Gladiator II (2024)

DIE HAIE DES ALTEN ROM

5/10


gladiator2© 2024 Paramount Pictures


LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH, USA 2024

REGIE: RIDLEY SCOTT

DREHBUCH: DAVID SCARPA

CAST: PAUL MESCAL, DENZEL WASHINGTON, CONNIE NIELSEN, PEDRO PASCAL, FRED HECHINGER, JOSEPH QUINN, TIM MCINNERNY, DEREK JACOBI, ALEXANDER KARIM, LIOR RAZ, RORY MCCANN U. A.

LÄNGE: 2 STD 28 MIN


Jetzt hatte ihm doch glatt dieser Deutsche namens Roland Emmerich den optimalen Drehort weggeschnappt – die Cinecittà-Studios in Rom. Als ob das nicht schon genug des Schlittenfahrens mit einem alteingesessenen Regie-Veteran wäre – die Rede ist von Ridley Scott – will der Master of Desaster, nämlich Emmerich, dem Meister der Massenszenen auch noch die Show stehlen. Der hatte zu dieser Zeit schließlich die auf amazon längst feilgebotene Sandalen-Serie Those About To Die gedreht: Hickhack im Kolosseum oder im Circus Maximus, alles vor den Kulissen antiken römischen Polit-Geplänkels. Ridley Scott wollte das gleiche machen, hat aber woandershin ausweichen müssen, eben nach Malta und nach Marokko, auch keine schlechten Drehorte, da gibt es schlimmeres. Sein Kolosseum kann Scott auch woanders fluten, teilweise auch am Rechner, von dort peitscht schließlich auch das Mittelmeer an die numidische Festung und bringt den Tod auf Schiffen mit sich. Die größte von ihm gedrehte Schlachtenszene, will Ridley Scott schließlich bemerken. Was Besseres hat er, so meint er, noch nicht hinbekommen. Damit hat der Meister seines Fachs schon genug die Werbetrommel gerührt, denn wenn Scott von sich schon so beeindruckt ist, wie beeindruckend kann das Ganze dann fürs Publikum sein, welches die spektakulären Bilder der Schlacht von Austerlitz aus Napoleon noch taufrisch im Oberstübchen weiß. Die hat es schließlich gegeben, als Dreikaiserschlacht steht sie als Gamechanger in den Geschichtsbüchern.

Die Invasion unter Feldherr Justus Acacius hingegen gab es nie. Ridley Scott ist das egal, uns soweit eigentlich auch. Man kann davon ausgehen, dass diese Seeschlachten und Belagerungen ungefähr alle so aussahen wie zu Beginn des Schinkens Gladiator II, dem Sequel des vor einem Vierteljahrhundert das Genre des Historienfilms wiederbelebten Klassikers mit Russel Crowe, der unter den berührenden Klängen von Hans Zimmer den Sand der Arena kosten musste. Er und Joaquin Phoenix als unberechenbarer, charismatischer Diktator lieferten sich ein Duell der Extraklasse. Was war das nicht für ein großes emotionales Schauspielkino, das man bei Gladiator II leider vermisst. Jeder tut hier, was er kann, doch stets für sich, ohne durch ein ausgefeiltes Teamplay Synergien zu entwickeln, die packendes Kino eben ausmachen. Ridley Scott und sein Drehbuch-Buddy David Scarpa, der schon die Filmbiografie des kleinen Korsen verfasste, schicken allerhand vom Schicksal gebeutelte gute und verrückt-sardonische Böse ins Rennen um die Macht, um Ansehen und die Freiheit in einem Weltreich, das damals womöglich in einer ähnlichen Krise festsaß wie heutzutage so manche Supermacht.

Zwei Narren namens Caracalla und Geta (ja, die hat es gegeben) vergnügen sich mit Spielen und wenig Brot für die Untertanen, der spätere Konsul und Gladiatorenmacher Macrinus (hat’s auch gegeben) intrigiert sich an die Spitze und instrumentalisiert dabei den Numider Hanno, in Wahrheit Lucillas und Maximus‘ Sohn Lucius, den es namentlich zwar auch gegeben hat, aber eine völlig andere Rolle spielt. Diese Figuren also schicken Scott und Scarpa auf die Spielwiese ins Zentrum der ewigen Stadt, die auf verblüffende Weise wieder aufersteht und ein authentisches Gefühl dafür vermittelt, wie es damals zugegangen sein muss. Es schieben sich die Massen über das Forum Romanum, es lebt das landwirtschaftlich genutzte Umland, es brennen die Fackeln über den Köpfen einer Menge an aufständischen Bürgern, die in der Düsternis der abendlichen Metropole gegen die Diktatoren demonstrieren. Hier liegen Scotts Stärken, die er egal in welchem Film mit geschichtlichem Kontext stets auf vollkommene Weise ausspielen kann. Wie er das macht, und vor allem, wie effizient (Drehtage gab es lediglich knapp 50), ist erstaunlich. Und ja, da gibt es keinen zweiten, der ihm da das Wasser reicht. Und wenn doch, dann ist es vielleicht eingangs erwähnter Emmerich, der die brachiale Opulenz des Leinwandspektakels zwar nicht ganz so auf Hochglanz poliert wie sein britischer Kollege, aber zumindest weiß, wie er die ausstattungsintensiven Settings wieder kaputtmacht.

Wie bei Gladiator aus dem Jahr 2000 beginnt Gladiator II mit einem Schlachtengemälde, gesteckt voll mit überzeugenden Kulissen und selbstredend ohne historische Akkuratesse. Am Ende sammelt Ridley Scott wieder die Massen, es raubt einem den Atem, wenn die römischen Heere aufmarschieren, auch dort ohne Gewährleistung wissenschaftlicher Genauigkeiten. Experten raufen sich sowieso schon längst die Haare, vorallem, weil Scott hier noch weniger Acht gibt als er es sonst tut. Er nimmt sich aus der Geschichte, was er brauchen kann, und nur anlehnend an Tatsachen setzt er diese Elemente so zusammen, als wäre sie die freie Interpretation irgendwelcher Legenden. Das kann er machen, das tun so manche Serien (Vikings, Last Kingdom) ebenso. Streiten lässt sich darüber angesichts der Fülle an Fehlern irgendwann gar nicht mehr.

Zwischen den bildgewaltigen Szenen dümpelt allerdings ein inspirationsloses Popcornkino dahin, das Talente wie Paul Mescal (u. a. Aftersun), Pedro Pascal und Denzel Washington maximal routiniert aufspielen lässt. Mescal ist dabei erfrischend kaltschnäuzig dank seiner Situation des Kriegsgefangenen, der seine bessere Hälfte von den Römern ermordet weiß. Warm wird man mit ihm nie, auch Pedro Pascal bringt niemanden zum Erzittern. Er ist Figur durch und durch, lebt sie aber nicht. Washington erzeugt die meisten Vibes, während Connie Nielsen mit ihrer ambivalenten Figur der Lucilla völlig überfordert scheint. Sie sucht die flucht im flachen Spiel kolportierter Emotionen. Es scheint, als hätte Emmerich die Regie übernommen, wofür auch Haie bei der nachgestellten Schlacht von Salamis und räudige Paviane blutdürstend Zeugnis ablegen.

Geschichtskino kann Ridley Scott deutlich besser. Warum es ihn nicht losgelassen hat, unbedingt den Gladiator fortzusetzen, der niemals auch nur einmal danach verlangt hätte, mag mir ein Rätsel bleiben. Vielleicht ist es wieder nur das Geld, doch Scott ist mit seiner eigenen Produktionsfirma sowieso der Gunst des Publikums längst erhaben. Man kann nur hoffen, dass das Feintuning bei ihm wieder zurückkehrt, auch die Lust am filmischen Standalone eines Monumentalfilms ohne Drang nach Fortsetzung. Mit dieser Art von Film schließlich tut sich Scott seltsam schwer.

Gladiator II (2024)

Megalopolis (2024)

WIE IM ALTEN ROM

5/10


megalopolis© 2024 Constantin Film


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE / DREHBUCH: FRANCIS FORD COPPOLA

CAST: ADAM DRIVER, NATHALIE EMMANUEL, GIANCARLO ESPOSITO, AUBREY PLAZA, SHIA LABEOUF, JON VOIGHT, LAURENCE FISHBURNE, KATHRYN HUNTER, DUSTIN HOFFMAN, TALIA SHIRE, JASON SCHWARTZMAN, GRACE VANDERWAAL, JAMES REMAR, BALTHAZAR GETTY U. A.

LÄNGE: 2 STD 18 MIN


Imperien widerfährt doch letztlich immer das gleiche: Sie erstarken, sie expandieren, sie brechen zusammen, und zwar meist von innen heraus. Wie Imperien funktionieren, was sie zersetzt und welches Verfallsdatum sie haben, vorausgesetzt, sie haben überhaupt ein solches – dafür scheint sich Regie-Veteran Francis Ford Coppola nicht zu interessieren. Sein Imperium beschränkt sich auf eine Millionenstadt, die sich nicht mehr New York, sondern New Rome nennt. Was darüber hinaus passiert, welche bilateralen Beziehungen vorherrschen und ob es überhaupt Kriege gibt – darüber werden wir in Megalopolis nie etwas erfahren. Denn Coppolas selbst finanziertes Alterswerk und spätes Opus Magnum ist der ambitionierte und zugleich auch sorgenvolle Blick auf eine urbane Besonderheit, auf den Big Apple nämlich, der steht und fällt mit den Ambitionen weniger. Eine administrative Oligarchie herrscht hier vor, in dieser unbestimmten Zukunft. New York wird zum isolierten Raumschiff, welches sich durch die Jahrhunderte bewegt. New York als Elysium und Traumgestalt, voll und ganz aufgegangen in den Hoffnungen und Ängsten eines Mannes, dem Filme wie Apocalypse Now passiert sind und der Dank des komplexen Stoffes von Mario Puzo seine Paten-Triumphe feiern konnte. Doch so wenig sich auch die künstlerische Qualität dieser Filme steuern ließ, so wenig lässt sich ein großer Wurf erzwingen. Megalopolis ist oder war eine Vision, die unbedingt in irgendeiner Form realisiert werden musste. Mit so einem Wulst an Ideen und Bildern im Kopf lässt sich keine Ruhe finden. Da Coppola aber eben kein Schriftsteller oder Bildhauer, sondern ein Filmemacher ist, musste das ganze Konglomerat an Figuren auf Zelluloid gebannt werden. Wie gut oder wie schlecht das Ganze dabei werden könnte, muss für Coppola zweitrangig gewesen sein. Wie das so ist bei Herzensprojekten wie diesem: allein die Tatsache, dass Megalopolis als künstlerisches Themenprojekt keine merkantilen Ambitionen verfolgt, sondern allein dadurch, dass es dem Koloss von Rhodos gleich auf die Beine gestellt werden konnte, ist genau jener Erfolg, den zu erreichen sich Coppola gewünscht hat.

Und hier ist das Werk. Ein Film, der manchmal so wirkt, als wäre er auch nur passiert, jedoch unter weniger prekären Umständen wie Coppolas Kriegsfilm aus den Siebzigern. Megalopolis mutet an wie eine Oper: Satte Ausstattung, überzeichnetes Licht, üppige Kostüme und die schwülstige Interessenspolitik wie seinerzeit am Forum Romanum, gesättigt mit Dekadenz, Intrigen und Liebeleien. Wie bei einer Oper zieht das Libretto den Kürzeren. Und obwohl es den Anschein hat, als hätte Coppola etwas geheimnisvoll Komplexes entworfen, hängt sein Epos letztlich an einem dünnen Inhaltsfaden, der immer wieder ordentlich durchhängt. An ihm hangelt sich einer wie Adam Driver entlang, der den Architekten Cäsar Catilina gibt – ein elitärer Visionär, der das versiffte und verkommene New Rome städtebaulich gerne etwas aufbrezeln würde. Bürgermeister Cicero will davon aber nichts wissen. Für ihn soll die Stadt so bleiben wie sie war. Tradition ist besser als Moderne. Veränderung brächte vielleicht den prognostizierten Fall aus schwindenden Höhen, wie das bei Imperien meist so passiert. Oder ist es gar umgekehrt? In dieses recht eindimensionale Duell mischen sich Ciceros Tochter Julia (Nathalie Emmanuelle) und Catilinas Cousin Clodio (wieder mal exaltiert: Shia LaBeouf). Catilinas Onkel Hamilton Crassus (Jon Voight) verbandelt sich dabei mit Catilinas Ex, der Journalistin Wow Platinum (Aubrey Plaza), die plötzlich Zugang zum Bankenimperium ihres deutlich älteren Ehemanns bekommt. Das Begehren und die Interessen aller lodern vor sich hin, ohne ein großes Feuer zu entfachen. Es ist, als würde man die Boulevardpresse der Zukunft lesen, vielleicht mit einigen infrastrukturellen Kleinschlagzeilen, die vom störrischen Idealbild einer besseren Welt berichten. Das Ensemble weiß dabei oft selbst nicht, was genau von ihm verlangt wird.

Auch wenn Coppola allen seinen kaum greifbaren Figuren römische Namen gibt, sie entsprechend antik kleidet, ins Kolosseum einlädt und die Inserts seiner Kapitel in Marmor meißelt wie seinerzeit bei den alten Cinecittà-Schinken. Auch wenn Coppola immer mal wieder Fellini zitiert und auch seine eigene Handschrift erkennen lässt, die sich schon in seiner Dracula-Interpretation findet – Megalopolis ist das oft bewegungslose Statement eines versessenen Künstlers, das lediglich als kitschiges, aber immerhin humanistisches Manifest funktioniert, wenn es um die Agenda geht, Imperien nicht sterben zu lassen. So sollen auch die Vereinigten Staaten als ein solches nicht zwingend ihrer politischen Entropie unterworfen sein. Diese Conclusio lässt sich zwar transportieren, doch was Coppola vermeidet, ist die Konfrontation. Seine Konflikte werden nie ausgetragen, das große Kino lässt auf sich warten.

Megalopolis (2024)

Das erste Omen (2024)

AUF TEUFEL KOMM RAUS

6/10


THE FIRST OMEN© 2024 Twentieth Century Fox. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA, ITALIEN 2024

REGIE: ARKASHA STEVENSON

DREHBUCH: TIM SMITH, ARHASHA STEVENSON, KEITH THOMAS

CAST: NELL TIGER FREE, RALPH INESON, NICOLE SORACE, SÔNJA BRAGA, BILL NIGHY, MARIA CABALLERO, ANDREA ARCANGELI, ANTON ALEXANDER, TAWFEEK BARHOM, ISHTAR CURRIE-WILSON, MIA MCGOVERN ZAINI U. A.

LÄNGE: 1 STD 57 MIN


Wie macht man ein Prequel für einen Film, der fast schon fünf Jahrzehnte auf dem Buckel hat? Reicht da nur, diesem die Optik seines Nachfolgers zu verpassen? Mitnichten, denn Erzähltempo, Score und das Lebensgefühl der Siebzigerjahre sind da nur ein paar weitere Faktoren, die müssen schließlich auch berücksichtigt werden. George Lucas zum Beispiel musste in seiner Prequel- Trilogie zu Star Wars: Eine neue Hoffnung damit ringen, die zeitlich davor angesetzte Storyline nicht so aussehen zu lassen, als wäre sie ihrer eigenen Zukunft voraus. Nur teilweise ist ihm das gelungen. Bei Richard Donners Satansbraten-Thriller Das Omen, das sich mit einigen Sequels ebenfalls zu einem Franchise entwickelt hat, mag es einfacher sein, das ganze Ensemble in einen Siebziger-Look zu kleiden und ganz Rom mit Retro-Boliden auszustatten. Eingefangen wird das schmucke Szenario mit einem bereits aus der Mode gekommenen Kamera-Manierismus, der aus schnellen Zooms und etwas unkoordinierten Schwenks besteht. Unterlegt wird das Revival mit nostalgischem Score und über allem dann ein entsprechend ausgewaschenes Retro-Kolorit, welches sich bestens eignet für Nebel und Dunst und düstere Innenräume, die das Waisenhaus, in welchem die Protagonistin des Films, Novizin Margaret, anfangs landet und auch die engen Gassen der ewigen Stadt in eine mystische Atmosphäre taucht, wie sie vielleicht nur noch Nicolas Roeg mit seinem Gruselthriller Wenn die Gondeln Trauer tragen so formvollendet ins rechte schale Licht gerückt hat.

Wenn Margaret also mit mulmigem Bauchgefühl über verlassene Plätze und durch enge Gassen trippelt, wenn sie seltsame Räume aufstößt und sich in der Tür, die in den dunklen Keller führt, stilsicher als dem Unheil sehr nahe gekommener Schattenriss abzeichnet, hat Das erste Omen mit unmissverständlich kalt komponierten, ikonischen Bildern die Aufgabe gemeistert, als Prequel eines Films, dessen Erzählweise längst von schnelllebigen Rhythmen im Horrorgenre abgelöst wurde, bestens zu funktionieren. Das allerdings ist die eine Sache. Die andere ist die, so sehr dem Original nahegekommen zu sein, dass selbst der Horror eine gewisse Vorgestrigkeit aufweist, der man eigentlich nur mit dem Grundton des Films widersprechenden Schreckmomenten beizukommen versucht, die der unheilvollen und mühsam aufgebauten Mystery mehr den Wind aus den Segeln nimmt als ihm dabei zu helfen, sich vollends zu entfalten.

Die Geschichte selbst ist schnell erzählt, und auch hier entspricht sie Donners Klassiker, da sie keinerlei Anstalten macht, ihr Publikum großartig an der Nase herumzuführen. Es lässt sich ahnen, was passieren wird, doch Filme wie diese leben von einem satten Gefühl, gemeinsam dem Unerklärlichen entgegenzutreten. Eingangs erwähnte Margaret, selbst Waise und aufgewachsen in einem Kloster irgendwo in den USA, reist also auf Einladung ihres Ziehvaters und Kardinals Lawrence (Bill Nighy) nach Rom und bereitet sich darauf vor, bald ihr Gelübde abzulegen. Während ihrer Arbeit im Waisenhaus macht Margaret Bekanntschaft mit einem geheimnisvollen Mädchen, das genauso von Visionen geplagt wird wie sie selbst. Hinzu kommt, dass ein gewisser exkommunizierter Geistlicher namens Brennan – Kenner des Originals wissen: Er wird Gregory Peck über die Bedeutung Damiens aufklären – genau dieses Mädchen mit der Ankunft des Antichristen in Verbindung bringt. Und Margaret darauf ansetzt, diese zu vereiteln. Die junge Frau wird somit immer tiefer in geheimnisvolle Verstrickungen und unheilvolle Begebenheiten hineingezogen, alles wird bedrohlicher und gefährlicher und keine Nonne in diesem Waisenhaus ist das, was sie vorgibt zu sein.

Die katholische Schwesternschaft muss abermals stark sein: Schon wieder gibt es einen Horrorfilm, der die schwarzweiß gekleideten Dienerinnen Gottes mit diabolischem Grauen in Verbindung bringt. Da hätte es doch gereicht, dass die grässliche Jumpscare-Nonne Valak aus dem Conjuring-Universum deren Image nicht gerade aufpoliert. Nun aber hängt die ganze katholische Kirche mit drin, es ist wie in der Netflix-Serie Warrior Nun, in der Nonnen zumindest als martialische Kämpferinnen im vom Teufel infiltrierten Vatikan ordentlich aufräumen. Hier, in Das erste Omen, brennen und hängen, tuscheln und kichern die Damen im Habit auf Teufel komm raus, und immer wieder wünscht man sich Whoopi Goldberg als Schwester Mary Clarence her, die den Laden wohl ordentlich aufgemischt hätte und all die irren Ideen dem verkorksten Haufen mit hüftschwingender Musik ausgetrieben hätte. Doch nein, es bleibt düster, und es bleibt gediegen. In wenig erschreckender Langsamkeit, dafür aber mit reichlich Stimmung, investigiert sich die wirklich famos auftrumpfende Nell Tiger Free (Game of Thrones, Servant) in eine selbsterfüllende Prophezeiung hinein, die begleitet wird von stilfremden Grusel-Versatzstücken, die sich so anfühlen, als wären sie im falschen Film. Lässt man die mal außer Acht, und auch eine gewisse Anbiederung an Roman Polanskis weitaus mysteriöseren Horror Rosemary’s Baby, bleibt ein sakraler Thriller, der mit Lust einige Unklarheiten aus dem Original-Omen glattbügelt, dabei aber zu sehr darauf bedacht ist, nahtlos an den folgenden Plot, den der Klassiker mit sich bringt, anzuknüpfen. Das Fan-Service bleibt dabei nicht außen vor, und der Kompromiss aus Zugeständnissen und ungelenken Konstruktionen stimmt immerhin so weit, dass gar eine Fortsetzung möglich wäre – als Spin Off, dessen Handlungsbogen wohl eher als Serie gefällt. Der Stoff, der noch folgen könnte, wäre in der Wahl seiner Mittel dann weitaus freier.

Das erste Omen (2024)

Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste (2023)

SCHREIBEN UND LIEBEN

7/10


bachmanninderwueste© 2023 Alamode Film


LAND / JAHR: SCHWEIZ, ÖSTERREICH, DEUTSCHLAND, LUXEMBURG 2023

REGIE / DREHBUCH: MARGARETHE VON TROTTA

CAST: VICKY KRIEPS, RONALD ZEHRFELD, TOBIAS RESCH, BASIL EIDENBENZ, LUNA WEDLER, MARC LIMPACH, ROBERTO CARPENTIERI, KATHARINA SCHMALENBERG U. A.

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Ich sage es gleich vorweg – und ja, ich weiß – Bildungslücke: Ingeborg Bachmann ist mir natürlich ein Begriff, doch letztlich kenne ich nichts von ihr, weder Hörspiel noch Lyrik noch Prosa. Den Zugang zu ihren Werken fand ich nie, auch war mir Sartre ‘scher Expressionismus und das Absurde Theater deutlich näher als das Euvre der in Klagenfurt am Wörthersee geborenen literarischen Größe, die Zeit ihres Lebens bereits, und das kann man so sagen, Starruhm genoss. Was noch nicht war und ist, kann sich ändern – Der gute Gott von Manhattan, Bachmanns letztes Hörspiel, werde ich mir vermutlich demnächst zu Gemüte führen.

Wie Ingeborg Bachmann selbst gewesen sein mag? Die öffentliche Person kennt man ja, und ihre Briefwechsel mit anderen künstlerischen Größen wie Paul Celan sind längst verlegt und sogar schon, von Ruth Beckermann, unter dem Titel Die Geträumten, als semidokumentarische, szenische Lesung verfilmt worden. Ihre Beziehung zu Max Frisch? Für Margarethe von Trotta, bereits erfahren mit Portraits bekannter Frauenfiguren, ist diese Zeitspanne ihres Lebens und Leidens zumindest einen Film wert. Was dabei aber deutlich ins Auge fällt, ist der bekennende Umstand, nur bruchstückhaft in einer schriftstellerischen Zweisamkeit aufgeräumt zu haben. Viel wichtiger scheint es bereits am Anfang des Films oder sogar schon kurz nachdem Ronald Zehrfeld als Wuchtbrumme von Schriftsteller die Szene betritt, Ingeborg Bachmann selbst von allem loszulösen, was sie bedrängen könnte. Nur, um ihr ein Portrait zu widmen, ein ebenfalls nur fragmentarisches, dafür aber greifbares und dank des unaufdringlichen und zurückhaltenden Spiels von Vicky Krieps auch raumschaffendes Psychogramm, das zur passiven Mitarbeit des Zusehers einlädt. Immer wieder brechen Zitate aus Bachmanns Feder, wie zum Beispiel Es seien nicht immer die Mörder, sondern manchmal die Ermordeten schuldig oder Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar wie Leitsätze als etwas, das gehört werden sollte, ins Bild. Titel wie Die gestundete Zeit oder Das dreißigste Jahr, aus welchem Krieps alias Bachmann dann auch vorliest, dienen dem Film dazu, nicht nur den Charakter der Künstlerin zu umreissen, sondern diesen auch inmitten ihres Schaffens lose, aber doch, zu verankern.

Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste beginnt auch damit, die Autorin in die Wüste zu schicken, mitsamt ihres damaligen Freundes und auch Partners Adolf Opel, der später seine Erinnerungen an diese besondere Reise unter dem Titel Landschaft, für die Augen gemacht sind 1996 veröffentlichen wird. Dort soll sie sich vor allem von einer destruktiven Beziehung mit dem Schweizer Max Frisch erholen, der ihr anfangs noch das Blaue vom Himmel versprochen und sie später sitzen gelassen hat, vielleicht für eine andere, vielleicht aber auch, weil zwei Größen wie diese mit kaum übersehbarem Ego unter einem Dach kaum Platz finden. Leben, wie diese eben gewesen waren, aufteilen – und das Dasein als Künstlerin oder Künstler beschneiden, zur Ermöglichung einer harmonischen Zweisamkeit? Geht natürlich nicht, doch wo die Liebe und das Begehren hinfällt, hat der Alltag mal vorerst Sendepause. Irgendwann kehrt auch dieser zurück, und allmorgendlich muss Bachmann das quälende Hämmern Max Frischs in die Schreibmaschine über sich ergehen lassen. Mit diesem qualvollen Geklopfe beginnt auch der Anfang vom Ende – relativ früh zwar, aber dafür langsam, dahinsiechend, voller Eifersucht von Seiten des Mannes, voller Sehnsucht Bachmanns nach Rom, ihrem Elysium – für Frisch unmöglich, dort zu leben.

Das besitzergreifende, manische Wesen des formatfüllenden Zürcher Dramatikers mag von Ronald Zehrfeld vielleicht etwas ausufernd und überspitzt dargeboten sein – zumindest aus Bachmanns Sicht könnte diese subjektive Wahrnehmung ihres Partners diesem verzerrten Bild entsprechen. Bachmann selbst bleibt wie bereits erwähnt in kettenrauchender, leiser Melancholie – gleichzeitig unnahbar und dadurch faszinierend verführerisch. Im Interieur der Sechziger verharrend, mag manches einem Verhaltensmanierismus geschuldet sein, doch sind diese Oberflächlichkeiten nicht immer ein Fehler. Durch dieses Illustrieren gelingt der Zugang zu einer (zumindest für mich) unbekannten Persönlichkeit deutlich leichter. Von Trottas Film mag auch Bachmann für Anfänger sein – Literaten mit viel mehr auf der Habenseite werden sich vielleicht über die schlichte Struktur dieses Films wundern, für mich findet sich in Krieps Spiel Sehnsucht, Kummer und Leidenschaft einer komplexen, nicht einfachen Person, die ihrer Zeit weit voraus war und das Hausfrauenverständnis eines Max Frisch untergraben konnte – einfach, weil sie als unkorrumpierbare, unverbiegbare Avantgardistin sich selbst treu blieb und das Selbstbewusstsein einer Frau lebte, die wusste, wo und was ihre Stärken waren.

Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste (2023)

Der Schatten von Caravaggio (2022)

HUREN UND HEILIGE

6,5/10


caravaggio© 2023 Filmladen Filmverleih / Luisa Carcavale


LAND / JAHR: ITALIEN / FRANKREICH 2022

REGIE: MICHELE PLACIDO

DREHBUCH: SANDRO PETRAGLIA, MICHELE PLACIDO, FIDEL SIGNORILE

CAST: RICCARDO SCAMARCIO, LOUIS GARREL, ISABELLE HUPPERT, MICAELA RAMAZZOTTI, LOLITA CHAMMAH, MICHELE PLACIDO, VINICIO MARCHIONI, GIANFRANCO GALLO, MONI OVADIA U. A. 

LÄNGE: 1 STD 59 MIN


Kunstgeschichte im Kino zu genießen kann zur immersiven Erfahrung werden. Was Filmemacher dabei gerne versuchen, ist, den Stil des zu beschreibenden Virtuosen in die Optik ihres Werkes einzubringen. Meister dieser Vorgehensweise ist zweifelsohne Peter Greenaway – Szenen seines exzentrischen Kunstfilms A Zed and Two Noughts muten an, als hätte Jan Vermeer höchstpersönlich seine Sicht auf die Welt auf die Leinwand gepinselt. Indirektes Licht aus unsichtbaren Fenstern oder nicht näher definierten Lichtquellen beleuchten historisches Interieur und im niederländischen Barock zu verortende Personen, stehend auf Schwarzweiß gemusterten Schachbrettböden. Für so viel Akkuratesse braucht es einen fast schon obsessiven Willen zur manieristischen Nachahmung. Des Weiteren beeindruckt sein Rembrandt-Krimi Nightwatching mit Set-Tableaus, die so manches Werk des Avantgardisten eins zu eins nachstellen.

Ein ähnliches Gemälde-Lookalike wagt Michele Placido, vorrangig bekannt als Hauptdarsteller der 80er-Fernsehserie Allein gegen die Mafia, in seiner teils wüsten und hemdsärmeligen Genius-Biographie Der Schatten von Caravaggio. Der Entstehung des Gemäldes Tod Mariä, welches als Teil der ständigen Sammlung im Pariser Louvre zu bewundern ist, schenkt Placido enorm viel Aufmerksamkeit – im Grunde beherrscht diese Erarbeitung des Meisterwerks den ganzen Film, denn die in rotem Leinen gehüllte Tote mag zwar titelgebend die Mutter Jesu Christi sein, als Modell gestanden soll dem Meister eine längst bekannte Prostituierte sein, die irgendwann später den Weg in den Tiber wählt und deren Leichnam von Caravaggio und seiner Entourage geborgen werden wird.

Diesen Versuch, oder besser gesagt, dieses aus der Sicht der Kirche zweifelsohne ketzerische Wagnis, die Ärmsten der Armen und sozial Ausgestoßenen in den Rang von Heiligen zu erheben, ihnen also einer Apotheose auszusetzen, die jedwede Hierarchie zusammenbrechen lässt, gleicht einer gesellschaftspolitischen Revolution. Caravaggio, eigentlich Michelangelo Merisi, ist als bärbeißiger Berserker seiner Zeit weit voraus. Das lässt sich allein schon am Stil seiner Bilder erkennen, die den viel späteren Expressionismus vorwegnehmen, die, so wie Rembrandt, einem kanonischen Ideal entsagen und Gesichter von der Straße, vom Bettler über den Säufer bis zum leichten Mädchen, für die Ewigkeit auf die Leinwand brachten. So wie Merisis Leben von Gewalt, Konflikten und letztlich des eigenen unnatürlichen Todes geprägt war, so spiegeln sich diese Umtriebe in seinen Bildern wider. Dort fließt das Blut, dort stürzt Saulus vom Pferd, dort kreischt das Haupt der Medusa ihren letzten Unmut ob ihrer Niederlage in die Gesichter der Betrachtenden. Caravaggio ist düster und ungefällig – die Kirche hat sein Kreuz mit ihm zu tragen. Und nicht nur die: Des Mordes beschuldigt, muss der Maler in Neapel im Hause Colonna Asyl suchen.

In gemäldehafter Optik erkämpft sich Riccardo Scamarcio (zuletzt gesehen in Kenneth Branaghs A Haunting in Venice) seine durch die kirchliche Obrigkeit andauernd bedrängte Freiheit – eitler Gegenpol ist Louis Garrel als Inquisitor des Papstes, der dem Künstler wie ein Schatten folgt, um diesen der Kirche auszuliefern. Bestehend aus diversen Rückblenden, die Caravaggios Werdegang beschreiben und seine Motivation für seine Arbeit erklären, legt Michele Placido letztlich ein unzimperliches Puzzle zusammen, das in betörend-schwülstiger Optik vor brutalen Spitzen und angedeuteten Orgien nicht Halt macht. Mitunter ist seine Aufarbeitung der Geschehnisse durch den scheinbar recht willkürlichen Wechsel zwischen den Zeitebenen sowie all der Schauplätze eine recht zerfahrene Angelegenheit. Wie ein Skizzenblatt im Wind geistert sein biographischer Thriller umher, schwer einzufangen, aber doch wert, ihm nachzujagen. Diese impulsive Fahrigkeit sorgt im späten Mittelteil für Ermüdung. Kann sein, dass der Film so einige Längen hat, die nochmal und nochmal Caravaggios Mentalität thematisieren wollen – dazwischen so einige kunstgeschichtliche Aha-Erlebnisse, die Kenner seines Oeuvres zum erhellten Flüsterer im dunklen Kinosaal werden lassen.

Eine exorbitant gelungenes Künstlerepos ist Der Schatten von Caravaggio nicht geworden, dafür aber macht dieser Blick auf die schmutzig-düstere Seite des Frühbarock Lust, so bald wie möglich wieder ins Museum zu gehen. An seinen Bildern haftet von nun an und zumindest für eine Zeit lang ordentlich Background, bevor die gefüllten Lücken in Sachen Themenbildung wieder aufgehen.

Der Schatten von Caravaggio (2022)

Der göttliche Andere (2020)

DER ALLMÄCHTIGE ALS NEBENBUHLER

6/10


diegoettlicheandere© 2020 X Filme Creative Pool GmbH


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND, ITALIEN 2020

DREHBUCH & REGIE: JAN SCHOMBURG

CAST: MATILDA DE ANGELIS, CALLUM TURNER, PINO AMMENDOLA, ANNA BONAIUTO, MARK DAVISON, BARBARA RICCI, GIANNI MEURER, EDDIE OSEI U. A.

LÄNGE: 1 STD 31 MIN


Damit hat schon der gute alte Moses klarkommen müssen: Von Gott auserwählt worden zu sein. Das ist nicht immer spaßig, obgleich man auf Skills zurückgreifen kann, die anderen die Sprache verschlägt oder 2000 Jahre später im Rahmen agnostischer Bibelexegesen in Zweifel gezogen werden. Von Gott als dessen rechte Hand auserkoren zu sein, ist mitunter auch recht nervtötend. Immer wieder manifestiert sich das Ewige als brennender Dornbusch oder – wenn man die Verfilmung Ridley Scotts hernimmt – als Unterstufen-Gymnasiast, der einem die Leviten liest. Anderen wiederum könnte Gott begegnen, nachdem sie versucht haben, eine Ordensschwester in spe von ihrem Kurs abzubringen, den fleischlichen Gelüsten zu entsagen. Geht gar nicht, wird sich der weißbärtige Mann, kauernd in seinem Wolkenthron, wohl gedacht haben. Und rollt dem unglücklich verliebten Romeo alle möglichen Steine in den Weg, die unmöglich alle umgangen werden können. Strafverschärfend kommt hinzu, dass dieser Romeo – also eigentlich Gregory, ein US-amerikanischer Journalist – dem Atheismus frönt. Und wie es die Ironie des Schicksals eben so will, nach Rom abberufen wird, um für seinen Fernsehsender die nächste Papstwahl zu kommentieren. Seine Beiträge geraten eher zynisch als informativ. Tag für Tag steigt schwarzer Rauch aus dem Schornstein der Sixtinischen Kapelle, das Enklave kommt zu keinem Ergebnis. Doch all die Wartezeit hat auch etwas Gutes: Gregory trifft auf die bildhübsche Maria. Einer Affäre steht nichts im Wege, da es auf beiden Seiten zu funken scheint. Und doch ist da der gewisse Haken: die junge Dame will Nonne werden. Und steht kurz davor, in ihren Orden einzutreten. Gregory versucht, sie davon abzubringen. Maria hingegen versucht, sich nochmal aus der Affäre zu ziehen. Womit sie nicht gerechnet haben: Gott höchstselbst – natürlich gestaltlos und als ungreifbare Entität, ganz so wie der Tod in Final Destination – will seine Kandidatin nicht verlieren. Und mischt kräftig mit, indem er den Zufall strapaziert und Gregory so richtig leiden lässt, als wäre er Hiob, der zwar nicht seinem Glauben treu bleiben, sondern vielleicht gar zu ihm finden muss.

Wären wir in den frühen Achtzigerjahren, müsste die metaphysische Romanze Der göttliche Andere zweifelsohne mit Adriano Celentano und Ornella Muti besetzt werden. Gut, vielleicht nicht Celentano, denn der ist ja Italiener. Vielleicht aber mit Michael J. Fox oder Steve Guttenberg – mit irgendeinem dieser sympathischen Publikumslieblinge. Mehrere Jahrzehnte später haben die Macher des Films mit Matilda de Angelis einen fulminanten Ersatz für die ewig Schöne an der Seite des gezähmten Widerspenstigen gefunden. Ihr Charisma ähnelt jenem von Muti, ihre Auftritte sind bezaubernd. De Angelis – diesen Namen sollte man sich merken. Mit Callum Turner, der vor allem als Newt Scamanders Bruder aus dem Phantastische Tierwesen-Franchise bekannt ist, hat der gequälte Atheist ebenfalls seinen treffenden Live Act gefunden. Verschmitzte Blicke, eleganter Sarkasmus, ein bisschen Macho-Gehabe und den Charme eines ewigen Studenten.

Doch anders als erwartet schlägt die fantasievolle Komödie von Jan Schomburg, der mit Maria Schrader die Drehbücher zu Vor der Morgenröte und Ich bin dein Mensch verfasst hat, keine wirklich leisen, vielleicht gar tiefergehende Töne an wie in Schraders zuletzt genannten Film über künstliche Intelligenzen, die zum Partner taugen. Die Auseinandersetzung mit dem Glauben und anderen Lebenskonzepten sucht man vergeblich, dem Spiel mit der Allmacht eines einzigen Gottes, der, wenn ihm danach ist, den freien Willen seiner Untertanen nicht entziehen, aber einschränken kann, gibt man sich hin. Doch auch da ist die Leidenschaft eher eine verhaltene. Das kuriose Pech des Verliebten, der gefälligst die Finger vor den Gläubigen lassen soll, lässt den in seiner durchaus tragikomischen, fast ernsten Prämisse startenden Film immer mehr in Richtung Absurdität abgleiten. Was Gregory widerfährt, sind kleine Katastrophen, denen mit unverhältnismäßiger Beiläufigkeit begegnet wird. Das vermindert den Biss einer Idee, die gerne scharfzüngig sein will oder gar satirisch. Beides entgleitet, Gott wird zum Arsch, der nur seine Interessen verfolgt, doch die romantischen Momente auf einer Parkbank in Rom haben zumindest noch die spritzige Qualität einer Nora Ephron-Komödie, die Der göttliche Andere dank seiner Akteure doch noch sehenswert macht.

Der göttliche Andere (2020)

Seneca (2023)

MIT DEM LATEIN AM ENDE

6/10


seneca© 2023 Filmgalerie 451


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND, MAROKKO 2023

REGIE: ROBERT SCHWENTKE

BUCH: ROBERT SCHWENTKE, MATTHEW WILDER

CAST: JOHN MALKOVICH, GERALDINE CHAPLIN, TOM XANDER, LILITH STANGENBERG, MARY-LOUISE PARKER, SAMUEL FINZI, LOUIS HOFMANN, ANDREW KOJI, ALEXANDER FEHLING, WOLFRAM KOCH U. A.

LÄNGE: 1 STD 52 MIN


Es ist wieder mal an der Zeit, sämtliche Phrasen aus den Asterix-Comics durchzugehen, die sich längst auf ewig ins Langzeitgedächtnis gebrannt haben. Dabei könnte folgender Ausspruch den beiden Galliern gar nicht mal untergekommen sein. Er lautet: Wenn du geschwiegen hättest, wärest du ein Philosoph geblieben. Auf Latein: Si tacuisses, philosophus mansisses. Keine posthume Predigt für den Philosophen Seneca würde sich – wortwörtlich gesehen – besser eignen als dieser Oneliner aus der Feder des spätantiken römischen Politikers Boethius. Denn der ehemalige Host des jugendlichen Tyrannen Nero und leidenschaftlicher Theatermacher hat sich, will man Robert Schwentkes biographischem Gleichnis Glauben schenken, selbst gerne reden gehört, wie der Tag lang war, inklusive der darauffolgenden Nacht.

Seneca bekommt nun seinen eigenen Film und sein eigenes Vermächtnis. Es hätte ihm gefallen, würde er sehen, wie wenig er knapp zwei Jahrtausende später in Vergessenheit geraten war, wie sehr man über sein selbstinszeniertes Schicksal nochmal drüber inszeniert, als wäre es das Theater eines Theaters. Er hätte den Film nicht nur gemocht, sondern auch geliebt. Wer sich in diesem Streifen wohl auch zitiert gesehen hätte, wäre vielleicht Federico Fellini gewesen. Sein Klassiker Satyricon nach dem Romanfragment eines gewissen Titus Petronius Arbiter frönt ebenso wie Schwentkes Lustspiel den Eskapaden elitärer Unterhaltung, doch wohl weniger mit dem Hintergedanken, menschliche Verhaltensmuster unter gewissen Voraussetzungen als unveränderbar zu deklarieren. Wie einst im alten Rom die Opportunisten am Erfolg, dem Reichtum und der Macht einiger weniger mitnaschen wollten, so tut das die Menschheit des 21. Jahrhunderts immer noch. Wie einst im alten Rom die Mächtigen an ihrer Macht dem Wahn verfallen waren, so tun sie es auch heute. Die Weisheit haben sie alle nicht mit dem Löffel gefressen, denn die flüsterte ihnen so mancher Gelehrter in deren Ohr – mitunter so vertraute Berater wie Seneca, der zumindest anfangs noch darauf aus ist, den verhaltensauffälligen Kaiser humanistisches Denken zu lehren.

Wir wissen aus der Geschichte: es wird alles nichts helfen. Nero wird als familienmordender Verrückter in die Geschichte eingehen. Und ja, er wird jene aristokratische Verschwörung aufdecken, die ihn hätte tot sehen wollen. In seinem Wahn und seiner Wut wirft er Seneca mit all den anderen Aufrührern in denselben Topf mit der Aufschrift Hochverrat, ist er dieses zum Speichellecker verwöhnten Geistesriesen längst überdrüssig geworden. Er schickt einen Soldaten aus, um Seneca in seinem Wohnsitz über sein Schicksal zu unterrichten. Das aus dem Ärmel geschüttelte Urteil lautet: Tod. Doch lässt er dem Stoiker die Wahl, entweder durch das fremde Schwert getötet zu werden oder eben durch sich selbst – wie seinerzeit Sokrates. Natürlich wählt der weise Mann letzteres, und hat auch gleich vor, Gattin Pauline (Lilith Stangenberg) mit ins Grab zu nehmen. Alles soll so aussehen wie der letzte Akt eines finalen, im Stegreif inszenierten antiken Dramas vor den Augen seiner kunstsinnigen Partygäste.

Man wird selbst zum auf den Steinquadern kauernden Zuhörer in Toga, Schminke und Sandalen, denn wenn einer wie John Malkovich, endlich wieder zurück auf der großen Leinwand und in einem Film, der künstlerisch etwas anders gerät als die Norm, so richtig aufdreht, um seiner historischen Figur gerecht zu werden, dann vergeht die Zeit wie im Fluge, dann hängt man an seinen Lippen und staunt über seine bemitleidenswerten Versuche, sich selbst das Leben zu nehmen. Der routinierte Star ist diesmal wieder richtig gut, die Biografie gelingt. Als tiefgehende Parabel auf die Gesellschaft bleibt das Werk aber zu flach.

Um Malkovich scharen sich sämtliche Größen des deutschen Films, die an seiner wuchtigen Performance mitnaschen wollen. Manchmal hat man den Eindruck, in einem Film von Terry Gilliam gelandet zu sein. Das nordafrikanische Marokko bietet dafür exponierte Locations en masse, zwischen antiken Ruinen spielen sich groteske Szenen ab, vor allem, wenn Seneca seine Tragödie Thyestes zum Besten gibt. Und noch einer hätte wohl Gefallen daran: Paulus Manker, jenes Enfant Terrible Österreichs, das mit seinem Polydrama zum Leben Alma Mahlers weltweit Furore macht. Seneca wirkt wie eben so eine Inszenierung: wie ein mitgefilmtes Theater, eine Bühnenshow mit gutem Cast, doch letztlich doch nur Bühne, an der man lieber live würde stehen wollen, mit Aussicht auf ein anschließendes lukullisches Bankett vielleicht.

Anders als in seinem erschütternden Kriegs- und Entmenschlichungsdrama Der Hauptmann legt Schwentke hier kaum Wert auf einer raffinierten Bildsprache. Wenngleich all das Setting an Extravaganz genug hergibt: Das Gesehene verknüpft sich selten mit dem Auge der Kamera. Durch diese vielleicht unbewusste Distanz wird das schrille Drama zur Fernsehübertragung eines beeindruckenden Events, das, wie es scheinen mag, immer wieder neu aufgeführt wird und für gutes Geld besucht werden kann. Malkovich würde es spielen, immer und immer wieder. Es wäre sein Vermächtnis, würde er das wollen.

Seneca (2023)

Red Notice

HELDEN DER UNWAHRSCHEINLICHKEIT

4/10


rednotice© 2021 Netflix / Frank Masi


LAND / JAHR: USA 2021

BUCH / REGIE: RAWSON MARSHALL THURBER

CAST: DWAYNE JOHNSON, RYAN REYNOLDS, GAL GADOT, RITU ARYA, CHRIS DIAMANTOPOLOUS U. A.

LÄNGE: 1 STD 57 MIN


Steven Spielberg und George Lucas haben uns gezeigt, dass im Kino nicht immer jene physikalischen Gesetze gelten müssen, denen unser Universum folgt: die Zeit ist zum Beispiel dehnbar, meist gelingen Dinge stets auf die Sekunde genau. Verletzungen brauchen alle keinen Arzt und die Bösen schießen sowieso daneben. Macht aber alles nichts, dafür ist Kino da, und es ist der Witz und die Fantasie und das Zusammenspiel eines gut aufgelegten Ensembles, das dazu führt, dass man mit Verzerrungen der Realität dem Helden immer noch auf Basis gewisser Plausibilitäten ermöglichen will, zu gewinnen.

Neuerdings gibt es Filme wie zum Beispiel Red Notice, die ebenfalls wollen, dass ihre Stars das Glück auf der Straße finden. Allerdings sollte den Abenteuern nicht alles in den Schoß fallen. Rawson Marshall Thurber (Central Intelligence, Skyscraper) weiß natürlich, dass im Kino andere Regeln gelten. Es sollte aber immer noch ein gewisser Prozentsatz an Wahrscheinlichkeit erhalten bleiben, und zwar ist das einer, der den Plot erst griffig macht.

Die drei Superstars Gal Gadot, Dwayne Johnson und Ryan Reynolds rangeln sich im 130. Netflix-Original, das zudem auch die teuerste Produktion des Streaming-Riesen sein soll, um drei antike Schmuckeier aus ptolemäischen Zeiten. Artefakte, die Indy schlaflose Nächte bereiten würden. In dieser Actionkomödie jagt Dwayne Johnson Ryan Reynolds nach dem Klau eines dieser Eier quer über den halben Erdball. Was beide nicht wissen: der fürs FBI arbeitende Informant namens Läufer (im original Bishop – gemäß der Schachfigur) hat es ebenfalls auf diese Artefakte abgesehen – und bringt sowohl Johnson als auch Reynolds hinter Gitter nach Russland. Fragt sich, warum gerade dorthin und warum ohne fairen Prozess? Doch es ist nun mal so, und statt Stallone und Schwarzenegger schließen sich diese beiden Kerle nun zusammen, um einen Escape Plan in die Tat umzusetzen und der schönen Gal Gadot mit dem Entwenden der anderen beiden Eier zuvorzukommen.

Was genau an Red Notice nun so viel Geld gekostet hat, lässt sich womöglich nur mit den horrenden Gagen der drei A-Liga-Stars erklären. Der Rest ist gängiges Handwerk, schon zig-mal in anderen Filmen quer durch die Geschichte des Abenteuerfilms erprobt, insbesondere im Subgenre der wetteifernden Schatzsuche. Red Notice (der Titel klingt etwas zu bürokratisch und ein bisschen nach nüchternem Spionagedrama) ist ein Zitate-Potpourri aus Spielbergs Mottenkiste, Killers Bodyguard oder Verlockende Falle mit Catherine Zeta-Jones. Alles schon mal da gewesen. Und alles gar nicht möglich. Will heissen: in dieser Hochglanz-Action ist viel zu viel viel zu sehr vereinfacht. Das Ausreizen der Unwahrscheinlichkeiten, die in voraussehbaren Klischees ihre Manifestation finden, ist schon etwas unverschämt. Auch Reynolds und Johnson ziehen ihre gewohnte Masche durch, letzterer gar ein bisschen teilnahmslos.

Red Notice ist ein trivialer Film, der sich gänzlich auf seinen Star-Appeal verlässt. Wirklich zu bieten hat er ungefähr so viel wie ein wöchentliches Promi-Lifestyle-Magazin mit Haarshampoo-Probepackung und Wunderbaum für die noble Karosse. Hat man es mal durchgelesen, bleibt nichts hängen, ausser das schale Gefühl, seltsam unterschätzt worden zu sein.

Red Notice

Die zwei Päpste

EINKEHR-SCHWUNG IM VATIKAN

6/10

 

thetwopopes© 2019 Netflix

 

LAND: USA 2019

REGIE: FERNANDO MEIRELLES

CAST: JONATHAN PRYCE, ANTHONY HOPKINS, JUAN MINUJIN, FEDERICO TORRE U. A.

 

Mit dem Pontifex auf ein Bier zu gehen, das wäre gar nicht mal so unmöglich. Unser aller Franziskus (zumindest für all die Katholiken), der begegnet seinen Schafen nämlich auf Augenhöhe. Der braucht den ganzen Pomp, den ganzen Luxus und das ganze Zeremoniell nicht. Der speist lieber mit den Angestellten in der Vatikansküche. Einer unter vielen, das ist er. Und ein Hoffnungsträger. Einer, der anscheinend wirklich das Prinzip des Franz von Assisi lebt, tagtäglich. Und so nah am Original wie möglich. Wim Wenders hat darüber vor zwei Jahren einen Film gemacht: Franziskus – Ein Mann seines Wortes. Der deutsche Filmemacher, so hat es den Eindruck, begab sich damals wirklich mit dem Argentinier auf Augenhöhe, und so intim und unter vier Augen fühlt sich der Film auch streckenweise an. Nicht von oben herab, in keinster Weise weiser als all die anderen Menschen, denen er sich widmet. Zwischendurch dann Mitschnitte während seiner Reisen rund um den Globus. Franziskus, der ist ein Globetrotter. Einer, der überall sein will, und am liebsten mitten in der Menge. Dieses Authentische, das hat schon damals Kardinal Ratzinger beeindruckt, seines Zeichens Papst Benedikt XVI. und zu Lebzeiten abgedankt. Dabei hatte er damals, bei der Wahl des neuen Papstes nach Johannes Paul II., nur knapp gegen Jorge Bergoglio gewonnen.

Die ungewöhnliche Netflix-Produktion Die zwei Päpste soll nun zeigen, wie es zu diesem Machtwechsel gekommen ist, oder viel eher: welches intime Gespräch diesem seit dem 13. Jahrhundert einzigartigen Staffellauf der Päpste eigentlich vorangegangen ist. Natürlich, darüber lässt sich hauptsächlich nur mutmaßen. Überliefert sind die Gespräche wohl nicht eins zu eins. Überliefert sind eher die Fakten, die dieses Treffen umrahmen. Dass sich Joseph Ratzinger und Jorge Bergoglio trotz ihrer unterschiedlichen Anschauungen in Sachen Religionspolitik gut verstanden haben, zum Beispiel.

Und doch ist der Film Die zwei Päpste eine auffallend unstringente Filmschau. Was meiner Meinung nach zu erwarten war? Eine knisternde, kontroverse, spannende Doppelconference, ein Dialogfilm mit Schliff, womöglich mit dem Knalleffekt der Abdankung. Was hätte Paolo Sorrentino, Liebhaber und schwelgerischer Kritiker des Klerikalen, wohl aus diesem Stoff gezaubert? Etwas so schlagkräftiges und dichtes wie seine Serie The Young Pope mit Jude Law? Womöglich. Umbesetzt hätte er die Rollen von Benedikt und Franziskus aber nicht. Unterstanden hätte er sich das. Denn Anthony Hopkins und Jonathan Pryce sind in diesem biographischen Dialogdrama auf der Höhe ihres Schaffens. Bei Hopkins denkt man längst nicht mehr an Hannibal Lecter – seine Darstellung des betagten Ex-Oberhauptes der konservativen Glaubenskongregation findet in der noch so kleinsten Mimik glaubhafte Entsprechung. Sein Gang durch die Räumlichkeiten des Papstbesitzes refkletiert Schauspielkunst vom Feinsten. Und Pryce? Pryce ist Bergoglio, anders lässt sich das nicht umschreiben. Hätten wir am Ende des Filmes nicht Szenen der tatsächlichen Personen, würde mir der Unterschied rein aus der Erinnerung heraus gar nicht einfallen. Wie er blickt, wie er sinniert, wie er sich schämt für sein Versagen während der Junta-Diktatur in Argentinien – das ist schon eine Imitation, für die es nicht so schnell annähernde Alternativen gibt. Beide zusammen sind ein elektrisierendes Duo. Und dennoch – der Film von City of God-Regisseur Fernando Meirelles zerfällt in einzelne Fragmente, und weiß nicht so recht, was er sein möchte. Ein runder Tisch über den christlichen Glauben im 21. Jahrhundert? Ein Philosophikum? Ein semidokumentarisches Kirchendrama? Oder doch lieber nur eine Hommage an den aktuellen Papst Franziskus? Das Ziel vor Augen Meirelles bleibt verschwommen. Sowieso ist Bergoglio der Mann, um den es hier geht und dessen Vergangenheit mit Archivaufnahmen und SW-Einsprengseln viel mehr im Rampenlicht steht als beim bayrischen Kollegen. Es geht um Schuld, um menschliche Fehler und Vergebung. Um Idealismen und Weltsichten. Der einzige gemeinsame Nenner dieser zerfahrenen Beobachtung ist wohl am Ehesten das Ende obsoleter kirchlicher Weltbilder und der Neuanfang mit entrümpelter, mehr glaubhafter Weitsicht. So wie sie Papst Franziskus zelebriert.

Mit Die zwei Päpste bekommen jene, die es eínteressiert, die Möglichkeit, völlig wertfrei auf das Dilemma der Kirche zu blicken, ohne der visuellen Extravaganz eines Sorrentino, sondern zurückgenommer, karger, nüchterner. Und Wim Wenders filmische Einsicht in die Gedankenwelten des Brückenbauers an dieser Stelle – am besten danach -– wäre wärmstens zu empfehlen.

Die zwei Päpste

La Grande Belezza – Die große Schönheit

DIE ÄSTHETIK DES NICHTS

7,5/10

 

grandebelezza© Filmladen 2013

 

LAND: ITALIEN, FRANKREICH 2013

REGIE: PAOLO SORRENTINO

CAST: TONI SERVILLO, CARLO VERDONE, SABRINA FERILLI, CARLO BUCCIROSSO, IAIA FORTE U. A.

 

Es ist Sommer, wir haben wieder Saison, und zwar in Salzburg, bei den Festspielen, wo Tobias Moretti die Paraderolle aus Hugo von Hofmannsthals Das Spiel vom Sterben eines reichen Mannes verkörpert – des Jedermann. Eine metaphysische Geschichte rund um das Ringen mit dem Tod, ein Rückblick auf ein Leben voller Ausschweifungen, und ein Besinnen auf das Wesentliche, Gott sei Dank noch letzten Endes. Und der Teufel, der geht wieder mal leer aus. Klaus Maria Brandauer hat das Thema Hofmannsthals, das sich wiederum auf dem Konzept spätmittelalterlicher Mysterienspiele über Schuld, Unschuld und Vergebung orientiert, in dem von Fritz Lehner inszenierten Psychodrama Jedermanns Fest adaptiert und gibt sich dort als sterbenden Modezar, der noch mal die große Party seines Lebens schmeißen will. Der Italiener Paolo Sorrentino, der sich in seinen Werken sowieso grundsätzlich den Fragen über Moral, Sinnhaftigkeit und geborgter Existenz hingibt, hat mit dem oscarprämierten Epos La Grande Belezza etwas ähnliches entworfen, eine visuell überbordende Leinwandshow, die ganz klar ihre Motivation aus den Euvre eines Federico Fellini zieht, insbesondere aus dessen Werk Roma. Was aber nicht heißt, dass der Meister seiner Zunft seinem großen Vorbild im wahrsten Sinne des Wortes die Show stehlen will. Wie für Sorrentino üblich, lässt er seinen reichen Mann, der einen runden Geburtstag feiert und die dekadente Elite zu einem rauschenden Fest mit Blick auf Roms Kolosseum lädt, zwar nicht sterben – dafür aber knapp zweieinhalb Stunden lang durch die ewige Hauptstadt flanieren, immer wieder Feste feiern, eben wie sie fallen, und sein bisheriges Leben Revue passieren lassen, das ihm, wie er es des Öfteren erwähnt, hohl und leer vorkommt. Reichtum ist natürlich keine Schande, soll doch jeder seinem Leben den Sinn geben, den er für richtig hält, und sei es der Sinn des Sinnlosen. Das aber erscheint dem allseits bekannten Journalisten plötzlich zu wenig zu sein. Die Suche nach einer gewissen Ewigkeit beginnt, nach noch mehr Zeit, um sich neu zu orientieren. Dabei spielt der Glaube und die katholische Kirche eine ebenso wichtige Rolle wie die Geschichte der Ewigen Stadt, mit all ihrer atemberaubenden Kunst, Kultur und Geschichte.

Schon in seiner Fernsehserie The Young Pope hat Sorrentino die Institution der Kirche mit all ihrem Pomp von innen heraus skizziert, dabei über religiöse Eckpfeiler wie Wunder, Dogmen und Keuschheit philosophiert. Über päpstliche Moral und dem Konservativismus einer im Bibeltext verhafteten Gemeinschaft, die als obsolet verrufen ihre verlorenen Schäfchen sucht. Die Kirche ist auch in La Grande Belezza nicht wegzudenken. In Gestalt einer uralten, als heilig verehrten Klosterschwester, die von Afrika nach Rom pilgert, mündet die Frage nach dem Wert von Glauben und göttlicher Hingabe in die metaphorische Gestalt eines grotesken Wesens, das selbst in seiner Weisheit letzten Endes nur noch hohlen Riten folgt, deren Sinn jemand anderem gehören. Dieses Leben und Feiern für die anderen, diese selbstlose Selbstsucht nach Anerkennung und das Inszenieren der anderen, in der Erwartung, selbst inszeniert zu werden – diese Weise enttarnt Sorrentino in vielen episodenhaften, traumartigen Sequenzen, serviert auf bühnenhaften Tableaus, kunstvoll beleuchtet, wie sakrale Portale, die zu namenlosen Erkenntnissen führen sollen, die sich als sprachlos entpuppen, aber dennoch wunderschön sind.

Wunderschön ist La Grande Belezza tatsächlich, wenngleich sein Film viel Geduld erfordert. Das assoziative, irrlichternden Visionen erlegene Kaleidoskop in bunten Farben verpuffender Wohlstandswerte portraitiert eine Welt, die in ihrer verlogenen Affektiertheit für den Zuschauer unanknüpfbar scheint. Was hier abgeht, ist kommunikationsloses Theater, dessen Figuren uns Zusehern so gleichgültig gegenüberstehen, dass der Drang aufkommt, sich anderen Dingen zuzuwenden. Dazugehören will man ganz und gar nicht. Verlockend sind eher die installierten Bilder, die bis ins Detail durchkomponierten Arrangements aus Personen und Kulisse, unterlegt mit hypnotischen Klängen, dazwischen so weltfremd surreal wie antikes Maskentheater, das wir zum Beispiel auch in Fellinis Satyricon finden. Doch so ratlos die scheinbar in fremden Floskeln verlorene Seelenmesse auch anfangs macht, so sehr lässt sich die Wandlung des römischen Jedermann später verfolgen. Kann sein, dass Sorrentino zu sehr auf die Wirkung seiner visionären Bildideen setzt, und dabei in seiner Lust am Rätselhaften den Sinn seines Werkes aus den Augen verliert. Immerhin ergibt sich aber am Ende ein Gesamtbild, eine Umkehr zu neuen Werten, und die Möglichkeit eines neuen Aufbruchs. Rom jedenfalls, die ewige Stadt, die hat seit Fellini nicht mehr so intensiv ihren immer wiederkehrenden Frühling erlebt. Der Sinn dieser Metropole steckt nicht nur in, sondern auch zwischen den alten Mauern, nirgendwo lebt Geschichte so wuchtig wie hier, und das schon mehrere Jahrtausende lang. Sich hier mit seiner eigenen Geschichte nicht zurechtzufinden, ist nur verständlich. Und umso erstaunlicher, zuzusehen, wie sich die Art, im elitären Rausch zu leben, um die ewigen Zeiten hinweg gewandelt – oder gar nicht gewandelt hat. Die große Schönheit ist die, die sich eigentlich nicht darstellen lässt. Vielleicht ist es nur die Erinnerung an das Wichtige, wie bei Jedermann, der mit dem Gewissen ringt.

La Grande Belezza – Die große Schönheit