Zoomania 2 (2025)

JEDEM TIERCHEN SEIN PLÄSIERCHEN

7/10


© 2025 Disney Enterprises, Inc. All Rights Reserved.


ORIGINALTITEL: ZOOTOPIA 2

LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: JARED BUSH, BYRON HOWARD

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): GINNIFER GOODWIN, JASON BATEMAN, KE HUY QUAN, FORTUNE FEIMSTER, ANDY SAMBERG, DAVID STRATHAIRN, IDRIS ELBA, PATRICK WARBURTON, SHAKIRA U. A.

MIT DEN STIMMEN VON (SYNCHRO): JOSEFINE PREUSS, FLORIAN HALM, RICK KAVANIAN, KATHRIN GLAUBE, DENNIS HERRMANN, LUTZ RIEDEL U. A.

LÄNGE: 1 STD 47 MIN



Disney hatte das schon immer: Ein Herz für Tiere. Denn Tiere, die mögen fast alle. Bis auf das ganze Krabbelige. Bis auf Affen, denn die haben in Zoomania anscheinend keinen Platz, weil sie zu sehr… menschlich sind? Und bis auf Reptilien und Amphibien. Über Kaltblüter dieser Art macht sich Disney diesmal aber doch Gedanken. Denn, um ehrlich zu sein, ist die in mehrere Klimazonen unterteilte Metropole Zootopia ein Schmelztiegel an Säugetieren aller Art, die nach wie vor als Elite gelten. Nicht mal Vögel gibt es hier, es fehlt also der Großteil der auf unserem Planeten lebenden Biomasse, und dennoch tun alle so, als würde Zoomania (warum nicht den Originaltitel Zootopia beibehalten?) das ganze Tierreich abklappern, was so natürlich nicht stimmt. Auch drängt sich in mir abermals die Frage auf, wovon sich Tiger, Löwe und Co in dieser Weltgegend denn ernähren. Ich komme zum Schluss: Das, was wir hier sehen, ist eine surreale Utopie, die sämtliche Widersprüche in Kauf nimmt und gar nicht mal innerhalb ihrer eigenen Realität plausibel sein will.

Den Stolperfallen einer Fabel zum Trotz

Doch nach wenigen Minuten ist das sowieso egal. Hinter den Schleier der Harmonie zu blicken, die das Miteinander wie eine Siegesfahne hochhält, ist bei Zoomania nicht erforderlich. Und gar nicht mal erwünscht. Disney tischt uns eine Fabel auf, die sich an klassichen menschlichen Tiergeschichten orientiert und die ganze mühsame, ehrgeizige und schweißtreibende Arbeit in vorallem eines legt: In den konsistenten, einzigartigen Charakter. Denn den haben sie alle, angefangen von Publikumsliebling, dem Faultier Flash, bis zum raunzenden Mafia-Opossum mit den Augenbrauen von Martin Scorsese. Sie alle sind Individuen, Personen bar excellence, und es soll niemand mehr behaupten, dass Tiere nicht genau das sind: Personen, die ihr Verhalten, ihren Charakter, ihren Lebenslauf haben. Die, obwohl sie sich nicht fragen können, warum, doch ein gewisses Selbst entwickeln, dessen sie sich zwar nicht bewusst sind, es aber mittragen. Nun kommt der Figur der Erkenntnis dazu, das Tier wird Mensch, das parodierbare Klischee einer jeden einzelnen Art darf sich entweder konterkarieren, bestätigt sehen oder gar nicht vorhanden sein.

Die Schlange kämpft um ihr Image

Der Spaß am Entdecken all der Charaktere ist das Herzstück dieser Fortsetzung, die den Buddy-Faktor zwischen Fuchs und Kaninchen nach wie vor bedient, diesmal aber die Freundschaft um einiges mehr als im Original auf die Probe stellt. Zoomania 2 ist diesmal voll von abenteuerlicher Mystery, in der sich einer wie Sherlock Holmes wohl selbst gerne wiedergefunden hätte. Der Spaßkrimi beginnt mit einer Jubiläumsfeier, die von einer Grubenotter gecrasht wird, die ein wertvolles Schriftstück entwendet. Reptilien hier in der Stadt der Säuger? Das geht natürlich gar nicht, ist diese Tiergattung doch über den Kamm geschoren eine unerwünschte und daher Verbannte. Doch irgendwie, das wissen Hopps und Nick, kann das nicht der Wahrheit letzter Schluss sein. Und so machen sie sich, obwohl suspendiert, auf die Spur des diebischen Reptils, was beide durch Klimazonen und an wunderliche Kreaturen vorbei in unbekannte Territorien führt, deren Geheimnisse die ganze Ordnung auf den Kopf stellen.

Ein Mehrwertspaß für alle

Mit dabei sind diesmal eine ganze Handvoll Luchse, eine an Shakira erinnernde singende Antilope, knuddelige Walrösser und eine emsige Biberdame. Die aber sind nur ein kleiner Teil aus einer ganzen Riege an Auftritten, die das wohltuende Gefühl eines multikulturellen und diversen Miteinanders zelebriert und, da es sich dabei um Tiere handelt, auf völlig unterschwellige Weise auch in den Gesellschaften von Ländern punkten kann, die mit Vielfalt und Akzeptanz nichts am Hut haben. Allein für diese Arbeit ist Zoomania 2 zu loben, darüber hinaus spickt Regisseur und Autor Jared Bush, der schon für den ersten Teil verantwortlich war, seine Geschichte mit Eastereggs, die nur Erwachsene kennen können, sowie mit einer komplexen, richtig kribbelig-spannenden Verschwörungsgeschichte, die sich eindeutig auch nur an die etwas älteren unter den Kindern richtet. Klar ist, dass Zoomania den Anspruch verfolgt, ein Animationsfilm für alle zu sein, und selbst die ganz Kleinen haben damit schon reichlich genug zu tun, all die Fauna zu entdecken und deren Charaktereigenschaften zu erkennen.

Disneys Steckenpferd war es schon immer, seinen Figuren Seele zu geben. Da kann den Machern in dieser Schmeide wohl niemand das Wasser reichen. Hier, in Zoomania 2, gelingt in dieser Sache wieder Großes.

Zoomania 2 (2025)

Tyler Rake: Extraction 2 (2023)

RAUSHAUEN UND REINHAUEN

6/10


tylerrake2© 2023 Netflix / Jasin Boland


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: SAM HARGRAVE

DREHBUCH: JOE RUSSO

CAST: CHRIS HEMSWORTH, GOLSHIFTEH FARAHANI, ADAM BESSA, TINATIN DALAKISCHWILI, TORNIKE GOGRICHIANI, ANDRO JAPARIDZE, OLGA KURYLENKO, IDRIS ELBA U. A. 

LÄNGE: 2 STD 3 MIN


Was ich an den Actionfilmen der Achtzigerjahre so richtig zu schätzen wusste, war der verschwenderische Einsatz von Pyrotechnik. Explosionen waren nicht nur Knall und Rauch, sondern dem Physikalischen längst entsagte Ouvertüren an Feuer und Flammen, vom Epizentrum des Wahnsinns fortgeschleuderte Actionhelden, die sich schnell wieder fangen konnten. Auf doppelte Mannshöhe hochkatapultierte Vierrad-Vehikel, darunter goldrote Wolken verheerender Oxidationen. Das war stets der Inbegriff des Actionkinos. Arnold Schwarzenegger, Dolph Lundgren oder Bruce Willis sind in feuerfester Manier so groß geworden. Jetzt, einige Dekaden später, zollt Chris Hemsworth diesen Haudegen Tribut. Wenn er nicht gerade als Thor seinen Hammer schwingt, darf er als nicht ganz legaler Extraktions-Spezialist und Gelegenheits-Söldner, der selbst bei den Expendables eine gute Figur machen würde, den bösen Jungs auf den Zahn fühlen und diesen auch ohne Narkose entfernen, begleitet von ordentlich Dresche und Blei zwischen den Rippen. Niemand entfesselt derzeit so ein tosendes Inferno wie dieser Mann, der vor allem eines ist: vorbereitet wie kein Zweiter.

Planung ist das halbe Leben. Ressourcen, die zur Verfügung stehen, ebenso. Also ist der vom Schicksal gebeutelte Mann (wir erinnern uns an die Rückblenden aus Teil eins, als er seinen Sohn an den Krebs verlor) nach seinem letzten Einsatz gerade noch dem Leibhaftigen von der Sense gesprungen, mit etlichen Kugeln im Körper und für längere Zeit im Koma. Neun Monate später und dank eines Häuschens am Traunsee im österreichischen Gmunden (Das Fremdenverkehrsamt dankt) ist Tyler Rake wieder ganz der Alte. Und fit genug, um sich von Idris Elba als undurchsichtigen Akquisiteur zu einem neuen Job überreden zu lassen. Wofür Rake nicht lange überlegen braucht, handelt es sich doch bei der zu Rettenden um seine Ex-Schwägerin, die in Georgien mit ihrem Superverbrecher-Gatten und Unterweltboss im Knast einsitzt, um nicht von dessen Feinden gelyncht zu werden. Der wahre Feind ist aber der Ehemann selbst, also dringt der bis an die Zähne bewaffnete Chris Hemsworth gemeinsam mit dem Special Force-Geschwisterpaar Khan (u. a. Golshifteh Farahani) ins Gefängnis ein, um die Mutter und ihre beiden Kinder rauszuhauen. Ein Gewaltparcour erster Güte eröffnet sich hier, zuerst lautlos, dann immer heftiger, bis die Revolte losbricht. Und Rake so viele Schläge einstecken muss, dass ich selbst schon bei einem einzigen das Bewusstsein verloren hätte.

Nur aus Rein und Raus besteht Tyler Rake: Extraction 2 dann aber auch wieder nicht. Das wäre dann doch zu simpel. Die Früchte seiner Arbeit holen den Experten natürlich ein, und damit kommt die Wiener Donaustadt ins Spiel, insbesondere der unübersehbare und architektonisch durchaus auffällige DC-Tower, der ordentlich Schaden erleidet, bei dem Aufgebot, dass die Georgier hier inszenieren. Das alles ist State of the Art. Es splittern die Fenster, es rattert die Gatling, es rutschen Held und Antiheld auf abschüssigen Dächern herum. Das ist so richtig Old School, wie man es bereits aus der Mission Impossible-Reihe kennt. Nur mit Ethan Hunt braucht sich Tyler Rake nicht messen. Letzterer ist ein Mann fürs Grobe, der für sein Tun bezahlt wird. Der seinen Job macht – aber immer noch nicht checkt, welche neuralgischen Elemente dabei im Blick behalten werden müssen.

Auf den Konsequenzen unverzeihlicher Drehbuchschwächen herumtobend, funktioniert auch dieser Film dennoch irgendwie: Als Action-Routine vom Feinsten, mit allerhand Shootouts, Handgreiflichkeiten und wie eingangs schon erwähnt: jeder Menge Kawumm. Die Karossen überschlagen sich, die Helis stürzen. Alles da. Was will man eigentlich mehr von einem Actionfilm wie diesen? Einem, der nun nicht die große Geschichte erzählen, sondern einfach nur Schauwerte liefern will, die man so schon länger nicht mehr gesehen hat – außer vielleicht man gönnt sich einen Reißer aus Asien wie Raging Fire, der auch keine halben Sachen macht, dafür aber ein bisschen mehr mit den Stereotypen changiert. In Tyler Rake: Extraction 2 sind die Bösen so richtig nervig, weil sie nur das sind: nämlich böse, und sonst gar nichts. Je mehr von diesen Finsterlingen an Tyler Rake Hand anlegen wollen, umso mehr nervt diese sture Verbissenheit der Antagonisten. Und umso mehr will man ihnen in den Hintern treten, und zwar so, dass sie nie wieder aufstehen. Somit wären auch die Emotionen des Action-Aficionado getriggert. Und mehr will er gar nicht.

Tyler Rake: Extraction 2 (2023)

Beast – Jäger ohne Gnade

AUF LEISEN PFOTEN KOMMT DER TOD

5/10


beastjaegerohnegnade© 2022 Universal Studios. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA, ISLAND 2022

REGIE: BALTASAR KORMÁKUR

CAST: IDRIS ELBA, SHARLTO COPLEY, IYANA HALLEY, LEAH JEFFRIES, MARTIN MUNRO, DANIEL HADEBE U. A.

LÄNGE: 1 STD 33 MIN


Können Tiere so etwas wie Rache empfinden? Den Elefanten sagt man ähnliches Verhalten schon die längste Zeit nach. Elefanten – die vergessen selten etwas (im Gegensatz zu mir), schon gar nicht Zweibeiner, die Ihnen im Laufe ihres Lebens Böses angetan haben. Menschenaffen sind da schon mehr auf unserer Seite, allerdings erfolgt diese Art der Vergeltung unmittelbar, ohne von langer Hand geplant worden zu sein. Über Großkatzen indes gibt es so manche mit Vorsicht zu genießende Legenden, die den Tieren mehr Vorsatz einräumen als anderen Lebewesen, die uns Zweibeinern am nächsten stehen. Deutlich plausibler sind da schon jene Prädatoren, die, gegen ihren natürlichen Speiseplan gerichtet, auf Menschen losgehen. Als die wohl bekanntesten Vertreter dieser Unart galten die Löwen aus dem Reservat von Tsavo, die um die Wende zum zwanzigsten Jahrhundert Kolonialisten wie Einheimische in Angst und Schrecken versetzten. Stephen Hopkins hat mit Der Geist und die Dunkelheit daraus einen Film gemacht und Michael Douglas sowie Val Kilmer zur Flinte greifen lassen. Und ja: Sogenannte Man-Eater gab’s und gibt’s nicht nur bei den Löwen – zum Ausgleich wütete in Asien auch so mancher Tiger.

Und jetzt – jetzt ist Südafrika dran. Baltasar Kormákur, Spezialist für Themen, in denen Homo sapiens schutzlos irgendwelchen Naturgewalten ausgeliefert ist und dabei vergeblich versucht, in kompromisslos konsequenten Ereignissen doch noch als Bewältiger hervorzugehen – dieser Baltasar Kormákur wandert nun von isländischen Meeren über den Himalaya immer weiter in südliche Gefilde, um endlich mal auf Safari gehen zu können. Das macht er nicht allein, sondern mit Superstar Idris Elba an seiner Seite. Und ja – Sharlto Copley, sowieso Südafrikaner, darf hier auch noch seinen Heimvorteil genießen. Zu den beiden gesellen sich zwei halbwüchsige Mädchen, Elbas Filmtöchter, die auf den Spuren ihrer verstorbenen Mutter unterwegs sind, und einfach nicht verstehen können, warum sich Papa von ihr noch zu Lebzeiten getrennt hat. Klar braucht es diesen familiendramatischen Unterbau, denn irgendwo muss der Haussegen ja schief hängen, um im Angesicht einer blanken Katastrophe wieder geradegebogen zu werden. Und diese Katastrophe kommt dann auch, während einer Wildlifetour durch ein inoffizielles Reservat, auf vier samtleisen Pfoten angepirscht. Ein Löwe hat es auf Menschen aller Art abgesehen. Ein Löwe macht eine ganze Spezies verantwortlich dafür, dass Wilderer sein Rudel getötet, in alle vier Winde verstreut und eingefangen haben. Ein Löwe schwört jetzt Rache. Und dabei ist egal, wie sehr zum Handkuss Idris Elba unschuldigerweise kommen mag. Mensch ist Mensch, und Tier ist Tier.

Beast – Jäger ohne Gnade orientiert sich stark an einem ganz bestimmten Meisterwerk der Survival-Suspense, nämlich an Jurassic Park. Statt eines T-Rex lässt nun ein Panthera leo sein Gebrüll los, und Erwachsene wie Kinder sind in ihrem fahrbaren Untersatz, der knapp am Abgrund hängt, schutzlos ausgeliefert. Da wir ungefähr wissen, welche Schrecken uns da erwarten, mag der Faktor der Unvorhersehbarkeit ein bisschen schwinden – um dem entgegenzuwirken, lässt Kormákur seine Protagonisten Dinge tun, die bar jeder Vernunft sind. Mutig – ja – aber auch äußerst doof. Doch wie gesagt: Mensch ist Mensch, und Tier ist Tier. Dass dem Löwen dabei menschliche Emotionen angedichtet werden, mag bei Disney gang und gäbe sein – bei Kormakur hätte ich mir da schon etwas mehr Respekt vor den Tatsachen erwartet. Doch andererseits: Im Kino dürfen Legenden gerne als Tatsachen betrachtet werden, also warum sich nicht ein spielfilmlanges Duell mit wilden Mähnen liefern?

Tatsächlich macht Idris Elba seine Sache wieder mal gut, obwohl man ihm ansieht, dass Beast – Jäger ohne Gnade jetzt nicht unbedingt zu seinen Herzensprojekten zählt. Das schöne Südafrika wird es ihm wohl angetan haben – wer würde denn nicht gern dort drehen wollen und dabei alles bezahlt bekommen? Viel Geld hat man auch für die Animation des Untiers ausgegeben. Es ist nicht zu erkennen, wann der Löwe echt ist und wann er aus dem Rechner kommt. Oder ist dieser überhaupt nur animiert? Von diesen Machern hätte sich zum Beispiel Prey einige Ezzes holen können – denn der wilde Bär im Predator-Sequel lässt bewegungstechnisch zu wünschen übrig.

Was mich dann doch überrascht, ist das von manchen Kritikern als hanebüchen bezeichnete Finale im Steppensand: Um dafür wirklich aufstöhnend mit den Augen zu rollen, würde ich mich vorher lieber genau in die Verhaltensforschung von Großkatzen einlesen. So allerdings kann ich das, was da abgeht, gar nicht so ganz als Schwachsinn abtun. Beast – Jäger ohne Gnade ist somit besser als befürchtet, wenngleich gemalt nach Zahlen und die Wucht einer erbarmungslosen Natur mag diesmal an den hochgekurbelten Fenstern eines geländegängigen, aber verkehrsuntüchtigen Fahrzeugs abprallen wie die blutigen Tatzen eines amoklaufenden Simba.

Beast – Jäger ohne Gnade

Three Thousand Years of Longing

WAS WÜNSCHT SICH EIN FLASCHENGEIST?

7/10


threethousandyearsoflonging© 2022 Leonine


LAND / JAHR: USA, AUSTRALIEN 2022

BUCH / REGIE: GEORGE MILLER, NACH DEN KURZGESCHICHTEN AUS „THE DJINN IN THE NIGHTINGALE’S EYE“

CAST: IDRIS ELBA, TILDA SWINTON, AAMITO LAGUM, ECE YÜKSEL, MATTEO BOCCELLI, LACHY HULME, MEGAN GALE, BURCU GÖLGEDAR, ZERRIN TEKINDOR U. A.

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Bei George Miller weiß man eigentlich nie, was der Australier als nächstes macht. Und welches Genre er eigentlich bevorzugt. Man könnte ja sagen: ein bisschen was von allem. Miller betrachtet seinen Spielplatz Film nämlich von beiden Seiten. Da ist einerseits die postapokalyptische Kultfigur Mad Max: Action, Anarchie und Faustrecht. Andererseits sind da tanzende Pinguine im Animationsstil oder sprechende Schweine, die das Abenteuer suchen. Dazwischen vielleicht so etwas Intensives wie das True Story-Drama Lorenzos Öl. Miller ist vielseitig. Das beweist er nun auch seinem Publikum mit einer verspielten Tausendundeiner Nacht-Interpretation, die abrückt von einem orientalischen Helden wie Aladdin und das Leben und Leiden des Geistes aus der Flasche genauso ins Zentrum stellt wie dessen weibliches Pendant, genannt bezaubernde Jeannie, die jahrelang in einer Retro-Sitcom herbei- und fortzaubern konnte, was Major Nelson nur so in den Sinn kam. In Wahrheit aber – also in der erzählerischen Wahrheit phantastischer Geschichten – ist das Dschinn-Dasein eine Frage der Gunst Sterblicher. Mit drei Wünschen schon lässt sich so ein metaphysisches Wesen, bestehend aus elektromagnetischer Energie, in die Freiheit entlassen. Nicht und nicht mag das gelingen, über Jahrhunderte hinweg. Der dritte Wunsch bleibt der unausgesprochene. Von einer Flasche in die andere wandert also ein spitzohriger Idris Elba, der seiner Rolle Charisma, Charme, Naivität und Sehnsucht verleiht. Die Geschichten, die er im Istanbul der Gegenwart Narratologin Tilda Swinton erzählen wird, sind magisch, faszinierend und wie in einem Traum, den man vielleicht träumt, nachdem man einige Seiten der Märchen Salman Rushdies gelesen hat, wie zum Beispiel Harun und das Meer der Geschichten. In diesem Meer mag man auch bei George Miller versinken. Und man will nicht, dass sie enden. Tausendundeine Nacht sind dafür wohl nicht genug, tausendundzwei hätte man gerne.

Der Dschinn beginnt, nachdem die einsame Alithea ihn ungewollt aus einer im Basar erstandenen Glasflasche befreit hat, seine Erlebnisse aus der Zeit Königin von Sabas zu erzählen – in einer üppigen, hochstilisierten Bildsprache, die an Tarsem Singh (The Fall) erinnert, aber auch an Max Ernst oder dem Phantastischen Realismus eines Arik Brauer. Versponnene Geschichte wird zum inspirierenden Märchen, das später, in der Zeit der Kalifen, seine Fortsetzung nimmt. Auch hier: Üppige Ausstattung, orientalisches Geschichtenerzählen auf geknüpften Teppichen. Idris Elba schildert den Grund seiner Sehnsucht mit Überzeugung und Leidenschaft und gibt sich selbst auch dem leidenschaftlichen Spiel hin, während Tilda Swinton die Contenance bewahrt. Three Thousand Years of Longing ist ein Märchen- und Fantasyfilm der ungewöhnlichen Art, der mit gezügeltem Bildersturm sein Publikum nicht ermüden will, sondern vielmehr nach noch mehr lechzen lässt – und die Lust am Fabulieren, an den eigenen kreativen Gedanken und an Tagträumen in den Kinosaal streut.

So prickelnd Millers Film auch seine Philosophie des Wünschens und Nicht-Wünschens in Szene setzt, so rund und kompakt all seine Episoden wie aus dem Ei gepellt über den Boden von Istanbuls Hotelzimmer kullern, so unrund gelingt letzten Endes die Romanze zwischen der Menschenfrau und dem Ewigen. Für diese Beziehung bleiben Miller nur mehr karge Reste seines kreativen Inputs. Phrasen über Liebe übertünchen jene von Abhängigkeit und Loslassen. Es mag zwar immer noch eine gewisse Geschmeidigkeit in der Geschichte liegen – der elementare rote Faden aber verliert sich im Chaos der Moderne, deren Schattenseiten uns allen ohnehin bekannt sind und daher, so scheint es, etwas willkürlich zur Sprache kommen. Von den eskapistischen Geschichten möge es noch viele geben, nur bietet die Moderne den Zauber längst nicht mehr.

Three Thousand Years of Longing ist eine über weite Strecken fabelhafte Fabel über Storytelling und Sehnsucht, über Einsamkeit und offene Ohren. Über das besänftigende der Erfahrung und der Freiheit, sich aus Erlebtem inspirieren zu lassen für das Fiktionale. Um Liebe geht es hier nur peripher, auch wenn Miller da das Gefühl hatte, mehr beitragen zu müssen als verlangt. Der letzte, gewisse Kniff in seinem Film bleibt somit aus, das Tüpfelchen vom i bei Dschinn fehlt – ganz so wie der letzte Wunsch, der lange unerfüllt bleibt.

Three Thousand Years of Longing

Sonic the Hedgehog 2

WENN DEN IGEL FUCHST, WIE DER HASE LÄUFT

5/10


sonic2© 2022 Paramount Pictures Germany


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: JEF FOWLER

CAST: BEN SCHWARTZ (JULIEN BAM), COLLEEN O’SHAUGHNESSEY, IDRIS ELBA, JIM CARREY, JAMES MARSDEN, TIKA SUMPTER, LEE MAJDOUB U. A.

LÄNGE: 2 STD 2 MIN


Täusche ich mich, oder beschränkt sich Jim Carreys Filmkarriere momentan auf seine Performance als Bösewicht Dr. Robotnik im SEGA-Franchise Sonic the Hedgehog? Ein Blick auf Wikipedia bestätigt: tatsächlich dürften Carreys Agenten wohl kaum Überstunden schieben, aber vielleicht kommt das noch. Denn Carrey ist ein achtbarer Schauspieler, der in tragikomischen Filmen wie zum Beispiel Die Truman Show oder Der Mondmann genauso gut ankommt wie in Komödien. Für Sonic durfte er schon im Kick Off aus dem Jahr 2020 seinen Schnurrbart zwirbeln und wieder mal seine Grimassen schneiden, doch wenn man sich zu sehr auf sein exaltiertes Spiel verlässt, haben Zwischentöne zur Reifung eines Charakterbildes keine Chance. Die Figur beginnt zu nerven. Dafür entschädigt der brummige Knuckles – ein Ameisenigel, der hier nun seinen Einstand feiert und mit dem Feind gemeinsame Sache macht, da es um ein Artefakt von hoher Wichtigkeit geht. Der Master Emerald muss gefunden und in Gewahrsam gebracht werden, damit Gauner wie Dr. Robotnik nichts damit anstellen können. Der Finsterling allerdings nutzt die Leichtgläubigkeit des roten Wuschels, um ihn auf seiner Seite zu wissen, wenn es heißt, Sonic davon abzuhalten, als erster an den Stein zu gelangen. Der ist allerdings auch nicht mehr alleine: Ein zweischwänziger Fuchs namens Miles „Tails“ Prower, von welchem ich zuerst dachte, er sei weiblicher Natur, kämpft nun an seiner Seite.

Mit von der Partie ist auch wieder James Marsden als naiver Menschenfreund des blauen Aliens mit der deutschen Synchro von Julien Bam, dessen weichgespülte Tonlage durch das ruppige Timbre von Knuckles‘ Stimme (im Original Idris Elba) aufgefangen wird. Wo bei Sonic the Hedgehog fast schon zu wenige bunte Tierchen herumwuselten, hat die Fortsetzung einige Sidekicks mehr parat. Die Story selbst ist so geradlinig wie simpel – das Skript zum Game, wie soll es anders sein. All die SEGA-Spiele mit dem Flitzer sind ja auch nicht gerade die hackenschlagende Kampagne für Zocker, die die Challenge suchen. Natürlich ist das zu erwarten, doch in Summe ist das schließlich schon etwas anderes, interaktiv mitzumischen, als nur dabei zuzusehen. Sonic the Hedgehog 2 ist also ungefähr so, als würde man seinem Bro dabei zusehen, wie er Sonic zockt. Minutenlang erquickend, doch dann will man selbst an die Konsole, wird aber nicht gelassen, ist doch der andere mittendrin im Jump and Run. Hat man nichts zu knabbern in der Nähe, wird’s langweilig. Wenn dann der Showdown anrückt, ist das Abenteuer vielleicht wieder einen Hingucker wert.

Und tatsächlich wird Jim Carrey gefährlicher als jemals zuvor, erinnern so manche Szenen an das Ringen der Kolosse in Pacific Rim. Und nicht nur von dort borgt sich Jeff Fowler, natürlich bewusst, so seine Ideen. Reminiszenzen an Indiana Jones oder etwa Poltergeist sind dabei, welche die Jungen womöglich nicht erkennen werden. Mein Semester allerdings muss hier schon ein bisschen schmunzeln, wobei der Grund dafür nicht nur der sein kann, erwachsene Begleitpersonen bei Laune zu halten. Dafür sind die Eastereggs zu spärlich, und es ist ja nicht so, als wäre die kunterbunte Fantasy ein Blindgänger. Sonic the Hedgehog 2 gelingt der Spaß vor allem in der zweiten Hälfte ganz gut, davor aber eiert der Film auf familiengerechtem Durchschnittniveau heran, das auf einer fürs Franchise und dem SEGA-Konzern schadlosen, dafür aber auch vorhersehbaren Seite bleibt.

Brilliant und State of the Art hingegen ist das CGI – hier haben die Macher keine Kosten gescheut, um bis ins Detail das Interagieren der getricksten Figuren so zu animieren, dass sie ein perfekter Teil der realen Umwelt sind.

Sonic the Hedgehog 2

28 Weeks Later

DIE NÄCHSTE WELLE KOMMT BESTIMMT

6,5/10


28-weeks-later© 2007 Twentieth Century Fox


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN, SPANIEN 2007

REGIE: JUAN CARLOS FRESNADILLO

CAST: ROBERT CARLYLE, IMOGEN POOTS, MACKINTOSH MUGGLETON, JEREMY RENNER, ROSE BYRNE, IDRIS ELBA, CATHERINE MCCORMACK, EMILY BEECHAM U. A.

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


Vermutlich ist’s verlorene Liebesmüh, tatsächlich 28 Wochen zu warten, um die Fortsetzung von Danny Boyles 28 Days Later zu besprechen. Von dieser Anspielung hab womöglich nur ich was davon, also verliere ich keine Zeit, 28 Weeks Later gleich jetzt in den Filmgenuss-Pool zu werfen. 28 Wochen, da wäre noch eine lange Zeit bis dahin. Das wäre irgendwann Ende September und die Erinnerungen an das brachiale Sequel wohl nicht mehr so taufrisch wie gerade eben. Nach 28 Wochen könnte man aber meinen, eine Endemie durchgestanden zu haben. In diesem gottseidank fiktiven Fall hat sich das Virus vorbehaltlich selbst aufgezehrt. Sprich: die Befallenen sind verhungert. Und jene, die den Kelch an sich vorübergehen ließen, sind evakuiert worden, darunter womöglich auch Cillian Murphys Figur des Jim, von dem wir aber niemals wissen werden, was aus ihm geworden ist. Eigentlich hätte dieser, wenn es nach Alex Garland und Danny Boyle gegangen wäre, gar nicht mal überleben dürfen. Doch das war dem Publikum des Test-Screenings zu düster. Woraufhin jetzt, fünf Jahre danach, Regisseur Juan Carlos Fresnadillo womöglich gar niemanden mehr zu einer Vorabsichtung eingeladen hat. Anders lässt sich der vehemente Nihilismus in diesem knüppeldicken Zombie-Actioner nämlich gar nicht erklären. Vielleicht ist Twentieth Century Fox in den wenigen Jahren dazwischen mutiger geworden.

Beschert hat uns das Studio schlussendlich dieses Worst Case-Szenario, das ganz gut beschreibt, was passieren kann, wenn verhängte Restriktionen zur Eindämmung lebensbedrohlicher Seuchen einfach missachtet werden. Und ehrlich: Robert Carlyle’s Filmkinder könnte man durch Sonne und Mond schießen, in Anbetracht dessen, was sie angerichtet haben. Gut, das war keine Absicht – aber genau das ist das Problem: Mit Absicht verursachen wohl die wenigsten irgendeinen Kollateralschaden. Sie nehmen diesen aber in Kauf, wenn es um eigene Interessen geht. So auch diese Kids (was heisst Kids: Imogen Poots geht da schon als junge Frau durch), die gemeinsam mit dem wiedergefundenen Papa (eben Robert Carlyle aus Ganz oder gar nicht) das Zentrum Londons rückbesiedeln. Weil sie unbedingt in ihr altes Haus wollen, um persönliche Dinge abzuholen, umgehen sie die Sperrzone – und stoßen auf Mama, die wider Erwarten gar nicht tot ist, aber auch kein Zombie. Was denn dann? Ein superimmuner Zwischenwirt, weitestgehend symptomfrei (deswegen ist testen ab und an mal gar nicht schlecht), aber Hölle ansteckend.

Omikron braucht längst nicht so viel Bewegungsenergie wie diese Wutviren, verbreitet sich durch diese Ersparnis aber auch nicht effizienter. Dafür agieren jene, die zum Zivilschutz das virenfreie Gelände sichern, umso wütender. Die neue Welle schwappt über die Insel der Seligen wie ein alles vernichtender Tsunami. Gesunde und Infizierte sind in panischer und tobsüchtiger Raserei nicht mehr voneinander zu unterscheiden. 28 Weeks Later macht keine Gefangene mehr, und das bisschen Menschlichkeit schrumpft und schrumpft und schrumpft. Fresnadillo führt den Film kaum noch mit feiner Hand, sondern viel lieber mit Brecheisen und Schlagring: in schnellen Schnitten und hektischer, teilweise völlig orientierungsloser Kamera findet Kameramann Enrique Chediak bluttriefende Abbilder eines finsteren Infernos nah am Trash, dazwischen versuchen eine ganze Menge bekannter Gesichter wie Jeremy Renner, Rose Byrne oder Iris Elba den Überblick zu bewahren. Feingeistiges Horrorkino ist also etwas anderes, und wir haben hier auch keine psychosozialen Spannungen wie im Original. Dafür aber weicht das bislang ungute Gefühl im Bauch spätestens ganz am Ende einer garstig um den Latz geknallten Hoffnungslosigkeit.

28 Weeks Later

The Harder They Fall

ES GROOVT DER WILDE WESTEN

4/10


thehardertheyfall© 2021 Netflix


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: JEYMES SAMUEL

CAST: JONATHAN MAJORS, IDRIS ELBA, LAKEITH STANFIELD, REGINA KING, ZAZIE BEETZ, DANIELLE DEADWYLER, DELROY LINDO, RJ CYLER U. A. 

LÄNGE: 2 STD 17 MIN


Den Tod seiner Eltern wird der Junge den anderen bösen Jungs sein Leben lang nicht verzeihen. Die Rache wird folgen, und niemand wird seiner Strafe entgehen. Diese Ausgangssituation kommt irgendwie bekannt vor. Was nun fehlt, ist Ennio Morricones hypnotisch-faszinierendes Spiel auf Charles Bronsons Mundharmonika, bevor es brutal wird. Doch nein, die Rede ist nicht von Spiel mir das Lied vom Tod. Viel eher variiert Jeymes Samuel diese Vorlage als einen betont lässigen Videoclip für neu gemixte Versionen diverser Reggae-Nummern, die summa summarum einen Soundtrack oder besser gesagt einen Sampler abliefern, der ganz vorne mit dabei ist und das eigentliche Qualitätsmerkmal dieses Films darstellt, der sonst leider nur in stilsicheren Manierismen untergeht.

Was Samuel von Sergio Leone gelernt hat, das ist so gut wie alles in diesem Film – vorzugsweise die italienische Einstellung. Eine klare Hommage an den Meister des Spaghettiwesterns und der sowieso besten Western überhaupt, wenn es nach mir geht. Wem Samuel noch huldigt, ist natürlich Quentin Tarantino mit seiner Western-Version Django Unchained. Ein bisschen Blaxploitation noch dazu, wieder eine Referenz, und fertig ist ein stylisches Shoutout-Movie, das leider überhaupt keine eigenen Ideen hat.

Als originär gelten immerhin die Charaktere im Film, von denen die meisten tatsächlich existiert haben. Nat Love zum Beispiel war nach dem Sezessionskrieg als freier Mann unter anderem als Cowboy und Rodeoreiter tätig. Stagecoach Mary oder auch Mary Fields galt als erste afroamerikanische Postkutschen-Zustellerin. Rufus Buck hingegen war dann schon eher ein schlimmer Finger. Sie alle hat es gegeben – über den Weg gelaufen sind sie sich womöglich nicht. Zumindest nicht so, wie im Film dargestellt. Die Rachestory ist also rein fiktiv. Und das merkt man, denn die Geschichte schreibt wohl nicht einen Western, der so offensichtlich nach klassischen Formeln aufgebaut ist wie dieser. Samuel, der gemeinsam mit Boaz Yakin das Drehbuch schrieb, war wohl wichtig, den Coolness-Faktor seiner einzelnen Figuren in die Höhe zu schrauben, sich aus dem Westerngenre gierig zu bedienen und ein gerne mal zynisches Outlawdrama ganz einfach mit Schwarzen zu drehen, die auf der staubigen Durchzugsstraße eines Kaffs den Revolver ziehen. Es kommt das große Gähnen bei jenen, die mit Leone, Corbucci und Co aufgewachsen sind. Die Exotik der einzelnen Figuren hält auch nicht länger munter. Vor allem deswegen, weil es erstens viel zu viele nach vorne drängende Individualisten sind, und zweitens sich diese bis auf wenige Ausnahmen (Danielle Deadwyler als Crossdresserin Cuffee zum Beispiel) zu austauschbaren, grob umrissenen Persönlichkeiten hinreißen lassen müssen. Platzhalter für Stereotypen also. Darunter Zazie Beetz, die mit ihrer Rolle überhaupt nichts anfangen kann.

So will The Harder They Fall einfach nur stilistisch gefallen. Findet am Ende gar Momente, die das mögliche Potenzial gerade mal erahnen lassen. Dennoch bleibt das Ganze nur zerfahrenes Patchwork, unterlegt mit einem atemberaubend innovativen Sound. Wär‘s doch nur andersrum gewesen.

The Harder They Fall

The Suicide Squad

UNTER KEINEM GUTEN STERN

9/10


thesuicidesquad© 2021 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2021

BUCH / REGIE: JAMES GUNN

CAST: IDRIS ELBA, MARGOT ROBBIE, JOEL KINNAMAN, JOHN CENA, DANIELA MELCHIOR, DAVID DASTMALCHIAN, PETER CAPALDI, VIOLA DAVIS, MICHAEL ROOKER, JAI COURTNEY, NATHAN FILION, TAIKA WAITITI, ALICE BRAGA, SYLVESTER STALLONE U. A.

LÄNGE: 2 STD 12 MIN


Marvel hat seine Guardians of the Galaxy, Star Wars die Bad Batch, Quentin Tarantino seine Inglourious Basterds. Und DC? Dort träumen skurrile Typen von Freiheit und lassen sich dafür sogar einen Switch-Off-Chip installieren, falls sie plötzlich Muffensausen bekommen sollten. Damit gemeint ist die Suicide Squad: Zusammengewürfelte Outlaws und Grenzgänger, chaotische Individualisten und über die Stränge schlagende Idealisten. Und manche sind scheinbar nur zufällig mit von der Partie. All diese Anarcho-Selbsthilfegruppen scheinen zwar ihren ganz eigenen egoistischen Bedürfnissen treu zu bleiben, das hehre Ziel allerdings schwebt über allem scheinbar unbemerkt, weil irgendwas oder irgendwer auf dieser Welt es dann doch noch gut meint. In diesem Sinne ist das aus den tiefen Kellern des Comic-Universums von DC hervorgeholte Rat Pack also wieder unterwegs. An David Ayers Versuch, ein ebensolches Team zusammenzustellen, erinnert sich niemand mehr. The Suicide Squad ist also weder Prequel noch Sequel, sondern viel mehr ein neuer Versuch, den richtigen Ton zu treffen. Das kann jedoch nur passieren, wenn die Studios, anders als bei Ayer, nicht andauernd ins Handwerk des Künstlers pfuschen. James Gunn muss her. Einer, der sich mit Antihelden, die das Herz dennoch am rechten Fleck haben, sehr gut auskennt. Die erfolgreichen Guardians gehen auf seine Kappe. Doch Gunn kann sein Können auch auf menschelnde Augenhöhe runterschrauben: Super – Shut up, Crime! ist ein Möchtegern-Heldenfilm mit und für Underdogs; teils geschmacklos, größenteils aber grundsympathisch. Blutig natürlich auch. Mit so etwas dürften Harley Quinn und Co mit dem Sanktus von ganz oben durchaus liebäugeln dürfen. Doch nur unter einer Bedingung: Keiner spuckt dem Meister seines Fachs in die Suppe.

Wie sieht das also aus, wenn visionäre Filmemacher freie Hand haben? So wie Zack Snyder’s Justice League? Ungefähr. Oder noch besser. The Suicide Squad ist nach Taika Waititis Thor: Tag der Entscheidung das wohl Abgefahrenste aus der Nische gerne als Einheitsbrei ausgeschimpftem Heldengetöses. Bei der Suicide Squad perlt sowas jedoch ab. Gegen die Suicide Squad wirken selbst Star Lord und Co wie gefällige Streber. Es ist, als wäre das Selbstmordkommando der gemeinsame Nenner eines ausgekotzten Brainstormings, die teils assoziative Auferstehung eines vollgekritzelten Scribbelblocks, in welchem James Gunn seine Ideen sammelt. Absurde Überlegungen, seltsame Anspielungen, groteske Anekdoten und skurrile Biomassen. „Ja, machen wir alles“, denkt sich James Gunn, „dieses mein Werk wird pure Anarchie, ein roter Faden muss aber dennoch sein. Ein konventioneller Plot als Unterbau, der allerdings so dermaßen zerfransen soll wie ein von einer Katze zerfetztes Wollknäuel.“ Dabei wirft James Gunn sein Publikum sofort ins kalte Wasser. Was braucht man schon viel erklären, die sozialen Interaktionen all der absurdesten Gestalten aus den gezeichneten Panels ebnen längst den Weg zu einem brachialen Guilty Pleasure-Kino, dessen Missionsziel zwar auf ein Post-it passt, dieses aber andauernd überschrieben wird.

Frei nach dem Motto „Tun wir mal, dann sehen wir schon“ gehen zwei Teams auf einer fiktiven südamerikanischen Insel an Land, um einen von den Nazis errichteten Gebäudekomplex mit Namen Jotunheim zu stürmen und diesen dann in Schutt und Asche zu legen. Diese zwei Teams sind sehr schnell ausgedünnt, und nur die wirklich zähen Hunde rund um Scharfschütze Bloodsport arbeiten sich durch den Dschungel Richtung Ziel. Unter anderem mit dabei: ein humanoides Hai-Wesen, ein Freak mit Punkte- und Mutterkomplex sowie eine Rattenbändigerin. Ach ja, Peacemaker darf nicht fehlen. Einer mit doofem Helm und Muckis, da bekommt selbst Arnie weiche Knie. Allerdings: das, was hinter den Mauern von Jotunheim vor sich hin vegetiert, wird nicht nur alle Pläne der Suicide Squad (sofern welche vorhanden sind) auf den Kopf stellen. Comicnerds werden jauchzen und alle anderen die aufrechte Sitzposition suchen. Man will ja schließlich keine noch so genüsslich verpeilte Szene verpassen, von denen es in The Suicide Squad so viele zu geben scheint.

Auf seiner genialen Stinkefinger-Tour könnte man Gunns Festival der verqueren Charge mit den überzuckerten Eskapaden von Spongebob Schwammkopf und seiner Entourage vergleichen, verbrüdert mit Deadpool und dem Roten Blitz. The Suicide Squad mag’s gern blutig, frohlockt mit perfiden Seitenhieben auf psychologische Traumata, verpönt politische Ambitionen und schert sich einen Dreck um welche Correctness auch immer. Im Laufe des Abenteuers entsteht dann sogar so etwas wie Gruppendynamik, die den Avengers stolz die Zunge zeigt. War‘s am Anfang schon absurd, wird’s am Ende noch absurder. Kontrovers wird’s allerdings nicht, was dem klitzekleinen guten Gewissen der Kämpfernaturen geschuldet bleibt.

Freie Hand zu haben, das ist schon was. Die eigenen Ideen im Rahmen eines sauteuren Blockbusterkino ausleben zu dürfen, muss für James Gunn wie der Himmel auf Erden gewesen sein. Inszeniert hat er aber einen saukomischen Höllenritt, nach dem man so manche Fauna mit anderen Augen sieht. Und wehe, es kommt irgendwann jemand auf die Idee, Harley Quinn und Bloodsport umzubesetzen.

The Suicide Squad

Beasts of No Nation

KRIEG ALS ERZIEHUNG

7,5/10


beastsofnonation© 2015 Netflix

LAND / JAHR: USA 2015

REGIE: CARY JOJI FUKUNAGA

DREHBUCH: CARY JOJI FUKUNAGA, NACH DEM GLEICHNAMIGEN ROMAN VON UZODINMA IWEALA

CAST: ABRAHAM ATTAH, IDRIS ELBA, EMMANUEL NII ADOM QUAYE, KURT EGYIAWAN, JUDE AKUWUDIKE U. A. 

LÄNGE: 2 STD 17 MIN


Für den ersten Netflix-Originalfilm in der Geschichte nämlichen Streaming-Gigantens, der zumindest in den USA sowohl im Kino als auch auf den wohnzimmertauglichen Geräten lief, hätten sich manche durchaus etwas anderes vorgestellt. Etwas, das man mehr abfeiern hätte können. Etwas mehr Unterhaltsames vielleicht, für eine breite Zielgruppe. Doch Beasts of No Nation ist alles andere als das. Beasts of No Nation tut weh. Und erschüttert. Gleichsam aber fasziniert es auf eine Art, auf welcher man fremde Riten und Gebräuche bewundert, sie aber hinten und vorne nicht versteht. Auf eine Art, auf welcher man Serienkiller als ein Kuriosum betrachtet, weil sie so wenig der Normalität entsprechen. Ein Panoptikum des Grauens, wenn man so will. In etwa so wie Apocalypse Now – mehr als nur ein puristischer Kriegsfilm, mit einer ganzen Abhandlung zur Bestie Mensch im Gepäck.

Die Bestie Mensch lässt sich auch problemlos in diesem Film hier finden. Für dessen Regie zeichnet Cary Fukunaga verantwortlich, der mittlerweile nicht mehr nur aufgrund von True Detective, einer qualitativen Neuorientierung im Seriendschungel, bekannt ist. Fukunaga durfte auch den brandneuen James Bond inszenieren. Begonnen hat der Sohn einer Japanerin und eines Schweden allerdings mit der Verfilmung eines Buches von Uzodinma Iweala, der die Erlebnisse eines Kindersoldaten in einem nicht näher definierten, westafrikanischen Staat schildert. Dort lernt der Ich-Erzähler Agu Mord und Totschlag kennen, Missbrauch und Drogen. Warum genau will man so etwas eigentlich sehen? Ist es, weil es so dermaßen viel Aufschluss gibt darüber, wie der Mensch funktioniert oder eben nicht funktioniert? Wie er selbst sein größter Feind sein kann? Ist es, wie eingangs erwähnt, einfach die bizarre Exotik eines Horrors, der sich fast schon anfühlt wie ein pittoresker Abenteuerfilm? Farbintensiv ist das Ganze, voller Dschungelgrün und dem Blutrot sterbender und darüber gar sehr überrascht dreinblickender Menschen. Lateritrot die Erde, golden die tiefstehende Sonne. Darf es in so einem Paradies überhaupt so viel Grauen geben? Das hat sich Francis Ford Coppola auch gefragt. Das fragt sich der gerade mal zwölfjährige junge Agu ebenso, dessen glückliches Leben schlagartig enden muss, als eine Regierungseinheit schwer bewaffneter Soldaten das Dorf stürmt. Vater und Bruder sterben, die Mutter flieht mit ihrem Neugeborenen in die Hauptstadt. Agu versteckt sich im Dschungel, wird aber alsbald von einer archaischen Rebellengruppe aufgegriffen, die frappant an die ugandische LRA erinnert und bis an die Zähne bewaffnet und so bunt gekleidet ist wie ein Stamm Indigener für eine Folklore-Show. Deren Anführer nennt sich Commandante (charismatisch und gefährlich: Iris Elba in einer seiner besten Rollen), und der nimmt den Kleinen unter seine Fittiche. Dabei wird er zum Krieger ausgebildet, darf töten und metzeln, muss seinem Mentor Liebesdienste erweisen. Betäubt sich mit Schießpulver als Drogenersatz. Verliert seine Kindheit.

Mit Krieg als Erziehung lassen sich Menschenleben ruinieren. Fukunaga zeigt, wies geht. Und das ist heftig, verstörend und traurig. Wenn Agu das erste Mal mit einer Machete ausholt, unter den motivierten Zurufen des Commandante, und dem „Feind“ den Schädel spaltet, ist das Individuum fort, ist das Kind nur noch Maschine. Ein Prozess, den Darsteller Abraham Attah famos vor die Kamera bringt – diese bleierne Müdigkeit, diese gefühllose Lethargie, die, völlig übermannt von den schrecklichen Dingen, jeglichen Funken Zuversicht tilgt. Die Verrohung des Menschen steht in Beasts of No Nation explizit im Mittelpunkt, dabei ist das, was hier gezeigt wird, wohl locker auf mehrere zentralafrikanische Staaten umzulegen. Am Ende bleibt bei dieser Tragödie, in der zwischendurch immer wieder ganz andere Werte aufflackern, so, als wären sie das Glimmen eines niedergebrannten Feuers, das sich wieder entfachen ließe, kein aus den Wassern neugeborener König des Dschungels als nihilistische Prämisse zurück. Am Ende gibt es gar Hoffnung auf so etwas wie einen Neuanfang. Doch der Weg dorthin ist wieder ein ganz anderer Krieg.

Beasts of No Nation

Concrete Cowboy

FERIEN IM SATTEL

4/10


concretecowboy© 2021 Netflix


LAND / JAHR: USA 2020

BUCH / REGIE: RICKY STAUB

CAST: IDRIS ELBA, CALEB MCLAUGHLIN, METHOD MAN, JHARREL JEROME, LORRAINE TOUSSAINT U. A. 

LÄNGE: 1 STD 51 MIN


Als ob Pferde nur was für Mädchen wären. Sogar im Pixi-Heftformat wundern sich Kinderbuchautoren längst über dieses obsolete Ködern stereotyper Zielgruppen. Wenn wer Schulferien auf welchem Gestüt auch immer macht, dann sind das mittlerweile genauso Jungs wie Mädchen. Wie in Concrete Cowboy, einer Verfilmung des Buches Ghetto Cowboy von Greg Neri. Und nein, hier trägt niemand Reitstiefel und Schalenhelm, sondern Stetsons und bis zur Brust aufgeknöpfte Hemden, ausgeleierte Hosen und Halstücher a la John Wayne. Die Koppel hinterm Stall ist nichts anderes als eine Gstett´n hinter baufälligen Verschlägen am Nordrand von Philadelphia. Eine Art Ghetto also, reserviert für eine afroamerikanische Minderheit, die sich schon seit Generationen mit dem Lebensgefühl des reitenden Freigeists identifiziert. Der Fletcher Street Urban Riding Club hat hier tatsächlich sein Zuhause und lässt ihre Warmblüter längst Kids therapieren. Einer aus dieser Community, die im Film längst noch nicht ihre Bestimmung gefunden hat, ist der raubeinige Harp, der in seinem Leben anscheinend schon ganz viel Mist gebaut hat und nun auch noch über die Sommerferien seinen widerborstigen Sohn unter seine Fittiche nehmen muss. Die beiden können sich anfangs gar nicht riechen. Doch mit der Zeit findet der junge Cole in sein Schicksal und in den Pferdeställen einen vierbeinigen Verbündeten. Dumm nur, dass ein guter Freund von damals den Teenie zu halbseidenen Machenschaften verleitet.

Egal, was Idris Elba spielt – er bleibt ein harter Brocken mit womöglich einem weichen Kern. Als Cowboy macht er eine gute Figur, so verlottert und verbraucht versucht er da, seinem Filius, den er so gut wie kaum kennt, die paar Werte zu vermitteln, die er sich selbst mühsam erarbeitet hat. Eine Vater-Sohn-Geschichte also. Und natürlich das Konzept, aus dem Jugendromane nun mal sind. Die Ferien woanders verbracht, macht aus einem aufmüpfigen, problembeladenen Jungspund einen anderen Menschen, obendrein heilen Pferde so manche seelische Wunde. Das ist ja schön und gut, aber auch enorm formelhaft und wie in diesem Fall auch recht langweilig. Es ist sonnenklar, was aus Cole wohl werden wird. Es ist sonnenklar, wie Vater und Sohn sich am Ende der Ferien wohl verstehen werden. Zwischendurch Weisheiten aus dem Hinterhof, altklug transportiert von weisen Outlaws, die sich selbst gerne reden hören. Die daneben herlaufende Storyline rund um Jugendfreund Smoosh und dessen zwielichtigen Geschäftsideen verwässert die Geschichte noch zusätzlich. Vielleicht wäre es klüger gewesen, den familiären Konflikt etwas bewusster zu betrachten und nicht nur mit besinnlichen Floskeln auszustatten. Überhaupt erfahren wir kaum etwas über dieses separierte Milieu, über diese durchaus neugierig machende Zeitblase, die diese knorrigen Gestalten allesamt vereint.

Concrete Cowboy ergattert sich seine semidokumentarische Relevanz durch das Mitwirken diverser Laiendarsteller des eingangs erwähnten Riding Clubs. Sicherlich ein schönes und sinnvolles Projekt, das hier aufgezogen wurde. Eine Reportage wäre dem Thema aber weitaus gerechter geworden als eine so biedere und teils gar lustlose Auseinandersetzung.

Concrete Cowboy