After the Hunt (2025)

DIE QUADRATUR DES MEINUNGSKREISES

6,5/10


© 2025 Sony Pictures


LAND / JAHR: USA, ITALIEN 2025

REGIE: LUCA GUADAGNINO

DREHBUCH: NORA GARRETT

KAMERA: MALIK HASSAN SAYEED

CAST: JULIA ROBERTS, AYO EDEBIRI, ANDREW GARFIELD, MICHAEL STUHLBARG, CHLOË SEVIGNY, LÍO MEHIEL, DAVID LEIBER, THADDEA GRAHAM, WILL PRICE U. A.

LÄNGE: 2 STD 19 MIN


Alle sind sie sowas von klug. Studierend, studiert, auf der Höhe der Zeit und ihrer Bedürfnisse: Akademiker eben, und davon nehme man die intellektuellste und wortgewandteste Elite, und davon wieder die Liga des Ruhms. Angelangt sind wir dann bei einer wie Julia Roberts, einem wie Andrew Garfield und vielleicht auch noch einem wie Michael Stuhlbarg, der aber nicht den Philosophen, sondern den Psychologen gibt, den subversiv-süffisanten Attitüden eines weisen Klassik-Hörers ergeben, dem es nur um sich selbst geht. Die anderen sind da aber auch nicht besser, wenn nicht gar noch schlimmer, denn Stuhlbargs Figur ist immerhin die eines treuen, manchmal fürsorglichen Ehemanns, der wirklich liebt, nämlich Julia Roberts. Die scheint fast aus Gewohnheit eine jahrzehntelange Beziehung zu führen, neben ihrer eigentlichen als Universitätsprofessorin in Yale mit ihren Studentinnen und Studenten. Protegé von Roberts Figur der Alma Imhoff ist die scheinbar ehrgeizige Maggie Resnick (Ayo Edebiri), die für ihre Professorin mehr empfindet als man empfinden sollte. Störfaktor ist dabei Almas liebgewonnener Arbeitskollege Hank, gespielt von Andrew Garfield, ein eitler Geck von einem Professor, blitzgescheit, charmant, aufdringlich. Dieses Aufdringliche, Notgeile, das ihn umgibt, wird ihm zum Verhängnis, als er nach einer von Alma geschmissenen Houseparty für die Uni-Elite besagte Maggie nicht nur nachhause bringt, sondern, sturzbesoffen, gleich noch hochkommt in ihre Wohnung und dort, wie kann es anders sein, sexuell übergriffig wird.

Im Zweifel gegen den Angeklagten

Damit gerät ein Stein ins Rollen, der alles mitzureißen scheint – vor allem Almas Integrität, ihre Souveränität und Glaubwürdigkeit. Denn schließlich ergibt sich jene Pattsituation, in der, wie Schirach es in seinem Stück Er sagt. Sie sagt ausführlich umschreibt, eine wie immer auch geartete Wahrheit unmöglich ans Licht dringen kann, es sei denn, eine der beiden Wahrheiten (denn Hank betört seine Unschuld) kommt der sozialphilosophischen Bestrebung zugute, dem weißen Patriarchat ein für alle Mal den Teufel auszutreiben. Dass dabei persönliche, natürlich egoistische Interessen dabei nutznießen wie nicht blöd, mag eine willkommener Nebeneffekt sein.

Julia Roberts steht also zwischen den Fronten und weiß nicht wohin mit ihrer Meinung, geschweige denn ihrer bezogenen Stellung. Es beiden Parteien recht zu machen, geht nicht. Fragt sich nur: Auf welcher Seite lässt sich der eigene Erfolg denn am wenigsten trüben, steht doch eine der heißbegehrten Anstellungen ins Haus, die auch Hank bekommen könnte. Der jedoch ist diskreditiert bis auf alle Ewigkeit, das woke Meinungssystem zieht ungehindert seine vorverurteilenden Kreise.

Kluger Rede kurzer Sinn

Kreise, die man als Zuseher langsam aus den Augen verliert oder aber man kann ihnen nicht ganz folgen, wenn Luca Guadagnino sein Ensemble hochgradig philosophische Ansichten rezitieren lässt, die nah an der Unverständlichkeit einen Nichtstudierten wie mich ziemlich blöd dasitzen lässt. Am liebsten würde man zurückspulen und das eine oder andere Gespräch nochmal hören, es fragt sich auch, wohin die hochtrabende Wortklauberei führen soll, wenn nicht dort hin, Akademiker und solche, die es werden wollen, als Geistesriesen zu etablieren, deren Niveau einen eigenen Olymp pchtet, auf welchem gottähnliche Philosophen ihren Scharfsinn schleifen wie ein Schwert, um daraufhin die Klingen zu kreuzen. After the Hunt sonnt sich damit natürlich in gesellschaftspolitischer Brisanz und umkreist das Dilemma der woken manipulativen Zweckentfremdung, mit der siegessicher brandmarkiert wird, wer in die entsprechende Clique passt.

Ja, Männer sind Schweine, sehr viele sogar. Frauen müssen zusammenhalten, wenn es um Missbrauch geht, auch wenn der Verdacht nur im Raum steht. Oder nicht? Guadagnino hinterfragt dieses bewährte Konstrukt der unbewiesenen Ächtung – oder er hinterfragt es gleichzeitig auch nicht. Er hinterfragt Erfolg, Eitelkeit und die Aufrichtigkeit im Willen zur Veränderung der Welt, wie sie die studierende Elite besserwisserisch vorantreibt – und er hinterfragt es gleichzeitig auch nicht.

Julia Roberts hält die Zügel

After the Hunt bezieht selbst keine Stellung. Die wahren Identitäten seiner Figuren, deren Beweggründe und deren Aufrichtigkeit – sie bleiben unentdeckt, unerforscht, alle sind verdächtig, sich selbst nur im Vorteil zu sehen. Abgehoben ist das richtige Adjektiv für einen intriganten Gesellschaftsthriller, der wahnsinnig viel Diskussionsstoff aufs Tapet bringen will, ohne ihn auszuarbeiten. Bündel an Akten, Fotos und Schriften sind das, egal wo und wie man blättert, splittern fiktive biografische Fragmente ab, die nur ansatzweise irgendwo hinführen, wo man Antworten vermutet. Mit gekonnter, kinematographischer Kraft, kühler, fast schon abweisender Bildsprache und intellektueller Kaltschnäuzigkeit rührt Guadagnino in seinem Krisenspiel ordentlich um, und ja, Julia Roberts ist wiedermal ein As, eine Rolle, in der sie sich während es Spiels sichtlich erst selbst entdecken hat müssen, so sehr kämpft sie sich durchs Dickicht subjektiver Befangenheit. Messerscharfe Dialoge wechseln mit vehementer Suspense, es ist düster, die Figuren berechnend und allesamt klugschwätzend in diesem Uni-„Dallas“ aus einem Zeitalter ereifernder, moralgesteuerter Manipulation.

After the Hunt (2025)

A Private Life (2025)

WER THERAPIERT DIE THERAPEUTIN?

6,5/10


© 2025 Sony Pictures Entertainment


ORIGINALTITEL: VIE PRIVÉE

LAND / JAHR: FRANKREICH 2025

REGIE: REBECCA ZLOTOWSKI

DREHBUCH: ANNE BEREST, REBECCA ZLOTOWSKI, GAËLLE MACÉ

KAMERA: GEORGE LECHAPTOIS

CAST: JODIE FOSTER, DANIEL AUTEUIL, VIRGINIE EFIRA, MATHIEU AMALRIC, VINCENT LACOSTE, LUÀNA BAJRAMI, IRÈNE JACOB, SOPHIE GUILLEMIN, FREDERICK WISEMAN, AURORE CLÉMENT U. A.

LÄNGE: 1 STD 45 MIN


Ob Sigmund Freud jemals selbst auf der Couch gelegen hat? Wohl eher nicht, hat dieser doch die Psychoanalyse erst dahingehend entwickelt, dass sich bis heute jenes Konzept erhalten hat, den Betroffenen eher liegend und die therapierende Person wohl eher sitzend vorzufinden. Eine Ausgangssituation, die bereits schon eine gewisse klare Trennung der Aufgaben erklärt, und beileibe keine Wechselwirkung zwischen Patient und Therapeut. Die Hierarchie ist also eine unverrückbare. Doch wie sehr ist diese Idee der Erforschung und Bearbeitung einer Seele denn noch zeitgemäß, und wieviel Selbstreflexion verträgt oder sollte dabei die therapeutische Institution vertragen können, um auf Augenhöhe mit dem Gesprächspartner zu bleiben?

Dieses Gefälle ist zumindest in Rebecca Zlotowskis Rollenbetrachtung nach wie vor gegeben, und zwar sehr deutlich, überangestrengt steil, die Couch nur eine Betrachtungsfläche irgendwo weit unten, während Jodie Foster als Psychiaterin Liliane Steiner, die die Weisheit der Seelenklempner bereits längst mit dem Löffel gegessen hat, auf ihre Patienten herabblickt. Kaum umgeben von Freunden und Familie, sondern nur von jenen, die viel dafür ausgeben, um seelisch wieder in Ordnung zu kommen, mag Liliane Steiner gerade jene Patientin durch ihre Abwesenheit ins Auge fallen, die sich später wohl mutmaßlich umgebracht haben soll – durch eine Überdosis an Beruhigungsmitteln, die auf eine falsche Angabe auf dem Rezept zurückzuführen ist. Wer hat hier wohl seine Finger im Spiel? Die Patientin selbst, deren Tochter, oder gar der Ehemann, der lange Zeit schon ein Verhältnis hat?

Frankophile Jodie Foster

In A Private Life, einem französischen Psychodrama, das so aussieht, als wäre es ein Krimi und mit den entsprechenden Versatzstücken arbeitet, um vielleicht auch nur das Publikum in die Irre zu führen, fällt natürlich auf, dass die mit dem Filmbiz aufgewachsene und sich bis heute am Ruhm relativ schadlos gehaltene Jodie Foster einen Charakter verkörpert, der im Grunde nach Isabelle Huppert schreit, und zwar voller Inbrunst und Leidenschaft. Doch Huppert, Vielfilmerin und vielleicht auch schon vom Filmbiz etwas müde, räumt das Feld für eine Amerikanerin, die fließend französisch spricht, wie Foster es eben tut, und die sich, das muss man festhalten, viel zu selten durchs europäische Kino bewegt. Genau das steht ihr formidabel, insbesondere das Arthousekino. Mit dem spielerischen Charme dessen, und dem Bewusstsein, das im Independent-Sektor nicht allzu viel auf dem Spiel steht, holt sich Foster ihre schauspielerische Kraft zurück. Denn so lustvoll hat man den Star schon lange nicht erlebt. So lustvoll und bereit, sich mit einer Figur auseinanderzusetzen, die in der Geschichte gerade das nicht tun will: Sich selbst reflektieren.

Der Anschein eines Whodunits

Eingebettet in ein souveränes Ensemble aus bekannten Gesichtern wie Daniel Auteuil, Virginie Efira und Mathieu Amalric sehnt sich Foster nach der französischen Weise des Filmemachens und vertraut sich Rebecca Zlotowski an, die ein geheimnisvolles, teils sogar schrulliges Moralwerk gedreht hat, das sich als eigentlich unauffälliger Film durch Bibliotheken, die Dunkelheit fremder Landhäuser und Therapiezimmern stiehlt, während es draußen regnet, das Mysterium eines Todesfalls und Verdächtigungen wie Nebel durch die Gassen treiben, während langsam, aber doch, die Seiten wechseln, man möchte es kaum wahrnehmen. Irgendwann findet sich Fosters Figur der Liliane in den Tiefen ihres Unterbewusstseins wieder, vielleicht sogar in einem früheren Leben, keine Ahnung, was Hypnose im Gehirn tatsächlich auslöst. Als unauffälligen Twist mag man diesen Moment in diesem Film bezeichnen, während das Investigative seine Kreise zieht und die Tränendrüsen der Psychiaterin nur Empfindungen kolportieren.

Die Läuterung einer Zynikerin

Es mag tatsächlich dieses versteckt Agierende in diesem Vexierspiel der Psyche sein, dass die Geschichte kaum aus sich herausgeht, dass sie in sich selbst etwas feststeckt, wie Liliane Steiner eben. Mitunter wagt Zlotowski auch die hämische Parodie des In-sich-Eintauchens, des Unterbewussten, der Psychoanalyse an sich. Das Überhebliche dabei erfährt hier ordentlich Reibung. Das alles mag sehr viel für einen Film wie diesen sein, mag sein, dass A Private Life mit all den Ansätzen mitunter etwas überfordert scheint, doch im Grunde will er in all diesen Bestrebungen immer nur ein und dasselbe: Achtsamkeit. Letzten Endes gelingt der läuterungsbewusste Umkehrschluss fast wie von selbst.

A Private Life (2025)

The Mastermind (2025)

DIE NAIVE KUNST DES KUNSTRAUBS

4/10


© 2025 Stadtkino Filmverleih


LAND / JAHR: USA, VEREINIGTES KÖNIGREICH 2025

REGIE / DREHBUCH: KELLY REICHARDT

KAMERA: CHRISTOPHER BLAUVELT

CAST: JOSH O’CONNOR, ALANA HAIM, HOPE DAVIS, BILL CAMP, JOHN MAGARO, GABY HOFFMANN, JASPER & STERLING THOMPSON, ELI GELB, COLE DOMAN, MATTHEW MAHER U. A.

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Im Krieg und in der Liebe…

James Blaine Mooney – der zweite Vorname gleicht nicht rein zufällig dem Verb blame, übersetzt für „schuldig bzw. schuld sein an etwas“ – ist wohl der Meinung, man befände sich im Krieg. Tatsächlich hat er nicht ganz unrecht, nur: der Krieg findet nicht vor der eigenen Haustür statt, sondern weit weit entfernt im abstrakt wirkenden Vietnam, wo Richard Nixon Menschenleben verpulvert für nichts und wieder nichts. Im heimatlichen Massachusetts, wo die Lichter zwar nicht ausgehen, aber das Licht der Erkenntnis bei manchen nicht wirklich durch den Schleier der Selbstüberschätzung dringt, scheint alles friedlich, wo andernorts vor allem die studierte Jugend auf die Straße geht, um gegen das angeblich Unvermeidliche zu demonstrieren. Während von überallher Nachrichten und Fernsehen dafür sorgen, dass der Krieg nicht aus den Köpfen der Bevölkerung verschwindet, hat auch dieser James Blaine Mooney, im weiteren Filmverlauf nur JB genannt, eher den Eindruck, dass sich in dieser prekären Ausnahmesituation ein Bankraub vielleicht so aussehen könnte wie eine Plünderung – durchaus menschliche Verhaltensweisen, die dann eintreten, wenn die staatliche Ordnung mitsamt ihrer Exekutive für nichts mehr garantieren kann und die Anarchie Gelegenheitsräuber reich macht. Als so einer will der zweifache, allerdings arbeitslose Vater, der sein Kunstgeschichtestudium aus welchen Gründen auch immer abgebrochen hat, das große Geld machen. Am besten im örtlichen Museum of Art in Framingham, das er ohnehin mit der lieben Familie immer wieder besucht, anstatt einen Job anzunehmen, der zum Greifen nah scheint.

Dominosteinschlaggefahr 

Doch Plündern will gelernt sein – und vorallem eins: durchdacht. Kelly Reichardt, auf deren Filme jedes Filmfestival dieser Welt wartet wie ein Verhungernder auf einen Bissen Brot, erteilt der Figur des Erfolgs-Querdenkers und Improvisateurs eine Lehre, indem sie ihn auf ganzer Linie scheitern lässt. Das beginnt schon bei JB’s Bequemlichkeit, das Ding nicht selber durchziehen, sondern windschiefe Leute anzuheuern, die nicht anders können, als zur Waffe zu greifen und eifrig zu zwitschern, sobald sie von der Exekutive in die Mangel genommen werden. So folgt also eines aufs andere, und Beau Josh O’Connor darf sich in fruchtloser Breaking Bad-Manier mit den Dominosteinen des Schicksals herumschlagen. Film Noir will The Mastermind aber keiner sein, dafür fehlt zur Gänze die melancholische, gar existenzialistische Schwere. Und noch etwas: Überhaupt fehlt in Kelly Reichardts Arbeit so etwas wie Belang.

Langweilen mit dem Offensichtlichen

Die ausgebleichten Farben der Siebziger sind eine Sache, die enervierende Jazzmusik eine andere, und tatsächlich quälende. Schafft man es, die Tonspur geistig auszublenden, bleibt immer noch das Rätsel um Josh O’Connors Charakter. Anscheinend ist dieser ein Mensch ohne Eigenschaften – wortkarg, uncharismatisch, erstaunlich phlegmatisch, im Grunde also wenig interessant. Reichardt gelingt es diesmal nicht, ihren Figuren eine gewisse Relevanz zu geben. Was mit JB also passiert, mag egal sein, so wie viele Szenen in dieser Krimidramödie, die unentschlossen zwischen knirschender Tragik und lakonischem Sarkasmus hin und her schlendert. Die Auswahl der Szenen misslingt – warum sich minutenlang mit dem Offensichtlichen aufhalten, mit der wortlosen Betrachtung von JB’s Tätigkeiten, die das Hirn des Zusehers mühelos ergänzen könnte. Was dieser also denkt, sieht er auch. Was er sich nicht denkt, sieht er nicht. Gedankliches Ergänzen in Filmen fordert eine Interaktion, die Reichardt gar nicht möchte. Kombinieren lässt sich die Metaebene mit dem Krieg zwar schon, doch die eigentlichen Beweggründe der Hauptfigur beschneidet sie derart, dass sie die Wurzel gleich mit entfernt.

The Mastermind, von der Prämisse her reizvoll, gestaltet sich als brustschwaches Heist-Movie in eitler Reduktion, fehlgriffig in seiner Struktur und frei von erzählerischen Peaks. Viel gibt’s dabei also nicht zu entdecken, außer vielleicht die Bildwelten des Arthur Garfield Dove.

The Mastermind (2025)

Wenn der Herbst naht (2024)

DIE MORAL DER SÜNDIGEN TAT

7,5/10


© 2025 Weltkino


ORIGINALTITEL: QUAND VIENT L’AUTOMNE

LAND / JAHR: FRANKREICH 2024

REGIE: FRANÇOIS OZON

DREHBUCH: FRANÇOIS OZON, PHILIPPE PIAZZO

KAMERA: JÉROME ALMÉRAS

CAST: HÉLÈNE VINCENT, JOSIANE BALASKO, LUDIVINE SAGNIER, PIERRE LOTTIN, GARLAN ERLOS, MARIE-LAURENCE TARTAS U. A.

LÄNGE: 1 STD 42 MIN


Endlich kein Sommer mehr – obwohl, das muss ich sagen, dieser gerade so ausfiel, als wäre er meinetwegen einige Kompromisse eingegangen. Natürlich Unsinn, Sommer muss auch sein, keine Frage, doch wie in so vielen Fällen ist die Betrachtung dieser Umstände, dass es nun kühl und windig und verregnet ist, eine, die ambivalente Emotionen erzeugt. Der goldene Herbst ist derzeit nicht greifbar, der düstere, trübe allerdings schon. Und beides ist dennoch Herbst in seiner reinsten Form. Schön, wenn man etwas nicht so genau bestimmen kann, davon könnte sich die Moral ein Stückchen abschneiden. Was ist rechtschaffen, was ist niederträchtig oder gar sündig?

Von Pilzen bekommt man Bauchweh

In diesem breiten Spektrum ist für François Ozon die Jahreszeit natürlich als meteorologisches Sinnbild für eine Zwischenwelt schlechthin zu finden – äußerlich wie auch im Inneren eines Menschen, diesmal insbesondere in der Psyche einer älteren Dame namens Michelle, die im wunderschön herbstlichen Burgund ihren Lebensabend verbringt. In Rufweite ihre beste Freundin Marie-Claude (Josiane Balasko), und der geliebte Enkel wird auch bald in die traute Provinz hineinschneien, schließlich sind Herbstferien und beide sind schon seit jeher auf einer Wellenlänge. Anders verhält es sich mit Tochter Valérie (Ludivine Sagnier). Vom Bruch, den die beiden nicht überwinden können, erfährt man anfangs reichlich wenig – ein Grund mehr, um diese ganze familiäre Konstellation in ein schwer deutbares Licht zu rücken, das wie eine tiefstehende Sonne eine nicht unbedingt eiskalte Dunkelheit ankündigt. Erahnen lässt sich hier schon etwas, doch die herbstliche Diffusität lässt keine klaren Verhältnisse zu. Gut so – Ozon, der auch das ausgeklügelte Drehbuch schrieb, gönnt sich, um den Stein ins Rollen zu bringen, den Verdacht eines vielleicht gar vorsätzlichen Mordanschlags, als das Pilzgericht von Oma nicht jedem bekommt – in diesem Fall ausschließlich Tochter Valérie. Natürlich ein Versehen, beteuert die Dame, ihre Verzweiflung ob der unglücklichen kulinarischen Verwechslung wirkt durchaus ehrlich. Zurück aus dem Spital, reist die Tochter, ohnehin schon distanziert, diesmal erbost ab – ihren Sohn im Schlepptau, der aber noch bleiben will. Gar nicht gut für Michelle, ihre Freundin steht ihr bei. Diese wiederum hat einen Sohn, gerade frisch aus dem Knast entlassen, der seit jeher mit Michelles Familie verbunden ist und den Unfrieden ein für alle Mal klären will.

Das Böse meint es gut

Wenn der Herbst naht spinnt ein taufrisches, beängstigend kaltes wie auch nachmittagwarmes Geflecht an Schicksalsfäden, die ineinanderlaufen und niemals lose enden. Während viele Figuren in diesem sensenschwingenden Theater des melancholischen Untergangs ganz klar ihre Ambitionen darlegen, bleibt die innere Welt von Oma Michelle, herrlich undurchschaubar dargeboten von Hélène Vincent, der man im Grunde überhaupt gar nichts oder ungefähr so wenig vorwerfen kann wie Miss Marple, moralisches Moorgebiet. Nichts weiß man jemals genau, und dennoch ist die subversive Metaebene dieser ausgesuchten französischen Suspense eine, die Schwarz und Weiß niemals vorsieht. Das Niederträchtige, ich will gar nicht sagen Böse, meint es gut, das Gute sucht sich den harmvollen Weg der zumindest psychischen Gewalt. Die Frage bleibt dabei – und nimmt die Antwort eingangs mit der Rezitation aus dem Neuen Testament rund um Maria Magdalena bereits vorweg: Wo beginnt der gute Mensch und wo endet er? Oder: Wie viel Gewicht hat die Sünde, und wann ist Amoral jemals durch andere definierbar, außer durch einen selbst?

Auch wenn Ozons meisterlich durchdachter Schicksalsreigen auf laubraschelnden Schritten daherkommt, ist dessen innerstes Wesen ein hochgradig provokantes und zum Nachdenken anregendes. Sozialphilosophisch lässt sich einige Male darüber diskutieren, und genauso wie der Herbst, der niemals nur so ist, wie er scheint, mag auch dieses komplexe Werk in all seiner formalen Schönheit letztlich als schummernde, aber in sich ruhende Grauzone wahrgenommen werden.

Wenn der Herbst naht (2024)

Caught Stealing (2025)

DER VERDAMMTE SCHLÜSSEL ZUR GLÜCKSELIGKEIT

6,5/10


© 2024 CTMG, Inc. All Rights Reserved.

LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: DARREN ARONOFSKY

DREHBUCH: CHARLIE HUSTON, NACH SEINEM ROMAN

KAMERA: MATTHEW LIBATIQUE

CAST: AUSTIN BUTLER, REGINA KING, ZOË KRAVITZ, MATT SMITH, GRIFFIN DUNNE, LIEV SCHREIBER, VINCENT D’ONOFRIO, D’PHARAOH WOON-A-TAI, BAD BUNNY, YURI KOLOKOLNIKOV, WILL BRILL U. A.

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Wenn jemand unverhofft in die Bredouille gerät, ohne auch nur ein bisschen etwas dafür zu können und auslöffeln muss, was ein anderer eingebrockt hat – sind die narrativen Parameter mal so gesetzt, dann handelt es sich dabei meist um eine Thrillerkomödie entweder aus der Feder der Gebrüder Coen oder aber um ein grunges Dialektwerk aus den Anfängen von Guy Ritchie. Wer hätte gedacht, dass einer wie Darren Aronofsky mal die Nase voll hat von bedeutungsschweren Schicksalsschlägen. In seinen Anfängen ließ er für uns Laien die Zahl Pi erklären, um dann später mit Requiem for a Dream den Schlag in die Magengrube zu setzen. Düsterer, nihilistischer und desaströser lässt sich Drama gar nicht auf die Beine stellen. Und auch wenn zuletzt der überschwere Brendan Fraser als The Whale an seinem Leid förmlich erstickt  – der Schritt ins Licht, wenn auch in eines nach dem Regen, mag mit Caught Stealing getan sein. Denn so zentnerschwer und existenzhinterfragend ist diese Kriminalpistole nun bei weitem nicht mehr.

Zeigen, was er sonst noch kann

Ein wirklich guter Filmemacher fischt nicht nur in seinem ureigenen Genre, in seiner gestalterischen Komfortzone, wenn man so will, sondern beweist vielleicht mitunter in seiner Laufbahn, dass auch ganz andere Geschichten nicht weniger gehaltvoll erzählt werden können. Manch ein bildender Künstler musste schon mal beweisen, dass er auch Realismus kann. Fürs Kino ließ sich David Lynch dazu hinreissen, mit The Straight Story eine wahre Geschichte zu erzählen, die von Alpträumen gar nichts weiß und so straight angelegt ist, dass man gar nicht glauben kann, sie sein vom Meister des Surrealen höchstselbst. Aronofsky nimmt sich diesmal die literarische Vorlage eines Charlie Huston zur Brust, genauer gesagt einen seiner Romane, in denen die existenzbedrohte Figur Hank Thompson die Hauptrolle spielt. Dieser Hank wird vom neuen Stern am Firmament des Kinos verkörpert, und nein, es ist nicht Pedro Pascal oder Timothée Chalamet, sondern Austin „Elvis“ Butler, sehr selbstgenügend, selbstironisch und beseelt von einer sich durch missliche Lebenslangen aalglatt windenden Sympathie, was dazu führt, dass man einem wie Thompson alles verzeiht, sogar Mord und Totschlag. Doch Hand anlegen am Leben anderer will der Knabe nicht. Viel lieber an den Flaschenhälsen hochprozentiger Flüssigware, die er sich hinter die Binde gießt und im Folgezustand so gut wie alles vermasselt, was man auch nur vermasseln kann. Freundin Zoë Kravitz sieht es ihm nach, denn manchmal ist er ja auch nüchtern. In diesem Aggregatszustand trifft er vor seiner Wohnung auf den windschiefen Nachbarn Russ (herrlich durchgeknallt: Matt Smith), seines Zeichens Punkrocker und die Hilfe von Thompson erbetend, was seine Katze betrifft, da er selbst für einige Tage weg muss.

Mit dieser Gefälligkeit gerät der Ball ins Rollen, und er rollt leider dorthin, wo Nasen wie die von Butler nichts zu suchen haben. Bald schon stehen die Russen vor seiner Tür, und nicht nur die – auch gewaltbereite Juden sind an einer Sache interessiert, von der Thompson nichts weiß und die womöglich ein Schlüssel zu etwas viel größerem sein muss, zu einem Geldbetrag, der alle glücklich machen soll.

Ganz viel Mazeltov

Aronofsky, wohl selbst nie im Genre der Komödie unterwegs und auch nie so wirklich im Thriller, wenn man Black Swan mal ausnimmt, hat die Rezeptur für so einen Film wie diesen allerdings durchaus verstanden, wenngleich der Mehrwert in der Metabene diesmal wohl nicht zu finden ist. Caught Stealing – der Titel ist Programm – ist, was er ist: grobkörnig gefilmtes Ensemblekino mit Hang zur Gosse, blutig im Detail und auch nicht davor zurückschreckend, wirklich schmerzhafte Kerben zu schlagen, was Schicksal und Glückseligkeit angeht. Butler, souverän als der Gejagte und Gehetzte, muss improvisieren, und gerade diese Momente sind die besten des Films. Über die Grundstruktur kann man sagen, was man will, neu erfunden ist das alles nicht, wenngleich dem geschmeidigen Jungstar zwei Altstars in orthodoxem Outfit beinahe die Show stehlen: Liev Schreiber und Vincent D’Onofrio als skurrile Killermaschinen mit Herz und Prinzipien sind das Sahnehäubchen in einem Wettlauf um den großen Gewinn. Währenddessen mag sich die Logik zugunsten einer umständlichen Handlungsweise durchaus verabschieden, stolpern so manche Twists manchmal etwas übereinander, ohne charmant den anderen vorzulassen. Was bleibt, ist eine zwar nicht sehr nennenswerte, aber inszenatorisch astreine Unterhaltung, die einer gewissen sozialen Schwere nicht ausweicht, dabei aber in eine fast schon naive Wohlgesonnenheit kippt, die man Aronofsky gar nicht zugetraut hätte.

Caught Stealing (2025)

Night Always Comes (2025)

BARGELDLOS DURCH DIE NACHT

5/10


© 2025 Netflix Inc.


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: BENJAMIN CARON

DREHBUCH: SARAH CONRADT, NACH DEM ROMAN VON WILLY VLAUTIN

KAMERA: DAMIÁN GARCÍA

CAST: VANESSA KIRBY, JENNIFER JASON LEIGH, ZACK GOTTSAGEN, RANDALL PARK, STEPHAN JAMES, JULIA FOX, MICHAEL KELLY, ELI ROTH U. A.

LÄNGE: 1 STD 48 MIN


Neben dem omnipräsenten Pedro Pascal ist wohl Vanessa Kirby spätestens seit ihrer Oscar-Nominierung für Pieces of a Woman in gefühlt jeder zweiten Filmproduktion dabei. Gerade eben durfte sie als Sue Storm den wasweißichwievielten Versuch, die integren Fantastischen Vier endlich mal erfolgreich auf die Leinwand zu bringen, tatkräftig unterstützen. Zwischendurch widmet sich die gebürtige Londonerin aber nach wie vor dem Arthouse-Film und produziert auch gerne selbst das eine oder andere Projekt – ganz besonders schien ihr die Verfilmung des Romans Night Always Comes von Willy Vlautin am Herzen gelegen zu haben, der eine Frauenfigur in den Fokus rückt, die ambivalent genug ist, um sie schauspielerisch ordentlich auszufüllen. Nichts eindimensionales, sondern facettenreich und mit einer ordentlichen Portion Verzweiflung, denn ohne diese würde Night Always Comes gar nicht erst mal in die Gänge kommen. Prämisse ist also eine ausweglose Situation, und wie in den meisten ausweglosen Situationen, wenn es sich dabei nicht um eine Krankheizt oder einen Survival-Unfall handelt, geht es folglich um den Mammon. Dieses ist nicht da, oder besser gesagt: wäre da, wenn Mutter Jennifer Jason Leigh nicht das notwendige Kleingeld für einen Neuwagen verprassen würde, das eigentlich dafür bestimmt war, die familiäre Immobilie zu sichern. Schließlich ist auch noch der nach besonderen Bedürfnissen verlangende Bruder Kenny mit von der Partie, der rund um die Uhr Betreuung braucht.

Dass die ganze Familie auf der Straße steht, ist ein No-Go. Und Lynette, so die Rolle der verzweifelten jungen Frau, die eine zwielichtige Vergangenheit mit sich herumschleppt, muss binnen einer Nacht ein ganz schönes Sümmchen auftreiben, damit das Undenkbare nicht passiert. Wie sie das macht, hätte ich dieser Person gar nicht zugetraut. Und auch während sie versucht, mit dem Mut der Verzweiflung sogar in die kriminelle Düsternis Portlands einzutauchen und so einige Straftaten zu begehen, natürlich alles für den guten Zweck: Kirby ist all das nicht zu glauben. Vielleicht liegt es an dieser Sanftmütigkeit, mit der sie ihre Rolle untermauert. Die dunklen Jahre minderjähriger Prostitution und Abhängigkeit hinterlassen im Charakterbild Kirbys keine Spuren, letztlich fehlt es an der notwendigen Portion Zynismus, um zu glauben, was man sieht. Ähnlich vage bleibt Jennifer Jason Leigh als dem Schicksal die kalte Schulter zeigende Zynikerin, die keine Vorstellung von einer grimmigen Zukunft hat. Einerseits wirkt sie versoffen, dann wieder völlig resignierend wie jemand, der im White Trash-Milieu nichts mehr zu verlieren hat – was aber nicht den Tatsachen entspricht. Wohin Benjamin Caron (u. a. Sharper mit Julianne Moore) seine Familie positioniert, mag diffuses Terrain sein. Einzig Zach Gottsagen, der Schauspieler mit dem Down-Syndrom, der schon an der Seite von Shia LaBeouf in The Peanut Butter Falcon brilliert hat, wirkt wie ein stoischer Fels in der Brandung, der von allen Beteiligten, obwohl orientierungslos, noch die beste Orientierung hat.

Zu sehr gefällt sich Kirby in der Rolle der Verzweifelten, im nachtschwarzen Milieu zwischen Drogen, Geldraub und längst nicht verjährter Traumata. Sie selbst hat sich von Arbeiten wie Good Time der Gebrüder Safdie und dem deutschen One-Shot Victoria inspirieren lassen – beiden Filmen fehlt aber das Gemächliche, die bausteinartige Struktur, die dem Chaos einer Nacht zuwiderläuft. Kirbys Erlebnisse greifen nicht ineinander, sondern folgen nacheinander, Virtuosität weicht gefälligem Existenzialismus, der wohl lieber die Emanzipation aus der Verantwortung probt als sich dem Thrill zu unterwerfen. Der Effekt dabei: Night Always Comes unterhält zwar und hat einige Spitzen auf Lager, die dicht genug sind, um dranzubleiben und nicht wegzudriften. Im Ganzen aber bleibt diese Nacht trotz seiner prekären Abenteuer eine unter vielen.

Night Always Comes (2025)

Echo Valley (2025)

DIE MAMA WIRD’S SCHON RICHTEN

5,5/10


© 2025 Apple TV+


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: MICHAEL PEARCE

DREHBUCH: BRAD INGELSBY

CAST: JULIANNE MOORE, SYDNEY SWEENEY, DOMNHALL GLEESON, FIONA SHAW, KYLE MACLACHLAN, REBECCA CRESKOFF, AUDREY GRACE MARSHALL U. A.

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Flap Flap Flap – da rattert der elterliche Helikopter und umkreist seinen Nachwuchs, von welchem er glaubt, ihn überwachen zu müssen, damit ihm nichts passiert. Das wäre die eine Extreme, für die man Erwachsene gerne schütteln würde, um sie zur Besinnung zu bringen. Das andere Extrem ist, wenn die Großen den Kleinen nichts zutrauen. Wenn man als Vater oder Mutter andauernd die Pflicht verspürt, dem Kind jedwede Verantwortung abzunehmen, völlig entgegengesetzt dem Montessori-Leitsatz: Hilf mir, es selbst zu tun. Wäre Julianne Moore als fest im Sattel sitzende Muttergottes nicht so völlig davon überzeugt gewesen, dass ihre Tochter sich niemals selbst aus der Misere ziehen könnte, die man Leben nennt, wäre ein Film wieder dieser gar nicht erst entstanden. Echo Valley schiebt uns eine Prämisse unters Gesäß, die sauer aufstößt, weil Moore in ihrer Mutterrolle völlig versagt. Und das nicht, weil sie nichts für ihr Kind tun würde, sondern eben weil sie alles tut. Viel zu viel, aus manischer Fürsorge und mangelndem Zutrauen. Die Konsequenz ist ein verkorkstes jugendliches Leben, eine Drogensucht und eine fiese Instrumentalisierung der eigenen Eltern oder eben nur der Mutter, denn der Vater – Kyle McLachlan – schert sich einen Dreck. Auch er hat jeden Glauben an seine Tochter verloren, und ja, das rächt sich irgendwann.

Während Mutter Kate, so Moores Rolle, in trauter Einsamkeit ihre Pferdekoppel namens Echo Valley betreibt und mehr halbherzig als enthusiastisch Teenagermädels das Reiten beibringt, überkommt Tochter Claire wiedermal der Drang, daheim vorbeizusehen. Es braucht nicht lang und der Besuch eskaliert, Claire macht einen auf hysterisch und dampft ab – nur, um nach kurzer Zeit wiederzukommen, weil sie Mist gebaut hat, und Mama, davon geht sie mal aus, es richten wird, egal wie herausfordernd das Problem auch sein mag. Zugegeben, es ist ein durchaus ernstes, schließlich liegt ein Toter auf der Rückbank ihres Wagens, der grimmige Ausgang eine Drogengeschichte. Prinzipiell würde man als Erwachsener darüber nachdenken, nicht doch die Polizei zu alarmieren, denn nichts ist erzieherisch wertvoller, als den Kindern beizubringen, für ihre Fehler geradezustehen. Doch die Amis haben es nicht so mit der Exekutive, das wissen wir aus vielen Filmen. Keine Ahnung, was für ein schreckliches Schicksal sie dabei erwarten könnte, vermutlich fahrlässige Tötung oder eben Totschlag, noch dazu ist Papa Anwalt, der sicherlich einen Deal aushandeln könnte. So denke ich mir, während der Noch-Nicht-Thriller so dahinplätschert und Julianne Moore natürlich in ihrem mütterlichen Ehrgeiz, weil Tochter nichts auf die Reihe bekommt, das Falsche tut. Richtig ungemütlich wird es dann, wenn Domnhall Gleeson (endlich wieder gut) als schmieriger Drogendealer den Bildschirm verschönert – und ein Spiel um Schein und Sein einläutet, während das Mutter-Tochter-Drama in der Versenkung verschwindet.

Michael Pearce, der eine ausgezeichnete Arbeit mit seiner Psychothriller-Romanze Beast vorgelegt hat, lässt sich diesmal von einem durchwachsenen Krimiplot höchstselbst um den Finger wickeln. Die zweite Hälfte des direkt auf Apple TV+ erschienenen Star-Vehikels konstruiert auf Teufel komm raus ein falsche Fährten legendes Psychoduell, das eine Mutterfigur als Macherin mit harter Haut auf die eine Seite des Rings stellt, ihr gegenüber Blondschopf Gleeson. Dass der Plot eine unerwartete Wendung macht und ganz andere Ziele ansteuert, ist beim Film erfrischend willkommen, und dennoch fragt man sich inständig, ob dieser umständliche Handlungsbogen auch wirklich seine Mühe wert war. Im Hinterkopf bleibt immer noch Plan A, die richtige Entscheidung der Mutter. Andererseits: Auf diese Weise wird Moore zum „tapferen Schneiderlein“, das auf unberechenbar geistesblitzende Weise mehrere Fliegen mit einer Klappe erschlägt.

Echo Valley (2025)

The Amateur (2025)

CODEKNACKER IM SÜHNEFIEBER

5,5/10


© 2025 20th Century Fox


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: JAMES HAWES

DREHBUCH: KEN NOLAN, GARY SPINELLI

CAST: RAMI MALEK, LAURENCE FISHBURNE, RACHEL BROSNAHAN, JON BERNTHAL, CAITRÍONA BALFE, MICHAEL STUHLBARG, HOLT MCCALLANY, JULIANNE NICHOLSON, MARC RISSMANN, JOSEPH MILLSON, ADRIAN MARTINEZ U. A.

LÄNGE: 2 STD 3 MIN


Man kann nicht wirklich behaupten, dass Rachel Brosnahan, die zukünftige Lois Lane in James Gunns DC-Universum, im CIA-Thriller The Amateur einen spielfilmlangen Auftritt hinlegt. Viel eher bringt sie maximal den Stein ins Rollen, der die Handlung fortan für die nächsten zwei Stunden durch ein komprimiertes Spannungskino peitscht, welches viele Details außen vorlässt. Diese Feinheit im Erzählen hätte allerdings dazu geführt, aus einem routinierten Agentenfilm vielleicht gar etwas Besonders zu machen, einen Genrefilm mit anderem Blickwinkel, vorrangig einem psychologischen. Denn Brosnahans Göttergatte in dieser illustren Verfolgungsjagd quer über den europäischen Kontinent ist Rami Malek. Er ist der Star dieses Films, Oscarpreisträger für die Imitation von Freddy Mercury und überhaupt einer, der sich nicht dem Mainstream solider Schauspielkunst unterordnet. Malek legt seine Rollenwahl gerne auf Charaktere an, die stets eine verpeilte Weltsicht mit sich führen, die gerade erst durch ihr Verhalten oder so, wie sie die Welt sehen, zum geachteten und nicht verachteten Außenseiter werden. So einer ist Malek auch als Amateur – wobei sich die desillusionierte Bezeichnung für einen, der nicht weiß, wies geht, lediglich darauf beschränkt, in James Bond-Manier den Schurken das Handwerk zu legen. Diese Skills beherrscht Charlie Heller, so die Anti-Heldenfigur beim Namen genannt, nicht wirklich. Dafür aber hat er es als Codeknacker und Superbrain in Sachen Computertechnologie so einiges im Köpfchen. Das Ableben seiner besseren Hälfte erfolgt dann durch einen nicht näher erläuterten Terroranschlag, eine Gruppe martialischer Bösewichte lassen Brosnahan also zeitnah zum Anfang über die Klinge springen. Charlie Heller sieht das Ganze mit an, ist verstört, wütend und trauernd. Und schwört natürlich, wie kann es anders sein, auf die obligate Rache. Alle, die an dieser Schandtat beteiligt waren, und wovon wir nicht wissen, warum sie es getan haben, sollen sterben. Da Heller die Geschäftsführung der CIA angesichts eines leicht beweisbaren Vertuschungsskandals am Schlafittchen packt, willigt diese ein, den Schreibtischhengst einer Agentenschulung zu unterziehen, damit dieser seine Spur der Verwüstung durch die alte Welt ziehen kann. Haudegen Laurence Fishburne, der ihn unterweisen soll, erkennt aber bald, dass, auch wenn man es im Köpfchen hat, nicht automatisch in den Armen haben muss. Statt der Waffe im Anschlag darf nun der Laptop her. Online und mit schnell erlerntem Know-How fürs Bombenbasteln macht sich der schmächtige Exzentriker ans Werk.

Rami Malek sieht man gerne dabei zu, wie er sich an das Schurkenpack ranmacht, meist trickst es Regisseur James Hawes so, dass der Rächer nicht in erster Instanz für das Ableben so manches finsteren Kapazunders verantwortlich sein muss. Die Figur des Heller ist schließlich eine gute, eine Moralperson, doch gerade der Faktor der Ambivalenz wäre hochinteressant gewesen, hätte The Amateur doch eher den Weg einer Charakterstudie eingeschlagen. Stattdessen scheint der Plot des Thrillers wie die Idee eines Showrunners für eine weitere Staffel Jack Ryan zu sein, angereichert mit einem Dutzend Episoden und vorallem in den Details soweit auserzählt, dass man als Zuseherin oder Zuseher ganz gut nachvollziehen kann, wie Malek es überhaupt gelingt, den Bösen das Handwerk zu legen. Was Stoff genug gewesen wäre für eine ganze Staffel bester Genre-Unterhaltung, komprimiert The Amateur auf satte zwei Stunden herunter und verzichtet dabei auf die feine Klinge sowohl des Erzählens als auch der Charakterzeichnung. Malek kompensiert das Defizit immerhin mit gewohnter Professionalität. Mitunter blitzen Ansätze auf, die den Widerstreit in seiner Seele zeigen, jedoch ist das Meiste als simplifizierte Form eines winkelschlagenden Rachefeldzugs zu sehen, der am Ende des Tunnels die Moral verortet und es dem Superhirn so einfach wie möglich macht. Wie Mary Poppins in ihrer Ledertasche kramt, um alles herauszufriemeln, was man gerade benötigt, hat Maleks Figur alles zur Hand. Vom Improvisations-Tutorial eines McGyver ist nicht viel übrig, stattdessen scheint diesem hier der die Gunst der Götter so gut wie sicher. Flüge von A nach B gestalten sich wie lokale Straßenbahnfahrten, der Endgegner ist ein redseliger Philosoph, der die Weisheit der Welt gepachtet haben muss. Letzten Endes bleibt vieles so konstruiert, dass es in die abendfüllende Spielzeit passt. Zwar beherrscht James Hawes, der zuletzt Anthony Hopkins im Weltkriegsdrama One Life einen guten Menschen hat sein lassen, das Einmaleins des Agentenfilms, doch dieses Einmaleins wenden alle an, die im Genre unterwegs sind. The Amateur kann, trotz Unterhaltungswert, Krasinskis Jack Ryan nicht das Wasser reichen.

The Amateur (2025)

The Order (2024)

HAKENKREUZE IM BUNDESSTAAT

6/10


© 2024 Vertical Entertainment


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: JUSTIN KURZEL

DREHBUCH: ZACH BAYLIN

CAST: JUDE LAW, NICHOLAS HOULT, JURNEE SMOLLETT, TYE SHERIDAN, MARC MARON, ALISON OLIVER, ODESSA YOUNG, BRADLEY STRYKER, GEORGE TCHORTOV, VICTOR SLEZAK U. A.

LÄNGE: 1 STD 56 MIN


Wieder ein Anti-Trump-Film, der diesmal auf vergangene Jahrzehnte zurückgreift, um die Hardliner der republikanischen Wählerschaft in der Provinz zu verorten. Wir schreiben die erste Hälfte der Achtziger, dieser Fall hier beruht auf wahren Ereignissen, und ich kann mir ganz gut vorstellen, dass terroristische Revolutionsgruppen wie The Order einem juckenden Ausschlag gleich die gesamten Vereinigten Staaten seit jeher im Griff haben. Nährboden bekommen diese Vereinigungen von einer Trump’schen Pseudodemokratie genauso wie von marodierenden Größenwahnsinnigen, die unter dem Deckmantel einer Regierungsexekutive gebilligten Terror verbreiten, ganz im Sinne allseits bekannter Hut- und Mantelträger aus der Vergangenheit, die mittlerweile ihr aussagekräftiges Outfit gegen Baseballkappe und Laptop getauscht haben. Der Film von Justin Kurzel basiert auf dem Sachbuch The Silent Brotherhood von Flynn und Gary Gerhardt, kann daher Daumen mal Pi als authentische Rekonstruktion damaliger Ereignisse betrachtet werden – im Zentrum steht dabei ein Rechtsextremist namens Bob Matthews, der hier entgegen sein Image von Nicholas Hoult verkörpert wird, der normalerweise Charaktere wählt, die zwar nicht unbedingt astrein als integer zu bezeichnen sind, aber immer noch einen Funken Positivity beherbergen, die zur Identifikation mit dem Publikum reicht. In dieser Rolle ist nichts davon übrig. Hoult gibt den irren Idealisten mit dem Revoluzzer-Gehabe als erschreckend stabilen gesellschaftlichen Antikörper, der vor nichts zurückschreckt. Grundlage für dieses Tun – und das ist wohl einer der interessantesten Aspekte in diesem Film – ist das Amerikanische Pendant zu Adolf Hitlers Mein Kampf, inklusive Tutorial, wie sich ein demokratisches System stürzen lässt: The Turner Diaries. Wer würde je daran zweifeln, dass dieses Schriftstück nicht auch als motivierende Lektüre für jene hergehalten hat, die Anfang 2021 das Kapitol gestürmt haben?

Inmitten dieses rassistischen Erstarkens findet sich ein antipathischer und schwer zu greifender Protagonist wieder: Jude Law mit einem Schnauzer, der ihm gar nicht so schlecht steht, und einer brummigen Art, da ist selbst so manche Tom Hardy-Rolle im Gegensatz dazu so aufgewecktwie eine Robin Williams-Performance. Law schenkt dem Publikum ebenfalls keinerlei Sympathiepunkte, ist aber zumindest auf der rechtschaffenen Seite beheimatet, das heisst: Was er will, ist auch gut fürs Happy End. In The Order, da es sich auf reale Tatsachen bezieht, gibt es davon leider nichts. Drehbuchautor Zach Baylin (King Richard, Gran Turismo) zeichnet das düstere Bild einer jüngeren amerikanischen Vergangenheit mitsamt ihren schwelenden faschistoiden Metastasen, die es wohl niemals so richtig los wird. Hoffnungslosigkeit und Resignation machen sich breit, aber keine Lethargie. Dafür ist Laws Rolle des Terry Husk viel zu energisch und willentlich, den Umtrieben ein Ende zu setzen. Irgendwann stoßen die beiden Fronten auch in persona aufeinander: Law und Hoult. Beide beharrlich in ihrer Ideologie, beide weit entfernt von Kompromissen. Hass und Abneigung sickern wie offene Wunden in die atemberaubende Landschaft des Bundesstaates Washington. Kurzel würzt diese bedrückende und wenig erbauliche Geschichte mit routinierten Actionsequenzen aus Banküberfällen und Bombenexplosionen, die den steingrauen und kalten Film ein wenig mehr in die Gänge kommen lassen, der aber angesichts dieser unbeirrbaren toxischen Energien rassistischer Ideologien manchmal zu sehr und zu oft selbst in Schockstarre gerät.

The Order (2024)

Das Mädchen mit der Nadel (2024)

DAS KINDLEIN WOHL IM ARM

7/10


© 2024 MUBI


LAND / JAHR: DÄNEMARK, POLEN, SCHWEDEN 2024

REGIE: MAGNUS VON HORN

DREHBUCH: LINE LANGEBEK KNUDSEN, MAGNUS VON HORN

CAST: VIC CARMEN SONNE, TRINE DYRHOLM, BESIR ZECIRI, TESSA HODER, AVA KNOX MARTIN, JOACHIM FJELSTRUP, ARI ALEXANDER U. A.

LÄNGE: 1 STD 55 MIN


Es ist die Zeit nach dem ersten Weltkrieg. Europa liegt in einem schwer traumatisierten Dämmerzustand, Millionen junger Männer sind aus ihren Leben gerissen worden. Frauen und Kinder stehen vater- und partnerlos vor dem Nichts, unklar, ob mit einer Heimkehr vom Schlachtfeld noch gerechnet werden kann. In diesem existenzialistischen, kränkelnden Dunst des Notleidens quält sich Karoline, deren Mann wie Schrödingers Katze sowohl als tot wie auch als lebendig gilt, tagtäglich in die Kleidermanufaktur des reichen Unternehmers Jørgen, in dessen Gunst sie steht und der ihr eindeutige Avancen macht. Nicht nur das: Bald schon trägt Karoline sein Kind aus, doch Jørgens herzlose alte Mutter will von dieser Liaison nichts wissen. Die junge Frau wird entlassen, wohin nun mit dem Fötus, der in ihrem Körper heranwächst? Karoline will den quälenden Umstand selbst aus dem Weg räumen, im Zuge dessen kommt die im Titel erwähnte Nadel ins Spiel, doch eine mütterliche Trine Dyrholm als Dagmar, die personifizierte Lösung für alles, bewahrt das verzweifelte Mädchen vor Schlimmerem. Sie weiß, wohin mit dem Kind, wenn es denn einmal da ist, schließlich gäbe es genug wohlhabende Leute, die als Zieheltern ihr großes Los ziehen würden. Was Karoline nicht weiß: Dagmar ist ein Monster.

Diese Figur einer kindsmordenden Psychopathin hat keinen fiktiven Ursprung – eine wie Dagmar Overby gab es wirklich. Magnus van Horn bedient sich dabei einiger biografischer Elemente und erweckt einen nach außen hin sozial integren, dahinter aber erbärmlich kranken Geist zum Leben, der genug heile Welt verspricht, um Karoline an sich zu binden. Ähnlich wie in Patty Jenkins Kriminaldrama Monster, in welchem Christina Ricci nicht von der männermordenden Charlize Theron lassen kann und beide eine Einheit bilden, so sucht die von Vic Carmen Sonne (u. a. Azrael) mit der notwendigen Zerbrechlichkeit, mit Opportunismus und Wut verkörperte Karoline mütterlichen Halt bei einer wie Dagmar, die Böses im Schilde führt. Komplexer wird Magnus van Horns Film durch das Auftauchen des vom Krieg gezeichneten Ehemannes Peter (Besir Zeciri), der, mit entstelltem Gesicht und Maske eine von der Gesellschaft geächtete Rolle einnehmen muss, die maximal für Freakshows reicht. Womit der Film eine gewisse Brücke zu David Lynchs Elefantenmensch schlägt, um Würde, Humanismus und Hoffnung auf soziale Integrität zu erörtern. Dabei wählt Das Mädchen mit der Nadel eine fulminante expressionistische Bildsprache, die ebenfalls an Lynchs frühe Werke erinnert und auf albtraumhafte Kontraste setzt, in düstere Räume dringt und phantasmagorische Collagen aus bodenlosem Abgrund hervorholt. Mit solchen Bildern fängt von Horn seine Schauergeschichte auch an – bizarrer Symbolismus wechselt mit akkurater, klarer Ausstattung. Soziale Härte trifft auf Macht und Abhängigkeit – Michael Hanekes Klassiker Das weiße Band ist da nicht weit entfernt.

Heuer für den Oscar als bester fremdsprachiger Film nominiert, mag sich van Horns bildgewaltiges Psychodrama genretechnisch gar nicht so gerne festlegen. Es entzieht und windet sich aus der Gunst des Publikums heraus und will kein Mitleid. Auf den ersten Blick wirkt Das Mädchen mit der Nadel daher spröde und viel zu abgründig, um sich in diesem entbehrungsreichen Kosmos gescheiterter Existenzen vorallem emotional zurechtzufinden. Magnus van Horn gelingen aber zwischen diesen real gewordenen bizarren Wachträumen, die mit dem Suspense-Kino ebenso herumexperimentieren, Szenen von Wärme, Liebe und voll von Sehnsucht nach Geborgenheit, dabei strahlt die Figur des Kriegsheimkehrers Peter trotz all seiner ihm widerfahrenen Entmenschlichung das größte Potenzial zwischenmenschlicher Verbundenheit und Nähe aus, und zwar so sehr, dass es einem hierbei fast das Herz bricht.

Das Mädchen mit der Nadel (2024)