Black Phone 2 (2025)

KEIN ANSCHISS UNTER DIESER NUMMER

5/10


© 2025 Universal Pictures


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: SCOTT DERRICKSON

DREHBUCH: SCOTT DERRICKSON, C. ROBERT CARGILL, NACH DER KURZGESCHICHTE VON JOE HILL

KAMERA: PÄR M. EKBERG

CAST: MADELEINE MCGRAW, MASON THAMES, ETHAN HAWKE, JEREMY DAVIES, MIGUEL CAZAREZ MORA, DEMIÁN BICHIR, ARIANNA RIVAS, MAEV BEATY, ANNA LORE U. A.

LÄNGE: 1 STD 54 MIN



Was war Scott Derricksons paranormaler Serienkillerthriller nicht für ein akkurater Filmleckerbissen, dahingleitend auf der Mystery-Schiene des Horror-Genres: Ein schwarzes Telefon im Keller eines Psychopathen, das, längst nicht mehr ans Netz angeschlossen, schauderhaft oft die Nerven des entführten Mason Thames kitzelt. Speziell in einem Punkt macht The Black Phone die erfrischende Wende: Nicht die Geister sind es diesmal, die die Lebenden quälen. Sie unterstützen diese, um der Bestie Mensch das Handwerk zu legen. Der von Thames verkörperte Finn ist der letzte einer ganzen Reihe ermordeter Kinder, die noch gar nicht wissen, dass sie überhaupt gestorben sind. Als spukhafte Vision manifestieren sie sich vor den Augen des Entführten und in den Visionen von dessen Schwester, die, daheim um ihren Bruder bangend, als Medium Hinweise genug erhält, um den Ort des Verbrechens letztlich ausfindig zu machen. Derricksons geradliniger Nägelbeisser besitzt ganz schön viel Atmosphäre, hat eine originelle Optik und das Herz am rechten Fleck. Zwar gerät die Sache ganz schon düster, doch letztlich ist The Black Phone zwar kein Feel Good-Horror, aber immerhin ein Feel-Better, je mehr sich die Dinge zuspitzen. Der verzweifelte Kampf Kind gegen Killer, der noch dazu eine so schaurige Maske trägt, weil sich die Mimik darauf auf geheimnisvolle Weise ändert, lässt sich wohl kaum eins zu eins auf ein Sequel übertragen, ohne dass sich dieses den Vorwurf gefallen lassen muss, einfach nur das Erfolgsrezept des Erstlings zu kopieren.

Ist so kalt der Winter

Eben da muss etwas Neues her. Oder eben etwas Altes, neu aufgegossen. Wie zum Beispiel die Idee von einem Psychopathen, der es geschafft hat, den Tod zu überwinden, um in den Träumen anderer aufzutauchen. Natürlich drängt sich da Nightmare – Mörderische Träume mit Antagonist Freddy Krüger auf, der sich mit gesottenem Gesicht, rotgrün gestreiftem Pulli und Klingenfingern durch die Träume argloser Teenies metzelt. Gut kopiert wird fast schon zum Original? In Black Phone 2 kehrt Ethan Hawke wieder zurück, doch anders als Freddy hat der Greifer nur dann freie Fahrt, wenn das Opfer den sechsten Sinn hat. In diesem Fall steht die Schwester des aus Teil eins entführten Finn im Mittelpunkt. Visionen von übel zugerichteten Kindern, die  Jungschauspielerin Madeleine McGraw in ein tief verschneites Wintercamp nach Colorado locken, machen bald deutlich, dass der totgeglaubte „Greifer“ noch lange keine Ruhe findet. Und seit Shining wissen wir: Die Isolation eines Ortes durch Schnee und Eis, diese für einen Thriller dramaturgisch eingegrenzte Spielfläche, auf der nur wenige Parameter über Sieg und Niederlage entscheiden, funktioniert als wohlige Zutat fast schon unter Garantie. Umso bedauerlicher, wenn die Story, die sich in dieses Setting zwängen will, plötzlich deutlich zu viel will.

Albträume in Super 8

Was an Black Phone 2 in Erinnerung bleibt, ist der Sound. Wenn Madeleine McGraw träumt, kippt die Geräuschkulisse in ein unheimliches Rauschen, Knistern und Knacken, der Bildstil gefällt sich als einer, den man von den Super 8-Filmen aus der Frühzeit des Home-Videos kennt. Schaurig ist das ausiovisuelle Experimentieren allemal, wenngleich Verpackung nicht alles ist. Um anders zu sein als das Original, erfinden Derrickson und  C. Robert Cargill ein bemühtes, komplexes Szenario und ziehen dabei die ganze Familie der Protagonisten mit hinein – inklusive Vergangenheitsbewältigung und jeder Menge Cold Case-Fälle, die der Reihe nach auftauen. Der gemeinsame Nenner von allem ist besagter Greifer, der plötzlich mehr ist, als er jemals war. Eine Figur wie diese braucht aber keine Biografie, sie nimmt ihr so manches Mysterium. Das Grauen, das in The Black Phone noch nach dem Zufallsprinzip zuschlägt, erhält in seiner Fortsetzung zu viel an Vorbestimmung und kollektiver Bewältigungspflicht, zu viel des Phantastischen und eine aufgesetzte Mystery, die nicht nur unter der Anstrengung leidet, den direkten Erzählfluss des Vorgängers beizubehalten, sondern sich selbst im Streben nach Originalität deutlich verkopft und verkonstruiert. Da helfen auch immer wieder die gleichen Visionen aus Blut und entstellten Gesichtern nichts, auch nicht Hawkes üppige Zombie-Visage. All das ist nur noch Brimborium mit zu vielen Charakteren, die alle wichtig sein und dem genre-eigenen Credo „Keep it simple“ nicht zuhören wollen. Was bleibt, ist der kämpferische Drang des Guten, dem Bösen die Leviten zu lesen. Die gesunde Wut auf den „Greifer“ ist nach wie vor befreiend – der Rest engt sich zu sehr selbst ein.

Black Phone 2 (2025)

Dangerous Animals (2025)

DER MENSCH IST DEM MENSCH EIN HAI

7,5/10


© 2025 Constantin Film Distribution GmbH


LAND / JAHR: USA, AUSTRALIEN 2025

REGIE: SEAN BYRNE

DREHBUCH: NICK LEPARD

KAMERA: SHELLEY FARTHING-DAWE

CAST: JAI COURTNEY, HASSIE HARRISON, JOSH HEUSTON, ELLA NEWTON, LIAM GREINKE, ROB CARLTON U. A.

LÄNGE: 1 STD 38 MIN


Steven Spielberg wusste damals gar nicht, was er den Knorpelfischen mit der Verfilmung des Romans von Peter Benchley eigentlich angetan hat. Kann sein, dass er diese Komponente seines 70er-Jahre-Erfolgs bis heute bitter bereut. Nicht ausschließlich, aber maßgeblich hat sein aufwändig inszenierter Action-Horror dazu beigetragen, dass der Hai an sich zu jenen Tierarten zählt, die Böses im Schilde führen. Als wäre das abnormale Verhalten des Weißen Hais aus dem Film (sein Name: Bruce) die Blaupause für jeden Rückenflossler, der durch die Meere pflügt – und sei er auch noch so klein. So viel allerdings ist wahr: Durch einen Hai kann man durchaus auch das Zeitliche segnen, doch das gelingt schon mit Moskitos und reicht bis zum Elefanten, der sein pummelig-unbeholfenes Image auch niemals wieder loswird. Medienwelt, was hast du getan?

Todfeind Mensch

Hinter all diesen Stigmatisierungen steht natürlich der Mensch, der sowieso und ohnehin für gefühlt jedes Lebewesen auf der Erde den Todfeind darstellt – außer vielleicht Hauskatze und Hund. Nun verhält es sich in Sean Byrnes gewitztem Boot-Horror so, dass hier die treibende Kraft für jedwedes Unheil von so manchem Zweibeiner ausgeht. Zum Beispiel von einem Typen wie Tucker, hinreißend dargeboten von Jai Courtney, der das Scheusal in Menschengestalt mit der sommerlichen Jovialität eines Adventure-Animateurs verknüpft. Letzteres gibt dieser auch vor zu sein, nur um Paare oder im besten Fall Single-Frauen jüngeren Semesters auf einen unvergesslichen Bootstrip einzuladen, der als Höhepunkt einen Cage-Dive vorsieht. Sowas vergisst man natürlich nicht und kann als adrenalingesteigerte Erinnerung für später, wenn der Alltag vor sich hin graut, immer wieder abgerufen werden. So majestätische Geschöpfe in Griffweite – das ist schon was. Für Tucker noch besser, wenn zwischen Mensch und Tier gar kein Käfig mehr ist – und letzteres vielleicht noch im Blutrausch an unschuldigen Touristinnen knabbert, bis sie dahinscheiden. Diesem psychopathischen Serienkiller, der sein Kombüsen-Dinner gerne dann konsumiert, wenn im Hintergrund das letzte gefilmte Gemetzel läuft, fällt such Surferin Zephyr in die Hände, die nach einem One Night Stand mit Schönling Moses ganz früh raus will, um die Elemente zu bezwingen. Sie erwacht erst wieder im Bauch von Tuckers Kahn, angekettet an ein Bettgestell, neben ihr die Lady aus der Eingangsszene. Spätestens nach dieser wissen wir, was es geschlagen hat. Und vor wem man hier wirklich die Hosen voll haben sollte. Jedenfalls nicht vor dem Hai.

Genre-Klischees über den Haufen geworfen

Dangerous Animals ist ein verletzungsfreudiges, bluttriefendes Inspirationswerk, von Sound bis Storytelling wie aus einem Guss. Wer hätte das gedacht? Statt zum wiederholten Male die Tierwelt dafür zu bemühen, die gnadenlose Natur raushängen zu lassen, um Homo sapiens zu zeigen, wer hier das Sagen hat, lenkt Byrne den Fokus vom geplagten Hai auf das Ekelpaket Mensch, in all seiner Perfidität, das sich aus seiner Sucht nach dem ultimativen Lustgewinn seine Stärke holt. Das aber ist nur die eine Seite des straff durchgetakteten, äußerst spielfreudigen Serienkiller-Slashers, der die Subgenres wild miteinander verknüpft und so Innovationen setzt: Die andere Seite ist die Umkehr von Rollenklischees. Hassie Harrison (u. a. Yellowstone) stärkt ihre Figur der vagabundierenden Einzelgängerin mit ordentlich Subtext – dort wäre, wenn man es wüsste, vermutlich auch all das zu lesen, was der Film ohnehin aufs Tapet bringt. Die Rolle des weiblichen Opfers und des tierischen Bösewichts hat sich abgenützt, Byrne setzt neue Parameter und lässt Jay Courtney über seine eigenen veralteten Rollen-Klischees stolpern. Wie die Heldin, die eher sich selbst beißt als von einem Hai gebissen zu werden, dem Bermuda-Burschen Paroli bietet, während der maskuline Mucki-Held sprichwörtlich in den Seilen hängt, ist großes Thrillerkino, so scharf geschnitten und bissfest wie die Revolver-Kauleiste eines bildschönen Mako-Hais.

Dangerous Animals (2025)

The Rule of Jenny Pen (2024)

DIE PUPPENTRICKS ÄLTERER HERREN

7/10


© 2024 Shudder


LAND / JAHR: NEUSEELAND 2024

REGIE: JAMES ASHCROFT

DREHBUCH: ELI KENT, JAMES ASHCROFT, NACH DER KURZGESCHICHTE VON OWEN MARSHALL

CAST: JOHN LITHGOW, GEOFFREY RUSH, GEORGE HENARE, IAN MUNE, THOMAS SAINBURY, MAAKA POHATU, HOLLY SHANAHAN, PAOLO ROTONDO, GINETTE MCDONALD U. A.

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Geoffrey Rush hat man schon länger nicht mehr auf großer Leinwand gesehen. Der Oscarpreisträger (für die David Helfgott-Biopic Shine) und langjährige Piratenkapitän Barbossa, der Johnny Jack Sparrow Depp nicht nur einmal herausgefordert hat, erleidet als Richter Stefan Mortensen in vorliegendem Psychothriller während des Ausübens seiner juristischen Pflicht einen Schlaganfall. Geistig noch komplett bei Sinnen, körperlich jedoch schwer eingeschränkt, fristet er von nun an seinen unterfordernden Lebensabend in einer stinklangweiligen, biederen Altersresidenz, in der geistiger und körperlicher Verfall in jeder Ecke daran erinnern, dass man, um länger zu leben, einfach nur auf irgendeine Weise alt werden muss. Wäre die tägliche Routine, in der sich Mortensen so ausgeliefert fühlt wie seinerzeit Jack Nicholson in Einer flog über das Kuckucksnest, nicht ohnehin schon Strafe genug für ein Leben, würzt die ganze umnachtete Idylle noch das psychopathische Verhalten eines ewig lästigen Mitbewohners, der schon eine Ewigkeit an diesem Ort sein Dasein fristet, und von dem man nicht weiß, ob er tatsächlich nichts in der Birne hat oder nur so tut, als wäre er verrückt. Dieser Jemand ist John Lithgow als Dave Crealy, der untertags wie Todd Philipps Joker gackernd durch die Gegend lacht, das Mittagessen in sich reinschaufelt und des Nächtens in die Zimmer anderer Leute schleicht, um sie zu schikanieren – und um sie daran zu erinnern, wer hier das Sagen hat. Es ist Jenny Pen, eine Handpuppe, die entfernte Verwandte von Annabel, mit leeren Augenhöhlen und einem Dauergrinsen im Gesicht, das schon mal einer grimmigen Mimik weicht. Diese Puppe ist die Geißel des Altersheims. Umso unverständlicher und rätselhafter ist es, dass das Pflegepersonal niemals auch nur die geringsten Anstalten macht, Crealy zu maßregeln. Ganz besonders auf dem Kieker hat er Mortensen, denn der lässt sich, sofern seine Physis es ihm erlaubt, den Psychoterror des alten Aggressors nicht gefallen.

Filme, in denen alte Menschen austicken, gibt es zur Genüge. Da müsste man nur Ti Wests X hernehmen, The Owners mit Game of Thrones-Star Maisie Williams oder Old People. Was hierbei auffällt: Der Terror der Alten richtet sich hierbei stets gegen die Jugend. Hier, in James Ashcrofts bitterböser Komödie, steigen diesmal Alt gegen Alt in den Ring, und wer noch halbwegs atmen kann oder die Motorik seiner Extremitäten beherrscht, hat die Pole Position. Wäre ich selbst Geoffrey Rush, dem Diktat des Pflegesystems ausgeliefert und würde ich nicht für voll genommen werden, wenn des Gegners Intrigen mich der vermeintlichen Inkontinenz überführen – vor einem wie John Lithgow hätte ich eine Heidenangst.

Der Mann weiß das Handwerk des Bösen nicht von Ungefähr zu beherrschen. Ich kann mich noch gut an Russel Mulcahys düsteren Actionthriller aus den Neunzigern erinnern: Ricochet – Der Aufprall. Selbst ein blutjunger Denzel Washington konnte dem diabolischen Treiben Lithgows kaum etwas entgegensetzen. Und so, wie der Mime schon damals für Unwohlsein gesorgt hat (und als Hannibal Lecter wohl auch eine gute Figur gemacht hätte), tut er es wieder: Als alter, böser, manipulativer Irrer, dessen Wesen sich niemals ergründen lässt, dessen Beweggründe für seine Taten ein Mysterium bleiben, der wie ein sinistrer Geist die bedürftige Gesellschaft unterjocht.

Es wäre nur das halbe Vergnügen, würde ihm Geoffrey Rush als ebenbürtiges Schauspielschwergewicht nicht ordentlich Paroli bieten. Beide schenken sich nichts, machen in Worten und Taten keine Gefangenen. The Rule of Jenny Pen ist ein perfider Psychokrieg der alten Schule, um sich schlagend, sadistisch und gespenstisch. Er erklärt und ergründet nichts, sondern setzt sich mit einer destillierten Niederträchtigkeit auseinander, die in der zeitlosen Stasis eines betreuten Lebensabends ihre Saat keimen lässt.

The Rule of Jenny Pen (2024)

Der Unsichtbare (2020)

DURCH DAS BÖSE HINDURCHSEHEN

7/10


© 2020 Universal Pictures


ORIGINALTITEL: THE INVISIBLE MAN

LAND / JAHR: USA, AUSTRALIEN 2020

REGIE / DREHBUCH: LEIGH WHANNELL

CAST: ELISABETH MOSS, OLIVER JACKSON-COHEN, ALDIS HODGE, STORM REID, HARRIET DYER, MICHAEL DORMAN U. A.

LÄNGE: 2 STD 4 MIN


Mit H. G. Wells‘ Roman Der Unsichtbare hat das Ganze gar nichts mehr zu tun. Einzig die Prämisse, unsichtbar zu sein. Gilt sowas dann noch als Adaption? Wohl kaum. Doch Leigh Wannell geht es, wie später auch in Wolf Man, lediglich um einen aus der Norm brechenden Zustand, um das Anders-Sein und Anders-Werden. Um das Monströse in einem Menschen, das ausbricht oder um einen monströsen Menschen, der die Möglichkeit findet, das Abnorme ungestraft zu praktizieren. Letzteres ist die Prämisse des neuen Unsichtbaren, entledigt aller Stoffbahnen und Verbände und auch jedweder Sonnenbrille, die als Utensilien zur Sichtbarmachung eines übereifrigen Wissenschaftlers, der nicht die ganze Bandbreite seiner Untersuchungen akzeptiert hat, bislang herhalten mussten. Wie es die Universal Studios und Blumhouse schaffen, klassische Grusel-Ikonen in die Gegenwart zu transportieren, ohne auf dem Weg dorthin das Interesse des Publikums zu verlieren, dass nur bedingt in Nostalgie schwelgt? Genau so.

Obwohl bei H. G. Wells die Frage der Moral und die Verrohung des Menschen durch den Fortschritt oder eben auch der Monopolstellung eines Fortschritts in einer Metaebene ganz klar zu lesen ist, rückt bei Whannell genau das in den Hintergrund, während der bereits im sichtbaren Zustand etablierte Psychopath den psychologischen Traumata weiblicher Gewaltopfer eine schreckliche Gestalt verleiht: Nämlich, dass sie keine hat.

Ein Mensch, der Unterdrückung, Gewalt und permanente Bedrohung erlitten hat, wird sich nicht groß wundern, die Welt paranoider zu betrachten. Diese Angst vor der Verfolgung wird in Der Unsichtbare zum Monster, zum Feind im eigenen Schlafzimmer. Zur Gefahr, allgegenwärtig und gleichzeitig nirgendwo. Das funktioniert deutlich besser oder eben zeitgemäßer als der Ansatz der Entmenschlichung durch exorbitante Technologien. Was nicht heisst, dass diese kritische Betrachtungsweise nicht auch zeitrelevant genug wäre. Die Frage, die wir uns aber noch dringender stellen müssen, ist das Miteinander. Von diesem hat Elisabeth Moss als unterdrückte Ehefrau Cecilia die Nase voll. Ihr Ehemann Adrian ist ein Scheusal, ein dominanter Chauvinist und naturgemäß eben ein Psychopath, der seine häusliche Gewaltherrschaft ausübt, wenn er gerade mal nicht als High-Tech-Ingenieur im Keller des schmucken Hauses an einem Projekt herumtüftelt, welches dazu beitragen wird, dass Whannells Film eben so heisst, wie er heisst.

Cecilie schafft es aber, in einer Nacht- und Nebelaktion ihrem grausamen Gatten zu entfliehen – der hetzt hinter ihr her, doch zum Glück ist die beste Freundin zur Stelle, die, wie ausgemacht, das Fluchtauto zur Verfügung stellt. Es vergeht einige Zeit, in der Cecilia, von Furcht gepeinigt, Adrian könnte sie finden, bei Freunden inkognito unterkommt. Und selbst nach der Nachricht, der Göttergatte hätte sich umgebracht, lässt sich das Leben nicht wirklich leichter nehmen. Ein Gefühl der Befreiung  weicht dem Gefühl, fortan immer und überall von einer boshaften Präsenz beschattet zu werden, die nicht nur wie der kalte Atem eines Toten über einem wabert, sondern sehr schnell sehr handgreiflich wird.

Womit wir bei Leigh Whannells Methode wären, auf wenig zimperliche Weise das Subgenre des existenzialistischen Thrillers aufzumöbeln. Schon in seinem Science-Fiction-Hardcorestreifen Upgrade um Künstliche Intelligenzen und deren Kontrolle über unser Leben ist ein scharfkantiger filmischer Brutalismus zu spüren, die Ignoranz urbaner Anonymität und kaltschnäuziger Vergeltungsmethoden. Auch Der Unsichtbare bleibt kühl und distanziert, und wirft in sein asoziales Ökosystem eine völlig aufgelöste Elisabeth Moss, die um ihren Verstand ringt und das Gefühl der Angst zu empfinden weiß – bis diese ihr Flügel verleiht, womit der zwischen Psychohorror und Science Fiction angesiedelte Film sogar noch – und nicht zu spät – eine ordentliche, aggressiv-feministische Note erhält. Whannells Skript weiß herumzuwirbeln und die Parameter neu zu ordnen – immer wieder mal so, wie man es nicht erwartet. Auf diese Weise gelingt ihm ein makelloses Stück futuristisches Thrillerkino, gesellschaftskritisch, panisch, psychotisch. Am glattpolierten Boden des Fortschritts jede Menge Blut.

Der Unsichtbare (2020)

Don’t Move (2024)

BEWEGUNG IST LEBEN

7/10


DON’T MOVE© 2024 Netflix Inc.


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: BRIAN NETTO, ADAM SCHINDLER

DREHBUCH: DAVID WHITE, T. J. CIMFEL

CAST: KELSEY ASBILLE, FINN WITTROCK, DANIEL FRANCIS, MORAY TREDWELL U. A.

LÄNGE: 1 STD 32 MIN


Es gibt doch dieses gruselige körperliche Phänomen, und ich weiß, es ist kein Phänomen, sondern fühlt sich nur so an als wäre es eines – nämlich das der Schlafparalyse. Die Muskeln des Körper sind, während wir träumen, sozusagen lahmgelegt. Manchmal kommt es vor, dass man nur halb aus einem Traum erwacht und eigentlich schon aufstehen will, doch es funktioniert nicht, denn diese Lähmung hält an. Meist geht das einher mit verstörenden Halluzinationen und auch mit Panik, bis sich langsam, aber doch, der Zustand normalisiert. Was ich damit sagen will: Bleibt einem die Bewegung versagt, auch wenn man noch so gerne aktiv werden will, dann ist das ein Albtraum. Oder ein Wachtraum. Oder ein Film namens Don’t Move. Denn dort passiert genau das: Eine Frau wird eines Tages von einem Serienkiller fast schon im wahrsten Sinne des Wortes aufs Kreuz gelegt – mit anderen Worten: paralysiert. Das passiert mit einem Mittelchen, dass die gesamte Muskulatur außer Gefecht setzt. Wie das lähmende Gift eines Kugelfischs, und der ist beileibe nicht die einzige Spezies aus dem Tierreich, die solche Mechanismen gegen ihre Feinde an den Tag legt. Diese Frau also, Iris heisst sie, weiß gar nicht, wie ihr geschieht, als sie eines Morgens, um den Kopf freizubekommen und um ein tragisches Schicksal, das ihr als Mutter wiederfahren ist, einen Schritt weiter zu verarbeiten, auf einen frühmorgendlichen Wanderer trifft. An sich nichts besonderes, denn es heisst ja: Im Frühtau zu Berge und so weiter und so fort.

Dieser Mann, zuerst voller Verständnis für die Gemütslage von Iris, die an diesem Morgen an dieser Klippe in der Wildnis ihr Innerstes offenbart, entpuppt sich als Psychopath par excellence, der seine Opfer gerne willenlos macht, um sich andernorts an ihnen zu vergehen. Pfui Teufel, kann man da nur sagen, und als Iris davon erfährt, hat sie das Zeug zwar intus, schafft  es aber zumindest noch einige Meilen durch den Wald, bevor ihr langsam die Motorik versagt. Zuerst die Beine, dann die Arme, dann überhaupt die Wahrnehmung. Wir ihr der Killer bereits prognostiziert hat: Irgendwann ist es dann auch mit der Atmung dahin, würde sie nicht ein Antiserum injiziert bekommen, das sie zumindest Luft holen lässt.

Der knackige, auf Zug inszenierte 90-Minüter Don’t Move präsentiert sich als spät im Jahr erschienenes Thriller-Highlight auf dem Streamer Netflix. Im Thriller-Genre ist schließlich alles schon mal dagewesen – ein Bus, der nicht langsamer werden darf, ein Jason Statham, der seinen Pulsschlag nicht unter ein gewisses Level bringen darf, mal steckt Ryan Reynolds im Sarg oder zwei Freundinnen auf einer kleinen Plattform in schwindelnder Höhe wie in Fall. Die Idee, die Protagonistin zu paralysieren und ihr dennoch die Chance zu geben, sich wie auch immer gegen den Aggressor zu wehren, ist ein kluges Gedankenspiel, straff umgesetzt als Survivalthriller der anderen Art, der weniger die Tücken der Natur herausfordert als die Tücken des menschlichen Körpers, um bewusst zu machen, wie sehr es notwendig ist, in Bewegung zu bleiben und wie sehr man sich selbst bewusst machen soll, was für ein Geschenk man genießt, hat man noch alle Extremitäten voll funktionstüchtig im Alltag im Einsatz.

Beim Mitfiebern in Don’t Move ertappt sich das Publikum selbst dabei, wie es körperlich mitgeht. Und weiß, zumindest aus Träumen, wie es ist, nicht vom Fleck zu kommen, obwohl man möchte. Mit diesem Horror spielen Brian Netto und Adam Schindler auf originelle, perfide und auch augenzwinkernde Weise. Die Unzulänglichkeiten und das, was man intuitiv und improvisatorisch daraus macht, ist die eigentliche Sensation des Films, wobei Kelsey Asbille (Yellowstone, Fargo) in Finn Wittrock ihre Nemesis gefunden hat – und umgekehrt. Klein und gemein präsentiert sich dieser morgendliche Ausflug, Wittrock darf so richtig fies sein, Asbille so richtig ihren Grips benutzen, um ihr Überleben zu sichern. Die moralische Tendenz des Films ist früh aus dem Sack, es ist bald sehr wahrscheinlich, wohin sich die Sache entwickeln wird und wem die Gunst des Schicksals natürlich gewogen bleibt und wem nicht. Dieser Zickzackkurs ist vorhersehbar, nicht aber das Wie. Und dieses Wie ist es dann auch, was Don‘t Move als sehenswertes, physisch eingeschränktes, aber psychisch in die Vollen gehendes, ungeahnte Kräfte mobilisierendes Duell so interessant macht.

Allerdings ist der im Befehlston gehaltene Titel Don’t Move bei genauerer Betrachtung irreführend. Schließlich geht es niemals darum, stillzuhalten.

Don’t Move (2024)

Halloween – Die Nacht des Grauens (1978)

DA STEHT EINER UND SCHAUT

8/10


halloween© 1978 Columbia Pictures


LAND / JAHR: USA 1978

REGIE: JOHN CARPENTER

DREHBUCH: JOHN CARPENTER, DEBRA HILL

CAST: JAMIE LEE CURTIS, NICK CASTLE, DONALD PLEASENCE, NANCY LOOMIS, SANDY JOHNSON, P. J. SOLES, KYLE RICHARDS, BRIAN ANDREWS, CHARLES CYPHERS U. A.

LÄNGE: 1 STD 31 MIN


Alleine schon die Art und Weise, wie John Carpenter Tür und Tor zu finsteren, psychopathischen Abgründen aufstößt, in die man zuvor vielleicht nur in Alfred Hitchcocks wohl perfidesten Film Psycho geschielt hat, ist das Beispiel innovativer filmischer Gestaltungskunst. Denn am Anfang, da sehen wir die Welt noch mit den Augen Michael Myers, eines womöglich schwer gestörten, von Grund auf bösen Jungen. In der First Person-Perspektive nähert sich der Dreikäsehoch dem familiären Heim, um heimlich und mit einem Küchenmesser bewaffnet in die oberen Stockwerke vorzudringen, um Schwesterherz beim Liebesgeplänkel mit einem Lover zu erwischen. Was dann folgt, ist der blutige Einstand eines ewigen Killers, dessen Gesicht keiner kennt, der niemals ein Wort sprechen wird und als Inkarnation des unberechenbar Monströsen allein durch das Abhandenkommen jedweder sozialer Kommunikationsmethoden das Schreckgespenst des Stalkers lustvoll überzeichnet. Diese subjektive, direkte Sicht des Killers auf seine Opfer erzeugt eine Atmosphäre, die für kurze Zeit die Distanz zwischen dem Zuseher und dem Bedrohlichen nimmt. Mit den Augen des Bösen zu sehen ist wahrlich unbequem, das Mysteriöse und Unerklärliche, ganz ohne paranormalen Firlefanz, verortet sich im alltäglichen urbanen Miteinander einer Gesellschaft, in der die Wenigen, die nicht so ticken wie die Norm es verlangt, furchteinflößender erscheinen als alles Metaphysische zusammengenommen, das obendrein nur in der Fiktion existiert.

Michael Myers aber, der mit der kreidebleichen Maske von William Shatner, ist Teil einer möglichen Realität und all die Worst Case Szenarien vereinend, die sich aus Home Invasion, Stalking, Terror und kausalitätslosem Gewaltrausch zusammensetzen. Was Carpenter dabei aber tunlichst unterlässt, ist, den Finsterling im wahrsten Sinne des Wortes mit der Tür ins Haus fallen zu lassen. Mit Halloween – Die Nacht des Grauens gelingt dem Altmeister das Paradebeispiel eines Suspense-Horrors, der genau in jenen Momenten, in denen nichts oder noch nichts geschieht, eine enorme Eigendynamik erzeugt. Eine unheilvolle Spannung, die den Umstand einer undefinierbaren Bedrohung zur Zerreißprobe werden lässt, nicht nur für Jamie Lee Curtis, die in diesem Film den Grundstein ihrer Karriere legt und als toughe junge Dame zumindest neugierig genug ist, um die lauernde Gestalt, die scheinbar zufällig herumsteht und schaut, zur Rede stellen zu wollen.

Was Laurie Strode, so Lee Curtis Charakter, eben nicht weiß ist, dass dieser unheilbare Killer, jahrelang in einer Heilanstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher verbringend, ganz plötzlich die Gelegenheit am Schopf packt, um auszubrechen, gerade zur rechten Zeit am Vortag zu Halloween. Am Tag des Spuks und des Schabernacks dann fällt einer wie er im Blaumann und weißer Maske, wohl kaum wirklich auf. Der jungen Strode allerdings schon. Und es wird immer unangenehmer, unheilvoller. Immer steht sie da, diese Gestalt, wortlos und starrend. In dieser Nacht vor Allerheiligen, in der Strode als Babysitterin aushilft, wird das Bedrohliche in einen ungesunden Horror übergehen, der den Blutdurst Michael Myers wohl stillen wird. Strode wird sich zur Wehr setzen, das ist auch kein Geheimnis, denn Fortsetzungen später und ein Reboot der ganzen Horror-Reihe, das am Original anknüpft und dabei alle anderen Sequels außen vorlässt, wird Jamie Lee Curtis immer noch dem wortlosen Wahnsinnigen, dessen größter verbreiteter Schrecken es ist, alles ohne ersichtlichen Grund zu tun, Paroli bieten.

Der ganze Modus vivendi mag sich in all den Folgefilmen nur noch variantenreich wiederholen. Wie in welcher Art und Weise Myers Unschuldige über den Jordan schickt, mag sich totlaufen – das Original hingegen ist Killerkino vom Allerfeinsten.

Halloween – Die Nacht des Grauens (1978)

Joker: Folie à Deux (2024)

WER ZULETZT LACHT

7,5/10


joker2© 2022 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: TODD PHILLIPS

DREHBUCH: TODD PHILLIPS, SCOTT SILVER

CAST: JOAQUIN PHOENIX, LADY GAGA, BRENDAN GLEESON, CATHERINE KEENER, ZAZIE BEETZ, HARRY LAWTEY, STEVE COOGAN, LEIGH GILL, SHARON WASHINGTON, JACOB LOFLAND, BILL SMITROVICH, KEN LEUNG, CONNOR STORRIE U. A.

LÄNGE: 2 STD 18 MIN


Wo ist Batman, wenn man ihn braucht? Wo diese gebrochenen, aber idealistischen Recken und Helden, die für eine bessere Welt eintreten wollen? Wie wir bereits aus Joker wissen: Zu diesem Zeitpunkt, als der anarchistische Clown namens Arthur Fleck seinen Stufentanz vollführt, ist Bruce Wayne gerade mal noch ein Dreikäsehoch. Irgendwie passt da chronologisch einiges nicht zusammen. Doch das hat einen Grund. Einen sehr driftigen, erhellenden, so ziemlich aus der Bahn werfenden. Dieses Gotham der Frühzeit ist die prähistorische DC-Epoche ohne Metawelten, Glamour und fantastischer Mutationen. Todd Phillips weiß, wie er diese fiktive Welt erden muss, damit sie ernst genommen wird. Im weiteren Sinne hat dies auch Matt Reeves so gehandhabt. Sein Batman mit Robert Pattinson und Colin Farrell als Pinguin, der weit jenseits eines Danny De Vito keine fliegenden Frackträger im Sinn hat wie einst bei Tim Burton, feiert den Realismus. Doch auch dann ist diese Batman-Welt kein Umstand, mit welchem sich Phillips beschäftigt. Er schafft es, diese mächtige Begrifflichkeit „Joker“ als Gesinnungszustand aus seinem Kontext zu lösen.

Im Film von 2019 war der Joker Ausdruck eines unterdrückten Traumas, mit allen bitteren Konsequenzen und allem Frust, wofür ein Individuum wie Arthur Fleck letztlich die Gewalt als Ventil gewählt hat. Eine One-Man-Show ist das geworden, Joaquin Phoenix bekam völlig zurecht, wie jeder weiß, dafür seinen Oscar. Auch wenn man damals schon so seine Vermutungen im Kopf hatte, was es mit dieser Interpretation denn noch auf sich haben könnte – gerade durch Joker: Folie à Deux erreicht das Psychogramm einer kaputten Seele, die wohl darum gebettelt hätte, als schizophren diagnostiziert zu werden, eine Metaebene, auf welcher sich die Idee eines launigen Anarchisten, der das System zu Fall bringen kann, völlig verselbstständigt. Es stellt sich dabei die Frage: Ist Arthur Fleck der Joker, oder ist der Joker Arthur Fleck? Was oder wer war zuerst da? Wofür steht diese Idee und wie sehr lässt sie sich von diesem Menschen trennen, der seit zwei Jahren hinter Arkhams Mauern sitzt? Die Idee des Joker erhält ihren Vorwärtsdrall durch das Auftauchen einer legendären Gespielin – von Harley Quinn, längst schon kongenial verkörpert durch Margot Robbie, die das Plakative des Charakters treffend skizziert hat. Lady Gaga ist anders, Lady Gaga offenbart erstmals das Ungeschminkte hinter dem Wahnsinn, und wir stellen fest: dieser reicht lediglich zum Imitat. All die Songs, die in Joker: Folie à Deux zum Besten gegeben werden, verstärken nur noch den Charakter einer Show, die nur Fassade ist für etwas ganz anderes.

Dass dieses fast schon als Epilog zu verstehende Filmexperiment einem an bewährtem Content interessierten Publikum mitunter sauer aufstößt, ist ein Umstand, den Phillips akzeptiert. Denn seine Vision ist eine Versuchsanordnung, die als filmisches Essay betrachtet werden kann – als eine ungefällige Abhandlung, die das Gefälle zwischen Mensch und Kunstfigur sehr stark und fast schon katharisch in den Fokus nimmt. Das lässt sich nur machen, wenn der Plot selbst auf das Wesentliche reduziert bleibt: Wir haben Arkham, wir haben den Gerichtssaal, wie haben die Träume eines gepeinigten, abgemagerten Häftlings, eines gebrochenen Bajazzo. Belebt wird seine Kunstfigur durch Harley oder Ley, die den berühmt-berüchtigte Fünffachmörder wieder auf die Beine hilft, um das bevorstehende Erbe von Batmans großer Nemesis anzunehmen. Doch Phillips hat seine eigenen Visionen, schenkt Arthur Fleck seine eigene Bedeutung, lässt sein Publikum dumm dastehen und steht zu seiner Conclusio.

Ähnlich wie bei Kill Bill ergänzen und bereichern sich beide Filme auch hier. Im Gegensatz zu Joker aus 2019 ist dieses weitergesponnene Spiel mit Identität und Gesellschaft nicht ganz so perfekt. Joker: Folie à Deux gibt sich weitaus zurückhaltender, versponnener und darf auch Längen verbuchen, in denen man sich fragt, ob diese Momentaufnahmen einer verheißungsvollen Begegnung zweier Kultfiguren irgendwann noch mehr versprichen als nur das Vorhaben, etwas Großes zu errichten. Oft tritt sein Film auf der Stelle, die Gesangseinagen bewegen die Geschichte kaum voran. Phoenix kann schauspielern, aber nicht singen, es bleibt ein Krächzen neben dem verrauchten Hauchen einer Lady Gaga, die auch schon mal besser war. Und dennoch ist es Schauspielkino auf höchster Stufe, schafft Phillips ikonische Bilder und epische Düsternis, dieses Krächzen passt da ganz gut hinein. Etwas kürzer hätte nicht geschadet, wäre auch gar nicht aufgefallen, denn manches wiederholt sich. Am Ende aber legt der Film seine Karten auf den Tisch – mit einem Knall, einem Getöse, einem unvergesslichen Schlussakt. Und siehe da: Das Blatt enthält nur Joker.

Joker: Folie à Deux (2024)

Longlegs (2024)

DEN TEUFEL AUF DISTANZ HALTEN

7,5/10


longlegs© 2024 DCM


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE / DREHBUCH: OZ PERKINS

CAST: MAIKA MONROE, NICOLAS CAGE, BLAIR UNDERWOOD, ALICIA WITT, KIERNAN SHIPKA, ERIN BOYES, LISA CHANDLER, SCOTT NICHOLSON, DAKOTA DAULBY U. A.

LÄNGE: 1 STD 42 MIN


Wo ist Nicholas Cage? Man erkennt ihn gar nicht hinter dieser seltsamen Maske, die so aussieht, als hätte Mrs. Doubtfire den Nachtdienst in der nächstgelegenen Geisterbahn begonnen. Als hätte Mickey Rourke sein Geschlecht gewechselt. Seltsam feminin, tänzelnd wie der Joker und vom Teufel besessen geistert die Gestalt des Longlegs durch ein düsteres, von allen guten Geistern verlassenes Amerika, wie ein Harlekin des Grauens. Nicht von dieser Welt und dennoch nur ein Mensch. Oder doch nicht?

Wer sich einen Psychothriller biblischen Ausmaßes erwartet, wie ihn David Fincher zu meinem bekennenden Schrecken in den Neunzigern losgelassen hat, darf nur zum Teil darauf hoffen, von einer packenden Tragödie sturzflutartig mitgerissen zu werden. Longlegs geht die Sache nämlich ganz anders an. Ruhiger, stiller, bis zum Äußersten entschleunigt. Und dennoch entwickelt die finstere, metaphysische Mär um das paranormale Treiben eines hässlichen Sonderlings eine intensive Dynamik – viel untergründiger als bei Sieben, viel mehr introvertierter und überhaupt nicht energisch, sondern in den Momenten potenziellen Spuks, der da aufkommen könnte, innehaltend, um dann wieder die Erwartungen des Zusehers zu konterkarieren. Mit dem mysteriösen Song Jewel der Band T. Rex und einem daraus entnommenen Zitat, schwarze Lettern auf Rot, beginnt eine Sinn- und Tätersuche, die sich tief ins Unterbewusstsein von Protagonistin Maika Monroe gräbt, die als FBI-Ermittlerin Lee Harker durch den fundamentalen Wahnsinn eines Satanisten auf ihre eigene verzerrte Biografie zurückgeworfen wird. Diese Reise in die Dunkelheit führt durch ein fahl beleuchtetes Labyrinth aus Fluren, Kellern und weiten Räumen, deren hintergründige Unschärfe dem Auge Streiche spielen, während die Kamera stets Distanz hält zu seinen Figuren, lediglich Monroe rückt näher ins Bild, stets ernst, argwöhnisch und sonderbaren Klängen lauschend, die Psychopathisches auf den Plan rufen könnten.

Akribisch lernt Agentin Harker das krude Alphabet des Spinners, immer rätselhafter wird dieser Fall, der sich nicht auf die zehn Todsünden herunterbrechen lässt, sondern viel komplexer scheint. Schließlich ist es so, als würde Longlegs niemals selbst töten, als wären es die Opfer selbst, die sich und ihre Liebsten richten, angetrieben durch irgendeine obskure Macht, die der Killer entfesseln kann. Ist es Hypnose? Sind es Drogen?

Der Eindruck, dass die Wahrnehmung etwas verzerrt wirkt, liegt auch an den subtilen, ausgefeilten technischen Spielereien, die sich Regisseur Oz Perkins, der älteste Sohn von Schauspiellegende Anthony Perkins (Psycho), da einfallen hat lassen. Auch wenn das ferne Gewitter am dämmrigen Abendhimmel Wetterleuchten verursacht – stets bleibt das Gefühl einer Ruhe vor dem Sturm konsistent. Perkins Welt gerät unter einen Glassturz, in eine windstille Szenerie aus abgestandener Luft und Unbehagen. Die ungesund gelben Lichtkegel billiger Taschenlampen durchdringen die Finsternis, der magere Schein alter Glühbirnen und halogenem, septischem Schwachlicht erhellen das Halbdunkel nur kaum, das besser als alles andere die Metaphysik dieses okkulten Dramas versinnbildlicht. Longlegs Bildsprache folgt einer aufgeräumten Ordnung, einer Hintergrund-Symmetrie, ein erlesenes Setting, die Figuren befinden sich zentral. Vieles lässt sich in diesem Kunstwerk analysieren – am schwierigsten zu handhaben ist da wohl das Herunterschrauben einer Erwartungshaltung, die sich aus den Erfahrungen im Genre speist. Longlegs entwickelt dabei einen eigenwilligen Takt, die Ruhe vor dem Sturm zeigt sich als der Sturm selbst.

Der mit bedächtig gesetzten Gewaltspitzen ausgestattete Horror findet einen neuen Zugang ins Okkulte und vermengte das Reale mit einer fantastischen Komponente, die sich nur so nebenbei ins Geschehen schleicht. Budenzauber und hohlen Schrecken sucht man in Longlegs vergebens. Diese Ermittlungsarbeit ist ein mephistophelisches, künstlerisch versonnenes wie versponnenes Erlebnis, die den Faust’schen „Pudels Kern“ neu interpretiert. Dass Oz Perkins dabei, wieder auf einer eigenen Ebene, garstige Kritik am Katholizismus und der blinden, bigotten Bibel-Frömmelei äußert, wird in dieser Review nur rein zufällig zuletzt erwähnt. Als Wurzel allen Übels liefert dieser schadhafte Eifer überhaupt erst das Fundament für ein verhängnisvolles Spiel.

Longlegs (2024)

Pearl (2022)

EINE PERLE VERLIERT DIE FASSUNG

7/10


pearl© 2022 Universal Pictures


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: TI WEST

DREHBUCH: TI WEST, MIA GOTH

CAST: MIA GOTH, DAVID CORENSWET, TANDI WRIGHT, MATTHEW SUNDERLAND, EMMA JENKINS-PURRO, ALISTAIR SEWELL U. A.

LÄNGE: 1 STD 43 MIN


Niemand ist bei den Kälbern? Natürlich nicht. Die hübsche junge Pearl will eigentlich etwas ganz anderes aus ihrem Leben anstellen als nur das Vieh bei guter Gesundheit zu halten und den als Pflegefall dahinsiechenden Vater pflegen. Doch wir befinden uns am Anfang des 20. Jahrhunderts, die spanische Grippe geißelt den Erdball wie vor kurzem Covid, nur noch um einen Tick tödlicher. Der Erste Weltkrieg geht langsam seinem Ende zu. Und da ist es am klügsten, sich nach der Decke zu strecken und das Beste aus dem zu machen, was man hat. So zumindest meint es die strenge Institution namens Mutter, die Pearl keinerlei Freiheiten schenkt, sondern stets an ihre Pflicht erinnert, für Haus und Hof geradezustehen.

Was aber, wenn die große weite Welt lockt? Wenn Frau sich selbst dazu ausersehen fühlt, ein Star zu werden? Margot Robbie hat das in Babylon – Rausch der Ekstase schließlich auch hinbekommen, also zumindest anfangs. Wieso sollte Pearl nicht auch das Zeug dazu haben? Eine strahlende Erscheinung ist sie ja. Wenn sie aber dauerstrahlt, kann einem schon anders werden. Und wenn sie dann auch noch zu blaffen beginnt und nicht versteht, warum ihr die Welt nicht zu Füßen liegt, ließe sich der Pfaffe schon zur letzten Ölung bitten.

Mit dieser fast schon ikonischen Figur einer taufrischen Psychopathin gelingt es Ti West, eine neue Institution für das Subgenre des Slasher-Horrors zu schaffen. Eine, die zu Halloween neben Michael Myers, Freddy Kruger und Jason Voorhees die Gegend unsicher macht – in rotem Festtagskleid, mit zwei Zöpfen und bewaffnet mit Axt oder Heugabel. Dabei scheint sie nur tanzen zu wollen – und mehr Beweggründe für ihre Meuchelei zu haben als all die anderen genannten gesichtslosen Killermaschinen. Da hat Pearl ihnen einiges voraus. Nämlich den unverschämten Wunsch auf Selbstbestimmung. Dumm nur, dass eine grundlabile Persönlichkeit wie Pearl nicht anders kann als lustvolles Töten als einfachste Methode zu wählen, ihrem Käfig zu entkommen. Doch da wartet weder Regenbogen noch eine Yellow Brick Road. Wenn’s hochkommt, ist da nur die Vogelscheuche.

Wer Ti Wests 70er-Slasher X gesehen hat – ebenfalls mit Mia Goth, nur in einer anderen Rolle – wird sich beim Gedanken daran, wie die beiden Alten in der heruntergekommenen Ranch vor lauter Neid auf die Jugend eine Filmcrew systematisch dezimiert, die Nackenhaare aufstellen. Die Herrin des Hauses, immer noch getrieben von der Sehnsucht, ein Star zu sein, ist Pearl in hohem Alter. Mit diesem, in enormem Ausmaß den Stil der Technicolor-Filme imitierenden Prequel hält ein leidenschaftlicher Coming of Killer-Film Einzug, der als Reminiszenz aufs frühe Mörderkino genauso funktioniert wie auf Hitchcocks Psychohorror, in welchem ein Motel zum Schauplatz garstiger Alltagsroutine wird. Die Eltern-Kind-Diskrepanzen sind da wie dort ein Thema, und wenn Mia Goth, die hier heult und grinst und kreischt wie eine Furie, zu ihrem Geständnis ansetzt, verzichtet Pearl darauf, nur platter Effekt-Manierismus bleiben zu wollen. Wests Film strebt ebenso nach Größerem wie Mia Goths Figur selbst. Wenn man auch nur irgendwie „Sympathy for the Devil“ entwickeln kann; wenn Filme Zugänge schaffen in eine Welt aus Tod, Verderben und geistiger Verwirrung, dann funktioniert das nur im Rahmen eines entrückten Horrormärchens, das seinen strohaufwirbelnden Judy Garland-Albtraum satirisch konnotiert, ihn aber ernster nimmt als es den Anschein hat. Und das ist das Perfide daran.

Pearl (2022)

Piggy (2022)

DER FEIND MEINER FEINDINNEN

6,5/10


piggy© 2022 Alamode Filmdistribution Österreich


LAND / JAHR: SPANIEN, FRANKREICH 2022

BUCH / REGIE: CARLOTA PEREDA

CAST: LAURA GALÁN, RICHARD HOLMES, CARMEN MACHI, CLAUDIA SALAS, IRENE FERREIRO, CAMILLE AGUILAR, PILAR CASTRO, JOSÉ PASTOR U. A.

LÄNGE: 1 STD 30 MIN


Gibt es das tatsächlich noch, dass Menschen aufgrund ihrer körperlichen Beschaffenheit gehänselt, verspottet und gemobbt werden? Womöglich würden mir jetzt einige die Gegenfrage stellen, in welcher Welt ich denn lebe. Irgendwie aber denke ich mir, dass Dinge wie Übergewicht längst nicht mehr Grund dafür sind, Menschen auszugrenzen. Das mag naiv sein, ich geb’s zu. Umso erschreckender ist es, dass junge Frauen wie Saras Altersgenossinnen, die in einer spanischen Kleinstadt ihren Sommer herunterbiegen, ungebildet und gehässig genug sind, um den Sprung in eine moderne Welt der Toleranz nicht geschafft und diese auch nicht im Rahmen ihrer Erziehung mit auf den Weg bekommen zu haben. In manchen Teilen der Welt hängt man halt noch immer einige Jahrzehnte hinterher, so traurig es sein mag. In diese kummervolle Wolke, entstanden aus Ablehnung von außerhalb, hängt die Tochter eines Fleischers ihren Gedanken nach, hört Musik und träumt davon, dazuzugehören. In diesem Sommer aber, wo sie ihrem Vater stets zur Hand gehen muss und von ihrer Mutter permanent bevormundet wird, wird alles anders werden. In diesem Sommer wird Piggy, wie sie von den anderen beschimpft wird, über sich selbst hinauswachsen und allen zeigen, wo der Fleischhaken hängt.

Denn ein Psychopath treibt sein Unwesen, der scheinbar wahl- und ziellos mordet und eines heißen Badetages ganz zufällig auf Sara trifft, die gerade eine Kaskade an Beleidigungen und üble Quälereien über sich ergehen lassen muss. Anscheinend hat der tumbe Killer ein Herz für Außenseiter – und überhaupt für Sara, die es ihm angetan hat. Also tut er das, was das gehänselte Mädchen nicht zustande bringen kann: Er knöpft sich all die Mobberinnen vor, entführt sie und verfrachtet sie in seinen Lieferwagen. Als Sara des Verbrechens gewahr wird, entschließt sie sich, einerseits aus Angst und andererseits aus Genugtuung für erlittene Schmach, nichts zu tun. Eine stille Vereinbarung zwischen Killer und Gemobbter scheint besiegelt, denn der Feind meiner Feindinnen könnte ein Freund sein. Noch dazu ein Mann, der Sara erstmals das Gefühl gibt, als junge Frau wahrgenommen zu werden.

Die dramatische Konstellation des im letzten Jahr auf dem Wiener Slash Filmfestival präsentierten, spanischen Thrillers birgt schon eine groteske, knackige Prämisse. Während sich bei Steven Kings Carrie dank telekinetischer Fähigkeiten nämlicher Teenie aus eigener Kraft heraus zu wehren weiß, greift Sara auf ein menschliches Monster zurück, dass ihr Zärtlichkeit entgegenbringt und als Beschützer fungiert. Ob edler Ritter oder nicht – das Ideal vom Beistand einer Frau gegenüber stellt sich in Carlota Peredas Autorenfilm einem kritischen Diskurs über Rollenbilder und Verantwortung, über Gut und Böse und dem Recht auf Rache. Dabei fädelt sie ein Coming of Age-Drama unter das Thriller-Genre, dem Hauptdarstellerin Laura Galán ein ausdrucksstarkes Gesicht verleiht.

Während sich das moralische Dilemma einer sich längst als Frau verstanden werden wollenden Persönlichkeit ausweitet und einige interessante Impulse setzt, greift das übrige Szenario auf gängige Slasher-Versatzstücke zurück, die manchmal an M. Night Shyamalans Split erinnern oder in der klischeehaften Darstellung sämtlicher Provinzbürger münden. Diese Elemente holen einen dann doch nicht so ab wie die Killer-Mädchen-Konstellation, wobei am Ende aber die Erwartungen im blutigen Finale fast schon wieder unterlaufen werden. Wie sich Laura Galán als brachiale Naturgewalt durch die Grauzonen physischer wie psychischer Gewalt kämpft, um eine Richtung für sich selbst zu finden, lässt sich als spektakulärer Showdown bezeichnen. Piggy ist ein zwar simpel gestrickter und manchmal etwas unbeholfen inszenierter, aber letzten Endes durchdachter schräger Thriller, den wohl, würde Harris Glenn Milstead als Divine noch leben, John Waters (u. a. Female Trouble) zu seinen Bestzeiten des Undergroundkinos auch gerne inszeniert hätte. Nur fraglich, ob die zarte Selbstfindung Saras zugunsten schockierender Trash-Momente nicht auf der Strecke geblieben wäre.

Piggy (2022)