Bring Her Back (2025)

STÖRE MEINE KREISE NICHT

7/10


© 2025 Sony Pictures / A24


LAND / JAHR: AUSTRALIEN, USA 2025

REGIE: DANNY & MICHAEL PHILIPPOU

DREHBUCH: DANNY PHILIPPOU, BILL HINZMAN

KAMERA: ARON MCLISKY

CAST: SALLY HAWKINS, BILLY BARRATT, SORA WONG, JONAH WREN PHILLIPS, SALLY-ANNE UPTON, MISCHA HEYWOOD, STEPHEN PHILLIPS U. A.

LÄNGE: 1 STD 39 MIN


Danny und Michael Philippou, bekanntgeworden auf Youtube unter dem Label RackaRacka, können es abermals nicht lassen, die menschliche Seele nach dem Tod ins Diesseits zu bemühen. Sowas hat man früher gern gemacht, mit Séancen, hierzulande als „Tischerlrücken“ bekannt. Die beiden sind nicht etwa interessiert, zu wissen, was nach dem Ableben noch auf uns zukommt; wie das Sterben selbst sich anfühlt. Das ist eine Dimension, diese zu erforschen überlassen sie gerne anderen Leuten. Was die Philippous wollen, ist, die gestorbene Identität, sofern es denn noch eine gäbe, wieder in die uns eigene Realität zurückzuholen. Die Neugier, ob dies gelänge, siegt über die Achtung der Totenruhe, heiligt aber dennoch die Mittel zum Zweck, um ganz deutlich zu signalisieren, dass man an diesen Tabus nicht rütteln soll.

Dem Tod ins Handwerk pfuschen

In Talk to Me, ihrem Regiedebüt, das erfrischend kreativ und demnach auch mit entsprechender Härte an den Horror herangeht, dient ein okkultes Artefakt, in diesem Fall eine mumifizierte Hand, als Sprachrohr für tote Seelen. Dafür schlüpfen sie in den Körper eines lebenden Individuums, um sich zu artikulieren. Solche Spielereien haben natürlich einen Pferdefuß, das ganze geht schief, der Schrecken bricht sich Bahn. Interessant dabei: Hier haben wir es nicht mit bösen Dämonen, dem Teufel oder anderen finsteren Gesellen aus der Hölle zu tun, die uns wie in Conjuring einfach nur quälen wollen. Bei den Philippous sind die Toten die Toten, und sie benehmen sich auch wie solche – abgekoppelt und dahintreibend in eine andere Welt, von der sie nicht wissen, was sie verspricht, weil das Licht sie angeblich noch nicht erreicht hat, und die daher eine brennende Sehnsucht danach verspüren, wieder in ihr altes Leben zurückzugelangen. Ganz normale Behaviours für Verstorbene, in Versuchung geführt von jenen, die sie eigentlich nichts mehr angehen. Auch in Bring Her Back sind okkulte Praktiken relativ funktionabel – in der paranormalen Welt der Philippous ist das Know-How zur Überbrückung der Dimensionen längst praxiserprobt.

Das Thema der Selbstverletzung

Was es dazu noch braucht, ist Trauer. Bittere, unheilbare, irreversible Trauer, die keinen Trost findet, es sei denn, wie der Titel schon sagt: die Verstorbene kehrt zurück. Bis zum Hals in diesem Nährboden der Erschütterung steckt Sally Hawkins als überbordend liebevolle Pflegemutter, welche die beiden elternlosen Geschwister Piper und Andy bei sich aufnimmt. Überrumpelt von all der Gastfreundschaft, wundern sich beide vorerst nur wenig ob des seltsamen Verhaltens ihres Patchwork-Bruders Ollie, der sichtlich Schwierigkeiten hat, zu kommunizieren und generell recht apathisch wirkt. Der Zuseher weiß aber längst, dass der Grund dafür in der Pervertierung von Naturgesetzen liegt, die selbst dem Paranormalen inhärent sind. Diese zu verbiegen oder gar zu brechen, davor mahnt Bring Her Back mit expliziten Bildern, die weniger versierten und geübten Horrorkinogängern durchaus aufs Gemüt schlagen könnten, ist der Bodyhorror hier doch absolut State of the Art und das Realistischste, was man seit Langem zu sehen bekam. Auffallend ist dabei, dass die Philippous schon bei ihrem Vorgänger ihren Horror in der manischen Selbstverletzung orten, ein Thema, das andere Horror-Franchises lediglich als Selbstzweck auf die Spitze treiben. Apropos: Wären diese Gewaltspitzen nicht, wäre die enorm düstere Tragödie in seiner Tonalität mühelos gleichzusetzen mit Nicholas Roegs Wenn die Gondeln Trauer tragen. Nur der Spuk hält sich in Grenzen, der lässt sich, anders als in Talk to Me, diesmal nur erahnen. Viel eher brilliert die sowieso immer famose Sally Hawkins, diesmal völlig gegen ihr Image gebürstet, in einem Psychothriller, der die Klaviatur des Suspense mit variierender Wucht nachzuspielen weiß.

Regenschwerer Psychothriller

Viel schlimmer als das Okkulte wiegt dann doch die Dreistigkeit der Manipulation und der Intrige, in der die Figur des fast achtzehnjährigen Bruders Andy (Billy Barratt) immer mehr versinkt. Vermengt mit der wahrlich erschreckenden Performance des jungen Jonah Wren Phillips ergibt das einen zwar weitaus geradlinigeren und weniger komplexeren Film als Talk to Me, dafür aber lücken- wie atemloses Schauspielkino unter nicht nur emotionalem Dauerregen. Der ideale Film also für den Übergang von Halloween zu Allerheiligen – keine leichte Kost, gnadenlos morbid, andererseits aber unerwartet emotional, melancholisch und am Ende ungemein poetisch, als hätte Del Toro (The Shape of Water mit Sally Hawkins) letztlich noch seine Finger mit im Spiel.

Bring Her Back (2025)

The Deliverance (2024)

DER DÄMON, DER ZU KREUZE KRIECHT

3/10


The Deliverance© 2024 Netflix Inc.


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: LEE DANIELS

DREHBUCH: DAVID COGGESHALL, ELIJAH BYNUM

CAST: ANDRA DAY, GLENN CLOSE, CALEB MCLAUGHLIN, DEMI SINGLETON, AUNJANUE ELLIS-TAYLOR, MO’NIQUE, OMAR EPPS, MISS LAWRENCE U. A.

LÄNGE: 1 STD 52 MIN


Der Horrormonat Schocktober kann gar nicht früh genug beginnen – Netflix schickt pünktlich zum Ende der Sommerferien, allerdings später als all die Lebkuchen in den Supermärkten, seinen ersten Haunted House-Horror auf sein illustres Portal. Dabei ist das nicht irgendein billiger Firlefanz, sondern die angeblich schmucke Regiearbeit eines Lee Daniels, der schon 2009 mit dem intensiven Sozialdrama Precious – Das Leben ist kostbar für Aufsehen sorgte und im Jahr darauf zwei Oscars dafür bekam. Einige ansehnliche Filme später (u. a. The Butler) gipfelt seine Werkschau nun in einem okkulten Besessenheitshorror mit illustrer Besetzung. Andra Day (The United States vs. Billie Holiday) und die großartige Glenn Close versprechen niveauvolles Gruseltheater mit sozialkritischen Untertönen. Fast könnte man sich dazu hinreissen lassen, The Deliverance als das „Conjuring“ der Black Community zu bezeichnen – allerdings noch ehe man den Film gesehen hat. Flimmert er aber über den Screen, erreicht er überraschend bald sein eigenes Trägheitsmoment, den er nicht und nicht überwinden will. Vielleicht gelingt dies ja, wenn Lee Daniels während der Laufzeit sein uninspiriertes Sozialdrama durchgekaut hat, um dann das Genre zu wechseln. Denn so, wie dieser sein Betroffenheitskino mit spukhaftem Horror verknüpfen will, geht die Rechnung nicht auf. Es ist, als hätten zwei gleichgepolte Handlungsstränge ineinanderzugreifen – doch weder die eine noch die andere Komponente wollen synergieren. Sowohl Drama als auch Horror bleiben schal, und nicht mal der Allmächtige kann das Dilemma richten, ganz im Gegenteil. Er macht es noch schlimmer.

Wenn Andra Day mit der an Krebs erkrankten Filmmutter, dargestellt von Glenn Close mit Mut zur souveränen Hässlichkeit, ihre Konflikte austrägt, riecht das nach großem Schauspielkino. Doch auch dieser brennende Zunder weicht abnehmender Glut. Days Figur ist eine alleinerziehende Mutter, deren Aufmüpfigkeit nur durch ihre dick aufgetragene Verschwendung des Wortes Bitch getoppt wird. Bitch hier, Bitch da, auch Glenn Close fällt in diesen Schimpfreigen ein. Doch Andra Day kolportiert nur ihre von Traumata und Bürden des Lebens zerfressene Rolle, fühlen tut sie diese nicht. Diese fünfköpfige Familie ohne Mann zieht nun in ein neues Haus, welches – wie kann es anders sein – von einer dunklen Entität beherrscht ist. Das Übel hat seinen Ursprung klarerweise im Keller, ganz so wie der Höllenschlund im Buffyverse. Nach und nach bemächtigt sich dieser Dämon des jüngsten Sprosses, durch ihn kann er auch die beiden anderen Geschwister gängeln. Sobald selbst der aufgedonnerten Sozialhilfe klar wird, dass die familiären Krisen übernatürlichen Ursprungs sind, tritt die Geistlichkeit auf den Plan. Die Dreifaltigkeit soll schließlich alles richten.

Was diesem elendslangweiligen Familienhorror, der sich eigentlich darauf verlassen wollte, dass vorallem die Jungdarsteller ihren Part zur Wirksamkeit dessen beitragen, im letzten Drittel zustößt, lässt einen genauso mit den Händen ringen wie Andra Day es am Ende tut. Militanter Katholizismus bricht wie ein Kettenfahrzeug durchs Anwesen, fahnenschwingend ganz vorne: Jesus Christus, der wie Georg mit dem Drachen ringt. Dieser frömmelnde Biblebelt-Exorzismus, weit weg vom verzweifelten Versuch einen Max von Sydow, das Böse aus Linda Blair auszutreiben, gibt sein filmisches Konzept einer gewissen Lächerlichkeit preis. Agnostiker und weniger eifrige Christen werden die verdrehte Verherrlichung auf den Herrn fast schon verstörend finden, während das dämonische Antlitz von Glenn Close als eines von wenigen Elementen in diesem siamesischen Zwilling von Film in Erinnerung bleibt.

The Deliverance (2024)

Exhuma (2024)

HEITE GROB MA TOTE AUS

5,5/10


Exhuma© 2024 Splendid Film


LAND / JAHR: SÜDKOREA 2024

REGIE / DREHBUCH: JANG JAE-HYUN

CAST: KIM GO-EUN, CHOI MIN-SIK, LEE DO-HYUN, YOO HAE-JIN, JEON JIN-KI U. A.

LÄNGE: 2 STD 14 MIN


Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass kein einziger koreanischer Film jemals kürzer sein darf als zwei abendfüllende Stunden. Am liebsten sind Filme wie diese noch länger, am liebsten hängen sie noch eine halbe Stunde dran. Das bedeutet Sitzfleisch – und einen wachen Geist. Denn die Koreaner, die geben sich nicht damit ab, nur einen singulären Erzählstrang abzuarbeiten – mit anderen Worten: banales, simples Kino, das von Alpha bis Omega schön stringent seine Geschichte erzählt. Geradlinig darf sie sein, jedoch niemals nur eine Dimension besitzen. Da gibt es Meta-Ebenen und Stile, die sich gegenseitig übertrumpfen. Da gibt es Wendungen, Twists und kuriose Begebenheiten, kurzum: womöglich bleibt alles da, wo es drehbuchtechnisch sein soll. Andernorts hätte man schon das Publikum unterfordert und den Rotstift angesetzt, Passagen gestrichen und all die knackige Originalität eingekürzt. Eine Methode, wie es in der US-Filmbranche, zum Leidwesen eines unterschätzten und gähnend gelangweilten Publikums, immer wieder geschieht. Das stets geforderte koreanische Publikum indes ist schon von Kindesbeinen an mit Filmen großgeworden, die stets für Überraschung sorgen und keinen Publikumsparametern folgen wollen. Koreanisches Kino bleibt stets erfrischend. Bleibt immer anders. Und kann sich eben auch Filme wie Exhuma erlauben, die viel zu lange geraten, weil sie viel zu viel erzählen wollen.

Wenn man glaubt, bereits am Ende angelangt zu sein, ist schließlich erst eine Stunde verstrichen, was bedeutet, dass der vollgestopfte Schamanen-Thriller nicht mal noch Halbzeit erreicht hat. Dabei ist die Story schon erzählt, der Geist entfesselt, der Fluch getilgt. Nichts da – Regisseur Jang Jae-hyun weckt die Totenruhe nicht nur einmal, stört die metaphysische Ordnung im magischen Wäldchen auf ein neues. Bringt Unfrieden und will vom Bösen durchsetzte Grabstätten umbetten. Exhuma erzählt eine Menge, lässt beschwören, bekämpfen und besessen sein. Die zweieinhalb Stunden hängen sich rein.

Dabei ist es faszinierend, dabei zuzusehen, wie so ein schamanistisches Ritual abläuft, wenn tote Schweine aufgebahrt und eine bunt gewandete Spiritistin die Messer schwingt. Schließlich geht es darum, böse Mächte abzulenken, damit der schmuck verzierte Sarg des Ur-Patriarchen einer wohlhabenden koreanischen Familie, die längst in die Vereinigten Staaten ausgewandert ist, ausgehoben werden kann. Denn deren Opa, der spukt schließlich herum und belegt den jüngsten Spross seiner Dynastie mit Flüchen, quält die Lebendigen mit Alpträumen und stänkert so richtig auf paranormaler Existenzebene durch die Gegend. Feng-Shui-Meister Kim ist bei dieser Aktion alles andere als wohl bei der Sache, die beiden Schamanen Lee und Oh können den alten, erfahrenen Experten aber davon überzeugen, diesen Auftrag durchzuführen. Dass dabei noch ganz andere Mächte zurück ins Diesseits beordert werden, damit hätte wohl niemand gerechnet. Die Welt der Götter wird gestört, noch viel Älteres betritt die Bühne der Gegenwart, dessen Existenz bis in die Zeit der japanisch-koreanischen Kriege zurückreicht.

Das Ensemble der Spezialisten steht bald mit dem Rücken zur Wand, es geistert und spukt, das Phantastische ist Jang Jae-Hyun aber näher als der schreckgespenstische Horror. Hätte Neil Gaiman ein Austauschjahr in Südkorea verbracht und dort so manche seiner magischen Anderswelt-Geschichten geschrieben, er hätte Exhuma entwickeln können. Und obwohl hier kaum Leerlauf herrscht in diesem Abenteuer, es immer was zu tun gibt und niemand wirklich zum Durchatmen kommt – Exhuma ist ein anstrengendes, wie bereits erwähnt überlanges und unruhiges Werk, welches knapp vor Filmmitte seinen bisher so geschmeidigen Erzählfluss verliert. Was dann folgt, ist eine fast schon neu erzählte, ganz andere Geschichte, die mit der vorangegangenen nur noch wenig zu tun hat. Zwei Schamanen-Stories im Doppelpack? Nach einer Laufzeit von einer Stunde und fünf Minuten lässt sich der Rest des Films gut vertagen.

Exhuma (2024)

Longlegs (2024)

DEN TEUFEL AUF DISTANZ HALTEN

7,5/10


longlegs© 2024 DCM


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE / DREHBUCH: OZ PERKINS

CAST: MAIKA MONROE, NICOLAS CAGE, BLAIR UNDERWOOD, ALICIA WITT, KIERNAN SHIPKA, ERIN BOYES, LISA CHANDLER, SCOTT NICHOLSON, DAKOTA DAULBY U. A.

LÄNGE: 1 STD 42 MIN


Wo ist Nicholas Cage? Man erkennt ihn gar nicht hinter dieser seltsamen Maske, die so aussieht, als hätte Mrs. Doubtfire den Nachtdienst in der nächstgelegenen Geisterbahn begonnen. Als hätte Mickey Rourke sein Geschlecht gewechselt. Seltsam feminin, tänzelnd wie der Joker und vom Teufel besessen geistert die Gestalt des Longlegs durch ein düsteres, von allen guten Geistern verlassenes Amerika, wie ein Harlekin des Grauens. Nicht von dieser Welt und dennoch nur ein Mensch. Oder doch nicht?

Wer sich einen Psychothriller biblischen Ausmaßes erwartet, wie ihn David Fincher zu meinem bekennenden Schrecken in den Neunzigern losgelassen hat, darf nur zum Teil darauf hoffen, von einer packenden Tragödie sturzflutartig mitgerissen zu werden. Longlegs geht die Sache nämlich ganz anders an. Ruhiger, stiller, bis zum Äußersten entschleunigt. Und dennoch entwickelt die finstere, metaphysische Mär um das paranormale Treiben eines hässlichen Sonderlings eine intensive Dynamik – viel untergründiger als bei Sieben, viel mehr introvertierter und überhaupt nicht energisch, sondern in den Momenten potenziellen Spuks, der da aufkommen könnte, innehaltend, um dann wieder die Erwartungen des Zusehers zu konterkarieren. Mit dem mysteriösen Song Jewel der Band T. Rex und einem daraus entnommenen Zitat, schwarze Lettern auf Rot, beginnt eine Sinn- und Tätersuche, die sich tief ins Unterbewusstsein von Protagonistin Maika Monroe gräbt, die als FBI-Ermittlerin Lee Harker durch den fundamentalen Wahnsinn eines Satanisten auf ihre eigene verzerrte Biografie zurückgeworfen wird. Diese Reise in die Dunkelheit führt durch ein fahl beleuchtetes Labyrinth aus Fluren, Kellern und weiten Räumen, deren hintergründige Unschärfe dem Auge Streiche spielen, während die Kamera stets Distanz hält zu seinen Figuren, lediglich Monroe rückt näher ins Bild, stets ernst, argwöhnisch und sonderbaren Klängen lauschend, die Psychopathisches auf den Plan rufen könnten.

Akribisch lernt Agentin Harker das krude Alphabet des Spinners, immer rätselhafter wird dieser Fall, der sich nicht auf die zehn Todsünden herunterbrechen lässt, sondern viel komplexer scheint. Schließlich ist es so, als würde Longlegs niemals selbst töten, als wären es die Opfer selbst, die sich und ihre Liebsten richten, angetrieben durch irgendeine obskure Macht, die der Killer entfesseln kann. Ist es Hypnose? Sind es Drogen?

Der Eindruck, dass die Wahrnehmung etwas verzerrt wirkt, liegt auch an den subtilen, ausgefeilten technischen Spielereien, die sich Regisseur Oz Perkins, der älteste Sohn von Schauspiellegende Anthony Perkins (Psycho), da einfallen hat lassen. Auch wenn das ferne Gewitter am dämmrigen Abendhimmel Wetterleuchten verursacht – stets bleibt das Gefühl einer Ruhe vor dem Sturm konsistent. Perkins Welt gerät unter einen Glassturz, in eine windstille Szenerie aus abgestandener Luft und Unbehagen. Die ungesund gelben Lichtkegel billiger Taschenlampen durchdringen die Finsternis, der magere Schein alter Glühbirnen und halogenem, septischem Schwachlicht erhellen das Halbdunkel nur kaum, das besser als alles andere die Metaphysik dieses okkulten Dramas versinnbildlicht. Longlegs Bildsprache folgt einer aufgeräumten Ordnung, einer Hintergrund-Symmetrie, ein erlesenes Setting, die Figuren befinden sich zentral. Vieles lässt sich in diesem Kunstwerk analysieren – am schwierigsten zu handhaben ist da wohl das Herunterschrauben einer Erwartungshaltung, die sich aus den Erfahrungen im Genre speist. Longlegs entwickelt dabei einen eigenwilligen Takt, die Ruhe vor dem Sturm zeigt sich als der Sturm selbst.

Der mit bedächtig gesetzten Gewaltspitzen ausgestattete Horror findet einen neuen Zugang ins Okkulte und vermengte das Reale mit einer fantastischen Komponente, die sich nur so nebenbei ins Geschehen schleicht. Budenzauber und hohlen Schrecken sucht man in Longlegs vergebens. Diese Ermittlungsarbeit ist ein mephistophelisches, künstlerisch versonnenes wie versponnenes Erlebnis, die den Faust’schen „Pudels Kern“ neu interpretiert. Dass Oz Perkins dabei, wieder auf einer eigenen Ebene, garstige Kritik am Katholizismus und der blinden, bigotten Bibel-Frömmelei äußert, wird in dieser Review nur rein zufällig zuletzt erwähnt. Als Wurzel allen Übels liefert dieser schadhafte Eifer überhaupt erst das Fundament für ein verhängnisvolles Spiel.

Longlegs (2024)

Late Night with the Devil (2023)

TEUFLISCH GUTE QUOTEN

6,5/10


LateNightWithTheDevil© 2024 capelight pictures

LAND / JAHR: AUSTRALIEN 2023

REGIE / DREHBUCH: CAMERON & COLIN CAIRNES

CAST: DAVID DASTMALCHIAN, LAURA GORDON, IAN BLISS, FAYSSAL BAZZI, INGRID TORELLI, RHYS AUTERI U. A.

LÄNGE: 1 STD 33 MIN


Ich muss gestehen, ich freue mich schon auf Halloween. Ja natürlich, vorher drängt sich noch der Sommer dazwischen, doch meine Affinität zum Paranormalen und Phantastischen schlägt die überschaubare Lust, in der Hitze nicht enden wollender Tage auf diversen Liegewiesen dahinzudämmern. Wenn’s dunkel wird, lockt das Geheimnisvolle. Und wenn’s dunkel wird, heißen diverse Show-Hosts quer über den Erdball das nocturnale Publikum wieder herzlich willkommen. In unseren Breiten sind das Sterman, Grissemann oder Peter Klien. In Deutschland der kontroverse Jan Böhmermann, in Übersee Jimmy Fallon oder Stephen Colbert. Jetzt stelle man sich mal vor, einer dieser wortgewandten Showgrößen hat sich für die Nacht des einunddreißigsten Oktobers auf den ersten November etwas ganz Besonderes einfallen lassen, um die Quotenflaute auszumerzen. Etwas, das wie ein Straßenfeger fast die gesamte Bevölkerung eines Landes vor die Bildschirme lockt, und nein, es ist nicht eine erneute Mondlandung, sondern etwas ganz anderes. Der Beweis nämlich, dass gepeinigte Mädels wie jenes aus dem Film Der Exorzist tatsächlich existieren, dass es sogar möglich scheint, vor laufender Kamera endlich mal das Corpus delicti greifbar und überzeugend für alle offen zur Schau zu stellen.

Die Spannung wächst beim Publikum ins Unendliche, die Erwartungshaltung ist hoch, und die Skepsis bleibt, vorallem auch deswegen, weil Fakt und Fake in Zeiten wie diesen nur noch schwer auseinanderzuhalten sind. Doch Moment: In Late Night with the Devil befinden wir uns in einer Talkshow des Jahres 1977. Und auch wenn bahnbrechende Effekte in Filmen wie Star Wars die Welt zum Staunen bringen: Akkurate Illusionen in einer Live-Show vom Stapel zu lassen gestaltet sich dann doch deutlich schwieriger. Aus diesem Grund sollen an diesem Halloweenabend abgeblich echte Phänomene kritisch beäugt werden dürfen, deswegen lädt Showmaster Jack Delroy nicht nur das Medium Christou in die Live-Sendung ein, der mit den Toten kommunizieren kann. Auch der Ex-Magier Carmichael Haig darf die Chance ergreifen, das paranormale Schauspiel zu entlarven. Letztendlich wird sich dieser bei titelgebender Teufelsbeschwörung die Zähne ausbeißen. Und die Show zum grauenhaften Ereignis werden lassen, das als Found Footage-Dokument a la The Blair Witch Project spätere Generationen verstören soll.

Das Konzept dieses Films geht auf. Dämonen, die über ein Mädchen kommunizieren, in eine spätabendliche Talkshow einzuladen, ist tatsächlich ein kreativer Knüller. Es ist, als würde man, offen für jeden Aberglauben, den Sensationen einer jahrmärktlichen Schaubude beiwohnen, wäre man im vorigen Jahrhundert geboren. Hochgerechnet auf das Fernsehzeitalter der Siebziger, mit dem wir uns besser identifizieren können als mit theatralischem Budenzauber, entlockt Late Night with the Devil dem Zuseher eine Sensationslust, die fast schon in eine Gier übergeht; die kaum erwarten lässt, was bald stattfinden wird. Das Publikum weiß, dass die Sache aus dem Ruder laufen wird. Doch wie, bleibt lange ein Geheimnis, ein „Jack in the Box“.

Der Film von Cameron und Colin Cairns ist aber längst nicht so ein konsequenter Footage-Horror wie er letztlich hätte sein können. Eine Erkenntnis, die sich erst gegen Ende des Films niederschlägt. Die Behind the Scenes-Sequenzen lassen sich ja noch halbwegs als Teil einer ungeschnittenen Rohfassung ganz gut erklären, als andersformatige Schwarzweiß-Intermezzi sind sie dazu da, den Showbeitrag mit einer moralisch aufgeladenen Story zu unterfüttern. Hätte es das gebraucht? Ganz und gar nicht. Ich will nicht wissen, was Showmaster Delroy auf dem Kerbholz hat. Was Gäste und Host miteinander verbindet. Noch radikaler wäre es gewesen, hier überhaupt keinen Background zu erzählen, es einfach laufen zu lassen, auf unerklärliche, unheimliche Weise und ohne kausale Zusammenhänge. The Blair Witch Project hat das hinbekommen. Cloverfield ebenso. Late Night with the Devil schafft es über Dreiviertel seiner Laufzeit, wirklich zu fesseln. Doch dann ist die dick aufgetragene Liebesmüh nur noch dazu da, dem phänomenalen Ende einen reichlich konfusen Epilog draufzusetzen, der nur Verwirrung stiftet.

Late Night with the Devil (2023)

Mater Superior (2022)

EIN HAUCH VON MODER

4/10


mothersuperior© 2022 Splendid Film


ORIGINALTITEL: MOTHER SUPERIOR

LAND / JAHR: ÖSTERREICH 2022

REGIE / DREHBUCH: MARIE ALICE WOLFSZAHN

CAST: ISABELLA HÄNDLER, INGE MAUX, JOCHEN NICKEL, TIM WERTHS, FLORIAN TRÖBINGER, TOMMY GFÖLLER, PATRICIA AULITZKY, DIANA REUCHLIN U. A.

LÄNGE: 1 STD 11 MIN


Marie Alice Wolfszahn. Diesen Namen muss man sich merken, es geht gar nicht anders. Im Gedächtnis bleibt dieser aber weniger aufgrund dessen, was nämliche österreichische Filmemacherin so inszeniert hat, sondern vielmehr aufgrund des phonetischen Klangs an sich. Wolfszahn hat einen gänzlich unter dem Radar heimischer Kinoauswertungen laufenden, gediegenen Herrenhaus-Grusel inszeniert, der zumindest die Ehre erfahren durfte, im Rahmen des Slash Filmfestival 2022 auf der großen Leinwand gezeigt zu werden. Schauplatz ist ein dem Zahn der Zeit ausgeliefertes, schmuckes Anwesen im Gebiet um den Semmering, das ist für Nichtkenner der österreichischen Landkarte im Süden des Bundeslandes Niederösterreich. Wir schreiben das Jahr 1975, der Weltkrieg mitsamt seines Nazi-Regimes liegt auch schon 30 Jahre in der Vergangenheit, und dennoch ist dieses alte Gemäuer namens Rosenkreuz inmitten von Grün und fernab jeglicher anderen Infrastruktur von einer reaktionären Aura umgeben, als wäre es ein Tor in eine traumatische Zeit. Abschrecken lässt sich die junge Krankenpflegerin Sigrun davon nicht, die von nun an bei Baronin Heidenreich nach dem Rechten sehen wird. Ebenfalls in den Diensten der Alten befindlich ist der verschrobene, lakonische Hauswart Otto (brummig: Jochen Nickel). Als ungleiches Trio geistern sie von nun an rund 70 Minuten durch eine seltsame Welt aus verfallenen, geradezu postapokalyptisch anmutenden Räumen, kafkaesker Archive und Okkultem, das in seiner praktischen Umsetzung unfreiwillig komisch wirkt. Baronin Heidenreich war mal Aufseherin in einem dieser faschistoiden Geburtshäuser, die man auch Lebensborn-Heime nannte. Klein Sigrun dürfte damals genau dort zur Welt gekommen sein, von ihren Eltern weiß sie so gut wie gar nichts. Ihre Anstellung ist demnach nicht sozial motiviert, sondern hat genau diesen Hintergedanken – nämlich, der alten Nazi-Dame jene Geheimnisse zu entlocken, die ihre Existenz betreffen.

Was in diesem Gothic-Mysterium dann sonst so passiert, ist vermutlich so sperrig wie all die windschiefen Türen in diesem historistischen Bau, die nicht mehr in ihren Türstock passen und von einer zugigen Halle in die andere führen. Immer wieder mal erscheint die in Brautmoden gehüllte, titelgebende Mater Superior, auf Deutsch Mutter Oberin, niemals ist ganz klar, wer damit gemeint ist und welchen Mehrwert diese personifizierte Allegorie denn eigentlich hat. Inge Maux gibt sich ganz neureich, vorgestrig österreichisch und hat jede Menge dunkle Vergangenheit zu verbergen, doch mit dieser setzt sich Wolfszahn nur flüchtig auseinander. Keine Ahnung, was Inge Maux hier treibt, welche Funktion dieser Otto eigentlich hat und was das für ein Kult ist, den beide praktizieren.

Mater Superior kolportiert bedeutungsschwere Schauerromantik, die eine Spurensuche illustriert, die dank der historischen Komponente genug Tiefgang mitbringen hätte sollen. Die Praxis macht der Theorie aber einen Strich durch die Rechnung. Alle drei Figuren, sowohl Inge Maux als auch Isabella Händler und Jochen Nickel füllen zwar ihre Rollen aus, doch diese sind zu dürftig skizziert, um einer direkten Konfrontation untereinander standzuhalten. So sind die Biographien der beiden weiblichen Filmfiguren mehr als vage und irgendwie seperat, es fehlt der Bezug oder die Relevanz oder auch nur ein driftiger Grund, um motiviert genug zu sein, die Indizien zusammenzuzählen.

Schöne Bilder allein retten Mater Superior auch nicht vor seiner heillosen Konfusion, vor seiner unzusammenhängenden Erzählweise und gar vor einer völligen Verwirrung am Ende des elegischen Lost Places-Horrors, dessen Twist auf keiner erkennbaren Vorahnung beruht. Es ist, als hätte die Geschichte vergessen, auf seine Conclusio hinzuarbeiten. Was bleibt, sind Stuck, Staub und ein Hauch von Moder.

Mater Superior (2022)

Personal Shopper (2016)

BRUDER IM GEISTE

7,5/10


personal-shopper© 2017 Filmladen Filmverleih


LAND / JAHR: FRANKREICH, DEUTSCHLAND, TSCHECHIEN, BELGIEN 2016

REGIE / DREHBUCH: OLIVIER ASSAYAS

CAST: KRISTEN STEWART, LARS EIDINGER, NORA WALDSTÄTTEN, ANDERS DANIELSEN LIE, SIGRID BOUAZIZ, TY OLWIN, HAMMOU GRAÏA, BENJAMIN BIOLAY U. A.

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Dass sie auf ewig, wie manche ihrer Schauspielkolleginnen und -kollegen, auf ihre Glamourrolle der Bella Swann aus den Twilight-Verfilmungen reduziert wird – darüber braucht sich Kristen Stewart keine Sorgen mehr machen. Dank eines wohl vorausschauenden Managements rund um ihre Person und der Bereitschaft, vor allem auch in kleineren, aber äußerst festivaltauglichen Produktionen eine Position einzunehmen, die aufgrund einer intrinsischen Motivation geschieht und nicht, um der erfolgsgefährdenden Imagefalle zu entgehen, ist Stewart längst jemand, der nicht belächelt, sondern künstlerisch ernstgenommen wird. Ihr Höhepunkt – Spencer – hat ihr gar eine Oscarnominierung eingebracht. Und ja – Pablo Larrains freie Interpretation der Gefühlswelt von Lady Di hat nicht zuletzt wegen Stewarts intuitiver und verletzlicher Performance so bahnbrechend gut funktioniert. Der französische Autorenfilmer Olivier Assayas hat längst erkannt, dass Stewart auf eine ganz eigene Art seine Filme veredelt. In Die Wolken von Sils Maria stand sie an der Seite von Grand Dame Juliette Binoche. In Personal Shopper ist sie eine, die für andere shoppen geht, vorzugsweise sündteure Klamotten, und in diesem Fall für die Mode-Ikone Kyra, dargestellt von Nora Waldstätten, die in ihrer eigenen Krimireihe Die Toten vom Bodensee dem Jenseits rund um die Dreiländerlacke auf den Zahn fühlt.

Diese sündteuren Klamotten will Kristen Stewart als Maureen am liebsten für sich selbst einkaufen, das Verlangen, die Identität ihrer allseits bekannten Auftraggeberin zu übernehmen, wird nur noch überlagert von dem Willen, Kontakt mit ihrem verstorbenen Zwillingsbruder aufzunehmen. Doch statt inszenierten Séancen braucht Maureen eigentlich nichts sonst außer die Muße und das richtige schaurige Gemäuer, um mit denen aus dem Jenseits auf Tuchfühlung zu gehen. Maureen ist ein Medium, das weiß auch ihr Bekanntenkreis, und so findet sie sich nächteweise im längst verlassenen Anwesen ihres Bruders wieder, um ihre Fähigkeiten einzusetzen und den Geistern nachzuspüren, die nicht erlöst werden können, da irgendetwas sie im Diesseits behält. Ein quälender Umstand, der Geistern, wie wir wissen, erlaubt, sichtbar zu werden oder deren Präsenz man spürt, obwohl sich anfangs nichts dergleichen, was Angst einjagt, in Assayas Film manifestiert.

Aus der Verlockung, mit dem Unbekannten zu kommunizieren, erwächst bald eine indirekte Bedrohung. Maureen fühlt sich bald verfolgt, sie stellt auch fest, dass nicht ihr Bruder, sondern andere Geister Geschichten zu erzählen haben. Irgendetwas ist hinter ihr her, während sie hinter der völlig abgehobenen Kaya nachräumt und dabei auf deren eifersüchtigen Liebhaber (Lars Eidinger) trifft, der mit Abweisungen gar nicht umgehen kann. Wohin das führt, welche Rolle Maureen in diesem Perpetuum Mobile an Existenzen und Nicht-Existenzen zu spielen hat – um diese Fragen zu beantworten, begibt sich Assayas auf eine Projektionsfläche des existenzialistischen Erzählkinos, das stellenweise gar den Betrachtungsweisen eines Jean-Paul Sartre bedient, der sich in seinen Bühnendramen an der Ausweglosigkeit menschlichen Daseins abgearbeitet hat. Personal Shopper lässt sich inhaltlich schwer festmachen, die Figuren des Films tragen eine unheilvolle Bestimmung, und Kristen Stewart war, abgesehen von Spencer, selten besser.

Dass Geisterfilme oder Werke, die sich mit dem Paranormalen beschäftigen, nicht immer das Horror-Genre bedienen müssen, um das Adrenalin beim Publikum auszuschütten, haben Künstler wie der Thailänder Apichatpong Weerasethakul oder David Lowery mit A Ghost Story, seiner Elegie an den Tod, meisterlich bewiesen. Assayas nimmt der Parapsychologie ebenfalls den Schrecken, nicht aber das Unheimliche. Das Gespenstische wird zur unterschwelligen Manifestation unerfüllbarer Sehnsüchte, in diesem Kontext gefällt das Spiel mit den Identitäten und dem Verlangen umso besser. Stringent ist aber gar nichts an diesem Film, die Lust an der kontemplativen Psychostudie müsste man teilen wollen, sonst könnte Personal Shopper manchesmal etwas substanzlos erscheinen. Doch genauso wenig, wie Assayas Wolken von Sils Maria Dinge erklären und Umstände direkt ansprechen will, genauso wenig ist dieser dem Phantastischen zuordenbare Film einer, der vorhat, Fragen zu beantworten. Im Gegenteil, das 2016 mit dem Regiepreis in Cannes ausgezeichnete Stück Kunstkino setzt am Ende gar noch eine Metaebene drauf. Das ist Mystery vom Feinsten.

Personal Shopper (2016)

Das erste Omen (2024)

AUF TEUFEL KOMM RAUS

6/10


THE FIRST OMEN© 2024 Twentieth Century Fox. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA, ITALIEN 2024

REGIE: ARKASHA STEVENSON

DREHBUCH: TIM SMITH, ARHASHA STEVENSON, KEITH THOMAS

CAST: NELL TIGER FREE, RALPH INESON, NICOLE SORACE, SÔNJA BRAGA, BILL NIGHY, MARIA CABALLERO, ANDREA ARCANGELI, ANTON ALEXANDER, TAWFEEK BARHOM, ISHTAR CURRIE-WILSON, MIA MCGOVERN ZAINI U. A.

LÄNGE: 1 STD 57 MIN


Wie macht man ein Prequel für einen Film, der fast schon fünf Jahrzehnte auf dem Buckel hat? Reicht da nur, diesem die Optik seines Nachfolgers zu verpassen? Mitnichten, denn Erzähltempo, Score und das Lebensgefühl der Siebzigerjahre sind da nur ein paar weitere Faktoren, die müssen schließlich auch berücksichtigt werden. George Lucas zum Beispiel musste in seiner Prequel- Trilogie zu Star Wars: Eine neue Hoffnung damit ringen, die zeitlich davor angesetzte Storyline nicht so aussehen zu lassen, als wäre sie ihrer eigenen Zukunft voraus. Nur teilweise ist ihm das gelungen. Bei Richard Donners Satansbraten-Thriller Das Omen, das sich mit einigen Sequels ebenfalls zu einem Franchise entwickelt hat, mag es einfacher sein, das ganze Ensemble in einen Siebziger-Look zu kleiden und ganz Rom mit Retro-Boliden auszustatten. Eingefangen wird das schmucke Szenario mit einem bereits aus der Mode gekommenen Kamera-Manierismus, der aus schnellen Zooms und etwas unkoordinierten Schwenks besteht. Unterlegt wird das Revival mit nostalgischem Score und über allem dann ein entsprechend ausgewaschenes Retro-Kolorit, welches sich bestens eignet für Nebel und Dunst und düstere Innenräume, die das Waisenhaus, in welchem die Protagonistin des Films, Novizin Margaret, anfangs landet und auch die engen Gassen der ewigen Stadt in eine mystische Atmosphäre taucht, wie sie vielleicht nur noch Nicolas Roeg mit seinem Gruselthriller Wenn die Gondeln Trauer tragen so formvollendet ins rechte schale Licht gerückt hat.

Wenn Margaret also mit mulmigem Bauchgefühl über verlassene Plätze und durch enge Gassen trippelt, wenn sie seltsame Räume aufstößt und sich in der Tür, die in den dunklen Keller führt, stilsicher als dem Unheil sehr nahe gekommener Schattenriss abzeichnet, hat Das erste Omen mit unmissverständlich kalt komponierten, ikonischen Bildern die Aufgabe gemeistert, als Prequel eines Films, dessen Erzählweise längst von schnelllebigen Rhythmen im Horrorgenre abgelöst wurde, bestens zu funktionieren. Das allerdings ist die eine Sache. Die andere ist die, so sehr dem Original nahegekommen zu sein, dass selbst der Horror eine gewisse Vorgestrigkeit aufweist, der man eigentlich nur mit dem Grundton des Films widersprechenden Schreckmomenten beizukommen versucht, die der unheilvollen und mühsam aufgebauten Mystery mehr den Wind aus den Segeln nimmt als ihm dabei zu helfen, sich vollends zu entfalten.

Die Geschichte selbst ist schnell erzählt, und auch hier entspricht sie Donners Klassiker, da sie keinerlei Anstalten macht, ihr Publikum großartig an der Nase herumzuführen. Es lässt sich ahnen, was passieren wird, doch Filme wie diese leben von einem satten Gefühl, gemeinsam dem Unerklärlichen entgegenzutreten. Eingangs erwähnte Margaret, selbst Waise und aufgewachsen in einem Kloster irgendwo in den USA, reist also auf Einladung ihres Ziehvaters und Kardinals Lawrence (Bill Nighy) nach Rom und bereitet sich darauf vor, bald ihr Gelübde abzulegen. Während ihrer Arbeit im Waisenhaus macht Margaret Bekanntschaft mit einem geheimnisvollen Mädchen, das genauso von Visionen geplagt wird wie sie selbst. Hinzu kommt, dass ein gewisser exkommunizierter Geistlicher namens Brennan – Kenner des Originals wissen: Er wird Gregory Peck über die Bedeutung Damiens aufklären – genau dieses Mädchen mit der Ankunft des Antichristen in Verbindung bringt. Und Margaret darauf ansetzt, diese zu vereiteln. Die junge Frau wird somit immer tiefer in geheimnisvolle Verstrickungen und unheilvolle Begebenheiten hineingezogen, alles wird bedrohlicher und gefährlicher und keine Nonne in diesem Waisenhaus ist das, was sie vorgibt zu sein.

Die katholische Schwesternschaft muss abermals stark sein: Schon wieder gibt es einen Horrorfilm, der die schwarzweiß gekleideten Dienerinnen Gottes mit diabolischem Grauen in Verbindung bringt. Da hätte es doch gereicht, dass die grässliche Jumpscare-Nonne Valak aus dem Conjuring-Universum deren Image nicht gerade aufpoliert. Nun aber hängt die ganze katholische Kirche mit drin, es ist wie in der Netflix-Serie Warrior Nun, in der Nonnen zumindest als martialische Kämpferinnen im vom Teufel infiltrierten Vatikan ordentlich aufräumen. Hier, in Das erste Omen, brennen und hängen, tuscheln und kichern die Damen im Habit auf Teufel komm raus, und immer wieder wünscht man sich Whoopi Goldberg als Schwester Mary Clarence her, die den Laden wohl ordentlich aufgemischt hätte und all die irren Ideen dem verkorksten Haufen mit hüftschwingender Musik ausgetrieben hätte. Doch nein, es bleibt düster, und es bleibt gediegen. In wenig erschreckender Langsamkeit, dafür aber mit reichlich Stimmung, investigiert sich die wirklich famos auftrumpfende Nell Tiger Free (Game of Thrones, Servant) in eine selbsterfüllende Prophezeiung hinein, die begleitet wird von stilfremden Grusel-Versatzstücken, die sich so anfühlen, als wären sie im falschen Film. Lässt man die mal außer Acht, und auch eine gewisse Anbiederung an Roman Polanskis weitaus mysteriöseren Horror Rosemary’s Baby, bleibt ein sakraler Thriller, der mit Lust einige Unklarheiten aus dem Original-Omen glattbügelt, dabei aber zu sehr darauf bedacht ist, nahtlos an den folgenden Plot, den der Klassiker mit sich bringt, anzuknüpfen. Das Fan-Service bleibt dabei nicht außen vor, und der Kompromiss aus Zugeständnissen und ungelenken Konstruktionen stimmt immerhin so weit, dass gar eine Fortsetzung möglich wäre – als Spin Off, dessen Handlungsbogen wohl eher als Serie gefällt. Der Stoff, der noch folgen könnte, wäre in der Wahl seiner Mittel dann weitaus freier.

Das erste Omen (2024)

Das Omen (1976)

DER TEUFEL MIT IM SPIEL

6/10


DasOmen© 1976 Twentieth Century Fox


LAND / JAHR: USA, VEREINIGTES KÖNIGREICH 1976

REGIE: RICHARD DONNER

DREHBUCH: DAVID SELTZER

CAST: GREGORY PECK, LEE REMICK, DAVID WARNER, BILLIE WHITELAW, HARVEY STEPHENS, LEO MCKERN, PATRICK TROUGHTON, MARTIN BENSON, ROBERT RIETTI U. A. 

LÄNGE: 1 STD 46 MIN


Der beste Trick des Teufels ist doch bekanntlich der, die Menschheit im Glauben zu lassen, es gäbe ihn gar nicht. In Richard Donners Klassiker aus den 70er Jahren, den ich anlässlich des brandneuen Prequels Das erste Omen einer Erstsichtung unterzog, schenkt der Beelzebub diesem Leitsatz wenig Beachtung. Warum, so würde ich den Teufel fragen, kannst du denn nicht im Körper eines Dreikäsehochs so lange im Verborgenen bleiben, bis der Zeitpunkt gekommen ist, um das Ende der Menschheit einzuläuten? Warum benötigt der Knirps denn nebst eines furchterregenden Höllenhundes, der hechelnd an seiner Seite kauert, eine mehr als dubiose Amme, die gleich an die große Kirchenglocke (Allmächtiger behüte!) hängt, dass mit ihr so einiges nicht stimmt? Gute Miene zum bösen Spiel ist etwas für Feingeister, und wieder hole ich mir als bekennender Star Wars-Fan Referenzen aus der weit entfernten Galaxis, um auf die Diabolik eines Imperators Palpatine hinzuweisen, der jahrzehntelang eine ganze Republik in dem Glauben ließ, die Sith gäbe es gar nicht. Bei Richard Donner ist der Teufel allerdings einer, der dem allzu menschlichen Drang folgt, unbedingt im Mittelpunkt zu stehen.

So gut hätte er es haben können, der Leibhaftige. All die Menschleins mit ihren niederen Bedürfnissen in die Versuchung zu stürzen lief doch bisher so gut – warum dieses Outing? Weil der Horror eines verhaltensauffälligen Nachwuchses fürs Kino gerade richtig schien. Wenn die Kleinen sich winden und jammern, sie sich selbst als den Mittelpunkt des Universums verstehen und sich in gellender Hysterie aufbäumen, wenn sie nicht bekommen, was sie wollen, möchte man als Elternteil in der Hitze des Alltags durchaus eine diabolische Metaebene vermuten. In Das Omen erhärtet sich der Verdacht: Damien, der Satansbraten, ist das Kind des Teufels, wobei das Teuflische eher mehr von seiner Entourage ausgeht als von ihm selbst. Der Kleine tut, was Kinder eben tun, und niemand hätte je vermutet, was der Knabe einmal werden will, wäre Lucifer nicht so ein Stümper. Und wäre er nicht so ein Stümper, gäbe es keinen Film. Doch da sind wir jetzt, im Anwesen des US-Botschafters Robert Thorne, gespielt von Gregory Peck, der als alter Hase des schillernden Hollywood Donners Film ohne Frage veredelt. Doch wie sieht es mit dem Rest aus? Hat der Klassiker des Dämonenkinos all die Jahrzehnte überstanden, ohne Abnutzungserscheinungen davonzutragen?

Seit damals, 1976, hat sich im Subgenre des okkulten Horrors so einiges getan. An Richard Donners Pädagogenhorror hat dabei längst der Zahn der Zeit genagt, dem filmtechnischen und dramaturgischen Geist der Gegenwart entspricht der adrette Thriller leider längst nicht mehr. Vielleicht liegt meine nicht unkritische Wahrnehmung auch daran, dass die Handlungsweisen einzelner Personen, darunter eben auch die des Ehepaars Thorne, nicht ganz nachvollziehbar sind. Da Damien im Fokus der Handlung steht, Geistliche bereits flehentlich darum baten, ihre Prophezeiungen ernst zu nehmen und der Knirps gerne mal seine Mama ins Krankenhaus befördert, verwundert es umso mehr, dass die Obhut des Kleinen gerade dann, wenn alles bereits darauf hindeutet, es mit Absonderlichem zu tun zu haben, weiter einer Amme obliegt, die offensichtlich Böses im Schilde führt. Während Lee Remick alias Katherine Thorne ihre Verletzungen kuriert, forscht Gregory Peck im südlichen Europa nach den Hintergründen von Damiens Existenz. Ums Kind selbst kümmert sich keiner, der noch bei Verstand ist. Und das ist ein offensichtlicher Fehler.

Bizarre Todesfälle befördern jeden, der den teuflischen Plänen gefährlich werden könnte, ins Jenseits. Die Idee mit den auf Fotografien festgehaltenen Manifestationen nahenden Unheils hat zugegeben etwas Gespenstisches und erinnert an Roman Polanskis Herangehensweise in Rosemarys Baby. Vieles andere scheint jedoch zu simpel gestrickt, um auch noch so viele Jahre später subtiles Grauen zu erzeugen. Das Mysterium des Okkulten weicht in Das Omen vor zu viel Unschärfe in den Indizien zurück. Sie geben dem Zuseher Gewissheit für etwas, dass, wäre es nur im Bereich des Möglichen geblieben, viel mehr Wirkung erzielt hätte.

Man könnte Das Omen neben seiner filmgeschichtlichen Bedeutung als phantastischen Gruselthriller auch als die hundsgemeine Nihilisten-Version von Mary Poppins betrachten, die Rabeneltern im wahrsten Sinne des Wortes verteufelt und die potenzielle Gefahr, die vom Einfluss wildfremder Personen ausgeht, in blutigen Lettern auf den Haussegen pinselt. Es ist ein Film über Familie und Verantwortung und die Ohnmacht der Eltern darüber, dass das Kind irgendwann mal den Erwartungen nicht entsprechen könnte. Das mag funktionieren, und zwar besser als in der Funktion, die To-do-Liste des Leibhaftigen abzuarbeiten. Denn dafür wirkt Das Omen mittlerweile so angestaubt wie die jahrzehntelang unberührte Verlassenschaft eines ehrgeizigen Vatikan-Exorzisten.

Das Omen (1976)

Willy’s Wonderland (2021)

AUFWISCHEN UND AUFMISCHEN

5,5/10


willys-wonderland© 2021 Splendid Film


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: KEVIN LEWIS

BUCH: G. O. PARSONS

CAST: NICOLAS CAGE, EMILY TOSTA, BETH GRANT, RIC REITZ, CHRIS WARNER U. A.

LÄNGE: 1 STD 28 MIN


Wer ist wohl die coolste Socke auf Gottes Erde? Na, wer? Natürlich Nicolas „Nic“ Cage, der sich gar nicht mal bemüßigt fühlen muss, irgendetwas von dem, was er tut, argumentativ zu untermauern. Cage muss gar nichts sagen. Es versteht ihn auch so ein jeder. Und wer nicht hinhören will, muss eben fühlen. Erst seit Kurzem overactet der Neffe Francis Ford Coppolas als die Ikone des Phantastischen schlechthin über die Leinwand – als Graf Dracula in Renfield, mit spitzen Zähnen und einer Blutgier, die ihresgleichen sucht. Eine Zeit lang war der Mann verliebt in Dutzendware, deren Produzenten ihn als Aushängeschild geliehen hatten. Macht nichts, gutes Geld war das allemal. Und dann gab’s so einiges an der künstlerischen Independent-Front, was ihm dazu verhalf, wieder ganz oben mitzumischen. Wobei: Weg war er nie. Und gottergebener Trashfilm-Veredler, der sich dem Schicksal eines ausrangierten Schauspielers hingeben muss, auch nicht. Weil es vielleicht nur ihn geben kann, um Filme wie Willy’s Wonderland herauszubringen.

Ganz ehrlich: Wer hätte diesen Mann ohne Worte, der sich nicht zu gut dafür ist, die Hände schmutzig zu machen, sonst noch spielen können? Frank Grillo? Dolph Lundgren? Vielleicht „Sisu“ Jorma Tommila, der in seinem Nazi-Actioner auch keine großen Reden schwang. Aber Cage, der ist exaltiert und verrückt genug, um sich auch nicht zu gut dafür zu sein, mit den Puppen zu tanzen, die als mechatronisches Aushängeschild und reif für den Requisiten-Flohmarkt im längst geschlossenen Vergnügungspark namens Willy’s Wonderland vor sich hindämmern. Wer noch keine fünf Nächte bei Freddy’s war, kann für einmal Overnight zumindest hier vorbeischauen – und Cage beim Aufräumen zusehen. Mit welcher ehrgeizigen Konsequenz er das durchzieht, ist beeindruckend. Und die ganze, knapp 90minütige Fieberträumerei wäre eine Ode an den Putzmann geworden, gäbe es da eben nicht diese mordlüsternen, menschengroßen Fabelwesen, die dem wortlosen Mr. Saubermann ans Leder wollen. Der muss nämlich die Nacht hier verbringen, um die Reparatur seines Wagens zu finanzieren. Was er nicht weiß: Niemand rechnet damit, dass Cage hier noch lebend rauskommt. Und als dann noch eine Gruppe Jugendlicher die Bude abfackeln will, weil sie weiß, was da abgeht, wird’s so richtig haarig. Und man wundert sich, wie unfähig sich Young Adults anstellen können, wenn sie in einem Horrorfilm mitspielen, der nur dazu geeignet ist, einen Schlachtplatten-Countdown einzuläuten, bei dem weniger das Blut, sondern viel mehr das streng riechende Maschinenöl spritzt.

Warum Nicolas Cage immer zu einer gewissen Zeit seinen Energydrink hinunterkippen muss und ganz versessen darauf ist, den von ihm blankpolierten Flipper-Automaten zu besiegen, während ringsherum schreiend die Next Generation zu Boden geht, wissen wir nicht. Umso kurioser mutet das ganze Szenario an, welches aber, so sehr es auch zu seiner Mission steht, sinnbefreites Grunge-Entertainment zu sein, mit seiner beizeiten vorgetragenen Background-Story für Verwunderung sorgt. Im Laufe des Films „entpuppen“ sich die acht Roboter nämlich als gar nicht mal so widerstandsfähig. In Anbetracht dieser Tatsache erscheint die Prämisse des Plots nicht mal, wenn man beide Augen zudrückt, als haltbar. Kippt diese weg, gemeinsam mit der konstruierten Unterlegenheit der Opfer, bleibt nur ein sich selbst parodierender Nicolas Cage mit Understatement, der all dieses Drumherum gar nicht gebraucht hätte. Ob er schon mal überlegt hat, in einer Reality-Soap mitzuwirken, in welcher er einfach nur anderen hinterherräumt? Könnte was werden.

Willy’s Wonderland (2021)