt es selten – die aufrichtige Influencer-Satire um die Gier nach Likes ist aber eine, die das Problem virtuellen Erfolges am Schopf packt und so lange nicht loslässt, bis man den Boden unter den Füßen wieder spürt.

Not Okay