DURCH DAS BÖSE HINDURCHSEHEN
7/10
© 2020 Universal Pictures
ORIGINALTITEL: THE INVISIBLE MAN
LAND / JAHR: USA, AUSTRALIEN 2020
REGIE / DREHBUCH: LEIGH WHANNELL
CAST: ELISABETH MOSS, OLIVER JACKSON-COHEN, ALDIS HODGE, STORM REID, HARRIET DYER, MICHAEL DORMAN U. A.
LÄNGE: 2 STD 4 MIN
Mit H. G. Wells‘ Roman Der Unsichtbare hat das Ganze gar nichts mehr zu tun. Einzig die Prämisse, unsichtbar zu sein. Gilt sowas dann noch als Adaption? Wohl kaum. Doch Leigh Wannell geht es, wie später auch in Wolf Man, lediglich um einen aus der Norm brechenden Zustand, um das Anders-Sein und Anders-Werden. Um das Monströse in einem Menschen, das ausbricht oder um einen monströsen Menschen, der die Möglichkeit findet, das Abnorme ungestraft zu praktizieren. Letzteres ist die Prämisse des neuen Unsichtbaren, entledigt aller Stoffbahnen und Verbände und auch jedweder Sonnenbrille, die als Utensilien zur Sichtbarmachung eines übereifrigen Wissenschaftlers, der nicht die ganze Bandbreite seiner Untersuchungen akzeptiert hat, bislang herhalten mussten. Wie es die Universal Studios und Blumhouse schaffen, klassische Grusel-Ikonen in die Gegenwart zu transportieren, ohne auf dem Weg dorthin das Interesse des Publikums zu verlieren, dass nur bedingt in Nostalgie schwelgt? Genau so.
Obwohl bei H. G. Wells die Frage der Moral und die Verrohung des Menschen durch den Fortschritt oder eben auch der Monopolstellung eines Fortschritts in einer Metaebene ganz klar zu lesen ist, rückt bei Whannell genau das in den Hintergrund, während der bereits im sichtbaren Zustand etablierte Psychopath den psychologischen Traumata weiblicher Gewaltopfer eine schreckliche Gestalt verleiht: Nämlich, dass sie keine hat.
Ein Mensch, der Unterdrückung, Gewalt und permanente Bedrohung erlitten hat, wird sich nicht groß wundern, die Welt paranoider zu betrachten. Diese Angst vor der Verfolgung wird in Der Unsichtbare zum Monster, zum Feind im eigenen Schlafzimmer. Zur Gefahr, allgegenwärtig und gleichzeitig nirgendwo. Das funktioniert deutlich besser oder eben zeitgemäßer als der Ansatz der Entmenschlichung durch exorbitante Technologien. Was nicht heisst, dass diese kritische Betrachtungsweise nicht auch zeitrelevant genug wäre. Die Frage, die wir uns aber noch dringender stellen müssen, ist das Miteinander. Von diesem hat Elisabeth Moss als unterdrückte Ehefrau Cecilia die Nase voll. Ihr Ehemann Adrian ist ein Scheusal, ein dominanter Chauvinist und naturgemäß eben ein Psychopath, der seine häusliche Gewaltherrschaft ausübt, wenn er gerade mal nicht als High-Tech-Ingenieur im Keller des schmucken Hauses an einem Projekt herumtüftelt, welches dazu beitragen wird, dass Whannells Film eben so heisst, wie er heisst.
Cecilie schafft es aber, in einer Nacht- und Nebelaktion ihrem grausamen Gatten zu entfliehen – der hetzt hinter ihr her, doch zum Glück ist die beste Freundin zur Stelle, die, wie ausgemacht, das Fluchtauto zur Verfügung stellt. Es vergeht einige Zeit, in der Cecilia, von Furcht gepeinigt, Adrian könnte sie finden, bei Freunden inkognito unterkommt. Und selbst nach der Nachricht, der Göttergatte hätte sich umgebracht, lässt sich das Leben nicht wirklich leichter nehmen. Ein Gefühl der Befreiung weicht dem Gefühl, fortan immer und überall von einer boshaften Präsenz beschattet zu werden, die nicht nur wie der kalte Atem eines Toten über einem wabert, sondern sehr schnell sehr handgreiflich wird.
Womit wir bei Leigh Whannells Methode wären, auf wenig zimperliche Weise das Subgenre des existenzialistischen Thrillers aufzumöbeln. Schon in seinem Science-Fiction-Hardcorestreifen Upgrade um Künstliche Intelligenzen und deren Kontrolle über unser Leben ist ein scharfkantiger filmischer Brutalismus zu spüren, die Ignoranz urbaner Anonymität und kaltschnäuziger Vergeltungsmethoden. Auch Der Unsichtbare bleibt kühl und distanziert, und wirft in sein asoziales Ökosystem eine völlig aufgelöste Elisabeth Moss, die um ihren Verstand ringt und das Gefühl der Angst zu empfinden weiß – bis diese ihr Flügel verleiht, womit der zwischen Psychohorror und Science Fiction angesiedelte Film sogar noch – und nicht zu spät – eine ordentliche, aggressiv-feministische Note erhält. Whannells Skript weiß herumzuwirbeln und die Parameter neu zu ordnen – immer wieder mal so, wie man es nicht erwartet. Auf diese Weise gelingt ihm ein makelloses Stück futuristisches Thrillerkino, gesellschaftskritisch, panisch, psychotisch. Am glattpolierten Boden des Fortschritts jede Menge Blut.

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