Last Contact (2023)

NAH AM WASSER GEBAUT

4/10


lastcontact© 2023 Weltkino


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND, ESTLAND, VEREINIGTES KÖNIGREICH 2023

REGIE: TANEL TOOM

DREHBUCH: MALACHI SMYTH

CAST: KATE BOSWORTH, THOMAS KRETSCHMANN, LUCIEN LAVISCOUNT, MARTIN MCCANN U. A.

LÄNGE: 1 STD 57 MIN


Natürlich ist im Kino unsere Welt längst aus dem Gleichgewicht geraten. Aus dem Schneeball Erde ist dank unseres Zutuns und eines rasanten Klimawandels ein dampfender Wasserball geworden, der um die Sonne seine Runden dreht. Filmtechnisch hat man so ein radikales Szenario längst aufgegriffen: Für Kevin Reynolds war Waterworld allerdings ein Sprung in unbekannte Gewässer, und selten entwickelte sich ein Monumentalprojekt wie dieses, das, anstatt CGI einzusetzen, alles per Hand geschnitzt hat, so derart zum finanziellen Debakel, dass der Film mit Kevin Costner allein dadurch zum Kult wurde. Eine Katastrophe wie diese, inhaltlich wie produktionstechnisch, musste man irgendwann mal gesehen haben. Wer das noch nicht getan hat: Bitte nachholen. Denn qualitativ gesehen hat der dystopische Mad Max-Streifen zu Wasser durchaus seine Guilty Pleasure-Momente.

Filme mit ganz viel Wasser drumherum sind also ganz sicher nicht leicht auf die Beine zu stellen – es sei denn, man begnügt sich damit, das ganze Abenteuer in seiner Spielfläche erheblich einzuschränken. Statt ganze Wasserdörfer und rostige Öltankern wie die Exxon Valdez, auf der Dennis Hopper als einäugiger Smoker-Pirat sein Unwesen treibt, ragt in der postapokalyptischen Sci-Fi des estnischen Regisseurs Tanel Toom lediglich eine auf drei mächtigen Pfeilern errichtete, an ein Baumhaus erinnernde Plattform aus dem Wasser, die bewacht werden muss. Oder anders formuliert: nicht die Plattform selbst wird bewacht, sondern das, was im Inneren wohnt. Der Verdacht liegt nahe, dass es sich dabei um eine Kernwaffe handeln könnte und ja, richtig – genau das ist es. Eine Bombe, die nur darauf wartet, gezündet zu werden, wenn die Chancen jener Partei, die seit gefühlten Ewigkeiten einen Krieg um die letzten Reste trockenen Bodens führt, zu schlecht stehen, um sie auf andere Weise wieder aufzubessern. Zu diesem Zweck sind eine Frau und drei Männer als militärische Sondereinheit dazu verdonnert, Wache zu schieben, den Außenposten zu warten und der baldigen Ablöse entgegenzuharren, denn je länger hier ein menschliches Gemüt der Monotonie eines wenig erquickenden Alltags ausgesetzt sein muss, je eher droht der Lagerkoller. Als der heiß ersehnte Stichtag zur Abreise endlich schwarz auf weiß am Kalender steht – tut sich nichts. Kein Schiff holt sie ab, keine Meldung gibt’s von jenseits der weiten Wasserwüste. Was tun angesichts einer wohl ewig andauernden Hölle des Wartens und Nichtstuns? Ein Disput scheint vorprogrammiert, und Kommandant Thomas Kretschmann einer, der sich dem militärischen Gehorsam verpflichtet hat, komme, was wolle. Eine Einstellung, die sonst niemand hier teilt, einsam und verlassen auf hoher See.

Ein Gefühl der Verlassenheit bemächtigt sich auch beim Betrachten eines Waterworld für Arme, der das psychologisch hochinteressante Dilemma der Ungewissheit einfach nicht nutzen will, um vielleicht eine wendungsreiche Geschichte zu erzählen. Was fehlt, sind nicht nur von außerhalb einwirkend höhere Mächte, wenn man mal von einer perfekten Welle absieht, die gleich zu Beginn des Films hereinbricht. Was fehlt, ist auch die Lust daran, sich angesichts dieses klaustrophobischen Settings soweit auszutoben, um vielleicht gar einen Psychothriller daraus entstehen zu lassen, der mehr zustande bringt als Maschinenöl, raue Seeluft, einen herrischen Machtmenschen und einem an der Tagesordnung stehenden Misstrauen gegen alles und jeden und überhaupt gegen eine Gesamtsituation, die sich schwertut, einer auf der Hand liegenden Initiative, die jeder noch bei Sinnen befindliche Mensch wohl ergriffen hätte, aus dem Weg zu gehen. Um diese Möglichkeit, die den Film wohl nach einer halben Stunde beendet hätte, zu vereiteln, konstruiert Tanel Toom einen unempfundenen Konflikt, dem sich der Zuseher stellen muss.

Die Gefahr eines Atomsprengkopfes erscheint vernachlässigbar angesichts einer globalen Katastrophe, so weit draußen im Nirgendwo. Die Gewichtung der Prioritäten schlägt fehl, und die Zuspitzung auf einen erwartbaren Showdown birgt die freudvolle Vermutung, die auf der Stelle tretende Gesamtsituation neu zu würfeln. Last Contact – oder im Original: Last Sentinel (eigentlich passt beides irgendwie) – mag handwerklich sauber inszeniert sein, und auch das stahlgraue Gesamtbild eines verlorenen Postens mag Freunde technisch-utopischer Soldatenfilme milde stimmen. Ein bisschen etwas versucht Toom aus dem Endzeit-Klassiker Das letzte Ufer zu übernehmen, diese strapazierte Hoffnung auf Erlösung und einen besseren Ort. Allein: Das Zusammenspiel von Bosworth, Kretschmann und Konsorten birgt keinerlei Zwischentöne, sondern lediglich formelhaftes Spiel.

Last Contact (2023)

Vincent Must Die (2023)

HIEBE AUF DEN ERSTEN BLICK

6/10


vincentmustdie© 2023 goodfellas.film


LAND / JAHR: FRANKREICH, BELGIEN 2023

REGIE: STÉPHAN CASTANG

DREHBUCH: MATHIEU NAERT

CAST: KARIM LEKLOU, VIMALA PONS, FRANÇOIS CHATTOT, KAROLINE ROSE SUN, EMMANUEL VÉRITÉ, MICHAEL PEREZ, HERVÉ PIERRE, RAPHAËL QUENARD U. A.

LÄNGE: 1 STD 55 MIN


Eines der wichtigsten Punkte auf der Verhaltensagenda, will man zu den in Zentralafrika lebenden Gorillas aufbrechen, ist folgende: Sieh einem Silberrücken niemals in die Augen, er könnte es als Provokation auslegen und als nächste Konsequenz seinen Status gefährdet sehen. Was das bedeuten würde, muss ich hier gar nicht näher erläutern. Nur: es würde der Gesundheit schaden, fehle der Respekt. Schließlich ist man in seinem Revier, unwillkommen, aber geduldet.

In Zeiten wie diesen ist Homo sapiens, der ja ebenfalls zu den Primaten zählt und irgendwie doch auch mit Menschenaffen, wie wir sie kennen, verwandt ist, auf Impulse von außen hochfrequent eingestellt, wie ein Metalldetektor, der jedes noch so letztklassige Erz im Acker verorten soll. Überstrapaziert, überreizt und traumatisiert, kombiniert mit Trunkenheit oder sonstiger künstlich zugeführter Beeinträchtigung, fehlt nicht mehr viel, um dem Gegenüber, das allein schon durch seine blanke Anwesenheit einen Affront für den anderen darstellen könnte, eine reinzuhauen. Bei Widerworten könnte, wie vor kurzem in einer Wiener U-Bahn, der erste Hieb nur der Anfang sein. Zum Glück ist das Opfer mit dem Leben davongekommen, und derjenige, der dieses in schierer Rage halbtot geprügelt hat, hinter Schloss und Riegel gelandet. In einer überreizten Gesellschaft scheint auch die tragikomische Endzeitmetapher Vincent Must Die zu spielen, obwohl es danach aussieht, als wäre dort alles nur Alltag, und unser Protagonist, angestellt als Grafiker in einer Werbeagentur, versucht nur, wie wir alle, sich manche Wochentage schönzureden und Kollegen mit augenzwinkerndem Humor zu begegnen. Das hätte er besser nicht tun sollen.

Nachdem Triezen eines Praktikanten rastet dieser aus und knallt Vincent seinen Laptop ins Gesicht. Hätte ihn keiner zurückgehalten, würde Vincent nicht nur ein blaues Auge davontragen. Kurze Zeit später wieder: Ein anderer Kollege sieht sich gezwungen, dem sowieso schon in Mitleidenschaft gezogenen Angestellten einen Kugelschreiber ins Handgelenk zu rammen. Nochmal Aua. Wie es dazu kam, kann sich der Täter selbst nicht erklären. Doch diese Verhaltensanomalien sind erst der Anfang einer kollektiven Psychose, die sich als impulsiver Drang manifestiert, Vincent ans Leder zu wollen, egal mit welchen Mitteln. Der Anflug von Paranoia, den das auserkorene Opfer zwangsläufig entwickeln muss, weicht bald einer objektiven Gewissheit, denn Paranoia ist ja schließlich nur die Wahnvorstellung davon, dass es alle anderen auf einen selbst abgesehen haben.

Während Woody Allen in seiner Episodenkomödie To Rome with Love einen ganz normalen Mann von heute auf morgen zu einem Star macht, den die ganze Welt vergöttert – saukomisch interpretiert von Roberto Benigni – passiert in Vincent Must Die die Totalumkehr. Von heute auf morgen ist Vincent der Gehetzte. Eine spannende Prämisse für einen pathologischen Psychothriller, der darauf baut, sich erstmal so anzufühlen, als wäre er ein Vexierspiel, in welchem vielleicht gar nichts so ist, wie es scheint. Dass Stéphan Castang dann die Kehrtwende hinlegt und das Horrorszenario einer Zombie-Apokalypse variiert, auch das gefällt. Doch obwohl das alles so richtig kurios klingt, weicht sich die beklemmende Tragikomödie, bei der man anfangs wirklich nicht so genau weiß, ob man lachen oder sich fürchten soll, zusehends auf zu einem stringenten Survivaldrama, das auf konventionelle Bahnen gerät, obwohl, wie man zwischendurch immer wieder merkt, es das eigentlich gar nicht will. Nur wie man mit einem Auto auf unasphaltierten Straßen zwangsläufig in die Spurrinnen der Vorgänger hüpft, gerät auch Castang auf die vielbefahrene Schneise. Dann tritt Vincent Must Die etwas auf der Stelle; man erahnt auch, was als nächstes kommt, man vermutet ohnehin schon, dass der Mut zu einer Radikalität, die vielleicht verstörend wäre, zugunsten sozialer Interaktionen, die wir alle natürlich begrüßen, weil wir uns damit wohler fühlen, weichen muss.

Nichtsdestotrotz weiß das mysteriöse Verhaltens-Drama ganz genau, wie es seine Allegorie zu setzen hat – und wofür Vincent Must Die eigentlich die Lanze bricht: Für ein Ende sinnloser Gewalt, denn welche andere gibt es denn sonst noch außer jene, die zwar Argumente ins Feld führt, um legitimiert zu werden, letzten Endes aber vermieden werden kann. So grund- und sinnlos hier der eine auf den anderen eindrischt, den Schädel gegen die Kühlerhaube des Autos donnert oder sein Opfer in der Jauchegrube zu ersticken versucht (hoher Ekelfaktor!), so sinnlos ist auch das Leid, das der Mensch dem Menschen tagtäglich zufügt. Aus dieser wechselwirkenden Spirale auszubrechen, scheint unmöglich. Wenn der Blick in die Seele des anderen der Auslöser dafür ist, seiner Aggression freien Lauf zu lassen, ist das letzte Kapitel geschrieben, die Hoffnung verloren. Wie in Bird Box könnte das oberste Gebot dann lauten: Schließe deine Augen, um nicht dir selbst, sondern mir nicht wehzutun.

Vincent Must Die (2023)

Bird Box – Schließe deine Augen (2018)

UND ALLE SPIELEN BLINDE KUH

6,5/10


birdbox© 2018 Netflix Österreich


LAND / JAHR: USA 2018

REGIE: SUSANNE BIER

DREHBUCH: ERIC HEISSERER

CAST: SANDRA BULLOCK, JOHN MALKOVICH, SARAH PAULSON, TREVANTE RHODES, JACKI WEAVER, MACHINE GUN KELLY, ROSA SALAZAR, DANIELLE MCDONALD, TOM HOLLANDER, VIVIAN LYRA BLAIR, JULIAN EDWARDS U. A.

LÄNGE: 2 STD 4 MIN


Macht man nur das leiseste Geräusch, sind sie da: Die Aliens aus A Quiet Place. Die können zwar nichts sehen, dafür funktioniert ihre Echoortung womöglich perfekt. Der Beweis macht uns sicher: Selten war Homo sapiens in der Bewältigung einer Apokalypse so sehr eingeschränkt wie hier. Schwierig wird’s auch, wenn man erstens kein Geräusch machen sollte, und zweitens nicht hinsehen darf. Am besten Augen zu, oder diese mit Stoffbändern ihrer Zweckmäßigkeit berauben. Es wären auch jene Brillen geeignet, die Thomas Gottschalk in Wetten, dass?… immer so gern verteilt hat, wenn es darum ging, Buntsftiftminen nach ihrer Farbe zu erschmecken. In Bird Box – Schließe deine Augen wäre man froh, wenn man solche Brillen besäße. Oder eben eine Handvoll Sittiche, die es schließlich in ihren Flügelspitzen fühlen, wenn die garstigen Entitäten heranrücken. Es lohnt sich, das Federvieh überallhin mitzunehmen. Kaum fangen diese wild zu flattern an, sollte man räumlichen Schutz suchen.

Eine perfide Filmidee, das muss man schon sagen. Was aber kommt als nächstes? Du darfst nicht riechen? Du darfst nicht schmecken oder hören? Kann sein, den Ideen sind da keine Grenzen gesetzt, wenn sie plausibel genug aufbereitet werden. Drehbuchautor Eric Heisserer kennt sich mit extraterrestrischen oder gar paranormalen Eindringlingen ganz gut aus. Das phänomenal gut durchdachte Skript zu Arrival stammt aus seiner Feder. Des weiteren das Prequel zu The Thing oder der Horrorschicker Lights Out. Das mit dem Schwarzsehen liegt also in seinem Blut, und somit gelingt auch in Bird Box das hysterische Panorama einer beklemmenden Katastrophe, welche die gesamte Menschheit in einen Massensuizid stürzt, weil jene, die nicht rechtzeitig ihre Augen verschließen konnten, Dinge zu Gesicht bekommen, die eine Todessehnsucht auslösen, dass nicht mal die stärksten Antidepressiva etwas dagegen ausrichten könnten. In welcher schleichenden Eskalation sich dieses Szenario Bahn bricht, ist sogar stärker als das in A Quiet Place. Weil niemand sieht, nicht mal der Zuseher, was passiert. Weil niemand greifen, erfassen oder verorten kann, wo die Ursache steckt und was sie ist.

Es könnte passieren, dass fehlende Antworten auf all die Fragen letztlich dazu führen, in resignatives Desinteresse beim Zuseher umzuschlagen. Andererseits: In Hitchcocks Die Vögel ist auch niemals klar, warum Krähen und Spatzen so viel Stunk machen. Doch zumindest konnte man sie sehen. In Bird Box – Schließe deine Augen lässt man das Publikum dumm sterben – aber lieber dumm, als in grenzenloser Traurigkeit. Schließlich lässt sich nicht zeigen, was den Tod bringt. Oder hat irgendjemand schon mal in die lethalen Augen von Nikolai Gogols Erdgeist Wij geblickt und kann darüber berichten? Eben. Und dennoch bleibt die Tatsache eine unbefriedigende.

In diesem Extremszenario gibt Sandra Bullock die Mutter ihres eigenen und eines fremden Kindes, deren leibliche Eltern leider hinsehen mussten. Alle drei sind unterwegs zu einer Zuflucht inmitten der Wildnis, in der es sich, fern jeglicher Aggressoren, leben ließe. Auf einem Boot schippern sie flussabwärts – dazwischen wagt sich Bullock zu erinnern: Was eben war, wie sie mit einer Handvoll fremder Leute in einem Haus Zuflucht gesucht hat, wie sie dort womöglich Jahre ihres Überlebens verbracht hat, und was dazu geführt hat, dass einer nach dem anderen wegsterben musste. Soziale Diskrepanzen, Psychospielchen und seltsame Anomalien bei psychisch gestörten Menschen, die hinsehen können, ohne Schaden zu erleiden, unterbinden jegliche Langeweile.

Und dennoch gerät die Gefahr in Bird Box zu einer ziemlich austauschbaren. Im Grunde ist es ganz egal, was hier die Apokalypse losgetreten hat. Die meiste Zeit des von Susanne Bier (u. a. Zweite Chance) inszenierten Streifens handelt vom Leben im Hausarrest, etwas Lockdown-Feeling kommt auf und kurios dabei ist, dass trotz des Zusammenbruchs jeglicher Infrastruktur der elektrische Strom immer noch funktioniert und das Wasser fließt. Die unter falschen Voraussetzungen geschilderten Notsituationen erschöpfen sich nach einiger Zeit, und andauernd drängt die Frage, ob man den perfiden Entitäten irgendwie auf den Zahn fühlen könnte. Da hier nichts passiert, bleibt ein generischer Endzeithorror über, der mit dem Unerklärlichen so wenig wie möglich interagieren will.

Bird Box – Schließe deine Augen (2018)

It Comes at Night (2017)

NACHBARSCHAFTSHILFE ZU KRISENZEITEN

6,5/10


itcomesatnight© 2018 Leonine Distribution


LAND / JAHR: USA 2017

BUCH / REGIE: TREY EDWARD SHULTS

CAST: JOEL EDGERTON, RILEY KEOUGH, CHRISTOPHER ABBOTT, CARMEN EJOGO, KELVIN HARRISON JR. U. A.

LÄNGE: 1 STD 31 MIN


Schon wieder ist es passiert. Die Welt geht abermals vor die Hunde, und mittlerweile kann ich die Fülle an Postapokalypsen, Pandemien und Zivilisationsuntergänge gar nicht mehr alle zählen, so wütet das Subgenre des phantastischen Films durch die Unterhaltungskultur. Diesmal haben wir es aber mit einer astreinen Pandemie zu tun, die niemanden zu ominösen Kreaturen mutieren lässt, die das Blut der Gesunden wollen, sondern seine Opfer ähnlich der Pest und ohne viel Federlesens unter die Erde bringt. Natürlich nicht, ohne vorher einen Steckbrief mit allerhand Symptomen zu hinterlassen. Dafür sind Viren schließlich eitel genug.

It Comes at Night katapultiert den Zuseher mitten ins Geschehen, ohne wirklich viel zu erklären. Zugegeben, es ist herzlich wenig, aber viel mehr muss man auch nicht wissen, nur eben, dass die Krankheit dermaßen ansteckend ist, dass sich Gesunde den Kranken nur mit Atemmasken nähern können. Dazu Gummihandschuhe und auf keinen Fall berühren! So blickt die Familie rund um Joel Edgerton auf den dahinsiechenden Großvater, der kurz davor steht, dahingerafft zu werden. Er wird also halbtot vor die Tür gebracht, von dort mit der Schubkarre in den Wald, erschossen, angezündet und eingegraben. Contact Tracing hin, Quarantäne her – diese Prozedere wünscht man sich wirklich nicht durchzuziehen, wenn’s die eigenen Reihen trifft. Doch was bleibt Paul und seiner Familie, bestehend aus Frau und Teenager, auch anderes übrig, als in den sauren Apfel zu beißen, um nicht selbst draufzugehen. Bislang scheint das Überleben durchgetaktet genug, um auch weiterhin durchzuatmen – dazu gehört: Kein Kontakt mit Fremden, des Nächtens Verdunklung und so wenig wie möglich aus dem Haus gehen. Doch trotz Apokalypse lebt man nicht allein auf der Welt, und wie der Titel schon sagt, passiert es vorzugsweise zu nachtschlafener Zeit, wenn sich Unbekannte Zugang in die verbunkerte Villa verschaffen, die verzweifelt auf der Suche nach Essbarem sind.

So fängt es also immer an. Das Nachbarschaftsgen wird aktiv, Solidarität für andere zeichnet den Menschen erst für seine Menschlichkeit aus. Und auch nachdem es zuerst den Anschein hat, besagter Eindringling führe Böses im Schilde: dieser ist noch ärmer dran als die Verbunkerten selbst, hat Familie und bittet um Zuflucht in einem Haus, das Platz genug gewährt für weitaus mehr Sippschaften als nur die eine. Die Sache mit der Nächstenliebe sollte man sich natürlich nicht zweimal überlegen, da sei ein Quantum an Selbstlosigkeit schon lobenswert. Bei Trey Edwards Shults (Waves) nihilistischem Kommunen-Horror zur Endzeit ist das oberste Gebot jedoch, sich selbst der Nächste zu sein, ein tunlichst nicht zu Brechendes.

Angereichert mit Albtraumszenarien im fahlen Licht von Taschenlampen, die Kelvin Harrison Jr. als Teenager Travis mit dem Publikum teilt, ist It Comes At Night ein zutiefst misstrauisches Werk, dass keine Kompromisse kennt und kennen will. Nur wer sich streng an die Regeln hält, kann überleben – der andere, der diese Regeln verbiegt, eher nicht. So unterzieht sich die Menschheit in dieser beklemmenden und zutiefst freudlosen Zukunft, die sogar jenen Funken der tröstenden Zweisamkeit vermissen lässt, den immerhin The Road noch aufweisen konnte, der Radikalkur einer gnadenlosen Evolutionsstrategie, die zu vernichten hat, was sich nicht anpassen kann. Doch es ist weniger das Subjekt einer wandelbaren Natur, sondern das strenge Gerüst eines teils fanatischen Dogmas, das alle in Gefahr bringt. Nach dem Herdentrieb des Menschen liegt die Zukunft nun in der Vereinzelung. Nächstenliebe und Altruismus sitzen da genauso am absterbenden Ast wie die Spezies selbst, die durch das Gemeinsame erst so viel errungen hat.

Lange vor Corona nahm dieses finstere Schreckgespenst einer Pandemie die Angst vor Ansteckung vorweg. Gut also, bei Betrachtung des Streifens bereits zu wissen, dass jener Virus, der uns nun schon drei Jahre lang quält, uns nicht zu solchen Maßnahmen hat greifen lassen wie Joel Edgerton es als seine Pflicht ansieht.

It Comes at Night (2017)

28 Days Later

DAS VIRUS IST EINE INSEL

7/10


28-days-later© 2002 Twentieth Century Fox


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN 2002

REGIE: DANNY BOYLE

SCRIPT: ALEX GARLAND

CAST: CILLIAN MURPHY, NAOMIE HARRIS, BRENDAN GLEESON, MEGAN BURNS, CHRISTOPHER ECCLESTON, NOAH HUNTLEY U. A.

LÄNGE: 1 STD 53 MIN


Wir können wirklich froh sein, dass uns „lediglich“ Corona in der Mangel hat, und nicht sowas wie das hier: ein künstliches Virus, das den Homo sapiens bis zur Weißglut treibt und dabei auch noch darauf schaut, dass dieser genug Sport macht. Da hilft kein Lockdown für Ungeimpfte mehr, weil diese Sorte Querdenker würde jede Bude stürmen, gäbe es dort noch Zweibeiner, die man beißen kann. Diese aufgrund menschlicher Dummheit entfachte Endemie hat das Pech, in Großbritannien ausgebrochen zu sein. Das Vereinigte Königreich ist schließlich eine Insel, und übers Meer kommt das Killervirus auch nicht, da dieser nur – Gott sei Dank – über Blut und Speichel übertragen werden kann. Die Aerosole lachen sich dabei ins Fäustchen, die haben’s mit Corona besser erwischt. Aber gut: der Rest der Welt muss nun zusehen, wie die Briten vor die Hunde gehen.

Einer, der noch keine Ahnung davon hat, was Sache ist, erwacht eines Tages in einem leergefegten Krankenhaus, am Tropf hängend und splitternackt. Im Ärztekittel steht Jim dann alsbald auf den leergefegten Straßen Londons und ruft seine Hallos in die Runde – niemand antwortet. Ein Bild, das mittlerweile in die Filmgeschichte eingegangen ist. Vor einiger Zeit hätte man noch sagen können: Ein Bild, das den Lockdown ganz gut skizziert. Aber das hier ist Endzeit pur – von der Sorte, die niemand seinem schlimmsten Feind wünschen würde. Denn richtig verquer wird die Lage erst, als Jim die Beine in die Hand nehmen muss. Die Zombies aus 28 Days Later sind nämlich keine torkelnden traurigen Gestalten mit halb verwesenden Leibern, sondern instinktgetriebene Aggro-Bürger, die im Urban Running wohl Bestzeiten schreiben würden.

Nach zwei Jahren Corona, wo wir alle schon etwas pandemiemüde geworden sind, ist Danny Boyles zackig geschnittener und manchmal sehr chaotisch herumfuchtelnder Videoclip-Horror genau der richtige Absacker. Wie es aussieht, haben wir das Schlimmste vielleicht hinter uns, also könnte diese Schreckensvision aus den frühen 2000er Jahren nicht mehr zwingend für schlaflose Nächte sorgen. Düster ist der apokalyptische Entwurf aber dennoch. Und das deswegen, weil der aus dem menschlichen Verhalten herausdestillierte blanke Hass das Zeug zum lähmenden Schreckgespenst hat. Wer bisher Zombies stets belächelt hat, lernt bei diesen ausrastenden Normalbürgern ein bisschen das Fürchten. Die unkontrollierte Wut und die Gewalt im Affekt ist im Grunde auch das, was uns Abstand halten lässt vor verhakltensauffälligen Fremden. Mit diesen Instinkten probieren Boyle und Drehbuchautor Alex Garland (u.a. Auslöschung) freudig herum, zumindest anfangs – um dann mit bizarrer Endzeit-Logik aufzuräumen. Mag sein, dass 28 Days Later Robert Kirkman und Tony Moore für ihre 2003 gestartete Graphic Novel The Walking Dead inspiriert haben. Auch hier droht die Gefahr nicht nur von außerhalb, sondern auch an der eigenen Front, die keinen Schulterschluss mehr zulässt, weil jeder so seinen eigenen Entwurf von der Rettung der Menschheit hat. Das macht Boyles Film psychologisch interessant und Cillian Murphy in seiner großen Erfolgsrolle zum schlaksigen, stets am Rande der Erschöpfung befindlichen Helden, der bereits erlernte humane Werte nicht einfach so über Bord wirft.

Über Bord wirft Danny Boyle aber manchmal so einige plausible Wendungen, die für das Andrehen so mancher Spannungsschraube geopfert werden. Hätte gar nicht mal sein müssen, da 28 Days Later seine Qualitäten nicht aus dem Suspense bezieht, sondern aus dem von einem unheilvollen Score unterlegten, hilfeschreienden Panorama einer sich selbst aufzehrenden Anarchie.

28 Days Later

A Quiet Place 2

ALLE MAL HERHÖREN!

7,5/10


aquietplace2© 2020 Paramount


LAND / JAHR: USA 2020

BUCH / REGIE: JOHN KRASINSKI

CAST: EMILY BLUNT, MILLICENT SIMMONDS, NOAH JUPE, CILIAN MURPHY, DJIMON HOUNSOU U. A.

LÄNGE: 1 STD 37 MIN


Selten haben wir Menschen so sehr etwas nicht im Griff gehabt. Und damit meine ich nicht unser Virendilemma in der für uns allen synchronisierten Wirklichkeit. Da scheint es zumindest in einigen Teilen der Welt langsam bergauf zu gehen. So wirklich am Allerwertesten ist Homo Sapiens diesmal nicht wegen mikroskopisch kleiner Lebewesen, sondern aufgrund raumfüllender, bissfreudiger und höchst gelenkiger Akrobaten. Raubtiere from Outer Space, soviel wird zu Beginn des Sequels zu A Quiet Place sofort klar. Diese Dinger landen überall auf der Welt. Doch wie konnte das nur passieren, dass wir diesen animalische Riesen, die weder über irgendeine Art Technologie verfügen noch in ihrem Instinktverhalten schwer zu durchschauen sind, einen ganzen Planeten überlassen? Angesichts hoch aufgerüsteter Staaten, forschenden Koryphäen und einem gesunden Menschenverstand wären die blinden Wüteriche, die sicherlich irgendwie mit Venom verwandt sein müssen, als Plage sehr schnell vom Angesicht dieser Erde getilgt. Die Welt, so scheint es, dürfte aber so einiges verschlafen haben, vielleicht waren auch zu viele Lobbies darin involviert, zu viele Begehrlichkeiten, die alle Seiten in der Umsetzung ihrer Strategien gehemmt haben.

Hätte die Menschheit nur halb so viel Vernichtungsfreude an den Tag gelegt wie bei einigen unserer ausgerotteten und unwiederbringlichen Tierarten, gäbe es kein Quiet Place. Wenn überhaupt, dann nur einen Sommer lang. Auf dieser hinterfragungswürdigen Basis errichtet Joseph Krasinski voller Elan das Da Capo zu einem sehr erfolgreichen Kinokassenschlager. Die bewährten Zutaten sind abermals ein kleiner, überschaubarer Plot und ein spezieller Kniff: Die Aliens können nicht sehen, aber verdammt gut hören. Wie Hunde eben. Nach dem Prolog macht der Film genau da weiter, wo das Original zuletzt geendet hat. Mutter Emily Blunt streift mit ihren drei Kindern barfuß durchs Land (Wie wär’s mit Sneakers?). Wohin, ist nicht klar. Kurze Zeit später entdecken sie einen alten Bekannten wieder. Der hat sich aber stark verändert, nicht nur optisch. Auch sein Charakter gleicht dem eines einsamen Mad Max, der sich in einer alten Fabrik verschanzt hat. Hilfe ist von ihm erstmals keine zu erwarten. Angesichts dieser Umstände muss Töchterchen Regan (tough: Millicent Simmonds) die Sache allein in die Hand nehmen, hat sie doch die Position des einzigen noch aktiven Radiosenders lokalisiert, der sichere Zuflucht verheißen könnte – und gar nicht mal so weit weg liegt.

Obwohl ich den ratlosen Protagonisten in A Quiet Place 2 händeringend das Offensichtliche begreifbar machen möchte, ist es letzten Endes ein jauchzendes Vergnügen, wenn endlich der Groschen fällt. Bis es so weit kommt, macht John Krasinski auch schon im Vorfeld vieles richtig. Und vielleicht gelingt ihm dabei sogar mehr als bei seinem Erstling. Das Spiel mit der Stille, kombiniert mit den knackenden Geräuschen der Aliens, bietet Breitseiten für kreatives Austoben. Der Suspense mag vorhersehbar sein, die Intermezzi und die listigen Duelle mit den Kreaturen erinnern frappant an die schönsten Begegnungen mit Ridley Scotts Xenomorph. Krasinskis staksende Wesen punkten nebst ihrer schaurigen Wertigkeit als absolute Hingucker mit  durchdachtem Creature-Design und kommen diesmal auch mehr zur Geltung. Dabei sind sie wie in Alien immer Teil ihrer Umwelt, verschmelzen mit Maschinen, werfen expressionistische Schatten. Klassisches Monsterkino.

Auch wenn Emily Blunt und Co und überhaupt die ganze Menschheit hier lange nicht eins und eins zusammenzählen können – versöhnlich stimmt, dass Krasinski leeren dramaturgischen Floskeln aus dem Weg geht. Sein Finale ist überdies grandios gelungen. Dicht, flott geschnitten und mit stimmigem Score hinterlegt. Das knappe und gleichermaßen sehr elegante Ende macht manch Fragwürdiges wieder gut, ist knackig und hat Understatement. Meines Erachtens nach wäre die Geschichte rund um eine Bioinvasion wie diese somit punktgenau auserzählt. Ein weiterer Teil könnte den Eindruck erwecken, lediglich die Kuh – oder das Monster – melken zu wollen. Das könnte zur Folge haben, dass keiner mehr hinhören will.

A Quiet Place 2

Awake

NICHT GANZ AUSGESCHLAFEN

3,5/10


awake© 2021 Netflix


LAND / JAHR: USA 2021

BUCH / REGIE: MARK RASO

CAST: GINA RODRIGUEZ, JENNIFER JASON LEIGH, BARRY PEPPER, ARIANA GREENBLATT, FINN JONES, GIL BELLOWS U. A. 

LÄNGE: 1 STD 36 MIN


„Schlafen kann ich, wenn ich tot bin“. Diese lässig dahingesagte Phrase höre ich immer wieder mal von Leuten, die – ich weiß nicht woher – unglaubliche Energien aufbringen, um zeitgleich auf mehreren Kirtagen zu sein. So ein Biorhythmus ist beneidenswert. Manche Menschen schaffen es ja auch tatsächlich ohne Schwierigkeiten, nach drei Stunden Schlaf bereits fit wie ein Turnschuh zu sein. Da fällt einem Koala vor lauter Schreck der Eukalyptus aus dem Maul. Dabei stellt sich die Frage, ob dieser Stolz, nicht schlafen zu brauchen, nicht die Kompensation eines frustrierenden Zustands ist. Denn Schlaf ist etwas Schönes. Ich will davon keine meiner acht Stunden missen. Schlaf ist nicht sinnlos. Durch Schlaf bleibt man zumindest gesellschaftsfähig. Geistig frisch und natürlich auch gelassen. Aber was wäre, wenn Schlafen durch äußere Einwirkungen nicht mehr möglich ist? Wenn man daran gehindert wird, in dieses erholsame, samtschwarze, umschmeichelnde Nichts einzutauchen?

Diesen unheilvollen Zustand, einfach nicht zur Ruhe kommen zu dürfen, schildert aus meiner Sicht Franz Kafka am besten. In seinem fragmentarischen Werk Das Schloss wird Josef K. auf seinen nicht enden wollenden Amtswegen zu jedweden unheiligen Zeiten am Schlaf gehindert. Diese andauernde Verfügbarkeit – sie manifestiert sich wie ein Alptraum. Aber es geht auch anders: auf Schlaf lässt sich auch aktiv verzichten: wie das Wunderkind Elias Alder aus Josef Vilsmaiers Schlafes Bruder es getan hat, natürlich nur aus Liebe. Nicole Kidman wiederum durfte.nicht.schlafen, weil sie sonst vielleicht der diabolische Ehemann holt. Im neuen Science-Fiction-Thriller Awake, erschienen auf Netflix, stellt sich diese gesundheitsschädigende Anomalie von einem Moment auf den anderen ein.

Alle Welt kann also nicht mehr schlafen. Wir wissen, was passiert, wenn sich das nicht schnell ändert: Homo sapiens dreht durch und stirbt, um es salopp zu formulieren. Jill, Ex-Soldatin und Mutter zweier Kinder, kutschiert – hundemüde nach dem Nachtdienst – ihren Nachwuchs nach Hause, als die Elektronik des Vehikels versagt und der Wagen der Familie im Wasser landet. Alle überleben, die Tochter muss reanimiert werden. Was genau ist passiert? Überall – scheinbar auf der ganzen Welt – ist der Strom ausgefallen. Das alleine ist schon eine undenkbare Katastrophe. Mit dieser Begebenheit fällt jedoch auch die Fähigkeit weg, ins Land der Träume zu reisen. Die Welt versinkt sofort im Chaos, Militär fährt auf, und alles, was sonst noch passiert, wenn die Ordnung keiner mehr exekutieren kann. Einziger Wermutstropfen: wie durch ein Wunder ist Tochter Mathilda dennoch fähig, zu schlafen. Sie muss in ein Labor gebracht werden, um dazu beizutragen, schleunigst eine Lösung für das todbringende Problem zu finden. Ein Roadmovie hebt an, wo Gina Rodriguez und ihre Co-Stars allerhand seltsame wie erschreckende Dinge erleben, die passieren, wenn ein Grundbedürfnis nicht gestillt werden kann.

Awake von Mark Raso (Kodachrome) ist, was die Grundidee betrifft, ein faszinierender Ansatz. Es wäre Stoff für M. Night Shyamalan gewesen, der allerdings gibt sich demnächst unkontrollierten Alterungsprozessen hin. Eigentlich schade, denn Shyamalan hätte das ganze Szenario auf eine gespenstische Metaebene gehoben. Der letztlich produzierte Film spart sich die Komponente des Mysteriums, schon allein, weil er schlichtweg keine Zeit dazu hat. Der völlig falsch aufgezogene Thriller hetzt – genauso wie seine Protagonistin Rodriguez – in fahriger Manier durch den Film, die immer mal wieder kurz ins Bild tretenden Randfiguren stehen und fallen wie Pappfiguren im Wind, wobei das Verhalten aufgrund des Schlafentzugs global über einen Kamm geschoren wird. Dem Wahnsinn verfällt natürlich unisono das Fußvolk, während die Wissenschaft blutunterlaufenen Auges auf dem Holzweg taumelt. Diese ohne viel Federlesens abgespulten Musthaves für einen Endzeitstreifen erwecken den Eindruck eines ungeliebten Filmprojekts, welches förmlich danach schreit, eine Serie zu sein. So entgehen dem Thema Schlaf jede Menge gesellschaftskritische Untertöne. 

Was Awake recht gut hinbekommt, sind die letzten zehn Minuten Film. Da überwindet der Stoff seinen übernachtigen Automatismus. Müde macht der Film nicht, allerdings lässt sich vermuten, vielleicht doch – durch ein kurzes, solidarisierendes Wegnicken – etwas versäumt zu haben.

Awake

Peninsula

ZOMBIEKEGELN IN SEOUL

5,5/10


peninsula© 2020 Koch Films


LAND: SÜDKOREA 2019

REGIE: YEON SANG-HO 

CAST: DONG-WON GANG, DO-YOON KIM, JUNG-HYUN LEE, KWON HAE-HYO, LEE RE, MIN-JAE KIM U. A.

LÄNGE: 1 STD 56 MIN



Vor vier Jahren zwängten sich blutdürstende Virenträger durch die schmalen Gänge und Abteile eines Zuges nach Busan. In Busan, so hieß es, könnte man als Gesunder vor einer nicht näher bestimmten Epidemie Zuflucht suchen. Dieser spannende und hochdramatische Thriller zählt für mich bis heute zu einem der stärksten Beiträge des Zombie-Genres. Nicht aber, weil es versucht, der bereits sehr abgegriffenen Thematik neue Aspekte abzugewinnen, sondern weil Regisseur Yeon Sang-Ho es gut verstanden hat, das Potenzial eines Katastrophenthrillers punktgenau und mit sehr viel Gefühl für Timing effizient auszunutzen. Die räumliche Enge – wir wissen, so etwas macht die Dramatik noch kerniger – tat ihr Übriges.

Völlig losgelöst vom Horror auf Schiene allerdings hat Sang-Ho an einer Fortsetzung gebastelt – die genauso vier Jahre später einsetzt und die nur so viel mit dem Erstling gemeinsam hat, als dass dieser vernichtende Virus jener ist, den wir schon in Train to Busan hatten. Statt eines Zuges fährt jetzt ein Schiff nach Seoul, und zwar eines mit illegalem Auftrag. Vier Flüchtlinge, die in Hongkong relativ mittellos auf ein Ende der Katastrophe warten, bekommen die Chance, sich ein neues Leben aufzubauen, sofern sie bereit sind, ein waghalsiges Ding zu drehen: Nämlich zurück ins Zentrum des Zombiewahnsinns, um einen Truck, angefüllt mit Millionen von Dollar, aus dem Chaos zu bergen. Auftrag natürlich angenommen, so schwer wird das wohl nicht werden, vor allem wenn die Operation nachts verläuft, da diese Zombies bei Dunkelheit sowieso nichts auf die Reihe kriegen. Untertags aber sind die kranken Horden jedoch schnell, rasend schnell. Und so sehr es auch danach aussieht – sie sind nicht das einzige Problem.

Klingt nicht so wirklich nach Horror? Stimmt – in Peninsula hat es das interessierte Publikum eindeutig mehr mit einer gewissen Art von Endzeit-Action zu tun, die in ihren wildesten Momenten ganz klar seine Inspiration im Mad Max-Universum sucht. Seoul – in ansprechend postapokalyptischen Panoramagemälden für den nächsten Jahreskalender verewigt – ist Rennstrecke und Hindernisparcour zugleich. Quer durchs Gemüse und durch Zombiecluster hindurch brettern aufgepimpte fahrbahre Untersätze, hinterm Steuer Gesetzlose, die anderen Gesetzlosen nachjagen. Natürlich gibt´s auch jene, die im Meistern der Situation ganz vorne mit dabei sind, und die selbstredend zu den Guten gehören, um einen Konflikt austragen zu können, der über den Zombies steht, die in ihrer instinktgesteuerten Aggression oftmals über sich selbst fallen, um dann umgeworfen zu werden wie Kegel, als wäre Seoul eine riesige Bowlingbahn.

Peninsula ist dystopische Action, die nur in seltenen Momenten überrascht, die zeitweise sogar mit so viel Vorhersehbarkeit um die Kurve schert, dass trotz all der quietschenden Reifen Langeweile aufkommt. So etwas passiert, wenn vom Waggon bis zur Stadtgrenze der Aktionsradius expandiert. Ein ähnliches Problem hatte auch damals Stirb langsam – jetzt erst recht. Der Actionfilm erklärte gleich ganz New York zur Bühne. Seoul ist auch nicht gerade ein Dorf, dementsprechend verliert sich der wüste Banditen-Eastern in so manche dramaturgische Sackgasse – und schwächelt dem straffen Original deutlich hinterher.

Wenn schon die südkoreanische Metropole von allen Göttern verlassen scheint – das Pathos hat´s da noch nicht rausgeschafft, ganz besonders aus dem Finale nicht, das alle Register der Theatralik zieht, was auch erst gekonnt werden will, und hier nicht ohne Wirkung bleibt. Klar wird – das Publikum ist manipulierbar, ein bisschen so wie all die Zombies, die nicht anders können als funkelnden Lichtern hinterherzutorkeln.

Peninsula

Air

ATEMLOS DURCH DEN SCHACHT

5,5/10

 

air© 2015 Sony Pictures International

 

LAND: USA 2015

REGIE: CHRISTIAN CANTAMESSA

CAST: NORMAN REEDUS, DJIMON HOUNSOU, SANDRINE HOLT U. A. 

 

Nein, dieser Film handelt nicht von der französischen Synthie-Pop-Band gleichen Namens. Er handelt – ganz ohne viel Hang zur Fehlinterpretation – tatsächlich von Luft. Die ist knapp bemessen, oder wir könnten auch sagen, es gibt sie gar nicht mehr so, wie wir sie kennen. Ist mir da nicht unlängst so etwas Ähnliches auf Netflix über den Weg gelaufen? Ja natürlich, der Film hieß IO, und auch dort war unserer Atmosphäre nicht mehr wirklich danach, weiterhin atembar zu bleiben. Eine fragwürdige neue Zusammensetzung der Bestandteile führte bei IO also zum großen Exodus – und einem Lockdown der ganzen Erde. Bei IO konnten die Menschen zumindest entkommen – was für ein Glück, technisch gesehen ordentlich was weitergebracht zu haben, sonst wären wir alle gnadenlos erstickt. In Air ist der Worst Case anscheinend passiert. Homo sapiens mit Schnappatmung, danach das Ende. Die Technik: leider in den Erwartungen ganz weit hinten, und nichts innovativ genug, um dem Planeten den Rücken zu kehren. Was tut Mensch also, um nicht komplett aus den terranischen Geschichtsbüchern zu verschwinden? Er versetzt das Wissen der Menschheit in Gestalt renommierter wissenschaftlicher Koryphäen auf ihrem Gebiet in Tiefschlaf – um sie dann wieder daraus hervorzuholen, wenn die menschengemachte Kontamination der Atmosphäre (Auslöser dafür waren womöglich Kriege) wieder neutralisiert ist. Wenn es denn so weit kommt. Bewachen und Warten muss das Ganze natürlich auch irgendwer – zwei sagen wir mal Facility Manager, oder schlicht und ergreifend technisch versierte Hausmeister, die das Standby am Laufen halten. Die dürfen alle 6 Monate ebenfalls erwachen, um nach dem Rechten zu sehen. Und natürlich kommt, wie es kommen muss – die Technik versagt, und scheinbar nirgendwo gibt es Ersatzteile, um das Handwerkerduo wieder in Tiefschlag versetzen zu können. Ein Königreich für einen Baumarkt! Die Zeit drängt, denn nach zwei Stunden schaltet sich die automatische Sauerstoffzufuhr wieder ab.

Es ist ganz offensichtlich, dass die Technik in Air weit davon entfernt ist, mit dem Exodus zu fremden Planeten zu liebäugeln. Wir haben es hier mit Konsolen aus dem Fundus der antiken Enterprise zu tun. Ein Knopfgewusel und Herumgeblinke, selbst für stark Fehlsichtige nicht zu übersehen. Bildschirme aus der Prä-Apple-Klassik-Zeit. Und Videorecorder, um Aufgezeichnetes abzuspielen. In diesem Knöpfe- und Schalterkeller verrichten Walking Dead-Star Norman Reedus und Djimon Hounsou ihre Pflicht, und sie halten es gerade mal miteinander aus, wohlwissend, kurzerhand wieder weiterzuschlummern. Einer von den beiden hat aber ein Geheimnis, und das macht die ganze Szenerie durchaus interessant – wie es eben bei Zwei-Personen-Filmen interessant werden kann. Air ist ein sichtlich niedrigbudgetiertes B-Movie – angesichts des Equipments, das sich selbst für unsereins relativ schnell zusammenstellen lässt, vorausgesetzt, man hat einen Hobbykeller im Eigenheim und das Eingelegte lässt sich hinter Planen gut verbergen. Doch warum nicht – es kommt doch immer nur auf das Wie an. Und eine Idee dahinter, die natürlich zünden muss. Demzufolge hat das Science-Fiction-Kammerspiel nicht wirklich etwas falsch gemacht. Es ist ein kleiner Film, fast schon ein Intermezzo oder sagen wir ein Präludium zu etwas Größerem, zum eigentlichen Hauptfilm, der aber nie kommt. Eine solide Spielerei ist Air geworden, ein Filmchen unter Freunden, durchaus bedrückend, nicht weniger postapokalyptisch wie I am Legend oder der neuseeländische Endzeitthriller Quiet Earth. Zumindest gibts ein Backup im Dornröschenschlaf. Bleibt nur die Frage, welcher Prinz im Blaumann für den Aufwachkuss die Lippen schürzt.

Air