Good Boy (2025)

BESTER FREUND MIT SECHSTEM SINN

7/10


© 2025 Polyfilm


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: BEN LEONBERG

DREHBUCH: BEN LEONBERG, ALEX CANNON

KAMERA: WADE GREBNOEL

CAST: INDY, SHANE JENSEN, LARRY FRESSENDEN, ARIELLE FRIEDMAN, STUART RUDIN, ANYA KRAWCHECK U. A.

LÄNGE: 1 STD 12 MIN


Der Horror ist längst auf den Hund gekommen. Stephen Kings Cujo ist kein schlechtes Beispiel. Oder Underdog, die Dystopie des Ungarn Kornél Mundruczó, wohl eher eine gesellschafsphilosophische Zukunftsvision als blutiges Gemetzel. Der Hund ist dabei stets der Antagonist, der Aggressor, die sprintende Gefahr. Nicht so in dieser kleinen, feinen, höchst innovativen Hommage an alle Vierbeiner mit Köpfchen, die selten bellen, viel lieber zuhören und ihrem Lebensmenschen bis überallhin folgen, auch durch die Hölle, auch durch die schwierigsten Lebenslagen, die viel zu früh mit dem Tod enden. Dabei wird der Begriff des Tierhorrors gänzlich anders betrachtet.

Auf Augenhöhe mit dem Tier

Hunde sind tatsächlich die besten Freunde, das weiß auch Ben Leonberg, als er sich dazu entschlossen hat, seinem eigenen Hund Indy, einem Nova Scotia Duck Tolling Retriever, seinen ganz eigenen Film zu schenken und ihn darin zum Schauspieler zu befördern. Hundefilme mit vierbeinigen Helden gibt es zur Genüge, die muss ich hier gar nicht aufzählen, Lassie drängt sich da am stärksten auf. Doch auch diese Helden sind nicht vergleichbar mit diesem hier, mit diesem gewieften, empathischen Tier, dass die menschliche Spezies außen vorlässt. Wie das gemeint ist? Nehmen wir die Cartoons über Tom & Jerry her. Erzählt werden diese Episoden ausschließlich auf Höhe der Tiere, der Mensch ist maximal ein zeterndes Etwas, sichtbar nur bis zum Torso, der Blickwinkel ist jener der knuffig-frechen Katzen, Hunde und Mäuse, kein Zweibeiner soll ihnen die Show stehlen. So ist auch hier die Sicht des Hundes die Kerninnovation dieser atmosphärischen Besonderheit, während die Gesichter der Menschen, wenn überhaupt mal zu sehen, dann nur indirekt oder im Dunkeln bleiben.

Sehen, was der Mensch nicht sieht

In Good Boy (nicht zu verwechseln mit dem Psychohorror Good Boy aus 2022, indem es zwar auch um Hunde geht, aber auf eine destruktive, höchst menschliche Art) ist Indy ist hier nicht nur ein sympathischer Sidekick, sondern ihm gehört der Film, voll und ganz. Stolz präsentiert der knuffige Hauptdarsteller eine erstaunliche Palette an Mimiken, und wie selten bis noch gar nicht in dieser Konstellation jemals zu sehen gewesen kommt das Grauen hier, empfänglich für den sechsten Sinn eines Tieres wie dieses, auf leisen, schaurigen Sohlen herbei.

Das Unheimliche liegt vor allem darin, dass Indy anfangs ganz dezenten, aber unwohlig unnatürlichen Umtrieben gewahr wird – bizarren Geräuschen, dunklen Schatten, einer körperlosen Präsenz. Die neugierigen wie skeptischen Blicke des Tieres sprechen Bände, mehr noch als die schattenhaften Gestalten, die es vielleicht gar nicht gebraucht hätte, die aber wohldosiert eine Furcht im Nacken erzeugen, so unerklärlich, wie sie sind. Indys Mensch nimmt das ganze gar nicht wahr, ist schließlich todkrank, spuckt Blut, hustet und keucht vor sich hin. Was er allein mit seinem Hund im Hause seines Großvaters macht, in dem es, wie die Familie längst weiß, nicht mit rechten Dingen zugeht? Nach einem Spitalsaufenthalt will sich Todd auskurieren. Wie das gehen soll, bei all dieser dunklen Geschichte? Den Opa hat das Haus in den Abgrund getrieben, sein Hund, ebenfalls ein Retriever derselben Rasse wie Indy, verschwand auf unerklärliche Weise. Allein in der Wildnis, bei kaltem Regenwetter und düsteren Vorahnungen, ist der „gute Junge“ auf sich allein gestellt, um das Geheimnis hinter dem Grusel zwar nicht zu lüften, seinen Lebensmensch aber vor dem Schicksal zu bewahren.

Wir Menschen wollen den Horror, das Unerklärliche stets lüften. Ein Hund will das nicht, geht es ihm doch nur um das Wohl seines Begleiters, den es zu schützen gilt. Good Boy bleibt daher angenehm rätselhaft und völlig diffus, surreale Albträume von Indy selbst streuen effektive Jumpscares, im Grunde aber bleibt die Tonalität eine subtile, morbide, durch das treffsichere Spiel des Tieres so wärmend wie bedingungslose Treue.

Good Boy (2025)

Conjuring 4: Das letzte Kapitel (2025)

THE REAL GHOSTBUSTERS

7/10


© 2024 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved


ORIGINALTITEL: THE CONJURING: LAST RITES

LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: MICHAEL CHAVES

DREHBUCH: DAVID LESLIE JOHNSON-MCGOLDRICK, IAN GOLDBERG, RICHARD NAING

KAMERA: ELI BORN

CAST: PATRICK WILSON, VERA FARMIGA, MIA TOMLINSON, BEN HARDY, REBECCA CALDER, ELLIOT COWAN, KÍLA LORD CASSIDY, BEAU GADSDON, PETER WIGHT, STEVE COULTER, SHANNON KOOK U. A.

LÄNGE: 2 STD 15 MIN


Who You Gonna Call? Natürlich die… na?… Ghostbusters! Wen denn sonst? Nur: Wer sind sie, diese Geisterjäger? In der Pop-Kultur fest verankert stehen Venkman, Stanz, Spengler und Zeddemore vor Dämonen und Gruselgeschöpfen aller Art, bewaffnet mit Energiekanonen, die den bösen Metawesen gefälligst das Ektoplasma aus den Windungen saugen sollen. So richtig cool ist in den Achtzigerjahren, genau genommen zwei Jahre später, nachdem Ivan Reitman seinen Blockbuster auf die Welt losließ, das Ehepaar Warren leider nicht. Selbst im Film kommen sie nicht umhin, sich diesem Vergleich stellen zu müssen. Dabei sind sie die echten, die wahren, die wirklichen Ghostbusters. Lorraine, ausgestattet mit dem sechsten Sinn, spürt schon seit den Sechzigerjahren das Paranormale in so manchen alten Mauern auf, erkennt das manifestierte Böse in Artefakten aller Art, wären es nun Puppen, Ethnografika oder Möbel. An ihrer Seite der gute alte Ed, investigativ ein As, allerdings, im Laufe der Jahrzehnte, immer mal wieder mit Herzproblemen kämpfend. Die beiden müssen sich wohl oder übel damit abfinden, dass vier knackige Kerle die Oberhand gewonnen haben, auch wenn das alles nur Geschichten sind. Im echten Leben muss die linke Hand aber nicht unbedingt wissen, was die rechte tut, also seis drum. Die beiden tun das für den guten Zweck, doch irgendwann ist überall die Luft draußen, und die geisterfreie Pension winkt bereits mit weißen Laken.

Es bleibt in der Familie

Man kann schon erahnen, dass die Mission der Familie Warren, eine Ordnung in das Dies- und Jenseits zu bringen, mit diesen beiden nicht enden wird. Tochter Judy ist erwachsen, ist verlobt und scheint mit beiden Beinen im Leben zu stehen. Auch sie hat den Code geknackt, wie man den sechsten Sinn nutzt, und seit jeher quälen Erinnerungen an Annabelle die junge Frau mit Visionen, die schlecht schlafen lassen. Ein letztes Mal noch werden die betagten Eltern zu Hilfe gerufen, nachdem ihr guter Freund, Pater Gordon, bei der Lösung eines kniffligen Falles – auch der beruht angeblich auf Tatsachen – das Zeitliche segnet. Wegschauen geht da nicht mehr, während das Hinsehen verstört. Denn auch diesmal wieder schenkt Michael Chaves seinen Fans durchaus gruselige Individuen, die jede Geisterbahn behübschen und mit begleitendem Sounddesign sein Publikum aus den Sitzen heben.

Horror auf der großen Leinwand

Interessant dabei war, zu beobachten, wie der Horror im Kino anders wirkt als daheim auf dem Flatscreen – die vorangegangenen Conjuring-Teile genoss ich in den vertrauten vier Wänden, immer auf Abstand, die Hand an der Remote Control. Im Kino ist man mehr oder weniger ausgeliefert, und muss nehmen, was kommt, in gleichbleibender Intensität und überdimensioniert. Natürlich wird der Effekt zum großen Meister, der Schrecken zum Erlebnis, und so manches Popcorn fällt aus der Tüte. Dabei ist Conjuring 4: Das letzte Kapitel zum Glück für mich, der das Genre des Horrorfilms erst vor Kurzem erst entdeckt hat, nicht die härteste Kost. Am Ende der Reise, die Vera Farmiga und Patrick Wilson in ausgesuchtem Engagement und Liebe zu ihren Rollen bezwungen haben, setzt Chaves auf viel familiäre Identität; er setzt auf Abschied, Neuanfang und dem Umgang mit der Angst, die schließlich zum Leben gehört. Conjuring 4: Das letzte Kapitel wird durchaus zum großen Drama, wird am Ende geradezu spektakulär auf eine Weise, wie man es aus dem Conjuring-Universum gewohnt ist. Der menschliche Faktor, die integren Helden in einer Welt, die gerne True Storys erzählt, mit denen man sich wohlig gegruselt schlafen legt, bieten genug Identifikationsfläche, um sich fallen zu lassen in diesen dämonischen Strudel, denn man kann gewiss sein, dass das Gute obsiegen wird. Da bleiben grinsende alte Omas und axtschwingende Massenmörder die schaurigen Gestalten einer Bühne, während die Warrens zwar immer an ihre Grenzen gehen, jedoch so viel Ideal besitzen, um scheinbar auf ewig weiterkämpfen zu können.

Mit diesen Parametern lässt sich der melodramatische Horror in jedem Fall genießen, und in den letzten Minuten beschleicht einen gar ein bisschen Wehmut, wenn der Vorhang fällt und das letzte Rumoren und Flüstern im Gebälk verstummt. Vielleicht macht es sich ja auch nur bereit, um die nächste Generation zur Séance zu bitten.

Conjuring 4: Das letzte Kapitel (2025)

Mama (2013)

MUTTER ÜBER DEN TOD HINAUS

6/10


© 2013 Universal Pictures


LAND / JAHR: KANADA, SPANIEN 2013

REGIE: ANDRÉS MUSCHIETTI

DREHBUCH: ANDRÉS MUSCHIETTI, BARBARA MUSCHIETTI, NEIL CROSS

CAST: JESSICA CHASTAIN, NIKOLAJ COSTER-WALDAU, MEGAN CHARPENTIER, ISABELLE NÉLISSE, DANIEL KASH, JAVIER BOTET, JANE MOFFAT U. A.

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


Ist Erziehung wirklich alles? Nicht, wenn die Sehnsucht, Mutter zu sein, über das Wohl der Kinder geht. Und schon gar nicht, wenn es sich nicht mal um die eigene Mutter handelt, sondern schlimmstenfalls um einen ruhelosen Geist, der die irdische Welt nicht verlassen kann, weil die Chance, die Dinge ins Reine zu bringen, wohl niemals kommen wird.

Im Genre des Horrorfilms werden Geister vorzugsweise als Entitäten dargestellt, die Angst verbreiten sollen. Doch niemals sind sie wirklich böse, es sei denn, es sind Dämonen, die sich von den negativen Emotionen der Lebenden nähren. Dämonen aber sind keine Geister. Die Natur dieser paranormalen Erscheinungen liegt wohl eher in der traurigen Gewissheit, im irdischen Leben noch nicht alles erledigt zu haben, nicht loszukönnen, weil Gefühle wie Rache, Trauer, Frust und Enttäuschung die metaphysische Essenz eines einstigen atmenden Individuums daran hindern, frei zu sein. In Mama, einem pittoresken Gruseltrip mit Hang zum Gothic-Melodrama, ist die ewige Trauer einer um ihre Kinder gebrachte Muttergestalt Grund genug dafür, dass sich diese andere sucht – vorzugsweise jene, die ihr nicht gehören. Da kommt das Unglück einer kaputten Familie wie gerufen und hinterlässt zwei Kinder irgendwo im Wald in einer Hütte. Die ganze Misere hätte auch für die zwei Geschwister böse enden können, hätte es da nicht diese dunkle Gestalt gegeben, die ihre helfende Hand ausgestreckt und den verwaisten Nachwuchs mit allerlei Kirschen abhängig gemacht hat. Die Jahre ziehen ins Land, während die Restfamilie der beiden Kleinen nicht aufgehört hat, nach ihnen zu suchen. Letztlich werden sie gefunden und kommen in die Obhut der Tante Annabel, gespielt von Jessica Chastain, die zu diesem Zeitpunkt natürlich gar nicht weiß, wen sie sich da mit ins Haus genommen hat. Einen eifersüchtigen Matronengeist, der die ohnehin traumatisierten und verwilderten Mädchen für sich beansprucht. Mehr als 10 Jahre später wird Chastain abermals, aber diesmal gegen eine ganz und gar irdische Anne Hathaway im Film Mothers Instinct ihre Erziehungsrolle verteidigen müssen.

Meistens verhält es sich so, dass, wenn bei einem Film Guillermo del Toro als Produzent fungiert, dieser zumindest in der visuellen Gestaltung seinen Einfluss spüren lässt. Das ist natürlich kein Nachteil, del Toros Kreaturen sind eigenständig und faszinierend, so auch die gespenstisch entstellte Gestalt eines paranormalen Wesens, die auch in Crimson Peak, del Toros Haunted House-Grusel, ebenfalls mit Chastain und Tom Hiddleston, zuhause sein hätte können. Als monströser Eindringling in einen stinknormalen Mittelschichts-Alltag samt entsprechendem Eigenheim schafft der bizarre Look einen ordentlichen Gegenpol, hemmt sich aber selbst in seiner Absicht, so richtig schaurig zu werden. Das Mysterium hinter dem Spuk ist auch von vornherein sonnenklar, einzig die Beweggründe des Geistes kommen erst nach und nach ans Licht, doch so etwas ähnliches wird sich das Publikum dabei schon längst gedacht haben. Mama von Andrés Muschietti, der die ziemlich gelungene Neuverfilmung von Es zu verantworten hat, gelingt ein hausbackenes Gruselmärchen mit Gothic-Elementen, am Ende kippt dieses in ein ungehemmtes Szenario spätromantischen Geisterkitschs. Natürlich ist es schön anzusehen, wenn die Nachthemden wallen, die nächtliche, vom wilden Meer umtoste Klippe als Schauplatz für den Showdown zwischen zwei Müttern zur Verfügung steht. Auch Crimson Peak war letztlich endenwollend schaurig, die Atmosphäre so pittoresk wie eine gediegene Geisterbahn für die nicht ganz so Angstfreien. Auch Mama, die anfangs noch für diffuses Unwohlsein sorgt, grenzt sich bald als klar auszumachende Antagonistin ab, die für ihr Handeln ihre Gründe hat. Die sich auch nachvollziehen, verstehen lassen – und den Film als psychologisches, phantastisches Drama verstanden sehen wollen.

Mama (2013)

The Deliverance (2024)

DER DÄMON, DER ZU KREUZE KRIECHT

3/10


The Deliverance© 2024 Netflix Inc.


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: LEE DANIELS

DREHBUCH: DAVID COGGESHALL, ELIJAH BYNUM

CAST: ANDRA DAY, GLENN CLOSE, CALEB MCLAUGHLIN, DEMI SINGLETON, AUNJANUE ELLIS-TAYLOR, MO’NIQUE, OMAR EPPS, MISS LAWRENCE U. A.

LÄNGE: 1 STD 52 MIN


Der Horrormonat Schocktober kann gar nicht früh genug beginnen – Netflix schickt pünktlich zum Ende der Sommerferien, allerdings später als all die Lebkuchen in den Supermärkten, seinen ersten Haunted House-Horror auf sein illustres Portal. Dabei ist das nicht irgendein billiger Firlefanz, sondern die angeblich schmucke Regiearbeit eines Lee Daniels, der schon 2009 mit dem intensiven Sozialdrama Precious – Das Leben ist kostbar für Aufsehen sorgte und im Jahr darauf zwei Oscars dafür bekam. Einige ansehnliche Filme später (u. a. The Butler) gipfelt seine Werkschau nun in einem okkulten Besessenheitshorror mit illustrer Besetzung. Andra Day (The United States vs. Billie Holiday) und die großartige Glenn Close versprechen niveauvolles Gruseltheater mit sozialkritischen Untertönen. Fast könnte man sich dazu hinreissen lassen, The Deliverance als das „Conjuring“ der Black Community zu bezeichnen – allerdings noch ehe man den Film gesehen hat. Flimmert er aber über den Screen, erreicht er überraschend bald sein eigenes Trägheitsmoment, den er nicht und nicht überwinden will. Vielleicht gelingt dies ja, wenn Lee Daniels während der Laufzeit sein uninspiriertes Sozialdrama durchgekaut hat, um dann das Genre zu wechseln. Denn so, wie dieser sein Betroffenheitskino mit spukhaftem Horror verknüpfen will, geht die Rechnung nicht auf. Es ist, als hätten zwei gleichgepolte Handlungsstränge ineinanderzugreifen – doch weder die eine noch die andere Komponente wollen synergieren. Sowohl Drama als auch Horror bleiben schal, und nicht mal der Allmächtige kann das Dilemma richten, ganz im Gegenteil. Er macht es noch schlimmer.

Wenn Andra Day mit der an Krebs erkrankten Filmmutter, dargestellt von Glenn Close mit Mut zur souveränen Hässlichkeit, ihre Konflikte austrägt, riecht das nach großem Schauspielkino. Doch auch dieser brennende Zunder weicht abnehmender Glut. Days Figur ist eine alleinerziehende Mutter, deren Aufmüpfigkeit nur durch ihre dick aufgetragene Verschwendung des Wortes Bitch getoppt wird. Bitch hier, Bitch da, auch Glenn Close fällt in diesen Schimpfreigen ein. Doch Andra Day kolportiert nur ihre von Traumata und Bürden des Lebens zerfressene Rolle, fühlen tut sie diese nicht. Diese fünfköpfige Familie ohne Mann zieht nun in ein neues Haus, welches – wie kann es anders sein – von einer dunklen Entität beherrscht ist. Das Übel hat seinen Ursprung klarerweise im Keller, ganz so wie der Höllenschlund im Buffyverse. Nach und nach bemächtigt sich dieser Dämon des jüngsten Sprosses, durch ihn kann er auch die beiden anderen Geschwister gängeln. Sobald selbst der aufgedonnerten Sozialhilfe klar wird, dass die familiären Krisen übernatürlichen Ursprungs sind, tritt die Geistlichkeit auf den Plan. Die Dreifaltigkeit soll schließlich alles richten.

Was diesem elendslangweiligen Familienhorror, der sich eigentlich darauf verlassen wollte, dass vorallem die Jungdarsteller ihren Part zur Wirksamkeit dessen beitragen, im letzten Drittel zustößt, lässt einen genauso mit den Händen ringen wie Andra Day es am Ende tut. Militanter Katholizismus bricht wie ein Kettenfahrzeug durchs Anwesen, fahnenschwingend ganz vorne: Jesus Christus, der wie Georg mit dem Drachen ringt. Dieser frömmelnde Biblebelt-Exorzismus, weit weg vom verzweifelten Versuch einen Max von Sydow, das Böse aus Linda Blair auszutreiben, gibt sein filmisches Konzept einer gewissen Lächerlichkeit preis. Agnostiker und weniger eifrige Christen werden die verdrehte Verherrlichung auf den Herrn fast schon verstörend finden, während das dämonische Antlitz von Glenn Close als eines von wenigen Elementen in diesem siamesischen Zwilling von Film in Erinnerung bleibt.

The Deliverance (2024)

Late Night with the Devil (2023)

TEUFLISCH GUTE QUOTEN

6,5/10


LateNightWithTheDevil© 2024 capelight pictures

LAND / JAHR: AUSTRALIEN 2023

REGIE / DREHBUCH: CAMERON & COLIN CAIRNES

CAST: DAVID DASTMALCHIAN, LAURA GORDON, IAN BLISS, FAYSSAL BAZZI, INGRID TORELLI, RHYS AUTERI U. A.

LÄNGE: 1 STD 33 MIN


Ich muss gestehen, ich freue mich schon auf Halloween. Ja natürlich, vorher drängt sich noch der Sommer dazwischen, doch meine Affinität zum Paranormalen und Phantastischen schlägt die überschaubare Lust, in der Hitze nicht enden wollender Tage auf diversen Liegewiesen dahinzudämmern. Wenn’s dunkel wird, lockt das Geheimnisvolle. Und wenn’s dunkel wird, heißen diverse Show-Hosts quer über den Erdball das nocturnale Publikum wieder herzlich willkommen. In unseren Breiten sind das Sterman, Grissemann oder Peter Klien. In Deutschland der kontroverse Jan Böhmermann, in Übersee Jimmy Fallon oder Stephen Colbert. Jetzt stelle man sich mal vor, einer dieser wortgewandten Showgrößen hat sich für die Nacht des einunddreißigsten Oktobers auf den ersten November etwas ganz Besonderes einfallen lassen, um die Quotenflaute auszumerzen. Etwas, das wie ein Straßenfeger fast die gesamte Bevölkerung eines Landes vor die Bildschirme lockt, und nein, es ist nicht eine erneute Mondlandung, sondern etwas ganz anderes. Der Beweis nämlich, dass gepeinigte Mädels wie jenes aus dem Film Der Exorzist tatsächlich existieren, dass es sogar möglich scheint, vor laufender Kamera endlich mal das Corpus delicti greifbar und überzeugend für alle offen zur Schau zu stellen.

Die Spannung wächst beim Publikum ins Unendliche, die Erwartungshaltung ist hoch, und die Skepsis bleibt, vorallem auch deswegen, weil Fakt und Fake in Zeiten wie diesen nur noch schwer auseinanderzuhalten sind. Doch Moment: In Late Night with the Devil befinden wir uns in einer Talkshow des Jahres 1977. Und auch wenn bahnbrechende Effekte in Filmen wie Star Wars die Welt zum Staunen bringen: Akkurate Illusionen in einer Live-Show vom Stapel zu lassen gestaltet sich dann doch deutlich schwieriger. Aus diesem Grund sollen an diesem Halloweenabend abgeblich echte Phänomene kritisch beäugt werden dürfen, deswegen lädt Showmaster Jack Delroy nicht nur das Medium Christou in die Live-Sendung ein, der mit den Toten kommunizieren kann. Auch der Ex-Magier Carmichael Haig darf die Chance ergreifen, das paranormale Schauspiel zu entlarven. Letztendlich wird sich dieser bei titelgebender Teufelsbeschwörung die Zähne ausbeißen. Und die Show zum grauenhaften Ereignis werden lassen, das als Found Footage-Dokument a la The Blair Witch Project spätere Generationen verstören soll.

Das Konzept dieses Films geht auf. Dämonen, die über ein Mädchen kommunizieren, in eine spätabendliche Talkshow einzuladen, ist tatsächlich ein kreativer Knüller. Es ist, als würde man, offen für jeden Aberglauben, den Sensationen einer jahrmärktlichen Schaubude beiwohnen, wäre man im vorigen Jahrhundert geboren. Hochgerechnet auf das Fernsehzeitalter der Siebziger, mit dem wir uns besser identifizieren können als mit theatralischem Budenzauber, entlockt Late Night with the Devil dem Zuseher eine Sensationslust, die fast schon in eine Gier übergeht; die kaum erwarten lässt, was bald stattfinden wird. Das Publikum weiß, dass die Sache aus dem Ruder laufen wird. Doch wie, bleibt lange ein Geheimnis, ein „Jack in the Box“.

Der Film von Cameron und Colin Cairns ist aber längst nicht so ein konsequenter Footage-Horror wie er letztlich hätte sein können. Eine Erkenntnis, die sich erst gegen Ende des Films niederschlägt. Die Behind the Scenes-Sequenzen lassen sich ja noch halbwegs als Teil einer ungeschnittenen Rohfassung ganz gut erklären, als andersformatige Schwarzweiß-Intermezzi sind sie dazu da, den Showbeitrag mit einer moralisch aufgeladenen Story zu unterfüttern. Hätte es das gebraucht? Ganz und gar nicht. Ich will nicht wissen, was Showmaster Delroy auf dem Kerbholz hat. Was Gäste und Host miteinander verbindet. Noch radikaler wäre es gewesen, hier überhaupt keinen Background zu erzählen, es einfach laufen zu lassen, auf unerklärliche, unheimliche Weise und ohne kausale Zusammenhänge. The Blair Witch Project hat das hinbekommen. Cloverfield ebenso. Late Night with the Devil schafft es über Dreiviertel seiner Laufzeit, wirklich zu fesseln. Doch dann ist die dick aufgetragene Liebesmüh nur noch dazu da, dem phänomenalen Ende einen reichlich konfusen Epilog draufzusetzen, der nur Verwirrung stiftet.

Late Night with the Devil (2023)

The Power (2021)

STROMSPAREN FÜR ANGSTHASEN

5/10


thepower© 2022 capelight pictures


LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH 2021

REGIE / DREHBUCH: CORINNA FAITH

CAST: ROSE WILLIAMS, MARLEY CHESHAM, NUALA MCGOWAN, ANJELICA SERRA, SARAH HOARE, EMMA RIGBY, THEO BARKLEM-BIGGS, CHARLIE CARRICK U. A.

LÄNGE: 1 STD 33 MIN


Orte, an denen es spukt, sind meist jene, an denen jede Menge Leute zu Tode gekommen sind. Was kommt da sofort in den Sinn? Natürlich Krankenhäuser. Lars von Trier hat aus dieser einleuchtenden Prämisse eine ganze Serie kreiert, sie nennt sich The Kingdom – Hospital der Geister – dänisch, düster und grotesk. Als britische Antwort auf das Paranormale an einem Ort des Leidens und leider nicht Genesens könnte The Power herhalten, eine Independentproduktion und ein Film von Corinna Faith, die dieses Szenario auch selbst ersonnen hat. Kinoauswertung fand der Streifen keine, stattdessen durfte der Streamingdienst Shudder sein Portfolio durch einen Grusel aufpolieren, der mit Isolation, Traumata und der Angst vor dem Dunkel spielt, in welcher die eigene Fantasie gerne Streiche spielt und das seit Kindertagen vorhandene und nur leidlich unterdrückbare magische Denken fördert. In so einem Setting findet sich die Pflegeaspirantin Val (Rose Williams) wieder – reichlich ungelegen zu einer Zeit, als das Royal Imfirmary Hospital die meisten seiner Patienten längst woanders hin, in andere Stadtteile Londons, ausgelagert hat, da es hier, im Osten der Metropole, aufgrund von Arbeiterstreiks und Kosteneinsparungen der Regierung immer wieder zu systematischen Stromabschaltungen kommt. Der politische Hintergrund des Films ist keine Fiktion, sondern verifizierte Geschichte – diese rigorosen Einsparungsmaßnahmen gab es in den Siebzigerjahren tatsächlich. Während eines Energie-Lockdowns wie diesen muss dennoch manche Ordnung gewährleistet werden, so auch in besagter Klinik, die immerhin noch Langzeitpatienten zu betreuen hat, die nicht unbedingt an elektronischen Geräten hängen.

Val wird bereits zu Beginn ins kalte Wasser geworfen. Dunkelschichten werden ihr aufgebrummt, und nur mit einer Petroleumlampe ausgestattet, als befänden wir uns im vorigen Jahrhundert, muss sie durch finstere Gänge hindurch ihre Runden ziehen und nach dem Rechten sehen. Es wäre kein Horrorfilm, gäbe es in diesem Gemäuer nicht eine obskure Präsenz, die titelgebende Power – eine unheimliche Macht, die sich Val bemächtigen will.

Warum sie das will, das muss die angstgepeinigte junge Frau erst herausfinden, um vielleicht diesen Spuk loszuwerden, der ihr im Genick sitzt wie ein Nachtmahr. Und es ist ja nicht nur das Unerklärliche hier in diesem Krankenhaus – es sind auch die werten Kolleginnen und Kollegen, die denken, in der Anarchie der Dunkelheit und des Blackouts gäbe es keine sonst wie gearteten moralischen Regeln. Alles zusammengenommen ergibt The Power also einen altmodischen Grusel in blassen Bildern und mit vielen Schatten. Corinna Faith versucht mit allerlei Versatzstücken des Genres eine unmittelbare Stimmung zu erzeugen, die ihr Wirkung aus der Unberechenbarkeit des Mysteriösen bezieht – wenn sie das denn wäre. Doch The Power strengt sich in jeder Hinsicht an, ihren Schrecken in allen nur erdenklichen Aspekten zu begründen. Dieses Überkonstrukt an Deshalbs und Darums, diese eigene Furcht davor, Begebenheiten unerklärt zu lassen, denn es könnte ja ein Defizit im Storytelling sein, bremst The Power allzu oft aus.

The Power (2021)

Personal Shopper (2016)

BRUDER IM GEISTE

7,5/10


personal-shopper© 2017 Filmladen Filmverleih


LAND / JAHR: FRANKREICH, DEUTSCHLAND, TSCHECHIEN, BELGIEN 2016

REGIE / DREHBUCH: OLIVIER ASSAYAS

CAST: KRISTEN STEWART, LARS EIDINGER, NORA WALDSTÄTTEN, ANDERS DANIELSEN LIE, SIGRID BOUAZIZ, TY OLWIN, HAMMOU GRAÏA, BENJAMIN BIOLAY U. A.

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Dass sie auf ewig, wie manche ihrer Schauspielkolleginnen und -kollegen, auf ihre Glamourrolle der Bella Swann aus den Twilight-Verfilmungen reduziert wird – darüber braucht sich Kristen Stewart keine Sorgen mehr machen. Dank eines wohl vorausschauenden Managements rund um ihre Person und der Bereitschaft, vor allem auch in kleineren, aber äußerst festivaltauglichen Produktionen eine Position einzunehmen, die aufgrund einer intrinsischen Motivation geschieht und nicht, um der erfolgsgefährdenden Imagefalle zu entgehen, ist Stewart längst jemand, der nicht belächelt, sondern künstlerisch ernstgenommen wird. Ihr Höhepunkt – Spencer – hat ihr gar eine Oscarnominierung eingebracht. Und ja – Pablo Larrains freie Interpretation der Gefühlswelt von Lady Di hat nicht zuletzt wegen Stewarts intuitiver und verletzlicher Performance so bahnbrechend gut funktioniert. Der französische Autorenfilmer Olivier Assayas hat längst erkannt, dass Stewart auf eine ganz eigene Art seine Filme veredelt. In Die Wolken von Sils Maria stand sie an der Seite von Grand Dame Juliette Binoche. In Personal Shopper ist sie eine, die für andere shoppen geht, vorzugsweise sündteure Klamotten, und in diesem Fall für die Mode-Ikone Kyra, dargestellt von Nora Waldstätten, die in ihrer eigenen Krimireihe Die Toten vom Bodensee dem Jenseits rund um die Dreiländerlacke auf den Zahn fühlt.

Diese sündteuren Klamotten will Kristen Stewart als Maureen am liebsten für sich selbst einkaufen, das Verlangen, die Identität ihrer allseits bekannten Auftraggeberin zu übernehmen, wird nur noch überlagert von dem Willen, Kontakt mit ihrem verstorbenen Zwillingsbruder aufzunehmen. Doch statt inszenierten Séancen braucht Maureen eigentlich nichts sonst außer die Muße und das richtige schaurige Gemäuer, um mit denen aus dem Jenseits auf Tuchfühlung zu gehen. Maureen ist ein Medium, das weiß auch ihr Bekanntenkreis, und so findet sie sich nächteweise im längst verlassenen Anwesen ihres Bruders wieder, um ihre Fähigkeiten einzusetzen und den Geistern nachzuspüren, die nicht erlöst werden können, da irgendetwas sie im Diesseits behält. Ein quälender Umstand, der Geistern, wie wir wissen, erlaubt, sichtbar zu werden oder deren Präsenz man spürt, obwohl sich anfangs nichts dergleichen, was Angst einjagt, in Assayas Film manifestiert.

Aus der Verlockung, mit dem Unbekannten zu kommunizieren, erwächst bald eine indirekte Bedrohung. Maureen fühlt sich bald verfolgt, sie stellt auch fest, dass nicht ihr Bruder, sondern andere Geister Geschichten zu erzählen haben. Irgendetwas ist hinter ihr her, während sie hinter der völlig abgehobenen Kaya nachräumt und dabei auf deren eifersüchtigen Liebhaber (Lars Eidinger) trifft, der mit Abweisungen gar nicht umgehen kann. Wohin das führt, welche Rolle Maureen in diesem Perpetuum Mobile an Existenzen und Nicht-Existenzen zu spielen hat – um diese Fragen zu beantworten, begibt sich Assayas auf eine Projektionsfläche des existenzialistischen Erzählkinos, das stellenweise gar den Betrachtungsweisen eines Jean-Paul Sartre bedient, der sich in seinen Bühnendramen an der Ausweglosigkeit menschlichen Daseins abgearbeitet hat. Personal Shopper lässt sich inhaltlich schwer festmachen, die Figuren des Films tragen eine unheilvolle Bestimmung, und Kristen Stewart war, abgesehen von Spencer, selten besser.

Dass Geisterfilme oder Werke, die sich mit dem Paranormalen beschäftigen, nicht immer das Horror-Genre bedienen müssen, um das Adrenalin beim Publikum auszuschütten, haben Künstler wie der Thailänder Apichatpong Weerasethakul oder David Lowery mit A Ghost Story, seiner Elegie an den Tod, meisterlich bewiesen. Assayas nimmt der Parapsychologie ebenfalls den Schrecken, nicht aber das Unheimliche. Das Gespenstische wird zur unterschwelligen Manifestation unerfüllbarer Sehnsüchte, in diesem Kontext gefällt das Spiel mit den Identitäten und dem Verlangen umso besser. Stringent ist aber gar nichts an diesem Film, die Lust an der kontemplativen Psychostudie müsste man teilen wollen, sonst könnte Personal Shopper manchesmal etwas substanzlos erscheinen. Doch genauso wenig, wie Assayas Wolken von Sils Maria Dinge erklären und Umstände direkt ansprechen will, genauso wenig ist dieser dem Phantastischen zuordenbare Film einer, der vorhat, Fragen zu beantworten. Im Gegenteil, das 2016 mit dem Regiepreis in Cannes ausgezeichnete Stück Kunstkino setzt am Ende gar noch eine Metaebene drauf. Das ist Mystery vom Feinsten.

Personal Shopper (2016)

Under the Shadow (2016)

DER ERRUNGENE MUT ZUM AUFBRUCH

7,5/10


undertheshadow© 2016 Netflix Österreich 


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN, JORDANIEN, KATAR 2016

BUCH / REGIE: BABAK ANVARI

CAST: NARGES RASHIDI, AVIN MANSHADI, BOBBY NADERI, ARASH MARANDI, RAY HARATIAN, ARAM GHASEMY, HAMID DJAVADAN, SOUSSAN FARROKHNIA, KARAM RASHAYDA U. A.

LÄNGE: 1 STD 24 MIN


Wir alle kennen diese Träume, oder besser gesagt: Albträume, in denen wir weit von zuhause weg sind, womöglich auf Reisen, und dann haben wir das Wichtigste vergessen, was immer das auch sein mag, aber es ist etwas Unverzichtbares. Es gibt auch Träume, in denen wir versuchen, von irgendwo wegzukommen, meist aus dunklen Räumen, und jeder Schritt fühlt sich so an, als hätte man kiloweise Blei um die Knöchel. So schleppt man sich zum Licht, kommt aber niemals wirklich voran. Etwas hält uns zurück, in der Finsternis. Ein Trauma, eine Gestalt, eine Geschichte. Etwas Erlebtes. Und dann ist da Babak Anvaris Film. Eine Allegorie auf die Angst, Wichtiges zurücklassen zu müssen. Die Heimat zurücklassen zu müssen, das Zuhause oder das, was mehr ideellen als materiellen Wert hat, denn wir leben nun mal in einer Welt voller Dinge, mit denen wir manchmal unsere Seele teilen.

Für die Flucht weg aus dem eigenen Ursprung braucht es Kraft, Mut und Zähigkeit. Die Flucht ist meist die Reaktion auf den Totalzerfall des Systems – sprich: Krieg. In Under The Shadow lebt Shideh (Narges Rashidi) mit ihrer kleinen Tochter und ihrem Mann zur Zeit des Iran-Irak-Konflikts in Teheran. Die Lage spitzt sich täglich zu, im Nachbarland Irak werden die Raketen Richtung iranischer Hauptstadt in Stellung gebracht. Immer wieder jault die Sirene, um die Bewohner in die Luftschutzkeller zu befehlen. Shidehs Ehemann, ein Arzt, wird eines Tages einberufen – er muss an die Front. Zurück bleiben Mutter und Kind, und doch steht ihnen die Möglichkeit offen, du den Großeltern zu flüchten, außerhalb der Stadt, wo die beiden sicherer wären als hier in diesem kleinen Wohnhaus, wo all die anderen Parteien bereits darüber nachdenken, alles stehen und liegen zu lassen – oder zumindest das meiste. Shideh zögert, doch als eine Rakete das Haus trifft, scheint die Gefahr akuter denn je. So weit, so sehr Kriegsdrama aus der Sicht der Zivilbevölkerung. Wo ist nun der Horror?

Tochter Dorsa ist fest davon überzeugt, dass mit dem ersten Luftangriff und mit den Stürmen, die plötzlich toben, ein Djinn sich ihrer angenommen hat. Und zwar keiner, der, blauhäutig und dauergrinsend, drei Wünsche erfüllt. Sondern etwas Böses, Hinterlistiges. Etwas, das Mutter und Tochter daran hindert, fortzugehen. Das fängt damit an, dass der Djinn die heißgeliebte Puppe von Dorsa versteckt. Ohne dieses Spielzeug ist an Aufbruch nicht zu denken. Und sehr bald schon bleibt es nicht nur bei diesem Schabernack – der Dämon treibt sein Verwirrspiel bis zum Äußersten.

Auf Babak Anvari wurde ich erstmals aufmerksam, als sein perfider und daher auch unberechenbarer Psychothriller I Came By letztes Jahr auf Netflix erschien. George McCay wird da zum Opfer eines sinistren Hugh Bonneville. Einige Jahre zuvor gelingt ihm auch mit diesem subtilen und gewieften Escape Home-Thriller ein regelrechter Geheimtipp, der mit Leichtigkeit Elemente des Horrors mit jenen des Psychodramas aus dem Antikriegs-Genre verschachtelt. Die Metaebene offenbart sich wie der schwarzweiß gemusterte Dschilbab des paranormalen Eindringlings, das erzwungene Verharren am Ort der Gefahr wird zum Sinnbild für Verlust, Abschied und der Furcht davor, selbst zurückgelassen zu werden. So wie der Djinn die Möglichkeiten der Mutter aussetzt, ihren fürsorglichen Pflichten nachzukommen, so wird die Suche nach der Puppe zum innerfamiliären Nervenkrieg. Anfangs offenbart sich Under the Shadow in so pragmatischem Stil, wie ihn Asghar Farhadi gerne anwendet, um dann das Metaphysische im wahrsten Sinne des Wortes durchbrechen zu lassen und einige Jumpscares aufzufahren, die unerwartet passieren und nie zum Selbstzweck verkommen. Sie sind Teil dieses Halbwach-Zustandes, in welchem sich der ganze Film befindet – weil man eben nicht glauben und nur schwer annehmen kann, dass das Leben, wenn Krieg herrscht, in den eigenen vier Wänden nicht mehr sicher ist. All die Ängste, die dazugehören, mutieren dabei zum mythischen Quälgeist.

Under the Shadow (2016)

Mr. Harrigan’s Phone

DAS LETZTE HEMD HAT PLATZ FÜRS HANDY

7,5/10


mrharrigansphone© 2022 Netflix Österreich


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: JOHN LEE HANCOCK

CAST: JAEDEN MARTELL, DONALD SUTHERLAND, KIRBY HOWELL-BAPTISTE, CYRUS ARNOLD, JOE TIPPETT, MYRNA CABELLO U. A. 

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Stephen King’s Kurzgeschichten zählen wohl zum besten, was verfilmt werden kann. Und das ist auch ganz offensichtlich, warum: Kurzgeschichten haben Längen, die, würde man sie in die Maßeinheit für Film umrechnen, ungefähr einem Kinoabend entsprächen. Weil man tatsächlich auf jedes Detail eingehen kann. Weil man nichts weglassen und die Intensität des Erzählten nicht abschwächen muss zugunsten einer erträglichen Laufzeit. Bestes Beispiel:  Die Verurteilten, eine unerreicht gute Adaption.

Mr. Harrigans Phone ist ebenfalls so ein knapp getextetes Gustostück und erschien erstmals 2020 im Sammelband Blutige Nachrichten (besser im Original: If it bleeds). Und da lässt sich wieder deutlich erkennen, was für ein Meister im Mysteriösen Stephen King eigentlich ist. Einer, der offensichtlich Paranormales so sehr zwischen seinen Zeilen verstecken kann, dass es durch die Hintertür kommt und einem vom Nacken aufwärts die Härchen aufstellt. Doch manchmal muss es das auch gar nicht. Vielleicht wäre das schon wieder zu plump, für einen, der sein Talent vor allem in den kleinen, knappen Gedankengängen so auslebt, als hätte man das Gefühl, genau so etwas ähnliches schon mal selbst mit Schrecken erdacht zu haben. Denn in Mr. Harrigan’s Phone, da stellt sich die Frage: Was, wenn Tote als Geist in der Maschine ihren Draht zum Diesseits nicht ganz kappen können? Was, wenn das Smartphone als technologisches Mysterium der Gegenwart, das wohl die wenigsten von uns in seinen Prozessen nachvollziehen können, ohnehin längst als Tor in eine andere Dimension fungiert?

Andere Autoren würden hier vielleicht mit viel Budenzauber ein Portal zur Hölle oder sonst wohin auftun. Stephen King macht das nicht. Und auch John Lee Hancock (u. a. The Blind Side), der die Vorlage adaptiert und inszeniert hat, hütet sich davor, allzu effektbeladen seine Anomalien innerhalb einer uns vertrauten Welt aufzuplustern. Es ließe sich gut vorstellen, Jonathan Frakes als Moderator diese Geschichte im Rahmen seines süchtigmachenden X-Faktor-Panoptikums ankündigen zu lassen. Er könnte uns fragen: Was glaubt ihr? Ist das, was ihr gesehen habt oder sehen werdet, wahr – oder falsch? Auch in X-Faktor ist das Paranormale gleich um die nächste Ecke präsent, und vielleicht begegnen wir ähnlichem, eines Tages, wenn wir es am wenigsten erwarten.

So ergeht es schließlich Jaeden Martell als Craig, einem hilfsbereiten Jungen, der dem reichen und mittlerweile gealterten Geschäftsmann Mr. Harrigan dreimal die Woche aus seinen Büchern vorliest – gegen Bezahlung natürlich. Wer geglaubt hätte, dies wäre vielleicht ein bisschen Taschengeld für ein Semester, wird sich wundern: Über fünf Jahre wird Craig die ganze Bibliothek des Alten rauf und runterlesen und mit dem erfahrenen, distinguierten und gebildeten Gentleman Gespräche führen – über Gott und die Welt. Über die Vergangenheit und den Fortschritt. Apropos Fortschritt: Dieser lässt in Gestalt des ersten iPhone (dieser Film enthält Produktplatzierungen!) den Greis nochmal so richtig aufblühen. So wie all die jungen in der Schule hängt auch er nur noch am mobilen Endgerät. Und dann passiert es. Diese ungewöhnliche Freundschaft endet jäh, als Mr. Harrigan stirbt, mit dem Telefon in der Hand, darauf Craigs Nummer angewählt. Als die Beerdigung stattfindet, steckt ihm Craig sein iPhone unters Jackett. So als kleiner Trost. Die Konsequenz dieser Geste: Mr. Harrigan schickt Nachrichten aus dem Grab, kryptische SMS. Und ab und an erschallt dessen eigener Klingelton: Stand by your Man von Tammy Wynette.

Schaudert es euch schon? Mich zumindest auf gewisse Weise. Ein seltsames Gefühl wohligen Unwohlseins bemächtigt sich meiner. Es ist etwas Unheimliches geschehen, das sich allerdings auf schräge Weise vertraut anfühlt. Ein seidener Faden als Brücke zwischen Dies- und Jenseits scheint gesponnen. Oder ist das alles doch nur ein profaner Hacker-Streich, der eine Kette an Zufällen auslegt? Kann es das geben? All diese vagen Vermutungen und die Vernunft, die das Metaphysische als unmöglich ablehnt, geraten in einen Dialog. Und auch dann, wenn Dinge wie diese, die hier passieren, vielleicht auch wirklich nur Koinzidenzen sein könnten, belebt die Möglichkeit eines sich aller Wissenschaft entziehenden Wunders die Hoffnung auf ganz anderen Wahrheiten, die unserer Existenz einen verlockend anderen Spin mitgeben. Mit diesem Wechselspiel an atmosphärischer Suspense und den Werten von Freundschaft und Verantwortung gelingt John Lee Hancock ein subtiles, fein gesponnenes Mysterydrama, das seinen Reiz durch das Indirekte und Unbekannte erhält – und natürlich durch das elegante Spiel eines würdevollen Donald Sutherland, der, wie es scheint, längst noch nicht genug davon hat, vor der Kamera zu stehen.

Mr. Harrigan’s Phone

The Little Stranger

MEIN HAUS IST DEIN HAUS

3/10


the-little-stranger© 2018 Nicolas Dove


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN, FRANKREICH 2018

REGIE: LENNY ABRAHAMSON

CAST: DOMNHALL GLEESON, RUTH WILSON, CHARLOTTE RAMPLING, WILL POULTER U. A.

LÄNGE: 1 STD 51 MIN


Spukhäuser gibt es genug auf dieser Welt. Sei es in Freizeitparks, in der Literatur oder eben im Medium der bewegten Bilder. Von Bis das Blut gefriert (neuerdings als Hill Hose auf Netflix) über Das Haus auf dem Geisterhügel bis zu Poltergeist. In manchen spukt es einmal mehr, dann wieder einmal weniger. Zum Glück entsprechen diese Häuser mit ihrer teils baufälligen Substanz nicht zwingend dem Energieaufgebot ihrer Filme, in denen sie zum Schauplatz werden. Mit wenigen Ausnahmen. Eine davon ist The Little Stranger, nach einem Roman der britischen Schriftstellerin Sarah Waters. Keine Ahnung, wie sich das Buch so anlässt, womöglich liest es sich so wie einer der Schauerromane von Daphne du Maurier. Die Verfilmung jedenfalls ist so angestaubt, morsch und sperrig wie die knarrenden Treppen und rostigen Türangeln in jenem Herrenhaus, mit dem wir es folglich zu tun haben werden.

Dieser Wohnsitz – Hundreds Hall – scheint von einem Fluch befallen. Die Familie Ayres, bestehend aus der von Charlotte Rampling verkörperten Mutter und ihren beiden erwachsenen Kindern, dämmert in seltsamer Phlegmatik vor sich hin. Da erkrankt das Hausmädchen – und der nicht weniger phlegmatische Hausarzt Dr. Faraday wird an ihr Bett gerufen. Dieser wiederum wuchs einst in diesem Anwesen auf, da dessen Mutter selbst Bedienstete bei den Ayres gewesen war. Irgendwie, so scheint es, hegt Faraday eine gewisse Sehnsucht, was dieses Haus betrifft. Ein nie wirklich gewordener Wunschtraum, einmal darin zu wohnen.

Klingt nach einer Story? Mitnichten. Ach ja, bevor ich‘s vergesse – seltsame Vorkommnisse erregen spät, aber dann doch noch, die Aufmerksamkeit des Ensembles. Bis dahin blühen dem Zuseher knochentrockene und schläfrige Minuten des Wartens, bis endlich auch nur irgend etwas geschieht. Vermarktet wurde The Little Stranger tatsächlich als Horrorfilm, doch selbst als Vintage-Grusler eignet sich das schale Werk nur begrenzt. Dumm nur, dass der Fokus auf der Figur des Dr. Faraday liegt, der von Domnhall Gleeson in einer ferngesteuerten Mischung aus stocksteifen Aristokraten und hölzernen Langeweiler angelegt wird. Mag schon sein, dass ihm solche Charakterbilder gut zu Gesicht stehen, doch verliert man an diesem Gehabe sehr schnell das Interesse.

Für eine gewisse Verblüffung sorgt dennoch die Tatsache, dass hinter dieser kraftlosen Verfilmung eines Mysterydramas voller Andeutungen und vagen Vermutungen ein Regisseur namens Lenny Abrahamson steckt. Der konnte sich zwei Jahre zuvor für das packende Missbrauchsdrama Raum rühmen lassen – Brie Larson gewann dafür den Oscar. Was danach geschah, oder wohin ihn sein Können letztlich geführt hat, bleibt genauso rätselhaft wie das seltsame Ende des Films, das auf redeschwere und handlungsarme Hausbesuche zurückblickt.

The Little Stranger