Die Vorkosterinnen (2025)

RUSSISCH ROULETTE AM MITTAGSTISCH

6/10


© 2025 Filmladen Filmverleih


ORIGINALTITEL: LE ASSAGGIATRICI

LAND / JAHR: ITALIEN, BELGIEN, SCHWEIZ 2025

REGIE: SILVIO SOLDINI

DREHBUCH: DORIANA LEONDEFF, SILVIO SOLDINI, CRISTINA COMENCINI, GIULIA CALENDA, ILARIA MACCHIA, LUCIO RICCA, NACH DEM ROMAN VON ROSELLA POSTORINO

CAST: ELISA SCHLOTT, ALMA HASUN, MAX RIEMELT, EMMA FALCK, BORIS ALJINOVIC, OLGA VON LUCKWALD, THEA RASCHE, BERIT VANDER, KRIEMHILD HAMANN, ESTHER GEMSCH, NICOLO PASETTI U. A.

LÄNGE: 2 STD 3 MIN


Er ist wieder da. Und sicher nicht das letzte Mal. Immer und immer wieder wird das Musterbeispiel, der Prototyp des menschenverachtenden Diktators der Neuzeit die Medien infiltrieren. Er wird zitiert, er wird verfilmt, und alle, die ihn jemals auch nur auf periphere Weise umgeben haben, werden noch zu Wort kommen. Und wenn es sich dabei auch nur um einen Mythos handelt. Um ein Gerücht wie dieses zum Beispiel, das von einer Gruppe Frauen handelt, die von Adolf Hitlers auserwählter Militär-Elite zwangsrekrutiert wurde, um Speisen vorzukosten, die dem Führer wohl geschmeckt haben.

Es gab da eine Dame, Margot Woelk hieß sie, die kurz vor ihrem Ableben 2012 mit Erinnerungen an die Öffentlichkeit ging, in denen sie als Vorkosterin für Adolf Hitler gedient haben soll. Mit weiteren fünfzehn Frauen soll sie in der Wolfsschanze im Jahre 1942 diverse Speisen auf Toxine geprüft haben, natürlich den eigenen Tod, falls es doch mal zu einem Giftanschlag hätte kommen sollen, inbegriffen. Diese erstaunlichen Fakten wurden 2014 von einem Journalisten hinterfragt, somit stehen in dieser Sache Aussage gegen Aussage – bis Rosella Postorino einen Roman darüber schrieb. Dieser hat mit historischen Tatsachen nun überhaupt nichts mehr gemein, bleibt aber als verlockende Hypothese im geschichtsfreien Raum stehen, als fiktiv-verspielte Ergänzung eines zu finsteren popkulturellen Legende gewordenen Schwerverbrechers, den seine Liebe zu Schäferhunden und vegetarischem Essen manchmal viel zu harmlos erscheinen lassen – Oliver Masucci (Er ist wieder da) hat’s bewiesen, wie leicht das geht, und wie leicht man das Böse verdrängen kann, wenn sich die Ikonographie einer Person verselbstständigt. Der Roman PostorinosDie Vorkosterinnen – fand seinen Weg ins Kino, hat dieser doch alle Voraussetzungen, um genug Melodrama auf die Leinwand zu werfen, das vor dem Hintergrund farbintensiver Hakenkreuzfahnen und umringt von einer Vielzahl gestandener deutscher Wehrmachtsmänner mit schickem, geöltem Undercut einen zaghaft feministischen deutschen Mittagstisch deckt, der als Basis dient für ein Crossover unterschiedlicher Schicksale strohverwitweter und verwitweter Frauen, die mit ihrer Einsamkeit auf unterschiedliche Weise klarkommen müssen.

Liebe geht durch den Magen

Regie führte in dieser mit Damenmoden der Vierziger ausgestatteten Historien-Fiktion Silvio Soldini, der anno 2000 mit Brot und Tulpen einen wie Bruno Ganz ganz groß in Szene setzte. Ein Vierteljahrhundert später ist es Elisa Schlott, die viel dazu beiträgt, dass Die Vorkosterinnen nicht als verdünnte Ansammlung sämtlicher Tagebucheinträge so manches Schicksal als stereotypes Klischeebild verbucht. Schlott gibt ihrer Figur der fiktiven Rosa Sauer ordentlich Profil – niemals zu dick aufgetragen, selten zu wenig Emotion. An ihr bleibt man dran, und mit ihr ziehen alle anderen mit, allen voran Alma Hasun, die natürlich ein Geheimnis mit sich herumträgt, welches das Bedeutungsspektrum des Films später noch erweitern soll.

Das Ensemble weiß, was es zu tun hat, zumindest bei den Damen. Die Herrschaften unter des Führers Fuchtel bleiben austauschbar, vor allem Max Riemelt als bärbeißiger, stiernackiger Muskelprotz weckt warum auch immer das sexuelle Interesse unserer Hauptdarstellerin, wobei man natürlich ahnt, dass in der Not der Teufel Fliegen frisst. Somit gibt es dort eine Liebelei, und da wieder eine kleine Intrige unter den Frauen, im Ganzen aber ist wohl weniger das Konzept des Vorkostens hier Thema als gewisse Sorgen und Nöte, die alle zwar angerissen, aber nie entsprechende Wichtigkeit erlangen. Das macht den Film dann doch über weite Strecken recht bruchstückhaft und gedehnt, um nicht zu sagen langatmig, denn all das hat man schon unzählige Male glaubwürdiger, intensiver und authentischer gesehen. Am Ende nimmt das Drama wieder Fahrt auf, das Essen wird abserviert, für Magenverstimmungen gibt’s Alka Seltzer.

Die Vorkosterinnen (2025)

The Ministry of Ungentlemanly Warfare (2024)

NICHT DIE FEINE ENGLISCHE ART

5/10


ministryofwarfare© 2024 Dan Smith for Lionsgate


LAND / JAHR: USA, VEREINIGTES KÖNIGREICH 2024

REGIE: GUY RITCHIE

DREHBUCH: GUY RITCHIE, ARASH AMEL, ERIC JOHNSON, PAUL TAMASY

CAST: HENRY CAVILL, EIZA GONZÁLES, ALEX PETTYFER, HENRY GOLDING, ALAN RITCHSON, HERO FIENNES TIFFIN, BABS OLUSANMOKUN, DANNY SAPANI, CARY ELWES, RORY KINNEAR, TIL SCHWEIGER, FREDDIE FOX U. A.

LÄNGE: 2 STD


Wenn ein Film, der auf reale Ereignisse aus der Weltgeschichte Bezug nimmt, seinem mit fiktivem Dekor ausgeschmückten Szenario am Ende die Fakten-Komponente entgegenstellt, mag es keine Auszeichnung für das Werk sein, wenn diese paar Minuten die meiste Verblüffung bieten. Das Positive an dem Film vorweg: Man lernt dazu. Denn von einer Operation namens Postmaster wird wohl kaum jemand etwas gehört haben, der sich nicht eingehend mit der Chronologie britischer Black Ops beschäftigt hat. Black Ops, das sind verdeckte und nicht durch den Staat selbst unterstützte Unternehmungen, die, wenn sie schieflaufen, ihre Mitstreiter dem Schicksal überlassen. Winston Churchill, ewig feister, zigarrenrauchender Premierminister (hier verschwindet „Men“ Rory Kinnear hinter formschönem Latex), der die dunkelsten Stunden des Zweiten Weltkriegs miterleben musste, hat während jener Operation wohlwissentlich mitgefiebert. Mit ihm der junge Ian Fleming, der später und auf Basis eigener Erfahrungen jene Figur des James Bond erfunden haben wird, die seit mehr als einem halben Jahrhundert das Eventkino dominiert. Vorlage für diesen unkaputtbaren, charmanten Mansplainer mit der Lizenz zum Töten war ein gewisser Gustavus Henry March-Phillipps, kurz genannt Gus, der aus dem Gefängnis rekrutiert wurde, um eine „Suicide Squad“ anzuführen – mit dem Ziel, die deutsche U-Boot-Flotte zu sabotieren.

Tatsächlich fußen so einige Begebenheiten in Guy Ritchies nobler, aber ausdruckslos gefilmter Nazi-Jagd auf Tatsachen. Darunter Fernando Po, die in den Vierzigerjahren von den Spaniern besetzte Insel vor der Küste Westafrikas, sowie jenes italienische Versorgungsschiff, welches aufgrund seiner Fracht die Funktionstüchtigkeit der Nazi-U-Boote überhaupt erst gewährleistet hat: die Douchessa d’Aosta. Dieses soll versenkt werden, mitsamt seiner Schlepperboote. Da braucht es also nicht nur hemdsärmelige Psychos mit an Genialität grenzenden Skills, sondern auch elegante Spione wie Marjore Stewart (ja, auch diese Dame hat existiert), die den auf der Insel stationierten Nazi-Oberschurken um den Finger wickeln soll. Diese Psychos begeben sich via den Kanaren per Segelboot in feindliche Gewässer und haben auch keinerlei Schwierigkeiten, die aus dem Boden schießende Übermacht an Hakenkreuzmatrosen und sonstigem Hitler-Gesocks treffsicher über den Jordan zu befördern. Was sehr schnell recht langweilig wird. Und die Straffheit des knackigen Beginns dieses Geschichtsabenteuers nicht beibehält.

Wir erinnern uns gerne an Quentin Tarantinos sagenhaftes Weltkriegs-Paralleluniversum Inglourious Basterds. Da hatten Widersacher wie Christoph Waltz als Hans Landa, August Diehl oder Daniel Brühl noch jede Menge gefährliches Charisma. Als Manifestationen des menschlichen Bösen boten sie den aus gutem Grund wütenden Amis, darunter Brad Pitt und Eli Roth, genug stabile Breitseite, um auch eine gewisse Reibung zu erzeugen, die einen packenden Film letztlich ausmacht. In The Ministry of Ungentlemanly Warfare – an sich ein origineller Titel – ist das Niederballern der bösen Burschen (und ja, es sind nur Männer) wie Rasenmähen. Langweilig, doch es muss getan werden. Für Henry Cavill, Alex Pettyfer und Co muss sich die ganze Abknallerei irgendwann nur noch wie Fließbandarbeit anfühlen. Die ganze Riege an Antagonisten bietet keinerlei Herausforderung, woran die Heldentruppe vielleicht auch charakterlich hätte wachsen können. Dass sich hier eine Bewegung erkennen ließe, muss verneint werden. Guy Ritchie, der immer mehr seine eigene Handschrift verliert und seit The Gentlemen seine Stärke des süffisanten Ensemblespiels nicht mehr richtig ausspielen kann, macht generisches, bisweilen überzogenes Actionkino aus der History-Nische und setzt eindimensionale Berserker in Szene, in denen sich die realen Vorbilder wohl niemals wiedererkennen würden.

Stets auf der Gewinnerseite, lenkt das Glück der Gerechten jede Kugel in die Herzen der Finsterlinge, selbst bei schlechter Sicht. Bald wünscht man diesen genug Schwierigkeiten an den Hals, damit sie vom hohen Ross steigen. Die Augenhöhe mit den Bösen ist eine zur Senkrechten neigende Diagonale, die True Story dahinter das Beste, was der Films in petto hat. Und Til Schweiger? Den sieht man nur als Til Schweiger – seine schwammige Performance, gottseidank nicht mit eigener Stimme synchronisiert, reicht an jene von Waltz nicht heran.

The Ministry of Ungentlemanly Warfare (2024)

Führer und Verführer (2024)

DAS VOLK ALS MITTEL ZUM ZWECK

7/10


fuehrerundverfuehrer© 2024 Zeitsprung Pictures SWR Wild Bunch Germany / Stephan Pick


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2024

REGIE / DREHBUCH: JOACHIM A. LANG

CAST: ROBERT STADLOBER, FRITZ KARL, FRANZISKA WEISZ, DOMINIK MARINGER, MORITZ FÜHRMANN, TILL FIRIT, CHRISTOPH FRANKEN, KATIA FELLIN, OLIVER FLEISCHER, MARTIN BERMOSER, EMANUEL FELLMER, RAPHAELA MÖST, HELENE BLECHINGER U. A.

LÄNGE: 2 STD 15 MIN


Da steht einer wie Herbert Kickl, so gesehen und gehört schon des Öfteren, zuletzt auf dem von der FPÖ okkupierten Viktor-Adler-Markt, und bedient sich als meisterlicher Demagoge dem Narrativ emotional getriggerter Angstzustände, um das Volk für sich zu gewinnen. Es geht hier niemals um Fakten oder um ein konstruktives Programm zur Bewältigung jener Missstände, die andere Parteien angeblich verursacht haben. Es geht darum, Feindbilder zu schaffen und das Volk zu instrumentalisieren. Für Macht und für eine rechtsgerichtete Agenda, die, würde keiner kontra geben, zu einem Horrorszenario ausarten würde.

Dass so ein Wahnsinn möglich war, lag zu einem beträchtlichen Grund an Leuten wie Joseph Goebbels, die Propaganda als zweiten Vornamen tragen und ganz genau wissen, wie Medien die Massen manipulieren können. Das weiß einer wie Kickl auch. Und so ergeht sich dieser eine ganze Generation später in wortgewaltigen Slogans und subversiven Zweizeilern, die sich gerne mal auch reimen können. Goebbels hat damals das gleiche gemacht. Und wofür? Für Adolf Hitlers Erz-Agenden, die sich um zwei Dinge drehten: Um die Auslöschung der Juden, und um die Expansion des deutschen Reiches. Die Deutschen brauchen Raum, so der Braunauer. Und anders als in vielen anderen Filmen, von Charlie Chaplins Great Dictator bis zu Oliver Hirschbiegels Der Untergang, setzt Joachim A. Lang (Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm) den wohl medientauglichsten und weltbekanntesten Despoten auf eine Weise in Szene, als wäre er der gemütliche Onkel von nebenan, der in seiner privaten Bastion am Obersalzberg seine Entourage um sich schart, seine getreuen rechten und linken Hände, die einmal neben, dann wieder vis à vis des Führers sitzen dürfen. Von der Eingliederung Österreichs ins Deutsche Reich bis zu den Selbstmorden im Führerbunker (die allerdings inszenatorisch ausgespart werden) reicht der semidokumentarische Streifzug durch eine Epoche. Nicht ganz, aber fast ausschließlich aus der Sicht der bösen Jungs, deren kranke Weltbilder nicht in erster Linie Thema des Films sind.

Die sind genauso gegeben wie in The Zone of Interest. Auf dieser Weltsicht errichtet, zeigt sich bei Jonathan Glazer der normale Alltag einer Nazi-Familie, die über Ausschwitz regiert. In Langs Film ist Dreh- und Angelpunkt der Propagandaminister. Wir sehen dabei Robert Stadlober mit schwarz gefärbtem Haar, Hinkebein und markanter Aussprache. Und dennoch ist der Österreicher wohl einer der augenscheinlichsten Fehlbesetzungen der letzten Zeit. Was andererseits aber nicht heisst, dass er seine Sache nicht gut macht. Stadlober hat sich noch nie so ins Zeug gelegt, er wettert und hetzt und mobilisiert die Massen, meist in brauner Uniform und die eigenwilligen Gesten der historischen Figur perfekt nachahmend. Vergleicht man seine Goebbels-Interpretation mit jener von Ulrich Matthes, wird klar: Da liegen Welten dazwischen. Wie Chaplin Hitler darstellt, so stellt Stadlober Goebbels dar: Als bizarre Mad-Karikatur eines Frauenhelden und hochtalentierten Propaganda-Virtuosen, der seinen Job nicht immer gut macht. Doch auch entlang des Weges der Überzeichnung gelangt man irgendwann zum Bildnis eines bedrohlichen Extremisten.

Diese Bedrohung vermittelt auch Fritz Karl als Hitler höchstselbst. Auch er steht anfangs unter dem Verdacht, fehlbesetzt zu sein. Letztlich zählt seine Performance zu den authentischsten, die sich von comichaften Manierismen verabschieden. Ein gemächlicher Politiker, der anfangs richtig bieder erscheint, offenbart sich im Laufe des Films als fanatischer, egomanischer Soziopath. Die erschreckende Demaskierung funktioniert besser als der Versuch, die Mechanismen von Propaganda und die Macht der Bilder und Worte zu analysieren. Dort kehrt Joachim A. Lang nur nach, wo längst aufgeräumt wurde. Mitunter ist sein Inszenierungsstil ein unfokussierter, der mal da, mal dort das NS-Regime als pädagogisches, doch simples Leitwerk für Ahnungslose zerpflückt und zerfranst. Natürlich kann Lang die Sicht des Bösen auf die Welt, welches in seiner weltfremden Blase existiert – ein Umstand, der zu vermitteln gelingt – ganz so wie Hitlers Schriftstück Mein Kampf nicht ohne Kommentare der aufklärerischen Seite einfach dastehen lassen. Zeitzeugen melden sich zu Wort und geben dem Werk seine Bestimmung. Archivaufnahmen, die nur schwer zu ertragen sind, lassen das Grauen hochkochen, finden sich allerdings auch in jeder noch so ambitionierten Universum History-Dokumentation wieder. Was Lang da gelingt, ist, rahmensprengendes Basiswissen an einen roten Faden zu heften, der Goebbels Charakter zwar beleuchtet, aber ungern in medias res geht und sich nur vage in die Eingeweide des Systems begibt. Weil man all diese Wucht nicht stemmen kann.

So bleibt das Kratzen an der Oberfläche, doch selbst direkt darunter modert ein Verderben, dass wie Sonnenbrand immer wieder akut werden kann. Diesen unmittelbaren Schrecken angesichts aktueller weltpolitischer Tendenzen als Geschichte abzutun, fällt schwer. Denn diese wiederholt sich. Und macht Führer und Verführer zu einem unbehauenen Stein, der durch die Membran der eigenen Convenience-Blase fliegt. Das hinterlässt trotz der Defizite Eindruck und Unbehagen.

Führer und Verführer (2024)

Murer – Anatomie eines Prozesses (2018)

ALS WÄRE DAS ALLES NIE GEWESEN

7/10


murer© 2018 Filmladen Filmverleih


LAND / JAHR: ÖSTERREICH, LUXEMBURG 2018

REGIE / DREHBUCH: CHRISTIAN FROSCH

CAST: KARL FISCHER, KARL MARKOVICS, ALEXANDER E. FENNON, URSULA OFNER, RAINER WÖSS, GERHARD LIEBMANN, KLAUS ROTT, SUSI STACH, MENDY CAHAN, MATHIAS FORBERG, ROLAND JAEGER, MELITA JURIŠIĆ, INGE MAUX, HEINZ TRIXNER, CHRISTOPH KRUTZLER, FRANZ BUCHRIESER, ERNI MANGOLD U. A.

LÄNGE: 2 STD 17 MIN


Im Freisprechen sind die Österreicher Weltmeister, insbesondere im Freisprechen ehemaliger NS-Verbrecher, die sich nach Kriegsende auffällig leise verhalten und ihr biederes Gemeinwohlleben wieder aufgenommen haben. Das geht dann so weit, dass sie als integrer Teil der Gesellschaft unentbehrlich werden. Menschen wie diese, die während des Hitler-Regimes die Freiheit hatten, straflos über anderes, vermeintlich minderwertiges Leben zu richten, sind perfide genug, um so zu tun, als wäre nichts gewesen. Die verlederhoste Trachten-Gemütlichkeit, von der selbst Elfriede Jelinek schon geschrieben hat, beschert dem gern als Opfer unbequemer Zeiten angesehenen Provinz-Spießer die wahre Glückseligkeit. Einer wie Franz Murer, der ist ein Halbgott des Österreichtums, ein geselliger, bisschen kauziger Großgrundbesitzer mit Einfluss auf die Gemeindepolitik, umgeben von rechten Freunden und freundlichen Rechten. Der, so sagt er, sich niemals etwas zuschulden kommen ließ. Schließlich war Murer immer woanders, nur nicht dort, wo Verbrechen passiert sind.

Manche nannten ihn den Schlächter von Wilna. So ein namentlicher Appendix, der kommt nicht von irgendwoher und auch nicht aus dem Nichts. Als Fleischhauer wird er wohl nicht in die Geschichte eingegangen sein, denn schließlich war Murer Oberaufseher des litauischen Juden-Ghettos, und als Machtperson vor allem einer, dessen lockerer Finger am Abzug gar Frauen und Kindern das Leben gekostet hat. Ein Mann wie er hat Schaden und Schmerz verursacht, dass es ärger nicht hätte gehen können. Ein Mann wie er ist in den Sechzigern zum angesehenen Bürger geworden, wie viele andere auch in diesem schönen Land. Mit Simon Wiesenthal hat dann aber keiner gerechnet. Und so hat es dieser nach seinem Bravourstück mit Adolf Eichmann auch schließlich geschafft, diesen Franz Murer vor Gericht zu bringen.

Da sitzt der feiste Mittfünfziger mit kaltem Blick und wehleidiger Mine als einer, der nicht glauben kann, was ihm vorgeworfen wird. Ein Gesicht wie dieses, wenn es denn mordet, vergisst wohl niemand von denen, die dabeigewesen waren. Da ist es nicht wichtig, ob die Uniform grün oder schwarz oder dunkelbraun oder hellbraun gewesen war. Was zählt, ist das Konterfei, die ausdruckslose Mine, die Unerbittlichkeit willkürlichen Machtgebrauchs. Die Verteidigung sieht das anders, sie baut ihre Gegenargumentation auf Details wie diese auf. Und vermutet gar eine Verschwörung gegen den Angeklagten, der eine Lobby hinter sich weiß, die bis in die damalige österreichische Regierung reicht. Der Populismus war damals schon en vogue, und so gerät unter der Regie des Filmemachers Christian Frosch die Chronik eines Prozesses zur Leistungsschau autoritär Gesinnter, die als bereitwillige Mitläufer den Nazis eifrig zugearbeitet hätten – oder haben. Denn in den Sechzigern ist das Grauen in Europa bereits schon – oder erst – zwanzig Jahre her. Mord verjährt nie, und eine Anklage will gut vorbereitet sein. In einem Grazer Gerichtssaal wird der Zuseher Zeuge eines bereits im Vorfeld äußerst rechtslastigen Verfahrens, zu dem jüdische Zeugen, die im Ghetto von Wilna auf Murer stießen, geladen und angehört werden. Der Ausgang dieses Prozesses steht in den Annalen der österreichischen Gegenwartsgeschichte: Freispruch in allen Anklagepunkten.

Für die Rekonstruktion der Ereignisse konnte Frosch eine ganze Menge bekannter Gesichter gewinnen – Karl Fischer gibt das leutselige, scheinbar harmlose Monster im gedeckt grünen Jagdschloss-Look, bei den Zeugenaussagen spielt seine Mimik alle Stücke, während er versucht, nicht der zu sein, für den ihn viele halten. Karl Markovics darf in die Rolle Simon Wiesenthals schlüpfen. Klaus Rott, Susi Stach oder Gerhard Liebmann (grandios in Eismayer) sind drei der acht Geschworenen, Inge Maux zum Beispiel wütet als gedemütigte Jüdin gegen den schierpas erstaunten Murer, der im Heischen nach Mitleid ertrinkt. Dank dieses Ensembles führt Christian Frosch trotz seines nüchternen Inszenierungsstils die eigentliche Ambition hinter Murer – Anatomie eines Prozesses an ihr Ziel: Den authentischen Entwurf eines latent antisemitischen Dunstes, der durch den Gerichtssaal zieht. Zunehmend wird es unbequem, den Aussagen zu folgen, doch weniger wegen der Gräuel, von denen berichtet wird, als vielmehr von der grassierenden Verlachung von Tragödien. Statt Zeugen anzuhören, werden diese verhöhnt, erlittenes Unglück beschwichtigt. Wenn die Exekutivorgane der Justiz beim Freispruch des Schuldigen aus der Befürwortung dessen kein Hehl mehr machen, weiß man, was es geschlagen hat. Murer ist eine fröstelnd machende Bestandsaufnahme eines braun unterwandernden Österreich. Der Advokat des Teufels mag zwar am Ende geläutert sein – die Realität holt jede Fiktion dennoch ein und erzeugt vor einer unbequemen Klangkulisse einen Kloß im Hals, der einhergeht mit der Gewissheit, dass längst noch nicht alles gut ist.

Murer – Anatomie eines Prozesses (2018)

Gletschergrab (2023)

NAPOLEONS REISE NACH ISLAND

6,5/10


gletschergrab© 2023 Splendid Film


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND, ISLAND 2023

REGIE: ÓSKAR THÓR AXELSSON

DREHBUCH: ARNALDUR INDRIÐASON & MARTEINN THORISSON

CAST: VIVIAN ÓLAFSDÓTTIR, JACK FOX, IAIN GLEN, WOTAN WILKE MÖHRING, ÓLAFUR DARRI ÓLAFSSON, ADESUWA ONI, NANNA KRISTIN MAGNÚSDÓTTIR, SABINE CROSSEN U. A.

LÄNGE: 1 STD 42 MIN


Diese Insel hoch im Norden steht wohl bei vielen Gutverdienern auf der Reiseliste: Island. Dort lässt sich am besten auf eigene Faust die Gegend erkunden; jede Menge Wasserfälle, Gletscherzungen und Küstenstriche laden als Hot Spots zum Verweilen ein. Die Geldbörse möge bitte prall gefüllt sein, denn kostspielig wird das ganze Abenteuer mit Sicherheit. Der finanzielle Aufwand würde sich noch mehr rentieren, hätte man das Glück, den einen oder anderen verborgenen Schatz zu finden. Nun, nicht zwingend einen, den Zwerge, Trolle oder Brunhild aus den Nibelungen irgendwo versteckt haben – sondern vielleicht einen, dessen Wert und Ursprung wohl eher in der Geschichte Europas liegt, insbesondere in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs. Dieser Schatz lässt sich zwar nicht in einen Goldesel umwandeln, der das nötige Kleingeld spuckt, sondern vielleicht in mediale Aufmerksamkeit, vielleicht in einen für ein paar Wochen anhaltenden kleinen Zeitungsruhm, verursacht durch Journalisten, die einen selbst peinlich befragen.

Dieser Schatz ist in der Bestseller-Verfilmung Gletschergrab ein Passagierflugzeug aus dem Nazi-Hangar, bruchgelandet gegen Ende des Krieges. Dank der Klimaerwärmung und der damit einhergehenden Gletscherschmelze wird das Dach eines mehrere Dekaden im Eis konservierten Vehikels sichtbar, und zwar über viele Kilometer hinweg, denn alles, was nicht so strahlt wie das drumherum befindliche Eis, zieht selbstredend die Aufmerksamkeit jener spärlichen Besucher des Vatnajökulls auf sich, die hier Sport betreiben. Einer davon ist Jetski-Fahrer Elias, dem es sogar gelingt, in das Flugzeugswrack einzusteigen und alles, was sich darin noch befindet, als Social Media-Reel abzufilmen, darunter die Leichen der Piloten mit US-Wappen an ihren Jacken – ein Umstand, der mit dem Hakenkreuz am Seitenleitwerk nur schwer vereinbar scheint. Ehe sich der Selfmade-Abenteurer versieht, tanzen seltsame Gestalten an, die Böses im Schilde führen – und Elias kurzerhand in ihre Gewalt bringen. Was sie nicht wussten: dieser Junge hat eine Schwester namens Kristin (Vivian Ólafsdóttir), die sich umgehend auf die Suche nach ihrem verschwundenen Bruder macht, und im Zuge dessen so einiges aufdecken wird, was irgendwie mit der supergeheimen Operation Napoleon zu tun hat. Keiner weiß, was das ist, womöglich nicht mal die, die diese Mission initiiert haben. Nur eines ist gewiss: Der US-Geheimdienst hat da ein Wörtchen mitzureden.

Das Beste an Gletschergrab ist nicht nur, dass dieser Verschwörungs- und Geheimdienstthriller deutlich mehr Zunder gibt als so viele überteuerten, stargespickten Eventfilme, die sich am Genre des stuntlastigen Agentenfilms versuchen. Das Beste an diesem Streifen ist auch, dass lange, wirklich erstaunlich lange niemand weiß, wobei es sich um diese ominöse Fracht, die einst mit dem alten Luftbrummer transportiert worden war und dann verschwunden ist, handeln könnte. Bei all dieser Geheimniskrämerei, diesem völlig im Dunklen tappen – angesichts dieser großen Frage, wofür all dieser Ärger, braucht sich niemand krämen und glauben, als einziger dumm sterben zu müssen, haben doch all die Protagonisten das gleiche Fragezeichen über der Stirn, im Gegensatz zu den sinistren Geheimdienstlern, darunter Game of Thrones-Star Iain Glen, der als eine Art verbissener und wenig zimperlicher Anti-James Bond im Roger Moore-Style die Interessen seiner Auftraggeber verfolgt. Durch die multinationale Besetzung verbreitet Gletschergab ähnliche Vibes, wie sie bei staatenübegreifenden Großproduktionen fürs Fernsehen ab und an zu spüren sind – gerade immer dann, wenn für einen besonderen Kriminalfall Expertisen aus aller Herren Länder gefragt sind – insbesondere aus europäischen. So kommt es, dass Óskar Thór Axxelsons Verfilmung des Romans von Arnaldur Indriðason wie ein teures, aber bodenständiges Fernsehspiel wirkt – was aber ausnahmsweise nicht zum Nachteil gereichen sollte. Vielleicht entsteht der Eindruck aufgrund einer mehr auf Dialogen und sozialer Konfrontation, und viel weniger auf kostspielige Schauwerte setzenden Erzählweise. Da reicht das Konstrukt des Fliegers im Eis, da reichen die Landschaften Islands, da braucht es keinen Mission Impossible-Overkill (der zugegeben stets perfekt inszeniert ist).

Mit dem Rätselraten um die Büchse der Pandora, mit der investigativen Suche nach Etwas, wovon keiner so genau weiß, was es ist, sichert sich Gletschergrab die Aufmerksamkeit seines Publikums. Das passiert immer dann, wenn die Charaktere im Film den selben Wissensstand haben wie wir. Das ist schließlich weder arrogant noch ignorant noch allzu gefällige Langeweile – sondern Thrillerkost auf Augenhöhe ohne Eitelkeiten, die kurzweilig bleibt und Spaß macht.

Gletschergrab (2023)

Freaks Out (2021)

MANEGE FREI FÜR DIE VERFOLGTEN

7/10


freaksout© 2022 Metropolitan Film Export


LAND / JAHR: ITALIEN, BELGIEN 2021

REGIE: GABRIELE MAINETTI

DREHBUCH; NICOLA CUAGLIANONE, GABRIELE MAINETTI

CAST: AURORA GIOVINAZZO, FRANZ ROGOWSKI, CLAUDIO SANTAMARIA, PIETRO CASTELLITTO, GIANCARLO MARTINI, GIORGIO TIRABASSI, MAX MAZZOTTA, SEBASTIAN HÜLK, ANNA TENTA U. A.

LÄNGE: 2 STD 21 MIN


Wer weiß, was die vermaledeiten Nazis noch so alles getrieben haben, von dem wir nichts wissen. Was, wenn sie tatsächlich versucht haben, mithilfe paranormaler Phänomene, die dann folglich nicht mehr als solche deklariert, sondern wissenschaftlich eingestuft und nutzbar gemacht wurden, das Schicksal der Welt zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Nicht auszudenken, wenn es ihnen gelungen wäre. Für dieses Szenario hat das Kino schon so einiges über die Leinwand flimmern lassen. Bekanntestes Beispiel: Die Bundeslade aus Jäger des verlorenen Schatzes. In Mike Mignolas Hellboy haben im Okkulten versierte Nazi-Größen das Tor zu einer Dimension geöffnet, aus welcher ein kauziger, roter Teufel entschlüpfte. Und was ist mit der Geheimorganisation Hydra aus dem Marvel-Universum? Red Skull und seine Armee aus Supersoldaten, die alle so zugeschlagen hätten wie Captain America?

Es gibt so einiges an showtauglichen Albträumen, mit welchen nicht nur das Kino, sondern auch das Fernsehen die Niederträchtigkeit der Faschisten noch zusätzlich angereichert hat. Mit Freaks Out setzt der Italiener Gabriele Mainetti zwar nicht noch eins drauf, fügt aber den Psychopathen des dritten Reiches noch einen abgründig-charismatischen Wirrkopf hinzu: Man möchte es nicht glauben, es ist Franz Rogowski. Liebkind des deutschen Independent-Kinos und, wie man sieht, offen für jedes Genre. Warum nicht auch für einen phantastischen Streifen wie diesen, der 2021 bei den Filmfestspielen von Venedig seine Premiere feierte.

Rogowski gibt einen völlig verpeilten Sonderling, der aufgrund seiner zwölf statt zehn Finger aus der Armee ausgeschlossen wurde. Nicht so sein Bruder, der dort ein hohes Tier wurde. Was macht ein „Freak“ wie dieser nun in einer Diktatur, die das Andersartige für vogelfrei erklärt, wegsperrt oder vergast? Durch den gegebenen familiären Einfluss darf Franz als zylindertragender Direktor seine Lust an der Exzentrik zumindest im Rahmen eines von ihm ins Leben gerufenen Zirkusses ausleben, der in Rom Halt macht und der jedoch im eigentlichen Sinne als Kulisse für ein sehr ehrgeiziges Projekt herhalten muss, in welchem der wie Hanussen mit dem Übersinnlichen begabte Wirrkopf die Lösung für all die Probleme sieht, die das Deutsche Reich im letzten Kriegsjahr so umtreibt. Franz will eine Gruppe aus Superhelden zusammenstellen. Und ja, es gibt sie. Sie erscheinen gar in seinen zukunftsweisenden Visionen, die sogar vom Selbstmord Hitlers berichten und noch viel weiter gehen. Diese mit außergewöhnlichen Fähigkeiten begabten Leute sind allerdings eine Theatertruppe für sich, die eigentlich nur die Flucht aus Europa im Sinn haben. Es ist dies ein Wolfsmensch, eine Art Magneto, ein Insektenbeschwörer, ein schrulliger Gandalf und eine Feuerteufelin, die ihre Gabe eigentlich nur als Bürde sieht.

Mutanten mit derartigen Fähigkeiten sind nicht neu. Bei den X-Men gibt es sie alle. Auch bei Hellboy zählen einige Außenseiter, die ihre Andersartigkeit mit nichts verbergen können, zu den Experten des B.U.A.P. Mainettis märchenhafter Kriegs- und Zirkusfilm allerdings lässt die Idee eines alle unter einen Hut bringenden Vereins außen vor. In diesem von Gott verlassenen Italien während des Krieges tummeln sich verlorene Seelen auf den Straßen herum, die wie aus einer tragikomischen Filmballade Federico Fellinis über die Hügel Italiens vagabundieren, auf der Suche nach dem großen Glück. Tatsächlich erinnert so manche Szene an bittersüße Filmmomente des großen Cinecittà-Visionärs – insbesondere das deutlich expositionierte Einzelschicksal des Flammenmädchens Matilde hat erzählerische Kraft und Ausdauer. Ihr Weg zur Selbstbestimmung ist der eine rote Faden des Films, der andere ist Franz Rogowskis leidenschaftlich verkörperte Figur des Antagonisten. Zwei Ausgestoßene, die unterschiedlicher nicht sein können. Die versuchen, sich den Respekt des Normalen zu verdienen, um Teil des großen Ganzen, und vor allem: nicht allein zu sein.

Mit viel Aufwand, enormer Ausstattung und im letzten Drittel ordentlichen Gefechten zwischen Nazis und den italienischen Partisanen gelingt hier ein opulentes Spektakel zwischen bizarrer Sensationsshow wie in Guillermo del Toros Nightmare Alley, dem Dreckigen Dutzend und einem regimekritischen Ur-Pinocchio. Dieser ganze Mix passt so gut zusammen wie die Zutaten für ein wissenschaftliches Experiment, dessen Resultat sein Publikum zum Staunen bringen soll. Für die große Leinwand wäre das fantasievolle und dramatische Abenteuer viel eher geeignet gewesen als so manches, das den Zuschlag fürs Kino letztendlich erhält. Freaks Out ist nur im weitesten Sinne als Superheldenkino zu verstehen und entfernt es sich vom oft geprobten Idealismus begabter Gutmenschen. Letzten Endes will sich hier niemand irgendeinem Credo verschreiben müssen oder von anderen instrumentalisiert werden – diese Bescheidenheit, diese Lust an der Selbstbestimmung, gibt dem blutig-melancholischen Abenteuer seinen Esprit.

Freaks Out (2021)

Blood & Gold (2023)

EIN WESTERN AUS DEM WELTKRIEG

5/10


BloodAndGold© 2023 Netflix Österreich / Reiner Bajo


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2023

REGIE: PETER THORWARTH

BUCH: STEFAN BARTH

CAST: ROBERT MAASER, MARIE HACKE, ALEXANDER SCHEER, SIMON RUPP, JÖRDIS TRIEBEL, CHRISTIAN KAHRMANN, STEPHAN GROSSMANN, JOCHEN NICKEL U. A.

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


Schon die längste Zeit versteht Peter Thorwarth das Handwerk des Filmemachens, bereits 1999 entstand unter seiner Regie die mittlerweile doch schon als moderner Klassiker verehrte Actionkomödie Bang Boom Bang. Die Liaison mit Netflix hingegen ist noch relativ jung und hatte seinen Einstand mit der originellen Mischung aus Vampir-Horror, Katastrophenfilm und Actionthriller: Blood Red Sky. So wirklich in Erinnerung blieb dabei auf alle Fälle Peri Baumeisters zum blutdürstenden Dämon verändertes Äußeres, dass den Vampiren aus Brennen muss Salem oder gar dem guten alten Nosferatu sehr nahekam. Das alles ist handwerklich gut gemacht, das muss man sagen, doch eine vielbefahrene Piste, auf welcher das Flugzeug letztlich landen musste. In seinem neuen, auf den Fantasy Filmfest Nights  erstmals gezeigten Reißer Blood & Gold fließt zwar auch jede Menge Körpersaft, doch die Ursache dafür hat keinen paranormalen Ursprung mehr. Peter Torwarth dreht die Zeit zurück bis zu den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1945.

Irgendwo auf den Wiesen Deutschlands rennt ein Deserteur um sein Leben, der genug davon hat, die Gräueltaten der ohnehin schon gelieferten Meute an Nazi-Schergen weiter zu unterstützen. Überhaupt entsprach diese Geisteshaltung von Anfang an schon nicht seiner Wahrnehmung von der Welt, aber immerhin: besser spät als nie die Reißleine ziehen. Klar, dass das Obersturmbannführer von Starnfeld (Alexander Scheer, Gundermann) nicht gutheißen will und ihn aufknüpfen lässt. So baumelt er am Strick, als Bäuerin Elsa den halbtoten Soldaten befreit. Natürlich freunden sich beide an, während die für etwaige Partnerschaften altersmäßig gut geeignete junge Frau und ihr behinderter Bruder den Blondschopf wieder aufpäppeln. Gerade zur rechten Zeit, denn von Starnfelds marodierende Gang taucht wieder auf, um den Bauernhof auszuplündern. Es kommt, wie es kommen muss: Bevor es richtig unschön wird, muss Heinrich aus seinem Versteck, um Elsa beizustehen. Womit die eigentliche Story erst so richtig beginnt. Und die Sache mit dem Gold nur so nebenbei auch nochmal Erwähnung findet. Denn in der nahen Kleinstadt, da gibt’s was zu holen. Nur wo, ist die Frage. Und wer hat es?

Der (Welt)krieg und das unverwechselbare Edelmetall sind schon des Öfteren Synergien eingegangen, die zu Filmen wie Stoßtrupp Gold, Three Kings oder eben jüngst zum finnischen Exploitation-Actioner Sisu geführt haben. Für diesen Streifen hat Jalmari Helander genau gewusst, wo er den Genremix bedienen muss, um knackiges Abenteuerkino mit Blutverlust schwer unterhaltsam anzulegen. Peter Thorwarth sitzt da nicht so fest im Sattel. Womit wir beim Genre des Westerns wären. Denn Thorwarth, der lässt seine Goldsuche im Stile einer Pferdeoper vorangaloppieren, auch diesmal wieder auf gern frequentierten Pfaden. Dabei variiert er weder die gängigen Versatzstücke, die gerne verwendet werden, um Halfter-Schurken, die aussehen wie SS-Finsterlinge, darzustellen – noch lässt sich ein ehrgeiziges Bemühen erkennen, seinen für Rache und Gerechtigkeit kämpfenden Protagonisten mehr Charisma zu verleihen als nur irgend nötig. Robert Maaser als Deserteur Heinrich, dem jegliches noch so kleine Quäntchen an Humor oder gar Selbstironie fehlt, wirkt dadurch nicht gerade durch welche Ideale auch immer inspiriert. Auch Maria Hacke als Elsa setzt ihre Rolle viel zu farb- und freudlos an. Von Jördis Triebel ganz zu schweigen. Scheer wiederum ist das wandelnde Klischee eines grotesken Nazi-Monsters. Am besten ist immer noch Simon Rupp: der Bruder, der sich um die Milchkuh schert und dann zu den Waffen greift, ist der geheime Star des Films. Nichts anderes spiegelt dort so sehr die Wut an den beschämenden Verbrechen wider, die das Hitler-Regime damals ausgeübt hat.

Wenn man davon absieht, dass die mit den Ohrwürmern Zarah Leanders und Co unterlegten, recht solide inszenierten Actionszenen tatsächlich Spaß machen, bleibt von Blood & Gold nicht sehr viel übrig, was wirklich einen gewissen Erinnerungswert haben könnte. Manieristisch, formelhaft und bar jeglicher Satire geht die dunkle Ära der Nazis wiedermal zu Ende.

Blood & Gold (2023)

Sisu (2022)

FAIRNESS AUF FINNISCH

6/10


sisu© 2023 Praesens Film


LAND / JAHR: FINNLAND 2022

REGIE / BUCH: JALMARI HELANDER

CAST: JORMA TOMMILA, AKSEL HENNIE, JACK DOOLAN, MIMOSA WILLAMO, ONNI TOMMILA U. A.

LÄNGE: 1 STD 31 MIN


Wenn ein Außenseiter, der mit unorthodoxen und zweifelhaften Methoden dennoch eine gewisse Moral vertritt, wirklich schlimmen Jungs den Garaus macht, sei es nun aus Rache oder um die Schutzlosen zu beschützen – wenn so ein Fremder ohne Namen und mit wenigen Worten auf den Lippen in diesem Streben gar nicht anders kann als nicht zu sterben, dann ist das ein gern interpretierter Mythos in der Welt des Kinos. Und längst nichts Neues mehr. Ob Clint Eastwood, Chuck Norris oder Arnold Schwarzenegger – sie alle sind überzeichnete und fern realer Umstände Kämpfe austragende Kultfiguren, die unsere Sehnsucht nach einer gerechteren Welt zumindest in diesen paar Stunden, in denen sie über den Screen flirren, stillen können. Quentin Tarantino geht sogar so weit und verändert die Geschichte, um zu bekommen, was einer Welt mit moralischem Ordnungs-Soll eigentlich zusteht. 

Dieser wortkarge Finne im Actionstreifen Sisu ist auch so einer. Sisu – das ist finnisch steht für eine schwer bis gar nicht übersetzbare Umschreibung eines hartnäckigen Überlebenswillens. Und ja, ich muss zugeben – hartnäckiger ums Überleben kämpft eigentlich nur noch John Wick, der als Stehaufmännchen im letzten Teil seines Franchise was weiß ich wie oft die Stufen zum SacréCœur hat hochlaufen müssen.

Im Jahr 1944, während die Nationalsozialistische Armee bei ihrem Abzug aus Finnland nur verbrannte Erde hinterlässt, hat sich der Eigenbrötler Aatami Korpi, ehemals Kampfmaschine in den Diensten der finnischen Armee und rund 300 Russen am Gewissen, vom Krieg abgewandt und sucht in den weiten Ebenen Lapplands nach Gold. Seine Suche wird alsbald belohnt, und Fortuna schüttet in Form schwerer Edelmetallklumpen ihr Füllhorn aus. Auf dem Weg zurück in die Zivilisation queren marodierende Nazis seinen Weg – und zumindest einige von denen müssen sehr bald schon auf deftige Weise ins Gras beißen. Vom Gold wird dann auch noch Obersturmführer Helldorf (fast so garstig wie seinerzeit Lee van Cleef: Aksel Hennie) angelockt. Und es beginnt eine Hasenjagd per Panzer quer durchs Gelände, während Korpi sein Survival-Know How auspacken muss, um den Verbrechern immer eine Nasenlänge voraus zu sein.

Bald aber stehen die Chancen für den Anti-Helden ziemlich schlecht. Und nach allen Parametern der Logik wäre Sisu ein Kurzfilm mit einer Länge von fünf, na sagen wir zehn Minuten. Doch nein – Nazis wie diese müssen – zumindest aus hier kolportierten sadistischen Gründen – dem groben Gutmenschen gegenüber Kulanz walten lassen. So verlangt es das Skript, so verlangt es nicht nur das Subgenre des längst aus der Zeit gefallenen Bahnhofs- oder Grindhouse-Kinos. Robert Rodriguez und Mastermind Tarantino – den beiden gelang es glatt,  das Vokabular der Exploitation-Filme mit Werken wie Death Proof, Planet Terror oder Machete neu erklingen zu lassen. Einflüsse des Italowesterns sind da kaum zu übersehen.

Sisu huldigt beiden Stilen. Und macht anhand üppiger Lettern, die, formschön eingeblendet, den Film in mehrere Kapitel unterteilen, überdeutlich, womit wir es zu tun haben. Mit einer stilsicheren Reminiszenz, dessen Macher Jalmari Helander (unbedingt ansehen: Rare Exports – der etwas andere Weihnachtsfilm) sein Handwerk versteht. Und der auch weiß, worauf es ankommt, um seinen archaischen Blut- und Beuschelreißer in einem überzeichneten und vielen, wenn nicht allen Gesetzen der Logik widerstrebendem Universum zu verankern. Ein satter, rauer Score und überhöhtes Sounddesign vor allem dann, wenn im wahrsten Sinne des Wortes die Fetzen fliegen, machen aus Sisu ein fast schon physisch greifbares Event. Im Grunde aber ist, so hingefetzt das Ganze inszeniert ist, nichts davon wirklich innovativ. Ein Mann-Armeen gibt‘s mittlerweile viele. Nazis fahren auch nicht zum ersten Mal zur Hölle, während ihnen ihre abgetrennten Extremitäten um die Ohren fliegen. Im Grunde mag Sisu recht dünn ausfallen. Was man aber zu schätzen weiß, ist der lakonische Zynismus, dieser schweigsame Zorn, die raue Gegend. Und die Liebe zur beinharten Trivialität, die die Grundemotionen von Rache und Genugtuung bedient.

Sisu (2022)

Rotzbub

MIT PINSEL UND BUSEN GEGEN RECHTS

5,5/10


rotzbub© 2022 Filmladen


LAND / JAHR: ÖSTERREICH, DEUTSCHLAND 2021

REGIE: MARCUS H. ROSENMÜLLER, SANTIAGO LÓPEZ JOVER

SCRIPT: MARTIN AMBROSCH

MIT DEN STIMMEN VON: MARKUS FREISTÄTTER, MARIO CANEDO, GERTI DRASSL, MAURICE ERNST, ROLAND DÜRINGER, ERWIN STEINHAUER, SUSI STACH, GREGOR SEBERG, KATHARINA STRASSER, ADELE NEUHAUSER, WOLFGANG BÖCK, THOMAS STIPSITS, BRANKO SAMAROVSKI U. A.

LÄNGE: 2 STD 28 MIN


„Was war er doch für ein wilder Hund“, konnte man damals in den Neunzigern so manche Lehrkraft auf der Graphischen Bundeslehr- und Versuchsanstalt erzählen hören, die Manfred Deix als Schüler hatte. Ein Nonkonformist und durchaus gerne vulgär – Dinge, die sich einer wie Deix eben leisten hat können. Denn nicht nur wer Geld hat, schafft an. Auch, wer das Talent besitzt, mir nichts dir nichts den Bleistift zückt und das Wesen der Karikatur auf den Punkt bringt, indem bekannte und weniger bekannte Gesichter bekannter und weniger bekannter Zeitgenossen in ihrem Wesen authentisch bleiben, darüber hinaus aber eine groteske Verzerrung erfahren, die ins Tabulose kippt. Die Karikaturen von Manfred Deix sind wunderbar hässlich, böse und gemein. Gerne auch schweinisch und ungustiös. Unterm Strich aber sind die mit Aquarell angefertigten Arbeiten schlichtweg als genial zu bezeichnen, weil sie die dunklen Ecken der österreichischen Seele, des Volkes Bigotterie und seine Selbstgerechtigkeit in einer laut hinausposaunten Verhöhnung punktgenau vorführen. Dazwischen gabs’s auch weniger Zynisches. Zum Beispiel, wenn der Künstler Katzen oder Hunderassen portraitierte, den mit den Nasenlöchern rauchenden Zigaretten-Mummin für Casablanca entwarf oder vollbusige Damen im Dirndl und mit Doppelkinn zähnefletschend feixen ließ. Schön sind diese Visagen alle nicht, aber stilsicher und unverkennbar Deix.

Nach zehnjähriger Produktionszeit gibt`s nun endlich den Film zu all den bildhaften Eskapaden. Rotzbub heißt er, und könnte unter Umständen neben der Farbe Braun auch autobiographisch gefärbt sein. Denn einen Bleistift, den hält der verträumte Hauptschüler bereits am Kinoplakat herausfordernd in Händen. Noch dazu erwacht im Sommer der Sechzigerjahre irgendwo in Niederösterreich das Interesse an der Weiblichkeit. In Siegheilkirchen – Nomen est Omen – ist für derlei Entwicklungen aber kein Platz. Dominiert wird das Dorfleben von vorgestrigen Restnazis, die inklusive Hitlergruß offen ihre Gesinnung zur Schau tragen, frauenfeindlichen Möchtegern-Patriarchen und Opportunisten, die sich dem Machtgefälle speichelleckend anpassen. Über allem kreist natürlich die katholische Kirche – eine Institution, die Manfred Deix stets am Kieker hatte. Denn es gibt kaum etwas, worüber man mit mehr Genugtuung herziehen kann. Die Dorfjugend sieht die Dinge zunehmend anders, der Traum von gigantischen Oberweiten wird ausgelebt und in der einzigen Bar des Ortes werden ganz neue Rhythmen angeschlagen – allerdings keine einzige Nummer der von Deix so hochverehrten Beach Boys. Zu guter letzt bringt Roma-Mädchen Mariolina den jugendlichen Ungehorsam gegen die Herr Karls dieser kleinen Welt erst so richtig auf Spur.

Wer Bösterreich sehen will, in all seinen verstörenden Abgründen, sollte sich lieber Ulrich Seidl oder Michael Haneke zu Gemüte führen. Rotzbub ist weit davon entfernt, sich auch nur ernsthaft aus dem Fenster einer launigen Provinzkomödie zu lehnen, was aber angesichts der Werkschau des gebürtigen St. Pöltners vielleicht zu vermuten gewesen wäre. Übrig bleiben vor allem kleine, garstige Ferkeleien wie die braunen Bremsspuren des Bürgermeisters, Flatulenzen oder aufplatzende Eiterwimmerl. Trudes dralle Brüste sieht man auch nur auf dem Blatt Papier, dafür aber gibt’s ein „Zumpferl“ statt des Mannes Nase. Elemente, die sich im Kosmos von Deix immer wieder finden lassen. Als besonders liebevoll gestaltet sich das mit des Künstlers Werken gepflasterte Innen- sowie Außensetting der Szenen – wer genau aufpasst, erkennt so einige Klassiker wieder. Ob das reicht, nebst der stets latenten NS-Nostalgie und einer Anspielung auf das Attentat von Oberwart, die österreichische Volksseele seziert zu sehen? Mitnichten. Das liegt auch daran, dass der Rotzbub als Zentrum des Geschehens eine zwar neugierige und unerfahrene, aber moralisch integre Figur darstellt, die einen konstanten, alles durchdringenden Optimismus erkennen lässt, der wiederum nichts Österreichisches an sich hat. Durch diese Sichtweise gerät der Animationsfilm in eine harm- und zahnlose, recht generisch erzählte Seitenlage. Für Deix selig,  der das Projekt am Anfang noch begleitet hat, mag das viel zu geschmackvoll sein. 

Der professionell animierte, manchmal aber vielleicht in den Beinpartien recht ungelenk in Bewegung gesetzte Film ist als liebevolle Verbeugung vor einem großen österreichischen Künstler zu sehen, der weit mehr war als nur bizarres Gewissen auf Papier. Als gallige Satire, wie sie ein Helmut Qualtinger oder Carl Merz angesichts des spießbürgerlichen Perchtenlaufs wohl geschrieben hätte, hat Rotzbub jedoch keine Chance.

Rotzbub

Resistance – Widerstand

CLOWN COURAGE UND SEINE KINDER

5/10


resistance© 2021 Warner Bros. Pictures


LAND / JAHR: USA, FRANKREICH, DEUTSCHLAND, GROSSBRITANNIEN

BUCH / REGIE: JONATHAN JAKUBOWICZ

CAST: JESSE EISENBERG, CLÉMENCE POESY, FÉLIX MOATI, MATTHIAS SCHWEIGHÖFER, BELLA RAMSEY, KARL MARKOVICS, ED HARRIS, ÉDGAR RAMÍREZ U. A. 

LÄNGE: 2 STD 2 MIN


Keine noch so offensichtliche, politisch motivierte Schandtat bleibt ohne Widerstand. Den gibt es gottseidank immer. Jenes Aufbegehren in Frankreich zur Zeit der deutschen Invasion war noch dazu kein verpuffendes Händeringen, sondern konnte einiges bewirken. Wie zum Beispiel die Rettung unzähliger jüdischer Kinder vor der Vernichtung. Dabei fällt der Name eines Künstlers, der wohl angesichts seiner Tätigkeit als weltberühmtester Pantomime wohl nicht so schnell mit politischem Aktivismus in Verbindung gebracht worden wäre: Marcel Marceau, ebenfalls jüdischer Abstammung und zum Leidwesen seines Vaters, einem Metzger, einer, der auf den Kleinbühnen Frankreichs gerne den aphonen Hanswurst gibt. Ob brotlose Kunst oder nicht: dem Publikum gefällt‘s. Mitten in diese Zeit des Tuns und Lassens, was einem gerade so gefällt, bricht der Zweite Weltkrieg. Flüchtlinge sammeln sich an den Grenzen zu Frankreich, Marcel (damals noch nicht Marceau) ist vor Ort, sieht das Leid und den Kummer der verwaisten Kinder. Ab diesem Zeitpunkt wird alles anders, der Pantomime hilft, wo er nur kann. Versucht, mit etwas Humor Trost zu spenden in einer Zeit voller Trübsal. Und schließt sich, nachdem Frankreich über Nacht annektiert wird, dem Untergrund an. Dort, wird er Geschichte schreiben, in dem er Flüchtlingskinder über die Berge in die Schweiz bringt. Später wird er Verbindungsoffizier der US Army unter George S. Patton sein.

Was dieser Mann proaktiv geleistet hat, das nenn ich Engagement und Courage. Ganz klar, dass Marceaus Erinnerungen, auf welchen der Film basiert, bestens dafür geeignet sind, verfilmt zu werden. Die Frage ist nur: ist Jesse Eisenberg für die Darstellung des außergewöhnlichen Franzosen eine gute Wahl? Wiederholt bleibt Eisenberg in so manchen Filmen relativ blass, auch nicht sehr charismatisch. Ausnahmen gibt es, so zum Beispiel die Sozialsatire The Art of Self Defense, in welcher er als Nobody versucht, durch das Erlernen von Karate seinem Mann zu stehen. Als Marcel Marceau überzeugt Eisenberg nur bedingt – vielleicht, weil sein Spiel zu gefällig ist. Zu austauschbar. Clémence Poésy und der von mir sehr geschätzte österreichische Schauspieler Karl Markowicz als Marceaus Vater können sich mit der europäischen Geschichte besser identifizieren als Eisenberg selbst, obwohl dessen Eltern osteuropäisch-jüdischen Ursprungs sind. Der Eindruck einer schauspielerischen Distanz bleibt dennoch.

Bösewicht Matthias Schweighöfer geht’s da ähnlich. Er macht, was auch August Diehl in seinen Nazi-Rollen immer macht: Stereotypen bedienen. Resistance – Widerstand unter der Regie von Jonathan Jakubowicz setzt sich mit der humanitären Katastrophe nur oberflächlich auseinander. Das lässt sich anhand der recht einfach gezeichneten Figuren erkennen, die allesamt in ihrer idealisierten oder gar simplifizierten Geisteshaltung, die sie haben müssen, die Erwartungen bedienen. Das große Drama ist zwar da, unterliegt aber einem sentimentalen Weichzeichner. Marceaus Erinnerungen geraten zur scheinbar mündlich überlieferten Legende – in diesem Licht könnte auch Resistance trotz des Umschiffens traumatischer Abgründe manche vielleicht etwas mehr überzeugen als mich.

Resistance – Widerstand