We Bury the Dead (2024)

DES ZOMBIES BESSERE HÄLFTE

6/10


© 2024 Nic Duncan


LAND / JAHR: AUSTRALIEN 2024

REGIE / DREHBUCH: ZACK HILDITCH

KAMERA: STEVEN ANNIS

CAST: DAISY RIDLEY, BRENTON THWAITES, MATT WHELAN, MARK COLES SMITH, KYM JACKSON, SALME GERANSAR, CHLOE HURST, ELIJAH WILLIAMS U. A.

LÄNGE: 1 STD 34 MIN


Vom Zähneknirschen bekommt man Albträume? Ja, wenn die bessere Hälfte des Nächtens die Kauleiste malträtiert und man zuvor We Bury the Dead gesehen hat, eine Down-Under-Postapokalypse, die gerne so sein will wie Danny Boyles 28 Days Later, und tatsächlich auch Ansätze liefert, die das Zeug hätten, die Sache mit den Untoten nicht ganz so profan anzulegen wie vielerorts in der Filmwelt. Boyle hat mit seinem rabiaten Reißer das abgeschlurfte Genre mit allerlei narrativen Blutkonserven wiederbelebt – was er aber dabei nicht in petto hatte, waren die von den Untoten verursachten Geräusche, die nicht nur Dentisten in den Wahnsinn treiben. Sobald es also knirscht, harrt der nächste zum Erbarmen armselige Schatten seines ehemaligen Selbst an der nächsten Ecke, um vom Militär entsorgt zu werden, während der Rest der Gesamtbevölkerung der Insel in Leichensäcken endet. Grund dafür ist ein schiefgegangener Waffentest und eine damit einhergehende Druckwelle, die den Menschen in weitem Umkreis das Gehirn zerstört hat. Manchen allerdings nicht ganz, und genau ab da dehnt sich der Spannungsbogen spielfilmlang für die Insel-Odyssee einer sichtlich desperaten Daisy Ridley. Die englische Schauspielerin gibt Ava, eine freiwilligen Helferin, die ins Katastrophengebiet geflogen wird, um die Gegend nach Toten zu durchkämmen, die folglich fachgerecht entsorgt werden müssen. Auch die Halbtoten sollen über die Klinge springen, ihr irreparabler Zustand rechtfertigt den Kahlschlag. Ava ist aber nicht aus rein selbstlosen Gründen im Einsatz – sie sucht ihren Ehemann, der zu dieser Zeit in der Gegend auf Geschäftsreise war. Erschwerend hinzu kommt der Umstand, dass die vorangegangene Ehekrise wie eine offene Wunde ganz unbehandelt brach liegt, und Ava ihre bessere Hälfte zumindest finden will, um einen Schlussstrich ziehen zu können.

Warum so boshaft, Zombie?

Zak Hilditchs Bemühen, ein Beziehungsdrama mit einem Zombiethriller zu verknüpfen, klingt anfangs mal vielversprechend. Und auch der Umstand, dass Zombies in diesem Fall nur die noch gar nicht ganz Toten darstellen, eine Ausnahme. Es wäre tatsächlich auch konsequent gewesen, hätte We Bury the Dead so viel Courage und Widerstandskraft bewiesen, um sich nicht mit dem Strom gängiger Narrative weitertreiben zu lassen. Was uns We Bury the Dead auftischt, ist scheinbar die Abkehr von reißerischen Untotenlegenden hin zu Betrachtungen über Euthanasie, Verheerung und Rüstungskritik. Letzteres bedarf keiner zusätzlichen Erwähnung, die Metaebene ist viel zu dünn. Das Hinterfragen zomboider Stasis wäre ein erwachsener Ansatz gewesen, doch dem will Hilditch nicht ganz so treu bleiben,  denn man merkt, wie er sich im Laufe seines Skripts immer mehr dazu verleiten lässt, den mutierten Menschen als etwas darzustellen, dass unbedingt antagonistisch sein muss. Zwingend notwendig ist das nicht, das weiß zumindest Thea Hvistendahl in ihrem weitaus ungewöhnlicheren Zombiefilm Handling the Undead. Dort ist von nach Blut und Menschenfleisch gierenden Untoten überhaupt keine Rede. Dort sind auch Untote wirklich Untote, und das Warum dieser Anomalie bleibt angenehm im Dunkeln. Im norwegischen Horrordrama sind Zombies nur eine Erscheinung, keine Bedrohung. In We Bury the Dead reagiert manch entmenschlichte Kreatur so gewohnt wie eh und je, attackiert die Gesunden, sucht Streit, weil es Blut will? Oder Fleisch? Oder warum genau? Hilditch scheint das egal zu sein, womöglich war ihm sein Entwurf zu dröge, also muss es den Clinch mit den Untoten geben, schön kässlich, mit blutunterlaufenen Augen, denn die Lebenden alleine als Bedrohung darzustellen, würde nicht reichen.

Rückwirkend würde ich sagen: Doch, das hätte es. Letztlich scheint es nur ein Zufall zu sein, dass gewisse Begebenheiten in We Bury the Dead mit jenen aus Danny Boyles Sequel 28 Years Later geradezu ident sind. Das nimmt Hilditchs Film natürlich einiges von dem Quantum an originärem Charme, den er noch besitzt, obwohl er gar nichts dafür kann.

We Bury the Dead (2024)

The End We Start From (2023)

HINTER MIR DIE SINTFLUT

5/10


the-end-we-start-from© 2023 Universal Pictures


LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH 2023

REGIE: MAHALIA BELO

DREHBUCH: ALICE BIRCH, NACH DEM ROMAN VON MEGAN HUNTER

CAST: JODIE COMER, JOEL FRY, KATHERINE WATERSTON, GINA MCKEE, NINA SOSANYA, MARK STRONG, BENEDICT CUMBERBATCH, SOPHIE DUVAL U. A.

LÄNGE: 1 STD 42 MIN


Diese Woche soll es endlich wieder mal ordentlich regnen. Zumindest hier, im staubtrockenen, glutheissen Wiener Becken, waren all die verzweifelten Regentänze für die Fische. Unter solchen Umständen wandern Filme, die sich mit Klimawandel und noch dazu mit dem heiß ersehnten Niederschlag auseinandersetzen, die Watchlist höher. Eines dieser neuen Werke ist jener Streifen, der Jodie Comer als frischgebackene Mutter durch ein teilweise überflutetes und vollends dem Ausnahmezustand anheimgefallenes Großbritannien schickt. Durch das London an der Themse lässt sich nur noch per Boot manövrieren, zum Glück haben eine Frau ohne Namen und ihr Mann rechtzeitig Haus und Heim hinter sich gelassen, zum Glück hat diese Frau auch rechtzeitig ihr Baby zur Welt gebracht. Es scheint, als wäre das Schicksal dieser frischgebackenen Familie gewogen, denn Papas Eltern leben überdies in höhergelegenen Gefilden am Land, mit jeder Menge Vorrat, um gut durch die Krise zu kommen. Diese dauert aber länger als gedacht, es scheint, als wäre die Flutkatastrophe sowas wie einer Zombieapokalypse gewichen, nirgendwo gibt es mehr Nahrung, und selbst im Haus der Großeltern leert sich der Keller. Das Schicksal meint es also doch nicht gut, als ein Unglücksfall dem anderen folgt und Jodie Comers Charakter plötzlich ganz allein dastehen muss, den Säugling vor die Brust geschnallt und ums Überleben kämpfend. Die Suche nach Papa muss verschoben werden. Die Zukunft ist ungewiss.

Aus gefühlt jedem Katastrophenzustand wird im Kino gerne eine Endzeit generiert. Auf ein zivilisiertes Danach lässt sich in vielen Fällen einfach nicht mehr hoffen. Meist ist das Elysium ein am Horizont vage manifestierter Lichtblick, ein Ideal, ein Hoffnungsschimmer oder Motivator, der die hartnäckig Suchenden nicht resignieren lässt. The End We Start From ist nicht viel anders und fühlt sich an wie ein Spin Off von The Last of Us, nur ohne den toxischen Pilzsporen anheimgefallene Mutanten. Hier ist das Hochwasser schlimm genug, um die gesellschaftliche Ordnung aus den Angeln zu heben. Dass man in Zeiten wie diesen dann doch noch eine neue Generation in eine ungewisse, äußerst instabile Zukunft schicken soll, versucht der nach einem Roman von Megan Hunter inszenierte melodramatische Streifen zu illustrieren. Und lässt sich dabei zu einem mitunter elegischen Kaffeekränzchen für Mamas hinreissen, das mit einer Engelsgeduld, die der Zuseher vielleicht nicht hat, den pflegetechnischen Alltag von Jodie Comer und dann auch noch Katherine Waterston, die sich ebenfalls um ihr Kleinkind bemüht, in den Fokus nimmt. Das mutet in jedem Fall recht empathisch und gefühlvoll an, reizt die Thematik aber zu sehr aus, während sich der rote Faden in den Wirren der nicht näher beleuchteten Katastrophe verliert, die überdies das Gefühl vermittelt, nicht ganz schlüssig zu sein. Geht’s mal nicht um das Erfüllen mütterlicher Pflichten, setzt Mahalia Belo Jodie Comers Konterfei breitenwirksam in Szene – nachdenklich, rückblickend, sehnsüchtig. Und dann nochmal: nachdenklich, rückblickend, sehnsüchtig, vielleicht gar schwelgend in Erinnerungen mit Partner Joel Fry, der stets so aussieht, als würde er nicht nur in den Fluten, sondern auch im Selbstmitleid ertrinken.

Es ist schon gut erkennbar, worum es der Story um Mutterschaft angesichts extremer Umstände wohl gehen mag: Um den Verlust gesicherter Existenzgrundlagen und die Erschaffung neuer Parameter. Was es dafür braucht, ist letztlich die gesamte leidgeprüfte Familie. Mahalia Belo lässt sich mit dieser redundanten Erkenntnissuche aber viel zu viel Zeit, The End We Start From hat mitunter ermüdenden Leerlauf und fühlt sich dem Melodramatischen sehr zugetan. Ein Endzeitdrama light mag hier gelungen sein, für all jene, die The Road mit Viggo Mortensen als unzumutbar erachten, derweil ist dieser düstere Streifen einer der „schönsten“ und aufrichtigsten Filme um das Ende der Welt, die bisher gedreht wurden. The End We Start From weiß nicht so recht, wieviel es seinen Figuren zumuten will. Als Schonprogramm zwischen Krabbelstube und Existenzanalyse mag dieser gemächliche Paradigmenwechsel wie weichgespült wirken, auch wenn, wie es scheint, die Insel sich mutwillig selbst aufgibt.

The End We Start From (2023)

Twisters (2024)

WIRBEL UMS WETTER

7/10


twisters© 2024 Warner Bros. / Amblin Entertainment


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: LEE ISAAC CHUNG

DREHBUCH: MARK L. SMITH

CAST: DAISY EDGAR-JONES, GLEN POWELL, ANTHONY RAMOS, BRANDON PEREA, DARYL MCCORMACK, MAURA TIERNEY, HARRY HADDEN-PATON, DAVID CORENSWET, KATY O’BRIAN, JAMES PAXTON U. A.

LÄNGE: 2 STD 3 MIN


Schönes Wetter ist langweilig. Blauer Himmel, Sonnenschein von früh bis spät – da kommt zumindest mir das große Gähnen. Wetter ist dann interessant, wenn es sich in Szene setzt. Das beginnt bereits mit einer Wolkenbank, die sich über den Horizont schiebt, mit schwerem dunkelgrauen Regen im Schlepptau. Am schönsten ist es, wenn es gewittert. Wenn dann noch der Sturm bläst, wird’s theatralisch. Zugegeben, das sagt einer, der, wohnhaft im Wiener Becken, von den Konsequenzen eines Unwetters stets verschont bleibt. In der Provinz sieht das schon anders aus. Überflutungen, Murenabgänge, entwurzelte Bäume – Sommer in Österreich.

In den USA hingegen treiben Tornados ihr Unwesen, vorwiegend und alljährlich in den zentralen Ebenen des nordamerikanischen Kontinents, von Texas über Oklahoma bis nach Kansas, diese Spur der Verwüstung nennt sich Tornado Alley. Erst kürzlich gab’s gar im österreichischen Bundesland Steiermark einen kleinen Tornado, doch diese Kapriolen sind nichts im Vergleich zu den Ungetümen, die dort in Übersee aus ganzen Dörfern und Städten Kleinholz machen. Eine Katastrophe, der man im Grunde nichts Erbauliches abgewinnen kann. Doch da gibt es die andere Seite – jene, auf der die sogenannten Tornadojäger zu finden sind – weniger Wissenschaftler als vielmehr Abenteurer, die den Kick suchen. In Twisters, der sagen wir mal Neuauflage von Jan de Bonts stürmischem Klassiker Twister aus dem Jahre 1996, kommen beide Seiten zu Wort – einschließlich jene der Opfer, die Regisseur Lee Isaac Chung (Minari – Wo wir Wurzeln schlagen) gewissenhaft nicht außer Acht lassen will.

In diesem Dreieck der Interessen und Befindlichkeiten lässt Chung das Wetter einem wild gewordenen Rodeo-Büffel gleich aus dem Zwinger. Und präsentiert seinem staunenden Kinopublikum Bilder voller Schönheit und Bedrohlichkeit: Die Natur von ihrer dunklen Seite – so steht es zumindest auf den Filmplakaten. Was aber kann Twisters einem Film wie Twister als Mehrwert verkaufen? Was hat der neue Film, was der alte nicht hatte? Ich erinnere mich noch, dass die Darstellung der Unwetter damals das Beste war, was man auf die Leinwand bringen konnte. Die Story: nun ja, klassisches Hollywood-Katastrophenkino mit Trial und Error, Enttäuschung, Hoffnung, Läuterung und persönlichem Sieg. Den Aufbau der Geschichte hat Chung und Drehbuchautor Mark. L. Smith beibehalten – somit ist Twisters ungefähr so vorhersehbar wie das Wetter der nächsten Tage.

Im Zentrum steht Kate (Daisy Edgar-Jones, Der Gesang der Flusskrebse), die sich nach einer Tornado-Tragödie, während welcher auch ihr Freund ums Leben kam, auch nach fünf Jahren immer noch nicht ganz erholt hat. Javi (Anthony Ramos) der Einzige, der damals noch überlebt hat, will Kate und ihre Fähigkeit, Tornados nachzuspüren, für ein eigenes Projekt gewinnen. Widerwillig kommt sie an Bord, jagt erneut Tornados hinterher und lernt den Youtube-Tornadojäger Tyler Owens kennen, dargestellt von Feschak Glen Powell (A Killer Romance, Top Gun: Maverick), den sie anfangs nicht ausstehen kann.

Was intensiv nach Screwball-Romanze vor dunklen Wolken klingt, in welcher es nicht wirklich viel zu holen gibt, geht unterm Strich als leidenschaftlicher Beweis dafür durch, dass traditionelles Katastrophenkino in uneitler Hemdsärmeligkeit immer noch bestens funktioniert. Twisters, unter der Obhut von Steven Spielberg produziert, entwickelt trotz seiner konventionellen Plot-Struktur unerhört packende Momente, die sich in knappen Intervallen aneinanderreihen. Auch wenn man ziemlich treffsicher ahnt, wer aus der beeindruckenden Himmelhölle geläutert, verändert und soziomoralisch integriert hervortreten wird – auch wenn man weiß, wer welche Beweggründe für sein Tun überdenken wird: es liegt an der straffen Kunst der dramatischen Inszenierung, wie wann welche Emotionen getriggert werden, um die Spannungsschraube zu spüren. Chung und Spielberg schaffen gemeinsam ein sehr menschelndes und menschliches Wetterabenteuer und einen Naturthriller, in welchem Edgar-Jones und Powell mit ihrer Sympathie das Interesse des Publikums gewinnen. Beide sind nicht irgendwer, sondern Identifikationsfiguren, die im Laufe von zwei Stunden viel über sich selbst lernen und sich dementsprechend auch weiterentwickeln. So sehr wie das Wetter in Twisters im Wandel ist, so sehr wandeln sich die Charaktere. Ein Film, der konsequent in Bewegung bleibt.

Twisters (2024)

Im Wasser der Seine (2024)

HAIE DER GROSSSTADT

7/10


ImWasserderSeine© 2024 Netflix


LAND / JAHR: FRANKREICH 2024

REGIE: XAVIER GENS

DREHBUCH: XAVIER GENS, YANNICK DAHAN, MAUD HEYWANG, YAËL LANGMANN

CAST: BÉRÉNICE BEJO, NASSIM LYES, LÉA LÉVIANT, ANNE MARIVIN, AURÉLIA PETIT, NAGISA MORIMOTO, SANDRA PARFAIT, AKSEL USTUN U. A.

LÄNGE: 1 STD 41 MIN


Die Zoologen, Hai-Experten und Wissenschaftler dieser Welt gehen auf die Barrikaden. Im Wasser der Seine von Xavier Gens ist Mist oberster Güte, da sei selbst Meg mit Jason Statham, so das Echo, noch logischer. Ehrlich wahr? Wie logisch kann Meg wohl sein, wenn Superactionhero Statham einem Megalodon ins Maul tritt und im Alleingang einer prähistorischen Naturgewalt die Leviten liest? Das ist genauso Edeltrash wie Im Wasser der Seine. Und am besten sind Hai-Horrorfilme genau dann, wenn sie genau das sind: hanebüchener Tierhorror jenseits der Verhaltensforschung, der seinen Zenit in Filmen wie Sharknado erreicht – denn gegen Sharknado ist Im Wasser der Seine ja fast schon akribisch recherchiertes Wissenschaftskino. Und auch wenn es das nicht ist – und natürlich ist es das nicht – gelingt Xavier Gens etwas Kurioses. In diesem wild fuhrwerkenden Szenario, das dazu steht, nicht der Realität entsprechen zu wollen, sondern eher einem irrealen Albtraum, dem man hat, wenn man rein intuitiv, impulsiv und subjektiv über Hai-Horror nachdenkt, finden Mako-Haie, die ja grundlegend auch dafür bekannt sind, zu den gefährlichsten Knorplern zu gehören, die wir kennen, ihren Weg in die Stadt der Liebe. Warum das so sein kann? Nun, die Evolution schläft nicht, und muss sich in Zeiten des Klimawandels, des Raubbaus der Meere und der sonstigen Unwägbarkeiten, die das Anthropozän so mit sich bringt, neu erfinden. Da kann es sein, dass sie auf Express umschaltet und Begebenheiten möglich macht, die Tierkundler zur Verzweiflung bringen.

Eine davon ist Sophie, gespielt Bérénice Bejo, die seit dem Neo-Stummfilm The Artist von Michel Hazanavicius kein unbeschriebenes Blatt mehr ist. Der Horrorthriller beginnt mit einem desaströsen Ausflug in den Pazifik, genau dorthin, wo der verstörende „Müllkontinent“ vor sich hintreibt. Vor der Kulisse eines Schandflecks, den wir Menschen verursacht haben, ist die Natur klarerweise mehr als gewillt, ein Exempel zu statuieren – und löscht Sophias ganzes Team aus. Besagter Mako-Hai hat zugeschlagen – ein dicker, fetter, großer. Genau dieser flosselt gemächlich und Jahre später in der Seine herum, gerade zu einer Zeit, als die Bürgermeisterin der Stadt einen Triathlon organisiert, der zum Teil auch in fließendem Gewässer stattfinden soll. Sophia und Polizeibeamter Adil (Nassim Lyes, bekannt aus Xavier Gens Actionfilm Farang) gehen haarsträubenden Gerüchten nach, da ja prinzipiell nicht sein kann, dass ein Räuber aus dem Salzwasser hier sein Unwesen treibt. Sie werden bald eines Besseren belehrt, und ein Wettlauf mit der Zeit bricht sich Bahn, während der Knorpler frühstückt, als gäb‘s kein Morgen mehr. Dieses Morgen allerdings, steht wirklich bald auf der Kippe.

Man sollte sich dieses Szenario selbst ansehen. Man darf sich wundern und an den Kopf greifen. Und dennoch macht Im Wasser der Seine insofern Laune, da es keinen Jason Statham gibt, der alles richtet. Doch immerhin: Die ignorante Bürgermeisterin, die Wissenschaftlerin, auf die keiner hört, die Öko-Aktivistin, die ihr eigenes Ding durchzieht – im Film wimmelt es von Stereotypen und Rollenklischees. Was diesen bewährten Mustern aber passiert, ist das Konterkarieren ihrer Selbst. Xavier Gens lässt sie alle bluten, es wirbeln Köpfe und Gliedmaßen, da gerät Deep Blue Sea zum Kindergeburtstag. Und der urbane Mensch, ob auf logischem Wege oder auch nicht, wird endlich mal wieder dorthin verwiesen, wo sein Platz ist. Und der ist nicht zwingend am Ende der Nahrungskette.

Im Wasser der Seine (2024)

Acid (2023)

AM TAG, ALS DER REGEN KAM

6/10


acid© 2023 Plaion Films


LAND / JAHR: FRANKREICH, BELGIEN 2023

REGIE: JUST PHILIPPOT

DREHBUCH: JUST PHILIPPOT, YACINE BADDAY

CAST: GUILLAUME CANET, LAETITIA DOSCH, PATIENCE MUNCHENBACH, MARIE JUNG, MARTIN VERSET, VALENTIJN DHAENENS, NICOLAS DELYS U. A.

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


Manche Filme brauchen wirklich eine kleine Ewigkeit, um nach ihrer Festivalpremiere irgendwo einsehbar zu sein, findet das nun On Demand, auf DVD oder im Programm eines anderen Festivals statt. Der französische Wetterhorror Acid hat sich seit den Filmfestspielen in Cannes letzten Jahres knapp einen Sonnenumlauf lang durch die Untiefen filmischer Verwertungswelten gequält, um letztlich noch einmal einen Termin auf großer Leinwand zu ergattern, in diesem Fall im Rahmen der frühsommerlichen Slash ½ Festspieltage, die schon ordentlich Gusto machen sollten auf das große Rambazamba im kommenden September, wo für zehn Tage wieder mal alles Phantastische, Schräge und Bizarre fröhliche Urstände feiern darf. Acid wird, so ein Verdacht, ohne rechte Auswertung vom Kultursender Arte stiefmütterlich aufgenommen werden und im Nachtprogramm verschwinden – dabei bohrt das Werk in den offenen Wunden eines Klimawahnsinns, der uns Stürme, Dürren, Überschwemmungen und Gletscherschmelzen beschert. Gerade eben versinken Teile Brasiliens und Afghanistans im Regen, in Sumatra brechen Schlammlawinen sämtliche Türen ein. Wie es scheint, steht uns wieder ein bahnbrechend heißer Sommer bevor, in dem man nur schwer atmen kann, wenn man vor die Tür geht. Von so einer Affenhitze ist auch in Acid die Rede, und das Erschreckende dabei: Diese Temperaturen versengen bereits den knackfrischen Frühlingsmonat März. Das ganze Szenario wäre ohnehin schrecklich genug, wäre der im wahrsten Sinne des Wortes heiß ersehnte kühlende Niederschlag nicht einer, der alles vernichtet.

Wir erinnern uns gerne noch an Ridley Scotts Weltraumhorror Alien und den auf dem Raumfrachter Nostromo befindlichen Wüterich, dessen Blut sich als Säure durch die Ebenen des Schiffes frisst. Nimmt man diese toxische Anomalie und potenziert sie auf die Größe eines kontinentalen Wetterphänomens, wird das hierzulande gern verwendete geflügelte Wort „I bin ja nicht aus Zucker“, welches eigentlich den Mut des Kleinbürgers veranschaulichen sollte, völlig schirmlos in den Regen hinauszugehen, nochmal gründlich hinterfragt. Denn in Acid läuft alles Organische und Anorganische plötzlich Gefahr, auf Nullkommanichts zersetzt zu werden, so sauer scheint der bedrohlich dunkelgraue Himmel auf all das zu sein, was darunter um sein Leben rennt. Als wäre das alles ein gebündelter Zorn der Götter, eine letzte biblische Plage, so lässt der Niederschlag nichts und niemanden unberührt. Inmitten dieser landesweiten Katastrophe suchen Guillaume Canet und seine Familie Schutz vor den gefräßigen Zombietropfen, die Mauerwerk zerbröckeln und Karosserien blitzartig erodieren lassen. Es zischt und dampft und zersetzt sich der Boden, die nachvollziehbare Wirksamkeit der tödlichen Säure für all jene, die im geschützten Auditorium im Trockenen sitzen, garantiert Regisseur und Drehbuchautor Just Philippot mit dezent eingesetzter CGI.

Von einem Desastermovie, wie sie Roland Emmerich zum Beispiel mit seinem winterharten The Day After Tomorrow gerne auf die breite Leinwand wuchtet, ist Acid aber weit entfernt. Während Emmerich den unkaputtbaren Glauben an familiären Zusammenhalt und das Überleben der idealisierten Familie hochhält, liegt Philippot nichts daran, seinen Survivalhorror einer geschmeidigen Zuversicht unterzuordnen. Acid gerät zum ernüchternden und weitestgehend recht resignierenden Niederschlags-Nihilismus. Opfer werden gebracht, die, legt man Wert auf unantastbare Gesetzmäßigkeiten, gar nicht passieren dürften. Zumindest nicht so, wie sie Philippot in recht explizierter Schrecklichkeit den verheerenden Unwirtlichkeiten aussetzt. Vielleicht liegt in dieser wenig zimperlichen Radikalität, in welcher Mama, Papa und Tochter ins Trockene hechten, gar so etwas wie die Lust an der bleischweren Überzeichnung. Ob Niederschlag jemals einen derartigen Säuregrad erreichen könnte, um einen ganzen Kontinent wegzuätzen, mag diskussionswürdig sein. Doch wie bei Emmerich, der sich um zeitlich akkurate Abfolgen von Wetterumschwüngen auch nicht recht geschert hat, mag Philippot lieber den völlig unplausiblen Worst Case als gegeben hinnehmen wollen. Denn nur mit überspitzten Darstellungen einer hoffnungslos ruinierten Welt lässt sich die kinoaffine Menschheit vielleicht wachrütteln. Andererseits: Auf diese Weise muss sich Acid die Kritik gefallen lassen, in einer gewissen Monotonie zu schwelgen. Das allein schon das Kolorit des Films stets in ermüdendem regennassen Grau für kraftlose Längen sorgt, wird nur noch bestärkt durch einen wie bei Katastrophenfilmen eben so üblichen dünnen Plot, der nichts anderes im Sinn hat, als seine Protagonisten von Pontius zu Pilatus zu schicken. Wirklich raffiniert wird Acid nie, der Film zeigt lediglich und völlig aus der Luft gegriffen, wie schlimm es werden kann. Lustig ist das nicht, spektakulär eigentlich auch nicht, und nicht mal das Bröckeln ganzer Betonbrücken feiert das Genre eines europäischen Blockbusterkino. Der Kampf ums Überleben geht im deprimierenden Prasseln eines kataklystischen Regens unter, Schlechtwetter sorgt für schlechte Stimmung, der erfrischende Wind, der den Film in eine andere Richtung geblasen hätte, bleibt aus.

Acid ist schwarzseherischer Ökohorror, radikal und ungefällig, was man dem Film zugutehalten kann. Andererseits tritt der Trübsinn auf der Stelle, das Drama bläht sich auf, und zieht der Regen mal weiter, freut sich niemand auf den Sonnenschein, der stets danach folgt.

Acid (2023)

Civil War (2024)

MAKE AMERICA BREAK AGAIN

8,5/10


civilwar© 2024 A24 / DCM


LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH, USA 2024

REGIE / DREHBUCH: ALEX GARLAND

CAST: KIRSTEN DUNST, WAGNER MOURA, CAILEE SPAENY, STEPHEN MCKINLEY HENDERSON, JESSE PLEMONS, NICK OFFERMAN, SONOYA MIZUNO, JEFFERSON WHITE, NELSON LEE U. A.

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Der Sturm aufs Kapitol hätte der Anfang werden können für etwas, dass wohl die ganze Weltordnung neu geschrieben hätte. Denn wir wissen längst: Die Vereinigten Staaten von Amerika haben diese immer schon mitbestimmt, war es nun der Erste oder der Zweite Weltkrieg, Operation Wüstensturm, der Sturz Saddam Husseins oder die Bereitschaft, die Ukraine gegen den russischen Aggressor mit allerhand Kriegsmaterial zu unterstützen. Das US-Amerika ist nicht nur Entscheidungskraft im weltpolitischen Handel, auch die Lebenswelt in Übersee ist uns dank des übereifrigen Outputs an Hollywood-Filmen so dermaßen vertraut, als würde man selbst dort drüben leben. Keine andere Staatengemeinschaft wie diese hat dermaßen viel Einfluss. Umso erschreckender muss es also sein, wenn die selbsternannte Weltpolizei, die geschlossen gegen die Achsen des Bösen angekämpft hat, plötzlich und im eigenen Land nicht mehr Herr der Lage ist und von innen heraus zerbricht. Es wäre eine Katastrophe langen Atems und alles umstürzend, was die Wohlstandswelt wertschätzt.

Als Anfang von etwas Neuem und zweifelhaft Gutem hätte der 6. Januar 2021 zwar nicht sogleich einen Krieg, dafür aber einen weitaus größeren Erdrutsch verursachen können, der Folgen nach sich ziehen hätte können, die Alex Garland nun in die existenzgefährdenden Albträume der US-amerikanischen Bevölkerung als böse Saat einpflanzt. Der Umbruch ist in Civil War längst nicht mehr aufhaltbar, die Ordnung ist dahin, der Notstand ein Euphemismus. Dieser Film ist nichts, was uns Europäer nicht angeht. Er bedient die größte Angst der westlichen Welt, ihre prachtvolle Convenience-Blase platzen zu sehen. Weil plötzlich ist, was nicht sein darf. Weil die Welt nur immer woanders zugrunde geht, nur nicht hier, wo der Überfluss alles richtet.

Civil War ist weniger ein politischer Film. Alex Garland ist es sowas von egal, wer nun wen bekämpft, welche politischen Agenden dahinterstecken, welche Ideale nun kolportiert werden und was sich der noch amtierende Präsident der Vereinigten Staaten eigentlich hat zuschulden kommen lassen, um jetzt um sein Leben zu bangen. Denn schließlich ist es ja so, dass jene Recht behalten, die dieses Gemetzel gewinnen. Kriege verlieren hingegen sehr schnell ihren Sinn, der Ausnahmezustand schafft ein Vakuum, in dem sich nur schwer ein gewisser Alltag leben lässt. Und wenn doch, erscheint er grotesker als alles andere. So einen Zustand müssen die vier Journalistinnen und Journalisten Lee, Jessie, Joel und Sammy erstmal verdauen und als gegeben akzeptieren. Sie sind unterwegs quer durchs Land, um zur rechten Zeit am richtigen Ort den schwindenden Präsidenten zu einigen letzten Worten zu bewegen, denn alles sieht danach aus, als stünden die Western Forces kurz davor, auch die letzte Bastion der alten Paradigmen niederzureissen. Es ist wie die Schlacht um Berlin, die Schlacht um Bagdad, die Schlacht um eine heile falsche Welt, die bald entbrennen wird. Das Quartett möchte vor allen anderen ins Weiße Haus gelangen, der Ehrgeiz des Reporters ruft, und die Versuchung, zu selbigem des Satans zu werden, lockt wie schnöder Mammon. Sie versuchen, Würde zu wahren und so zu tun, als würde sie der jeweils andere interessieren. Eine Zweckgemeinschaft, die während einer über 800 km langen Fahrt Zeuge einer Zombieapokalypse nur ohne Zombies wird, in der rechtsextreme Republikaner die Gelegenheit am Schopf packen, ihre Welt von allem Fremden zu säubern, Scharfschützen ohne Fraktion einander die Birne wegschießen und Lynchjustiz an der Tagesordnung steht. Es sind Bilder, die man von woanders kennt.

Endlich sieht man mal wieder Kirsten Dunst in einer Rolle, die ihr auf den Leib geschneidert scheint. In längst abgestumpfter Professionalität einer Kriegsreporterin hat sie alles schon gesehen, nur sie selbst war noch nie wirklich Teil davon. Wagner Moura als jovialer Cowboy, Stephen Henderson als der amerikanische Christian Wehrschütz, der schon längst in den Ruhestand hätte treten sollen, es aber nicht lassen kann, und zuletzt Cailee Spaeny (Priscilla) als kindlicher Ehrgeizling, der zum einen eine Scheißangst vor dem Krieg hat, zum anderen aber bald die Gefahr als Droge missbraucht, um noch bessere Bilder zu machen als Lee Smith aka Kirsten Dunst, die es anfangs für keine Gute Idee hält, dieses Greenhorn mitzunehmen. Garland schafft mit diesen „Vieren im Jeep“ neben all der Kriegsstimmung und des Notstands ein Ensemblespiel in kunstvoller Effizienz, was das Portraitieren von Charakteren angeht. Civil War ist Kriegsreporter-Kino allererster Güte, so eindringlich wie Salvador oder The Killing Fields – und dann das: Anders als all die besten aus der Hochzeit des Politkinos Ende der Achtziger fühlt sich Civil War aufgrund seiner Nähe zu einer uns wohlbekannten Welt und einem unmittelbarem Zeitgeist tatsächlich so an, als sähe man das, worüber Garland berichtet, in den hauseigenen Nachrichten. Civil War ist das schweißtreibende Imitat einer nahen, möglichen Realität, die scheinbar Unzerstörbares aushebelt und niederringt. Immer wieder findet Garland Bilder von weltvergessener Schönheit und konterkariert seinen Krieg mit einer Compilation aus Countrysongs, Hip Hop- und Space Rock, die das Gesehene so irreal erscheinen lassen wie Napalmbomben am Morgen unter den Klängen von The Doors. Coppolas Antikriegs-Meisterwerk Apocalypse Now wirft Garland auch verstohlene Blicke zu – so manche Szene ist zu bizarr, um ihm Glauben zu schenken. Der Boden unter den Füßen findet kaum Halt.

Gegen Ende uns Zusehern vor die Füße geworfen, ist die Schlacht um Washington D.C ein Brocken selten gesehener, moderner Kriegsführung, sie gerät weder prätentiös noch pathetisch, sondern so authentisch wie der Lockdown oder Flüchtlingsströme vor der Haustür. Auf diesen Zug, in welchem Good News Bad News sind und Bad News irgendwann vielleicht Good News werden, springt Civil War auf und fährt die Achterschleife. Garland bringt seinen Plot dramaturgisch auf den Punkt, lässt weg, was den Höllenritt nur ausbremst, lässt manches im Geiste seines Publikums weiterspinnen, redet auch nicht lang drum herum. Als klar wird, dass die Härte und Arroganz der Kriegsführung im eigenen Land auch jener entspricht, mit der die USA bereits allerorts auf dieser Welt einfielen, wird einem so richtig mulmig. Die Zivilisation zeigt sich als Camouflage, der Altruismus in Krisenzeiten als Lippenbekenntnis. Wo es die Menschheit hinbringt, lässt Garland im Ungewissen. Was sie anstachelt, ist weniger der Mut zur Veränderung als lediglich die Gier nach einem wie auch immer gearteten Sieg.

Civil War (2024)

Die Schneegesellschaft (2023)

SCHLACHTFELD ANDEN

6,5/10


schneegesellschaft© 2023 Netflix Inc. 


LAND / JAHR: URUGUAY, SPANIEN, CHILE 2023

REGIE: J. A. BAYONA

DREHBUCH: J. A. BAYONA, BERNAT VILAPLANA, JAIME MARQUES & NICOLÁS CASARIEGO, NACH DEM ROMAN VON PABLO VIERCI

CAST: ENZO VOGRINCIC, MATÍAS RECALT, AGUSTÍN PARDELLA, ESTEBAN KUKURICZKA, FRANCISCO ROMERO, RAFAEL FEDERMAN, TOMAS WOLF U. A.

LÄNGE: 2 STD 23 MIN


Tunlichst sollte man vermeiden, diesen Film zu konsumieren, kurz bevor man selbst abhebt: Im Nachhinein könnte es passieren, und das obligate Ruckeln im Flieger bei so manchen Luftlöchern lässt das Herz stillstehen und das Bordmenü, sofern es eines gibt, schmeckt noch weniger als sonst. Tatsächlich sind Turbulenzen nur selten der Grund für einen Absturz. Fliegt der Pilot allerdings über eine Bergkette, um auf die andere Seite zu gelangen, wären ein paar Höhenmeter mehr zwischen Felsgrat und Fliegerbauch durchaus ratsam. In diesem Fall allerdings, der sich 1972 zugetragen hat und der bereits von Frank Marshall Anfang der 90er mit dem Titel Überleben! verfilmt wurde, wird ein tieffliegender Vogel der Fuerza Aerea Uruguay mit vierzig Passagieren und fünf Besatzungsmitgliedern niemals mehr an seinem Zielort ankommen. Irgendwo in den verschneiten Anden reißt es das Flugzeug in Stücke, das bugseitige Teil der Maschine pflügt sich schlittengleich durch den Tiefschnee, bis es in der Senke eines Gletschers zum Stehen kommt. Gleich zu Beginn das erste Wunder: Die meisten der Passagiere, darunter auch die Spieler einer Rugby-Mannschaft, haben den Crash vorerst überlebt. Eisiger Wind, Schnee und Schmerzen, womöglich der Geruch von Blut und quälende Schreie sind das erste, was der Erzähler des Films, Numa Turcatti, und seine Freunde in die Realität zurückholt. Bereits zuvor, in der Darstellung der großen Katastrophe, beginnend mit der siedend heiß aufsteigenden Angst unter den jungen Leuten, bevor sie noch alle ihr Schicksal ereilt, gibt sich und uns J. A. Bayona (Das Waisenhaus, The Impossible) die komplette Breitseite eines Unglücks. Er filmt das Zittern, das Jammern, das Verkrampfen im Sitz. Er filmt die Gebete, er filmt das Auseinanderbrechen des Fliegers von innen. Wir sehen, wie es das Heck nach hinten reißt, wie Passagiere, an ihre Sitze gegurtet, ins weiße Nichts fallen. Die Kamera wird zum Passagier, zum Überlebenden. Es ist, als sähen wir mit den Augen eines Verunglückten, plötzlich Blackout und dann nichts mehr.

Während Frank Marshall in seinem Film die unaussprechliche Notmaßnahme des Verzehrs von Menschenfleisch ins Zentrum rückt, schenkt Bayona diesem Tabu nicht die größte Wichtigkeit. Natürlich, ohne der posthumen Hilfeleistung der toten Kameraden hätte niemand überlebt. Ungefähr gleichwertig gesellt sich der menschenunwürdige Zustand immerwährender Kälte hinzu, diesem folgt mit Nachdruck die verheerende Gewalt heranrollender Schneemassen – das Ersticken und verzweifelte Luftholen, wenn ausgemergelte, schwer gezeichnete Körper aus der Schneedecke hervorbrechen. Der uruguayische Kameramann Pedro Luque (u. a. Don’t Breathe 1 und 2) rückt den wie in einem Schützengraben während eines Krieges aller menschlichen Grundbedürfnissen bis auf jene der sozialen Interaktion entledigten Gequälten mit Weitwinkelobjektiven so sehr zu Leibe, dass man sich auch hier – wie schon zuvor beim Absturz – der Situation stellen muss. Mit solchen Szenen wird Die Schneegesellschaft nach dem Roman eines Überlebenden zu einer Art Antikriegsfilm im Katastrophengenre. Weder verklärt noch beschwichtigt noch heroisiert Bayona auch nur irgendeinen Umstand oder irgendjemanden in seinem Film – stattdessen ist es der Schmerz und die Angst, die in der Ausgestaltung eines extremen Naturalismus das romantisierte Abenteuer in Stücke reißt.

Die Auseinandersetzung mit menschlichen Qualen ist eine Sache, die andere ist, dass man natürlich weiß, und zwar längst weiß, wie diese Geschichte ausgehen wird. Überlebt haben letztlich 16 Personen. Aufgrund der Menge an Charakteren, die sich trotz Bergszenario und Weitblick auf engstem Raum versammeln müssen, lässt sich mit keinem recht eine Verbindung aufbauen. All die Charaktere bleiben bestenfalls angerissen, grob skizziert, fast schon gegeneinander austauschbar. Trotz der Bemühung, Die Schneegesellschaft aus der narrativen Sicht eines einzelnen zu erzählen, wird das Individuum in dieser Schicksalsgemeinschaft zum kleinen Teil eines großen Ganzen. Wie der Titel schon sagt, ist vielleicht genau das beabsichtigt. Wieder ein Faktor, der an einen Kriegsfilm erinnert.

Die Schneegesellschaft (2023)

Leave the World Behind (2023)

DA IST WAS FAUL IM BUNDESSTAAT

8/10


leavetheworldbehind© 2023 Netflix


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE / DREHBUCH: SAM ESMAIL

CAST: JULIA ROBERTS, ETHAN HAWKE, MAHERSHALA ALI, MYHA’LA HERROLD, FARRAH MACKENZIE, CHARLIE EVANS, KEVIN BACON, ERICA CHO, VANESSA ASPILLAGA U. A.

LÄNGE: 2 STD 18 MIN


Wochenend‘ und Sonnenschein und mit dem Notstand ganz allein. Irgendwas ist da faul im Staat, nur könnte die Familie rund um Julia Roberts, wenn’s hart auf hart geht, auch noch dumm sterben. In Zeiten wie diesen, wenn die Elektronik nicht mehr rund läuft, das Smartphone keine Verbindung aufbauen und Töchterchen ihre Friends-Folge nicht mehr zu Ende gucken kann, ist ein ganz anderes Ende nah. Zumindest fühlt es sich so an. Und es fühlt sich auch danach an, als würde uns M. Night Shyamalan wieder in die Irre führen. Denselben Stoff aber nochmal zu verbraten, den er schon mit Knock at the Cabin mehr recht als schlecht hingefriemelt hat, das würde er wohl nicht wagen.

Ganz genau. Von Shyamalan ist Leave the World Behind erstens mal nicht. Und zweitens auch nicht von Jordan Peele. Man könnte es anders formulieren und behaupten, auf gewisse Weise steht hinter dieser Mystery niemand geringerer als das Ehepaar Obama. Die beiden haben den Netflix-Streifen schließlich mitproduziert, doch inszeniert hat das Ganze Sam Esmail (Mr. Robot). Der hat auch gleich das Skript geliefert und ein bisschen was an Geld auch noch hineingebuttert. Gut war’s, und gelohnt hat sich’s obendrein. Das atmosphärische Kammerspiel mit Starbesetzung schlägt in der fiebernden Erwartung auf die Katastrophe, die alles auslöschen wird, sämtliche Filme des Genres in die Flucht. Leave the World Behind hat den Mut zum Innehalten, legt den Fokus auf soziale Interaktion und schürt mit seltsamen Vorkommnissen und manchmal albtraumhaften Zuständen die Furcht vor dem Kollaps, der irgendwann eintreten wird. Für welchen Bunker gebaut, Notfallboxen herangeschafft und vielerorts gebetet wird. In diesem Film treffen irrlichternde Covid-Fieberträume auf die hart erworbene Geduld quälenden Wartens, trifft das Trauma der Capitol-Stürmung auf die mutmaßliche Unterwanderung ganzer Brigaden, die von der Weltenachse des Bösen abgezogen wurden. Da sich keiner einen Reim darauf machen kann anhand dessen, was passiert; da die akute Ahnungslosigkeit folglich alle auf einen Nenner bringt, gelingt Esmails Szenario die tapfere Komprimierung auf ein Kammerspiel ohne Wände, in der die dreidimensionale Skizzierung der Charaktere fast schon mehr im Vordergrund steht als das kontinentale Dilemma.

Je länger Julia Roberts im Filmbiz mitmischt, umso besser wird sie. Schön, sie diesmal in einer ganz anderen, geradezu hemdsärmeligen Rolle zu bewundern, die an ihre Erin Brokovich erinnert, nur diesmal ist sie die Mutter zweier Kinder und verheiratet mit dem charmant-lässigen Ethan Hawke, dem das Bedürfnis nach Harmonie ins Gesicht geschrieben steht. Diese vierköpfige Familie also fährt übers Wochenende an die Küste und mietet über Airbnb das Haus des wohlhabenden Mahershala Ali, der, als die ersten Anzeichen aufpoppen, das irgendetwas nicht stimmt, gemeinsam mit seiner Tochter ebendort aufschlägt. Natürlich ist Mama Roberts angepisst, denn das ist schließlich ihre Zuflucht, zumindest für die gebuchten paar Tage. Da in den Städten nichts mehr zu funktionieren scheint und Vater und Tochter nirgendwo anders hinkönnen, müssen sich beide Familien irgendwie arrangieren. Während das geschieht, während das Misstrauen zwischen den Fremden wächst und selbst für den Zuseher alles möglich scheint, erfährt die Welt um sie herum einen Paradigmenwechsel der ganz anderen Art. Die Tierwelt scheint sich plötzlich abnormal zu verhalten, Schiffe fahren auf die Küste zu und immer mal wieder treiben schrille Geräusche das Ensemble in den Wahnsinn.

Sam Esmail weiß dabei ganz genau, worauf er in seinem unterschwelligen Katastrophenszenario achten muss. Er zeigt dabei nicht nur, was den urbanen Menschen in seiner Blase so abhängig hat werden lassen, er entzieht ihm auch die Grundlage dafür, sich sicher und geborgen zu fühlen. Das geht langsam vonstatten, dazu braucht es keine Eile, und während der Schrecken so langsam aber doch durch die Ritzen der Türen ins sichere Heim sickert, reagiert jeder Einzelne der Betroffenen ganz unterschiedlich auf diesen Ausnahmezustand. Wie Esmail die Reaktionen derer dafür verwendet, griffige Charaktere zu formen, ist das besondere Herzstück dieser Home Cinema-Überraschung. Leave the World Behind überzeichnet nichts, hält sich zurück, setzt Akzente, die zwischendurch mehr aufs Gas treten als in anderen Momenten, in denen man meinen könnte, nichts davon, was da draußen geschieht, könnte relevant sein. Ist es allerdings doch, und dann kommt noch Kevin Bacon ins Spiel, der so seine Ahnungen hat, und auch die sind nur Futter für Verschwörungstheorien, die vielleicht wahr sind oder auch nicht.

Schön ist, und das macht der Film ganz ausgezeichnet: Ein Perspektivwechsel findet nie statt. Der Story-Twist bleibt aus, schon allein deswegen ist das Ganze kein Shyamalan. Statt solcher erwartbaren Mechanismen geht Esmail dabei ordentlich in die Tiefe und rührt in der selbstverständlichen Auffassung der Wohlhabenden herum, niemals um die gesellschaftliche Ordnung bangen zu müssen. Hervor kommen Verhaltensweisen, die den Verzweifelten die Schamesröte ins Gesicht treibt. Entkommen kann man ihnen nicht, und letztlich liegt das Heil in der Zerstreuung. Wofür Esmail ein rundes, in seinem leisen Zynismus pointiertes Ende findet. Leave the World Behind ist mehr als eine Dystopie – es ist vor allem äußerst kluge Gesellschaftskritik.

Leave the World Behind (2023)

The Lake (2022)

STILLE WASSER SIND FIES

4,5/10


thelake© 2023 Splendid Film


LAND / JAHR: THAILAND 2022

REGIE: LEE THONGKHAM, AQING XU

DREHBUCH: LEE THONGKHAM

CAST: THEERAPAT SAJAKUL, LAMYAI HAITHONGKHAM, VITHAYA PANSRINGARM, SUCHARAT MANAYING, THANACHAT TULLAYACHAT, SOMPHONG KUNAPRATOM U. A.

LÄNGE: 1 STD 45 MIN


Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber denke ich an die thailändische Kinolandschaft, fällt mir als erster der unaussprechliche Apichatpong Weerasethakul ein – Kunstfilmer und Festival-Liebling, Spezialist für alles Paranormale, jedoch auf eine Art und Weise, die den Animismus als inhärenten Teil unseres Alltags ansieht. Schön ist das, auch zutiefst magisch, aber nicht unbedingt leicht zugänglich. Des Weiteren gäbe es da noch den Martial Arts-Klassiker Ong Bak oder den knallbunten Western Tears of the Black Tiger. Auch mancher Horror (z.B. Shutter oder – ganz aktuell – The Medium) aus dem im Westen beliebten, für Massentourismus anfälligen, tropischen Urlaubsland erfreut sich an weltweiter Bekanntheit.

Mit dem Blick auf Kinotrends aus Hollywood, Japan oder Südkorea will Thailand in seinen Produktionen keinesfalls hinten nachstehen. Ist es mal keine True Story-Nachverfilmung jener Rettungsaktion der in einer Höhle im Nordwesten Thailands eingeschlossenen Fußballmannschaft, steigen gerne auch mal dem feuchten Habitat angepasste Wasserwesen aus den Seitenarmen des Mekong, um alles und jeden in Angst und Schrecken zu versetzen. Denn Thailand setzt immer noch auf den X-Faktor, was den Glauben an kryptozoologische Phänomene angeht. Was in den Untiefen des Landes vielleicht noch alles entdeckt werden kann – diese Spekulationen manifestieren sich in der regennassen Monsun-Mystery The Lake von Action- und Horrorprofi Lee Thongkham. So einiges Schleimiges möchte hier Land gewinnen und die arglose Bevölkerung, die sich mehr schlecht als recht durchs Leben schlägt, in Panik versetzen. Dabei reagieren die Monstrositäten, die dem Schrecken des Amazonas durchaus das Wasser reichen können, ganz unterschiedlich auf das fliehende und kreischende thailändische Volk. Es gibt auch solche, die unfreiwillig eine mentale Symbiose mit diesen Kreaturen eingehen, was es folglich schwieriger macht, sie zu besiegen. Doch wo ein Wille, da ist in Werken wie diesen immer ein Weg.

Gerade im Hinblick auf dieses Genre will man Filme auf die Beine stellen, die alle Stückchen spielen. Klar, dass diese aber aufgrund budgetärer Engpässe nur teilweise erklingen. Was es dann braucht, sind Improvisationstalent und magiergleiche Eigenschaften, die das Wunder vollbringen, den Anschein einer künstlerischen Ambition genau dort zu hinterlassen, wo eigentlich nichts ist. The Lake schafft in so manchen Szenen und zusätzlich kaschiert durch das Regenwetter richtig gute Takes, die das oder die Monster formschön ins Szene setzen. In diesen Momenten haben wir es mit ordentlichem CGI zu tun, das sich sicher so einiges hat kosten lassen. Dann gibt es die anderen Passagen, in denen die Kreatur gerne Latex trägt, und das sieht man. Genauer gesagt: nicht nur wir, auch die Filmemacher selbst. Mit deplatzierten Unschärfen und Close Ups in Bewegung überschminkt The Lake seine Problemstellen. Auch das fällt auf. Aber nicht als Stilmittel, sondern als provisorische Ansatzlösung. Hinzu kommt ein Skript, das vor allem mit seinen Dialogen der melodramatischen, immerfeuchten Düsternis ein dramaturgisches Bein stellt. Banales Wortpingpong schmückt die sentimentale Selbstqual so mancher Protagonisten, dick aufgetragen wäre fast schon schöngeredet. In seiner Essenz birgt die Story, ähnlich wie in Bong Joon-hos Tentakeldrama The Host, einiges an kernigem Konfliktpotenzial, doch immer wieder lenken so manche Qualitätsschwankungen von einem grundsätzlich faszinierenden Monsterdrama ab, das in metaphysischer Melancholie abtaucht, während der brüllende Seeufer-Godzilla mal organisch greifbar, dann wieder nur Puppe, die Szene fletscht.

The Lake (2022)

Bird Box – Schließe deine Augen (2018)

UND ALLE SPIELEN BLINDE KUH

6,5/10


birdbox© 2018 Netflix Österreich


LAND / JAHR: USA 2018

REGIE: SUSANNE BIER

DREHBUCH: ERIC HEISSERER

CAST: SANDRA BULLOCK, JOHN MALKOVICH, SARAH PAULSON, TREVANTE RHODES, JACKI WEAVER, MACHINE GUN KELLY, ROSA SALAZAR, DANIELLE MCDONALD, TOM HOLLANDER, VIVIAN LYRA BLAIR, JULIAN EDWARDS U. A.

LÄNGE: 2 STD 4 MIN


Macht man nur das leiseste Geräusch, sind sie da: Die Aliens aus A Quiet Place. Die können zwar nichts sehen, dafür funktioniert ihre Echoortung womöglich perfekt. Der Beweis macht uns sicher: Selten war Homo sapiens in der Bewältigung einer Apokalypse so sehr eingeschränkt wie hier. Schwierig wird’s auch, wenn man erstens kein Geräusch machen sollte, und zweitens nicht hinsehen darf. Am besten Augen zu, oder diese mit Stoffbändern ihrer Zweckmäßigkeit berauben. Es wären auch jene Brillen geeignet, die Thomas Gottschalk in Wetten, dass?… immer so gern verteilt hat, wenn es darum ging, Buntsftiftminen nach ihrer Farbe zu erschmecken. In Bird Box – Schließe deine Augen wäre man froh, wenn man solche Brillen besäße. Oder eben eine Handvoll Sittiche, die es schließlich in ihren Flügelspitzen fühlen, wenn die garstigen Entitäten heranrücken. Es lohnt sich, das Federvieh überallhin mitzunehmen. Kaum fangen diese wild zu flattern an, sollte man räumlichen Schutz suchen.

Eine perfide Filmidee, das muss man schon sagen. Was aber kommt als nächstes? Du darfst nicht riechen? Du darfst nicht schmecken oder hören? Kann sein, den Ideen sind da keine Grenzen gesetzt, wenn sie plausibel genug aufbereitet werden. Drehbuchautor Eric Heisserer kennt sich mit extraterrestrischen oder gar paranormalen Eindringlingen ganz gut aus. Das phänomenal gut durchdachte Skript zu Arrival stammt aus seiner Feder. Des weiteren das Prequel zu The Thing oder der Horrorschicker Lights Out. Das mit dem Schwarzsehen liegt also in seinem Blut, und somit gelingt auch in Bird Box das hysterische Panorama einer beklemmenden Katastrophe, welche die gesamte Menschheit in einen Massensuizid stürzt, weil jene, die nicht rechtzeitig ihre Augen verschließen konnten, Dinge zu Gesicht bekommen, die eine Todessehnsucht auslösen, dass nicht mal die stärksten Antidepressiva etwas dagegen ausrichten könnten. In welcher schleichenden Eskalation sich dieses Szenario Bahn bricht, ist sogar stärker als das in A Quiet Place. Weil niemand sieht, nicht mal der Zuseher, was passiert. Weil niemand greifen, erfassen oder verorten kann, wo die Ursache steckt und was sie ist.

Es könnte passieren, dass fehlende Antworten auf all die Fragen letztlich dazu führen, in resignatives Desinteresse beim Zuseher umzuschlagen. Andererseits: In Hitchcocks Die Vögel ist auch niemals klar, warum Krähen und Spatzen so viel Stunk machen. Doch zumindest konnte man sie sehen. In Bird Box – Schließe deine Augen lässt man das Publikum dumm sterben – aber lieber dumm, als in grenzenloser Traurigkeit. Schließlich lässt sich nicht zeigen, was den Tod bringt. Oder hat irgendjemand schon mal in die lethalen Augen von Nikolai Gogols Erdgeist Wij geblickt und kann darüber berichten? Eben. Und dennoch bleibt die Tatsache eine unbefriedigende.

In diesem Extremszenario gibt Sandra Bullock die Mutter ihres eigenen und eines fremden Kindes, deren leibliche Eltern leider hinsehen mussten. Alle drei sind unterwegs zu einer Zuflucht inmitten der Wildnis, in der es sich, fern jeglicher Aggressoren, leben ließe. Auf einem Boot schippern sie flussabwärts – dazwischen wagt sich Bullock zu erinnern: Was eben war, wie sie mit einer Handvoll fremder Leute in einem Haus Zuflucht gesucht hat, wie sie dort womöglich Jahre ihres Überlebens verbracht hat, und was dazu geführt hat, dass einer nach dem anderen wegsterben musste. Soziale Diskrepanzen, Psychospielchen und seltsame Anomalien bei psychisch gestörten Menschen, die hinsehen können, ohne Schaden zu erleiden, unterbinden jegliche Langeweile.

Und dennoch gerät die Gefahr in Bird Box zu einer ziemlich austauschbaren. Im Grunde ist es ganz egal, was hier die Apokalypse losgetreten hat. Die meiste Zeit des von Susanne Bier (u. a. Zweite Chance) inszenierten Streifens handelt vom Leben im Hausarrest, etwas Lockdown-Feeling kommt auf und kurios dabei ist, dass trotz des Zusammenbruchs jeglicher Infrastruktur der elektrische Strom immer noch funktioniert und das Wasser fließt. Die unter falschen Voraussetzungen geschilderten Notsituationen erschöpfen sich nach einiger Zeit, und andauernd drängt die Frage, ob man den perfiden Entitäten irgendwie auf den Zahn fühlen könnte. Da hier nichts passiert, bleibt ein generischer Endzeithorror über, der mit dem Unerklärlichen so wenig wie möglich interagieren will.

Bird Box – Schließe deine Augen (2018)