It Follows (2014)

EXISTENZANGST DER JUGEND

7,5/10


© 2014 RADiUS-TWC


LAND / JAHR: USA 2014

REGIE / DREHBUCH: DAVID ROBERT MITCHELL

CAST: MAIKA MONROE, KEIR GILCHRIST, OLIVIA LUCCARD, LILI SEPE, BAILEY SPRY, DANIEL ZOVATTO, JAKE WEARY U. A.

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


Der Tod dauert ein ganzes Leben, und hört dann auf, wenn er eintritt. Dieses Zitat aus dem deutschen Film Bandits mit Katja Riemann und Nicolette Krebitz werde ich wohl den Rest meines Lebens nicht mehr vergessen. Es ist zugleich tröstend als auch warnend. Und impliziert, dass der existenzimmanente Sensenmann jederzeit bereit ist, beim Sprung vom Leben ins Ableben nachzuhelfen, wenn man vergisst, achtsam genug zu sein für die raue Challenge des Lebens, das in David Robert Mitchells beklemmender Mystery mit einer Entität hereinbricht, die den jungen Leuten, die sich hier versammeln, nicht nur ein mulmiges Gefühl beschert. So ist das mit der Teenage Angst, mit dem Erwachsenwerden und der Suche nach einer Geborgenheit, die junge Leute im ausklingenden Teenageralter drauf und dran sind, zu verlieren, um sich eine neue, ganz eigene zu erschaffen. Doch bis dahin…

It Follows scheut sich dabei nicht, sämtliche Themen anzureißen, die andere Highschool-Horrorfilme nicht haben. In den gewaltgeilen Slasher-Countdowns wie Nightmare – Mörderische Träume, Ich weiß was du letzten Sommer getan hast, Scream oder wie sie alle heißen sind vorallem der Einfallsreichtum an Tötungsarten und das Platzieren von Jump Scares stilgebende Parameter für das Gelingen grauenerregender Spannung – und weniger die diffuse Stimmung einer abstrakten, allgegenwärtigen Bedrohung, wie sie hier entspannten Schrittes durchs Bild und auf die Kamera zumarschiert. Niemand würde vermuten, dass es sich hierbei um eine unheilvolle Macht handeln könnte, die es auf Jamie (Maika Monroe) abgesehen hat. Man könnte auch sagen, dieses Etwas, dass seinem Opfer beharrlich folgt, ist entweder Fluch oder metaphysisches Virus, eine kaum zu greifende, ewig existierende Macht, vielleicht gar eine in der Amygdala produzierte Angst, die sich nach außen stülpt in die dreidimensionale Welt, weil Bedrohung plötzlich alles sein kann. Interessant dabei ist der Aspekt, dass dieses Etwas durch Sex weitergegeben wird. Ist das Ganze also doch nur eine Metapher für Aids, Syphilis oder HPV, vielleicht gar ein Warnsignal eines prüden Amerikas, in welchem so einige gesellschaftspolitische Fraktionen gerne sehen würden, dass der Vollzug von Liebe gottgegeben erst nach der Vermählung erlaubt sein darf? Als wäre Sex das Übel der Welt – oder ist dann doch auch noch mehr dahinter?

Die Kraft des Zusammenhalts

Bei Sichtung von It Follows fallen die Metaebenen mit der Tür ins Haus. Mit ihr schieben sich geisterhafte Erscheinungen durch Fenster und Türen, gruselige Riesen, fauchende Kinder, entstellte Mädchen. Den Horror hat Mitchell dezent, aber wirkungsvoll eingefangen, die meiste Zeit aber entfaltet die unbequeme Ruhe vor dem nächsten Erscheinen und die damit einhergehende Machtlosigkeit ob des Mysteriösen die größte Wirkung. Maika Monroe (u. a. TAU, Longlegs) als verängstigte junge Frau schiebt auf effektive Weise Panik, und nein, das ist wahrlich kein bisschen übertrieben. Mitchell hätte dabei leicht zum Zynismus neigen können, doch das tut er nicht. Und darin liegt das Besondere an diesem Film. Seine Figuren sind weder selbst schuld noch verursachen sie anderen Schaden noch vertuschen sie irgendetwas, das vielleicht als moralische Nemesis Tribut fordert. It Follows setzt seinen Schwerpunkt auf die Gruppendynamik und den Respekt einer innigen Peer-Group, die durch Zusammenhalt, Opferbereitschaft und Liebe den finsteren Aspekten einer Existenz trotzen möchte. Mitchell zollt ihnen Respekt, verspricht keine Hoffnungen, macht aber neugierig und entschleunigt seine zwischen Stranger Things und Smile angesiedelte, existenzialistische Gruselgeschichte auf mutige Weise. It Follows ist ein Film, der das Gemüt trifft, der das Unerklärliche feiert, es dabei belässt, und gleichzeitig aber Erklärungen schafft, die das Leben betreffen, fernab von all dem Fantastischen.

It Follows (2014)

Until Dawn (2025)

WER HAT AN DER UHR GEDREHT?

5/10


© 2024 Screen Gems, Inc. and TSG Entertainment II LLC. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: DAVID F. SANDBERG

DREHBUCH: GARY DAUBERMAN, BLAIR BUTLER

CAST: ELLA RUBIN, MICHAEL CIMINO, JU-YOUNG YOO, ODESSA A’ZION, BELMONT CAMELI, MAIA MITCHELL, PETER STORMARE U. A.

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Ist das letzte Körnchen Sand durchgerieselt, klingelt der Wecker erneut bei allen, die die Nacht davor ins Gras gebissen haben. Guten Morgen zur Nachtschicht, könnte man sagen, denn Until Dawn schickt seine unfreiwilligen Kandidaten ins Rennen um die Vorherrschaft der nächsten ersten Sonnenstrahlen. Wer bis dahin überlebt, ist fein raus und kann nach Hause. Wer das nicht tut, den weckt zwar nicht I got you Babe wie in Täglich grüßt das Murmeltier, sondern die immer gleiche Situation zu Beginn der Nacht, wenn die Sanduhr sich dreht und das Rieseln erneut beginnt.

Dieses Spiel aus der Playstation-Familie ist längst Kult, und ja, das Konzept verspricht Challenge genug, um dranzubleiben. Überhaupt sind Horrorspiele die bequeme Alternative zur Geisterbahn im Prater oder zum ausgesuchten Escape-Room, in welchem vielleicht der eine oder andere Schausteller den Ghul mimt. Hier aber sind es Wendigos, zumindest behauptet das der Film. Wenn man es genauer nimmt, gilt die Begrifflichkeit für mythologische, Waldwesen, die aufgrund des Verzehrs von Menschenfleisch verdammt sind, immer mehr davon zu essen, ohne jemals ihren hunger zu stillen. Viel genauer nimmt es dabei Coopers Folk-Horror Antlers, der den Steckbrief dieser Kreatur ganz genau gelesen hat. Was in Until Dawn aber kreucht und fleucht und seine spitzen, blutverschmierten Zahnreihen wetzt, sieht eher aus wie ein waschechter Ghul, blass und gespenstisch und räuberisch. Man kann die I-Tüpfel-Reiterei gerne außen vor lassen und den Begriff Wendigo mit Schulterzucken hinnehmen – nicht aber die geistige Konstitution von vier jungen Erwachsenen, die den Schrecken der Spirale des Grauens hinnehmen, als müssten sie lediglich am Samstagvormittag nachsitzen.

Zu Beginn wirft uns der Film, den David F. Sandberg zu verantworten hat und der sich mit Horror schließlich auskennt, da er Filme wie Lights Out oder Annabelle inszeniert hat, in die potenziell psychopathische Provinz, in der Clover (Ella Rubin, Gossip Girl) mit ihrem Freundeskreis inklusive Ex nach ihrer seit einem Jahr vermissten Schwester sucht. Natürlich haben alle weder Tanz der Teufel noch The Cabin in the Woods gesehen, denn sonst könnten sie bereits erahnen, dass dieser Tante-Emma-Laden samt merkwürdigem Besitzer einfach nichts Gutes bedeutet. Der Mann – Peter „Fargo“ Stormare – spart nicht mit guten Ratschlägen, denen die Gruppe auch folgt, womit wir kurzerhand im Haus des Grauens wären, in welchem Nacht für Nacht ein maskierter Killer die Jungschar dezimiert. Der aber ist nicht das einzige Problem, dass die Fünf daran hindert, den neuen Tag zu erleben. Hexen, Wendigos (bleiben wir dabei) und toxische Flüssigkeiten machen die Nacht zur Hölle, während niemand es wagt, sich dem Grauen entgegenzustellen.

Eigene Pläne zu schmieden oder Improvisation in Momenten der Not könnten in Zeiten von KI, die einem sowieso alles Denken abnimmt und sich dabei ins nicht vorhandene Fäustchen lacht, immer schwieriger werden. In Until Dawn ist der träge Geist der jungen Leute der wohl schlimmste Feind. Es heisst zwar immer, alle müssen an einem Strang ziehen – letztlich tut es niemand. Oder braucht es für ein Team immer einen Leader? Wie schwer ist Demokratie in der Katastrophe und warum ist die Psyche der Protagonistinnen und Protagonisten so dermaßen resilient, dass sie diesen Wahnsinn einfach immer wieder wegstecken? Der psychologisch undurchdachte Film kann wohl auch nicht anders, als dem Playstation-Spielekonzept treu zu bleiben und einen Plot zu entwickeln, der wenig plausibel scheint. Anders als in Escape Room von Adam Robitel hat Sandberg hier den Drang, alles erklären zu müssen, während der Horror in Filmen meistens dann stärker wird, wenn alles oder zumindest das Meiste ein Mysterium bleibt.

Abgesehen von einem sehr stimmigen, raffiniert beleuchtetem Creature Design und einem angenehm schaurigen Spukhaus-Setting, das wohl ganz der Vorlage entspricht, kommt das wenig überzeugende Schauspielensemble nie wirklich in die Gänge. Farblose Charaktere, die sich letztlich abstrampeln – und irgendwann weiß man, und das schon sehr früh, wie der Horror enden wird. Zwischen Young Adult-Mystery und beinhartem Sam Raimi-Horror hat sich Sandberg doch eher für erstere entschieden, obwohl erstaunlich viel Blut fließt und die explizite Gewalt ordentlich wütet. Man merkt, daran liegt es nicht, ob ein Genrefilm das Rennen macht oder nicht. Es liegt wohl eher im Grauen, dass sich in den Augen derer spiegelt, die ihn erleben. In Until Dawn sieht man davon wenig.

Until Dawn (2025)

When Evil Lurks (2023)

DER TEUFEL LIEBT DILETTANTEN

6,5/10


© 2025 Drop Out Cinema


ORIGINALTITEL: CUANDO ACECHA LA MALDAD

LAND / JAHR: ARGENTINIEN, USA 2023

REGIE / DREHBUCH: DEMIÁN RUGNA

CAST: EZEQUIEL RODRÍGUEZ, DEMIÁN SALOMON, SILVIA SABATER, LUIS ZIEMBROWSKI, MARCELO MICHINAUX, EMILIO VODANOVICH, VIRGINIA GARÓFALO, PAULA RUBINSZTEIN U. A.

LÄNGE: 1 STD 39 MIN


Wohin mit unliebsamen Dämonen? Tja, das ist eine Frage, die wir uns sicher alle schon einmal gestellt haben. Das ist eine Frage, die Ash Williams, dem kettensägenschwingenden Helden aus der Evil Dead-Reihe längst schon auf der Zunge brennt. Bevor klar wird, wie man sie fachgerecht entsorgt – und zwar nicht im Sondermüll und auch nicht am Straßenrand wie ein lästig gewordenes Hündchen, das schließlich überhaupt nichts dafür kann – muss klar sein, wie man sie bändigt. Und ganz wichtig dabei: Wer sich dieser Drecksarbeit letztlich annimmt. Denn Dämonen, die schlagen ja deshalb meistens im Diesseits auf, weil sie den Menschen gerne quälen. Allesamt sind das ungute Gesellen (außer im Buffyverse, da gibt’s auch Humanisten), meistens körperlos, mächtig, voll des Wissens in Sachen schwarzer Magie. Angesichts dessen sucht so manch gottgläubige Seele in embryonaler Stellung Bodenkontakt, nur um nicht besessen zu werden. Durch Besessenheit gelangt die unheilstiftende Entität schließlich in jene unsere Dimension und lässt den Wirtskörper Dinge tun, die dieser im Normalzustand niemals vollbringen würde wollen. Entsetzliche, destruktive Dinge.

Irgendwo im Nirgendwo Argentiniens, in der buchstäblichen Pampa sozusagen, hat es ein Dämon schließlich geschafft, sich des Körpers von Uriel zu bemächtigen – eines Sohnes der alten Maria Elena, die schon so lange auf Erden weilt, um zu wissen, wen man ruft, wenn das Böse sich heranschleicht (so der Titel). Dumm nur, wenn der Exorzist niemals ankommt, und stattdessen ein unbedarftes Brüderpaar, das unweit ihre eigene Farm bewirtschaftet, des Besessenen ansichtig wird. Dieser liegt als aufgedunsene und entstellte Kreatur auf seiner Bettstatt, aus ihm spricht das Böse. Trotz mahnender Hinweise der Alten wollen die beiden das Problem lieber mit der Logik amateurhafter Laien aus der Welt schaffen – keine gute Idee. Denn je mehr sie versuchen, dem Schrecken Herr zu werden, umso mehr entgleitet das Ganze. Ganz nach dem Prinzip: Es juckt – und man kratzt. Man kratzt und kratzt und irgendwann blutet es. Es wird schlimmer statt besser. When Evil Lurks wird zum verheerenden Anti-Tutorial, zur verstörend-erstaunlichen Katastrophe, wie ein spielfilmlanges Fail-Video auf Youtube, wo man hinsehen muss obwohl man nicht will, weil schiefgeht, was nur schiefgehen kann. Weil die Fehler, die passieren, irreversibel genug sind. Weil sie einen mächtigen Rattenschwanz an Ereignissen nach sich ziehen, die diesen ohnehin gottverlassenen Ort noch tiefer ins Grauen stürzen.

Dabei hat When Evil Lurks durchaus schadenfrohen Witz, so bierernst ist der Horror nicht, ungefähr genauso wenig wie Sam Raimis Fratzenreigen. Das Böse ist unerbittlich, und nur derber Zynismus kann dagegen helfen. Mit literweise Blut, ekligen Substanzen und Tabubrüchen schickt Regisseur Demián Rugna die paranormale Naturgewalt in die Zielgerade Richtung Apokalypse, naturalistischer Bodyhorror und erstklassiges Makeup garantieren ein Troubleshooting ohne Plan, ein Hinterholz 8 für Möchtegern-Dämonenjäger. Das Böse wabert dabei wie ein Virus durch die Welt und kann weder durch Aderlass noch durch anderen Good Will gebändigt werden. Rugna feiert den Nihilismus mit ganzer Inbrunst – deftig, gewalttätig, unheilig.

When Evil Lurks (2023)

Mandy (2018)

WAHNSINN, ICH GEH FÜR DICH DURCH DIE HÖLLE

6/10


mandy© 2018 Plaion Pictures

LAND / JAHR: USA, BELGIEN 2018

REGIE: PANOS COSMATOS

DREHBUCH: PANOS COSMATOS, AARON STEWART-AHN

CAST: NICOLAS CAGE, ANDREA RISEBOROUGH, LINUS ROACHE, NED DENNEHY, OLWEN FOUÉRÉ, LINE PILLET, BILL DUKE, RICHARD BRAKE U. A.

LÄNGE: 2 STD 1 MIN


Wer hätte damals gedacht, dass Nicolas Cage im Herbst des Jahres 2018 dem Slash Filmfestival tatsächlich die Ehre erweisen würde. Laut Slash-Mastermind Markus Keuschnigg kam er, sah sich um und ging wieder. Doch immerhin: Er hostete damit seine Rache-Phantasmagorie Mandy, die Autorenfilmer Panos Cosmatos als Reminiszenz an den Hippie-Drogenrausch der ausklingenden Sechziger und beginnenden Siebziger anlegt, als nostalgische Konservierung einer längst vergangenen New Hollywood-Revolution im Kino, an das Haare schwingende Aquarius und dem Lebensgefühl aus Woodstock. Das klingt natürlich nach beschwingten Vibes, doch Mandy ist alles andere als das. Panos Cosmatos bricht mit den Dogmen und korrumpiert eine verklärte Ära so sehr, dass er diese als Albtraum manifestiert. Als der Realität entfremdetes Konstrukt, aufgeblasen wie die Opfer eines exaltierten Avantgardisten, getaucht in die Lieblingsfarbe Rot, konturiert durch sattes Schwarz. Grobkörnig, in der Bewegung verzerrt und tragödienhaft manieriert wie der düsterste Shakespeare, der je geschrieben wurde.

Dass hier Sehgewohnheiten strapaziert werden und es Cosmatos vor allem darum geht, sein Publikum aus jener Bequemlichkeit zu holen, welche die Sichtung von Bewährtem auf die Dauer mit sich bringt, mag den Genre-Kunstfilm bereichern. Bild und Ton verschmelzen zu einer Bilderorgie, die immer wieder in ihrer eigenen Ambition ertrinkt und auch zu viel in sich hineinstopft, um sich dann, ebenfalls in Rot, im übertragenen Sinn zu übergeben, um dann weiterzuvöllern im theatralischen Gebaren der beiden Hauptdarsteller – eben Nicolas Cage und der fulminante Linus Roache, den Vikings-Fans als den angelsächsischen König Egbert mit Sicherheit in Erinnerung behalten haben. Seine Dialoge mit Travis Fimmel als Ragnar Lodbrok sind legendär. In Cosmatos‘ Actionhorror probiert er sich als manische, gottgleich angesehene Leitfigur eines obskuren Sektenkults, der, unterwegs mit seiner sinistren Entourage, der faszinierenden und titelgebenden Mandy (entrückt: Andrea Riseborough) begegnet, die ahnungslos die Straße entlangwandert. Sie ist schließlich die bessere Hälfte von Cage, der im Grunde ein zufriedenes Leben führt, wäre da nicht die Besitzgier des teuflischen, gern mit nacktem Oberkörper agierenden Antagonisten, der das engelsgleiche Opferlamm für sich haben will – und diese in einer Nacht- und Nebelaktion aus dem sicheren Zuhause entführt. Cage ist verzweifelt, will die Liebe seines Lebens wieder zurückholen, scheitert anfangs aber und muss dabei zusehen, wie Mandy der Tod ereilt. Danach gibt‘s kein Halten mehr: Cages gemarterte Figur erlangt jene Manie wie sein Widersacher sie besitzt. Wut, Obsession und Aggression brechen sich Bahn und hinterlassen eine Blutspur im grobkörnigen Stil. Eine Kettensäge ist dabei nur eine der Utensilien, die Cage in die Finger bekommt, um alles und jeden zu meucheln, der die Unterwelt bevölkert. Dazwischen dämonische Biker, fratzenhaft und mit verzerrten Stimmen, wohlweislich im Gegenlicht und als kämen sie vom Set eines George Miller, der sich am Mad Max-Franchise abarbeitet. 

Ja, Cage geht grinsend durch die artifizielle Hölle. Dramaturgisch hat Cosmatos dafür aber keinerlei Ideen – was er wiederum versucht, durch seine unverkennbare Optik wieder auszugleichen. Nur: Optik allein reicht nicht immer. Vorallem nicht, wenn diese nur minimal variiert wird. Schwülstig, dampfend, wabernd, als Drogenrausch überstilisiert, laufen die filmischen Methoden im Kreis, treten auf der Stelle – abwechslungsreich ist Mandy daher nicht. Sondern ein einziger, fetter Brocken; sättigend, nicht leicht verdaulich und noch dazu nährstoffarm.

Mandy (2018)

Azrael – Angel of Death (2024)

DER WALD ALS KREIS DER HÖLLE

7/10


Azrael© 2024 IFC Films

LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: E. L. KATZ

DREHBUCH: SIMON BARRETT

CAST: SAMARA WEAVING, VIC CARMEN SONNE, NATHAN STEWART-JARRETT, SEBASTIAN BULL SARNING, EERO MILNOFF, VINCENT WILLESTRAND, PHONG GIANG U. A.

LÄNGE: 1 STD 25 MIN


Was sich in den Wäldern alles abspielt, das will man gar nicht wissen. Ähnlich wie im Weltraum hört dich dort genauso wenig jemand schreien, der nicht gerade Holz fällt, Pilze sammelt, mit dem Bike durchs Gelände radelt oder forstliche Pflichten erfüllt. In den Tiefen der Wälder herrscht Anarchie, da gibt es kein Gesetz, nur jenes der Botanik, doch das tangiert den Menschen nicht, es sei denn, er verfängt sich im tropischen Dickicht, denn dort kann es deutlich gefährlicher werden als in den gemäßigten Breiten, wo sich vielleicht Bären und Wölfe an Menschen vergreifen, was wiederum seltener vorkommt als kolportiert. Es kann aber auch sein, dass, und da nehme ich mal an, deutlich häufiger, der Mensch des Menschen Wolf verkörpert – so gesehen im teuflischen Survivalschocker Azrael, der in einer unbestimmten, vielleicht postapokalyptischen Zukunft spielt, doch da legt sich der Film keinesfalls fest.

Wer Erklärungen und Ursachen für all das hier erwartet, was in knapp 80 Minuten erlebbar wird, muss sich darauf einstellen, den Symptomen eines Mysteriums zu folgen, in dessen Zentrum ein bekanntes Gesicht ums Überleben kämpft. Wir wissen, Samara Weaving hat längst Erfahrung darin, mordlüsternen Verfolgern zu entwischen. Sie hat sogar Erfahrung darin, wenn es sich dabei um die angeheiratete Familie handelt. Ready Or Not von Tyler Gillett und Matt Bettinelli-Olpin bläst zum Halali auf die Braut, und dabei geht es mit augenzwinkernd schwarzem Humor und einem Quäntchen charmantem Zynismus zur Sache. Dieser Humor, diese überzogene Leichtigkeit, lässt sich in Azrael nicht finden. Wie denn auch. Azrael selbst gilt zumindest im Islam als Engel des Todes, im Film ist es der Name einer wortlosen Protagonistin, die in einer wortlosen Welt kreuz und quer durch die Wildnis hirscht, auf der Flucht vor den Mitgliedern einer ebenfalls dem Schweigegelübde unterworfenen Gemeinschaft, die in der jungen Frau das ideale Opfer sieht für etwas ganz anderes, was den Wald beherrscht: Dunklen, ekelhaften, hässlichen Kreaturen, beurlaubt aus Dantes Hölle oder von Hieronymus Boschs gewalttätig-gotischen Bibelgemälden suspendiert. Sie sehen aus, als wären sie tatsächlich dem Feuer entstiegen, verbrannt, verkohlt und dürstend nach Menschenfleisch. Der Wald ist ihre Spielwiese, und wenn man sie nicht besänftigt, läutet die Mittagsglocke.

Wem der Plot nun zu dünn erscheint, mag mit seiner Kritik daran bald genauso verstummen wie (fast) alle, die in diesem Horror mitwirken. Auf dem Drehbuch von Simon Barrett (u. a. V/H/S) basierend, entwickelt Regisseur E. L. Katz einen zügellosen, ungemein archaischen Spießrutenlauf, der auf jegliche Dialoge verzichtet und die wilde Welt des Waldes als Vorhölle darstellt, in der die Bedrohlichkeit einer obskuren Esoterik-Sekte den gierigen Kohlemännchen, die da zwischen den Bäumen umherflitzen, um nichts nachsteht. Was die Anarchie noch verstärkt, ist die explizite Gewalt, literweise Blut und radikaler Naturalismus. Azrael ist eine Art Experiment, ein deftiges rohes Steak, ungewürzt und blutig, mit den Händen verschlungen und mit der Lust, noch mehr von dieser rohen Kraft zu vertilgen. 

Konsequent bis zum Ende, bietet Azrael allerdings nicht viel Abwechslung. Dafür aber auch keinerlei Langeweile oder Leerlauf. Das Phantastische ist stets das Böse, am Ende gibt’s den großen Twist wie bei M. Night Shyamalan. Die Welt erfährt dabei aber keinerlei Absolution. Vielleicht ist das ganze nur das Vorspiel für den Anfang vom Ende. Ein apokalyptischer Genuss, den man fast schon fühlt. Als würde man nackt durch dorniges Dickicht laufen.

Azrael – Angel of Death (2024)

Heretic (2024)

WER GLAUBT, STIRBT SELIG

5,5/10


heretic© 2024 Plaion Pictures


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE / DREHBUCH: SCOTT BECK & BRYAN WOODS

CAST: HUGH GRANT, SOPHIE THATCHER, CHLOE EAST, TOPHER GRACE U. A.

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Über Gott und Religion lässt sich lang und breit und scheinbar endlos diskutieren. Noch dazu ist es ein Thema, zu welchem ich mich nicht lange bitten lasse, um meinen Senf dazuzugeben. Ich hoffte schon, dass Anthony Hopkins als Sigmund Freud und Matthew Goode als Narnia-Schöpfer C. S. Lewis das diskussionsentfachende Thema mitsamt seiner Essenz aufs Tapet bringen würden. Der Film Freud – Jenseits des Glaubens war allerdings eine Enttäuschung. Denn gerade dann, wenn es verbal spannend wurde, quälten den Psychoanalytiker seine gesundheitlichen Gebrechen. In die Tiefe ging dieses Wortduell nie. Dafür aber lässt sich in Heretic genau das finden, wofür in Freud eben kein Platz mehr war: Den Diskurs um Gott, Glaube und Religion, ausgetragen von einem desillusionierten und geläuterten Theologen namens Mr. Reed, der im enthusiastischen Präsentationswahn naiven Gläubigen Gott behüte nicht die Leviten liest, diesen aber anhand gewiefter Anschauungsbeispiele so manche Glaubenssätze auszutreiben gedenkt. Während in Morton Rues Die Welle ein ehrgeiziger Lehrer versucht, anhand eines Selbsttests die Entstehung eines faschistoiden Systems zu veranschaulichen, macht ein besserwisserischer Zyniker ganz ähnlich die Probe aufs Exempel, um herauszufinden, wie leicht oder wie schwer es sein mag, aus dem Stand eine Instant-Glaubensgemeinschaft mit Wundern, Prophezeiungen und Leidenswegen zu errichten. Diesen Mr. Reed gibt ein völlig gegen das Image besetzter Hugh Grant, der im Endeffekt alles andere besser kann als den Charmeur in irgendwelchen RomComs zu spielen.

In Guy Ritchies The Gentlemen war er als linker Hund schon großartig, in Heretic legt er in Sachen Süffisanz und Subversion noch eins drauf. Mit Sicherheit aber ist dieser Mr. Reed kein Antagonist im herkömmlichen Sinn. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten: Er ist gar keiner. Obwohl Hugh Grant im Interview mit cinema behauptet hat, in seiner Rolle das höfliche Gehabe gegenüber den beiden jungen Mormoninnen, die da in sein Haus schneien, um ihre Gemeinschaft zu bewerben, nur vorzutäuschen: Die Figur des Mr. Reed ist im Grunde eine, die ihre Überzeugung genauso lebt wie ihr Gegenüber. Höflichkeit und gelebte Diskussionskultur sind daher auch kein Grund, um nicht auch unorthodoxe Pläne zu schmieden. Dieser Anstand ist also ernst gemeint – und klar, Mr. Reed verbiegt die Wahrheit gerne zu seinen Gunsten, wenn es zum Beispiel darum geht, die Haustür nicht mehr öffnen zu können, da sie einem zeitgesteuerten Mechanismus unterliegt. Doch im Grunde verfolgt er eine Agenda, die all jene remissionieren soll, die missionieren wollen.

Das sind also die beiden Schwestern Barnes und Paxton, die während eines herannahenden Schneesturms das traute Heim eines Gelehrten aufsuchen, um diesen zu belehren. Der aber macht das, was alle religiösen Türklopfer dieser Welt womöglich fürchten: Er sucht die Diskussion. Es braucht dann auch nicht viel, um Religion als das zu enttarnen, was sie eigentlich ist. Dass man dafür das Gesellschaftsspiel Monopoly unterstützend heranziehen kann, beweist Heretic in einer seiner besten Szenen. Die erste Hälfte des Films ist es auch, die das Zeug hat, das Genre des intellektuellen Horrorfilms innovativ zu erweitern. Denn manchmal reicht nur die Wucht einer Performance, wie sie Hugh Grant hinlegt, und ein ausformuliertes Skript, dass es wirklich wissen will. Als Kammerspiel wäre Heretic schließlich spannend genug – als reines Wortduell, welches den Horror der Widerlegung eines Gottes bereits in sich trägt. Doch leider wollen Scott Beck und Bryan Woods (u. a. 65 bzw. mitverantwortlich für das Skript zu A Quiet Place) mehr – obwohl das alles schon genug wäre. Sie wollen einen Horror bemühen, der in drastischeren Bildern lediglich nachkaut, was sowieso schon durchexerziert wurde.

Vergessen wir all die schleichende Suspense der ersten Hälfte. Als wäre man in einem Escape Room für die Frommen, konstruieren die beiden Filmemacher ein Psychospiel ohne Überzeugungskraft. Beklemmende Kellerparty und gespenstische Gestalten, dazu die Stimme Grants aus dem Lautsprecher, um die beiden gemarterten jungen Frauen durch ein Exempel zu führen, dass sich so umständlich anfühlt wie eine Liturgie auf Latein. Der Rest passt dann auch nicht mehr zu Mr. Reeds Charakterbild, obwohl Grant versucht, seine Rolle konsequent durchzuspielen. Es gelingt ihm auch, selbst Sophie Thatcher und Chloe East sind motiviert genug, durch die Hölle zu gehen. Die Conclusio am Ende der blutigen Bibelrunde birgt dann aber eine Erkenntnis, die, um sie zu erlangen, den ganzen um die Ecke gedachten Zinnober nicht gebraucht hätte. Das Wort hätte Wirkung genug gehabt.

Heretic (2024)

Never Let Go (2024)

WENN ALLE STRICKE REISSEN

7/10


NEVER LET GO - LASS NIEMALS LOS / Ab 26. September 2024© 2024 Lionsgate


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: ALEXANDRE AJA

DREHBUCH: KC COUGHLIN, RYAN GRASSBY

CAST: HALLE BERRY, PERCY DAGGS IV, ANTHONY B. JENKINS, WILL CATLETT, MATTHEW KEVIN ANDERSON, STEPHANIE LAVIGNE U. A.

LÄNGE: 1 STD 41 MIN


Hütten und Häuser im Wald gibt es viele. Dort auszuharren bedeutet oft nichts Gutes. Entweder ist die Welt bereits den Bach runter, die Menschheit ausgelöscht oder ein Fluch hindert die darin Lebenden, ihre Existenzblase zu verlassen. Ob Evil Dead, The Cabin in the Woods oder Knock at the Cabin – irgendwo ist dabei immer das Böse einen Steinwurf entfernt und nur das bedächtige Verhalten einer Handvoll Überlebender entscheidet über Leben und Tod. Horror-Spezialist Alexandre Aja (u. a. Crawl, Oxygen) will Raimi oder Shyamalan weder kopieren noch parodieren noch sich gar vor ihnen verbeugen. Er schafft es, dank einer literarischen Vorlage, die den bekannten Versatzstücken entgeht, eine völlig anders geartete Variation des Haunted Cabin-Genres vorzulegen. Wir befinden uns dabei inmitten eines Waldes irgendwo in den Vereinigten Staaten, dort steht eine relativ alte Immobilie, die noch den Großeltern von Halle Berry gehört hat, die in Never Let Go eine traumatisierte Mutter gibt, die nichts mehr anderes in ihrem entbehrlichen Überleben antreibt als auf ihre beiden Söhne aufzupassen. Denn eines weiß sie: Eine niederträchtige Entität lauert jenseits des Grundstücks. Sie kann jedwede Gestalt annehmen und ihre Opfer zum Wahnsinn treiben, sobald diese berührt werden. Allerdings gibt es da eine Methode, um der Belagerung zu entgehen: Alle drei, Mutter und Söhne, müssen mit einem Strick stets mit dem Haus verbunden bleiben. Solange keine Abnabelung stattfindet, kann das Böse den Überlebenden nichts anhaben. Die Kinder zeigen sich, je älter sie werden, zunehmend skeptisch: Wie kann es sein, dass nur Mama das Böse sieht? Warum wir nicht? Und was, wenn alles gar nicht wahr ist und Mama längst in die Geschlossene gehört, weil sie was auch immer aus ihrer Vergangenheit nicht verarbeiten kann? Ist das Ende der Welt wirklich passiert oder liegt eine gänzlich andere Wahrheit irgendwo da draußen?

Wenn sich der Nachwuchs aus der elterlichen Fürsorge entwindet, um auf eigene Faust die Welt, in der er lebt, zu erforschen, mag das sehr viel mit Trial und Error zu tun haben, aber auch mit dem Erlernen notwendiger Selbstständigkeit. Es gibt Mütter und Väter, die das nur schwer zulassen können. Die sich viel zu sehr mit ihren Kindern identifizieren, ohne diese als autarke Persönlichkeiten zu betrachten. Wie monströs können Eltern werden, wie fanatisch, wenn juveniles Reifen nichts ist, was sich entwickeln darf. So sitzt Halle Berrys Figur wie eine Glucke auf den Brüdern Nolan und Samuel, lehrt sie, ihr Zuhause zu lieben und lehrt sie, niemals loszulassen. Der Titel ist dabei maßgeblich Programm. Und sagt vielleicht schon viel zu viel darüber aus, ob der Schutz vor der Außenwelt wirklich berechtigt ist oder nicht.

Dennoch belässt Aja die meiste Zeit des Films sein Publikum im Dunkeln, um nicht zu sagen: Fast die gesamte Laufzeit. Dieses Spiel mit Vertrauen, Misstrauen, Glaube und Aberglaube gerät zum dichten Reigen eines familiären Albtraums zwischen Einbildung, Angst und der klaren Sicht auf die Dinge, wie sie vermutlich sind. Never Let Go entwickelt dort noch Suspense, wo andere Filme längst aufgegeben haben und zur Tagesordnung eines Showdowns übergegangen sind. Mit The Village gelang Shyamalan – um einen Vergleich mit dem Regiekollegen dennoch zu bemühen – ähnliches. Dort konzentrierte sich dieser auf das fatale Dilemma rund um Verschwörung und Aberglaube, womit der Film mit Never Let Go einiges gemeinsam hat. Letzterer nimmt sich aber auch noch der Problematik elterlicher Erziehung an. Mag sein, dass Never Let Go letzten Endes zu viel will. Und ja, Aja stopft hier einiges in seine hundert Minuten, vor allem allerlei Symbolträchtiges und Allegorisches und verliert dabei vollends eine gewisse inhärente Logik aus den Augen, die den Nebel aus Halluzinationen, Tatsachen und Phantastischem teilen könnte.

Festhalten kann sich das Publikum nirgendwo. Was Never Let Go dann auch so beklemmend macht. Wenn es keine Wahrheit mehr gibt, schwindet der Boden unter den Füßen. Immer wilder wird der Ritt, wer hätte gedacht, dass Berry und zwei Jungdarsteller so ein Inferno entfesseln? Den rettenden Strohhalm gewährt Aja dann doch, aber erst dann, wenn jedwede Zuversicht schon aufgegeben scheint.

Never Let Go (2024)

Salem’s Lot – Brennen muss Salem (2024)

VAMPIRE SIND ANSTECKEND

4/10


salemslot© 2024 Warner Bros.


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: GARY DAUBERMAN

DREHBUCH: GARY DAUBERMAN, NACH DEM ROMAN VON STEPHEN KING

CAST: LEWIS PULLMAN, SPENCER TREAT CLARK, MAKENZIE LEIGH, PILOU ASBÆK, BILL CAMP, WILLIAM SADLER, ALFRE WOODARD, JOHN BENJAMIN HICKEY, NICHOLAS CROVETTI, ALEXANDER WARD U. A.

LÄNGE: 1 STD 53 MIN


Als Stephen King mit dem Schreiben Mitte der Siebziger erst so richtig in Fahrt kam, konnten sich Fans der ersten Stunde nach dem Telekinese-Dilemma rund um Carrie nahtlos folgend mit den Mythen der Vampire auseinandersetzen. Brennen muss Salem – oder im Original schlicht Salem’s Lot – war Stephen Kings zweites Werk, und man merkt auch angesichts der Neuverfilmung aus gegenwärtigem Jahrgang, dass der Meister des Belletristik-Horrors noch nicht allzu viel anderweitige Konkurrenz gehabt hat. Denn was gab es damals schon, in den Siebzigern, an Vampiren der Popkultur zu verzeichnen? Murnau, Lugosi und Christopher Lee hatten im Laufe der Filmgeschichte wohl eher die Biographie des unglückselig verfluchten Dracula und Orloc aka Nosferatu bedient. Ein einzelner Anarchist, salonfähig, eitel und distinguiert. Und nur so weit mörderisch, um ihm fast alles zu verzeihen, denn der Herr aus Transsilvanien ist ja fast schon einer, den man bewundert ob seines Alleinstellungsmerkmals, seines ewigen Lebens und seiner Verachtung aller Werte, ohne sie mit Füßen zu treten. Mit Stephen King wurde das anders, da war es nicht mehr Dracula oder Orloc, da sind es ganze Kleinstadtgemeinschaften, die unter die Reißzähne eines Obervampirs geraten, der, und da mag die Hommage an Murnaus Stummfilmklassiker augenscheinlich gegeben sein, die ganze Welt in eine ihm unterworfene zu verwandeln. Weit gedacht hat der Kahlkopf allerdings nicht. Gibt’s keine Menschenopfer mehr, dürfen all diese Blutsauger bald am Hungertuch nagen. Del Toro und Chuck Hogan mit ihrer Vampirtrilogie The Strain haben das Problem anders gelöst, und lassen die untoten Dämonen weiterdenken als nur bis zum nächsten Grabstein.

Als Metapher auf Pandemien und Massenhysterien aller Art wütet also bald eine bissfreudige Seuche durch Salem’s Lot, einer Kleinstadt in Maine, in welcher der sinistre und wenig vertrauensvolle Antiquitätenhändler Straker (Pilou Asbæk) eine längliche Kiste in den Keller seines Anwesens schaffen lässt. Zeitgleich mit dieser Lieferung lässt sich Schriftsteller Ben Mears (Lewis Pullman) in diesem beschaulichen Örtchen nieder, um seine Memoiren zu verfassen. Der wird allerdings nicht gern wiedergesehen, schließlich beschuldigt man ihn eines Unglücks, das vor vielen Jahren hier passiert war. Mears lässt sich nicht einschüchtern, findet gar noch ein Love Interest und muss sich bald einer unheilvollen Tatsache stellen, die damit zu tun hat, dass die Kinder der Familie Glick das Zeitliche segnen – um wiederaufzuerstehen. Als Kick-off für einen lokal begrenzten jüngsten Tag der Bewohner von Salem’s Lot.

Das Problem an Gary Daubermans Neuverfilmung ist ein grundlegendes. Auch wenn Vampire keine Seele haben, wäre es zumindest ratsam gewesen, diese zumindest in der Umsetzung dieses klassischen Stoffes zu belassen. Dabei gibt die Vorlage für atmosphärischen Folk-Horror auf begrenztem Raum, angereichert mit bedrohlichem Unbehagen und geisterhaften Besuchen jenseits der Fenster hochgelegener Zimmer, so einiges her. Auch Obervampir Barlow könnte zum Schrecken in Person werden, zur expressionistischen Nemesis gutgläubiger Konservativer. Der Funke, um Salem wirklich brennen zu lassen, springt nicht über. Da kann man zündeln, was man will. Da kann Bill Camp das glühende Kreuz mit gestreckten Armen vor sich herhalten, da könnte der Spuk, den Taschenlampenlicht nun eben erzeugt und an Found Footage erinnert, die Gänsehaut aufsteigen lassen. Doch nichts davon passiert. Schwer zu sagen, woran das liegen mag. Am lustlosen Spiel fast des gesamten Ensembles? An dem in Grund und Boden zusammengestrichenen Skript, das darauf verzichtet, seinen Bewohnern existenzielle Relevanz zu verleihen? Das kommt davon, wenn man Bücher – und die von Stephen King sind keine Groschenromane – so sehr ausblutet, bis nur noch der Handlungsstrang übrigbleibt.

Wenn sich keiner mehr darum kümmert, den leidenschaftlich menschelnden Aspekt der notgedrungenen Helden auszubauen, wird es fade. Die Vampire selbst mögen in ihren Ambitionen leicht zu erfassen sein. Dort, wo das Herz schlagen sollte, bleibt nur Ruhepuls. Und plötzlich ist da der kindliche Superheld, ein waschechter Jungspund vermeintlich aus Derry, der kurz mal hier vorbeischaut, um es mit dem dortigen Bösen aufzunehmen. Und zwar im Alleingang.

Salem’s Lot – Brennen muss Salem (2024)

In A Violent Nature (2024)

SCHWEIGEN IM WALDE

6/10


InAViolentNature© 2024 capelight pictures


LAND / JAHR: KANADA 2024

REGIE / DREHBUCH: CHRIS NASH

CAST: RY BARRETT, ANDREA PAVLOVIC, CAMERON LOVE, REECE PRESLEY, LIAM LEONE, CHARLOTTE CREAGHAN, LEA ROSE SEBASTIANIS, LAUREN-MARIE TAYLOR U. A.

LÄNGE: 1 STD 34 MIN


Anderswo, zum Beispiel in Mittelerde, würde eine armselige und durch die Sünde der Gier ins Monströse verzerrte Figur nach einem Schmuckstück suchen, das man am Finger trägt: Die Rede ist von Gollum und seinem Ring, seinem – wie er selbst nicht müde wird zu betonen – Schaaaatz, den später Frodo Beutlin um den Hals baumeln lässt. Jemanden sein liebstes Kleinod zu entwenden geht gar nicht. Und tatsächlich haben diese Kreatur des Gollum und die Kreatur eines Untoten, geistig zurückgebliebenen Riesenbabys mit historischem Feuerwehrhelm auf dem Kopf abgesehen von ihrer leidvollen Lebensgeschichte, die beide Wesen letztlich korrumpiert hat, gemeinsam: Diese seltsamen Existenzen kreisen jeweils um ein Artefakt, sie stehen und fallen mit ihm, es provoziert sie oder hält sie in Stasis. In letztere befindet sich die Ausgeburt eines untoten Psychopathen, Zeit seines Lebens jemand mit besonderen Bedürfnissen, dem in einer wenig aufgeschlossenen Kleinstadtgesellschaft übel mitgespielt wurde. Und zwar so sehr, dass diese diesen Johnny tödlich verunfallen ließ. Der Sturz vom Feuerwehrturm war der Anfang vom Ende, was danach kommt, der blanke Horror. Den so wie Gollum will Johnny nur sein Artefakt zurück, koste es was es wolle. Anders als der verkorkste Hobbit treibt ihn aber noch etwas anderes an: Vergeltung und eine daraus resultierende Blutgier.

So gräbt sich das humanoide und stets schweigsame Monstrum aus dem Waldboden und macht sich im Trott eines Spaziergängers auf die Jagd nach neureichen Bobo-Erwachsenen der Smartphone-Generation, die wenig Achtsamkeit kennen und wenn es darauf ankommt, bereitwillig das Opfer spielen. Das Ungewöhnliche an Chris Nashs Naturpark-Slasher ganz ohne Hütte im Wald ist die sorgsam eingepflegte Meta-Ebene eines gefahrvollen Ökosystems, getarnt als natürliche Idylle, in der für den urbanen Fortschrittsmenschen, der sich zunehmend von der Natur zu distanzieren scheint, unberechenbare Gefahren lauern. Die volatile, schwer verortbare Existenz eines Unheils in Gestalt des Schlächters Johnny lässt ihn vollends im entschleunigten, stillen Grün des Waldes aufgehen, wie das Alien in der mechanischen Düsternis der Eingeweide eines Raumschiffs. Diese Gefahr einer bösen Natur entspräche der Conclusio aus John Boormans Beim Sterben ist jeder der Erste. Nur statt den Rednex, die in einer greifbaren Realität das Unheil säen, schlendert in In a Violent Nature etwas Metaphysisches und nicht Reales durch den Forst, bestückt mit zentnerschweren Ketten, an deren Enden wuchtige Haken baumeln. Was Johnny damit letztlich anstellt, lässt Nash in so deftigen wie bizarren Gewaltspitzen münden. Und eines muss dabei klar sein: In a Violent Nature mag anmuten wie die Neuordnung eines längst etablierten Subgenres des Horrorfilms, sucht sich letzten Endes aber genau jene bewährten Versatzstücke zusammen, die Fans an diesen Filmen so lieben.

Anfangs sieht es auch so aus, als hätte der Film die Ambition, aus der Sicht des Antagonisten erzählt zu werden. Eine Idee, die aber nicht aufgeht. Und wenn, dann nur szenenweise, wie John Carpenter es getan hat, um Kultfigur Michael Myers in Halloween ins Spiel zu bringen. Später aber wechselt auch dort der Blickwinkel, um das Böse nicht zu entmystifizieren und auch um Identifikationsfiguren zu schaffen, die Johnny partout nicht darstellt. Aus diesem Grund muss Chris Nash umdenken, aus einem konsequent geplanten Experiment wird nichts. Letztlich bleibt In A Violent Nature ein Slasher wie alle anderen – blutrünstig und bedrohlich, dafür aber auch langsamer, in sich ruhender.

Der Kontrapunkt einer von wärmenden Sonnenstrahlen begünstigten, lieblichen Natur, akustisch begleitet durch das Gezwitscher zahlreicher Vögel, lässt den einsamen Killer als modernen Waldschrat oder wilden Mann in einer mystischen Anthologie der schweigenden, aber archaischen Schrecken noch ausgefuchster erscheinen.

In A Violent Nature (2024)

Halloween – Die Nacht des Grauens (1978)

DA STEHT EINER UND SCHAUT

8/10


halloween© 1978 Columbia Pictures


LAND / JAHR: USA 1978

REGIE: JOHN CARPENTER

DREHBUCH: JOHN CARPENTER, DEBRA HILL

CAST: JAMIE LEE CURTIS, NICK CASTLE, DONALD PLEASENCE, NANCY LOOMIS, SANDY JOHNSON, P. J. SOLES, KYLE RICHARDS, BRIAN ANDREWS, CHARLES CYPHERS U. A.

LÄNGE: 1 STD 31 MIN


Alleine schon die Art und Weise, wie John Carpenter Tür und Tor zu finsteren, psychopathischen Abgründen aufstößt, in die man zuvor vielleicht nur in Alfred Hitchcocks wohl perfidesten Film Psycho geschielt hat, ist das Beispiel innovativer filmischer Gestaltungskunst. Denn am Anfang, da sehen wir die Welt noch mit den Augen Michael Myers, eines womöglich schwer gestörten, von Grund auf bösen Jungen. In der First Person-Perspektive nähert sich der Dreikäsehoch dem familiären Heim, um heimlich und mit einem Küchenmesser bewaffnet in die oberen Stockwerke vorzudringen, um Schwesterherz beim Liebesgeplänkel mit einem Lover zu erwischen. Was dann folgt, ist der blutige Einstand eines ewigen Killers, dessen Gesicht keiner kennt, der niemals ein Wort sprechen wird und als Inkarnation des unberechenbar Monströsen allein durch das Abhandenkommen jedweder sozialer Kommunikationsmethoden das Schreckgespenst des Stalkers lustvoll überzeichnet. Diese subjektive, direkte Sicht des Killers auf seine Opfer erzeugt eine Atmosphäre, die für kurze Zeit die Distanz zwischen dem Zuseher und dem Bedrohlichen nimmt. Mit den Augen des Bösen zu sehen ist wahrlich unbequem, das Mysteriöse und Unerklärliche, ganz ohne paranormalen Firlefanz, verortet sich im alltäglichen urbanen Miteinander einer Gesellschaft, in der die Wenigen, die nicht so ticken wie die Norm es verlangt, furchteinflößender erscheinen als alles Metaphysische zusammengenommen, das obendrein nur in der Fiktion existiert.

Michael Myers aber, der mit der kreidebleichen Maske von William Shatner, ist Teil einer möglichen Realität und all die Worst Case Szenarien vereinend, die sich aus Home Invasion, Stalking, Terror und kausalitätslosem Gewaltrausch zusammensetzen. Was Carpenter dabei aber tunlichst unterlässt, ist, den Finsterling im wahrsten Sinne des Wortes mit der Tür ins Haus fallen zu lassen. Mit Halloween – Die Nacht des Grauens gelingt dem Altmeister das Paradebeispiel eines Suspense-Horrors, der genau in jenen Momenten, in denen nichts oder noch nichts geschieht, eine enorme Eigendynamik erzeugt. Eine unheilvolle Spannung, die den Umstand einer undefinierbaren Bedrohung zur Zerreißprobe werden lässt, nicht nur für Jamie Lee Curtis, die in diesem Film den Grundstein ihrer Karriere legt und als toughe junge Dame zumindest neugierig genug ist, um die lauernde Gestalt, die scheinbar zufällig herumsteht und schaut, zur Rede stellen zu wollen.

Was Laurie Strode, so Lee Curtis Charakter, eben nicht weiß ist, dass dieser unheilbare Killer, jahrelang in einer Heilanstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher verbringend, ganz plötzlich die Gelegenheit am Schopf packt, um auszubrechen, gerade zur rechten Zeit am Vortag zu Halloween. Am Tag des Spuks und des Schabernacks dann fällt einer wie er im Blaumann und weißer Maske, wohl kaum wirklich auf. Der jungen Strode allerdings schon. Und es wird immer unangenehmer, unheilvoller. Immer steht sie da, diese Gestalt, wortlos und starrend. In dieser Nacht vor Allerheiligen, in der Strode als Babysitterin aushilft, wird das Bedrohliche in einen ungesunden Horror übergehen, der den Blutdurst Michael Myers wohl stillen wird. Strode wird sich zur Wehr setzen, das ist auch kein Geheimnis, denn Fortsetzungen später und ein Reboot der ganzen Horror-Reihe, das am Original anknüpft und dabei alle anderen Sequels außen vorlässt, wird Jamie Lee Curtis immer noch dem wortlosen Wahnsinnigen, dessen größter verbreiteter Schrecken es ist, alles ohne ersichtlichen Grund zu tun, Paroli bieten.

Der ganze Modus vivendi mag sich in all den Folgefilmen nur noch variantenreich wiederholen. Wie in welcher Art und Weise Myers Unschuldige über den Jordan schickt, mag sich totlaufen – das Original hingegen ist Killerkino vom Allerfeinsten.

Halloween – Die Nacht des Grauens (1978)