Heretic (2024)

WER GLAUBT, STIRBT SELIG

5,5/10


heretic© 2024 Plaion Pictures


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE / DREHBUCH: SCOTT BECK & BRYAN WOODS

CAST: HUGH GRANT, SOPHIE THATCHER, CHLOE EAST, TOPHER GRACE U. A.

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Über Gott und Religion lässt sich lang und breit und scheinbar endlos diskutieren. Noch dazu ist es ein Thema, zu welchem ich mich nicht lange bitten lasse, um meinen Senf dazuzugeben. Ich hoffte schon, dass Anthony Hopkins als Sigmund Freud und Matthew Goode als Narnia-Schöpfer C. S. Lewis das diskussionsentfachende Thema mitsamt seiner Essenz aufs Tapet bringen würden. Der Film Freud – Jenseits des Glaubens war allerdings eine Enttäuschung. Denn gerade dann, wenn es verbal spannend wurde, quälten den Psychoanalytiker seine gesundheitlichen Gebrechen. In die Tiefe ging dieses Wortduell nie. Dafür aber lässt sich in Heretic genau das finden, wofür in Freud eben kein Platz mehr war: Den Diskurs um Gott, Glaube und Religion, ausgetragen von einem desillusionierten und geläuterten Theologen namens Mr. Reed, der im enthusiastischen Präsentationswahn naiven Gläubigen Gott behüte nicht die Leviten liest, diesen aber anhand gewiefter Anschauungsbeispiele so manche Glaubenssätze auszutreiben gedenkt. Während in Morton Rues Die Welle ein ehrgeiziger Lehrer versucht, anhand eines Selbsttests die Entstehung eines faschistoiden Systems zu veranschaulichen, macht ein besserwisserischer Zyniker ganz ähnlich die Probe aufs Exempel, um herauszufinden, wie leicht oder wie schwer es sein mag, aus dem Stand eine Instant-Glaubensgemeinschaft mit Wundern, Prophezeiungen und Leidenswegen zu errichten. Diesen Mr. Reed gibt ein völlig gegen das Image besetzter Hugh Grant, der im Endeffekt alles andere besser kann als den Charmeur in irgendwelchen RomComs zu spielen.

In Guy Ritchies The Gentlemen war er als linker Hund schon großartig, in Heretic legt er in Sachen Süffisanz und Subversion noch eins drauf. Mit Sicherheit aber ist dieser Mr. Reed kein Antagonist im herkömmlichen Sinn. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten: Er ist gar keiner. Obwohl Hugh Grant im Interview mit cinema behauptet hat, in seiner Rolle das höfliche Gehabe gegenüber den beiden jungen Mormoninnen, die da in sein Haus schneien, um ihre Gemeinschaft zu bewerben, nur vorzutäuschen: Die Figur des Mr. Reed ist im Grunde eine, die ihre Überzeugung genauso lebt wie ihr Gegenüber. Höflichkeit und gelebte Diskussionskultur sind daher auch kein Grund, um nicht auch unorthodoxe Pläne zu schmieden. Dieser Anstand ist also ernst gemeint – und klar, Mr. Reed verbiegt die Wahrheit gerne zu seinen Gunsten, wenn es zum Beispiel darum geht, die Haustür nicht mehr öffnen zu können, da sie einem zeitgesteuerten Mechanismus unterliegt. Doch im Grunde verfolgt er eine Agenda, die all jene remissionieren soll, die missionieren wollen.

Das sind also die beiden Schwestern Barnes und Paxton, die während eines herannahenden Schneesturms das traute Heim eines Gelehrten aufsuchen, um diesen zu belehren. Der aber macht das, was alle religiösen Türklopfer dieser Welt womöglich fürchten: Er sucht die Diskussion. Es braucht dann auch nicht viel, um Religion als das zu enttarnen, was sie eigentlich ist. Dass man dafür das Gesellschaftsspiel Monopoly unterstützend heranziehen kann, beweist Heretic in einer seiner besten Szenen. Die erste Hälfte des Films ist es auch, die das Zeug hat, das Genre des intellektuellen Horrorfilms innovativ zu erweitern. Denn manchmal reicht nur die Wucht einer Performance, wie sie Hugh Grant hinlegt, und ein ausformuliertes Skript, dass es wirklich wissen will. Als Kammerspiel wäre Heretic schließlich spannend genug – als reines Wortduell, welches den Horror der Widerlegung eines Gottes bereits in sich trägt. Doch leider wollen Scott Beck und Bryan Woods (u. a. 65 bzw. mitverantwortlich für das Skript zu A Quiet Place) mehr – obwohl das alles schon genug wäre. Sie wollen einen Horror bemühen, der in drastischeren Bildern lediglich nachkaut, was sowieso schon durchexerziert wurde.

Vergessen wir all die schleichende Suspense der ersten Hälfte. Als wäre man in einem Escape Room für die Frommen, konstruieren die beiden Filmemacher ein Psychospiel ohne Überzeugungskraft. Beklemmende Kellerparty und gespenstische Gestalten, dazu die Stimme Grants aus dem Lautsprecher, um die beiden gemarterten jungen Frauen durch ein Exempel zu führen, dass sich so umständlich anfühlt wie eine Liturgie auf Latein. Der Rest passt dann auch nicht mehr zu Mr. Reeds Charakterbild, obwohl Grant versucht, seine Rolle konsequent durchzuspielen. Es gelingt ihm auch, selbst Sophie Thatcher und Chloe East sind motiviert genug, durch die Hölle zu gehen. Die Conclusio am Ende der blutigen Bibelrunde birgt dann aber eine Erkenntnis, die, um sie zu erlangen, den ganzen um die Ecke gedachten Zinnober nicht gebraucht hätte. Das Wort hätte Wirkung genug gehabt.

Heretic (2024)

Konklave (2024)

REFORMATION INMITTEN DES STILLSTANDS

7,5/10


konklave© 2024 Constantin Film


LAND / JAHR: USA, VEREINIGTES KÖNIGREICH 2024

REGIE: EDWARD BERGER

DREHBUCH: PETER STRAUGHAN, NACH DEM ROMAN VON ROBERT HARRIS

CAST: RALPH FIENNES, STANLEY TUCCI, JOHN LITHGOW, ISABELLA ROSSELLINI, CARLOS DIEHZ, LUCIAN MSAMATI, SERGIO CASTELLITTO, JACEK KOMAN, BRIAN F. O’BYRNE, MERAB NINIDZE, THOMAS LOIBL U. A.

LÄNGE: 2 STD 1 MIN


„Es ist ein Krieg!“ In einer Szene des Films versucht Stanley Tucci als Kardinal Aldo Bellini seinem Amtskollegen Ralph Fiennes händeringend davon zu überzeugen, dass es bei diesem Konklave um mehr geht als nur darum, einen neuen Papst zu wählen. Tucci lässt das Publikum wissen, wie sehr sich seine Filmfigur dessen bewusst ist, was alles auf dem Spiel steht. Der Untergang des katholischen Imperiums, oder eben eine innere machtpolitische Evolution, die mit dem Trend einer progressiven Gegenwart mithalten kann. Beide, Tucci und der wunderbare Ralph Fiennes, sind dringend tatverdächtig, wenn es darum geht, eine mögliche Nominierung für einen Goldjungen zu erhalten. Mit feinem Minenspiel, disziplinierter Zurückhaltung und einer gelebten Aura der Erfahrenheit, was die Mechanismen des Klerus betrifft, führt vor allem Fiennes als jemand, dem Regisseur Edward Berger (Oscar für Im Westen nichts Neues) nicht mehr von der Seite weicht, in die sakralen Tiefen einer Institution, die ihre Identitätskrise dank eines unvorhergesehenen Todesfalls dem Allmächtigen sei es gedankt endlich beim Namen nennt. Es ist weniger etwas faul in diesem Kirchenstaat als längst überholt. Es schwelen weniger der Skandal und der Affront als vielmehr die Symptome einer Verkümmerung, die aus regressiven Glaubenssätzen über den Glauben entsteht.

Der Prunk, die Riten, das Prozedere – das alles mag an eine Monarchie erinnern, die glaubt, konstitutionell zu sein, ohne ihrer Pflicht nachzugehen, Dogmen und Weltbilder zu hinterfragen. Wann, wenn nicht bei einem Konklave, würde sich herausstellen, wer von den rotgewandeten Eminenzen nur sich selbst beweihräuchert anstatt einer Gemeinschaft des Glaubens zu dienen. Religion, das ist laut Karl Marx Opium für das Volk. Doch an diesen Grundsätzen wollte sich Autor Robert Harris nicht zu schaffen machen, vorausgesetzt, Edward Berger hat den Roman auch so verfilmt, wie er gemeint war. Oder aber er hat gewisse Aspekte aus der Geschichte ganz anders hervorgehoben, um eine Sanftmut in seinem Film walten zu lassen, die man so nicht hätte kommen sehen. Konklave, so hätte man vermuten können, würde die Kirche provozieren, die Gemeinschaft der Gläubigen brüskieren, den Skandal heraufbeschwören. Doch weder ist der Skandal der Story inhärent noch strebt Konklave auch nur irgendwie an, der Kirche eins auszuwischen. Ist diese Einstellung vertretbar? So, wie Edward Berger sie umsetzt, durchaus.

In diesem Konklave gibt es Begehrlichkeiten und Geheimnisse – wie überall in ähnlich politischen Phasen des Umbruchs. Dekan Lawrence, eben Ralph Fiennes, will sie rechtzeitig lüften, um zu vermeiden, dass der Heilige Stuhl unrechtmäßig an jemanden geht, der Dreck am Stecken hat. Da könnte man sagen: Ganz egal, wer. Der Katholizismus als Gesamtheit darf sich ruhig schämen. Über den Kamm geschoren, wäre die Ambitionen so manchen Reformators im Keim erstickt. Denn zerbrechen lässt sich die Kirche nicht mehr. Nur verändern. Das weiß Lawrence, er wächst über sich hinaus, verbiegt die strengen Gesetze während der Papstwahl, um an die Wahrheit zu kommen. Um ihn herum Querdenker, Ehrgeizler und Individualisten. Und Gott sei es gedankt: Ausnahmsweise treibt kein Antichrist sein Unwesen, der in den Kellergewölben des Vatikan den jüngsten Tag vorbereitet oder von Klosterschwestern geboren werden soll. Der Teufel hat diesmal nichts verloren in den heiligen Hallen. Das plumpe Böse findet sich hier nirgendwo, doch auch nicht das exaltiert Progressive wie in The Young Pope, einer Serie von Paolo Sorrentino, der dem Kirchenstaat mit scharfer Klinge die Leviten liest. Konklave sucht den Dialog und den Anstand, verurteilt weder Kirche noch den Klerus, will mit Diplomatie und Taktik eine Zeitenwende herbeiführen, stets auf Basis eines Bewusstseins, die Kirche als Notwendigkeit für den Glauben anzusehen. Obsolet ist das Wie, aber nicht das Was.

Wie Edward Berger es schafft, Polemik zur Gänze zu vermeiden und stattdessen das Ensemble auf menschliche Werte besinnen zu lassen, jenseits von Mitra, Soutane und Scheitelkäppchen, obwohl die noble Tracht für Blickfang sorgt, wird zum erstaunlich humanistischen, klugen Kunststück eines Kirchenfilms, der sich nichts sehnlicher wünscht als die selbstlose Erkenntnis eines Machtapparats. So sehr Konklave auch bedächtig anmutet und Vorsicht vor dem Rückschritt walten lässt, so machtvoll gibt der kongeniale Score von Volker Bertelmann den Winkelzügen Relevanz. Ergänzt durch eine epische, präzise komponierten Bildsprache, bleibt Konklave als ein gereiftes und reifes, intelligentes Stück Religionskino lange noch in Erinnerung. Es geht auch ohne Rundumschlag.

Konklave (2024)

Die Aussprache

DIE ENTBEHRLICHKEIT DER MÄNNER

6/10


womentalking© 2022 Orion Releasing LLC. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: SARAH POLLEY

BUCH: SARAH POLLEY, NACH DEM ROMAN VON MIRIAM TOEWS

CAST: ROONEY MARA, CLAIRE FOY, JESSIE BUCKLEY, BEN WISHAW, FRANCES MCDORMAND, JUDITH IVEY, SHEILA MCCARTHY, KATE HALLETT, LIV MCNEIL, EMILY MICTHELL U. A. 

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Alle Männer sind böse. Zumindest hat das Jessie Buckley zuletzt in Alex Garlands surrealem Kunsthorror Men so erlebt. Jeder Mann, dem Buckley da begegnet war, hat das selbe Gesicht getragen. Wie gruselig. Und beklemmend obendrein. Jetzt ist Jessie Buckley wieder dieser Testosteron-Hydra ausgesetzt. In Sarah Polleys Regiestück Die Aussprache (im Original: Women Talking) ist aber dann doch nicht jeder einzelne innerhalb dieses genitalgesteuerten Patriarchats so richtig schlecht. Ben Wishaw zumindest nicht. Doch der ist aus seiner Sicht ein Verlierer, ein ehemaliger Verstoßener, der nur deswegen zu seiner mennonitischen Gemeinde irgendwo in Bolivien zurückkehren durfte, weil er für jene als Lehrkraft von Nutzen sein kann. Er ist es auch, der Protokoll führt, sitzend auf einem Ballen Stroh, das Notizbuch vor sich liegend und als einziger des Alphabets mächtig. Die Frauen sind das nicht, aber zumindest dem Willen Gottes unterworfen oder besser gesagt jenem Willen, denn die evangelische Freikirche den Männern zugestanden hat. Man sieht wieder: Religion und Gleichheit vertragen sich nicht. Und haben es niemals getan. 

Und eines Nachts ist es dann passiert: Einer der Männer aus der Gemeinde wird während eines sexuellen Übergriffs ertappt – um sich aus der Sache rauszuwinden, verpfeift er alle anderen, die dasselbe getan haben – jahraus, jahrein. Der Glaube sagt: duldet nur, dafür kommt ihr ins Himmelreich. Die Frauen meinen: Mumpitz, so geht das natürlich nicht weiter. Also werden all die Männer angeklagt, die übrigen versuchen, eine Kaution für all die Verbrecher zusammenzubekommen, also bleiben nur die Frauen in der Gemeinde zurück, um zu beraten, was sie nun tun sollen. Da gibt es drei Möglichkeiten: Alles so belassen wie es war und den Männern vergeben (was die Freikirche auch verlangt), zu bleiben und zu kämpfen oder alles Notwendige zusammenzupacken und wegzuziehen. Irgendwohin, wo keine Männer sind, denn die sind ohnehin entbehrlich. Über das Für und Wider zur kommenden Entscheidung wird diskutiert, geredet und geweint, geschrien und gelacht. Dann wieder vorgeworfen und um Verzeihung gebeten. Am Ende wird der Schlussstrich in welcher Form auch immer gezogen werden. Hoffentlich aber im Sinne der Menschlichkeit, der Gleichheit und der Freiheit für das weibliche Geschlecht.

Woher die Kraft beziehen, um die Konventionen zu brechen? Woher den Mut zur Selbstbestimmung? Sarah Polley (u. a. Take this Waltz) will Antworten und hat sich dem auf Tatsachen beruhenden Roman von Miriam Toews angenommen, der sich aber weniger nach Prosa sondern vielmehr nach Bühne anfühlt. Kann sein, dass im Roman die Vorgeschichten der dargestellten Frauen ebenfalls geschildert werden, doch man kann sich insofern glücklich schätzen, in Polleys Film fast keinen Gewaltdarstellungen ausgesetzt zu sein. Auf Vergewaltigung, Missbrauch von Minderjährigen und Schlägen ist man ohnehin nicht neugierig. Es ist mehr als genug, zu sehen, welche Narben und Wunden all die Frauen zu ihrer Aussprache mitbringen. Das reicht von der ungewollten Schwangerschaft bis zum womöglich aus Inzest entstandenen, missgestalteten Kind. Dazwischen Blessuren und blutende Unterleiber. Die wenigen Momente, in denen wir Zeuge von solchem Gräuel werden, reichen, um sowieso einen Hass auf alles Männliche (mit Ausnahme von Ben Wishaw) zu entwickeln, umso mehr auch deswegen, weil Männer ansonsten in diesem Film gesichtslos bleiben und auch keine Chance bekommen, sich zu äußern. Ist das aber nicht eine viel zu einseitige Darstellung? Könnte man meinen – doch kein einziges Wort würde solche Gewalt rechtfertigen. Missstände wie diese lassen sich in einer erzkonservativen Männerwelt leicht für möglich halten. Demnach hätte dem Film auch daran gelegen sein müssen, mit den erstarrenden Dogmen einer Freikirche aufzuräumen, von denen es viele gibt in den Vereinigten Staaten, und die reaktionärer nicht sein könnten. Doch Gott weist hier immer noch den Weg, die Frauen wollen ihm näher sein, hinterfragen aber viel zu wenig ihre eigene Position innerhalb ihres Glaubens. Was sie bewegt, ist die Frage des Befreiens, weg vom Mann. Die Abstimmung um die Ausgliederung aus einer Paargesellschaft gestaltet sich in entsättigten, dunklen Bildern und mutet an wie das Dialogdrama der Zwölf Geschworenen von Reginald Rose – nur im #MeToo-Kontext. Bis alle einer Meinung sind, vergehen Stunden des Diskurses, doch vieles dreht sich auch im Kreis. Wirklich in die Tiefe gehen die Gespräche nicht.

Doch was zählt, ist das aufgebrochene, verkrustete Machtsystem. Polley hilft ihren gezeichneten Gestalten behutsam aus dem Sumpf des Leidens und sucht den Neuanfang; mal panisch, mal resignierend, mal zuversichtlich. Die Aussprache scheint vieles, was zur #MeToo-Thematik filmisch bereits dargestellt wurde, zusammenzuzählen und auf gleichen Nenner zu bringen. Die Konsequenz daraus mag vielleicht nicht unbedingt die richtige Lösung sein. Aber zumindest eine, die auf idealistische Weise etwas verändern kann.

Die Aussprache

Die zwei Päpste

EINKEHR-SCHWUNG IM VATIKAN

6/10

 

thetwopopes© 2019 Netflix

 

LAND: USA 2019

REGIE: FERNANDO MEIRELLES

CAST: JONATHAN PRYCE, ANTHONY HOPKINS, JUAN MINUJIN, FEDERICO TORRE U. A.

 

Mit dem Pontifex auf ein Bier zu gehen, das wäre gar nicht mal so unmöglich. Unser aller Franziskus (zumindest für all die Katholiken), der begegnet seinen Schafen nämlich auf Augenhöhe. Der braucht den ganzen Pomp, den ganzen Luxus und das ganze Zeremoniell nicht. Der speist lieber mit den Angestellten in der Vatikansküche. Einer unter vielen, das ist er. Und ein Hoffnungsträger. Einer, der anscheinend wirklich das Prinzip des Franz von Assisi lebt, tagtäglich. Und so nah am Original wie möglich. Wim Wenders hat darüber vor zwei Jahren einen Film gemacht: Franziskus – Ein Mann seines Wortes. Der deutsche Filmemacher, so hat es den Eindruck, begab sich damals wirklich mit dem Argentinier auf Augenhöhe, und so intim und unter vier Augen fühlt sich der Film auch streckenweise an. Nicht von oben herab, in keinster Weise weiser als all die anderen Menschen, denen er sich widmet. Zwischendurch dann Mitschnitte während seiner Reisen rund um den Globus. Franziskus, der ist ein Globetrotter. Einer, der überall sein will, und am liebsten mitten in der Menge. Dieses Authentische, das hat schon damals Kardinal Ratzinger beeindruckt, seines Zeichens Papst Benedikt XVI. und zu Lebzeiten abgedankt. Dabei hatte er damals, bei der Wahl des neuen Papstes nach Johannes Paul II., nur knapp gegen Jorge Bergoglio gewonnen.

Die ungewöhnliche Netflix-Produktion Die zwei Päpste soll nun zeigen, wie es zu diesem Machtwechsel gekommen ist, oder viel eher: welches intime Gespräch diesem seit dem 13. Jahrhundert einzigartigen Staffellauf der Päpste eigentlich vorangegangen ist. Natürlich, darüber lässt sich hauptsächlich nur mutmaßen. Überliefert sind die Gespräche wohl nicht eins zu eins. Überliefert sind eher die Fakten, die dieses Treffen umrahmen. Dass sich Joseph Ratzinger und Jorge Bergoglio trotz ihrer unterschiedlichen Anschauungen in Sachen Religionspolitik gut verstanden haben, zum Beispiel.

Und doch ist der Film Die zwei Päpste eine auffallend unstringente Filmschau. Was meiner Meinung nach zu erwarten war? Eine knisternde, kontroverse, spannende Doppelconference, ein Dialogfilm mit Schliff, womöglich mit dem Knalleffekt der Abdankung. Was hätte Paolo Sorrentino, Liebhaber und schwelgerischer Kritiker des Klerikalen, wohl aus diesem Stoff gezaubert? Etwas so schlagkräftiges und dichtes wie seine Serie The Young Pope mit Jude Law? Womöglich. Umbesetzt hätte er die Rollen von Benedikt und Franziskus aber nicht. Unterstanden hätte er sich das. Denn Anthony Hopkins und Jonathan Pryce sind in diesem biographischen Dialogdrama auf der Höhe ihres Schaffens. Bei Hopkins denkt man längst nicht mehr an Hannibal Lecter – seine Darstellung des betagten Ex-Oberhauptes der konservativen Glaubenskongregation findet in der noch so kleinsten Mimik glaubhafte Entsprechung. Sein Gang durch die Räumlichkeiten des Papstbesitzes refkletiert Schauspielkunst vom Feinsten. Und Pryce? Pryce ist Bergoglio, anders lässt sich das nicht umschreiben. Hätten wir am Ende des Filmes nicht Szenen der tatsächlichen Personen, würde mir der Unterschied rein aus der Erinnerung heraus gar nicht einfallen. Wie er blickt, wie er sinniert, wie er sich schämt für sein Versagen während der Junta-Diktatur in Argentinien – das ist schon eine Imitation, für die es nicht so schnell annähernde Alternativen gibt. Beide zusammen sind ein elektrisierendes Duo. Und dennoch – der Film von City of God-Regisseur Fernando Meirelles zerfällt in einzelne Fragmente, und weiß nicht so recht, was er sein möchte. Ein runder Tisch über den christlichen Glauben im 21. Jahrhundert? Ein Philosophikum? Ein semidokumentarisches Kirchendrama? Oder doch lieber nur eine Hommage an den aktuellen Papst Franziskus? Das Ziel vor Augen Meirelles bleibt verschwommen. Sowieso ist Bergoglio der Mann, um den es hier geht und dessen Vergangenheit mit Archivaufnahmen und SW-Einsprengseln viel mehr im Rampenlicht steht als beim bayrischen Kollegen. Es geht um Schuld, um menschliche Fehler und Vergebung. Um Idealismen und Weltsichten. Der einzige gemeinsame Nenner dieser zerfahrenen Beobachtung ist wohl am Ehesten das Ende obsoleter kirchlicher Weltbilder und der Neuanfang mit entrümpelter, mehr glaubhafter Weitsicht. So wie sie Papst Franziskus zelebriert.

Mit Die zwei Päpste bekommen jene, die es eínteressiert, die Möglichkeit, völlig wertfrei auf das Dilemma der Kirche zu blicken, ohne der visuellen Extravaganz eines Sorrentino, sondern zurückgenommer, karger, nüchterner. Und Wim Wenders filmische Einsicht in die Gedankenwelten des Brückenbauers an dieser Stelle – am besten danach -– wäre wärmstens zu empfehlen.

Die zwei Päpste

Zwingli – Der Reformator

MIT DER KIRCHE ÜBER KREUZ

5/10

 

zwingli© 2019 W-film / C-Films

 

LAND: SCHWEIZ, DEUTSCHLAND 2018

REGIE: STEFAN HAUPT

CAST: MAX SIMONISCHEK, SARAH SOPHIA MEYER, ANATOLE TAUBMAN, STEFAN KURT, UELI JÄGGI U. A.

 

Die Schweiz ist nicht gerade berühmt für ihr immenses Filmschaffen, ganz im Gegenteil. Spontan gefragt fällt mir bis auf Wolfgang Panzers Mönchsfilm Broken Silence oder Beresina oder die letzten Tage der Schweiz sonst weiter nichts mehr ein. Das ändert sich aber jetzt, und zwar aktuell mit einem Film, der den Begründer des protestantischen Glaubens in der kleinen, neutralen Bergnation zum Thema hat: Ulrich Zwingli. Der Geistliche und Humanist war ein Zeitgenosse Martin Luthers, und nach dessen Thesenanschlag war auch dieser motiviert genug, Reformen an der katholischen Kirche durchzuführen, die mit Ablassbriefen, Pomp und Protz dem so einfachen wie leichtgläubigen Volk in grenzenlos überheblicher Arroganz auf der Nase herumtanzen konnte. Natürlich will die Kirche das nicht ändern, und natürlich wird Zwingli zu einem Feind des Vatikan, was er letzten Endes auch mit dem Leben bezahlt. Doch wer war Zwingli wirklich – und wie kam es zu diesen bahnbrechenden Veränderungen, die das größte Schisma der Menschheit auf den Weg brachte?

In Stefan Haupts Historienfilm zieht eines winterliche Tages Schauspielersohn Max Simonischek durch die Gegend rund um Zürich, um letzten Endes dort sein Quartier aufzuschlagen. Der neue Prediger fällt, ehe man es sich versieht, sogleich mit der Sakristei ins Haus, indem er anfängt, Bibelexegese in deutscher Sprache zu betreiben, und das vor versammelter Menge. Latein hat ja bislang sowieso keiner verstanden, mit Ausnahme sämtlicher Würdenträger, die somit ihre Privilegien beschnitten sehen. Stoff genug also für eine faktenbasierte Disputation im Kinoformat, für eine Zielgruppe, die überschaubar bleibt, und für ein Genre, das bestenfalls sein Nischendasein als Kirchenfilm fristet. Wer Luther mit Joseph Fiennes mochte, das vor 16 Jahren im Kino lief, sollte an Zwingli – Der Reformator nicht vorbeigehen, denn mit diesem biographischen Fragment über dessen Wirken haben wir die Reformation des frühen 16. Jahrhunderts quasi in Dolby Surround – von Luthers Norden bis zu Zwinglis Süden. Historiker wissen: Zwingli und Luther hatten zwar regen Briefkontakt, ein Disput über die Bedeutung der Kommunion hat sie dann aber letztendlich entzweit. Was nicht heißt, dass Jahrzehnte später beide Reformationsbewegungen doch noch zueinanderfinden konnten. Details, die der Film Zwingli – Der Reformator leider ausspart oder halbherzig in einem Nebensatz erwähnt.

Die Hoffnung, jenem legendären Streitgespräch zwischen den beiden Querdenkern filmisch folgen zu können, stirbt zuletzt. Aber sie stirbt. Stefan Haupt wagt sich während seiner über zweistündigen Laufzeit, die teilweise gehörige Längen hat, kaum hinter den mittelalterlichen Mauern des historischen Zürichs hervor. Schön anzusehen ist die rekonstruierte Stadt schon – aber das ist das einzig Epische an einem sonst zur Epik neigenden Stoff, der im Korsett einer Guckkastenbühne leider nur sein dialoglastiges Dasein fristen muss. Es hat den Anschein, als blieben aufgrund des knappen Budgets große inszenatorische Sprünge leider nur Wunschdenken. Nichts gegen all die Details der Ausstattung – die Lagerhallen des Zürcher Kostümfundus hätten wieder mal durchgefegt werden können, so zahlreich haben sich sowohl Statisten als auch der Haupt-Cast in die spätmittelalterliche Kluft gezwängt – vom Bettler bis zum Bischof. Darüber hinaus aber meist die gleichen Settings, immer widerkehrend, wie bei einem Theaterstück, als würde man einem Drama von Fritz Hochwälder oder Jean Anouilh beiwohnen, die ja bekanntlich historische Stoffe dialogfertig für die Bühne adaptiert hatten.

Im Kino ist der Verwöhnfaktor ein ganz ein anderer. Erst unlängst konnte David Michöds The King so richtig wuchtige Bilder zumindest auf den Netflix-Bildschirm schmettern – in Zwingli – Der Reformator bleibt das alles außen vor, selbst die finale Schlacht zwischen Altchristen und den wütenden Reformern war Haupt nicht mal einen Rundumblick wert. Zum Glück für ein Publikum, dass kein Blut sehen kann, und Pech für Liebhaber historischen Kräftemessens. Dafür wäre Zwingli – Der Reformator aber ideal gewesen, denn was der Film erzählt, ist kraftvoll genug, um auch kraftvolleres Kino zu produzieren. So aber bleibe ich zwar mit geschlossenen Bildungslücken in Sachen Kirchengeschichte zurück, wundere mich aber dennoch, wie hölzern so mancher Auftritt absolviert und wie eng geschnürt der filmische Blickwinkel bleibt. Da kann auch Simonischeks angenehme Stimmlage (ja, ganz der Papa!) nur bedingt etwas ändern, wobei dessen rustikaler Haarschnitt sowieso allem die Show stiehlt.

Zwingli – Der Reformator

Franziskus – Ein Mann seines Wortes

DIE KUNST DES ZUHÖRENS

6,5/10

 

franziskus© 2018 Universal Pictures Germany

 

LAND: ITALIEN, SCHWEIZ, FRANKREICH, DEUTSCHLAND 2018

REGIE: WIM WENDERS

MIT: JORGE MARIO BERGOGLIO alias PAPST FRANZISKUS

 

Durchs Reden kommen d´Leut zamm, so wird gesagt. Da aber mittlerweile in diesem ach so selbstrepräsentativen Zeitalter jeder redet, völlig ungeachtet dessen, ob überhaupt jemand zuhört, ist das besagte Zuhören indessen rar geworden. Das Reden könnte man also mal den anderen überlassen, auffällig sind mittlerweile jene, die nicht so viele Worte verschwenden und hören, was gesagt wird, auch wenn vieles davon heiße Luft ist. Dazwischen aber gibt es jene, die wirklich Wichtiges zu sagen haben. Da muss der Auditor schon genau selektieren und sich denen nähern, die von Katastrophen und Ähnlichem erzählen, von Dingen, die sich unsereins in Abrahams Schoß überhaupt nicht vorstellen können. Einer dieser Zuhörer dürfte der seit 2013 im Amt der katholischen Kirche befindliche Papst Franziskus sein, ein Weglasser und Pompreduzierer unter dem Herrn, der sich mittags in die Kantine zum übrigen Personal des Vatikans kauert oder einfach auf das kugelsichere Papamobil verzichtet, um den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen. Ja, das tut er, dieser Franziskus, oder eigentlich Jorge Mario Bergoglio, waschechter Argentinier aus Buenos Aires und auffallend natürlich. Aktiv wie ein Außenminister zu Krisenzeiten und irgendwie überall schon mal gewesen. So zumindest zeigt es Wim Wenders in seinem vom Vatikan in Auftrag gegebenen Porträt eines ungewöhnlichen Mannes in Weiß, der Energien an den Tag legt, die mir schon allein beim Zusehen abhandenkommen und der einem Terminplan folgt, der dichter kaum sein kann.

Frühsommer letzten Jahres kam Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes ins Kino, fünf Jahre zuvor begannen die Vorbereitungen zu diesem Film, also eigentlich kurz nach Franziskus´ Antritt zum Pontifikat. Zeitraubend daran war die Sichtung all des Materials an Mitschnitten vergangener und zukünftiger Events, Reden vor versammelten Mengen und Besuche in mitunter auch diverser Brennpunkte. Franziskus, so lässt sich erkennen, gibt sich niemals die Blöße, verunsichert zu wirken, ganz egal, was er tut oder sagt. Sein ideologisches Konzept scheint Hand und Fuß zu haben. Natürlich, und das muss man an dieser Stelle auch sagen, ist Wenders Auftragsarbeit ein Werk, dessen Entstehung der Vatikan klarerweise unterstützt hat. Folglich bleibt Papst Franziskus jeglichen kritischen Beäugungen erhaben, verpackt den wortlastigen, wohlwollenden Steckbrief aber auf eine Art, die sicher nicht als katholischer Werbefilm zu bezeichnen ist. Warum?

Jedenfalls mal, weil Wim Wenders am Regiestuhl sitzt. Weil er mit dem Franzosen David Rosier, der schon bei Das Salz der Erde mit dabei war, all die Fragen ersonnen hat, die dem vielbeschäftigten Papst aufgetischt werden sollen. Weil Wenders ein genauer Hinblicker ist, der sich mit der intellektuellen Abtastung außergewöhnlicher und expositionierter Persönlichkeiten schon ausreichend gut genug beschäftigt hat, um zu wissen, wie er sich Menschen solchen Formats zu nähern hat. Das geschieht auf leisen Sohlen, das geschieht als Zuhörer eines Mannes, der selbst meistens Zuhörer ist. Da beide natürlich nicht zuhören können, würde der Film schweigen, also schöpft Franziskus zu dem einen oder anderen Thema aus seinem Gedankengut und wirkt, natürlich jetzt nicht wider Erwarten aber doch, erstaunlich weise und erstaunlich gütig. Unaufgesetzt, geradeheraus und im übertragenen Sinne ungeschminkt. Nüchtern und klar ist der ganze Film, so nüchtern und klar wie die Einstellung des Pontifex zum materiellen Reichtum des Einzelnen. Hinter den Ambitionen des Mannes steckt wahrlich ein Konzept, das arbeitet Wenders diskret hervor, und ich weiß nicht, inwiefern und inwieweit sich das Vatikan-Fernsehen da eingemischt hat, aber einen Film wie diesen so weit umzutakten, dass er tatsächlich so wirkt, als wäre man mit dem betagten Argentinier bei anregenden Gesprächen in einem gediegenen Kaffee, ist als geglückter Balanceakt zu bezeichnen, der für eine konfessionelle wie konventionelle Macht wie den Vatikan unerwartet unklerikal wirkt, jenseits aller Frömmelei und selbstinszeniertem Gutmenschentum. Es scheint also so, als wäre Papst Franziskus tatsächlich ein Mann seines Wortes. Oder besser: ein Mann seiner Wörter, der Kluges spricht und wo es passieren kann, dass leidenschaftliche Redner wieder zu Zuhörern werden.

Franziskus – Ein Mann seines Wortes

Der Fall Jesus

VON SAULUS ZU PAULUS

4/10

 

Der Fall Jesus© 2017 Pure Flix

 

LAND: USA 2017

REGIE: JON GUNN

CAST: MIKE VOGEL, ERIKA CHRISTENSEN, ROBERT FORSTER, FAYE DUNAWAY U. A.

 

Bei Matthäus 19 heißt es doch so schön: Wer es fassen kann, der fasse es! Dabei beziehen sich Jesus´Worte auf die Bereitschaft, sich dem Glauben einmal mehr, einmal weniger offenkundig hinzugeben. Sich Gott komplett zu verschreiben, oder dessen Botschaften in respektvollem Abstand zu interpretieren. Der Glaube, der ist ja etwas ganz Persönliches, der gehört in jedem Fall nicht dogmatisiert. Und schon gar nicht frei von Zweifel gehalten. Wer es also zur Gänze begreifen kann, diese frohe Botschaft, der soll das tun. Wer hinter den Vorhang blicken kann, der soll das machen. Alle anderen müssen das nicht, sie sollen es so fassen, wie sie es fassen können. Und wer nicht bedungungslos an die Wahrheit glaubt, der kommt deswegen auch nicht weniger ins Himmelreich, das betrifft dann wieder vermehrt die Reichen. Auch Reporter Lee Strobel wäre auch dann ins Himmelreich gekommen (sofern es eines gibt, aber wie gesagt: Zweifel sind immer ein Zeichen dafür, sich mit einem Thema aktiv auseinanderzusetzen) hätte er sich der Authentizität des Neuen Testaments weiterhin verschlossen. Doch irgendetwas ließ den faktenversessenen Journalisten einfach nicht davon abhalten, die Wahrheit über den historischen Jesus herausfinden zu wollen. Nicht aber, weil er dessen Existenz wiederlegen wollte. Nicht, weil er die ganze christliche Lehre für Humbug gehalten hätte. Sondern einfach, weil er schon von Anbeginn an, bevor die Recherchen zu den Fakten überhaupt in Angriff genommen wurden, bereits daran glauben wollte. Wollen also, aber leider nicht können. Das wäre der Glaubwürdigkeit eines Reporters wohl nicht zuträglich, denn solche Berufe zeichnen sich dadurch aus, alles penibel recherchieren zu müssen, um nicht enttarnt zu werden als Kolporteure, die Gesagtes und Gehörtes nochmal unreflektiert aufwärmen. Das geht natürlich gar nicht. Also ist sich Lee Strobel selbst im Weg.

Der Fall Jesus erzählt von der Eigenmission eines Mannes, der später zu einem angesehenen Vertreter des apologetischen Glaubens und der kreationistischen Entstehungslehre (!) werden wird. Womit wir plötzlich bei einer, ich kann mir nicht helfen, überraschend ungetarnten Kirchenpropaganda gelandet sind, die vorgibt, ein geschichtswissenschaftlicher Thriller zu sein, dabei aber von einem völlig verhobenen Trugschluss ausgeht. Dieser lautet wie? Dass Glaube welcher Art auch immer aus der Akzeptanz irgendwelcher Fakten resultiert. Das wird niemals passieren, und auch wenn die Passionsgeschichte des Mannes aus Nazareth irgendwie auch wiederlegt hätte werden können (was aber nicht passiert ist), wäre die Sache des Glaubens immer noch eine andere. Auch wenn die Bibel nicht recht hat, hat der eigene Glaube immer noch Hand und Fuß. Kann also ein Mensch wie Lee Strobel hinsichtlich einer metaphysischen Entität wirklich Überzeugung erlangen, sofern sich die Prämisse, nur zu glauben was man sieht, erfüllt? Oder wäre dieser Mensch ohne des Bohrens in heiligen Wunden nicht ohnehin zur selben Erkenntnis gelangt? Laut dessen Bericht würde ich behaupten: ja. Strobels Frau, die auf ganz anderem Wege zu ihrem Glauben gefunden hat, nämlich in Bezug auf das Wunder, dass ihre Tochter vor dem Erstickungstod bewahrt hat, ist in ihrer Neuausrichtung in punkto Lebenssinn da schon glaubwürdiger, wenn auch hier von einer leicht fanatischen Freude beseelt, die ihr ja zu wünschen ist, die aber dennoch irritiert. Das erinnert unweigerlich an das kürzlich in Wien stattgefundene Massengebet für Exkanzler Sebastian Kurz durch den Awakening Europe-Verein, der natürlich aus den USA kommt, denn dort kommt das ganze erzkonservativ christliche Glaubenskonzept eigentlich her.

Zu diesem bigotten Bekenntnis will uns der von der christlichen Produktionsfirma Pure Flix gedrehte, populistische Film aber eigentlich verleiten. Zu einer Hurra-Erleuchtung, die wie aus heiterem Himmel Ungläubige zu eifrig buckelnden Gläubigen machen soll, ungefähr so wie Saulus zu Paulus wurde, was zwar missionstechnisch damals seinen Mehrwert hatte, aber wer will heutzutage noch missionieren, wo jeder, der etwas damit anfangen will, seinen persönlichen Jesus hat? Der Fall Jesus will das schon, auf Basis unwiderlegbarer historischer Fakten, die für sich schon einen spannenden Einblick in die Bibelarchäologie gewähren, die aber mit der massentauglichen Erweckungssystematik frömmelnder Gebetsgruppen eigentlich gar nichts zu tun haben wollen – und dort auch nicht hingehören.

Der Fall Jesus

Silence

DAS SCHEITERN DES GLAUBENS

8/10

 

silence© 2017 Constantin Film

 

LAND: USA 2017

REGIE: MARTIN SCORSESE

MIT ANDREW GARFIELD, ADAM DRIVER, LIAM NEESON, CIARAN HINDS U. A.

 

Wir schreiben die erste Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts. Martin Luther und die Kirchenspaltung hat längst die Welt verändert. Der katholische Orden der Jesuiten hat nach den Eroberungsfeldzügen der Conquistadores in der neuen Welt alle Hände voll zu tun, ein heidnisches Volk nach dem anderen zum einzig wahren, christlichen Glauben zu bekehren. Und das nicht nur in Süd- und Mittelamerika, nein. Die Jesuiten, des Papstes militanteste Friedens- und Heilsbringer, auch der einzige Orden, der wirklich auszog, um das Evangelium in jedem auch nur so entferntesten Winkel zu verkünden, haben sich auch nach 1600 in Gegenden vorgewagt, in denen bereits Weltreligionen wie der Buddhismus längst Wurzeln schlagen konnten. Was für eine Anmaßung! Da wagen intellektuelle Jünger Christi tatsächlich, mit bescheidenen Mitteln dem Vermächtnis des Buddha auf die Pelle zu rücken. Bei vielen mag die zwar gewaltfreie, aber immer noch ziemlich beharrliche Penetranz der Jesuiten, die einzige Wahrheit auch ganz weit weg von Rom manifestiert zu wissen, auf Ablehnung stoßen. Das Missionieren an sich war für mich immer etwas, dass dem Glauben an Jesus Christus zu keiner freiwilligen Entscheidung werden lässt. Der Lehrauftrag irgendwo zwischen Manipulation und – überspitzt formuliert – Gehirnwäsche stellt den ursprünglichen Glauben ja in Abrede. Und da beginnt das Gegeneinander. Dennoch – jemandem von der Heilsbotschaft zu überzeugen, einfach nur durch Worte und Beispiele, damit wollten die Jesuiten ziemlich rechtschaffen und voller Menschlichkeit punkten. Damit wollten sie ihr Ziel erreichen. Aus voller Überzeugung, weil das Christentum die einzig wahre Religion darstellt.

Spätestens bei dem Dogma über das Leiden mit Gott, für Gott und durch Gott, spätestens bei der ohnehin unendlich komplexen Bedeutung des Todes Christi am Kreuz – geraten die Botschaften des Neuen Testaments in ein verfremdend flackerndes Licht. Diese Missinterpretation Jesu, dieses Entfernen der Botschaft des Messias, ist Teilaussage des authentischen Berichtes anno 1638 aus Japan, der vom Scheitern des Glaubens, von Apostasie und die Unschärfe der religiösen Wahrheit erzählt. Martin Scorsese, vielseitiger Filmemacher und Ikone des amerikanischen Filmes, hat schon mit der einzigartigen Verfilmung von Theodorakis´ Roman Die letzte Versuchung Christi und der Dalai Lama-Biografie Kundun gezeigt, dass sein Interesse nicht nur der kriminellen Unterwelt Amerikas gilt, sondern auch religiösen Themen aus Buddhismus und Christentum. Beide ihn faszinierenden Quellen der Weisheit hat Scorsese nun vereint – in einem Epos, das den Wert des Glaubens und die eigene geistliche Identität in seinen Grundfesten erschüttert. Wer noch für religiöse Credo etwas über hat, sich selbst als Gläubigen sieht oder zum Agnostizismus neigt, findet in dem faszinierenden, hoch speziellen Religionsfilm einiges an brisanten und bis in die Wurzeln der Glaubensdidaktik reichenden Stoff zum Weiterphilosophieren und Ausdiskutieren.

Auf die unheilvolle Odyssee jenseits des Fassbaren schickt Scorsese niemand geringeren als „Kylo Ren“ Adam Driver und Andrew Garfield, der schon in Mel Gibsons Hacksaw Ridge mit der Kraft des Heiligen Geistes im Japan des zweiten Weltkriegs als pazifistischer Engel am Schlachtfeld diverse Leben retten konnte. Die beiden sind auf der Suche nach ihrem Lehrer, der als Jesuitenpater Ferrera (hat wieder mal gezeigt, dass er noch zu mehr taugt als nur zum Actionhero: Liam Neeson) angeblich vom Glauben abgefallen sei. Im christlichgläubigen Untergrund Japans angekommen, beginnt ein ganz eigener, erschütternder Kreuzweg in eine verbotene Zone für das Christentum, wo deren Anhänger vom Tokugawa-Shogunat, einer dynastischen Militärregierung, verfolgt, zwangskonvertiert oder ermordet werden. Die Methoden, die diese Inquisitoren erwählt haben, um den feindlichen Glauben auszumerzen, sind in seiner einfallsreichen Absurdität so unglaublich wie bestialisch. Wobei das Quälen der Christen meist nicht erste Wahl ist – das Konterfei der Jungfrau Maria oder Jesu Christi mit Füßen zu treten, ist für die Glaubensjäger meist Beweis genug, einen neuen Konvertiten gewonnen zu haben. Nur eine Frage der Zeit, wann die beiden ausgesandten Portugiesen das gleiche Schicksal erleiden müssen.

Scorsese findet neben der Schilderung dieser dunklen Episode des Christentums unter Aufwendung sehr viel Feingefühls genug Zeit, sich obendrein noch mit Sinn und Unsinn des Märtyrertums auseinanderzusetzen. Er verwickelt seine Figuren in Zwiegespräche mit Gott, lässt sie mit den Inquisitoren tiefschürfende Gespräche führen und lädt den interessierten Zuseher auf eine ganz persönliche Bibel- und Glaubensexegese ein, die vieles kritisch hinterfragt und das Verständnis des neuen Testaments auf mehrere, sich ad absurdum führende Ebenen hebt. Silence ist kein Film für das breite Publikum. Keine bequeme Geschichtsstunde, nicht frei von Gräuel, sehr speziell und fast schon ein seltener Beitrag zu einem verschwindenden Subgenre des Religionsfilms, zu welchem auch Roland Joffe´s Mission oder der preisgekrönte venezolanische Film Jericho zählt. Wobei Silence ebenso weit weg ist von christlicher Propaganda wie die beiden zuvor genannten Filme. Scorseses persönliche Meinung bleibt verborgen, sein Film ist eine unparteiische, aufwühlende Grauzone und Bildnis einer Irrfahrt voller Verfehlungen und lächerlicher Dogmen. Sie handelt von der Frage am Verrat des Glaubens und vom Verrat am persönlichen Jesus. Vom Seelenheil und vom Heil einer Weltreligion. Von Nächstenliebe und verbohrter Gottesliebe.

Silence ist ein starkes Stück cineastische Religionsgeschichte, so wuchtig bebildert wie nüchtern erzählt.

Silence