Beetlejuice Beetlejuice (2024)

QUÄLGEISTER AUF ZURUF

5/10


beetlejuicebeetlejuice© 2023 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: TIM BURTON

DREHBUCH: ALFRED GOUGH, MILES MILLAR

CAST: MICHAEL KEATON, WINONA RYDER, CATHERINE O’HARA, JENNA ORTEGA, JUSTIN THEROUX, MONICA BELLUCCI, ARTHUR CONTI, WILLEM DAFOE, BURN GORMAN, AMY NUTTALL, SANTIAGO CABRERA, DANNY DE VITO U. A.

LÄNGE: 1 STD 45 MIN


Es ist wohl naheliegend, dass das Studio an Tim Burton herangetreten war, um ihn davon zu überzeugen, nochmal einen seiner Klassiker aufzuwärmen, war der doch damals an den Kinokassen ein erfolgreiches Vehikel. Das Publikum von damals ist nicht mehr das von heute, soviel scheint den Geschäftsfrauen- und männern wohl klar. Andererseits liegt Beetlejuice noch nicht so lange zurück, um die Kinder der Achtziger wie die Nadeln im Heuhaufen suchen zu müssen. Derer gibt es noch viele, und die Achtziger, die waren nicht nur irgendeine Dekade, sondern das Kinojahrzehnt schlechthin – so viele Klassiker, Blockbuster und Zufallserfolge gab es vorher und nachher wohl nie wieder. In diesem fulminanten, kataklystischen Output lässt sich eben auch Tim Burtons Geisterkomödie wiederfinden – ein kauziges, kleines Komödchen mit sehr viel Stop-Motion und blassgesichtigen Morbiditäten, mehr Grotten- statt Geisterbahnfahrt, denn zum Gruseln war das alles nicht. Das Horrorhafte ist Tim Burton auch nie gelegen, selbst sein Sleepy Hollow ist gediegener Gothic mit schrägen, aber nicht schrecklichen Einfällen. Wenn dann einer wie Bio-Exorzist Betelgeuse – lautmalerisch eben Beetlejuice – kugelbauchig, zerfleddert und mit satten dunklen Ringen um die Augen seinen Einstand probt, etabliert sich das Subgenre der Gruselkomödie wie ein Lehrstück für spätere Projekte. Und als wäre die ganze Mär rund um Geister, die nicht gehen wollen und solchen, die durch die Verheiratung mit den lebenden dem Jenseits zu entfliehen gedenken, nicht sowieso schon 1988 auserzählt, erhoffen sich die Studio-Kapitalisten mit einem Sequel, das so anmutet wie ein Reboot, nochmal den großen Reibach.

Entstanden ist dabei – zum Teil mit Originalbesetzung – weder Fisch noch Fleisch, Hommage und Upgrade gleichermaßen. Ein Chaos an pittoresken Expressionismus-Reminiszenzen a la Caligari, ein wohl wirklich herzhafter Cameo mit dem untoten Danny DeVito, vielen Schrumpfköpfen und einer Corpse Bride, für welche Tim Burtons neue Frau Monica Bellucci im Narbenlook stilechte Vergeltung verspricht. Das ist aber längst nicht alles, da kullert noch viel mehr durchs Dies- und Jenseits. Doch scheinbar hängt sich der Plot dann doch daran auf, Schauspieler Jeffrey Jones (im Original Winona Ryders Filmvater Mr. Deetz) nicht mehr zur Verfügung zu haben. Das liegt wohl daran, dass der Star vor vielen Jahren wegen Kinderpornografie belangt wurde. Das ist natürlich Kassengift, und auch sonst will niemand jemanden sehen, der Verbrechen wie diese zu verantworten hat. Also muss Jeffrey Jones verschwinden und fällt zu Beginn des Films als Überlebender eines Flugzeug-Crashs einer Hai-Attacke zum Opfer. Die übrige Familie versammelt sich trauernd im uns wohlbekannten Gemäuer, Tochter Ryder ist erwachsen, deren Tochter Jenna Ortega (Burtons neue Wednesday) die Skepsis in Person, was Paranormales anbelangt. Und Mutter Delia (Catherine O’Hara), Kunstikone, ist ebenfalls mit von der Partie. Währenddessen sinnt Bellucci im Jenseits danach, sich an titelgebendem Beetlejuice für was auch immer zu rächen. Und ein anderer Geist hat es in der Hand, die ungläubige junge Ortega davon zu überzeugen, dass der Tod nicht das Ende aller Dinge ist.

Tim Burton hat also viele Fäden in der Hand, für sich sind das alles kleine, platte Geschichten, aufgepeppt mit Make Up, Budenzauber und analogen Trickkisten. Für keine dieser Erzählebenen nimmt sich der legendäre Maestro mehr Zeit als nötig, all diese Fäden mögen zwar miteinander verflochten sein, doch nur widerwillig und wenig synergetisierend. Es ist vieles von allem und vieles von Altem, als Anhäufung fan-servicierender Anekdoten lässt sich Beetlejuice Beetlejuice bezeichnen, für Kinder aus den Achtzigern und jener, die dafür sorgen, dass Beetlejuice im Retail-Sektor wieder ordentlich Kohle macht. Kennt man das Original nicht, fällt das Sequel seltsam willkürlich aus. Da fehlt etwas, würde man bemerken, Doch das lässt sich auch feststellen, wenn man weiß, wie Michael Keaton schon damals das okkulte Geisterkarussel in Gang gebracht hat. Anstatt ein bisschen die Füße stillzuhalten, gerät Burtons Regie unter Zuckerschock und entwickelt eine aufgekratzte Fahrigkeit, wie es manchmal Kinder erleben, die am Ende eines Tages im Familypark gerne schon entspannen würden, es aufgrund der vielen Eindrücke und des ganzen ungesunden Naschkrams nicht mehr hinbekommen. So quirlt auch diese, das Original wenig bereichernde Komödie um sich selbst herum, ohne sich auf irgendetwas länger konzentrieren zu können, als würde man völlig überreizt durch die Geisterbahn tingeln.

Beetlejuice Beetlejuice (2024)

A Killer’s Memory (2024)

WAS SICH ÄNDERN LÄSST UND WAS NICHT

6,5/10


akillersmemory© 2024 DCM Film Distribution

ORIGINALTITEL: KNOX GOES AWAY

LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: MICHAEL KEATON

DREHBUCH: GREGORY POIRIER

CAST: MICHAEL KEATON, JAMES MARSDEN, AL PACINO, MARCIA GAY HARDEN, RAY MCKINNON, SUZY NAKAMURA, JOHN HOOGENAKKER, DENNIS DUGAN, JOANNA KULIG U. A. 

LÄNGE: 1 STD 55 MIN


Was tun mit Demenz? Das Beste draus machen. Oder den eigenen Nachwuchs aus der Affäre ziehen. Während Michael Keaton sein Leben abhandenkommt, obwohl er nicht das Zeitliche segnet, tut er doch noch alles, um zumindest jene zu retten, die sich dank derselben Blutlinie zwar als Familie bezeichnen lassen, jedoch nicht wirklich viel für einen Mann übrighaben, der seinen Lebensunterhalt damit bestreitet, andere über den Jordan zu schicken. Denn Michael Keaton ist ein Mann fürs Grobe, ein pragmatischer Auftragsmörder, dessen Zerstreutheit und mangelnde Konzentration anfangs noch etwas ist, das man gut und gerne mit dem fortschreitenden Alter abtun hätte können. Leider Gottes folgt nach einem Besuch beim Arzt eine ganz andere Diagnose: Knox wird die Erinnerung an sein Leben verlieren, schließlich ist er an Creutzfeldt-Jacob erkrankt, einer Degeneration des Gehirns. Irgendwann, und zwar schon sehr rasch, wird das Ich verschwinden, klare Momente werden eine Seltenheit sein, bis auch diese dem Vergessen anheimfallen. Mit so einer Prognose muss man erstmal umgehen lernen, doch Knox scheint es wegzustecken. Wer anderen das Leben nehmen kann, wird wohl auch selbst das Eigene bereits freigiebiger aufgeben als jemand, der das Recht auf Leben und Leben lassen anders betrachtet.

In diesem Zustand des Übergangs klopft plötzlich sein Sohn Miles an die Tür, den Knox aus Gründen mangelnder Akzeptanz eines Killers in der Familie Jahrzehnte nicht mehr gesehen hat. Diesmal aber scheint selbst der Filius seinem Papa nachgeeifert zu haben, allerdings nur im Affekt. Den Vergewaltiger seiner Tochter scheint er auf dem Gewissen zu haben, mit mehreren Messerstichen hat er ihn zu Boden gestreckt. Was Papa da wohl richten kann? Und wie sehr könnte zur Lösung des Problems die eigene fortschreitende Demenz in die Hände spielen? Was folgt, ist ein routiniertes Kriminaldrama mit Anleihen an Christopher Nolans Memento, nur ohne dessen Rückwärtsgang, und des belgischen Thriller Totgemacht – The Alzheimer Case, natürlich in ganz klassischem Sinne, routiniert inszeniert von Michael Keaton selbst, der sich mit ausreichend Gespür für seine eigene Rolle als einen, der sich auflösen wird, in Szene setzt. Knox goes Away heisst sein Film übrigens im Original – was es wohl besser trifft als A Killer’s Memory ein viel zu austauschbarer Titel. 

Bemerkenswert an diesem mit jazzig-melancholischen Klängen unterlegten Krimi ist Keatons sichtliche Freude an der Freiheit, seine Figur so anzulegen, wie er sie selbst gerne hätte. Ein bisschen Bird- und Batman schwingen mit, Keaton orientiert sich in der Darstellung des Erkrankten natürlich auch an Klassikern des Gefühlskinos wie Zeit des Erwachens oder gar The Father mit Anthony Hopkins. Keaton ist ein gewinnender, charismatischer und in sich ruhender Darsteller, seine unaufgeregte, stets eher stoische Spielweise unterstreicht die Film Noir-Komponente. Mit pragmatischer Gelassenheit wägt seine Figur des John Knox das Unausweichliche und das Veränderbare gegeneinander ab. Doch manchmal etwas zu gelassen. Raffiniert ist dabei die zwar reichlich konstruierte, aber durchdachte Trickserei rund um die Vertuschung eines Mordfalls und das Legen falscher Fährten. Leerlauf hat A Killer’s Memory keinen, zu richtig großem Kino gereicht das auf den letztjährigen Toronto Filmfestspielen erstmals gezeigte Kriminaldrama trotz schillernder Sidekicks wie Al PAcino aber nicht. Keaton ist ein kleiner, aber komplexer Film gelungen, der den Umstand einer fatalen Erkrankung, die an sich schon für ein ganzes Drama reichen würde, fast ein bisschen banalisiert.

A Killer’s Memory (2024)

The Flash (2023)

DEM SCHICKSAL DAVONLAUFEN

7/10


theflash© 2023 Warner Bros. Ent. All Rights Reserved.  TM & © DC 


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: ANDY MUSCHIETTI

DREHBUCH: CHRISTINA HODSON

CAST: EZRA MILLER, MICHAEL KEATON, SASHA CALLE, BEN AFFLECK, MICHAEL SHANNON, RON LIVINGSTON, MARIBEL VERDÚ, KIERSEY CLEMONS, JEREMY IRONS, ANTJE TRAUE, GAL GADOT U. A.

LÄNGE: 2 STD 24 MIN


Es ist selten empfehlenswert, seinen eigenen Problemen davonzulaufen. Immer weiter weg. Barry Allen tut das. Er läuft weg vom Schicksal seiner Familie, von der Tragödie eines Todesfalls, der so leicht hätte verhindert werden können, hätte Mum im Supermarkt nur nichts vergessen. In Wahrheit aber will Barry durch sein Davonlaufen die Vergangenheit wieder einholen, fast so, als würde man so schnell vor jemandem herlaufen, dass man, einmal die Erde umrundet, ihm letzten Endes nachläuft. Genauso – oder ungefähr so – funktioniert das. Und The Flash wird zum Herrn der Zeit, ohne dafür jemals irgendwelche Workshops dafür besucht zu haben, denn man weiß ja seit Marty McFly, wie heikel es ist, damit herumzuspielen. Die Manipulation am Zeitstrahl löscht entweder alles aus, verändert ihn – oder ein ganz neuer entsteht, inklusive frisch gezapfter  Vergangenheit.

Das DC-Multiversum wäre somit geboren, und Barry Allen fungiert als dessen Hebamme. Wie es der Zufall will, trifft Allen nicht nur auf glückliche Eltern, sondern auch auf sein Alter Ego ohne Kräfte. Ein völlig durch den Wind befindlicher Taugenichts, der sich von den Eltern aushalten lässt, aber selbst nichts auf die Reihe bekommt. Es wird schwierig werden, all das Leben wieder in den Normalzustand zu versetzen, denn in dieser neuen Welt gibt es keine Metawesen, die dem plötzlichen Auftauchen von Kryptonier Zod etwas entgegenhalten könnten. Wir wissen: Zod, gespielt von Michael Shannon (und diesmal eher farblos, wenn man Man of Steel nicht kennt) wollte schon anno 2013 die Erde unter Zac Snyders Regie niederbügeln – und nebenbei des Superman habhaft werden. Nun aber ist alles anders. Und zum Glück finden wir uns an jenem Tag ein, an welchem Allen seine Speed Force bekommen soll. Einer von beiden muss dann also schließlich The Flash werden. Wer, wird sich zeigen. Und Batman? Lustigerweise gibt‘s den. Doch der ist nicht Ben Affleck. Schließlich ist es jener aus den Filmen von Tim Burton, mit selbem Outfit und selbem Batmobil. Nur etwas älter.

Andy Muschietti, der Stephen Kings Es neues Leben eingehaucht hat, gilt nun als neue Hoffnung am DC-Firmament. Alle sind so richtig begeistert, was dieser aus Flash – sowieso das Sorgenkind, das jahrzehntelang auf seine Origin-Story hat warten müssen – gemacht hat. Obwohl: Ezra Miller, ebenfalls ein Sorgenkind, war schon längst etabliert. Nur die Story musste noch knackig genug werden – und mit dem roten Faden des Marvel-Multiversums mithalten. Denn Zeitreisen und andere Dimensionen sind immer noch der Trend, die kausalen Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung immer noch ein grenzenloses Labor, in welchem sich herumexperimentieren lässt, als gäb‘s kein Morgen mehr. Manchmal ist das auch tatsächlich so, und das Morgen lässt sich nur durch kluge Manipulation des Vergangenen oder der Zukunft garantieren. Auch The Flash rennt, schwitzt und flitzt nun weltenrettend diverse Zeitlinien entlang, die sich als alternative Dimensionen manifestieren. Das ist weniger krass als in Spider-Man: Across the Spider-Verse, aber man ahnt nicht, was eine Dose Tomaten eigentlich alles anrichten kann. Aufbauend auf diesem Schmetterlingseffekt lässt man sich gerne davon überzeugen, dass das scheinbar längst etwas erschöpfte Prinzip der Multiversen in gefühlt allen Comicverfilmungen immer noch einige Blickwinkel in petto hat, aus welchen die Sicht auf das Raum-Zeit-Dilemma nochmal neue Impulse erhält. Bei The Flash gelingt das. Michael Keaton weiß, wie er einfach, aber verständlich, hierzu den Erklärbären gibt, während Ezra Miller im Doppelpack mit sich selbst hadert – und dabei den Film zum Schauspielkino werden lässt, mit ganz besonderen Performancenleistungen. Miller mag im Privaten so einiges ausgefressen haben – als Schauspieler ist er ein Profi. Einer, der nuancieren kann, mit expressivem Ausdruck und kraftvoller Spielfreude. Und auch Michael Keaton, grundsympathisch wie eh und je, feiert den nostalgischen Rückblick auf sein Karrierehoch aus den Achtzigern. Im Team sind die zwei unschlagbar, da mag Supergirl (Sasha Calle) etwas an Kraft verlieren und noch nicht wirklich ihre Bestimmung finden.

Das Publikum aber ist sofort mit dabei. Zumindest mir erging es so. Lose auf dem Comic Flashpoint basierend, gelingt Muschietti ein höchst geschmeidiges, kurzweiliges Abenteuer mit der richtigen Portion an Situationskomik, ohne selten überzogen zu wirken, wenn man von der Krankenhaus-Szene mal absieht. Doch die passt wiederum gut zu James Gunns Stil. So gesehen ist The Flash ein Hybrid zwischen Snyder-Verse und dem rotzfrechen Wahnsinn einer Suicide Squad oder des Peacemaker, alle im selben Universum.

So richtig outstanding ist das Soloabenteuer des blitzschnellen Gutmenschen allerdings nicht. Vielleicht sind es zu viele Kompromisse und manchmal more of the same, doch im Grunde ist The Flash wie aus einem Guss. Ein Sprint ohne Pause, mit ganz vielen Cameos und Referenzen auf die Film- und Fernsehgeschichte des DC-Universe. Es ist das Ziehen einer Bilanz; ein Erkennen, wo man gerade steht, um danach weiterzulaufen. Hoffentlich in die richtige Richtung.

The Flash (2023)

Morbius

GEBT BATMAN DIESE SKILLS!

4,5/10


morbius© 2022 Sony Pictures Entertainment


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: DANIÉL ESPINOSA

CAST: JARED LETO, MATT SMITH, ADRIA ARJONA, JARED HARRIS, TYRESE GIBSON, AL MADRIGAL, MICHAEL KEATON U. A. 

LÄNGE: 1 STD 44 MIN



Spielt es in den Kinos der DC-Metropole Gotham eigentlich Marvel-Filme? Nehmen wir mal an, dem ist so. Und eines schönen Tages, während Joker & Co auf Urlaub sind und Bruce Wayne sonst nichts anderes zu tun hat, möchte dieser mal ins Kino gehen, daher blättert er in der von Butler Alfred überbrachten Tageszeitung und stößt dabei auf einen Film namens Morbius. Interessant, wird er denken, das ist ein Wissenschaftler, der zur Fledermaus wird. Ich bin zwar kein Wissenschaftler, denkt er weiter, dafür aber steinreich. Die Kinokarten werde ich mir noch leisten können, also sehe ich mir diesen Morbius mal an. Und dann sitzt er im dunklen Saal und es frisst ihn der Neid angesichts dieser atemberaubend nützlichen Skills, die ein jesusgleicher Jared Leto so an den Tag legt. Da weiß man gar nicht, welche dieser Fähigkeiten man lieber hätte. Batman würde sie alle wollen, und es verzehrt ihn danach. Nur leider: das ist das Marvel-Universum. Echo-Ortung, sensibles Gehör und das Gleiten auf Luftströmungen kann sich der Millionenerbe maximal als technischen Schnickschnack um die Hüften binden.

Morbius hat diesen ganzen Bauchladen an pfiffigen Extras gleich in seiner Biologie. Aber natürlich auch nicht von Geburt an, wir haben es schließlich mit einem Menschen zu tun, der von Kindertagen an eine nicht näher erläuterte Blutkrankheit auf Krücken mit sich herumschleppen muss. Im Internat von damals lernt das technische Genie einen Kommilitonen namens Loxias (oder Milo) kennen, der unter derselben Krankheit leidet. Beide verbindet von da an eine intensive Freundschaft. 25 Jahre später ist Morbius dem Blut der mittelamerikanischen Vampirfledermaus auf der Spur – warum auch immer. Morbius nimmt an, dies könnte seine Krankheit heilen. Von mir aus, soll er‘s versuchen. Und er tut es. Ganz klar, was dann passiert. Der kränkliche Doktor mutiert zur blutsaugenden Bestie, also quasi zum Vampir mit einer ganzen Latte spitzer Zähne und einer schaurigen Gesichtsphysiognomie, die zu Tage treten, wenn der Mutant Hunger hat. Sein Freund Loxias will das auch, bekommt’s aber nicht, weil man menschliches Blut nicht einfach so im Supermarkt kaufen kann. Zum Glück gibt’s Kunstblut, aber wer will das schon? Loxias ist aber nicht von gestern, macht einen auf Langfinger und kommt an das Serum heran. Und zack: haben wir zwei Vampire, die sich einen Film lang in den Haaren liegen, bestaunt vom FBI, dass zur Staffage verkommt.

Da es sich um eine (Anti)helden-Genese handelt, ist natürlich auch sofort klar, wie das Gekloppe enden wird. Angestrengt haben sich die vier(!) Skriptautoren wahrlich nicht. Was für ein müdes Drehbuch, was für eine schale Story. Anscheinend ist man von Venom: Let There Be Carnage als Grundlage ausgegangen und hat nur einige wenige Parameter verändert. Marvels Stiefbruder Sony, der ja unbedingt sein eigenes Superhelden-Dings durchziehen will, anstatt dass er seine Handvoll Figuren in die Hände von Kevin Feige legt, würde das vielleicht gerne, fühlt sich dann aber in seinem Stolz verletzt. Also macht Sony eben Filme, die vom Reißbrett sind, und die den Besitz sämtlicher Figuren aus dem Spider-Man Universe legitimieren sollen. Mit Herzblut dabei zu sein, ist etwas ganz anderes. Und da sowieso alle wissen, dass Morbius jetzt nicht wirklich der Brüller unter den Comicverfilmungen ist, sucht man den Ausgleich in der Postproduktion, will heißen: CGI wird’s schon richten. Glücklicherweise tut’s das auch, sonst wäre Morbius ein Totalausfall. Das Morphing der Gesichter von Jared Leto und Matt Smith ist State of the Art, die Fights zwischen Gut und Böse emanzipieren sich mit ihren spärlich gesäten, geschmackvollen Bullet Times vom generischen, oft in abstrakten Schlieren aufgelösten, mitunter langweiligen Getöse, in dem nichts mehr zu erkennen ist. Unter demselben Problem musste auch der letzte Venom leiden. Wird Zeit, dass endlich Spider-Man (in welcher Version auch immer) von der Wand springt und die Gelegenheits-Antagonisten aus der zweiten Reihe auf ein reizvolles Level hebt.

Morbius

The Trial of the Chicago 7

UNTER DEM DRUCK DER STRASSE

6,5/10


chicago7© 2020 Netflix


LAND: USA 2020

DREHBUCH & REGIE: AARON SORKIN

CAST: EDDIE REDMAYNE, SACHA BARON COHEN, JOSEPH GORDON LEVITT, MARK RYLANCE, FRANK LANGELLA, JEREMY STRONG, MICHAEL KEATON U. A. 

LÄNGE: 2 STD 9 MIN


Eigentlich wäre dieser historische Stoff hier das richtige Thema für Vietnamkriegs-Veteran Oliver Stone gewesen. Vielleicht gar als Ergänzung für sein hochgeschätztes Drama Geboren am 4. Juli. So gesehen sind beide Filme recht verwandt, nur dass The Trial of the Chicago 7 Erfahrungen an der Front komplett ausspart. Relevant ist hier das politische Engagement der breiten Masse Ende der 60er Jahre, die verfechteten Grundwerte der freien Meinung und vor allem das Demonstrationsrecht in Zeiten wie den damaligen. Ein ewiges Recht, das aktuell nicht mal durch allerlei Corona-Maßnahmen groß beschränkt werden kann. Das Versammeln des Volkes, um Unmut oder Statements kundzutun, das lässt sich den Menschen genauso wenig nehmen wie das Recht auf Schlaf, Verpflegung und Gesundheit. Die Vorsicht vor skandierenden Kritikern war zu Präsident Nixons Amtsantritt eine ungemein große. Dementsprechend wenig wollte man den Anti-Vietnam-Tonus zu hören bekommen.

Völlig logisch – was hätte eine Demonstration für einen Sinn, wäre sie nicht unbequem? Ausarten sollte sie nicht, zu keinen Straßenschlachten sollte es kommen. Doch genau das war an besagtem Tag im Jahre 1969, vielleicht auch inspiriert und motiviert durch den Studententumult im überseeischen Frankreich, leider passiert. Acht Mitglieder unterschiedlichster Vereine sind festgenommen worden. Die Frage ist also vor Gericht: war es bewusste Aufwiegelei zur Gewalt? Oder doch nur reine Eigendynamik angesichts ganzer Herden hochgerüsteter Polizisten.

Drehbuch-Erfolgsmann Aaron Sorkin, berühmt geworden durch sein Stück Eine Frage der Ehre, schwimmt im Dunstkreis der Justiz längst nicht in unbekannten Gewässern. Jack Nicholson auf der Anklagebank ist bis heute noch gut in Erinnerung, zuvor wurde das Stück am Broadway stürmisch gefeiert. Später dann sind seine Drehbücher für The Social Network oder Moneyball mit dem Oscar geadelt worden. Jetzt führt er selbst Regie – nach Molly’s Game seine zweite Arbeit hinter der Kamera. Und es scheint, dass Aaron Sorkin auch als investigativer Reporter eine ganz gute Figur gemacht hätte. Warum? Weil seine Filme vor allem eines sind: dramatisierte Chroniken brisanter Fakten. Informativ, das sogar sehr, dafür aber ausgeprägt sachlich. Eine gewisse Distanz zu den handelnden Personen bleibt gewahrt, um berichterstattende Objektivität zu wahren. Bei The Trial of the Chicago 7 ist genau das passiert: sein Polit- und Justizdrama, das sich fast ausschließlich im Gerichtssaal abspielt, ist zwar bis unter den Talar prominent besetzt – von Eddie Redmayne über Sacha Baron Cohen bis Michael Keaton – emotional mitreißen vermag sein Werk aber wenig. Aber wäre das dann nicht ohnehin allzu pathetisch? Wäre das nicht Boulevardkino zur falschen Zeit am falschen Ort?

Sorkin ist alles andere als ein impulsiver Künstler. Sein Blick ist geordnet, seine Arbeit akkurat, sein Team unter planender Hand auf seine Plätze verwiesen. Bizarre Lichtgestalt des ganzen True Story-Prozesses ist allerdings nicht Borat-Ikone Baron Cohen, der allerdings auch eine recht schillernde Performance hinlegt, sondern „Euer Ehren“ Frank Langella. Seine unberechenbaren Eskapaden hinter dem Richterpult könnten in die Filmgeschichte eingehen.

The Trial of the Chicago 7

Dumbo

ALLES WAS OHREN HAT, FLIEGT!

6,5/10

 

DUMBO© 2019 Disney Enterprises, Inc. All Rights Reserved.

 

LAND: USA 2019

REGIE: TIM BURTON

CAST: DANNY DE VITO, COLIN FARRELL, EVA GREEN, MICHAEL KEATON, ALAN ARKIN, LARS EIDINGER U. A.

 

Jetzt mal in Echt. Disneys Dekaden umspannende Filminventur macht vor gar nichts halt. Ein Riesenprojekt, welches die Masterminds dort am Laufen haben. Da werden die ältesten Zeichentrickfilme aus den heiligen Archiven geholt, von allen Seiten gemustert und nebst notwendiger Digitalisierung noch zusätzlich als Live-Act nachgedreht. Warum nur? Nun, weil’s erstens geht. Und zweitens, weil’s neugierig macht. Wie denn wohl zum Beispiel Winnie Puuh als echter Bär aussieht (Gut, das wäre nicht schwierig zu beantworten, da müsste man nur in die New York Public Library). Oder Shir Khan und Baghira. Oder das Biest, das mit der Schönen tanzt. Oder eben Dumbo. Bei Dumbo wäre es ja besonders interessant. Obwohl mich die ersten Vorab-Infos über Disneys Ambition, die traurige Geschichte des missgebildeten Dickhäuters wirklich real neu zu verfilmen, etwas irritiert haben. Braucht es denn das wirklich? Zugegeben, das habe ich mich vor Christopher Robin auch gefragt. Und vor The Jungle Book. Und zugegeben – eigentlich ja. Eigentlich braucht es das wirklich. Denn es sind oft ganz andere Geschichten, ganz andere Sichtweisen, die da ins Drehbuch geschrieben werden. Und ja, Disney macht das, weil’s geht. Und weil es das verdammt gut kann.

Sofern kein Vergleich aus dem reichlich illustrierten Brehms Tierleben vorliegt, kann ich bei Betrachten des Familienevents Dumbo tatsächlich nicht mehr mit Sicherheit sagen, wo die Echtheit von Tieren aufhört und wo die Animation beginnt. Dieser akkurate Realismus ist wirklich verblüffend. Und auch wenn schon damals bei Ang Lees Life of Pi der Tiger im Boot schon so täuschend echt ausgesehen hat – würde man den Stand der Dinge mit damals vergleichen, wäre die Katze ungleich unnatürlicher. Die Elefanten in Dumbo sind es augenscheinlich (noch) nicht. Aber fragt mich in ein paar Jahren wieder, denn da ist immer noch Luft nach oben, auch wenn ich das kaum glauben kann. Beim Elefantenbaby mit den großen Ohren, da weiß ich schon, dass der nicht echt ist. Aber er sieht so verdammt echt aus. Und wie er da unterm Stroh das Licht der Zirkuswelt erblickt und später ein Schaumbad über sich ergehen lässt, da grenzen die simulierten Eigenschaften von Wasser- und sonstigen Molekülen, die auf nicht weniger simulierter Elefantenhaut abfließen, wirklich schon an die Magie einer perfekten Illusion. CGI ist nicht nur mehr CGI – langsam fangen die Wesen aus dem Rechner an, Seele zu besitzen. Das war schon unlängst bei Alita so. Und auch Dumbo hat das gewisse Etwas.

In Anbetracht dieser Kunstfertigkeit hätte Tim Burton ja gar nicht mehr viel zu tun gehabt. Der niedliche Pachyderme ist ein Selbstläufer – oder wohl eher ein Selbstflieger. Drum herum gibt sich der Visionär mit dem Hang zum verspielt-morbiden Gothic-Grusel-Look recht bescheiden und wühlt in seiner eigenen Mottenkiste, die Requisiten aus seinen früheren Werken wie Charlie und die Schokoladenfabrik enthält. Der Vergnügungspark des sinisteren und seltsam frisierten Unternehmers Vandervere scheint ein wenig kreatives Sammelsurium sämtlicher Kulissen zu sein, die alle schon mal irgendwo verwendet wurden. Die permanente lila Abendstimmung und die etwas überstrapazierte Darbo-Werbespotoptik der 20er Jahre ergibt eine gewisse gleichförmige Unaufgeregtheit, bei der Burton sein Licht etwas unter den Scheffel stellt. Aber womöglich passiert das zugunsten einer familientauglichen Story, die sich ohnehin mehr auf Elefant und Mensch konzentriert. Und der Mensch, der hat schon seine kauzigen Vertreter. Vor allem ist es schön, wieder mal Danny deVito vor der Kamera zu sehen, der seit seinem Independent-Auftritt in Wiener Dog lange als vermisst galt. Als impulsiver Zirkusdirektor macht er sowieso eine famose Figur. Und Eva Green, Lieblingsstar von Tim Burton nach Ehefrau Helena Bonham-Carter, glänzt als grazile Trapezkünstlerin, die auf den Elefanten kommt.

Dumbo als charmantes Live-Act-Abenteuer funktioniert unterm Strich überraschend gut, ist zwischendurch sogar und insbesondere für jüngeres Publikum durchaus spannend, vor allem, wenn man Dumbos Ohren noch nicht trauen kann. Doch keine Sorge, bei Disney endet doch alles gut – oder doch nicht? Schicksalsschläge müssen sein, sonst wäre es nicht Disney, und die gut gemeinte Parabel über Außenseiter, Freaks und das Anderssein ist eine Zirkusnummer, die in Sachen Animationskunst staunen lässt, sonst aber eher recht solide und konventionell Stars in die Manege eskortiert, die ihre Attraktionen jedenfalls brav geübt haben.

Dumbo

American Assassin

TREFFEN DER ANONYMEN WUTBÜRGER

4/10

 

AMERICAN ASSASSIN@ 2017 Constantin Film

 

LAND: USA 2017

REGIE: MICHAEL CUESTA

MIT DYLAN O’BRIEN, MICHAEL KEATON, TAYLOR KITSCH U. A.

 

Hallo, ich bin Mitch. Und ich habe meine Partnerin bei einem Terroranschlag verloren.“ Natürlich, das ist traurig und erschütternd. Ganz klar hat die Buchvorlage des Thrillers von Vince Flynn auf tatsächliche Ereignisse des Sommers 2015 Bezug genommen. Was ist passiert? Ein Islamist hat den Strand eines 5-Sterne-Hotels meerseitig überfallen und wahllos um sich geschossen. Zahlreiche Menschen sind dabei gestorben. Die Wirtschaft der Wüstennation am Mittelmeer hat die blutige Katastrophe bis ins Mark erschüttert. Ähnlich furchtbar und wenig zimperlich zeigt Regisseur Michael Cuesta als Auftakt seines Filmes eine ähnliche Szene, die irgendwie schwer zu ertragen ist. Die Bilder kommen einem bekannt vor. An solchen Stränden war man selbst schon einige Male. Sich Vorzustellen, wie man selbst mittendrin ums Überleben rennt, ist somit kein Ding der Unmöglichkeit mehr. Schauspieler Dylan O’Brien, den wir alle aus der Jugend-Dystopie Maze Runner kennen, erlebt das Unvorstellbare am eigenen Leib – und muss zusehen, wie seine Verlobte von Kugeln durchsiebt wird. Das kann zweifelsohne das Leben der Hinterbliebenen zerstören. Für einen Neuanfang braucht es Therapie oder zumindest einen enormen Willen, weiterzumachen. Oder man lässt sich von Rachegefühlen beherrschen, stählt sich zur Kampfmaschine und schleust sich in die Terrorzelle ein, die das Drama von damals verursacht hat. Das klingt jetzt ein bisschen nach Arnold Schwarzenegger. Der hat, um seine entführte Tochter zurückzuholen, ganze Landstriche in Brand gesteckt. So gesehen in Phantom Kommando. Der Actionklassiker von damals ist heute fast nicht mehr ansehbar. Die unreflektierte, moralisch enorm fragwürdige Lizenz zum Töten hat die Jahrzehnte allerdings spurlos überdauert. Auge um Auge zieht immer noch. Doch die Berufswahl zum modernen Assassinen ist auch keine Lösung.

Egal, denkt sich dieser Mitch. Das Treffen der anonymen Traumatisierten wird zum Treffen der anonymen Nemesis-Übermenschen. Wozu Gesprächstherapie, wenn es gleich ans Eingemachte gehen kann. Wer kann bei dieser Chance zur zwangsbeglückten Aggression da schon widerstehen? Doch sobald es um Geheimdienst geht, ist die ganze Gewaltbereitschaft ja für den guten Zweck des Weltfriedens. Dass Gewalt Gegengewalt erzeugt, davon hat dieser seltsam agierende Geheimdienst noch wenig gehört. Umso plumper und tölpelig stellt er sich an. Am Tölpeligsten ist da Michael Keaton als reaktionärer Drillmeister, der seine Schützlinge im ebenfalls äußerst fragwürdigen Boot Camp sowieso nie im Griff hat. Kommt es dann zum Einsatz, bleiben die Undercover-Qualitäten ebenso geheim wie der Geheimdienst selbst. Und Dylan O’Brien? Der wirkt mit Bart tatsächlich um mindestens zehn Jahre älter als der Jungspund in Maze Runner. Aber berechtigt ihn das zum Ausknipsen der bösen Buben? Mitnichten. O’Brien bemüht sich sichtlich in seiner tragenden Trauma-Figur, ist aber weder ein Matt Damon (Die Bourne Identität) noch ein Leonardo Di Caprio (Der Mann, der niemals lebte). Maximal kann er Taylor Kitsch das Wasser reichen – der gibt nämlich den schlimmen Finger, Keatons gefallenen Engel, ein ausgewachsener Psychopath unter der Sonne. American Assassin wirkt so, als gäbe es die Ausbildung zum staatlich geförderten Killer pro Semester im Volkshochschulkurs. Da könnte ja ein jeder kommen, der auch nur irgendwie Rache verspürt, das psychische Gleichgewicht außen vor.

Wie hanebüchen sich die Story entwickelt, ist fast schon abzusehen. Hier lebt keiner auch nur ansatzweise die notwendige Objektivität und Gelassenheit, die ein Geheimagent besitzen sollte. James Bond kann da nur lachen. American Assassin ist stellenweise sehr brutal, teilt wie ein verhaltensgestörter Jugendlicher überallhin Schläge aus und missfällt letzten Endes aufgrund seiner unverhohlenen Naivität, seinen schwachen schauspielerischen Qualitäten und seinem ideenlosen Nacheifern diverser Genre-Meilensteine. Angesichts dessen könnte man ja leicht aggressiv werden und den nächsten Sommer-Killer-Workshop im Boot Camp Waldviertel buchen.

American Assassin

Spider-Man: Homecoming

DEADPOOL FÜR TEENIES

7,5/10

 

spiderman

Der Spinnenmann kehrt zurück, im wahrsten Sinne des Wortes. Die Frage ist nur, ob wir uns darauf freuen sollen oder nicht. In erster Linie aber flüchtet der ungewöhnlich schlagkräftige Teenie in die mütterlichen Arme der Marvel Studios. Homecoming – das verlorene Schaf ist zur Herde heimgekehrt, rein in den Kosmos der Avengers, da wo er eigentlich hingehört. Angebahnt hat sich das Ganze schon in The First Avenger – Civil War. Die Marvel Studios sind mit grundlegend neuem Konzept die Sache von der Maschekseite angegangen. Ihr Spider-Man präsentiert sich mit Tom Holland als unerwartet unspektakulärer, burschikoser Nerd, der auf Star Wars und Mädchen steht und sich von Superhelden sehr leicht beeindrucken lässt. Holland ist ein Bursche, der unaufgeregt normal daherkommt und das verschmitzte gewisse Etwas besitzt, das erst durch sein Tun und Handeln so richtig zutage tritt. In Civil War war ich schon mal positiv überrascht. Wie wird wohl Homecoming sein, allen bisherigen Fehlzündungen zum Trotz?

Zugegeben, Spider-Man ist wohl jener Superhelden-Charakter, der bislang mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Und damit meine ich nicht abgrundtief fiese Superschurken, sondern Sam Raimi und Marc Webb, die beide versucht haben, Spiderman auf die Leinwand zu bannen. Beide sind an diesem Unterfangen ziemlich gescheitert. Das lag zum einen am Cast. Weder Toby Maguire als manisch-romantischer Jungspund noch Andrew Garfield als Gentlemen mit allzu gewollt lockerer Note haben die Figur so interpretiert, als dass sie interessant geworden wäre. Weder Sally Field als Aunt May und die verkitschte Teenie-Romanze, sei es mit Kirsten Dunst oder Emma Stone, haben zur Qualität beigetragen. Und am Wenigsten die seifenopernhaften Superschurken, die so plakativ und unbeholfen dem Spinnenmann kontra gegeben haben, dass niemand auch nur jemals daran gezweifelt hätte, dass Spider-Man alles zum Guten wenden wird. Bei dieser Vorhersehbarkeit bleibt die Spannung auf der Strecke. All diese fünf vorangegangenen Filme haben immer mehr und mehr versucht, ihre dramaturgischen Mängel mit Bombast zu kompensieren. Höhepunkt des Untergangs war The Amazing Spider-Man – Rise of Electro. Elendslang, überladen und auf seine Effekte reduziert, blieb uns auch nicht erspart, Spider-Man aus allen erdenklichen Perspektiven von Haus zu Haus springen zu sehen. Das Publikum war somit übersättigt. Bitte keinen Spiderman mehr.

Es sei denn, Sony schickt den Burschen wieder heim. Und Marvel integrierte Spider-Man in sein Cinematic Universe, als wäre er nie weg gewesen. Es gelingt somit ein kleines Wunder. Spider-Man: Homecoming ist die bisher beste Verfilmung des Strumpfhosenteenies. Warum?

Weil Marvel mit der Zeit geht. Und – anders als Kollegen wie Michael Bay – weil Marvel bemerkt hat, dass das Effektkino seinen Zenit erreicht hat. Das Superheldenkino schafft es kaum mehr, mit visueller Raffinesse das Genre-Publikum zu überzeugen. Das spezialeffektverwöhnte Auge aller Geeks und Nerds hat im Grunde alles schon gesehen, was CGI zu bieten hat. Was bleibt also übrig als vom Gipfel des Klotzens wieder herabzusteigen, Drehbücher vom Reißbrett zur Seite zu legen und sich wieder vermehrt auf die Geschichten zu konzentrieren. Vielleicht sogar vermehrt auf schräge Charaktere, die seit dem Erfolg der Big Bang Theory salonfähig geworden sind. Bei Spider-Man Homecoming haben die Macher nicht das Tempo, aber Action und Effekte bewusst runtergeschraubt. Und vermehrt ihren Star Tom Holland freie Bühne gelassen. Der sympathische Junge verhält sich wie Deadpool für Teenies. Klug, wortgewandt, mit Hang zum Sarkasmus und mit ganz viel Anfängerglück. Überfordert mit seinen Fähigkeiten und dem Gadget-Anzug von Tony Stark, strudelt er mehr recht als schlecht durch die Nachbarschaft, um Waffenschiebern das Handwerk zu legen. Leider zum Missfallen des arroganten Schnösels und Möchtegern-Mentors Iron Man (strotzend vor Überheblichkeit: Robert Downey), der Peter Parker unter Kuratell stellen will. Spider-Man hilft sich also selbst – und beweist, dass weniger manchmal mehr oder zumindest gleich viel sein kann. Und Michael Keaton gibt den Waffenbauer angenehm pragmatisch und nicht hochgekünstelt wie die sinistren Wirrköpfe, die wir mittlerweile schon leid sind. Gemeinsam erreicht das freche Ensemble aus Nerds, Ganoven und bekannten Avengers-Ikonen die Qualität eines pfiffigen Comicabenteuers zwischen McGyver, Malcolm mittendrin und Kick-Ass. Zwar eindeutig fürs jüngere High School-Publikum gemacht, fügt sich der Film aber nahtlos in den humoristischen Infinity-Kosmos ein und bleibt dankenswerterweise am Boden.

Die Spinne hat sich nach Spider-Man: Homecoming eindeutig rehabilitiert. Und den Gadget-Anzug letztens Endes ehrlich verdient.

Spider-Man: Homecoming

Spotlight

VERRAT AM GLAUBEN

6/10

 

spotlight

Regie: Thomas McCarthy
Mit: Michael Keaton, Rachel McAdams, Mark Ruffalo, Stanley Tucci

 

Die Wurzel des widernatürlichen Übels liegt weit in der Vergangenheit. Um ca. 306 nach Christus kamen bei einer Synode im spanischen Elvira alle anwesenden Würdenträger zu dem Entschluss, das Enthaltsamkeitszölibat über all jene zu verhängen, die zum Dienst in der katholischen Kirche bestellt wurden. Von nun an sind weder Ehe noch körperliche Intimitäten für Priester aller Art gestattet. Man hat ja schließlich mit Gott verheiratet zu sein. Dass die Kirche indessen die Natur des Menschen mit Füßen tritt und die Freiheit des menschlichen Empfindens ignoriert, ist mittlerweile vor allem jenen bekannt, die der zweifelhaften Institution den Rücken gekehrt haben. Oder zu Agnostikern wurden, wohlgemerkt mit ruhendem Glaubensbekenntnis. Der Mensch kann nun einmal nicht aus seiner Haut. Nicht jeder ist ein Apostel. Und zu glauben, die Apostel wären enthaltsam gewesen, nur weil die Bibel für diese Erwähnung keine Verwendung gefunden hat, geht einher mit naiver Frömmigkeit. Die Verteufelung des Sex führt natürlich soweit, dass der stärkste menschliche Trieb nach dem des Überlebens im Rahmen der Kirche folglich pervertieren musste. Was Jahrhunderte lang unter den klerikalen Teppich gekehrt wurde, findet nun im agnostischen Medienzeitalter des Westens das Licht der Öffentlichkeit: Der sexuelle Missbrauch von Minderjährigen durch Geistliche der katholischen Kirche. Und was nicht weniger grauenerregend und verstörend als die triebgesteuerte Machtgier scheinbar frommer Menschenfischer zu sein scheint, ist der Eifer des Vatikans, die begangenen Verbrechen ihrer Gottesdiener zu vertuschen. Die Wahrheit, so sagt man, kommt irgendwann immer ans Licht. Dank des Engagements einiger weniger Journalisten, die für das Magazin Spotlight einen flächendeckenden Massenmord an unzähligen Kinderseelen aufdecken konnten. Dafür mussten die Frauen und Männer tief im Sumpf eines scheinbar organisierten Verbrechens wühlen, der in seinem Ausmaß nur sehr schwer bis gar nicht nachvollziehbar scheint. Und die Kirche zwar momentan erschüttert hat, diese aber des Weiteren wohl kaum beeinträchtigen wird. 

Ganz so wie Thomas McCarthy´s Film. Seine akribische Chronik rund um den Missbrauchsskandal ungeahnten Ausmaßes, der 2001 den amerikanischen Osten in Aufruhr gebracht hat, ist gut recherchiert und von einer illustren Besetzungsliste. Missbrauch ist klarerweise nichts für einen angenehmen Kinoabend. Und im Vorfeld kann es schon passieren, dass man zweimal überlegt, ab man sich einer derart schweren, unbequemen Thematik aussetzen möchte. Da muss die Situation schon passen, der Geist hellwach sein und die Stimmung nicht schon von vornherein getrübt. Doch keine Sorge – Spotlight ist weit davon entfernt, die Emotionen des Publikums über die Maße zu beanspruchen. McCarthy´s Film ist kein reißerisches Reality-Grauen, sondern nüchternes Infotainment. Das Drehbuch von Josh Singer ist von hohem Niveau – ausgefeilt, in seiner Perspektive wechselnd und ungemein präzise. Nachrichten im Kinoformat. Ein Report ohne CNN-Allüren. Etwas, das aufmerksam zuhören und teilnehmen lässt. Qualitätsfernsehen, ja. Aber kein Kino. Dazu lässt Spotlight trotz seiner menschlichen Tragödie überraschend kalt. Vielleicht, weil er sich zu sehr auf seine Fakten verlässt und weniger die menschliche Komponente mit einbezieht. Wer aber glaubt, dass hier nicht auch die Opfer selbst zu Wort kommen, irrt. McCarthy schenkt ihnen Aufmerksamkeit, doch nicht so ausdauernd wie dem vierköpfigen Spotlight-Team, das im Fahrwasser der Unbestechlichen zeigt, wie investigativer Journalismus zu funktionieren hat. Spotlight handelt von der Reportage der Aufklärung, weniger von dem Defizit der Kirche. Von der Hartnäckigkeit, die gerechte Wahrheit ans Licht zu bringen, weniger von den Folgen eines weitreichenden Missbrauchs. Würdenträger kommen kaum welche zu Wort. Die Institution bleibt ein undefinierbarer Schatten im Hintergrund, wie eine Weltverschwörung.   

Vielleicht ist Spotlight deswegen so sehr wie eine Zeitung, deren Bilder laufen gelernt haben. Ein fachliches Journalistendrama im Stile eines Sidney Lumet, nicht so sehr am Menschen interessiert als vielmehr an Schlagzeilen, die der Wahrheit verpflichtet sein sollen. 

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