ELTERNSCHAFT ALS ZWANGSARBEIT
7/10
© 2019 Leonine Pictures
LAND / JAHR: BELGIEN, IRLAND, DÄNEMARK, USA 2019
REGIE: LORCAN FINNEGAN
DREHBUCH: GARRET SHANLEY
CAST: IMOGEN POOTS, JESSE EISENBERG, JONATHAN ARIS, SENAN JENNINGS, EANNA HARDWICKE U. A.
LÄNGE: 1 STD 38 MIN
Auf IMDB schrammt Lorcan Finnegans kosmischer Horror gerade mal an der 6 Punkte-Hürde vorbei. Ein passabler Schnitt bei 81.565 Bewertungen, allerdings nur eben das: passabel. Da wäre noch Luft nach oben, und diese Luft aber will keiner, der Vivarium gesehen hat, so richtig gerne verknappen, denn Filme, die das Bedürfnis des Publikums nach einer geordneten und rational zu begreifenden Welt nicht erfüllen, stoßen durchaus auf Ablehnung. Vivarium ist daher eines im Vorfeld ganz und gar nicht: Ein Wohlfühlfilm.
Es scheint, als hätten Edgar Allan Poe oder H. P. Lovecraft an dieser akkuraten Hölle ihre Ideen beigesteuert, oder besser gesagt: ihre Ängste, die sich in literarischen Visionen längst manifestiert haben. Vermengt mit den Elementen aus den Büchern und Filmen, die uns extraterrestrische Invasionen mit Schmackes veranschaulicht haben, greift das bizarre Szenario nur so um sich. Diesem ausweglosen Alptraum müssen sich, und so viel haben wir, woran wir uns festhalten können, zwei bekannte Gesichter unterordnen. Es sind dies Imogen Poots und Jesse Eisenberg, der zuletzt mit seiner Regiearbeit A Real Pain, ein tragikomischer Herzwärmer, reüssierte. Eisenberg aber ist hier – fast so wie in A Real Pain und auch in der Martial-Arts-Groteske The Art of Self-Defense oder aber in der Männlichkeits-Metapher Manodrome – ein anfangs stinknormaler und fast farbloser bis unsichtbarer Durchschnittsbürger, der im Grunde nichts anders mit sich anzufangen weiß als den Durchschnitt zu leben, den Normalo bar excellence, in dessen Innerem aber der eitle Wahnsinn brodelt. An seiner Seite Filmfreundin Imogen Poots (u. a. 28 Weeks Later), beide möchten als Gemma und Tom ein trautes Heim bald ihr eigen nennen. Immobilienmakler gibt es viele, doch leider müssen die beiden zu ihrem Unglück in jene Filiale reinschneien, die der seltsame Martin betreut. Ein gespenstischer Typ, der psychopathische Witz eines biederen Ladenhüters mit falschem Grinsen und womöglich feuchtem Händedruck. Ihm folgen sie per Automobil in eine abseits gelegene Reihenhaussiedlung, die den Begriff des Reihenhauses auch auf die Spitze treibt. Soweit das Auge reicht ein und dieselben vier Wände, nur ihre tragen die Nummer 9. Während Gemma und Tom sich umsehen, macht sich Martin aus dem Staub. Und wer nun glaubt, das Liebespaar findet den Weg ganz von allein retour, der irrt gewaltig. Sie müssen bleiben, und zwar eine ganze lange Zeit. Es gibt kein Entkommen, solange das seltsame Baby, das plötzlich in einem Pappkarton am Straßenrand liegt, nicht in deren Obhut aufwachsen kann.
What the Fuck? Sehnsüchtig wartet man auf eine Erklärung. Letztlich bleibt man so rat- und hilflos wie Gemma und Tom, die in absoluter Isolation und unter einem seltsam weltfremden Himmel, der aussieht, als wäre er von schlechter KI generiert, dahinfunktionieren. Finnegans Film hält sein Publikum insofern bei der Stange, da er Hoffnung sät. Jede weitere Szene könnte es soweit sein, und die beiden kommen dem Geheimnis auf die Spur.
Vielleicht gelingt es ihnen, vielleicht auch nicht: Verantwortlich für einen der bizarrsten Independentfilme der ausgehenden letzten Dekade zeichnet Garret Shanley – kennt man bereits sein Skript zum Rache-Horror Nocebo mit Eva Green, lässt sich erahnen, wie weit der Autor auch hier gehen wird können. Vivarium ist beklemmend und grotesk, strotzt vor verstörenden Ideen und genießt die Freiheit des fantastischen Kunstfilms, ohne auf das Einspiel Rücksicht nehmen zu müssen. Unter solchen Voraussetzungen erweitert das Kino seine kreative Palette und lukriert dabei ordentlich Courage, den Erwartungshaltungen des Mainstreams entgegenzutreten. Das gefällt nicht jedem, wenn die erzählerische Finsternis mit der Sehnsucht nach rationaler Ordnung Schlitten fährt.




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